Mitten in der Mannheimer Innenstadt hat gestern Mittag, am 3. März 2025, ein Mann sein Auto mit hoher Geschwindigkeit in eine Menschenmenge gelenkt. Zwei Menschen starben, weitere elf wurden verletzt. Nach dem Attentat flüchtete der Fahrer und schoss sich mit einer Schreckschusswaffe in den Mund. Er wird im Krankenhaus ärztlich versorgt und befindet sich in Polizeigewahrsam. Der Fahrer wird des zweifachen Mordes und mehrfachen versuchten Mordes verdächtigt und und wurde heute erstmalig vernommen. Vor dem Haftrichter machte er keine Angaben.
Der Fahrer des Wagens, Alexander Scheuermann (*05.02.1985) aus Ludwigshafen (Rheinland-Pfalz), ist in Baden-Württemberg geboren, ledig, gelernter Landschaftsgärtner und soll psychisch erkrankt sein. Er war wiederholt in ärztlicher Behandlung. Auf einer Pressekonferenz am gestrigen Montag Abend gab die Polizei Informationen zum Täter bekannt. Dieser hat Vorstrafen, die lange zurückliegen, so der Leitende Oberstaatsanwalt Romeo Schüssler in Mannheim: eine Körperverletzung, für die er eine kurze Freiheitsstrafe vor über zehn Jahren verbüßte, außerdem ein Fall von Trunkenheit im Verkehr. Eine letzte Verurteilung stand im Zusammenhang mit «Hate Speech» im Internet in 2018. Aufgrund eines Facebook-Kommentars wurde er damals zu einer Geldstrafe verurteilt. Danach sei er strafrechtlich nicht mehr aufgefallen. Die Ermittlungen fokussieren sich aktuell auf eine psychische Erkrankung. Man gehe nicht von einer politischen Tatmotivation aus. Baden-Württembergs Innenminister Thomas Strobl (CDU) teilte mit, es gebe zur Stunde keine Hinweise „auf einen extremistischen oder religiösen Hintergrund“.
Dass eine politische Dimension der Tat derzeit nicht im Fokus der Ermittlungen steht, ist verwunderlich. Nach Informationen, die Exif-Recherche vorliegen, ist der Täter Alexander Scheuermann Teil vom sogenannten «Ring Bund» gewesen – eine Gruppe aus dem Spektrum der Reichsbürger, geführt von Neonazis. Dieselben Personen, die auch einem Waffenhandelsring angehörten, nämlich Bernd Zimmermann aus Gröbenzell (Bayern) und Alexander Reichl aus Neubiberg (Bayern).
Interne Nachrichten legen nahe, dass mit den Verkäufen die AfD-nahe Organisation «Patriotische Alternative» aufgebaut werden sollte. Bei Zimmermann wurde in dem Zusammenhang bei einer Durchsuchung am 29. Januar 2020 ein handgeschriebener Zettel gefunden, der verschiedene Waffenbezeichnungen listet wie Kalaschnikow, AK 47 und Handgranaten. Die Smartphone-Auswertungen belegen, dass Reichl und Zimmermann verschiedene politische Projekte gemeinsam planten und legen nahe, dass Zimmermann am Waffenhandel beteiligt ist. Alexander Reichl wurde am 31. Mai 2022 vor dem Landgericht München zu einer Freiheitsstrafe von 4 Jahren und 3 Monaten verurteilt.
Alexander Scheuermann, der Täter aus Mannheim, taucht wiederum in einer Personenliste von Bernd Zimmermann auf. In dieser Liste, die 2018 angelegt wurde, sind verschiedenen Personen Nummern zugeordnet und Informationen in Kategorien festgehalten. Alexander Scheuermann hat die Personennummer 000415 und folgende Einträge:
Nikname: Alex
Geb.Datum: 05.02.1985
Zuordnung: RB Ringbund
Wünsche: Sicherheit, Rückzugsmöglichkeit, Kontakte
Bemerkungen: pers. Bekannt
Unter der Personennummer hat Zimmermann zu Scheuermann die Email Adresse Sabine.Mueller1@protonmail.com notiert und auch „Fähigkeiten“ festgehalten. So steht bei Scheuermann: gelernter Landschaftsgärtner, Boxer, Bolzenschusserlaubnis für Schlachtvieh, Englisch. Die Zuordnung «RB Ringbund» deutet auf eine Mitgliedschaft von Alexander Scheuermann in dieser Gruppierung.
«Ring Bund»
Während der Ermittlungen zum Waffenhandelsring, fand man bei Alexander Reichl und Bernd Zimmermann zahlreiche Dokumente bezüglich der Gründung des sogenannten «Ring Bund» (auch: «Ringbund» oder «RingBund»). Der «Ring Bund» ist demnach ein nicht eingetragenen Verein mit Sitz in der Schweiz und sei Mitglied des «Ring Ordens». Ein Ergebnisprotokoll der Vereinsgründung ist auf den 15. Dezember 2016 datiert. An der Gründung waren neun Personen aus Bayern und Thüringen beteiligt.
Die beiden Neonazis sind umtriebig, weit vernetzt und versuchen verschiedene Organisationen aufzubauen. Zimmermann war maßgeblich für die Gründung eines Sicherheitsgewerbes, Schießtrainings und Ordnerstruktur zuständig.
Ein Treffen des «Ring Bund» soll vom 02.-04. Februar 2018 unter dem Namen „Tag des Bündnisses und der Krisenvorsorge“ in der bekannten Neonazi-Immobilie in Guthmannshausen stattgefunden haben. Dort soll der Organisationsaufbau des «Ring Bund» besprochen worden sein, sowie eine IT-Schulung stattgefunden haben. Laut einer Teilnehmerliste, die Exif-Recherche vorliegt, nahm Alexander Scheuermann nicht an dem Treffen teil. Erste Nachweise für eine Verbindung von Scheuermann zum «Ring Bund» gibt es erst einige Monate später. Genauer noch am 24. September 2018, als Zimmermann mit dem Pseudonym „der Baron“ an eine „Sabine“ (Sabine.Mueller1@protonmail.com) Anweisungen gibt, wie im Entwürfe-Ordner des «RingBund»-Accounts Nachrichten gelesen und geschrieben werden sollen. Die E-Mail Adresse „Sabine.Mueller1@protonmail.com“ ist von Zimmermann in seiner Liste Alexander Scheuermann zugeordnet.
Ein weiteres Treffen fand am 17. November 2018 nahe Ulm statt. Dort soll Zimmermann vor drei Teilnehmenden einen Vortrag „Zur Theorie der revolutionären Situation“, „Feindbild“ und „was gewaltsamer Widerstand bedeuten würde“ gehalten haben. Der «Ring Bund» ist dem Papier nach straff durchorganisiert, hat eine Satzung und hat sich Leitlinien gegeben. Konspiratives Verhalten wie die Nutzung von „Wunschnamen“, anstelle des Klarnamens, sind Pflicht, ebenso die Einrichtung einer Mailadresse beim Anbieter „Proton“. Unter Punkt 2 ihrer Leitlinien wird ihr antisemitisches Weltbild deutlich: „Wir haben erkannt, dass diese Geschehnisse nicht zufällig und versehentlich entstanden sind, sondern Ziel einer Globalisierungspolitik sind und ganz bewusst und gewollt hervorgerufen wurden. Verursacher ist nicht die einzelne und jeweils herrschende Regierung, sondern ein System das von der weltweit beherrschenden Hochfinanz kontrolliert wird, in deren Abhängigkeit sich die Regierungen der meisten Länder der Welt befinden“. Ein in der extremen Rechten weitverbreiteter Mythos, dass das Judentum (die „Hochfinanz“) die Regierungen weltweit lenken würden (Stichwort: „Zionist Occoupied Governement“, kurz ZOG).
Der «Ring Bund» war bestrebt die bestehende Ordnung aufzulösen. Dazu wurde stichpunktartig festgehalten: Träume von der Machtablösung, Systemfrage, Gegner ist die Weltfinanz mit unendlichen Möglichkeiten. Hervorgehoben wird auch das Recht auf Selbstverteidigung.
Das Netzwerk um Reichl und Zimmermann ist weitreichend. Wie substanziell und tiefgehend ihre Kontakte jeweils sind, lässt sich allerdings schwer einordnen. In der besagten Liste findet sich u.a. auch Thorsten Heise, Tobias Schulz (bekannt als „Baldur Landogart“) und Björn Höcke die, wie auch Alexander Scheuermann, als „persönlich bekannt“ aufgeführt werden. Reichl wohnte eine zeitlang mit Tobias Schulz zusammen und traf mehrfach den bundesweit einflussreichen Neonazi-Kader Thorsten Heise. Als sich Heise am 20. Mai 2018 in der Schweiz aufhielt, lud er Reichl spontan zu einem Grillabend ein. Zuvor nahm Reichl an einem Treffen im thüringischen Fretterode teil, an Heises Wohnort. Björn Höcke traf Reichl wiederum im April 2016 beim sogenannten „Kyffhäuser-Treffen“, an der er mit weiteren Mitgliedern der «Patriotischen Alternative» teilnahm. Gemeinsam mit Höcke posierte die Gruppe um Reichl mit einem Transparent der Gruppe. Darüber hinaus sind keine relevanten persönlichen Treffen mit Höcke bekannt. Die Liste von Bernd Zimmermann sagt demnach nicht sonderlich viel über die Art der Beziehung zueinander aus. Wie tief involviert Alexander Scheuermann in der Gruppierung war oder auch wie lange er Mitglied war, ist derzeit nicht bekannt. Scheuermann hat allerdings nachweislich Zugang zur Kommunikationsstruktur, d.h. zur Mailadresse des «Ring Bund».
Zum jetzigen Zeitpunkt eine politische Tatmotivation in Mannheim auszuschließen ist fatal. Der Täter scheint mindestens bis ins Jahr 2018 ideologisch gefestigt gewesen zu sein. Dies legt zumindest seine Mitgliedschaft beim extrem rechten «Ring Bund» nahe und muss entsprechend untersucht werden – unabhängig davon ob auch eine psychische Erkrankung vorliegt und entsprechende Äußerungen in Sozialen Netzwerken dazu widersprüchlich erscheinen. Etwa als er, wie im Dezember 2020, bei Facebook ein Video teilt, in dem ein Künstler Neonazi-Symbole übermalt und dies mit den Worten „Saugeil“ kommentiert. Und nur wenig später, im Mai 2021 ein Foto von sich veröffentlicht, auf dem im Hintergrund ein Kissen mit der Beschriftung „Odin statt Jesus“ zu sehen ist. Ein Ausspruch in der extrem rechten Szene beliebt und weit verbreitet ist.
Ergänzung 05. März 2025:
Alexander Scheuermann als Teilnehmer eines Aufmarschs von «Wir für Deutschland» am 3. Oktober 2018 in Berlin. Etwa 2.000 Rechte versammelten sich damals unter der Mitorganisation der Berliner NPD. Der heutige «Die Heimat»-Kader Sebastian Schmidtke hielt zudem einen Redebeitrag.