«RFC – No Neighborhood» steht auf dem Banner, dass hinter dem sogenannten „Oktagon“, ein spezieller Käfig für MMA-Kämpfe, hängt. RFC steht für «Radical Fight Club». „No Neighborhood“ ist wohl wortwörtlich zu verstehen, denn rund um die Scheune, wo am 15. Juni 2024 das extrem rechte Kampfsport-Event «Day of Glory» ausgetragen wird, gibt es kaum direkte Nachbarschaft. Stattdessen dominieren Felder und Wiesen die Landschaft rund um das 118-Seelen Dorf im Département Meuse (Region Grand Est) im Nordosten Frankreichs.
Bis zu 300 Neonazis aus ganz Europa fanden sich am dem Samstag Nachmittag hier ein: in der zum Veranstaltungsort umgebauten Scheune, die Jérémy Flament in Combres-sous-les-Côtes 2015 erworben hatte und die seitdem vor allem als Clubhaus der «Lorraine Hammerskins» (LHS) bekannt war – ein 2014 gegründeter, lokaler Ableger der weltweit organisierten Neonazi-Organisation «Hammerskin Nation». In dem Gebäude fanden bereits etliche RechtsRock-Konzerte und Partys statt, oft in Kooperation mit den deutschen «Westwall Hammerskins». Flament selbst ist seit 2011 vollwertiges Mitglied der LHS.
Seit Beginn der Nutzung des Clubhauses stehen auch Kampfsport-Trainings im Fokus, vorangetrieben von Jérémy Flament. Viele Jahre wurde er in der «Académie d’arts martieux de Jarny» in Jarny (Département Meurthe-et-Moselle) ausgebildet und nahm für das Gym an offiziellen Wettkämpfen teil. Seine Kompetenzen stellte er zudem 2014 in Vettelschoß (Rheinland-Pfalz) beim deutschen Neonazi-Format «Ring der Nibelungen» – dem Vorgänger des heutigen «Kampf der Nibelungen» (KDN) – unter Beweis. Nun ist er selbst Trainer des Neonazi-Nachwuchses, unter dem Banner des von ihm geschaffenen «Radical Fight Club», kurz RFC. Beheimatet im Keller des Clubhauses der LHS, kommt es wöchentlich zu Box-und MMA-Trainings, an denen bis zu 15 Personen teilnehmen. Das Ganze wirkt nach außen harmlos, die Inszenierung ist bewusst unpolitisch. Dadurch konnte Flament mit dem RFC bereits an nicht-rechten, öffentlichen Turnieren teilnehmen, etwa an der «NAGA – Europe Grappling Championship», die im November 2023 in Limburg an der Lahn (Hessen) stattfand.
Besonders viel Wert scheint Flament aktuell auf die Förderung des MMA-Newcomers Eddy Viez zu legen. So coachte er Viez beim nicht-rechten MMA-Event «Hard Fighting Championship» in Basel im Februar 2024, bereitete ihn aber auch für seinen Kampf beim Neonazi-Kampfsportevent «European Fight Night» vor, das am 6. Mai 2023 im Umland von Budapest (Ungarn) stattfand. Innerhalb der Organisation des «Day of Glory» nahm Eddy Viez wiederum eine nicht unerhebliche Rolle ein: über sein PayPal-Konto lief der Karten-Vorverkauf, 25 Euro das Stück. 220 hatte es laut Nummerierung im Vorverkauf gegeben. Sollten alle Tickets verkauft worden sein, könnte allein über den Einlass ein Betrag von 5500 Euro für das extrem rechte Kampfsport-Netzwerk generiert werden.
Mit der Wahl der Location im Nordosten Frankreichs war allen Beteiligten klar, wer den Ton auf dem jüngst stattgefunden «Day of Glory» angeben wird: die Hammerskins, um die Chapter «Lorraine» und «North France». Kaum ein Konzert geht in Frankreich ohne ihr Mitwirken über die Bühne. Der hohe Organisationsgrad der Neonazi-Bruderschaft stach bereits eindrücklich im November 2019 hervor, als die «Hammerskin Nation» ihr «European Hammerfest» im elsässischen Plaine (Bas-Rhin) austrug. Vor allem die Logistik – Parkeinweisung, Ausschank und Sicherheitsdienst – wirkten dort wie einstudiert.
Wer sich falsch verhielt, wurde vom Sicherheitsdienst zusammen geschlagen. Einer, der beim «Hammerfest» 2019 als Security tätig war, ist Christophe Saccavini. Der Hammerskin war es, der dort mit seiner Taschenlampe einem Besucher die Nase deformierte, weil dieser sich auf dem Konzert falsch verhielt.
Saccavini, der in der nahen Gemeinde Bar-Le-Duc im «Old Skull»-Tattoostudio arbeitet, war auch beim jüngsten «Day of Glory» für die Absicherung der Veranstaltung zuständig. Mindestens fünf weitere, teils langjährig aktive französische Hammerskins fanden sich zudem vor Ort ein. Auch diese wirkten nicht wie normale Gäste, sondern machten durch ihr souveränes Auftreten den Eindruck, an der Durchführung des Events beteiligt zu sein. „Steph“, der den «North France Hammerskins» angehört und schon beim «Hammerfest» 2019 den Schleusungspunkt betreute, trat vermutlich gar als Kämpfer an. Erwähnenswert ist zudem, dass die anwesenden Hammerskins auf eine Zurschaustellung als Mitglieder der Neonazi-Bruderschaft verzichteten. Nur einer aus der Gruppe trug ein Shirt mit den gekreuzten Hämmern und dem Code „HFFH“, „Hammerskins Forever Forever Hammerskins“.
Trotz der Unterstützung einer Organisation wie der «Hammerskin Nation», war es seit Anfang an Tomasz Szkatulski, der für die «Day of Glory»-Reihe als Ansprechpartner gilt. Der als Kleinkind von Polen nach Frankreich verzogene Szkatulski betätigte sich bereits in den 2000er Jahren in der Neonaziszene und fiel dort mehrfach durch seine Beteiligung an rassistischen und queer-feindlichen Angriffen auf. Um 2012 gehörte er zum Umfeld von B&H in Frankreich, 2013 gründete er die Kampfsportmarke-und Promotion «Pride France». Mit der Marke und als aktiver MMA-Kämpfer trug er maßgeblich zur Etablierung von Kampfsport in der Extremen Rechten in ganz Europa bei.
Das Kämpfer-Konglomerat
Tatsächlich überraschte die Zusammenstellung der Kämpfer auf dem «Day of Glory» am letzten Wochenende nicht. Vielmehr beschreibt diese den Status Quo der rechten europäischen Kampfsportszene: nicht üppig oder herausragend, sondern eingespielt und abgeklärt. Zehn Kämpfe waren ursprünglich geplant. Unklar ist, ob wirklich alle angemeldeten Kämpfer erscheinen konnten, denn vor allem die deutschen Teilnehmenden wurden teils an der Grenze zu Frankreich von der Polizei aufgehalten und an der Weiterreise gehindert.
Die Neonazis aus Nordrhein-Westfalen, einem Hotspot des KDN, reisten wie gewohnt in größerer Besetzung an. Angeführt von Jim Koal, begleiteten u.a. Pascal Ostholte, Leyla Buckmann und Christian Buckmann den Kämpfer des Teams, Niklas Busch. Vorbereitet und vor Ort gecoacht wurde der junge Neonazi von Alessandro Migliaccio. Busch kämpfte schon auf dem tschechischen Neonazi-Turnier «Virtus et Honor III» im März 2024 für das KDN-Team. Bei seinem jüngsten Kampf in Frankreich trat er gegen François Delagrande an. Dieser gehört der französischen Gruppierung «Edelweiss Chambéry» an, eine Nachfolge-Struktur der seit 2019 verbotenen Organisation «Bastion Social». Delagrande, ehemals Soldat, wurde erst 2020 wegen eines Angriffes auf einen Antifaschisten verurteilt.
In den sozialen Netzwerken wird der Kampf von Busch und Delagrande gelobt und gemeinsame Fotos im Ring sollen offenbar Zusammenhalt und Gemeinschaft suggerieren. Tatsächlich reiste der auf einem der Bilder im Ring mit Busch posierende Malte Redeker aber erst sehr spät an – noch nach Buschs Kampf. Busch selbst hatte zu diesem Zeitpunkt, gegen 17:30 Uhr, mit den Folgen offensichtlich schwerer Schläge gegen den Kopf zu tun. Während seine Begleiter neben ihm, im Freien sitzend am Handy rumspielten, rang er offensichtlich mit Schwindel und Übelkeit. Der «Day of Glory» war da schon im vollen Gange, nachdem gegen 15 Uhr die Türen auch für die Zuschauenden geöffnet wurden.
Keines der Bilder, welches in den sozialen Medien landete, zeigt Malte Redeker – KDN-Gründungsfigur und europaweit einflussreicher Hammerskin – als Ringrichter. Dabei übernimmt der zertifizierte Trainer diese Aufgabe seit Beginn des KDN in 2013. Zuletzt konnte er in dieser Funktion auf einem Sparrings-Turnier im Rahmen des «Europakongress» der «Jungen Nationalisten» auf dem sogenannten «HeimatHof» in Eschede (Niedersachsen) im Mai 2024 wahrgenommen werden. In Frankreich übernahm diese Tätigkeit eine bislang unbekannte Person. Begleitet wurde Redeker beim «Day of Glory» u.a. von Benjamin Riedle aus der Rhein-Neckar Region. Beide kennen sich seit über 20 Jahren aus der gemeinsamen politischen Arbeit. Riedle war über die Jahre auch immer wieder auf Partys und Konzerten der Hammerskins aufgetaucht. Vor Ort in Frankreich angekommen, wurden beide u.a. von Felix Wiotte vom Parkplatz abgeholt. Der im Saarland wohnhafte Neonazi gehört, wie Redeker, den «Westwall Hammerskins» an, die wie die anderen 12 Chapter der «Hammerskin Nation» seit September 2023 in Deutschland verboten sind. Wiotte kam schon 1,5 Stunde vor Redeker am Austragungsort des «Day of Glory» an, gemeinsam u.a. mit Benjamin Schiffer. Auch Schiffer gehört zum engen (politischen) Kreis um Redeker. Gemeinsam mit ihm, sowie Alexander Deptolla und Jim Koal, verbrachte Schiffer im Juni 2019 seinen Urlaub in Bulgarien.
Der Bezug in die Rhein-Neckar Region war vor Ort deutlich erkennbar. Nicht nur durch Redeker und seine Mitreisenden, sondern vor allem sichtbar durch eine größere Gruppe alter, rechter Hooligans des 1. FC Kaiserslautern, die dem Zusammenschluss «First Class Limburgerhof» angehörten. In einheitlichen, mit den Reichsfarben gestalteten Shirts der Gruppierung «First Class Limburgerhof», präsentierte sich vor Ort auch Tim Walther. Der in Landau in der Pfalz als selbstständiger Sachverständiger für vorbeugenden Brandschutz tätige Walther hat beim «Day of Glory» gekämpft. Seine Expertise im Kampfsport erlernte er im «Boxclub Kandel e.V.», wo er auch als Trainer aktiv ist.
In Schifferstadt – dem Wohnort von Malte Redeker – rund 40 km nördlich von Kandel, ist wiederum Wolfgang Isselhard seit vielen Jahren im Vereinsleben verankert: im «Karneval und Tanzsport-Gesellschaft Schlotte e.V. Schifferstadt», der sehr darauf bedacht ist, sich nach außen queer-freundlich darzustellen. Ein Gegensatz zu Isselhards neonazistischen Weltbild, der beim «Day of Glory» nicht nur im Shirt der «First Class Limburgerhof» auflief, sondern der auch seine am Ellenbogen tätowierte „Schwarze Sonne“ zeigte, ein Symbol aus der NS-Zeit. In seiner Vereinsarbeit in seiner Heimat muss er dieses Symbol offenbar auch nicht verstecken.
Neben ihm tauchte in Frankreich zudem Torsten Staudacher aus Schifferstadt aus, ebenfalls in einem Shirt der Gruppe «First Class Limburgerhof». Er war in den 2000er Jahren Betreiber einiger überregional bedeutender RechtsRock-Versände und führte in den 2010er Jahren das Neonazi-Ladengeschäft «First Class Streetwear» in Neunkirchen, Saar. Staudacher und seine Unternehmen waren personell stark an die lokalen Hammerskins angebunden.
Aus Nordhessen trat Norik Eilert beim «Day of Glory» als Kämpfer an. Er ist seit einigen Jahren in der Neonazi-Partei «Der III. Weg» aktiv, vor allem in deren «AG Körper & Geist», die die Wehrhaftmachung der Szene forciert. Mit einer Fahne dieser Arbeitsgruppe posierte Eilert nach seinem Kampf im Ring, u.a. mit Kevin Kohl, der Trainer im «Fightclub 21» in Bad Wildungen ist, wo auch Eilert für seine Kämpfe vorbereitet wird. Vor Ort in Frankreich war auch Kohl in Kampfsport-Bekleidung zu erkennen, u.a. mit einer Hose der «AG Körper & Geist».
Nicht verwunderlich war auch die Teilnahme des «Preußen Gloria»-Teams aus Südbrandenburg um Martin Ruckert und Lucien Schönbach. Beide trainieren, wie auch ihre Mitgereisten, in der Trainingsstätte der neonazistischen Gruppierung «Northsidecrew» (NSC) in Lübben. Schönbach kämpfte bereits bei einer der ersten Veranstaltungen von «Pride France» in Frankreich, Ruckert war u.a. Kämpfer beim extrem rechten «Tiwaz»-Turnier bei Zwickau im Juni 2019 und vertrat das Team «Preußen Gloria» auch bei der «European Fight Night» in Ungarn im Mai 2023. Wie bei dem Turnier in Ungarn, begleitete auch dieses Mal Maximilian Schulze das Team um Schönbach. „Zero Tolerance – Hate Antifa“ stand auf seinem Shirt, welches aus dem Sortiment des «Pride France»-Shops entstammt. Erst im Dezember letzten Jahres beteiligte sich Schulze für seinen Arbeitgeber, das «Seniorenhaus Plessa» in Südbrandenburg, an einem Firmenlauf in Dresden. Die Pflegeeinrichtung dürfte nichts von der extrem rechten Gesinnung Schulzes wissen, oder ignoriert diese. In jedem Fall ist sein Weltbild konträr zum Image des Trägers der Einrichtung, der sich auf seiner Webseite wie folgt beschreibt: „pro civitate versteht sich als weltoffen und bunt […] Wir stehen nicht nur für freie demokratische Grundwerte, sondern auch für Vielfalt sowie ein menschliches und wertschätzendes Miteinander. Jegliche Art von Diskriminierungen haben bei uns keinen Platz.“
Bewährt hat sich offenbar auch die Einbeziehung bulgarischer Neonazi-Hooligans bei den aktuellen Turnieren. Schließlich kämpfte beim «Day of Glory» der Bulgare „Denislav A.“, der bei der «European Fight Night» im letzten Jahr in Ungarn den Hauptkampf gegen Tomasz Szkatulski bestritt. Ein weiterer, bislang unbekannter bulgarischer Neonazi, kämpfte in Frankreich zudem gegen den Mitorganisator des «Day of Glory», Eddy Viez.
Aus Schweden reisten knapp zehn Personen an, darunter die bekannten Neonazis Nils Loke Westerbring, Filip Haglen, Per Oliver Sima Petrell, Gustav Behr, Erik Sebastian Holmberg und Gustav Blomberg. Der Großteil der Genannten ist von Aktionen der extrem rechten «Nordiska Motståndsrörelsen» – NMR, «Nordische Widerstandsbewegung» – bekannt. Alle findet man heute im 2023 gegründeten Zusammenschluss «Aktivklubb Sverige» wieder. Ein Zusammenschluss, inspiriert vom «Active Club»-Konzept aus den USA, der in Schweden eine handvoll lokale Gruppen vereint und sich besonders dem Kampfsport widmet. Eine dieser, im «Aktivklubb Sverige» eingegliederten Gruppen, sind die «White Boys Stockholm», die am 20. April 2024, dem Geburtstag Adolf Hitlers, ihr zweites «White Boys Fight Club»-Turnier abhalten konnten. Nur wenige Tage später griffen Mitglieder der «White Boys Stockholm», darunter Erik Sebastian Holmberg, eine antifaschistische Veranstaltung in einem Vorort der Hauptstadt an. Beim «Day of Glory» trat nicht nur ein Schwede an, sondern offenbar auch ein dänischer Neonazi, wie aus den sozialen Netzwerken ersichtlich wird.
«Blood & Honour – Zürichsee» prangte auf dem Shirt von Simon Inderbitzin, das er sich erst nach der Ankunft am Veranstaltungsort in Combres-sous-les-Côtes überstreifte. Begleitet wurde er u.a. von Oliver Rothacher und Timo Germann. Alle drei wohnen in Siebnen (Kanton Schwyz) und reisten bereits am Freitag an. Schließlich fand an dem Tag das Wiegen der Kämpfer statt und Germann, der sich am Tag des Events ebenfalls in einem Shirt von B&H präsentierte, trat als Kämpfer an. Schon bei der «European Fight Night» in Ungarn im Mai 2023 war das Team von «Blood & Honour – Schweiz», mit Germann als Kämpfer, vor Ort.
Den Bezug zum weltweit organisierten Netzwerk machte das Schweizer Team in Frankreich auch durch eine im Nachgang des Kampfes gezeigte Flagge deutlich. Abgebildet war auf dem Stoff, neben dem Schweizer Kreuz, ein Drache – das Erkennungssymbol von «Combat 18», dem bewaffneten Arm von B&H.
Aus dem Kanton Waadt, im französisch-sprachigen Teil der Schweiz, war zum «Day of Glory» zudem eine Gruppe Zuschauer angereist, in der sich u.a. Alexandre Golay befand. Er war bereits vor rund zehn Jahren an die Schweizer Hammerskins als Unterstützer angebunden und fiel zuletzt durch sein Mitwirken bei der Neonazi-Hooligangruppe «Swastiklan/Radikal Sion» auf. In Frankreich präsentierte sich Golay in einem Shirt der Bekleidungsmarke «Black Sun Clothing», die 2023 ein Schweizer Hammerskin ins Leben gerufen hatte.
KDN-Team ohne Führung?
Das, was das KDN-Team in Frankreich zum «Day of Glory» aufgefahren hatte, wirkte alles andere als euphorisierend. Lediglich Jim Koal war von Anfang als Mitglied des KDN-Teams erkennbar, Pascal Ostholte und der Rest der Dortmunder Reisegruppe war eher Anhängsel. Malte Redeker kam erst, als Niklas Busch bereits gekämpft hatte. Der viel beschworene Teamgeist oder die Förderung der Gemeinschaft sieht anders aus.
Alexander Deptolla, das Gesicht des KDN, erklärte einen Tag später in einer rund 12-minütigen, weinerlichen Videobotschaft – mal wieder – dass die Umstände nicht optimal gewesen seien und er deswegen nicht habe teilnehmen können. Die deutsche Polizei sei ihm und seinen Mitreisenden mittels „Observation oder Handyortung“, wie er in den sozialen Netzwerken schreibt, auf die Spur gekommen. Vor der deutsch-französischen Grenze hätten sie 50 bis 60 Polizisten verfolgt, dann auf einer Raststätte mit Maschinenpistolen und Hunden umstellt und mit auf eine Polizeistation genommen. Dort sei ihm dann eröffnet worden, dass die Ausreise untersagt wird. Deptolla merkt dabei an, dass er ja „nur ganz normal“ seinem Gewerbe nachgehen wollte, also einen KDN-Verkaufsstand geplant hatte. „Es war noch nicht mal wichtig, dass ich da bin“, erklärt er zum Abschluss des Videos. Einen Stand des KDN gab es dennoch, betreut von „unserem Umfeld“, heißt es da weiter. Gemeint haben dürfte er die Neonazis, die mit einem Transporter mit KFZ-Kennzeichen aus dem Landkreis Mansfeld-Südharz (Sachsen-Anhalt) angereist waren. Unter ihnen befand sich Michel Stackebrandt, der bereits um 2016 in Burg bei Magdeburg auffiel, weil er dort mit weiteren Neonazis an Überfällen auf Antifaschist*innen beteiligt war. Dass Stackebrandt mit einer handvoll weiterer Neonazis aus Manfeld-Südharz für Deptolla beim «Day of Glory» einsprang, liegt am Umzug Deptollas nach Halberstadt im letzten Jahr, in genau diese Gegend. Den KDN-Versand nahm er dabei mit.
Vor Ort wurde bereits festgestellt, dass er junge Neonazis versucht um sich zu scharen und für das KDN-Team zu rekrutieren. Eine Strategie, die nur mäßig aufzugehen scheint, denn die Neonazis aus Sachsen-Anhalt am Verkaufsstand des KDN in Frankreich, wirkten sichtlich überfordert. Vor allem als die Polizei vor dem Veranstaltungsort auftauchte, wurden die Neonazis unruhig. Hastig quetschten sie den KDN-Merchandise zurück in die Kartons und räumten diese aus dem Sichtbereich, die Blicke angespannt in Richtung der Polizei, die alles andere als Anstalten machte und zu keinem Zeitpunkt vor hatte die Veranstaltung aufzulösen. Im Gegenteil: nach knapp 20 Minuten fuhren die Streifen wieder ab, nachdem mit den Veranstaltern die Lage geklärt und anschließend herum gescherzt worden war.
Warum Deptolla nicht die Delegation der Neonazi-Plattform «Wardon21» für den Verkaufsstand in Frankreich verpflichtete, ist unklar. Diese gehört schließlich dem engsten, unterstützenden Netzwerk an. Lediglich Phillip Oertel war von der ursprünglichen «Wardon 21»-Riege beim «Day of Glory» vertreten. Die anderen beiden, Ole Pomierski und Jeffrey Malec, bewegen sich in dem Zusammenhang frühestens seit 2022. Und während Malec mittlerweile vollwertiges Mitglied der Gruppe ist, hat sich Pomierski aktuell noch als Anwärter zu beweisen. Mit «Wardon 21» und dem Berliner Ableger von «Der III. Weg» gehören sie allerdings schon ein paar Jahre dem Berliner KDN-Team an.
Unerwartet war zudem, dass der Reisegruppe um «Wardon 21» auch Maksim Makiyenko angehörte. Er ist einer der Gründer der russischen Gruppe «PPDM» – ein seit 2010 bestehender Zusammenschluss sportaffiner und „Straight Edge“-lebender Neonazis. Laut eigenen Angaben verzog er um 2022/2023 nach Deutschland, wo er in München und in Nürnberg ein Studium begann, das er aktuell in Dresden an der «UniversitätsZahnMedizin» des Universitätsklinikums Carl Gustav Carus fortführt. Mit Neonazis aus dem Osten Deutschlands war er schon vor ein paar Jahren vertraut, u.a. mit dem Hammerskin Thomas Gerlach, der die russische «Crew 38» und Makiyenko bis 2020 mehrfach in Moskau besuchte.
Das Netzwerk – vereint im Kampf, aber geschwächt
Der «Radical Fight Club» trat schon im September 2023 in die (Halb-)Öffentlichkeit, als in den Räumen der Trainingsstätte, in besagter Scheune in Combres-sous-les-Côtes, ein kleineres Turnier stattfand. Wie den sozialen Netzwerken im Nachgang entnommen werden konnte, war damals auch eine Vertretung aus Deutschland anwesend, das Team des «Kampf der Nibelungen» (KDN) um Alexander Deptolla und Pascal Ostholte. Für das Team kämpfte Steven Feldmann – ein bundesweit bekannter, Dortmunder Neonazi, der wenige Wochen nach diesem Kampf in Frankreich untertauchte und nach dem bis heute mit europäischen Haftbefehl gefahndet wird. Das Turnier des RFC wurde damals nicht öffentlich beworben. Den «Day of Glory» bewarb Tomasz Szkatulski hingegen bereits ab Januar 2024 über den Telegram-Messenger.
Dass das französische Format «Day of Glory» je wieder und überhaupt in Frankreich stattfinden würde, ist Jérémy Flament, seinem RFC und den Hammerskins zu verdanken. Ein vergleichbares Event fand in Frankreich zuletzt im Sommer 2017 statt, als «Pride France» zum «Force et Honneur»-Kampfsportturnier nach Annency, südlich von Genf lud. Damals waren vor allem Hammerskins aus der französisch-sprachigen Schweiz, sowie aus Frankreich vom Chapter «South France» mit der Logistik des Events beauftragt worden. Die ersten drei Turniere aus der «Day of Glory»-Reihe, die jährlich zwischen 2014 und 2016 stattfanden, wurden hingegen hauptsächlich vom französischen «Blood & Honour – Hexagone» (B&H) unterstützt. Offiziell ist die Organisation seit 2019 in Frankreich verboten. Das Verbot, wie auch interne Querelen, brachten die wahrnehmbaren Aktivitäten von B&H in Frankreich faktisch zum Erliegen. Keine Überraschung also, dass sich Szkatulski zum 10-Jährigen Jubiläum der «Day of Glory»-Reihe auf die Strukturen der Hammerskins verlassen muss.
Als aktiver MMA-Kämpfer war Szkatulski in den letzten zehn Jahren auf fast jedem rechten Turnier zugegen und trug so in ganz Europa zur Professionalisierung der neonazistischen Kampfsportszene maßgeblich bei – neben der aus Russland stammenden Marke-und Promotion «White Rex» und dem deutschen Format «Kampf der Nibelungen». Mit der Verlagerung der Aktivitäten von «White Rex» um Denis Kapustin ab 2017 in die Ukraine und Szkatulskis Umzug nach Bulgarien um 2018, wurde der «Kampf der Nibelungen» tonangebend in Westeuropa. Jedoch nicht lange, denn seit Herbst 2019 sind Events des Formats in Deutschland behördlich untersagt.
Nicht nur aufgrund der Einschränkungen zur Bekämpfung der Corona-Pandemie, sondern auch weil Denis Kapustin seit dem russischen Angriff im Frühjahr 2023 Anführer einer faschistischen militärischen Einheit auf Seiten der Ukraine ist und es Szkatulski untersagt wurde, nach Deutschland, Bulgarien und in die Ukraine einzureisen, sind die „großen“ Events dieses Netzwerkes rar geworden. Ein mit dem «Day of Glory» vergleichbares Event fand erstmals wieder im Mai 2023 statt: die «European Fight Night» in Ungarn, mit «Pride France» und dem KDN als Hauptunterstützer aus dem etablierten Neonazi-Kampfsportnetzwerk. Viele der in Ungarn anwesenden Teams und Teilnehmende fanden sich jüngst beim «Day of Glory» 2024 im Norden Frankreichs ein.
Auch bei der «European Fight Night» in Ungarn war die Dimension des Events nicht überragend, wohl auch die Stimmung vor Ort deutlich besser schien. Bis zu 400 Neonazis hatten sich dort in der Peripherie Budapests versammelt, um bei bestem Wetter 18 internationale Kämpfe zu verfolgen.
Dass das Feedback der Szene jüngst in Frankreich eher bescheiden war – im Vergleich zu den rechten Turnieren der letzten Jahre mit bis zu 1000 Teilnehmenden – ist sicher auch den Hürden geschuldet, die seit geraumer Zeit bei der Planung solcher Events mitgedacht werden müssen: mögliche Aus-bzw. Einreiseverbote und juristische Folgekosten, kurzfristige Absage der Location und nicht zuletzt antifaschistische Veröffentlichungen im Nachgang, die die Geheimhaltung und Konspirativität zu Nichte machen.
Offensive Mobilisierungen bleiben aus, stattdessen müssen die Veranstaltenden zurück zu alten Konzepten, d.h. Schleusungspunkte am Tag des Events, interne Kommunikation und ein bedachtes Sicherheitskonzept vor Ort. Dies führt zu einer rückläufigen Anzahl der Teilnehmenden, obwohl das Potential an jungen, gewaltaffinen Neonazis, die sich in Kampfsportgruppen organisieren, nie größer war. Kurzum: die Kampfsport-Events stellen schon seit einer Weile, wie die RechtsRock-Konzerte, kein niedrigschwelliges Angebot mehr dar. Die Events erreichen (fast) nur noch die „üblichen Verdächtigen“ und setzen Initiative voraus. Zur Gemeinschafts-und Elitenbildung tragen sie aber weiterhin bei und bleiben Trefforte einer gewalttätigen, europaweit organisierten Szene. Immerhin scheint ein weiterer „Day of Glory“ in Frankreich derweil unwahrscheinlich.
Die Empörung über das Neonazi-Event in dem kleinen Ort und den fraglichen Polizeieinsatz ist groß. Der Rat des Departements Meuse stimmte fünf Tage später, am Donnerstag, einstimmig für einen Antrag, in dem die Auflösung der Hammerskins sowie die Schließung des Clubhaus in Combres-sous-les-Côtes gefordert wird.