Die Hammerskins sind eine der ältesten und beständigsten Neonazi-Organisationen in Deutschland. Das seit über 30 Jahren bestehende Netzwerk versteht sich als eine „Bruderschaft“ und „Elite“ der Neonazi-Szene. Ihre straffe Organisation ist Teil einer international eingeschworenen Gemeinschaft, die sich «Hammerskin Nation» (HSN) nennt und von Europa in die USA bis nach Neuseeland reicht. Ihr Wirkungsbereich ist umfassend, ihre Mitglieder sind treibende Kräfte innerhalb der militanten Neonazi-Szene.
Die Hammerskins stehen selten im medialen Fokus. Dies liegt unter anderem daran, dass die selbsternannten „Brüder“ kein Interesse an Aufmerksamkeit haben. Im Gegenteil, ihr Verhalten ist äußerst konspirativ, die Struktur abgeschottet und klandestin. Unter öffentlicher Beobachtung zu stehen bedeutet eine mögliche Einschränkung ihrer Handlungsspielräume: Profit und Politik durch RechtsRock, Vorbereitung auf „Tag X“, Schießtraining im In- und Ausland und die Durchsetzung ihrer politischen Ziele mit all ihren Konsequenzen bis hin zu rechten Terroranschlägen. 2012 erschoss ein Hammerskin in den USA sechs Menschen, weitere wurden schwer verletzt. 2020 starb einer der Betroffenen an den Folgeschäden des Anschlags. Der Attentäter unterhielt enge Kontakte nach Deutschland.
Staatliche Institutionen, die sich auf die Fahne schreiben, das „Frühwarnsystem der Demokratie“ zu sein, verharmlosen seit 30 Jahren diese Struktur. Auch, um etliche ihrer V-Leute – von denen bereits eine Handvoll aufgeflogen sind – zu schützen.
Diese Veröffentlichung basiert auf langjähriger, antifaschistischer Arbeit. Die seit Jahrzehnten geleistete Dokumentation und Aufarbeitung regionaler Erkenntnisse von Recherchenetzwerken, Einzelpersonen oder unabhängigen Archiven haben es überhaupt ermöglicht, die Hammerskins als Organisation zu erfassen. Auswertungen zahlreicher Dokumente, interner Foren und Kommunikation sowie Foto- und Videomaterial ermöglichen die Struktur, ihre Mitglieder und das Netzwerk aufzudecken. Ein zugespieltes Video vom „Hammerfest“ 2019 bietet einen eindrücklichen Blick ins Innerste der gewaltvollen Bruderschaft.
Die Offenlegung eines extrem rechten Netzwerkes kann zur Folge haben, dass Unsicherheiten entstehen – gerade für (potenziell) Betroffene rechter Gewalt. Dieser Zustand ist allerdings für viele Menschen bereits Realität und Ursache für ihren Kampf dagegen. Das bewusste Verschweigen von Informationen, wie es durch die Behörden passiert, hält die Gefahr abstrakt und erschwert selbstwirksames Handeln und Gegenwehr. Die Hammerskins tragen ihr rassistisches und menschenverachtendes Weltbild in die Gesellschaft, sie leben unerkannt in der Nachbarschaft und üben „gut bürgerliche“ Berufe in zum Teil verantwortlichen Positionen aus. Die Veröffentlichung der Informationen und ihre analytische Einordnung möchte einen Beitrag dazu leisten, mit einer möglichen Gefahr konkret umgehen zu können.
Im Folgenden werden Aktivitäten und Kontinuitäten der Hammerskins aufgezeigt, das Netzwerk greifbar dargestellt und ihre Infrastruktur offen gelegt. Der genaue Blick rüttelt am Mythos, auf dem der Ruf der Hammerskins innerhalb der Szene aufbaut. Es gibt Widersprüche und Schwächen. Die Hammerskins sind verwundbar, vor allem, wenn ihr Handeln ins öffentliche Licht gerückt wird.
Einleitend wird „Die Organisation und Struktur der Hammerskins“ beschrieben. Es geht um Hierarchien, Disziplin und Regelwerk, regelmäßige Abläufe wie national und international stattfindende Treffen und gemeinsam geführte Kassen. Ihr Netzwerk gliedert sich in Chapter (regionale Ableger), Support-Gruppen und Vorfeldorganisationen. Der Einflussbereich der Hammerskins ist erheblich größer als es die Zahl ihrer Mitglieder vermuten lässt.
Im Kapitel „Musik und Business“ wird ihr Agieren in der RechtsRock-Szene erläutert. Diese ist Aktionsfeld, Resonanzraum und Geschäftsfeld der Hammerskins. Musik ist ein zentrales Medium zur Verbreitung ihrer Botschaften und gestaltet die Event- und Alltagskultur. Mit RechtsRock wird viel Geld verdient: Konzerte und Musikproduktionen neonazistischer Labels, von denen einige bedeutende von Mitgliedern der HSN betrieben werden, versorgen die Organisation und finanzieren die militante Neonaziszene. Dabei bedienen die Hammerskins sowohl den legalen Bereich als auch die Sparte der „Untergrundmusik“.
Das Kapitel „Fit machen für den Tag X“ beleuchtet die Rolle der Hammerskins im Bereich des Kampfsports. Hier waren sie in den letzten Jahren zunehmend aktiv und impulsgebend. Dabei geht es nicht nur um die Organisation finanziell gewinnbringender Events, sondern auch um eine ideologische und praktische Vorbereitung auf den Straßenkampf und den sogenannten „Tag X“.
Im Abschnitt „Terror und Gewalt“ wird aufgezeigt, wie die Hammerskins rechte Terrorkonzepte propagieren, und diese auch umsetzen. Gewalttaten, bis hin zu Mord, ziehen sich wie ein roter Faden durch die Historie der HSN. Exemplarisch wird auf Geschehnisse in Deutschland, den USA und Portugal eingegangen. Das konspirative Netzwerk und die internationale Struktur schaffen Möglichkeiten zum Untertauchen und die finanzielle und moralische Unterstützung von Inhaftierten. Neonazistische Mörder und Terrorgruppen werden von den Hammerskins nahezu kultisch verehrt. Der Umgang mit Waffen ist fester Bestandteil ihrer Agenda – auch in Deutschland.
Im Kapitel „Hammerskins im NSU-Komplex“ werden die Verbindungen zwischen der Bruderschaft und dem NSU-Netzwerk nachgezeichnet. Während der Zusammenhang zwischen der Terrorstruktur «Nationalsozialistischer Untergrund» (NSU) und den Netzwerken von «Blood & Honour» und «Combat 18» vielfach recherchiert wurde und der Öffentlichkeit inzwischen mehr oder weniger bekannt ist, blieb die Rolle der Hammerskins bisher weitestgehend unbeleuchtet. Im UnterstützerInnenkreis des NSU waren auch Personen, die den Hammerskins angehör(t)en oder ihnen nahe standen.
Der Abschnitt „Was deutsche Behörden (nicht) zu sagen haben“ zeigt den Umgang verschiedener Geheimdienste mit den Hammerskins auf. Im jüngst veröffentlichten Jahresbericht des «Bundesamt für Verfassungsschutz» werden sie nicht ein einziges Mal erwähnt. Und wenn die Struktur in Berichten auftaucht, wird ihr nur wenig Relevanz zugeschrieben. Dabei sind die Behörden durch zahlreiche V-Personen in den Reihen der konspirativ agierenden Bruderschaft bestens über deren Treiben informiert. Am Beispiel der Hammerskins wird deutlich, dass aus dem NSU-Komplex keinerlei Lehren gezogen wurden und die Geheimdienste kein Interesse daran haben, die Gruppe zu zerschlagen.
Der Teil „Chapter in Deutschland“ stellt die Mitglieder, Aktivitäten und ihre Besonderheiten vor. In Deutschland existieren aktuell 13 Chapter, die einzeln betrachtet und ihre regionalen Unterschiede hervorgehoben werden. Chapter, die sich innerhalb der Szene ein enormes „Standing“ erarbeitet haben sowie neue Ableger, die dabei sind sich zu profilieren und ihren Platz innerhalb der HSN zu finden. Dabei wird u.a. jeweils auf ihre Netzwerkbestandteile eingegangen – Bands, Unternehmen, Gruppen und Personen aus ihrem Umfeld.
Inhalt
• Die Organisation und Struktur der Hammerskins
• Musik und Business
• Fit machen für den Tag X
• Terror und Gewalt
• Hammerskins im NSU-Komplex
• Was deutsche Behörden (nicht) zu sagen haben
Die Organisation und Struktur der Hammerskins
Wie die Hammerskins entstanden und weltweit expandierten
Ende der 1970er kam es vermehrt zu offenen Brüchen innerhalb der wachsenden Skinhead-Szene, die sich vormals zwar mehrfach patriotisch, jedoch nur in der Minderheit explizit neonazistisch positioniert hatte. Die Szene-Ikone Ian Stuart Donaldson und seine Band «Skrewdriver» aus England änderten dies schlagartig. Eine ganze Jugendkultur wurde gespalten und ab spätestens Mitte der 1980er Jahre setzte flächendeckend eine Politisierung des Skinhead-Kults ein.
Auch in den USA politisierten und radikalisierten sich Skinheads und organisierten sich, meist lokal, in Cliquen ähnlich der Gangs. Sie beanspruchten Territorium und verteidigten dieses mit Gewalt. Opfer der Straßengewalt wurden nicht nur nach rassistischen Kriterien ausgewählte Personengruppen oder politische Gegner*innen – etwa Angehörige der antirassistischen SHARP-Bewegung („Skinheads Against Racial Prejudice“) – sondern auch verfeindete neonazistische Skinhead-Gruppen. In Berichten aus den USA zu dieser Zeit fällt dabei immer wieder der treffende Begriff „Gangland“.
Um vor allem die gewalttätigen Auseinandersetzungen untereinander unter Kontrolle zu bekommen, fasste eine dieser Cliquen aus Dallas in Texas den Entschluss, bestehende Gangs zu vereinen. Gemeinsam mit weiteren Neonazis aus Tulsa in Oklahoma entstanden so im Januar 1988 die «Confederate Hammerskins» als weltweit erstes Chapter (dt.: Ableger) der Hammerskins. Durch feste Strukturen und Verbindlichkeit sollte sich vom Rest der Szene abgegrenzt werden – man wollte eine „Elite“ sein. Dank der Strahlkraft dessen schlossen sich wenig später Neonazis aus anderen Bundesstaaten dem Konzept an und formierten bis 1990 Ableger im Mittleren Westen, an der Ostküste und im Süden des Landes.
RechtsRock war damals wie heute nicht nur ein Mittel um Identität zu schaffen und eine Radikalisierung voranzutreiben, sondern auch um sich zu verständigen. Bands wurden zum Sprachrohr der „White Power“-Bewegung und Konzerte zu Orten des Austauschs. Ed Wolbank, der als „Northern Director“ der Hammerskins fungierte und vor allem durch sein musikalisches Wirken in den Bands «The Bully Boys» und «Bound for Glory» internationale Bekanntheit erlangte, kam so 1988 mit dem Schweizer Neonazi Patrik Iten in Kontakt. Mit dem „Goodwill“ von Wolbank – d.h. mit ihm als Leumund – konnten 1990 die «Schweizer Hammerskins» entstehen und wurden zum „Motherchapter“ der Hammerskins in Europa.
Unter den prüfenden Augen der Schweizer entstand so 1992 das erste Chapter in Deutschland, die «Hammerskins Berlin», gefolgt vom Chapter «Sachsen» ein Jahr später. 1993 kamen auch die «Bohemia Hammerskins» in Tschechien, die «Charlemagne Hammerskins» in Frankreich sowie die «Vinland Hammerskins» in Kanada hinzu.
1994, als die «Hammerskins Nederland», die «Hammerskins Bremen» und die «British Hammerskins» gegründet wurden, entschlossen sich die US-amerikanischen Chapter eine Art Dachverband ins Leben zu rufen, um die Strukturen zu bündeln und um Herr über Regelwerk und Standards zur Aufnahme von neuen Ablegern zu werden. Ein einheitlicher Überbau, dem man den Namen «Hammerskin Nation» (HSN) gab und unter dem sich bis heute weltweit alle Chapter sammeln. Das Konzept der Bruderschaft als rocker-ähnliche Struktur war dabei bewusst gewählt. Vor allem um sich von der 1987 in England entstandenen «Blood & Honour»-Bewegung abzugrenzen, wenn gleich sie als Verbündete im „Rassenkrieg“ angesehen wurden. Denn diese hatte durch ihr niedrigschwelliges und subkulturelles Angebot zwar ebenfalls vielerorts Neonazi-Cliquen unter ihrem Banner vereinen können, kämpfte aber gleichzeitig mit internen Querelen und Konkurrenzgebärden. Die HSN ist dem entgegen ein Modell, bei dem die weltweiten Chapter sich gegenseitig in der Bringschuld sahen, für interne Probleme auch intern Lösungen zu finden. Ganz zu schweigen von der Pflicht, sich gegenseitig ständig über Entwicklungen und Aktivitäten zu informieren und über Direktiven, d.h. Vertreter, Entscheidungen zu treffen.
Um als entscheidungsfähiges Netzwerk auch in Europa funktionieren zu können, drängten die niederländischen Hammerskins auf regelmäßigen, persönlichen Austausch und riefen 1996 ein erstes Treffen aller bestehender europäischen Chapter in Italien ein. Dort stellte man das aus den USA stammende Regelwerk der HSN – die „Hammerskin Constitution“ – vor sowie ein eigenes Strategie-Papier, das der Restrukturierung der HSN in Europa dienen sollte. Im September 1997 luden wiederum die «Schweizer Hammerskins» zur „2. Gesamteuropäischen Versammlung der Hammerskins-Verbände“. Ziel war es u.a. „eine Grundorganisation aller anwesenden Sektionen zu bilden, die die Muttersektion Europa darstellen soll“, wie es in der Einladung heißt. Diese Treffen waren die Vorläufer des „European Officers Meeting“, kurz EOM. Das mehrmals im Jahr stattfindende Treffen ist das bis heute wichtigste Gremium der europäischen Hammerskins, auf dem Entscheidungen getroffen und Diskussionen geführt werden, die alle Chapter in Europa betreffen.
Fasziniert von der Verbindlichkeit einer solchen Struktur, die sich als Elite der neonazistischen Skinheads verstand, wurden zwischen 1995 und 2005 weltweit etliche Chapter ins Leben gerufen: die «Italia Hammerskins», die spanischen «Hammerskins Espagna», die «New Zealand Hammerskins», das Chapter «Romandie», die «Portugal Hammerskins», das «North Western»– und «Midland»-Chapter in den USA sowie die deutschen Chapter «Pommern», «Mecklenburg», «Nordmark», «Bayern», «Baden», «Franken» und «Westmark».
Auch in Osteuropa formierten Neonazis – teils „unautorisiert“ – Ableger der HSN, doch u.a. aufgrund chauvinistischer und rassistischer Ansichten der westeuropäischen Hammerskins wurden alle osteuropäischen Ableger – inklusive den langjährig aktiven «Bohemia Hammerskins» in Tschechien – 1999 von der HSN aufgelöst. Bis heute gibt es jenseits der Oder und der Neisse kein vollwertiges Chapter. Einzig die Neonazis um das einstige Chapter der «Moscow Hammerskins» wurden nach mehrjähriger Debatte 2012 als Unterstützergruppe anerkannt und firmieren seitdem als «Crew 38 Moscow».
Noch vor der Jahrtausendwende kam es innerhalb der europäischen Struktur aber auch zu Brüchen, denen Streitigkeiten um Ausrichtung und Verständnis der HSN voran gegangen war. So wurde der französische Ableger «Charlemagne Hammerskins» wie auch das schweizerische Chapter «Romandie» 1998 aus der HSN verbannt. Nur ein Jahr später formierten sich Neonazis in Frankreich erneut und bilden bis heute das Chapter der «France Hammerskins».
War die Zeit bis 2005 von diesen Umstrukturierungen, aber vor allem durch den rasanten Wachstum der HSN geprägt, schien bis 2014 das Potential erschöpft. Es entstanden einzig die «Hungarian Hammerskins» in Ungarn, die «Sweden Hammerskins» und das Chapter «Württemberg» in Deutschland.
Aufgrund der höchst kriminellen Aktivitäten sowie rassistischer Überfälle des spanischen Chapters kam es im Jahr 2009 zu Gerichtsprozessen gegen die «Hammerskins Espagna». Der Ableger wurde als „kriminelle Vereinigung“ eingestuft und ihr Kopf, Eduardo Chapela, erhielt eine mehrjährige Haftstrafe.
Auch in Deutschland brach kurze Zeit später Unruhe in den deutschen Chaptern aus. Bereits Anfang 2011 kam es zur Verhaftung von Sven Krüger vom Chapter «Mecklenburg» aufgrund eines Waffenfundes. Im November des Jahres enttarnten sich die Rechts-TerroristInnen des NSU-Kerntrios selbst. Im Sommer 2012 folgte das Attentat des Hammerskins Wade Michael Page auf eine Sikh-Glaubensgemeinschaft in Wisconsin, bei dem zahlreiche Menschen starben. In allen Fällen fiel der Begriff «Hammerskin Nation» und die „Brüder“ rückten in die öffentliche Wahrnehmung. Es stand die Unterstützung von Rechtsterrorismus im Raum und die HSN musste sich offenbar neu strukturieren, um eine Verfolgung durch die Ermittlungsbehörden zu erschweren.
Nachdem antifaschistische Gruppen 2013 zudem tiefe Einblicke in das Innenleben der Bruderschaft veröffentlichten, kam es zu (Schein-)Auflösungen deutscher Chapter, Austritten einzelner Mitglieder und internen Streitigkeiten.
Seitdem ist das Chapter «Westmark» Geschichte, wobei ein Großteil seiner Mitglieder im Chapter «Westwall» aufging. Seit 2015 sind auch keine Aktivitäten des Chapter «Baden» feststellbar, wobei einige Akteure heute weiterhin der HSN angehören. Versuche aus der «Westmark» weitere Chapter zu bilden, scheiterten nach kurzer Zeit. Einzig die Bemühungen im Saarland fruchteten mit der Entstehung eines Ablegers «Sarregau», allerdings erst 2019. Der Eigenständigkeit halber gründeten Hammerskins im Raum Bochum 2014 ein Chapter «Westfalen». Zuvor waren diese dem Chapter «Bremen» angeschlossen. Wenige Jahre später folgte die Eröffnung der Ableger «Rheinland» und «Brandenburg». Letzteres hatte es bereits in den 1990er Jahren gegeben, aufgrund interner Konflikte überlebte das Chapter jedoch nicht die Jahrtausendwende. In Frankreich organisierte sich 2014 die alte Struktur ebenfalls neu und die Chapter «Lorraine», «North France» und «South France» entstanden. In Spanien etablierte sich im selben Jahr ein weiteres Chapter, die «Hammerskins Asturias». Eine Strategie, um die gewachsene Struktur außerhalb des Kerngebiets Madrid zu festigen. Auch in den Niederlanden sahen sich jüngere Neonazis um 2013 motiviert, die bis Mitte der 2000er Jahre aktive alte Struktur wieder zu beleben. Seit 2018 tritt eine Handvoll niederländischer Neonazis wieder als Hammerskins auf. Darüber hinaus expandierte die HSN nach Finnland, wo 2019 ein Chapter eröffnet wurde sowie nach Südamerika, wo 2020 das Chapter «Brasil» entstand. Der HSN sind damit heute 13 aktive Chapter in Deutschland angeschlossen, 12 weitere Ableger in anderen europäischen Länder, sowie 10 Chapter im außereuropäischen Ausland. Diese Dimension und die Fähigkeit in einem solchen weltweiten Netzwerk Entscheidungen treffen zu können, sind ein Alleinstellungsmerkmal der Hammerskins innerhalb der Neonazi-Szene.
Die Bruderschaft als Organisationsmodell – Eine Kopie der Motorradclubs
Dem Phänomen, wenn sich Neonazis entscheiden, dass der Kamerad zum „Bruder“ wird und die politische Gruppe (Kameradschaft) der Bruderschaft weicht, widmete sich das Antifaschistische Infoblatt (AIB) bereits im Frühjahr 2016 intensiv. In einem eigenen Schwerpunkt zu Neonazi-Bruderschaften stellt es dabei fest:
„Ein weiterer Aspekt, der den Unterschied zwischen der Kameradschaft und der Bruderschaft markiert, ist das veränderte Selbstverständnis der Protagonisten. Die Identität als Bruderschaft soll etwas Höheres, etwas Erhabeneres darstellen als die Zugehörigkeit zu einer explizit politischen Gruppe. Die Bruderschaft ist ein Sehnsuchtsort, aufgeladen durch den Pathos des Lebensbundes. Sie kennzeichnet das Bedürfnis nach einer Gemeinschaft, die Kontinuität und Ordnung verspricht, die exklusiv, unverbrüchlich, familiär, überschaubar und frei von Widersprüchen ist und in deren Räumen Männerkult und elitäres Gehabe ohne Einschränkungen gelebt werden können. Die Bruderschaft markiert gleichermaßen Erwachsensein und Distinktion, Ausbruch und den Rückzug in eine Gemeinschaft, die sich selbst genug ist.“
Neben einer Vielzahl lokaler und sogar virtueller Bruderschaften kam das Autor*innen-Kollektiv des AIB auch mehrfach auf die Hammerskins zu sprechen. Vor allem in Hinblick auf den damals aufkommenden Trend in der Szene, sich fortan als solche zu organisieren, wurde auf verschiedene Bruderschaften eingegangen und deren Relevanz für die Neonazi-Szene ausgearbeitet. Wie etlichen anderen Publikationen wurde auch dem AIB schnell klar: Die Hammerskins sind ein weltweit einzigartiger Lebensbund. Sie bestehen seit Jahrzehnten und vermögen es wie keine andere Organisation, ein Netz aus „Brüdern“ zu spinnen und gleichzeitig nicht das „große Ganze“ aus dem Blickfeld zu verlieren. Denn auffällig ist nicht nur die Dichte einflussreicher Personen im Kern der Bruderschaft, sondern auch das Netzwerk, welches darum herum aufgebaut wurde.
Ihre Rituale, die Vergabe von Insignien und Status, das Regelwerk und der Habitus ist keine Mimikry der Motorradclubs (MC), sondern vielmehr eine Kopie dessen. Die Hammerskins wollen die Macht der Bilder, die sich die MCs geschaffen haben, nicht vorrangig dafür nutzen, um abschreckend zu wirken. Sie wollen kein zahnloser Tiger sein, sondern machten sich die Regeln dieser Lebenswelt zu Nutze, um sich selbst besser organisieren und abschotten zu können.
Die Idee dazu entstand Ende der 1980er Jahren in einer Zeit, als die großen Motorradclubs – wie der «Hells Angels MC» – in der Gesellschaft mächtig Eindruck hinterließen. Sie waren gefürchtet, strebten danach, Territorien abzustecken und Einflussbereich zu gewinnen und vor allem: Sie grenzten sich bewusst von gesellschaftlichen Normen und staatlicher Regulierung ab. Bis heute begreift sich ein Großteil der Motorradclubs als „Outlaw“, also jenseits des geltenden Gesetzes. Sie sehen sich nur ihren eigenen Gesetzen verpflichtet und leisten darauf eigene Treueschwüre. Ein wesentlicher Aspekt, den Bruderschaften wie die Hammerskins übernahmen.
„Die Bruderschaft bewegt sich meist in einem durch und durch ritualisierten Sozialraum, in dem die ‚Alten‘ darüber wachen, dass die Jungen ja nichts durcheinander bringen. Gerade die Bikerszene ist keine Kultur, die jugendkulturellen Trends folgt.“, schreibt das AIB in Ausgabe 110 zu den „Rechten Brüdern“. Auch die Hammerskins folgen mit ihrem Auftreten keinem Trend. Im Gegenteil, sie zelebrieren mit ihrer Gemeinschaft einen Skinhead-Kult, der heute völlig überholt wirkt.
Die Gemeinschaft, in dem Fall die Hammerskins, ist ein Männerbund, der sich exkludierend organisiert. Er unterzieht sich einer Selbstauslese und will nur die „Besten“ hervorbringen bzw. integrieren. Als Gemeinschaft von Männern werden Frauen als Vollmitglieder ausgeschlossen. Dass ein regressives Männlichkeitsbild vorherrscht, ist glasklar. Mit den „Brüdern“ teilt man hingegen alles, da die Bruderschaft den sozialen Raum dominiert. Die Hammerskins verbringen gemeinsam ihren Urlaub (mit oder ohne Familie), unternehmen Städtetrips und regelmäßige Besuche bei Ablegern weltweit, organisieren Konzerte, Camps und unterwerfen sich einer festen Entscheidungsstruktur. Strategietreffen – im bundesweiten und internationalen Rahmen – gibt es vierteljährlich, wodurch die Bande noch enger zusammen wächst.
Daraus ergeben sich Möglichkeiten und Abhängigkeiten, wie auch eine unabdingbare Loyalität zueinander. „Mein Mann ist Hammerskin“, teilte eine norddeutsche Neonazistin im Jahr 2011 den Hammerskins in Italien in einer privaten Nachricht mit. Sie erhoffte sich dadurch einen entscheidenden Vorteil, denn gemeinsam mit ihrem Mann – einen Hammerskin aus Mecklenburg-Vorpommern – plante sie zu einem Großkonzert der Italiener nach Mailand zu fliegen. In der weiteren Korrespondenz mit den „Brüdern“ ihres Mannes wirkte es fast fordernd, dass die Gruppe aus Norddeutschland von den italienischen Hammerskins vom Flughafen abgeholt werde. Nach kurzem hin und her wurde ihr mitgeteilt, dass sie natürlich abgeholt werden, auch wenn die Italiener an dem Tag eigentlich mit der Organisation des Konzertes befasst waren.
Hammerskin zu sein oder der Bruderschaft als Familienangehörige nahe zu stehen, bringt Vorteile. Der Loyalitätsgedanke ist ebenfalls der Welt der Rocker entnommen. Schließlich prahlen deren Mitglieder vor allem damit, dass sie in ein x-beliebiges Land Reisen könnten, wo der Motorradclub einen Ableger unterhält und dort von den ihnen meist unbekannten Mitgliedern aufgenommen und beherbergt werden würden.
Eine weitere herausragende Möglichkeit, die sich durch das Modell der Bruderschaft bietet, ist die gegenseitige finanzielle und logistische Unterstützung. Denn besser, als „Brüder“ im Knast besuchen zu müssen, erscheint es, Verhaftungen durch Beihilfe zur Flucht und Untertauchen zu vermeiden. Die Hammerskins, die sich der Verschwiegenheit und Loyalität verschrieben haben, unterhalten weltweit Ableger und können in kürzester Zeit beachtliche finanzielle Mittel zur Verfügung stellen, dienen als Unterstützernetzwerk für Straftäter und Betroffene staatlicher Repression. Nicht nur für Neonazis außerhalb der Bruderschaft, sondern vor allem für verfolgte „Brüder“.
Als der einflussreiche Hammerskin Malte Redeker wenige Monate nach der Selbstenttarnung des NSU 2011 den europäischen Hammerskins die derzeitige Lage in Deutschland erklärte und dabei auch erwähnte, dass gegen ihn ermittelt werde, bekam er von mehreren Ablegern seiner Bruderschaft das Angebot einer „Auszeit“. Er soll an einem rassistisch motivierten Brandanschlag auf ein Haus beteiligt gewesen sein, bei dem neun Menschen starben. „Wir sind in der Nähe, südlich von dir, falls du ein vertrautes Heim brauchst…“, ließen ihn französische Hammerskins wissen. Portugiesische Hammerskins versprachen ihm eine „offene Tür“ und „alles was du brauchst“. Unmissverständlich teilten die Portugiesen darüber hinaus mit: „wenn du etwas brauchst, um nicht verhaftet zu werden, ruf uns an. Wir sind hier für alles da, alles!“ (Übers.d.Verf.)
What makes a Hammerskin? – Selbstdarstellung und Inszenierung
„Der da sieht jüdisch aus! Und der da ist ein Nigger! Wer hat all das Gesindel in den Saal gelassen? Da ist einer, der einen Joint raucht, und da einer mit Flecken! Wenn es nach mir geht, würde ich euch alle erschiessen lassen!“ (Übers.d.Verf.)
So heißt es im Song „In the flesh“ der englischen Rock-Gruppe «Pink Floyd», der Teil des 1979 veröffentlichten Konzeptalbums „The Wall“ ist. Ein gleichnamiger Film visualisierte 1982 das Album. Die Textzeile des zitierten Liedes wird in einer Filmsequenz verwendet, in der der Hauptprotagonist „Pink“ unter Medikamenten steht. Der Rockstar und Anti-Held leidet unter Depressionen und kapselt sich immer mehr von der Gesellschaft ab. Vollgedröhnt mit Medikamenten halluziniert er, wie er als faschistischer Führer vor einem riesigen Publikum die Bühne betritt und die Massen zu Hass und Gewalt anstachelt. Um ihn herum hängen zahlreiche Flaggen, die zwei gekreuzte Zimmermannshämmer zeigen. Auch die kahlrasierten Anhänger „Pinks“ tragen die Hämmer auf ihren Bomberjacken und stürzen sich als Art Saalschutz auf die ausgemachten Feinde im Raum.
Neben dem ausgestreckten Arm – dem Gruß der Faschisten – benutzt „Pink“ aber auch einen eigenen Gruß. Dafür kreuzt er die Arme vor der Brust, während die Hände zu Fäusten geballt sind. Dies soll den gekreuzten Hämmern ähneln. Das Szenario wirkt wie ein Rock-Konzert aus den 1970er Jahren, auf dem tausende Menschen wie in Trance Richtung Bühne gewandt fanatisch ihre Idole anbeten. Die Inszenierung von „Pinks Konzert“ in Anlehnung an Ästhetik und Funktion faschistischer Massenbewegungen ist von den Produzent*innen durchaus so gewollt. Im Anschluss an „Pinks“ Hassrede werden im Film minutenlang Gewaltexzesse gegen Schwarze Menschen gezeigt, ausgeführt von den faschistischen Schlägertrupps. Auch ein Aufmarsch der in schwarzer Uniform gekleideten Männer ist zusehen, der sich in ein Meer von im Gleichschritt marschierenden Hämmern verwandelt. Dies soll den Niedergang „Pinks“ in den Wahnsinn symbolisieren.
«Pink Floyd» ist keine Band, die mit faschistischer Ideologie sympathisiert. Vielmehr sollen die Gewaltszenen und die faschistische Ästhetik den Wahnsinn der Hauptfigur verdeutlichen. Dennoch werden Interpretationsräume für Neonazis offen gelassen, ähnlich wie es bei dem Film „American History X“ der Fall ist. Die gezeigte Gewalt wird von der Szene gefeiert, Begriffe werden neu besetzt und die Erzählung positiv aufgeladen. Die Hammerskins übernahmen in diesem Fall die Symbole der Anti-Helden von „The Wall“ – sowohl die gekreuzten Hämmer als auch den „Crossed-Hammers“-Gruß.
„Hammering our way towards victory“, ein Slogan der HSN, muss damit klar als Aufruf zur gewaltsamen Machtübernahme gedeutet werden. Mit den martialischen Hämmern werden schließlich in „The Wall“ Türen eingeschlagen und es sollte besser vor ihnen weggerannt werden. Die dramatische Intention des Films ist nicht der Bezugspunkt der HSN, sondern die Gewalt, die von „Pinks“ Gefolgsleuten ausgeübt wird. In deren Rolle wähnen sie sich, schließlich gingen rechte Skinhead-Gangs Ende der 1980er Jahre in den USA ähnlich brutal aus unter anderem rassistischen Motiven gegen Menschen vor. Als Hammerskins wollen sie sich von einer fanatischen Masse als Elite abheben und als „reinigende“ Kraft darstellen. In ihren Bildern reproduzieren sie ihr Verständnis von überlegener Gemeinschaft, als eine soldatische, hypermaskuline Formation.
„Wir sind gesunde Menschen in einer kranken Welt“, beschreibt Forrest Hyde die Rolle der Hammerskins und führt zudem aus: „(…) was macht dich zum Hammerskin? Lass mich erzählen was ich denke was wir sind oder was wir sein sollten… Wir sind ein Bund, eine Bruderschaft und eine Nation in der Nation. Es mag schwer sein, uns auf den ersten Blick zu erkennen, denn dafür gibt es nicht immer sichtbare Anhaltspunkte. Tatsächlich, das was wir absolut gemein haben, ist das was wichtig ist und das ist die Festlegung eines höheren Standards, höherer Werte und Moral… das Begehren der ‚Übermensch‘ zu werden. Dieses und nur dieses Begehren wird uns in Richtung unserer Ziele vorantreiben. Alles andere ist nur Spielchen spielen (…) Mir kommen ein Paar der ‚outlaw‘ Motorcycle Clubs in den Sinn, die sich ‚1 percenters‘ nennen, weil sie die wenigen sind, die den Mut haben ‚am Rande zu Leben‘ und dem Gesetz zu trotzen. Ich sag euch, Hammerskins sind wie 1 percenters, nur das wir gezwungen wurden am Rand zu leben (…).“ (Übers.d.Verf.)
Hyde war einer der Mitbegründer der Hammerskins in den USA und schrieb diese Zeilen in einer Art Brandbrief im Jahr 1999. Dabei richtet er in schwülstigem Pathos in dem mehrseitigen Text das Wort an seine „Brüder“ weltweit und betont:
„Habt keine Angst sie zu fragen, warum sie Rassisten sind oder warum sie Hammerskins werden wollen und lasst sie beweisen, dass sie es wert sind. Gebt ihnen nicht den Patch, nur weil sie die Einzigen in der Gegend sind, oder weil einer besonders groß ist, oder weil er besonders viel Geld hat, oder selbst weil er einen besonders guten Job hat, der uns helfen könnte. All das zählt nicht, wenn er am Ende dafür sorgt, dass einer oder mehr geschätzte Brüder in den Knast wandern.“ (Übers.d.Verf.)
Mit nahezu religiösem Eifer beziehen sich Hammerskins auch heute noch auf die „Lehren“ Hydes und halten damit die Glorifizierung und den Kult um die HSN am Leben. Dies wird besonders innerhalb der Strukturen deutlich, in das die Autonome Antifa Freiburg u.a. 2015 in einer umfassenden Recherche Einblicke gewährte. Unter anderem wurde aus einer internen Diskussion zitiert, die im Zuge von Streitigkeiten im eigenen Chapter zwischen Robert Kiefer und seinen „Bruder“ Malte Redeker entstand. Kiefer stellt fest:
„Kontinuierlich einen gewissen Level an Anstand und Aktivitäten halten, das kann nciht jeder, und das macht das elitäre Selbstverständnis aus, was von jedem immer so hoch daherschwadroniert, aber von den wenigstens eingehalten wird: Kontinuierlich einen guten Level halten in Disziplin, Respekt und Aktivismus. Und wieder sind wir bei Forrest Hyde“. (sic!)
Die Selbstdarstellungen der Hammerskins sind bis heute aufgeladen mit Begriffen wie Ehrbarkeit, Loyalität, Mut, Integrität und vor allem Elite. Keine andere Organisation gibt so viel auf diese Attribute, ihren Ruf und die wählerische Rekrutierung neuer Mitstreiter. Der daraus resultierende Habitus ist gleichermaßen unnahbar und anziehend. Auch andere Organisationen der extremen Rechten lassen Interessierte heute eine Probezeit absolvieren, doch die Hammerskins dürften mit ihren Ansprüchen an sich selbst einzigartig sein. Sie grenzen sich mit „hohen Standards“ von anderen Gruppierungen ab und wollen eine Führungsposition innerhalb der Szene einnehmen. Die viel von den Mitgliedern verwendete Floskel „Hammerskins lead the way“ ist ein Ausdruck dessen.
In den Gründungsjahren der HSN sollten vor allem jüngere Neonazi-Skins beeinflusst werden, in dem die Hammerskins sich als Vorbild inszenierten und Stärke, Zuverlässigkeit, Geschlossenheit und Brüderlichkeit suggerierten. Heute ist der „Skin-Kult“ bei weitem nicht mehr so ausgeprägt. Einen möglichen Niedergang des Kults bedachten die Hammerskins bereits in den 1990er Jahren in ihrem Regelwerk. Geschickt wurde formuliert, dass man zwar das „Skinhead-Dasein sehr ernst“ nehme, sich aber von Stereotypen nicht eingrenzen lässt. Wichtig sei einzig: „Du bist ehrbar“.
„Nicht die Polizei musste mit Hundertschaften anrücken, nein die ‚Feinde unter uns‘ schafften es wieder einmal die Schlagworte von Kameradschaft und Einigkeit zur Farce zu machen.“ (sic!), beschrieb Malte Redeker – heute Europa-Chef der Hammerskins – ein Konzert mit «Stahlgewitter», welches im Mai 2001 in der Schweiz stattfand. Er beschreibt dabei eine Neonazi-Szene, die nur konsumieren und persönliche Probleme auf Konzerten austragen würde. Enttäuscht stellt er fest, dass der Veranstalter seine Konsequenzen daraus gezogen hätte und „unter solchen Voraussetzungen keine Konzerte mehr organisiere“.
In der Konsequenz, als selbsternannte Elite der Szene, versuchten Hammerskins wie Redeker in den kommenden Jahren neue Maßstäbe zu setzen. Konzerte mit bis zu 2000 BesucherInnen wie im Juli 2011 in Frankreich, aber auch die jährlichen Konzerte der HSN unter dem Namen „Hammerfest“ fanden in der Szene großen Zuspruch. Nicht zuletzt durch die dort vorherrschende, empfundene Professionalität. Auf die HSN sei Verlass, weshalb sie durchaus als Pool von Dienstleistern betrachtet werden können. Denn auch außerhalb eigener Veranstaltungen stellen Hammerskins die Struktur. So waren es Mitglieder des italienischen Chapters, die sich um den Einlass, Sicherheitsdienst, Technik und den Ausschank kümmerten, als zwischen 2013 und 2019 jährlich das NS-Black-Metal-Festival „Hot Shower“ in Mailand ausgerichtet wurde. Ihr Clubhaus selbst diente in der Anfangszeit der Konzertreihe sogar als Austragungsort. Dabei haben zumindest die Hammerskins in Italien wahrlich keine subkulturellen Bezüge zu diesem Genre extrem rechter Musik.
Um die Rolle und Wirkung der Bruderschaft auf dem „Hot Shower“-Festival zu begreifen, zitierte Olia Coşkun in ihrem Gastbeitrag „Das Geschäft mit der Sicherheit“ in „Ihr Kampf“ von Robert Claus einen Konzertteilnehmer u.a. mit den Worten „(…) wozu auch selber darum kümmern, wenn ein elitärer Sicherheitsdienst, in recht hoher Anzahl, am Start ist, schließlich bin ich da, um mich auf meine ganz spezielle Art zu amüsieren und nicht um für ‚Recht und Ordnung‘ zu sorgen“.
Ein Abend mit den Hammerskins
Wie routiniert und professionell Konzerte der Hammerskins ablaufen können, lässt sich am Beispiel des „Hammerfest“ im November 2019 in Frankreich eindrucksvoll beschreiben. Zugespieltes Video-Material des Konzertes ermöglichte dies. Um sich die Situation vor Ort besser vorstellen zu können, wird im Folgenden aus der Perspektive der verdeckt filmenden Person erzählt.
Es ist ein verregneter Abend am 2. November, an dem über einen Vortreffpunkt der Ort des Geschehens angesteuert wird. „HSN proudly presents“ hieß es auf dem Flyer zum Konzert, „Western Europe“ war als ungefähre Richtung angegeben, in die sich an dem Tag begeben werden sollte. Der Austragungsort des Konzertes war eine Turnhalle mitten in einem kleinen Dorf namens Plaine im Elsass. Beim bloßen vorbeifahren an der Location hätte nicht erahnt werden können, dass sich Neonazis aus ganz Europa dort eingefunden hatten. Einzig das Flimmern einer Taschenlampe eines Security am Straßenrand signalisiert den Anreisenden, dass sie hier richtig sind. Auf dem Parkplatz geht alles sehr schnell. Ein breitschultriger Security – Robert Kiefer aus dem Saarland – tritt ans Fahrerfenster und weist im befehlenden Ton an, dass man sich zügig und leise vom Parkplatz zum Eingang begeben soll. Handys und Kameras müssen im Auto bleiben. Am Einlass wird erstmals die Dimension der Organisierung des Events deutlich. Penibel suchte der Sicherheitsdienst jeden Winkel des Körpers nach Telefonen oder Ähnlichen ab und scheute sich nicht, auch den Intimbereich abzutasten. Kontrollen, wie man sie von Mainstream-Konzerten kennt oder aus dem Fußball-Stadion. Keine ungewöhnliche Praxis, wie einem Bericht zu einem Konzert im Juli 2011 entnommen werden kann, dass ebenfalls von deutschen und französischen Hammerskins organisiert wurde. Der Autor stellte in einem rechten Fanzine damals erstaunt fest, wie die Durchsuchungen bei den weiblichen Teilnehmenden abgelaufen seien: „Ihre Kosmetika wurde durchsucht und alles Stift ähnliche abgenommen und weggeschmissen.“ (sic!)
Innen angelangt, es ist noch früh am Abend des „Hammerfest“ 2019 in Frankreich, sind die Wände mit etlichen Flaggen der Chapter aus ganz Europa behangen. Die anwesenden Hammerskins dominieren zu diesem Zeitpunkt das Bild in der weitläufigen Turnhalle. Eine uniforme Darstellung, überall Bomberjacken mit Abzeichen, überall das Zahnrad sowie Codes und Symbole, die auf die Bruderschaft hinweisen sollen. Es ist beklemmend, da die soldatische Formation ständig eine Drohkulisse bildet. Selbst zwischen den „Brüdern“. Denn es sind auch viele Anwärter und Unterstützer der „Nation“ anwesend, die zum reibungslosen Ablauf der Veranstaltung beitragen sollen. Dabei bleiben Bilder im Gedächtnis, die nur so vor Unterwerfung und Autorität strotzen. Etwa das eines Anwärters, der hörig einen Tisch zur Seite schiebt, der offenbar einem Vollmitglied im Weg stand. Zwischen den beiden wurde kein Wort gewechselt. Ein Blick des Hammerskins auf den Anwärter genügte, dass dieser wie ein junger Hund gehorchte.
Es will am ganzen Abend keine Stimmung aufkommen. Die Anlage ist viel zu laut und übersteuert, die Mienen der „Brüder“ sind grimmig, eine Interaktion zu den „normalen“ Teilnehmenden des Konzertes verhalten. Nur zwischen den Hammerskins herrscht vereinzelt gute Laune, man tauscht sich in geschlossenen Gesprächskreisen aus und ist nicht wirklich am Konzert interessiert. Wirklich betrunken war nur ein Hammerskin aus Schweden. Alle anderen „Brüder“ waren zurückhaltend und behielten Selbstkontrolle. Es ist ihr Abend, an dem sie ihre weltweite Bruderschaft zelebrieren und einer der wenigen, an dem sie der Szene einen Einblick gewähren. Alles ist bis zum Ende der Konzerte unter Kontrolle. Ständig fühlt man sich unter Beobachtung. Vor allem dann, wenn sich der Sicherheitsdienst durch das Publikum schiebt und mit eindringlichen Blick die Szenerie beobachtet. Macht jemand Fotos mit dem Smartphone, verhält sich wer außer der Reihe?
Als auf einmal ein französischer Neonazi zu wild tanzt, wird deutlich, worauf die Security seit Stunden wartet: ein Exempel zu statuieren. Der „Störer“ wird aus dem Publikum gerissen und bekommt mit einer Taschenlampe das Gesicht zertrümmert. „Der hat keine Nase mehr“, stellte einer der Teilnehmenden gegenüber einem anderen Neonazi erschrocken fest, als der Franzose an den Beinen vom einen Ende der Halle ans andere geschliffen wurde. Die Prügelorgie ihres Sicherheitsdiensts verfolgten die Hammerskins genau und bildeten eine Traube um das Geschehen. Einige grinsten zufrieden, andere wirkten desinteressiert, als ob das zu jedem Konzert der „Brüder“ nun mal dazu gehöre.
Der Zusammengeschlagene hatte anscheinend zu wild getanzt und wirkte stark alkoholisiert. Die Gewalt ist kein Einzelfall auf den Konzerten der Hammerskins. Vielmehr wird sie bewusst bei solchen Anlässen ausgeübt, um eine Drohkulisse zu erreichten. Ähnliche Szenen hatten sich schließlich auch bei einem Großkonzert in Frankreich im März 2017 abgespielt. Ein „Verräter“ war da vor allen Anwesenden von 30 Hammerskins zusammen getreten worden. Schon Jahre zuvor sei es am Rande eines Konzerte zu solchen Szenen gekommen. In einer internen Kommunikation teilten französische Hammerskins im Herbst 2011 stolz mit, dass sie einen Besucher eines ihrer Konzerte erst zusammengeschlagen hätten und ihn danach mit dem Gesicht in Hundekot gedrückt hätten. Der Erzählung hängten sie ein Foto von der Bestrafung an. „Das passiert, wenn du Scheiße über die HSN erzählst“ (Übers.d.Verf.), begründeten die Franzosen ihr Vorgehen. Offenbar hatte sich der Bestrafte schlecht über die Hammerskins geäußert.
Die Gewalt auf dem „Hammerfest“ 2019 im Elsass wirkt ritualisiert. Später am Abend folgt schließlich ein weiterer Übergriff durch den Sicherheitsdienst. Ein Teilnehmer hatte offenbar einen Hammerskin beim Tanzen versehentlich angerempelt. Auch hier wird der „Störer“ entfernt und an den Rand der Halle gezerrt, wo ihn mehrere Personen aus dem Sicherheitsdienst verprügeln. Unweigerlich kommt einem die Schreckensfiktion aus dem Film „The Wall“ in den Sinn. Wie schon die Gefolgsleute des Protagonisten „Pink“ sind es die Hammerskins auf dem Konzert in Frankreich, die sich einzelne Teilnehmende aus der Masse heraus greifen, weil sie nicht ihre Regeln befolgen. Wie im Film sind die Hammerskins die „reinigende Kraft“.
Das „Hammerfest“ ist kein Ort des Vergnügens, sondern Ausdruck der Fanatisierung und Selbstbestätigung. Die an den Verkaufsständen gebotenen Artikel untermauern die ideologische Reichweite. Unzählige Produkte und Merchandise-Artikel sind mit Hakenkreuzen und ähnlichem versehen, während die Titel auf den Schallplatten von „N****r Out“ bis „Der Ewige Jude“ reicht.
Auf der Bühne dröhnt es indes „Blut und Ehre, daran glaube ich/ Einsatzgruppen, Tod für dich/ Zu meinen Führer habe ich gegeben/ Gegeben mein ganzes Leben – Sieg Heil!!!“ (sic!) „Murdersquad“, ein Kult-Song der Band «Blue Eyed Devils», die an diesem Abend ebenfalls auftritt. Zur Unterstützung der Band bewegt sich ein stämmiger Mann auf die Bühne, bekleidet mit Bomberjacke und den Hämmern auf der Brust. Mit mehrfachem Hitlerguß singt er inbrünstig die deutschen Zeilen des letzten Refrains des Songs mit. Es ist Hendrik Stiewe von den «Hammerskins Westfalen», der den restlichen Abend an seinem Verkaufsstand sitzt und die beschriebenen, in Deutschland strafbaren, Schallplatten verkaufte.
Stellt man sich ein „normales“ Konzertgeschehen vor, wird das mit guter Stimmung assoziiert, Herzlichkeit unter Freund*innen und Ausgelassenheit. Konzerte der Neonazi-Szene und insbesondere der Hammerskins sind dagegen voller Hetze, autoritärem Habitus und Gewalt. Jüngere Teilnehmende dürfte das abschrecken, könnte man meinen. Doch es ist die soldatische Männlichkeit – die Selbstdarstellung als soldatischer Mann, auf der Suche nach Krieg und uniformer Identität – die einen der wesentlichen Bezüge der Neonazi-Szene ausmacht. Ein gewalttätiges Szenario wie auf dem „Hammerfest“ wirkt demnach eher anziehend und schafft eine Vorbildrolle. Greifbar wird dies anhand des Verhaltens im Nachgang des beschriebenen Gewaltexzesses gegen den französischen Neonazi. Denn während ein Angehöriger der Unterstützerstruktur der HSN – Patrick Rolvien aus dem Saarland – die Blutspur auf dem Hallenboden weg wischt, steht eine Gruppe junger französischer Neonazis direkt neben ihm und beobachtet ihn fasziniert. Dabei fällt auf, dass sie das gerade Erlebte just im Moment versuchen zu verarbeiten. Sie wirken aufgekratzt und voller Euphorie. Wünschen sie sich, auch Teil dieser gewalttätigen Welt zu werden und wenn es nur heißen würde, dass Blut weg zu wischen? Ihrem beklemmenden Lachen nach zu urteilen, ja.
Der Abend im Elsass endet spät in der Nacht. Anders als auf vergangenen Konzerten unter dem Label des „Hammerfest“ waren nicht einmal 500 Neonazis erschienen. Dennoch verlief das Konzert ohne Störungen durch Polizei und die Hammerskins konnten ein paar tausend Euro an der Steuer vorbei umsetzen. Viel wichtiger noch: Sie konnten beweisen, wie sie jederzeit jede einzelne Person unter Kontrolle hatten. Sie schufen sich einen Raum, in dem der Elitegedanken nicht nur ausgelebt werden konnte, sondern in dem auch eine Faszination für diesen entstand. Die Events dienen letztlich auch zur Rekrutierung neuer UnterstützerInnen, aus denen möglicherweise neues „Hammerskin-Material“ entstehen könnte.
Drohkulisse durch Gang-Mentalität
Gewalt nach innen, dass ist die gewaltvolle Durchsetzung eigener Regeln gegenüber Personen außerhalb der eigenen Gruppe und schafft Stärke und Einigkeit nach Außen. Ein Phänomen, wie man es aus der Mentalität der „Gangs“ kennt. Meist ist die Gewalt dabei überdurchschnittlich, um Exempel zu statuieren und um Drohkulissen aufzubauen. Die Bruderschaft der Hammerskins kommt demnach nicht um den Vergleich mit Straßen-Gangs herum. Ein Hammerskin bezog sich auf den Begriff „Gang“ sogar selbst:
„Für einen Freund oder Bruder habe ich und werde ich alles geben. Keinen der mich nicht verarscht, dem stehe ich zur jeden Lebenslage zur Seite. Ich bin der Meinung wahre ‚Liebe‘ gibt es nur unter Männern (…) Meine ehrlichen Gedanken zur HS sind folgende. Ich sehe die HS als Gang, wo es nur uns und unsere sehr engen Freunde gibt. Der Rest ist mir egal. Ich bin nicht politisch, sondern stehe nur zu denen, die auch das gleiche für mich machen würden. Ich sehe die HS als alternative zu der heutigen egoistischen und geldgierigen Gesellschaft.“ (sic!)
Worte des ehemaligen Schweizer Hammerskin Benjamin Haas, genannt „Pfannenhand“, die er im Nachgang einiger seiner Gewaltexzesse auf dem „Hammerfest“ 2012 in Frankreich an die HSN richtete. Er bat um Entschuldigung, weil er sich an „Brüdern“ vergangen und vor allem weil er sich schlecht über die HSN geäußert hatte. Seinen Ausschluss verhinderte er damit nicht. Haas Verhalten habe den Ruf der Gemeinschaft geschädigt. Das kann sich die Gemeinschaft nicht leisten, da sie sonst als schwach gilt und anderen weniger strukturierten Organisationen ähneln würde, von deren Konzepten sich die Bruderschaft schließlich versucht abzugrenzen.
Die HSN sei ein Bund, so das Regelwerk, in dem nicht immer alle einer Meinung sein müssten, jedoch angehalten sind Probleme mit anderen Brüdern konstruktiv und „zum Wohle der Nation“ zu klären. „Mische Dich nicht in fremden Streit und verbünde Dich nicht mit dem Feind Deines Bruders. Es ist die Pflicht des Hammerskins, die weissen nationalen Kräfte zu vereinen“ (sic!), heißt es dazu unter Punkt 18 des Regelwerks europäischer Hammerskins um die Jahrtausendwende. „Wir dulden kein asoziales Verhalten in unseren Reihen denn die Hammerskins sind eine elitäre Einrichtung und haben sich von der Allgemeinheit zu unterscheiden“, führten wiederum die sächsischen Hammerskins zum Thema aus.
Slogans wie „All for one – one for all“ suggerieren nicht nur die gegenseitige Hilfe, sondern führen letztendlich zum Prinzip „Touch one, touch all“. Vergehst du dich an einem Einzelnen aus der Gemeinschaft, wird die Gemeinschaft gegen dich vorgehen. Auch das ist der Anreiz einer „Gang“-Zugehörigkeit. Das Prinzip zieht sich wie ein roter Faden durch die Erzählungen um einzelne Chapter. Vor allem personell schwach aufgestellte, regionale Ableger der Bruderschaft wirken für sich betrachtet bedeutungslos. Überspitzt stellt sich die Frage: Was ist an fünf Neonazis so gefährlich, die Samstag in der Gartenlaube ihre Bomberjacken mit den gekreuzten Hämmern tragen und dem pathosschwangeren Bruderschaftsleben fröhnen?
Eine Frage, die sich schon die Behörden stellten und dabei entschieden, dass die Gruppen zu unrelevant wären, da sie keine „Außenwirkung entfalten“ würden. Nur, darum geht es den Hammerskins auch gar nicht. Mancherorts reicht es, eine fast mystische, kultige Legende um die Bruderschaft zu stricken, damit Drohkulissen enstehen.
„Er drohte auch immer mit den Berliner Freunden. Müller sagte öfters ‚Ich hol meine Brüder aus Berlin‘ und dann wisst ihr noch gar nicht, mit wem ihr euch angelegt habt.‘ (…) Alle die um die Gruppe von Hesse und Müller herum waren, waren als Hammerskins bekannt, auch wenn sie selber keine Hammerskins waren. Natürlich wussten die Innenstehenden, dass es nur 3 Hammerskins gab. Aber für Außenstehende war es klar, dass die 15 Mann, die immer zusammen rum liefen, Hammerskins waren.“ (sic!)
So erklärte vor fast 20 Jahren ein Unterstützer der sächsischen Hammerskins das Phänomen in einem polizeilichen Verhör.
Es liegt nah, dass vereinzelt regionale Ableger mehr Schein als Sein sind und diese sich in ihrer Inszenierung mit fremden Federn schmücken. Doch auch der Hammerskin, der in einem 300-Seelendorf in der sächsischen Provinz mit seinen zwei „Brüdern“ in der Gartenlaube hockt, ist jederzeit abrufbar für die „Sache“ – für die Unterstützung neonazistischer Aktivitäten bis hin zu Terrorismus.
Die Struktur der HSN
Innerhalb einer Struktur wie der «Hammerskin Nation» braucht es Regelwerke, Codes, Insignien und natürlich eine Reihe von Begriffen, die auf den Status eines jeden Angehörigen hinweisen und mit dem sich geltend gemacht werden kann. Die Vergabe eines Status dient nicht nur zur Selbstaufwertung der Person und definiert die Kompetenzräume, sondern suggeriert den Mitgliedern, Anwärtern und UnterstützerInnen eine Unverzichtbarkeit ihrer Person.
„Bundesstaats-Repräsentanten könnten Mitglieder als (…) oder Stellvertreter ernennen etc etc. Wir möchten das jeder weiß, dass er dazu gehört! Aktivitäten sind notwendig um den Glauben aller am Leben zu halten, wie auch die Begeisterung.“ (sic!), heißt es in der „Hammerskin Constitution“ – der Verfassung – von 1998. Penibel wird in dem Dokument zudem skizziert, wer welche Pflichten und Verpflichtungen hat, wie sich Hammerskins zu verhalten hätten und worauf man sich gegenseitig einzuschwören habe, wie sich Hammerskins zu verhalten und worauf man sich gegenseitig einzuschwören habe. Die „Constitution“ wurde von den US-amerikanischen Hammerskins geschaffen und im Großen und Ganzen von den europäischen Brüdern übernommen. Sie gleicht einem Regelwerk, dem jedes Chapter zudem eigene Richtlinien hinzufügen durfte, damit dieses in der Praxis in ihrem Land auch umsetzbar ist.
1. BASIC RULES
- The main goal is to take care and to improve the brotherhood.
- A member should always be recognizable. It is forbidden to wear the signs at political events.
- It is forbidden to all members to dishonor the brotherhood.
- Transport, dealing and consumption of drugs are strictly forbidden in the brotherhood.
- We do not cooperate with organizations which see us as their enemies.
- If a member is attacked the others have to back him up.
- It is forbidden to talk about private business with third persons. This is also valid after leaving the brotherhood.
- Each member or chapter has to accept majority votes. There is no exception.
- Arguments among brother should not be done in public places. It has to be solved alone or with support of other brothers.
- Political activities and publications of members are not allowed to be done in the name of the brotherhood as the brotherhood is not targeting any political goals.
- Mistreatment of our signs by third persons has to be interrupted.
- Membership in friendly organizations is allowed. But it has to be clear that the brotherhood will always come first.
- Breaking those rules could result as a kick out.
2. ORGANIZING A CHAPTER
Speaker
- He is the leader of the meeting. He represents his chapter at international meetings and to third persons. He should be with all members of the chapter in close contact. He is the contact for hang-arounds and prospects.
Security
- He is responsible for the security of the chapters, its events and members. He is further taking care of information about organizations and/or people who are attacking us. Finally is responsible for the behavior of the chapter.
Treasurer
- The treasurer takes care about the chapter’s money.
Secretary
- He is responsible for the organization of the meetings and the exchange of information with other chapters and among its members.
- In general one member can take care of various functions.
3. ACCESSION
Single person
- Each aspirant needs one bailsman. The bailsman has to know him for minimum 2 years. In the hang-around period the person gets the chance to know us better and to become, after a minimum period of 6 months, a prospect. It is important that personal background of the aspirant is transparent.
- To become a prospect a person has to be minimum 21 years old and to have an independent adult life style (job,appartment etc.). A prospect has the duty to be present at all meetings of the chapter. Further he should visit the international meetings and has to introduce himself officially at one of them. The prospect time is minimum 1,5 years. He gets patched up at a national meeting without any veto.
- To become a member the prospect has to be minimum 23 years old. The chapter-patch is given by the chapter. The nation’s patch could only be received at an international meeting. A member has to know and accept those rules. Finally he has the duty to get our signs tattooed after one year – not earlier.
Chapter
- A prospect chapter needs minimum five persons and has to be organized as a regular chapter. It has to visit the international meetings. After 1 year of hang-arround it could become a prospect chapter and has to do minimum 2 years of prospection time. The patch up could only take place at an international meeting without any veto.
4. DISCHARGE
„in good standing“
- Everything with our signs has to be given back immediately. All things with our signs remain always property of the brotherhood. There is no compensation foreseen.
- To all brotherhood-tattoos must be added the years of the membership within one month.
- For ex-members is no way back into the brotherhood – hang-arounds could get a second chance.
„in bad standing“
- Everything with our signs has to be given back immediately. All things with our signs remain always property of the brotherhood.
- All brotherhood-tattoos have to be covered immediately.
- For this persons is no way back into the brotherhood.
death
- If a brother dies each chapter on the same continent sends one representative to participate in the funeral and to put down a chaplet in the name of the brotherhood together.
5. MEETINGS
- Chapter-meetings should take place at least once per month, international meetings at least twice a year. A world-meeting is arranged minimum every second year.
- Only members participate in the meetings. Prospects will support the organization of the meeting and are introduced in the end of the meeting. If a member or a prospect could not visit the meeting the chapter has to be informed.
- At the meeting our signs should be worn so each member is recognizable.
- Before and during the meeting alcohol is prohibited. Drunken members have no entrance.
- Meetings are leaded by the hosting chapter.
Dass in der „Nation“ nicht immer regelkonform gehandelt wird, stellt keinen Widerspruch dar. Wichtig erscheint eher, dass ein gemeinsamer Umgang mit „Fehltritten“ gesucht wird. Gebetsmühlenartig ist vom „Wohl der Nation“ die Rede, auch bei Fehlverhalten einzelner Mitglieder. Es wird abgewogen, ob Spielräume mehr Nutzen als Schaden verursachen. Damit können langjährige Mitglieder gehalten und es Anwärtern leichter gemacht werden. Vor allem dann, wenn die Anwärterschaft pro forma zu sein scheint, weil bewusst ist, dass gewissen Personen so oder so den Fullmember-Status erreichen werden. Das Regelwerk soll zwar Maßstab sein, aber viele Beispiele zeigten, dass die Grenzen dessen verschoben werden können. Die HSN ist keine statische Organisation, sondern dann und wann flexibel genug, um schnell Entscheidungen treffen zu können – „zum Wohle der Nation“.
Die «Crew 38» – Fußtruppe und Anlaufstelle
Als die engste UnterstützerInnenstruktur zählt die «Crew 38». Die „38“ steht dabei für den dritten und achten Buchstaben des Alphabetes und codiert den Begriff der „Crossed Hammers“. Um die Jahrtausendwende hatte das Chapter «Baden» gemeinsam mit Schweizer Hammerskins die Vorfeldorganisation ins Leben gerufen.
Die «Crew 38» erfüllt mehrere Zwecke. Durch sie können HSN-SympathisantInnen gebunden und in wesentlich mehr Strukturen einbezogen werden, ohne sich dabei allzu weit öffnen zu müssen. Dadurch gewinnt die HSN an Einflussbereich, während die Mitglieder der «Crew 38» mit der Reputation der Bruderschaft kokettieren können. Die UnterstützerInnengruppe kümmert sich um die niederen Belange der HSN, verteidigt ihren Ruf und darf im Namen der „Crossed Hammers“ eigenständige Konzerte organisieren. Die Mitglieder der Crew38 helfen unentgeltlich auf Konzerten an der Bar, mit der Technik, am Anlass oder stellen sich dem Sicherheitsdienst zur Verfügung. Sie dürfen die Verkaufsstände der Chapter betreuen oder stehen bei HSN-nahen Versänden am CD-Tisch.
Redeker schrieb vor wenigen Jahren bezüglich der Rolle der «Crew 38» im „Thiazi-Forum“, dass diese dafür gegründet wurde, „um ausserhalb der HN benötigte Gelder für Rechtskämpfe, Inhaftierte, kulturelle Projekte, usw usf zu erwirtschaften. In erster Linie geschieht dies durch den Verkauf von Merchandising Artikeln wie T-Shirts pder ähnlichem.“ (sic!)
Sie ist das „Fußvolk“ der HSN und kann im Zweifel für die Bruderschaft auch Aufgaben übernehmen, bei denen sich die Fullmember nur „die Finger schmutzig machen“ würden.
Auch in der Welt der Organisierten Kriminalität, der einige große Motorradclubs zugerechnet werden, erfüllen die Unterstützer diese Funktion, wie anhand einer Methode zur Schutzgeld-Erpressung festgestellt werden kann. Fullmember schicken dafür ihre Supporter in eine ausgewählte Bar, die diese in großer Anzahl besetzen. Andere Gäste werden durch deren dominantes und teils gewalttätiges Auftreten vergrault. Ab diesem Punkt hängt der Umsatz einzig an den anwesenden Supportern – den Handlangern der Erpressenden. Die Betreiber*innen geraten in Not und das Zahlen von Schutzgeld ist der einzige Ausweg aus dieser Misere. Denn nur so verschwinden die unerwünschten Gäste und die Bar kann wieder das gewohnte Publikum empfangen.
Bei den Hammerskins wird die «Crew 38» ebenfalls genutzt, um Räume zu dominieren und zu definieren. Dafür werden teils im Vorfeld auf Treffen Absprachen darüber gehalten, wer sich auf welchen Konzerten wie zu präsentieren hat. Mit einer großen Anzahl auf den verschiedenen Anlässen anwesend zu sein, stärkt die Machtposition in der Szene.
Wie auf allen Ebenen der Bruderschaft erfolgt auch bei der «Crew 38» eine Prüfung und Regulierung durch Vollmitglieder. Das Schweizer Chapter erklärte auf seiner mittlerweile gelöschten Webseite, dass diese das nächstes Umfeld sei und „dieses soll dementsprechend von gegenseitigen Vertrauen geprägt sein.“ Portugiesische Hammerskins erklärten ferner, dass die Anhänger der «Crew 38» von ihnen genauestens geprüft werden und sie sich auf Treffen präsentieren müssen, bevor sie etwa «Crew 38»-Merchandise tragen dürften. Sie beschrieben 2008, dass sie bis zu sechs solcher offizieller „Support-Chapter“ unter ihrer Kontrolle hätten.
Im Umkehrschluss bietet die HSN ihnen ab und an Einblicke in die Bruderschaft, denn AnhängerInnen der «Crew 38» sind auch für die logistische Unterstützung der Treffen zuständig, werden zu internen Feierlichkeiten eingeladen und durften bis vor einiger Zeit auch am mehrtägigen „Sommercamp“ der HSN teilnehmen. Alles jedoch unter Vorbehalt und in Anwesenheit eines Leumunds – von der HSN „Sponsor“ genannt – denn die Bruderschaft will auch innerhalb des engeren Kreises ihren elitären Habitus wahren.
Die Größe der «Crew38» schwankt von Chapter zu Chapter, wie auch ihre Anbindung an Vollmitglieder und deren Belange. Mancherorts sind sie schlicht gefällige Handlanger, an anderen Orten werden sie als „Brüder“ betitelt. Dies liegt vor allem am Ausmaß der einzelnen Aktivitäten der jeweiligen UnterstützerInnengruppe. In der Schweiz ist diese seit Jahren ein fester Bestandteil der Struktur und dessen AnhängerInnen „glänzen“ durch kontinuierliche Aktivitäten. Dabei fällt auf, dass die Schweizer «Crew 38» vor allem von Frauen repräsentiert wird. Das lässt sich unter anderem darauf zurück führen, dass die HSN heute keine Frauen als Vollmitglieder akzeptiert. Demnach ist die «Crew 38» für Frauen der höchste Rang, den sie in der HSN erreichen können. Gleichzeitig ist es für die Vollmitglieder der Bruderschaft eine Möglichkeit, ihre Frauen und ihre Familie in die HSN einzubinden. Schon die Motorradclubs, die ebenfalls als reiner Männerbund funktionieren, schafften es durch UnterstützerInnengruppen, ihre Partnerinnen und Freunde an die Strukturen heran zu führen. Dadurch entstehen Räume, in denen sich etwa die Partnerinnen untereinander austauschen können und minimiert wird, dass Interna den vertrauten Kreis verlassen. Eine Anbindung an eine Struktur wie die der «Crew 38» fördert nicht nur das Verständnis für die Bruderschaft, sondern vermittelt das Gefühl, eingeweiht zu sein. Denn die Bruderschaft ist ein Lebensprojekt, in dem alles folglich zur Lebenswelt wird. Letztlich findet sich dies auch in der Selbstdarstellung der «Crew 38» wieder. Man zeigt sich offensiv und betont, ein aktiver Teil der Bruderschaft zu sei: „We support the Best, we fight for HSN – We are Crew38“.
Die UnterstützerInnengruppe ist fester Bestandteil der «Hammerskin Nation» und wird auch so von Außenstehenden wahrgenommen. Denn Merchandise der «Crew 38» ist nicht frei erhältlich, lediglich T-Shirts für die «Supporter Crew 38», also die UnterstützerInnen der UnterstützerInnen.
Auf Prüfstand: Prospect of the Nation
Wurde sich ein bis zwei Jahre in der UnterstützerInnenstruktur bewährt, ist der Weg zur Anwärterschaft geebnet.
„Niemanden sollte es zu einfach gemacht werden. Bevor wir zum ersten Mal Anwärter wurden, hingen wir erst einmal ein paar Jahre herum um dann zweieinhalb Jahre Probezeit zu absolvieren. (…) Eines Tages, wenn wir die Eastern Hammerskins wieder zum laufen gebracht haben, müssen alle Crew 38-Leute ein Minimum von einem Jahr leisten, bis sie überhaupt Anwärter sein können. (…) die Hälfte der Leute stellen sich nach einem Jahr als Schwächlinge heraus und wenn einer so einfach aufgibt, ist er nicht nur nicht willkommen, sondern ist ein degenerierter Versager der aus den Reihen unserer Bruderschaft entfernt werden muss.“
Eindrücklich schildert ein Mitglied der «Confederate Hammerskins» in einer Korrespondenz vor zehn Jahren, was es heißt, Anwärter der HSN zu sein. Anwärter, also „Prospect of the Nation“ – kurz PotN oder Prospect – kann auch heute nur werden, wer bereits mit Vollmitgliedern eines Chapters in engem Kontakt steht und die „Pre-Prospect“-Phase in der «Crew 38» durchlaufen hat.
Zwischen «Crew 38» und Prospect-Zeit gibt es zudem den Status als „Hangaround“, der laut Regelwerk ein Jahr dauern soll. Ein heute nur in wenigen Chaptern aktiv genutzter Status, der schließlich nicht viel mehr als persönliche Aufwertung bedeutet. Die Hammerskins verstehen es, ihre Mitglieder mit Abzeichen und Begriffen an ihre Struktur zu binden. Mehrheitlich folgt der PotN-Status jedoch erst nach der Mitgliedschaft in der «Crew 38». PotN zu sein ist der nächst logische Schritt um Vollmitglied zu werden und ist zugleich die nächst höhere Stufe der Verpflichtung.
Den Begriff des Anwärters hat die HSN ebenfalls der Welt der Rocker entnommen. Ein direkter Vergleich bietet sich an und lässt Rückschlüsse zu. So erzählte der damalige Präsident des «Bandidos MC Oldenburg» einem Fernsehsender im Jahr 2016:
„Du fängst an als Hangaround, heißt du hast auch die Möglichkeit zu sagen: Ah, das passt mir nicht, ich kann wieder weg gehen. Keine Verpflichtung. Wenn du dich dazu entschließt nen Prospect zu werden, dann gehört dein Arsch mir. Dann hast du zu funktionieren. Und dann gibt es auch keinen Grund mehr zu sagen: Ach, passt mir dann doch nicht. Dafür hast du die Gelegenheit gehabt, im Vorfeld.“ (sic!)
Um bei den Hammerskins Prospect werden zu können, spielt auch das Alter eine Rolle. Portugiesische Hammerskins etwa legten für ihr Chapter fest, dass man mindestens 18 Jahre alt sein müsse, um der «Crew 38» beitreten zu können. PotN könne man hingegen erst ab 21 Jahren werden. Ein Anwärter braucht zudem einen Leumund, einen Sponsor, der ihn auf dem Weg zum Vollmitlied begleitet und mit dem er im engen Austausch stehen muss. Für die Ernennung zum Prospect ist einzig das Chapter zuständig.
Um die Anwärterschaft zu erlangen, wird außerdem ein „erwachsener Lebensstil“ voraus gesetzt, d.h. eine feste Arbeitsstelle und eigene Wohnung. Und: Es gibt kein Bewerbungsverfahren, um Prospect zu werden. Stattdessen wird man, getreu dem Elitegedanken, von Fullmembern angesprochen. Nutzen, Vorteile und das Standing des Einzelnen für die Gemeinschaft ist entscheidend und spiegelt sich in der Breite der HSN wieder. Auffallend ist schließlich, dass unzählige Musiker der Bruderschaft beitraten, wie auch „verdiente Aktivisten“ und Funktionäre lokaler Netzwerke der extremen Rechten.
Wie Mitglieder der «Crew 38» wird der Prospect benutzt, um vor allem Treffen und Feiern logistisch zu unterstützen. Er ist angehalten, die vom „Vorstand gestellten Aufgaben zu erfüllen“, heißt es im Regelwerk der Schweizer Hammerskins. Der PotN repräsentiere bereits die HSN und habe sich demnach „diszipliniert“ zu verhalten und „kann sich den Befehlen die ihm vom Vorstand gegeben werden unterordnen“, heißt es dort weiter.
Anwärter sind der Spielball der HSN und werden beliebig entliehen. Etwa für Großevents wie das „Hammerfest“ 2012 in Frankreich, das deutsche Hammerskins maßgeblich organisiert hatten. „Ansonsten wäre es super, wenn ihr uns einige Anwärter zur Unterstützung an dem Abend ‚überlassen‘ könntet. Saalschutz, Einlass und eventuell Ausschank“, verkündete Redeker im Vorfeld des Konzerts gegenüber den anderen deutschen Chaptern. Damit verweist er auf die uneingeschränkte Zugriffsgewalt der HSN auf die Prospects. Diese wiederum erfreuen sich daran, wahrgenommen zu werden und sich im Dienste der „Nation“ beweisen zu können. „Falls allerdings der ein,- oder andere Bruder mithelfen möchte (Prospects sowieso), würden wir uns sehr freuen“ (sic!), heißt es auch im Vorgang eines Großkonzerts im Juli 2011 in Frankreich. Wie selbstverständlich greift man auf die PotN als Arbeitskräfte zurück und kann sich so auch finanziell entlasten, vor allem in der Organisation von Großkonzerten.
Dieser Umgang mit den Prospects gilt sei jeher. Schon um die Jahrtausendwende beschrieb ein niederländischer Hammerskin seine Sicht: „Wir (und damit meine ich die HS Nation) müssen einen Anwärter nicht wie einen zukünftigen Bruder behandeln, sondern er muss uns überzeugen, dass er es wert ist als HS-Material beachtet zu werden.“ (sic!) Gleichheit könne nicht gelten, da ein vollwertiges Mitglied ganz andere Lasten zu tragen hätte als ein Anwärter, so der Niederländer und stellt außerdem fest: „Verdammt nochmal, der Anwärter fällt keine Entscheidungen für sein Chapter (der Job des Officers), kümmert sich nicht um das Geschäft (der Job der Vollmitglieder), da kann er wenigstens Kaffee machen (…)“ (sic!).
Niederländische „Brüder“ waren es auch, die in einem Strategie-Papier vorschlugen, dass der Anwärter auf einem beliebigem Treffen plötzlich und nichtsahnend vom „Sicherheitsoffizier“ geschlagen werden soll. „Schlägt er zurück oder nicht? Wenn er auch anfängt zu kämpfen…Lass den Besseren gewinnen…Macht er das nicht und fängt er an zu laufen dann brauchen wir ihn auch nicht.“, heißt es dort. Und weiter: „Eigentlich ist die Probezeit eine Kopie der schlechten, harten Zeiten. Unserer Meinung nach, je härter die Zeiten, umso mehr wird der Aspirant es Wert schätzen wenn er endlich Mitglied wird.“ (sic!)
Auch italienische Hammerskins beschrieben die PotN-Zeit eher als ungemütlich: „Während der Probezeit muss der Anwärter hart arbeiten, um seine Loyalität zur Nation zu beweisen. Seine Bruderschaft und sein Mut müssen getestet werden, um auf diesem Weg das Vertrauen der Hammerskins zu gewinnen. In unserem Chapter ist es sehr schwer ein Anwärter zu sein. Wir versuchen ihn immer ein wenig Ärger zu bereiten um zu sehen, wie er reagiert. Nur die besten halten stand und werden zum Vollmitglied.“ (Übers.d.Verf.)
Tests, Rituale und Gängelungen nach innen zum einen, zum anderen aber auch Prüfungen zum Schutz der HSN und deren Mitglieder, wie auch Forrest Hyde Ende der 1990er Jahre einfordert: „Leute, mal so nebenbei, stellt verdammt nochmal sicher dass eure Leute ‚street tested‘ sind! Ich werde niemanden als meinen Bruder betrachten, es sei denn ich weiß, dass er mit mir Rücken an Rücken kämpfen wird bis sonstwas geschieht.“ (Übers.d.Verf.)
Im Durchschnitt absolviert ein PotN eine Probezeit von zweieinhalb Jahren. In Ausnahmefällen reichen aber auch eineinhalb Jahre. In dieser Zeit zahlt er bereits monatlich einen Beitrag in die Kasse des Chapters ein – und muss vor allem das Vertrauen der Vollmitglieder gewinnen. Dabei gilt laut Regelwerk auch, dass ein PotN jedes Chapter besuchen soll, damit sich alle ein Bild von ihm machen können. An das Chapter für das er PotN ist, müsse von den besuchten Chaptern Bericht erstattet werden. Auch gilt für den PotN die Richtlinie, am jährlichen „Hammerfest“-Konzert teilzunehmen.
Das alles verschlingt Geld, Zeit und Hingabe und beschränkt durchaus den gewohnten sozialen Umgang. Facetten, die man schließlich auch als Fullmember zu berücksichtigen hat. Bei all dem sei nicht vergessen, dass der Anwärter diese Pflichten und Befehle wohlwollend annimmt. „Ich bekam meinen PotN-Aufnäher letztes Wochenende und bis sehr stolz darauf. Ich bin gern Teil dieser großartigen Gemeinschaft.“, beschrieb etwa ein ungarischer Anwärter seine Rolle in der Bruderschaft.
Warum diese Leute stolz sind, sich zweieinhalb Jahre für die Bruderschaft krumm zu machen? Weil sie wissen, dass sie als Fullmember genauso mit den Anwärtern umgehen können. Zudem werden sie in der Prospect-Phase bereits als „Brüder“ betitelt – was innerhalb einer solchen Lebenswelt, die sich als familiäres Gefüge definiert, ein enormes Zugehörigkeitsgefühl auslöst.
Hierarchien und Funktionen in der Vollmitgliedschaft
Ob die Pflichten als Anwärter der Bruderschaft zur Genüge und zum Gefallen aller erfüllt wurden, darüber entscheidet das jeweilige Chapter in Absprache mit dem Rest der Bruderschaft. Erst wenn sich die Gemeinschaft für die Aufnahme ausspricht, wird aus dem PotN ein Fullmember, also ein vollwertiges Mitglied. Den dazu gehörenden Fullmember-Patch bekommt ein jeder auf einem der Treffen des landesweiten Zusammenhangs. Den Aufnäher, der die Zugehörigkeit zur weltweiten HSN zeigt, bekommt man auf einem internationalen Treffen wie dem EOM oder „Summercamp“. Jedes frisch gebackene Mitglied ist zudem angehalten, in den Anfangsjahren als vollwertiger Hammerskin die Chapter im Mutterland der HSN, den USA, zu besuchen. Eines der Rituale, das die US-amerikanischen Vertreter der Bruderschaft stets gefordert haben und untereinander als „Face Time“ bezeichnen ist der persönliche Austausch. Jedem Einzelnen Auslandskontakte und vor allem Reisebewegungen in die USA nachweisen zu wollen, ist damit obsolet. Es gehört einfach zum Lifestyle eines jeden Hammerskins dazu.
„HFFH FINALY!!!“ (sic), kommentiert der Schwede Magnus Erixon ein im August 2019 in den sozialen Medien veröffentlichtes Bild, auf dem er die Arme zu einem Kreuz verschränkt. Der Gruß „Hammerskins Forever – Forever Hammerskins“ (HFFH) sowie das Zeigen der gekreuzten Arme ist nur Vollmitgliedern erlaubt. Erixon wurde demnach, nach zweieinhalb Jahren Anwärterschaft, zum vollwertigen Teil der Bruderschaft. Es scheint, als ob ihm im Leben nichts besseres hätte passieren können, nachdem er vor Jahren vergeblich versucht hatte, Anschluss beim «Hells Angels MC» zu finden. Wie eine Kette absolvierter Lehrgänge wirken die Bilder samt Kommentare auf seinem Social-Media-Profil: August 2015, „Support Crew 38 worldwide“; Januar 2017, „Finally Prospect of the Nation…PotN“; Oktober 2019, „Elit is Elit! Sorry to have to repet it but! HFFH“ (sic!). Dass es sich um Erixon handelte, der beim „Hammerfest“ 2019 in Frankreich einer der wenigen wirklich betrunkenen Fullmember war und schon früh hinter einem Verkaufsstand einschlief, will jedoch nicht so recht zum allgemeinen Verständnis von Elite passen.
Mit dem Erlangen der Vollmitgliedschaft ist ein Ende des Prüfstands nicht absehbar. „Wenn ein Skin zum Hammer wird, ist die Arbeit noch lange nicht getan sondern hat gerade erst begonnen (…)“, beschrieben Schweizer Hammerskins den Eintritt in die HSN. Zuallererst gilt auch im engsten Kreis der Bruderschaft das Prinzip der Seniorität, d.h. der Status eines jeden Mitglieds ist abhängig von der Dauer der Mitgliedschaft und den erbrachten Leistungen. Zwar gibt es laut internen Aussagen keine „schlechten Mitglieder“, denn jeder vollwertige Hammerskin sei schließlich Teil einer Elite. Es sei aber auch keine Leistung „alt zu werden“, regelmäßig seinen Monatsbeitrag in die Kassen einzuzahlen und nur „dem Club“ anzugehören, hieß es in internen Diskussionen. Stattdessen sollen die Mitglieder aktiv zu den Zielen und Interessen der HSN beitragen, denn „ein Hammerskin ist zuverlässig und organisationsfreudig“, wie das Schweizer Chapter einst festhielt.
Es gebe „nur besonders gute Mitglieder in der HS Nation“ und zwischen den „Brüdern“ gebe es auch keine Unterschiede, schrieben die Schweizer zudem. Auf die Frage, was jedoch ein „Outstanding Member“ ausmacht, also ein herausstechendes Mitglied, antworteten britische Hammerskins 1998 in einem Interview: „Ein Member wird die Dinge tun, die von ihm abverlangt werden, ein Outstanding Member wird diese bereits erledigt haben, bevor er gefragt wurde (…)“ (Übers.d.Verf.). „Ein Member bei den Hammerskins ist der, der das Vertrauen seiner Brüder gewonnen hat. Ein Outstanding Member ist bei den Hammerskins der, der versucht, sein Chapter und die gesamte HS Nation zu vervollkommnen“ (Übers.d.Verf.), führten wiederum italienische Hammerskins auf die Frage aus.
Einer, der die Kriterien für ein „Outstanding Member“ erfüllen dürfte, ist Malte Redeker. Dafür spricht auch Redekers Rolle als „European Secretary“ – wie das Amt von der HSN selbst bezeichnet wird. Er ist dadurch Ansprechpartner für alle europäischen Chapter und trägt etwaige Probleme vor die «Hammerskin Nation». Er ist außerdem für das Zusammenfügen der Neuigkeiten aller Chapter zuständig, schickt diese an alle weltweit in Form eines monatlichen Newsletters und kümmert sich um die Aufrechterhaltung der Kommunikation. Der Austausch findet heute über verschlüsselte Mailinglisten und Chats statt.
Der „European Secretary“ ist zudem Mittelsmann zwischen den europäischen Chaptern und den Chaptern außerhalb Europas. Die von der HSN finanzierten Reisen in die USA, die Redeker teils mehrfach im Jahr unternimmt, ähneln mehr einer Tätigkeit im Management als einem Urlaub. Denn schließlich repräsentiert er alle europäischen Chapter und deren Entscheidungen, muss sich erklären und vermitteln. „Malte, du bist großartig. Ich glaube du bist der einzige Mann auf der Welt, der jeden einzelnen Skinhead auf dem ganzen Planeten persönlich kennt“, stellt Robert Kiefer im «Crew38»-Forum 2011 überspitzt und anerkennend fest und führt weiter aus, dass es „nicht viele Leute gibt, die sich der Sache so hingebungsvoll widmen wie M.“ (Übers.d.Verf.)
Redeker holt sich ebenso Stimmen aus den jeweiligen Ablegern der HSN ein, falls auf bevorstehenden internen Treffen kontroverse Entscheidungen gefasst werden müssen. Dabei fällt auch die persönliche Meinung ins Gewicht, schließlich kann er als Vermittler etwaige Streitigkeiten befeuern oder eben beschwichtigen.
„Regional Representative“, „State Representative“ und „Director“ sind hingegen Posten, die vor allem in den USA vergeben werden. Dennis Dent, Sänger der NS-Hardcore-Band «H8Machine» und Hammerskin der ersten Stunde, erklärte das Konzept einst in einem Interview 2001 wie folgt: „Die Hammerskin Nation folgt einem gewissen Ehrenkodex und wir haben eine Befehlskette. Die Befehlskette ist ziemlich einfach, wir haben unsere Führungspersonen in Texas, die ursprünglichen Gründer der Hammerskin Nation. Wir haben regionale Repräsentanten, die wiederum in Bundesstaats-Direktoren aufgeteilt sind – was ich etwa bin –, dann teilt es sich in Städte-Repräsentanten auf und danach auf ein noch flacherers Level.“ (Übers.d.Verf.)
Auch hier fällt auf, dass Posten und Direktiven offenbar geschaffen werden, um den Mitgliedern zu suggerieren, unersetzlich zu sein. Jeder hat seinen Platz und Rang, Aufstiegschancen inklusive.
Steve Doby von den «Confederate Hammerskins» sei für die HSN viel unterwegs, erzählt er in einem Neonazi-Fanzine im Sommer 2017. Grund sei sein Posten als „International Representative“, den er Mitte der 2000er Jahre antrat. „Ich half dem ungarischen Chapter hinein gewählt zu werden (…)“ (Übers.d.Verf.), erklärte er. Mit „hinein“ ist die HSN gemeint, in die das ungarische Chapter 2005 aufgenommen wurde. Doby war im Vorfeld in Ungarn zugegen und prüfte die hiesigen Anwärter. Ähnliches geschah auch in Brasilien, mit dem Unterschied dass es nicht Doby, sondern Alan Dean von den «Midland Hammerskins» war, der einer „Autorisierung“ der Brasilianer zustimmte. Schon Anfang der 1990er Jahre bedurfte es dem Zuspruch der US-amerikanischen Struktur, bevor weltweit irgendwelche Chapter eröffnet wurden.
In Europa gibt es eine ähnliche Befehlskette, jedoch ohne die vielen, auf US-amerikanische Verhältnisse zugeschnittenen Posten. Neben dem erwähnten „European Secretary“ als Repräsentanten der europäischen Struktur gibt es den „National Secretary“ als Kontaktperson des jeweiligen Landes sowie die „Officers“, d.h. die Vorsitzenden eines jeden Chapters. „Officer“ dürfte als Posten heute vom Begriff des „Speaker“, also Sprecher des Chapters, abgelöst worden sein. Laut Regelwerk ist er der Wortführer auf Treffen, repräsentiert das Chapter und steht mit allen Mitgliedern seines Ablegers in engem Kontakt. Er ist zudem Ansprechpartner für „Hangarounds“ und PotN.
Darüber hinaus gibt es die Funktion des Kassenwarts, der etwa in Deutschland die sogenannte „Deutschlandkasse“ der bundesweiten Struktur verwaltet und dafür Sorge trägt, dass die monatlichen Beiträge gezahlt werden. Zudem unterhalten die Chapter eigene Kassen.
Eine spezielle Rolle nimmt der „Sicherheitsoffiziers“ der HSN ein. Bei den Motorradclubs soll die Person, die dort als „Sergeant at arms“ bezeichnet wird, vor allem den Schutz der Struktur gewährleisten, nach innen wie nach außen. Aus einem Strategiepapier der HSN von Ende der 1990er Jahre geht hervor, dass der „Sicherheitsoffizier“ für die Einhaltung der Ordnung bei Treffen und Aktivitäten zuständig sei, dass er prüft, ob sich alle Mitglieder an ihre Verpflichtungen halten und dass er „Mitglieder, Eigentum und Territorium gegen Drohung von draussen“ verteidige. Er sei der „Polizist der Sektion“, heißt es in dem Papier, dem es „gestattet ist Gewalt zu verwenden“, um „die Mitglieder zu zwingen den Ordnungsregeln nachzukommen“. Heute wird im Regelwerk darüber hinaus erklärt, dass sich der „Sicherheitsoffizier“ zudem umzuhören habe, ob es Organisationen oder Personen gäbe, die der HSN schaden wollen. Damit bekommt der „Polizist der Sektion“ offenbar die Befugnis, auch außerhalb der HSN zu spitzeln.
Bei den Hammerskins dürften für diesen Posten vor allem Personen in Frage kommen, die etwa auf einen Erfahrungsschatz aus der Sicherheitsbranche zurückgreifen können, in der Absicherung diverser Neonazi-Events positiv aufgefallen sind, physische Dominanz ausstrahlen und zudem Kontakte in andere gewalttätige Strukturen vorweisen können. Zwar erfüllen in Deutschland einige Hammerskins in Teilen diese Merkmale, doch nur auf wenige passt dieser Posten besser als auf Wolfgang Benkesser. Der langjährige Hammerskin und enge Vertraute Redekers arbeitete bereits in seiner alten Heimat in Mannheim für ein Sicherheitsunternehmen und konnte sich wiederholt bei neonazistischen Aufmärschen als Ordner beweisen. Auch im Rahmen von Konzerten der HSN war er regelmäßig im Sicherheitsdienst zu finden, trainiert zudem Kampfsport und ist aktiver Teil der Hooliganszene.
Als er 2007 nach Hamburg zog fand er Anschluss ins Rotlichtmilieu, wo er für den Neonazi, Kampfsportler und Zuhälter Frank Kortz Aufgaben übernahm, etwa als Türsteher in dessen Bordell. Dadurch dürfte auch der Kontakt zum «Hells Angels MC» entstanden sein, in dessen nahem Umfeld sich auch Kortz bewegte. Benkesser konnte so unheimlich viel „Vitamin B“ entwickeln. Für die HSN ein enormer Zugewinn, weil dadurch mögliche Konflikte mit den Rockergruppen über den „kurzen Dienstweg“ geklärt werden konnte.
Dass Benkesser die Rocker als „Brüder“ bezeichnet und sogar an internen Feiern teilnehmen darf, ist bemerkenswert. Dabei ist es die Regel, dass auch PoCs, die dem «Hells Angels MC» angehören, Benkesser umgeben. Eigentlich ein No-Go für Mitglieder der HSN, die sich als „weiße, rassistische Bruderschaft“ versteht, in der ein freundschaftlicher Umgang mit nicht-weißen Menschen Konsequenzen nach sich zieht. Die Duldung dessen im Rahmen von Benkessers Mitgliedschaft in der HSN lässt sich nur damit erklären, dass die Beziehungen in die Welt der Organisierten Kriminalität für die Neonazi-Bruderschaft von Bedeutung sind und diese dem Schutz der HSN dienen.
Zusammenkünfte des internationalen Netzwerks
Um die Koordination der weltweiten Geschäfte der Bruderschaft am Laufen halten zu können und um Probleme innerhalb und außerhalb zu lösen, braucht es regelmäßige Treffen. Ferner dienen diese dem zeitnahen Austausch und fördern den elitären Charakter der Gemeinschaft. Denn ähnlich wie bei den Motorradclubs darf nicht jeder an allen Zusammenkünften teilnehmen.
Neben regelmäßigen Treffen, die jedes Chapter beliebig oft abhalten kann, gibt es ein landesweites Treffen, das sogenannte „National Officers Meeting“ (NOM), das früher als „Deutschlandtreffen“ betitelt wurde. Dieses findet alle zwei bis drei Monate ganztägig immer an unterschiedlichen Orten statt, abwechselnd ausgerichtet vom jeweils regional zuständigen Chapter. In Deutschland kommen dabei zwischen 50 und 70 Personen zusammen. Ein Treffen auf europäischer Ebene wird dagegen als „European Officers Meeting“ (EOM) bezeichnet, an dem im Durchschnitt ebenso viele Personen teilnehmen. Es findet bis zu vier Mal im Jahr statt und dauert ein ganzes Wochenende. Auch hier ist das jeweilige Land für die Logistik und Umsetzung der Zusammenkunft zuständig.
Vergleicht man die Daten der (nicht öffentlich angekündigten) EOMs mit Konzertankündigungen, muss retrospektiv festgestellt werden, dass die Konzerte durchaus der Verschleierung solcher Treffen dienen. Davon ließen sich auch die Behörden täuschen und bewerteten polizeilich aufgelöste EOMs oftmals nur als Konzerte – mit einem verdächtig hohen Anteil europäischer Hammerskins. Ein Faux Pas, denn natürlich sind Konzerte im Rahmen von Treffen auch erwünscht, um den von weit her angereisten „Brüdern“ etwas zu bieten. In erster Linie ist das Zusammenkommen aber dem Strategietreffen, dem EOM, geschuldet.
Sowohl beim EOM als auch bei einem NOM sind nicht nur, wie der Name des Treffens eigentlich suggeriert, die „Officers“ anwesend, sondern auch Vollmitglieder ohne spezielle Rolle. Jedoch gibt es auf den EOMs und NOMs Extra-Treffen, die ausschließlich von den „Officers“ besucht werden müssen. Auch die Prospects nehmen an den Treffen teil, müssen aber bei bestimmten Punkten der Tagesordnung das Treffen verlassen. Tatsächlich sind es oft die Prospects und die Angehörigen der «Crew 38», die sich um einen reibungslosen Ablauf der Treffen kümmern. Restaurants, Gemeindehäuser und Firmengrundstücke werden teils unter falschen Angaben für diese Treffen angemietet, wobei einige der Lokalitäten und deren Eigentümer mit den Hammerskins persönlich bekannt sind.
Darüber hinaus kann die HSN auf eigene Treffpunkte zurückgreifen, die sie selbst teils als „Clubhäuser“ bezeichnen. Solche Räume sind immens wichtig, um seiner szeneinternen Außendarstellung gerecht werden zu können. Hier wird die «Hammerskin Nation» greifbar und verliert sich nicht in Begriffen. Hier wird aus Biergläsern getrunken, auf denen die gekreuzten Hämmer eingraviert sind. Hier zieren Gruppenbilder die Wände und werden interne Rituale zelebriert – so, wie es in Clubhäusern der MCs der Fall ist.
Für die Hammerskins spielt es keine Rolle, wie viel Raum vorhanden ist, sondern das ein Raum vorhanden ist. Gartengrundstücke und Hütten, Garagen und Anbauten an Wohnhäusern, alles wird als Clubhaus deklariert. Ein Zugriff auf Grundstücke und Häuser, wie die «Hate Bar» im Saarland, das «Thinghaus» in Mecklenburg-Vorpommern oder das europaweit bekannte «Skinhouse Milano» in Italien, ist eher die Ausnahme.
Neben den administrativen Treffen gibt es aber auch weitere bedeutende Termine im Kalender der HSN. Etwa das jährlich stattfindende „Summercamp“, welches die europäischen Hammerskins seit Ende der 1990er Jahre durchführen – an fünf Tagen, meist im August. Bis zu 120 Personen wurden für ein solches Camp im Jahr 2011 erwartet, welches vom Chapter «Baden» letztlich im Nordosten Frankreichs organisiert wurde. Eine der wenigen internen Zusammenkünfte, bei denen Vollmitglieder und Prospects ihre Frauen und Kinder mitbringen können. Ähnlich wie bei den Dorf- und Sommerfesten im Wohnkomplex in Jamel, die von Hammerskins maßgeblich mitorganisiert werden, wirkt das Kinderprogramm auf den „Summercamps“ harmlos. So hatte man 2020 für das Camp im Sinne der „Kinderbespaßung“ überlegt, eine Nachtwanderung und eine Kinderolympiade durchzuführen, einen Swimmingpool aufzustellen und sich eine „Negerkussweitwurfmaschine“ zu besorgen. Für die Kleinen sollte so der Eindruck entstehen, dass es sich um eine ganz normale Familienzusammenkunft handle. Dies macht sich sicher auch besser in Gesprächen mit Mitschüler*innen, wenn von seinem Erlebten im Urlaub erzählt werden sollte.
Bis einschließlich 2013 konnten auch Mitglieder der «Crew 38» am „Summercamp“ teilnehmen. 2014 hatten französische Hammerskins diese Partizipation jedoch in Frage gestellt und letztlich bestimmt, dass das im selben Jahr von ihnen ausgerichtete Camp „nur für HS Mitglieder, POTN und Familie“ (Übers.d.Verf.) offen sei. „NO CREW!!!!“, hieß es ausdrücklich in der Einladung der Franzosen. Gründe wurden nicht offenbart, allerdings erscheint es sehr wahrscheinlich, dass man im Vorfeld schlechte Erfahrungen gemacht hatte. Vielleicht hatten sich Mitglieder der «Crew 38» Dritten gegenüber zu den Aktivitäten des „Summercamps“ geäußert, was einen absoluten Vertrauensbruch darstellt. Vielleicht war es auch die zum Zeitpunkt herrschende Anspannung und Dynamik in der Bruderschaft. Schließlich strukturierten sich 2013 und 2014 diverse Chapter um bzw. lösten sich (zum Schein) auf. Der Ausschluss der «Crew 38» könnte demnach eine Vorsichtsmaßnahme gewesen sein, um nicht zu viele Interna in den unkontrollierbaren Raum versickern zu lassen. Die «Crew 38» wird zwar als nahes Umfeld erachtet, doch ist der Personenzusammenhang durchaus unstet und teils unberechenbar. Ob es der «Crew 38» heute wieder erlaubt ist am „Summercamp“ teilzunehmen, ist nicht bekannt.
Das „Summercamp“ findet im intimsten Zirkel statt und zeugt von Vertrautheit unter den „Brüdern“ und ihren Familien. Neben BBQ, gemeinsamen Tagesausflügen, musikalischen Darbietungen und Trinkgelagen findet auf dem Camp auch ein EOM statt, wo der „European Secretary“ neu gewählt wird. „Die Europäer haben da eine großartige Sache mit dem Sommercamp. Die zahlreichen Tage dort mit den Brüdern ermöglichen es, die Beziehungen noch enger werden zu lassen, die wir sonst nicht hätten.“ (Übers.d.Verf.), schwärmt ein US-amerikanischer Hammerskin über das jährliche Camp der europäischen HSN. In den USA würde es so etwas schließlich nicht geben.
Nicht nur die Inhalte und Aktivitäten in den Camps sind streng geheim, auch eine Wahrnehmung von außen ist äußert unerwünscht. So fand 2018 das vom Chapter «Westwall» organisierte Camp auf einem Zeltplatz in Eckmannshain bei Gießen statt. Bis zu 110 Personen könnten dort Platz finden und man vermiete, so die Platzbetreiber, gern an geschlossene Gruppen. Optimal für das „Summercamp“, so scheint es, da dadurch völlige Isolation gewährleistet werden kann, man der Aufmerksamkeit der Medien fern bleibt und auch sonstige „Störer“ keinen Einfluss haben.
Zwar zeitlich nicht so ausgedehnt und auch nicht für mehrere dutzend Teilnehmende ausgerichtet, findet neben dem „Summercamp“ auch ein „Wintercamp“ der HSN statt. Es ist auf Initiative der «Hammerskins Bayern» ins Leben gerufen worden und wurde 2011 das erste Mal wahrgenommen. Seit mindestens 2017 findet es jährlich im März in Mühlbach am Hochkaiser in den Bergen Österreichs statt. In den letzten Jahren trafen sich dort Fullmember und Prospects u.a. der Chapter «Franken», «Bayern», «Württemberg» und «Pommern». Eine internationale Beteiligung ist nicht bekannt. Ähnlich wie beim „Summercamp“ wird dort nicht nur das „brüderliche“ Beisammensein zelebriert, sondern es werden auch Entscheidungen getroffen sowie neue PotN eingeführt.
Ob NOM, EOM, „Summercamp“ oder „Wintercamp“: Ergebnisse der Debatten dringen nicht an die Öffentlichkeit und alle wichtigen Entscheidungen werden „face to face“ besprochen. Die Zusammenkünfte wirken oft aufgrund des Mangels an Informationen harmlos und ereignisarm. Dabei sind sie Dreh-und Angelpunkt zur Ausrichtung der Bruderschaft. Lokal dienen die Chapter-Treffen zur Auswertung und Ankündigung von Events und zum Informationsaustausch über das große Ganze, die HSN. Internationale Treffen erlauben es der HSN wiederum, zeitnah und länderübergreifend zu reagieren, sollten lokale Chapter etwa in Schwierigkeiten stecken.
Letzten Endes sind es aber nicht nur die administrativen Treffen, die die HSN als weltweites Netzwerk am Laufen halten. Jeder Geburtstag, jede Hochzeit oder die Geburt eines Kindes sind Angelegenheit des Bruderbundes. Spezifisch kommt hinzu, dass der Großteil der Chapter weitere eigene Aktivitäten umsetzt, zu denen die „Brüder“ eingeladen werden. So führte das sächsische Chapter um 1998 Winter-Wanderungen mit Übernachtung im Freien unter dem Namen „SHS-Marsch“ durch. „Keine Jeans oder B-Jacke tragen“ hieß es in der Einladung, stattdessen sei „ordentliche, militärische Kleidung“ bevorzugt. Über zehn Jahre später luden westsächsische Hammerskins wiederum zu einem „Sport-und Familienfest“ im Raum Schkeuditz bei Leipzig. Hammerskins des Chapter «Mecklenburg» sind dagegen Mitveranstalter jährlicher „Sonnenwend“-Feiern und des „Tanz in den Mai“. Dazu kommen Weihnachtsfeiern unterschiedlicher Chapter – das sogenannte „Julfest“ –, der jährliche Bowlingabend der «Hammerskins Bremen» im Dezember, das „Summerbash“ der «Westwall Hammerskins» und obligatorische Chapter-Jahresfeiern. Auch ein gemeinsamer Urlaub mit „Brüdern“ auf Mallorca, Städtetrips und Mottopartys gehören – mit oder ohne Familie – ebenfalls zum Jahresprogramm der HSN.
Das auch die Beerdigung eines „Bruders“ ein Hammerskin-Event ist, liegt auf der Hand. „Sollte ein Bruder sterben entsendet jedes Chapter des Kontinents (Anmerkung: wo der Hammerskin gelebt hat) einen Repräsentanten, um an der Trauerfeier teilzunehmen und um im Namen der Bruderschaft einen Kranz nieder zu legen“ (Übers.d.Verf.), schreibt das Regelwerk vor. In der Realität ist das kaum umsetzbar und konnte so auch nur ansatzweise festgestellt werden.
Tatsächlich sind Begräbnisse der HSN eine der wenigen Anlässe, bei der Hammerskins im „Full-Colour“, also in Fullmember-Kluft, in der Öffentlichkeit auftreten. „Ein Hammer über den Tod hinaus“, hieß es über den 2011 verstorbenen Jeremy Slaughter, genannt „Jers“, der den «Confederate Hammerskins» in den USA angehörte. Man habe ihn für seine Einäscherung hergerichtet, die Familie hätte ihm dabei ein Ben-Sherman-Hemd angezogen und eine Mütze der HSN aufgesetzt. Er habe somit bis zum Schluss verkörpert, was für ihn ein wichtiger Teil seines Lebens war, teilte ein US-amerikanischer Hammerskin seinen „Brüdern“ in Europa mit.
In ähnlicher Manier wurde auch vom Hammerskin – und Spitzel des Geheimdienstes – Roland Sokol Abschied genommen. Zu seiner Beerdigung im Oktober 2015 waren über 50 Hammerskins aus ganz Europa gekommen, neben etlichen anderen Neonazis und Hooligans, die Sokol über die Jahre begleitet hatten.
Sokol starb eines natürlichen Todes, wie viele der Hammerskins, die auf den Gedenktafeln in den Clubhäusern oder auf den Gedenk-Shirts aufgelistet sind. Alle sind „Gone But Not Forgotten“, heißt es pathetisch. Doch nur wenigen wird ein Denkmal gesetzt, so wie es bei Joseph R Rowan Jr., bekannt als „Hammer Joe“, der Fall ist. Rowan kam 1994 im Nachgang eines RechtsRock-Konzertes ums Leben. Er hatte Schwarze Jugendliche in einem Lebensmittelladen bepöbelt, worauf diese das Feuer auf Rowan eröffneten. Der Hammerskin wurde zum Märtyrer innerhalb der Szene. Immer im Oktober finden seitdem weltweit „Joe Rowan Memorial“-Konzerte statt, die neben dem „Hammerfest“ als wichtige Konzertveranstaltungen gelten.
Das „Hammerfest“
„ (…) durch ein grosses Publikum, platzieren wir erneut einen Achtungserfolg.“, motiviert Malte Redeker in einer Korrespondenz seine deutschen „Brüder“ wenige Wochen vorm „Hammerfest“ 2012. Das „Hammerfest“ ist schließlich das wichtigste Konzert der HSN – sowohl in Europa als auch in den USA. Es wurde bereits Anfang der 1990er in den USA als jährlich stattfindendes Konzert etabliert und findet seit 2002 ebenfalls in Europa in der Regel einmal im Jahr statt. Die BesucherInnenzahl von knapp 1300 Neonazis, die damals nach Affoltern in die Schweiz zum ersten „European Hammerfest“ anreisten, dürfte die HSN in einer kontinuierlichen Ausrichtung bestärkt haben. Denn es sind nicht nur die „Größen“ des RechtsRock, die auf den Konzerten präsentiert werden, sondern auch die Tatsache, dass sich die HSN dort, wie kaum anderswo, für jeden sichtbar zeigt. Im US-amerikanischen Kontext sind das „Hammerfest“ oder Konzerte zum „St. Patricks Day“ jährlich im März wesentlich familiärer und ziehen kaum mehr als 150 Teilnehmende an. Auch deswegen nutzen die Hammerskins diese Konzerte um „Brüder“ zu patchen oder vorzustellen. In Europa kaum vorstellbar, bei Dimensionen von bis zu 2000 Neonazis auf den Konzerten der HSN. Jedoch dient die Masse auch zum Schutz der eigenen Struktur, die dort Zeit und Raum findet in verschiedenen Runden interne Belange der «Nation» bereden zu können.
Konzerte der HSN sind schließlich überhaupt nur durch eine „Armee von Brüdern, Prospects und Unterstützern“ realisierbar, wie Redeker 2011 in einer internen Korrespondenz darlegte. Um die 120 Personen der „Nation“ hätten im Juli ein Großkonzert in Frankreich betreut.
Stärke entsteht aus diesen Konzerten jedoch nicht nur nach innen, sondern wird auch nach außen transportiert. „So viele Nächte ohne Schlaf, so viel Stress, so viele verdammte Probleme vor dem Konzert, aber am Ende sind wir für immer die Besten, wir haben ganz Europa eine Lektion im Organisieren gegeben (…) wir können stolz auf uns sein.“ (Übers.d.Verf.), schreibt ein französischer Hammerskin in einem Bericht zum selben Konzert. Als Entschädigung für den Aufwand erhält jeder Hammerskin und Partnerin, wie auch PotN und Partnerin, kostenlosen Eintritt zum Konzert. Ein üblicher Vorteil für die Mitglieder, auch wenn sie nur Konzerte der HSN besuchen sollten, ohne dabei mitzuwirken.
Dass das „Hammerfest“ 2019 im Nordosten Frankreichs nicht einmal 500 Neonazis anzog, dürfte eigentlich ein Desaster für die HSN gewesen sein. Nirgends gab es kritische Konzertberichte, noch wurden böse Zungen laut. „Unterm Strich ist es eine Show für euch Brüder (…) Der Nutzen des Konzerts ist doch, dass wir den gefallenen Hammers gedenken und unsere Bruderschaft zelebrieren.“ (Übers.d.Verf.), erklärt ein US-amerikanischer Hammerskin auf die Frage, wie man das 25-jährige Bestehen der HSN im Oktober 2012 in Idaho, USA, angemessen feiern könnte. Es könnte egal erscheinen, wie solche Konzerte letzten Endes ablaufen. Die Wahrheit ist aber auch, dass man über die HSN innerhalb der Szene nicht schlecht zu sprechen hat.
Der Kalender eines Hammerskin ist voll gepackt mit Terminen, die nur ihn und seine Bruderschaft anbelangen. Hätten Antifaschist*innen interne Treffen nicht dokumentiert, wären viele der Mitglieder niemals sichtbar gewesen – weder als Hammerskins, noch als Neonazis. Denn die Teilnahme an öffentlichen Aufmärschen gehört nicht zwingend zu den Pflichten der „Brüder“. Wenn doch, wird sich ein Hammerskin nicht als solcher präsentieren – zumindest in Deutschland. Im Vordergrund stehen die Bruderschaft und ihre Belange.
Austritte und Rausschmisse
Dass man „Für immer Hammerskin“ bleibe, wie es der Leitspruch der Bruderschaft vermittelt, ist ein Mythos. Zehn bis fünfzehn Jahre Mitgliedschaft sind hingegen realistisch. Zwanzig Jahre ein aktiver Teil des Männerbundes zu sein gelingt nur wenigen. Und so wie die HSN jede Kleinigkeit vermerkt und definiert, gibt es für Austritte natürlich ebenfalls Regeln. Einem Hammerskin ist es demnach erlaubt, aus freien Stücken und im Einvernehmen aus der Bruderschaft auszutreten.
„Der Austritt muss begründet werden, da ein Austritt aus der Gemeinschaft in gutem Einvernehmen eher undenkbar erscheint. Austrittsgründe wie z.B. gerichtliche Probleme, Geld Probleme, Familie etc. sehen wir als unehrenhaften Austrittsgrund, da diese Probleme jeden von uns einholen können und wir als ein Volk von Brüdern zueinander stehen und einander helfen.“, heißt es im Regelwerk der Schweizer Hammerskins. Dennoch sind es meist persönliche Gründe, warum sich Mitglieder entschieden, ihre „Patches“ abzugeben: Motivationslosigkeit, familiäre Umstände oder gesundheitliche Probleme.
Als „Senior Hammerskin“, also langjährig aktives Mitglied der Bruderschaft, tritt man hingegen nicht aus, sondern man „retired“, d.h. setzt sich zur Ruhe. Ein solcher Vorgang ist jedoch nur aus dem Leben der Bruderschaft in den USA bekannt.
Für PotN dagegen, die während ihrer Anwärterzeit in Absprache mit dem Chapter das Handtuch werfen, sowie für Vollmitglieder, die nach einigen Jahren wieder austreten, gibt es den Status „Good Out“. Kein Rausschmiss also, sondern das Gegenteil: Die betreffenden Personen sind immer noch auf öffentlichen Feierlichkeiten der Hammerskins gern gesehen, stehen dem Netzwerk weiterhin nah und wirken in vielen Fällen unterstützend. Einst vollwertige Mitglieder, die „ausgestiegen“ sind, können sogar nach einiger Zeit wieder als „Prospect of the Nation“ anfangen.
Wer hingegen als PotN freiwillig aufgibt, darf laut Regelwerk nie wieder die Anwärterschaft antreten – mit Ausnahme einiger weniger, bekannter Beispiele. So war etwa Uwe Gebhardt schon einmal Prospect bei den «Hammerskins Sachsen» Ende der 1990er Jahre. Laut Aussage eines vermeintlichen Aussteigers habe er die Vollmitgliedschaft allerdings nicht erlangt. Heute, nach rund siebzehn Jahren, ist Gebhardt abermals Anwärter, jedoch beim Chapter «Franken».
Ein anderes Beispiel kommt aus den USA. Der in Florida wohnende John Kopko hatte sich im Januar 2012 beschwert, dass er als PotN nach einer Probezeit von zwei Jahren und einem Monat immer noch nicht für die Vollmitgliedschaft vorgeschlagen wurde. Zum „St. Patricks Day“-Konzert der «Confederate Hammerskins» im März 2012 hätte man ihm diese „Ehre“ erweisen wollen, schildert ein US-amerikanischer Hammerskin die Situation. „Wir wollen dass er es schafft und den Patch erhält“ (sic!), verlautbarte das Chapter und nachdem sich Kopko für seinen Fehler – das Anzweifeln von Entscheidungen seiner zukünftigen „Brüder“ – entschuldigte, erlangte er erneut den Status des Anwärters und ist heute vollwertiges Mitglied.
Auch Degradierungen und Strafen sind im Regelwerk der HSN verzeichnet. So kann der PotN je nach Schwere der begangenen Fehler jederzeit in den Status eines «Crew 38»-Anhängers zurück versetzt werden. Vollmitglieder hingegen werden meist mit Bußen und Auflagen belegt und sind in der Bruderschaft dann sozusagen auf Bewährung. In Ausnahmefällen kann aber auch eine Zurückstufung in den Prospect-Status erfolgen, wie etwa bei „Bruder Grille“ – Christian Dörk vom Chapter «Berlin». Er sei in wenigen Monaten mehrfach negativ aufgefallen, teilt Benjamin Doege seinen deutschen „Brüdern“ in einer Korrespondenz 2014 mit und wird „bis auf weiteres zum Propect zurück gestuft“. Dies „soll mahnend für alle anderen Brüder stehen. Kein HS-Mann sollte sich respektlos und peinlich in der Öffentlichkeit und in Chaträumen zeigen, in denen auch noch Prospects und Hänger anwesend sind.“ „Grille“ solle trotzdem mit Respekt gegenüber getreten werden, heißt es abschließend von Seiten Doeges.
Sechs Monate Alkoholverbot und 200 Schweizer Franken in die Chapter-Kasse lautete wiederum die Auflage für ein Vollmitglied der Schweizer Hammerskins. Seit 2008 hatte der Hammerskin Benjamin Haas, der unter dem Spitznamen „Pfannenhand“ bekannt ist, immer wieder im Alkoholrausch Schlägereien angezettelt, vorrangig auf Konzerten der HSN. 2012 wurde er auf dem „Hammerfest“ in Frankreich erneut mehrfach handgreiflich, auch gegenüber seinen „Brüdern“.
„Wir haben unterm Strich: Einem Bruder, der Schläge angedroht wurde, Hendrik- Bremen; Einem Französischen Prospekt mit gebrochener Nase; Einen Faustschlag gegen Oppelt- Westmark; Eine Kopfnuss gegen Robert- Franken; Ein Tritt und Versuch einer Kopfnuss gegen Wolfgang- Westmark“ (sic!), hieß es in einem Brandbrief deutscher Hammerskins an das Schweizer Chapter im Nachgang des „Hammerfest“. Dazu kam, dass sich Haas vor einem „riesen Publikum“ unrühmlich über die HSN geäußert hätte. „Fuck the Nation“ soll er mehrere Male gerufen haben. Gründe genug, dass sich französische Hammerskins, in deren Clubhaus das „Hammerfest“ 2012 stattfand, für ein „Bad Out“ des Schweizers unmittelbar aussprachen.
„Wir sind maßlos enttäuscht was nur aus dem einstigen europäischen Vorzeigechapter geworden ist.“ (sic!) , äußerten sie die «Hammerskins Franken» gegenüber den Schweizern, nachdem bekannt wurde, dass „Pfannenhand“ lediglich eine Geldstrafe bekommen und ein Alkoholverbot erhalten hatte.
Allein in Deutschland hätten zudem fünf Vollmitglieder angekündigt, sie würden ihre Patches abgeben, sollte „Pfannenhand“ nach den Vorfällen auch weiterhin Teil der Bruderschaft bleiben. „Dann gebe ich eben meinen Patch ab und schlage ihm so aufs Maul“ (sic!), hieß es seitens eines deutschen „Bruders“. Ein drastischer Schritt, denn Gewalt gegenüber „Brüdern“ ist laut Regelwerk streng untersagt und wird nicht geduldet. Letztendlich teilte das Schweizer Chapter im Dezember 2012 mit, dass das betroffene Vollmitglied zum „Wohl der Nation“ seine Patches abgegeben hätte. Dies sei auch aufgrund des Drucks der Deutschen geschehen, die den Schweizern zuvor eine Kollektivstrafe, den Kontaktabbruch, androhten.
Für Vollmitglieder gibt es also im Falle eines vollständigen, einvernehmlichen Austritts nur das „Good Out“. Sollten Bewährungszeiten missglückt sein und sich ein „Bruder“ dermaßen falsch und „schädlich“ verhalten haben, folgt ein Rausschmiss im „Bad Out“. „Bad Out“ oder „Bad Standing“ bedeutet dabei nicht nur den Ausschluss aus der Bruderschaft, sondern auch, dass die entsprechende Person als „vogelfrei“ gilt und sich von Veranstaltungen der HSN fernhalten sollte. „Ex-POTN Adrian ist bei uns strikt unerwünscht. Wir erwarten von allen Brüdern dieses Menschlein nicht mehr auf HS-Veranstaltungen aller Art einzuladen (…) anderen Falls werden wir spontane Massnahmen ergreifen. Verrat wird nicht geduldet (…)“, teilte 2011 etwa das Chapter «Baden» den anderen deutschen Hammerskins mit und macht damit deutlich, was es heißt, im „Bad Out“ mit der HSN zu stehen.
Der „Bad Out“-Status kann allerdings auch aufgehoben werden. Dies war meist der Fall, wenn eine Person zwar im Kontext der HSN unerwünscht war und weiterer Kontakt mit der Person innerhalb der Szene jedoch unumgänglich schien. So geschehen im Falle von Shawn Sugg, dem Sänger der einflussreichen US-amerikanischen RechtsRock-Band «Max Resist». In ihrer Gründungzeit in den 1990er Jahren waren Sugg und Schlagzeuger Daniel Letellier, genannt „Danny“, selbst Mitglieder der «Northern Hammerskins» und schrieben der HSN sogar eine Hymne. Auch später, als er nicht mehr in der Bruderschaft aktiv war, verblieb er mit «Max Resist» in enger Verbindung. Sugg ist allerdings auch für seine egozentrische, dominante Art bekannt und kam dadurch mehrfach in Konflikt mit anderen Männern. Vor allem wegen seines übergriffigen Verhaltens gegenüber den Frauen einiger Hammerskins – er habe einige Male versucht, ihnen die Frauen „auszuspannen“, so die Erzählung – kam er in Verruf. Sein „Bad Standing“ wurde damals von einem Hammerskin in den USA forciert, der anscheinend auch anderweitig Probleme mit ihm hatte. Durch ein „Bad Out“ von Sugg büßte die HSN einen wichtigen Player ein, denn Konzerte von «Max Resist» zogen in den 1990er und 2000er Jahren auch in Europa hunderte Neonazis an.
Erst 2010 teilten die «Northern Hammerskins» mit, dass der „Bad Out“-Status von Shawn Sugg überdacht und letztlich aufgehoben wurde. Wenige Zeit später durfte «Max Resist» wieder auf HSN-Veranstaltungen auftreten, etwa auf dem „European Hammerfest“ 2011 in Italien.
Patchover, stille Mitgliedschaften und Doppelleben
Da ein Vergleich der Struktur der HSN mit Rockerclubs kaum umgehbar ist, stellt sich die Frage, ob es auch Hammerskins ohne feste Chapter-Zugehörigkeit gibt. Bei den MCs wird dies als „Nomad“ bezeichnet – nicht regional gebunden oder sesshaft. Ein Konzept, das bei den Rockern gebräuchlich ist um etwa mögliche Verbote zu umgehen. Tatsächlich gibt es dieses Prinzip in der Neonazi-Bruderschaft so nicht. Vielmehr gibt es Fullmember, die geografisch nicht im Kerngebiet eines Chapters wohnen, diesem aber dennoch angehören. Als Beispiel sei hier die Geschichte des Bremer Chapters angeführt, dem schließlich auch etliche Personen aus dem Ruhrpott angehörten, trotz einer Distanz von rund 230 km. Mit der Gründung des Chapter «Westfalen» in 2014 verschwand diese Unstimmigkeit.
Tatsächlich, und das ist auch der Rockerszene entnommen, werden gelegentlich „Patchover“ vollführt. Sei es durch Umzug oder persönliche Diskrepanzen mit dem Chapter, in dem man einst zum Fullmember wurde, besteht die Möglichkeit eines Chapter-Wechsels. Sind persönliche Konflikte der Grund dessen, geschieht ein „Patchover“ im Sinne einer Befriedung und ist nicht ungewöhnlich. In Deutschland ist der Werdegang von Benjamin Doege ein gutes Beispiel. Er gehörte in den 1990er Jahren dem Chapter «Mecklenburg» an, zog dann aber nach Berlin und schloss sich dem lokalen Chapter an. Die Erzählung sagt, dass er „geschickt“ wurde, um das Chapter umzustrukturieren.
Anders ist es bei Dennis Roskos aus Dortmund. Der wurde beim Chapter «Westmark» zum Fullmember, wechselte dann nach dessen (Schein-)Auflösung kurzzeitig zum Bremer Chapter, bis er Teil des neu gegründeten Chapter «Westfalen» wurde. „Bitte frag doch mal die anderen member des gbremen-chapters,ob da was gegen spricht, oder ob ich bei euch willkommen bin. ich bin nämlich seit samstag chapterlos,da die westmark sich aufgelöst.hat.“ (sic!), fragte er ein Mitglied des Bremer Chapters 2013. Das Leben in der Bruderschaft kann trivial sein.
Ein weiterer Begriff, den Rockerclubs etabliert haben, ist die „stille Mitgliedschaft“. Eine geheim vereinbarte Angehörigkeit zum Club, die in keinem Fall sichtbar werden darf. Bei den Rockern trifft dies oft auf Personen zu, die sich aufgrund ihres gesellschaftlichen Status – als Anwälte, Politiker oder Geschäftsmänner – eine öffentliche Positionierung zur Bruderschaft nicht erlauben können, ihr aber dennoch nahe stehen und finanziell oder mit Gefälligkeiten unterstützen. Das „stille Mitglied“ erhält hingegen Schutz durch die „Brüder“ und kann etwaige Vorteile des Netzwerkes genießen. Auch bei den Hammerskins sind „stille Mitgliedschaften“ prinzipiell denkbar. Schließlich gehen viele der „Brüder“ gut bezahlten Jobs nach.
So auch Thilo Sebastian Seger, dessen Berufsstand ihm den Spitznamen „Anwalt“ einbrachte. Er wurde um 2014 Fullmember beim Chapter «Westwall», soweit ist das aus internen Kommunikationen ersichtlich. Auch dass er seit vielen Jahren kontinuierlich am Leben der Bruderschaft teil nimmt, ist soweit bekannt. Und trotz dessen er sich auf Feiern der Hammerskins herumtreibt, sind keine Bilder mit Prospect- oder Fullmember-Merchandise von ihm bekannt. Selbst als sich im Februar 2013 im Zuge einer Geburtstagsparty Prospects der Chapter «Westmark» und «Württemberg» für ein Gruppenbild aufstellten, war Seger – im Gegenteil zu fast allen auf dem Bild – nicht in Prospect-Kluft bekleidet. „Stille Mitgliedschaft“ bedeutet schließlich auch, dass das Mitglied an Feiern teilnehmen kann, aber nicht die Pflicht hat die Insignien zu zeigen.
Das Leben in der HSN ist darauf ausgelegt, sich bei und mit seinen Brüdern zu präsentieren. Es ist unwahrscheinlich, dass es Fullmember gibt, die den Treffen, Feiern oder Reisen fernbleiben dürfen, um etwa ihren Arbeitsplatz nicht zu riskieren. Vielmehr lassen sich Beispiele finden, dass die aktive Mitgliedschaft möglich ist, trotz Jobs als Ingenieur oder gar Angestellter beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF). Gut bezahlte Arbeitsplätze sind keine Ausnahme in den Reihen der Bruderschaft, sondern vielmehr die Regel. Im Durchschnitt sind es Männern – und Frauen im UnterstützerInnen-Netzwerk –, die mitten im Leben stehen, oft mehrere Kinder zu versorgen und große Grundstücke zu unterhalten haben und demnach einer geregelten Arbeit nachgehen. Arbeitslosigkeit und unstrukturierte Leben sind verpönt. So heißt es 1998 in der „Verfassung“ der HSN: „Hammerkins sind anständige, hart arbeitende Leute. Wir sind Gewerbetreibende, Geschäftsmänner etc. Wir decken die Palette aller Berufsstände ab, wir sind Vollzeit-Studenten, die studieren um Abschlüsse zu erhalten, WIR SIND NICHT FAUL! Wir arbeiten hart daran, unseren Kindern eine Zukunft zu ermöglichen (…)“. (Übers.d.Verf.)
Wohlhabend zu sein bedeutet nicht nur, sich überhaupt die vielen Reisen leisten zu können oder einen „Bruder in Not“ unterstützen zu können, sondern auch unabhängig von Staat und Behörden zu sein. In der Geschichte der extrem rechten Szene zeigte sich schließlich mehrfach, dass es oft Personen waren, die mit Geld nicht umgehen konnten oder Schulden anhäuften und sich deshalb auf Tätigkeiten als V-Person einließen. Nicht nur, aber durchaus ein geläufiges Einfallstor für den Staat. Indem darauf geachtet wird, dass Fullmember oder jene, die es noch werden wollen, finanziell eigenständig sind, soll so das Risiko minimiert werden. Ähnlich verhält sich dies mit anderen Einnahmequellen, etwa aus Drogengeschäften. Kein „Bruder“ müsste sich auf krumme Geschäfte einlassen, wenn er ganz legal, aus mittelständischen Unternehmen seine Auskünfte bestreitet. Soweit die Theorie, denn natürlich sind nicht alle Hammerskins so strukturiert und „tugendhaft“, wie sich anscheinend gewünscht wird.
Insignien, Codes und Symbole
Das eigentliche Wappen der HSN, das jedes Vollmitglied auf der Bomberjacke im linken Brustbereich zu tragen hat, besteht aus den gekreuzten Zimmermannshämmern, umrandet von einem Zahnrad. Letzteres – welches schon in der Industrialisierung als Symbol für Arbeit, Technik und Fortschritt benutzt wurde – soll laut eigenen Angaben ihren Stolz auf die Herkunft aus der Arbeiterklasse versinnbildlichen. Denkbar ist aber auch, dass mit dem Symbol ebenso auf die «Deutsche Arbeitsfront» Bezug genommen wird, die größte Massenorganisation im Nationalsozialismus.
Bei der HSN ist das Wappen zudem mit den Farben schwarz, weiß und rot, den Reichsfarben, hinterlegt. Auch US-amerikanische Hammerskins tragen diese Farben und beziehen sich damit auf ihre europäischen Wurzeln und das „große Vaterland“, d.h. das „Dritte Reich“ unter Adolf Hitler.
Am linken oberen Ärmel der Bomberjacke – auch „Kutte“ genannt, angelehnt an die Lederwesten der Motorradclubs – prangt dagegen das Chapter-Patch, um eine genaue Zugehörigkeit ausdrücken zu können. Weiter unten am linken Ärmel ist ein Ärmelstreifen mit dem Schriftzug „Hammer-Skinheads“ angebracht, der dem Ärmelband der SS nachempfunden ist. Diesen sollen Mitglieder erst nach drei Jahren Vollmitgliedschaft bekommen. Damit nicht genug, ist es den Vollmitgliedern ebenfalls gestattet, weitere Aufnäher an anderen Stellen anzubringen. So gibt es Aufnäher in Gedenken an verstorbene Hammerskins, die oft am oberen rechten Ärmel angebracht werden. Auch Aufnäher anderer Chapter, zu denen etwa eine besondere Verbindung besteht, können an dieser Stelle gezeigt werden.
Neben der Kutte, deren Tragen vor allem auf Konzerten wie dem „Hammerfest“ Pflicht zu sein scheint, gibt es dutzende weitere Artikel, mit der sich ein Hammerskin zu erkennen geben kann: Gürtelschnallen, Mützen, Pullover, Shirts, Bauchtaschen und Ketten. Zu ihrem 20-jährigen Bestehen verkauften die Schweizer Hammerskins sogar Energy-Drinks, auf denen die gekreuzten Hämmer zu sehen waren. Im internen Rahmen sind die Outfits überladen mit Hämmern, Zahnrädern und pathetischen Sprüchen.
Die Abzeichen, Symbole und Codes tragen nicht nur zu einer Mystifizierung der Bruderschaft bei, sondern dienen vor allem zur Abgrenzung nach außen und Aufwertung nach innen. Jeder Teilhabende des Netzwerks – sei es als „Supporter“, in der «Crew 38», als „Hangaround“, PotN oder Fullmember – trägt seinen Status in Form des jeweiligen Abzeichens. Genauestens ist geregelt, wer wie viel mit Symbolen spielen darf und welche Grußformeln und Zeichen in seinem Status nicht verwendet werden dürfen. Die „38“ als Zahlencode für den dritten und achten Buchstaben im Alphabet – das C und das H für die „Crossed Hammers“ – darf von jedem und jeder innerhalb des Netztwerkes benutzt werden. Merchandise mit der Zahl ist als „Supporter“-Bekleidung frei zugänglich und kann als Sympathie-Bekundung bewertet werden. Abbildungen, die das Zahnrad, die „38“ und den Begriff „Crew“ beinhalten sind bereits ein Tabu für Außenstehende. Genauso verhält es sich mit Merchandise der PotN, das ausschließlich nur von ihnen getragen werden darf. Innerhalb der Bruderschaft darf das Merchandise auf den etwaigen Status-Ebenen untereinander getauscht werden, was Verwirrungen beim Betrachten der Szene hervor rufen kann. Dabei ist es nach dem Regelwerk vollkommen legitim, wenn ein brasilianischer Anwärter Kleidung der «Crew 38 Rheinland» trägt. Auch das hat Kalkül und unterstreicht den weltweiten Charakter der Bruderschaft.
Abzeichen mit den gekreuzten Hämmern, der Begriff „Hammerskins/HSN“ und die Losung „Hammerskins forever – forever Hammerskins“ (HFFH) – sowie dessen Zahlencode 8668 – dürfen ausschließlich nur von Vollmitgliedern benutzt werden. Auch der „Crossed-Hammers“-Gruß ist nur Vollmitgliedern vorbehalten.
Die Symbole, Zeichen und Codes sind exklusiv und dienen der Markierung eigener Räume oder der Dominanz in fremden Räumen. Die Insignien werden mit Stolz getragen und teils völlig überladen zur Schau gestellt. „Wir möchten das jeder weiß, dass er dazu gehört!“ heißt es passender Weise in den Statuten der HSN.
Exklusivität der Symbole
„Das Abzeichen ist die Fahne der Hammerskin Nation, lass es von niemand verleumden“ (sic!), heißt es von Seiten der niederländischen Sektion Ende der 1990er Jahre. Doch nicht nur verleumden dürfe man die Insignien nicht, auch entfremdete Nutzung ziehe Konsequenzen nach sich.
„Ich habe mich in der Sache gestern noch mit weiteren Sachsen kurzgeschlossen und wir stehen auf dem Standpunkt, dass wir die Sache natürlich weiter beobachten werden aber wir denken, dass die Weste (mit dem Kürzel) kein ‚Kriegsgrund‘ sein sollten. Wir denken auch nicht, dass die Jungs uns bewusst wegen der HFFH Sache hintergangen haben (wissentlich, dass es unser Gruß ist), sondern wir glauben sie haben gedacht: ‚Da passiert schon nix, bekommt ja keiner weiter mit‘ (…)“ (sic!), teilte Thomas Gerlach vom Chapter «Sachsen» 2011 seinen deutschen „Brüdern“ mit. Mitglieder der thüringischen Neonazi-Bruderschaft «Hermunduren» hatten sich das Kürzel „HFFH“ auf ihre Westen genäht, damit ihre Einladungen unterschrieben, aber nur „Hermunduren für immer – für immer Hermunduren“ aussagen wollen. Die HSN bekam davon Wind und Gerlach selbst reiste zu einer Feier der «Hermunduren» um die Problematik zu klären. Ausschlaggebend sei vor allem, dass diese Bruderschaft durchaus einen Wirkungsgrad in die Neonazi-Szene gehabt habe und die Verwendung des „HFFH“-Kürzels für Irritationen sorgen könnte. Nach Gesprächen erlaubte Gerlach, die Aufnäher mit dem Kürzel auf den Westen behalten zu dürfen. Falls dies nicht im Sinne der HSN sein sollte, verlautbarte er, würde man sich „darum kümmern, dass diese Problematik aus der Welt geschaffen wird. Wir hoffen allerdings, dass dies nicht notwendig sein wird…“ (sic!). Deutlich wird dabei nicht nur, dass Gewalt als Druckmittel Erwägung findet, sondern vor allem, dass die Angst besteht, dass unberechtigterweise im Namen der Hammerskins – in dem Fall durch das Kürzel „HFFH“ – in die Szene hineingewirkt wird. Dies ist Beleg dafür, wie die HSN versucht, ihre Vormachtstellung als „Elite“ in der Szene zu bewahren. „Oft imitiert, aber niemals erreicht“ wird nicht umsonst von den Hammerskins als Phrase benutzt.
Wieder werden hier die Parallelen zur Welt der Motorradclubs offensichtlich. Wer Insignien, Codes und Bekleidung unautorisiert benutzt oder gar „beschmutzt“, gehöre bestraft.
Dazu gehören auch Ex-Mitglieder, die sich unberechtigt mit „fremden Federn schmücken“, d.h. auch nach ihrem Austritt oder Rausschmiss mit den Symbolen der Bruderschaft kokettieren. Eindrucksvoll wird dies etwa am Beispiel von Andreas Lohei, genannt „Lolli“, der bis Mitte der 2000er dem Chapter «Bremen» angehörte. Etliche Male hatte Lohei die CD-Booklets seiner Band «Endlöser» mit den gekreuzten Hämmern bebildert, der HSN Lieder gewidmet oder war selbst in „Kutte“ auf Fotos zu sehen – damals berechtigter Weise.
2012, als er schon einige Jahre im „Good Standing“ aus der HSN ausgetreten war, wurde jedoch eine CD von «Endlöser» veröffentlicht, die nicht nur einen Song namens „38“ beinhaltete, sondern auch Lohei in Kluft mit Abzeichen der HSN, sowie das Wappen der Bruderschaft als Hintergrund-Grafik zeigte. Eine lange Diskussion entbrannte, in der Lohei mehrmals von unterschiedlichen Chaptern angeschrieben wurde. „Du bist vor fast 5 Jahren raus aus der Nation, gebärst Dich im Beiheft auf den Bildern aber immer noch so, als wenn Du HS wärst (…) Besonders irgendwelche Suffphotos machen sich natürlich ganz toll, wenn man die Hämmer auf der Brust hat. Bist du noch ganz dicht?“ (sic!), schrieb ihm ein Mitglied der «Hammerskins Bremen» persönlich. Bayerische Hammerskins wunderten sich dagegen, warum die CD „nicht einfach vernichtet wird“. Letztlich spitzte sich der Konflikt zu. Einige forderten, dass ihm nochmal geschrieben werden müsse, „ansonsten müssen die Buspuller mal hin fahren und mit ihm reden.“ Eine Referenz auf den Hammerskin, Kraftsportler und Türsteher Dennis Kiebitz, der von Wettbewerben bekannt ist, bei denen Busse gezogen werden („Buspulling“) und bei Lohei Eindruck schinden sollte.
Da jegliches Einwirken per Mail nicht fruchtete, entschieden die «Hammerskins Bremen» ihn auf einer Party des «Endlöser»-Umfelds persönlich zu besuchen. „Da er jetzt auf drei Elektronische Briefe nicht geantwortet hat, werden wir da mal hingehen und persönlich mit ihm sprechen. Es sollten alle Anwesend sein!“(sic!), schwörte man sich gegenseitig auf das Treffen ein. „Zieht bitte alle Bremen und Potn Shirts an.“ (sic!), hieß es in einer weiteren Ansage, die verdeutlicht, dass ihm bewusst als Gruppe eingeschüchtert werden sollte, auf dass er solche „Fehler“ niemals wieder begehen würde. Bedacht sei dabei auch der Aufwand dieses Vorhabens, schließlich wohnten zu diesem Zeitpunkt mindestens sechs Personen des Chapter «Bremen» u.a. in Nordrhein-Westfalen. Wie das Aufeinandertreffen ausging, wissen nur die Anwesenden.
Auch sei es gewünscht, dass sich jedes Vollmitglied ein Hammerskin-Tattoo stechen lassen soll, so das Regelwerk der HSN um die Jahrtausendwende. Die identitätsstiftende Kleidung kann schließlich jederzeit abgestreift werden. Das Schweizer Chapter begründete dies damit, dass dadurch Spitzel und Ähnliches abgehalten werden könnten, der HSN beizutreten. Niederländische Hammerskins erklärten dies hingegen in einem Strategie-Papier der Bruderschaft lang und breit, sowie wesentlich heroischer mit folgenden Worten:
„Einige von uns haben die Meinung, dass Tätowierungen eine persönliche Wahl sind und nur die Personen machen diese Wahl oder nicht. Andere Leute von uns haben die Meinung dass HS-Tätowierungen ein Zeugnis von Stolz sind, ein Zeugnis von Verbindlichkeit mit der Hammerskin Nation. Wir tragen alle genau dasselbe, wir haben alle dasselbe Abzeichen. Wir haben alle dieselbe Frisur aber warum soll denn die Tätowierung eine persönliche Wahl sein? Eine Person die gerne zur Elitegruppe gehören möchte weiß das er ein paar persönliche Freiheiten verlieren wird. Das ist alles nur zum Vorteil der Gruppe. Eine gesamtheitliche Identität zu haben ist ebenso wichtig wie eine gesamtheitliche Struktur. Wir glauben, dass sogar ein nackter Hammerskin erkennbar sein soll. Wenn du dich versteckst hast du schon verloren!!!“ (sic!)
Auch wenn die Niederländer Tätowierungen zur Pflicht machen wollten, bleibt dies bis heute jedem Hammerskin selbst überlassen. Der Großteil der Mitglieder besitzt jedoch Symbole, Phrasen oder Kürzel der Bruderschaft auf der Haut verewigt. Diese darf er auch nach dem Austritt behalten, solange er im „Good-Standing“ ausgeschieden ist. Die Tattoos müssten allerdings mit einem Ein-und Austrittsdatum versehen werden, heißt es im Regelwerk. In der Realität ist dies jedoch eine Schwachstelle, denn nicht alle bearbeiten dementsprechend ihre HSN-Tattoos im Falle eines Austritts.
Anders war dagegen die Handhabung der «Arizona Hammerskins» in den Anfangsjahren der HSN in den USA. Mit einer Art Cutter-Messer entfernten James Miller und weitere Mitglieder der Gruppe das „Crossed-Hammers“-Tattoo von Sean Cooper, genannt „Warbaby“. Dieser hatte nur kurze Zeit vorher die Gruppe verlassen und sollte durch die Maßnahme bestraft werden. Eine Warnung an ihn darüber hinaus, dass er die Vorherrschaft der Hammerskins niemals testen oder herausfordern solle, etwa durch die Gründung einer neuen Skinhead-Gruppe.
Dass man heute gewaltsam ehemalige Mitglieder zwänge, ihre Hammerskin-Tattoos zu zerstören, ist nur wenig bekannt. Sicher ist aber, dass im Falle von Rausschmissen und Austritten sehr penibel darauf geachtet wird, alle Abzeichen und Merchandise an das Chapter zurückgeben zu lassen. Zur Not mit Nachdruck und körperlichen Zwang.
„Wir gaben ihm zwei Tage um alles zusammen zu sammeln und was tat er? Mit einem Messer oder sonst etwas zerstörte er und schnitt die Hämmer heraus aus allem (…) Er gab den British HS ein paar Sachen zurück (wir vermuten T-Shirts und Patches). Aber er bewahrte in seinem Haus weitere Sachen auf. Wir mussten in sein Haus einsteigen um den Rest zu nehmen (…) Die Zerstörung der Sachen ist für uns eine schreckliche Nummer. Wenn du die Hämmer zerstörst, hast du keine Würde mehr (…) Wir fragen deswegen offiziell, dass man uns all die Sachen zurück gibt, die ihm gehören wie Fotos…alles. Wir müssen das zerstören und seine Erinnerungen an die HSN für immer löschen. Offiziell ist er für uns wie ein Feind und ihr müsst ihn nun auch als Feind betrachten (…)“ (Übers.d.Verf.).
Wie in einem schlechten Film schildert das italienische Chapter seinen Brüdern in Europa, wie sie nach einem „Bad-Out“ mit den Insignien eines ihrer ehemaligen Mitglieder verfahren sind. Sie machen deutlich, dass das Zerstören der Hämmer ein Sakrileg ist, was als Konsequenz nur die Verstoßung und Bekämpfung des „Sünders“ haben kann.
Den Einfluss darüber zu verlieren, was ehemalige Mitglieder machen, im schlechtesten Fall bekleidet mit Hammerskin-Merchandise, ist schließlich fatal. Denn die Uniformität der Bruderschaft macht sie auch angreifbar, vor allem seitens der Strafverfolgungsbehörden. Man würde „auf politischen Veranstaltungen niemals einen Hammerskin in HS Klamotten antreffen“, teilte Malte Redeker vor einer Weile einem Interessenten mit. Wie eine Schutzbehauptung klingt demnach auch die „Rule“ im aktuellen Selbstverständnis der HSN, die besagt, dass „politische Aktivitäten und Publikationen einzelner Mitglieder nicht im Namen der Bruderschaft getätigt werden dürfen“, denn die „Bruderschaft verfolgt keine politischen Ziele“ (Übers.d.Verf.). Ein wahrlich guter Scherz.
Tatsächlich gibt es bis heute kaum öffentliche politische Anlässe, bei denen sich Hammerskins als solche präsentieren, zumindest in Deutschland. Bei den italienischen Hammerskins hingegen gehört eine Positionierung zur HSN auf öffentlichen Versammlungen zum guten Ton.
Der Hintergedanke fehlender Sichtbarkeit von Symbolen in der Öffentlichkeit in Deutschland ist es, regionale Zuordnungen sowie den Status zu verschleiern – Ansatzpunkte, die durchaus zu einem Verbot der Gruppe führen könnten. Denn Auftreten, Struktur und Entscheidungsfindung gleichen der eines Vereins. „Wenn durch Verfügung der Verbotsbehörde festgestellt ist, daß seine Zwecke oder seine Tätigkeit den Strafgesetzen zuwiderlaufen oder daß er sich gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder den Gedanken der Völkerverständigung richtet“, kann ein Verein verboten werden. Alle Punkte sind bei den Hammerskins erfüllt.
Dass sich die Hammerskins der Dimension ihrer Angreifbarkeit durch ihre Uniformität schon früh bewusst waren, geht aus einem Protokoll eines Treffens des sächsischen Chapters Ende der 1990er Jahre deutlich hervor. Dort heißt es in befehlendem Ton: „Aufnäher usw. abreissen, wenn verhaftet. Bei politischen Aktivitäten keine HÄMMER!“ (sic!).
Gelder
50,00 DM sollte jedes Mitglied der «Hammerskins Sachsen» um die Jahrtausendwende in die Chapter-Kasse zahlen. Für Arbeitslose galt ein Mitgliedsbeitrag von 25,00 DM.
10,00 Euro – pro Fullmember und pro Prospect – sollen alle Chapter monatlich für die „Deutschlandkasse“ der HSN einsammeln, hieß es wiederum 2011 von Seiten des bayerischen Hammerskins und damaligen Kassenwarts der bundesweiten Struktur, Erich Kaiser.
Dazu kommen Gelder aus eigenem Merchandise: T-Shirts für 22 Euro, Koppelschloss 32 Euro, Strickmütze 22 Euro, Zip-Jacke 68 Euro, Anstecker 4 Euro.
In den 1990er Jaren soll das Geld aus der Chapter-Kasse auch für die Uniformen – die nicht gerade kostengünstigen Bomberjacken der Marke „Alpha Industries“ sowie dazu gehörige, gestickte Patches – genutzt worden sein. Damals sollen Mitglieder des Chapter «Sachsen» aus ihrer Gruppenkasse sogar ein Auto unterhalten und Konzertgänge finanziert haben.
Heute werden die Finanzen genutzt, um etwa Auslandsreisen zu unterstützen. So bedankte sich ein führender ungarischer Hammerskin bei allen europäischen Chaptern für deren Hilfe beim Kauf der Flugtickets in die USA, sodass er im Oktober 2011 u.a. am „Hammerfest“ teilnehmen konnte. 25,00 Euro habe jedes Chapter zu dieser Auslandsreise beigesteuert. Eine scheinbar gängige Praxis, denn schon zehn Jahre zuvor bekam der US-amerikanische Hammerskin und Sänger der Band «Code of Violence», Jason Brown, die Hälfte seines Flugtickets aus der europäischen Hammerskin-Kasse bezahlt, als er 1999 das sächsische und Berliner Chapter besuchte.
In Deutschland dürften allein durch Mitgliedsbeiträge jährlich über 30 000 Euro generiert werden – geht man von 120 bis 150 zahlenden Mitgliedern und Prospects aus, bei einem Beitrag von 25 Euro monatlich. Doch neben der „Deutschlandkasse“ und den Chapter-Kassen existieren auch weitere, teils temporäre Geldtöpfe. So habe es eine „Fußball-Kasse“ gegeben, die vom Chapter «Mecklenburg» verwaltet und um die sich Sorgen gemacht wurde, als Sven Krügers Wohnkomplex 2011 durchsucht wurde.
Zur Verfügung steht außerdem eine „Summercamp“-Kasse, die eingeführt wurde, um die Organisatoren des jährlichen Camps der HSN in der Vorfinanzierung zu entlasten. 15 Euro sollen von jedem, inklusive PotN, jährlich im Vorfeld eingezahlt werden. Um 2015 kümmerte sich das Chapter «Lorraine» um die Verwaltung der Kasse und war durchaus unsicher, ob das Geld aus dieser Kasse auch für andere Zwecke entfremdet werden könnte. Denn die portugiesischen Hammerskins waren in diesem Zeitraum knapp bei Kasse, wollten aber gern ein Konzert anlässlich ihres Chapter-Geburtstages vorfinanzieren und schlugen den Franzosen vor, sich die benötigte Summe aus der „Summercamp“-Kasse zu leihen. Schließlich hätten sie diese Kasse einst ins Leben gerufen. Der Großteil der europäischen „Nation“ bewilligte das Anliegen. Nur vom Chapter «Westwall» kam ein „Nein“.
Die Kassen der HSN müssen demnach als „Fond“ bezeichnet werden, aus dem auch CD-Produktionen finanziert werden können. Allein auf Chapter-Ebene haben die Berliner Hammerskins damals 10 000 DM zur Produktion einer strafrechtlich relevanten CD der Band «D.S.T.» beigesteuert, wie den Aussagen eines früheren sächsischen Hammerskins entnommen werden kann. Anders herum nimmt die HSN Gelder über diese CD-Produktionen ein und lässt sich ihr Engagement bei der Organisation von RechtsRock-Konzerten vergüten. 5 000 DM haben die «Hammerskins Sachsen» etwa vom Schweizer Konzertorganisator Olivier Kunz für die Organisation eines Konzertes Ende der 1990er Jahre erhalten, das für die Schweiz geplant war, aufgrund eines Verbots jedoch in den Osten Deutschlands verlegt wurde. Im Jahr 2000 erhielt die HSN wiederum 3 000 DM Ablöse von Jan Werner . Dieser hatte ein Konzert mit «The Bully Boys» in Frankreich organisiert und gehörte zu «Blood & Honour Deutschland». Die US-amerikanische Band bzw. deren Musiker gehörten allerdings zur Gründergeneration der «Hammerskin Nation» in den USA. Sie galten demnach weitläufig als Hammerskin-Band. Mirko Hesse echauffierte sich später darüber, dass es „nur“ 3 000 DM gewesen seien, die Werner an die HSN zahlen musste, um «The Bully Boys» auf einem B&H-Konzert spielen zu lassen.
„Gelder, die durch HS Merchandise generiert werden, sollten zurück in die Nation fließen. Wir brauchen ein eigenes Sozialsystem und dafür brauchen wir Geld.“, erklärten Schweizer Hammerskins Ende der 1990er Jahre in einem Interview. Auch hier wird deutlich, dass sich die Organisation als unabhängige Struktur innerhalb der extremen Rechten sieht, stets mit dem simplen Motto voran: „Hammerskins first“.
Darüber, wie mit den Geldern aus den Musik-Labels verfahren wird, gibt es keine „Rule“ im Regelwerk. Jedoch gelten Labels wie «Wewelsburg Records» oder «Gjallarhorn Klangschmide/Frontmusik» als „integre Szenegeschäfte“, standen bislang nicht in Verruf Gelder veruntreut zu haben und reichen Teile ihrer Gelder zur Unterstützung der Neonazi-Szene weiter. Ob die Labels generell Prozente ihres Einkommens an die Bruderschaft „abdrücken“ müssen, davon ist nichts bekannt. Die „Brüder“ und Label-Chefs Hendrik Stiewe und Malte Redeker sind allerdings so stark mit der Bruderschaft verwoben, dass es auch keine „Prozentregelung“ braucht. Man vertraut sich und arbeitet natürlich mit den Labels für das „Wohl der Nation“, wie in jedem anderen Lebensbereich auch.
Personen wie Redeker sind „Bewegungs-Unternehmer“. Sie haben das Privileg, sich voll und ganz auf ihre Geschäfte fokussieren zu können, Produktionen anzustoßen und Projekte zu fördern. Die internationalen Verbindungen von Redeker als „European Secretary“ der Hammerskins helfen dabei, diese Geschäfte unkompliziert abwickeln zu können. Greifbare Unterstützungsleistungen der Labels gegenüber der HSN finden sich in Sonder-Aktionen. Etwa, als Redeker mit «Gjallarhorn Klangschmide/Frontmusik» Solidaritäts-Shirts für seinen „Bruder“ Robert Kiefer produzierte, bei denen alle Einnahmen in dessen Rechtskampf flossen. Oder als für den damals inhaftierten Hammerskin Sven Krüger Gelder generiert werden mussten und Redeker einen Solidaritäts-Sampler produzierte.
Redekers Leben als Hammerskin ist grundlegend auf die Unterstützung von „Brüdern“ und der „Sache“ aufgebaut. „Support the Cause“ – „Unterstütze die Sache“ – heißt es nicht umsonst auf dem Cover eines Samplers von «Gjallarhorn Klangschmide» aus dem Jahr 2006, dessen Gewinn den Hammerskins zu Gute kam.
Unterstützung eigener Gefangener
Dass Gewalttaten und Repression nicht immer spurlos an der Bruderschaft vorbei gehen, beweisen die zahlreichen Kontaktadressen und Spendenaufrufe für inhaftierte Hammerskins. Als „Prisoners of war“ (POW), wie Neonazis in Haft nicht nur bei den Hammerskins bezeichnet werden, genießen die „Brüder“ mindestens soviel Aufmerksamkeit wie verstorbene Mitglieder.
Sie werden zu Märtyrern, weil sie im Sinne der „Sache“ gehandelt hätten und dabei Körperverletzungsdelikte oder sogar Morde begingen. In der Bruderschaft erwarte man deshalb eine aktive Betreuung der Inhaftierten sowie eine Unterstützung der Familie. Schließlich ist die Möglichkeit, dass sich ein Mensch hinter Gittern in seinen Charakterzügen ändert oder „vom System gebrochen“ wird, relativ hoch und dementsprechend eine Gefahr für die Bruderschaft. Je besser eine Gefangenenhilfe funktioniert, desto weniger ist die eingesperrte Person angreifbar. Denn auch im Knast ist das Gefühl von Gemeinschaft und Solidarität – vor allem bei einer langen Haftstrafe – teils ausschlaggebend für den weiteren Lebensverlauf.
Wenn inhaftierten Hammerskins internationale Solidarität entgegen gebracht wird, kann die Zugehörigkeit und Hingabe zur Bruderschaft verstärkt werden. „Hier drinnen einen Brief zu erhalten macht den Unterschied“ (Übers.d.Verf.), schrieb der 2011 inhaftierte portugiesische Hammerskin Paulo Jorge Correia seinen „Brüdern“. Briefe zu schicken, in engem Kontakt zu bleiben und „einen Bruder wissen zu lassen, dass man an ihn denke“, während er im Gefängnis sitzt, daran appellierte auch Brent Rackley von den «Confederate Hammerkins» 2012 im Forum der HSN. Den PotN seines Chapters teilte er in befehlendem Ton mit, dass sie dem Hammerskin Claude Pultz, genannt „Frank“, „nur einen verdammten Brief schreiben“ sollen, sonst nichts. Er habe anscheinend bisher kaum Post bekommen, stellt Rackley fest und werde sich zum nächsten „Hammerfest“ umhören, wer ihm bis dahin geschrieben hat. „Wenn ihr das nicht gemacht habt, wird es einen Anschiss geben“ (Übers.d.Verf.), droht er den PotN.
Gelder für die Inhaftierten und deren Familien wurden oft in eigener Regie gesammelt. Spenden gehören zwar generell zum guten Ton, aber diejenigen, die im besonders engen Verhältnis mit Gefangenen standen, ergriffen schon früh die Initiative und richteten privat Spendenkonten ein. Die Breite dieser Initiativen wird vor allem am Beispiel des 2011 verhafteten Sven Krüger, Spitzname „Obst“, vom Chapter «Mecklenburg» deutlich. Denn nicht nur hatten seine Berliner „Brüder“ den Soli-Sampler „Jamel scheißt auf den Förster“ produzieren und über Redekers «Gjallarhorn Klangschmide» vertreiben können, auch Hammerskins aus den USA hatten gespendet. Darüber hinaus richteten Hammerskins am 30. Juli 2011 in Jamel ein Solidaritäts-Konzert aus, getarnt als „Dorffest“, auf dem auch eine ungarische Hammerskin-Band spielte und am Ende mehrere hundert Neonazis zusammen trafen – darunter „Brüder“ aus ganz Deutschland.
Mit einer eigenen Rechtshilfeorganisation namens «38Defense» versuchten US-amerikanische Hammerskins diese Art von Zuwendung Ende der 2000er zu institutionalisieren. „Defending the Nation“ heißt es auf T-Shirts der Initiative, die auch heute noch verkauft werden. Wie effektiv die «38Defense» war und wie und ob das Prinzip funktionierte, ist unklar.
Fanzines, das Hammerskin-Forum und der Umgang mit den Medien
Nach außen sichtbar – sei es um die Rekrutierung voran zu treiben, zu ideologisieren, sich auszutauschen oder um eine gemeinschaftliche Selbstdarstellung zu erwirken – nutzten Neonazis besonders in den 1990er Jahren Fanzines. Hefte in mehr oder weniger hoher Auflage, die je nach Organisation und finanziellen Mitteln aufwändig und in Hochglanz oder eben nur als Kopie vertrieben wurden. Überladen mit strafbaren Symbolen, antisemitischen Artikeln und Aufrufen zur Gewalt gab es die Fanzines damals wie Sand am Meer. Nur wenige überlebten den Umbruch ins digitale Zeitalter.
Demnach finden sich in Archiven auch Fanzines, die explizit aus den Federn der Hammerskins stammen sowie Publikationen, die sich nah an der Bruderschaft verorten lassen. Zu letzterem gehört das «Resistance Magazine» aus den USA, dass 1995 eine Auflage von 13 000 Heften gehabt haben soll. Gespickt mit Berichten von Aufmärschen, CD-Reviews und Texten zu Ideologie, Artglauben und ähnlichem, fällt vor allem der Bezug zu den Hammerskins auf. Sei es in Interviews oder Konzertberichten, die HSN wird gelobt, gefeiert und präsentiert. Dies mag letztlich auch daran liegen, dass in vielen der populären RechtsRock-Bands Ende der 1990er in den USA Hammerskins mitwirkten und die HSN im Konzertgeschehen eine bedeutende Rolle einnahm. Dennis Dent etwa, Sänger der US-amerikanischen NS-Hardcore-Band «H8Machine», bekommt in einem Interview im «Resistance Magainze #13» nicht nur die Möglichkeit seine Band zu bewerben, sondern kann auch ausführlich die HSN anpreisen. Ähnliches kann in Interviews mit Hammerskin-Bands wie «The Bully Boys» oder «Intimidation One» festgestellt werden. Das US-amerikanische Magazin, welches bis Mitte der 2000er Jahre produziert wurde, kann demnach als Plattform gewertet werden, der sich die Hammerskins bedienten und damit auch in die europäische Szene wirkten.
„Die neue Ausgabe der Hass Attacke, dem offiziellen Magazin der sächsischen Hammerskins ist draußen“. So bewirbt Mirko Hesse um 1997 die siebte Ausgabe seines Heftes. Die «Hass Attacke», kurz HA, dürfte eines der wenigen Publikationen deutscher Hammerskins sein, die weltweit Beachtung erlangten. Kaum ein Magazin aus dieser Zeit verweist nicht auf Hesses Heft und auch in der HA selbst sind dutzende Kontaktadressen zu Hammerskin-Publikationen und Kontakten zu einzelnen Chaptern abgedruckt. Dabei durchmischt Hesse im Heftinhalt Subkultur, menschenverachtende Ideologie und sein Leben als Hammerskin. „92 Seiten, Vollfarbcover, Interviews etc.“, heißt es in einer Werbeanzeige für die sechste Ausgabe. Er wollte Professionalität ausstrahlen und Heften wie dem «Resistance Magazine» in nichts nachstehen.
Der Name des Heftes selbst sei eine Kampfansage, wie er in einem Interview erklärt: „Hass ist das, was wir alle in unseren Herzen und Köpfen tragen und wir mögen es unsere Feinde anzugreifen, also ist der Name ein gutes Wortspiel und die Initialien sind H.A. wie A.H., wenn du weißt was ich meine.“ (sic!) Mit „A.H.“ dürfte hier Adolf Hitler gemeint sein. Bis Ende der 1990er Jahre veröffentlichte er sieben Ausgaben der «Hass Attacke». Neben der HA produzierten Hammerskins des Chapter «Sachsen» ebenfalls die Hefte «Victory» und «Victory Or Valhalla».
Neben der HA als vormals wichtigstes Sprachrohr der HSN in Deutschland, kursierten in den 1990er Jahren aber auch weitere deutsche Hammerskin-Fanzines. So produzierte das Berliner Chapter bis zur Jahrtausendwende unter dem Namen «Wehrt Euch!» um die zehn Ausgaben, die nur so vor strafbaren Inhalten strotzten. Man nutze das Heft als Kommunikations-Medium, etwa um sich mit den Brandenburger Hammerskins, die zu der Zeit das Fanzine «Hammerskin» heraus brachten, zu verständigen.
Das Chapter «Mecklenburg» brachte wiederum um 2000 ein Heft namens «Crossed Hammers» heraus. Auch hier wurden die Seiten vordergründig mit NS-verherrlichenden Inhalten gefüllt. Die eingestreuten CD-Besprechungen irritieren teilweise, denn in der Machart erscheint das Fanzine eher als politisches Pamphlete, als eine Publikation der rechten Skinhead-Subkultur. Das Heft «Warhead» der «Hammerskins Nordmark» aus dem Raum Lüneburg wird einem klassischen Fanzine da schon eher gerecht und verspricht um 1997 „eine Mixtur aus Musik&Politik“. Die Neonazis des nahen Chapter «Bremen» wirkten hingegen an einem Fanzine mit dem Namen «Der Skinhead» mit.
Das, was heute das Internet übernimmt, fand damals in den Heften statt: Einblicke in die rechte Szene weltweit und die Möglichkeit zur Kontaktaufnahme. „Szeneberichte“, die in den Heften der HSN natürlich von Hammerskins geschrieben wurden und dementsprechend eindimensionale Eindrücke lieferten. „Der Patrick von den Northern HS/Kanada liefert uns einen guten Szenebericht. Lobenswert ist die gute Fotoqualität“, heißt es so 1996 in einer Fanzine-Kritik über das Hammerskin-Heftes «Warhammer» aus der Nähe von Fulda.
Nicht als Heft eines Hammerskins gegründet, sich aber dahin entwickelt, hatte sich das «Donnerschlag Zine» von Malte Redeker. Der „European Secretary“ der HSN verzog Ende 1994 nach Mexiko, von wo aus er das Heft erstmals 1996 heraus brachte. So wie er seine Lebensmittelpunkte über die Jahre verlagerte, verzog auch die Adresse des Heftes. Mit der Rückkehr nach Europa 1999 erst nach Spanien und kurze Zeit später in die Schweiz. 2002 erschien die achte und letzte Ausgabe des Heftes. Um 1994 hatte er maßgeblich das Heft «Deutsche Zukunft» aus Schleswig-Holstein vertrieben. Auch schrieb er etliche Leserbriefe in den Fanzines «Victory» und «Hass Attacke». Für letzteres steuerte er in der sechsten Ausgabe sogar einen Bericht über die Neonazi-Szene in Mexiko bei. Mirko Hesse seinerseits offerierte Redeker, dass er den „Exklusiv Vertrieb“ des «Donnerschlag Zine» in Deutschland übernehmen könne. Für Redeker war die Korrespondenz mit Hesse und die Herstellung seines eigenen Fanzines eine wichtige Referenz im Werdegang zum Hammerskin. Dass er etwa einen Brief von Liz Tarrant, eine der Gründungsfiguren der HSN aus den USA, in der Nr. 2 seines Heftes übersetzt abdruckte und auch sonst gern positive Bezüge zur HSN herstellte, dürften für eine Aufnahme in die „Nation“ durchaus Einfluss genommen haben. Den Ruf, den er sich als „Malte vom Donnerschlag“ auch außerhalb der Bruderschaft erarbeitete, scheint ihm bis heute von Nutzen zu sein. Denn obwohl es das «Donnerschlag Zine» schon etliche Jahre nicht mehr gibt, findet sich die Mailadresse des Heftes – ds_zine @ yahoo – aktuell immer noch als Kontaktadresse für konspirative RechtsRock-Konzerte in Deutschland.
Mit Blick auf die Neonazi-Szene der 1990er Jahre außerhalb Deutschlands, findet sich ebenso eine Fülle von Fanzines, die aus der Feder führender Hammerskins stammen, an denen Hammerskins mitgewirkt haben oder die sich als Supporter der HSN verstehen. Um 1990 etwa das Heft «Totenkopf» aus der Schweiz, über das Herausgeber Patrik Iten den Kontakt zu den Hammerskins in den USA herstellte und dadurch die HSN nach Europa brachte. Ferner existierten in der deutschsprachigen Schweiz die Hammerskin-Hefte «Berserker» und «Hammer» sowie in der französischsprachigen Schweiz die Hefte «Mjölnir» und «Race & Nation».
Auch in anderen Chaptern Europas gehörte die Produktion von Fanzines zum Alltagsgeschäft. Italienische Hammerskins brachten das «Assalto Sonore» heraus, das spanische Chapter das «Séptima Legión» und die Briten das «Saxon». In Tschechien gab es die Fanzines «New Order/Novy Rad», «Fenix» und die «Hammer News», während slowakischen Hammerskins am «White Victory» mitwirkten. Fernab fand man außerdem das Fanzine «Hammer» der «New Zealand Hammerskins», welches auch in Europa seine Verbreitung fand.
In den USA nutzen die Hammerskins nicht nur Formate wie das «Resistance Magazine», sondern produzierten eigene Hefte wie das «We are the law». Als wichtigste internationale Publikation der HSN aus den USA galt jedoch die «Hammerskin Press». Für jeden abrufbar, umfasste der Inhalt vor allem Interviews und Konzertberichte, aber auch Interna der Bruderschaft. Das Heft hatte Newsletter-Charakter und fand ab Ende der 1990er Jahre seine Verbreitung über Fax und E-Mail. Die Mitwirkenden der «Hammer Press» wechselten über die Jahre, wie auch die Ansprüche. „Der ‚Geist‘ des Magazins ist es, als Nation zusammen zu arbeiten und das Zine zur Geltung zu bringen…Es ist ein Schaukasten für uns und unsere Talente. Geschweige denn unserer Eigenständigkeit und unserer Fähigkeit eigene Medien zu schaffen und zu erhalten (…) ich glaube wirklich dass es an der Zeit ist, diese Möglichkeit zu ergreifen und das beste White Power Skinhead Zine in der Geschichte zu produzieren!!!“ (Übers.d.Verf.), teilte Matthew Schmoyer seinen „Brüdern“ im «Crew 38»-Forum 2010 mit. Das Heft war vormals in kurzen Abständen erscheinen, zuletzt nur noch online, bis um 2010 die «Hammerskin Press» wieder belebt werden sollte. Europäische und australische Hammerskins schickten dafür Berichte und Bilder zu den «Western Hammerskins» (WHS) und vor allem Hendrik Stiewe – damals Mitglied beim Chapter «Bremen» – bot an, bei Design und Druck unter die Arme greifen zu können. Er habe einen „loyalen Drucker, der einer von uns ist“, ließ er die anderen wissen. Damit dürfte er Bernd Christoph von „Lithographix“ gemeint haben, der für Stiewes «Wewelsburg Records» regelmäßig Druckaufträge erledigte.
Zum Problem wurde damals nur, dass der beauftragte „Bruder“ der WHS keinen funktionierenden Computer besaß. „Ich helfe aus“, warf Wade Michael Page im Oktober 2011 ein, man solle ihm die Artikel zu schicken. Sei es durch die Aufmerksamkeit von Pages Attentat auf eine religiöse Stätte der Sikh im August 2012 oder aufgrund interner Verschiebungen: die «Hammerskin Press» kam zu diesem Zeitpunkt nicht ans Licht, zumindest nicht im öffentlichen Raum.
„Keine Presse….wir sind Hammerskins! (…) Wir geben keine Interviews. Unsere Angelegenheiten sind nicht ihre Angelegenheiten. Sag ihnen (…) sie sollen sich verpissen!“ (Übers.d.Verf.) waren Antworten auf die Frage, ob auf Interviewanfragen der Mainstreampresse eingegangen werden soll.
Solche Anfragen kamen spätestens auf, nach dem die Hammerskins entdeckt hatten, wie viele Vorteile eigene Webseiten haben können. Mirko Hesses sächsisches Chapter dürfte dabei einer der ersten in Europa gewesen sein, der laut eigener Beschreibung um 1996 die „erste deutsche nationalsozialistische- und Hammerskin-Seite der Welt“ (sic!) ins Netz stellte. Die US-amerikanischen Hammerskins hatten dafür einen Domain reserviert, auf der auch die Kategorie „Germany“ gelistet war. Betrieben wurde die Haupt-Seite von Dennis Dent, dem Sänger der Band «H8Machine», wie er selbst in einem Interview 2001 Preis gab. Auch Schweizer Hammerskins, wie die Franzosen, verwalteten eine eigene Seite.
Mit der Abschaltung der „hammerskins.com“-Domain Mitte der 2000er Jahre folgte der Neuaufbau einer internationalen Seite. Dort wurde über die Geschichte der HSN, Kontaktmöglichkeiten zu den „Chaptern“ und Konzertankündigungen berichtet sowie ein Link zum «Crew38»-Forum angeführt. Hammerskins aus der ganzen Welt, PotN, «Crew38»-AnhängerInnen und UnterstützerInnen tauschten sich dort bis etwa 2017 aus. Als Administrator trat der Hammerskin Peter Mitchell Gaughenbaugh aus Florida (USA) auf, der nicht nur für das neonazistische Label «Antipathy Records» verantwortlich ist, sondern eben auch Chef der Computer-Firma „IT Professionals of Florida Inc“.
Heute findet sich keine der genannten Seiten mehr im Netz. Einzig die «Southern Cross Hammerskins» bedienen sporadisch ihre Webseite.
„Zu viele von unseren Brüdern, Freunden und/oder Mädchen unterschätzen unseren politischen Gegner. In Ländern wie Schweden, Deutschland, Schweiz etc. haben wir ernsthaft Ärger mit den Antifas. Normalerweise sind sie keine persönliche Bedrohung für uns, sondern gehen uns auf die Eier. Sie nutzen Facebook gegen uns, entnehmen persönliche Informationen und sammeln Bilder von uns um diese gegen uns zu verwenden (…)“, erläuterte Malte Redeker 2011 in seiner Funktion als „European Secretary“ dem internationalen Netzwerk die Nachteile der Nutzung von Facebook und Co. „Wir sollten ein Statut beschließen, das besagt dass du im bad-standing rausgeworfen wirfst, wenn du dieses verdammte Facebook nutzt“ (Übers.d.Verf.), gab im selben Jahr ein französischer Hammerskins seinen „Brüdern“ zu bedenken.
Einige Hammerskins besitzen bis heute keinen Facebook-Account, noch haben sie Profile bei Instagram. Andere, die in den sozialen Medien aktiv sind, scheinen sehr bedacht keine Rückschlüsse auf ihre Mitgliedschaft zu geben. Ein kleiner Teil der NutzerInnen solcher Plattformen posiert wiederum großzügig mit den Insignien, Grüßen und Personen der HSN. Eine einheitliche Linie im Umgang mit Social Media scheint es demnach nicht zu geben.
So wie die Webseiten klanglos abgeschaltet wurden, fanden auch die Fanzines spätestens in den ersten Jahren nach der Jahrtausendwende ihr Ende. Es findet sich jedoch ein Online-Fanzine aus den USA namens «Violent Victory», dass zwischen Sommer 2017 und 2018 insgesamt vier Ausgaben herausbrachte und aus den Federn der «Western Hammerskins» um Matt Branstetter stammt.
Die heute produzierten Fanzines sind ein Produkt der Nostalgie, ein Blick zurück in die „guten alten Zeiten“ der Skinhead-Subkultur. Und tatsächlich nutzt die Subkultur der rechten Szene diese Form der Publikation, auch weil der Skinhead-Lifestyle seit ein paar Jahren eine kleine Renaissance feiert. Bemerkenswert ist dabei, dass die Hammerskins mit ihrem Skinhead-Dasein genau dort ansetzen. Ein „Onkel Orle“, gemeint ist Daniel Orlewicz von den «Hammerskins Franken», wird etwa auffällig oft im Heft «For the love of Oi!» genannt. Der Herausgeber und Orlewicz seien gemeinsam auf Konzerten unterwegs und auf Fotos dieser Veranstaltungen, die im Heft abgedruckt wurden, scheut sich Orlewicz nicht seine „Hämmer“ zu präsentieren. Heute ist er als Gastautor im Heft tätig.
„Ich kam in den besonderen Genuss dieses kleine Heftle zu lesen…Aber nur weil Herausgeber Orle ein Kumpan ist…Anderen bleibt die Gazette leider verwehrt, da sie nur für Leute der HSN gedacht ist (…)“, schreibt Andreas Moos, Herausgeber des «For the love of Oi!» in einem Review zum Debut des Fanzines «Hör mal wer da hämmert». Warum Einblicke der Öffentlichkeit verwehrt werden wird schnell klar, denn kaum ein Artikel im Heft dreht sich nicht um das Innenleben der Bruderschaft: Berichte zu Chapter-Ausflügen, der Geschichte der sächsischen Hammerskins, über offene Clubabende und zum „Summercamp“ der HSN.
Ebenso wenig Einblicke in den Inhalt wird die Öffentlichkeit in das «Hammerskin Yearbook» bekommen. Heute im Hochglanz-Format gedruckt wird dieses in regelmäßigen Abständen seit Ende der 1990er Jahre heraus gegen und ist nur Vollmitgliedern vorbehalten. Es liest sich wie eine Jahres-Chronik, in der – zumindest in den Anfangsjahren – auf die unterschiedlichen Treffen und Zusammenkünfte der HSN eingegangen wird, geschmückt mit dutzenden Bildern, Tattoos und reichlich Interna. Mittlerweile erscheint das «Hammerskin Yearbook» unter Rücksichtnahme der wachsenden staatlichen Repression: Gesichter sind verpixelt und strafbare Inhalte wurden retouchiert.
Musik und Business
Musik hat für die Hammerskins eine hohe Bedeutung. Die Lieder sind Träger ihrer Botschaften, fordern zum Kampf für die „weiße Rasse“ auf und erzählen von angeblichen Helden und Märtyrern der nationalsozialistischen Bewegung damals und heute. Ihre Konzerte sind Orte der Gemeinschaft und der Vernetzung, hier macht sich die HSN für den Rest der Szene erfahrbar. Und schließlich geht es auch um Geld, dass mit CDs und Konzerten verdient wird. Die Verankerung der Hammerskins im Musikbereich erklärt sich aus der Geschichte der extrem rechten Skinheads. Im Milieu, in dem die Hammerskins entstanden, war Musik stets ein wichtiges Mittel sich auszudrücken, sich als Mann, Skinhead, Nationalist und Kämpfer darzustellen. Die Skinhead-Kultur wurde zum „Way of Life“, zum „Kult“. Sie ist der Bezugsrahmen und der Resonanzraum der Hammerskins, wenngleich viele von ihnen nicht mehr erkennbar als Skinheads auftreten.
Botschafter und Repräsentanten – die Musik der Hammerskins
Die Hammerskins legen großen Wert auf ihr Standing in der RechtsRock-Szene. Vor allem dort wollen sie anerkannt werden. Über die Jahre erschienen etliche Musikproduktionen, mit denen sich die Hammerskins national und international präsentierten. International war es der 1994 erschienene Sampler mit dem programmatischen Namen „Hammerskin Nation“ auf dem die US-amerikanischen Bands «Bound for Glory», «Max Resist», «Nordic Thunder» und «Bully Boys», allesamt zu diesem Zeitpunkt etablierte und angesagte Bands der Szene, die Hammerskins bekannt machten.
Die CD „White Nation“ aus der Schweiz stellte 2002 die europäische Szene vor, eine weitere namens „Hammerfest 2009“ dokumentiert ein Hammerskin-Konzert in Mailand im Jahr 2009. Der Sampler „Murder City Hammerfest 2010“ trägt den Untertitel „White Brotherhood Woldwide“ und enthält Lieder von Bands aus den Niederlanden, Brasilien, Frankreich, Deutschland, den USA und Ungarn, die „weltweite weiße Bruderschaft“ repräsentieren sollen.
Deutsche Hammerskins produzierten zwischen 2003 und 2020 acht Sampler, die vor allem der Selbstdarstellung, der Heldenstilisierung in eigener Sache und der Beschwörung des Zusammenhalts dienen. Beim Sampler „Support The Nation – Live in Franken“, der 2006 auf dem deutschen Hammerskin-Label «Wewelsburg Records» erschien, handelt es sich um den Mitschnitt des „Support the Nation“-Konzertes bei Würzburg am 17. Juli 2005, dass als das deutsche „Hammerfest“ wahrgenommen wurde. Auf dem Cover prangt das Symbol der «Crew 38». Auf diesem Konzert standen Bands aus den USA, Italien, Ungarn, Portugal und Deutschland auf der Bühne. Es verdeutlicht die internationale Vernetzung der HSN, die in der Lage waren Bands aus fünf Ländern zu einem Konzert zusammen zu bringen.
Vier Jahre später erschien die CD „Support the Nation“ aus Anlass des 10-jährigen Bestehens des Chapter «Franken». Auf einem verschwommenen Bild im Booklet präsentieren sich deren Mitglieder. Im Intro mit dem Titel „Alles Gute zum Geburtstag“ wird Adolf Hitler gehuldigt. Mit dieser CD verdeutlicht man sich und der Szene: Wir, die «Hammerskins Franken», sind etwas Etabliertes und Beständiges. Die auf der CD vertreten Bands kommen aus dem eigenen Netzwerk: «Brüder zur Freiheit», «Untergrundwehr», «White Rebel Boys» und «Eskalation» aus Bayern, «The Slapguns» und «Dissidenten» aus Baden-Württemberg und die schon bekanntere Hammerskin-Band «Hetzjagd» aus Bremen.
2020 erschien dann die CD „Bruderschaft 20 Jahre HSF“. Dieser Sampler unterscheidet sich von dem vorherigen dadurch, dass er nur intern gehandelt wurde. Das erste Lied trägt den programmatischen Titel „We are Hammerskins“, des Weiteren sind auf der CD „Sieg Heil“-Rufe zu hören. Die CD dient eher der Festigung des Bundes nach innen und der Stilisierung als die ganz Harten, als der Werbung in der breiten Szene.
Jedoch gelingt nicht alles, was in den Reihen der HS produziert wird. So hieß es zum 2017 erschienenen Sampler „Hessen Skins“ in einer Besprechung in einem rechten Fanzine: „Als erstes: Ich finds scheiße die CD so zu betiteln obwohl nicht eine Kapelle aus Hessen stammt (…) und das nur damit das Kürzel HS entsteht…“. Außerdem wird die Aufmachung bemängelt, da der Sampler kein mehrseitiges Booklet, sondern nur einen einseitigen Einleger hat. Dass es sich um einen Hammerskin-Sampler handelt, wird schon beim Blick aufs Cover deutlich. Die Buchstaben H und S bei „Hessen Skins“ sind farblich und vom Schrifttyp herausgehoben. Jene, die selbst das nicht verstehen, verdeutlicht der Titelsong „HFFH“ des niederländischen Liedermachers Harm-Jan Smit wer hinter der Platte steht. Der vom Hammerskin Daniel Orlewicz aus Petersberg bei Fulda veröffentlichte Sampler fand in der Szene wenig Anklang, obwohl mit «D.S.T.», «Spreegeschwader» und «Hermunduren» bekannte Bands aus dem Netzwerk der Hammerskins vertreten waren.
Mystifizierung der Hammerskin-Helden
„Tribute To Hammer Joe Rowan“ lautet der Titel eines 2006 erschienenen Samplers. Es handelt sich um den Mitschnitt eines von den Hammerskins organisierten „Joe Rowan Memorial“-Konzertes am 31. Dezember 1994 in den USA. Joe Rowan ist einer der Helden der Hammerskins, der ihrer Erzählung nach im Kampf für die Bewegung und die „weiße Rasse“ gefallen sei. Eine Bewegung wie die Hammerskins braucht die Selbstmystifizierung durch den heroischen Opfergang und die Verehrung der Märtyrer.
Die bekanntesten der „gefallenen Helden“ der Hammerskins sind Eric Banks und Joe Rowan. Banks, der erste Sänger der US-Band «Bound for Glory», wurde am 1. Januar 1993 von einem antirassistischen Skinhead erschossen. Joe Rowan war Sänger der Band «Nordic Thunder». Nach einem neonazistischem Konzert am 1. Oktober 1994 beleidigte er in einem Ladengeschäft anwesende Personen rassistisch, es kam zu einer Auseinandersetzung, bei der Rowan getötet wurde.
Beiden zu Ehren existieren eine Reihe von Tonträgern und einzelnen Liedern. Im Booklet des von den «Hammerskins Franken» 2010 veröffentlichten Samplers „Support The Nation“ findet sich eine mit „Brotherhood Forever“ überschriebene Gedenkseite, welche neben Rowan und Banks zwölf weitere verstorbene Hammerskins aufführt.
Auch wenn er nicht im Rahmen einer politischen Auseinandersetzung, sondern bei einem Motorradunfall im Juli 2013 zu Tode kam, wurde dem zum Chapter «Bayern» gehörende Maximilian Reichel ebenfalls mit einem Sampler geehrt. „In Gedenken an Hammer Max“ hieß der 2015 bei «Wewelsburg Records» veröffentlichte Tonträger. Der Werbetext des Labels betont:
„Durch ein tragisches Unglück im Sommer 2013 verstarb der deutsche Hammerskin Max in Bayern. Ihm zu Ehren haben Künstler aus aller Welt, die ihm und der Hammerskin Nation verbunden waren und sind, ein Gemeinschaftswerk produziert. Auf diesem Sampler findet ihr überwiegend exklusive Titel, die extra für diesen Sampler eingespielt worden sind. (…) International ist von Nord-und Südamerika über Europa und Australien also jeder Kontinent vertreten, auf dem Max Hammerskinbrüder und Kameraden hatte.“
Allein die Aufzählung der Kontinente soll die Verbreitung und Bedeutung der Hammerskins betonen.
Solidarität und Zusammenhalt
„Der Rechtskampf kostet Geld, die Angehörigen brauchen Geld und was lag näher als eine Benefiz CD mit renommierten Gruppen aus dem HS Umfeld zu produzieren und den Erlös der guten Sache zukommen zu lassen“ heißt es in der Werbung des 2004 beim Label «Gjallarhorn Klangschmiede» erschienen Samplers „Status Quo Germania – Hammerskin Nation“. Zuvor waren in den USA wichtige Hammerskins zu Haftstrafen bis zu 60 Jahren verurteilt worden. Die Gewinne aus dem Verkauf des Samplers sollten dazu beitragen, eine Berufungsverhandlung zu finanzieren. 2004 erschien ebenfalls der Sampler „Support The Nation – HFFH“. In Booklet heißt es „Diese CD ist ein HSN-Projekt. Ziel ist es inhaftierte Kameraden und Brüder zu unterstützen, welche langjährige Haftstrafen wegen unserer heiligen Sache erwartet. Als Bruderschaft ist es unserer Pflicht in Zeiten der Not zu helfen.“
Auch mit dem 2010 erschienenen Tonträger „Support the Nation – Signs of Revolution“ wurde Geld gesammelt. Beworben wurde die CD mit: „Der eine Teil des Erlöses geht an verurteilte Kameraden welche wegen ihrem ‚Freien Wort‘ zu hohen Geldstrafen verdonnert wurden. Ein anderer Teil für die Familien inhaftierter Kameraden. Solidarität ist eine Waffe.“
Das Sammeln von Geld über „Solidaritäts“-CDs hat bei den Hammerskins Methode. Es dient auch dem Zweck, das Bild einer Gemeinschaft zu vermittelt, in der man fest zueinander stehe. Das gilt auch dann, wenn jemand „Mist gebaut“ habe. So steht es im Booklet des Samplers „Jamel scheißt auf den Förster“, der 2012 beim Label «Gjallarhorn Klangschmiede» erschien.
Hintergrund war die Inhaftierung von Sven Krüger aus Jamel, dem führenden Hammerkin des Chapters «Mecklenburg». „Liebe Kameraden, Freunde und Mitstreiter, es wird Zeit mich bei euch zu verabschieden. Meine Galgenfrist ist verstrichen und eine lange, dunkle Zeit bricht für mich und meine Familie an. Heute, den 3. November, trete ich meine Haftstrafe von 4 Jahren und 3 Monaten an. Selbst nach Abzug der bereits verbüßten 6 Monate U-Haft, verbleiben noch gute 45 Monate, bis die Sache ausgestanden ist“ schreibt Krüger im Booklet des Samplers.
Krüger war wegen Hehlerei und illegalem Besitz von Schusswaffen verurteilt worden. Die Polizei hatte 2011 bei einer Hausdurchsuchung unter anderem eine Maschinenpistole, 2000 Schuss Munition und gestohlene Baumaschinen gefunden. Krüger nutzte seine Abschiedsworte zur pathetisch-schwülstigen Überzeichnung seiner „Bruderschaft“:
„Ich habe die Ehre und das große Glück, einer Gemeinschaft anzugehören, welche den Einzelnen nicht im Stich läßt, wenn er in Not gerät. Mein schwerer Gang fällt mir um einiges Leichter weil ich weiß, das ich mich auf euch verlassen kann. In meinem Leben habe ich schon viele Schwätzer von zusammenhalt und Treue schwadronieren hören. Diese Maulhelden waren dann auch als erstes weg wenn es ernst wurde. Bei uns ist das anders. Eine gläubige Gemeinschaft freier Menschen steht hinter meiner Familie und mir. Darum kann ich mit Fug und recht behaupten, trotz Tod und Teufel, uns schlägt niemand klein.“ (sic!)
Der Sampler ist nicht nur Propaganda für die Hammerskins, sondern auch eine Feindmarkierung. Im Forsthaus in Jamel wohnt das Künstlerehepaar Lohmeyer, die sich seit Jahren gegen die Neonazis im Dorf engagieren. Seit 2007 veranstalten sie jährlich das Festival „Jamel rockt den Förster“. 2015 brannte die Scheune des Ehepaars ab. Der Grund: Brandstiftung, TäterInnen wurden nicht ermittelt. Auf dem Sampler „Jamel scheißt auf den Förster“ sind Hammerskin-Bands wie «Hetzjagd» und «White Rebel Boys» vertreten, gleich vier Lieder hat «Die Lunikoff Verschwörung» beigetragen. Die Band ist eine der bekanntesten RechtsRock-Bands in Deutschland. Dass auch sie sich für Sven Krüger engagierte, steigert den Verkauf und hebt die Popularität der Hammerskins.
Lautsprecher der Bruderschaft – Hammerskin-Bands
Als in der dritten Ausgabe der sächsischen Hammerskinzeitschrift «Hass Attacke» im Jahr 1994 die Hammerskins vorgestellt wurden, hieß es: „Nicht zuletzt konnte die Idee durch bekannte Hammerskinbands wie Bound For Glory, oder Max Resist etc. verbreitet werden“. Für die HSN haben die ihr zugehörigen Bands eine hohe Bedeutung. Ihre Bandmitglieder, zumeist die Sänger, sind oftmals bekannte Persönlichkeiten in der Szene.
Dabei ist die Kategorisierung einer Band als „Hammerskin-Band“ oft schwierig. So schrieb ein deutscher Fanzinemacher über die CD „Battle Legions of Wotan“ der kanadischen Band «Odins Law» von 1997: „Ein wirkliches ‚Hammer‘-album im wahrsten Sinn des Wortes, da die Jungs ja Hammerskins sind“. Doch selbst wenn Bands in der Werbung oder in Szeneberichten als „Hammerskin-Bands“ benannt werden, ist nicht immer klar was das bedeutet.
Wann ist eine Band eine Hammerskin-Band? Im engen Sinne nur dann, wenn sich die Band klar und eindeutig zur HSN bekennt und die HSN zu der Band.
Die kanadische Band «White Riot» schrieb über sich selbst: „Wir sind alle stolz darauf, Hammerskins zu sein“. Der Sänger der US-Band «Dying Breed» hingegen äußerte „obwohl wir als HS-Band bekannt sind, bin ich der einzige Hammerskin in der Band.“ Und der Sänger der ungarischen Band «Vérszerzödés» antwortete auf die Frage, ob seine Band eine Hammerskin-Band sei:
„Ich bin der einzigste Hammerskin in der Band, aber wir spielen Lieder über die HSN und spielen oft auf von der HSN organisierten Konzerten. Wenn uns dies zur HS-Band macht, dann sind wir eine. Aber das heißt nicht dass wir nur für Hammerskins spielen, wir spielen ja auch des Öfteren für andere befreundete Organisationen.“
Hammerskin-Bands treten natürlich dadurch hervor, dass ihre Liedtexte mehr oder weniger eindeutig Bezug auf die Hammerskins nehmen. So textete die Berliner Band «Deutsch Stolz Treue»:
„Eine verschworene Gemeinschaft hält sie am Leben, alles für den Bruder mit Herz und Seele geben. Respekt, Treue, Ehre, die 14 words im Blut, der ewige Kampf für das reine Erbgut“, der Refrain lautet: „Hammerskin-Nation“. Die Band «Endlöser» aus Bremen formuliert plakativ „White victory we march on and on. The best of all, the chosen one, Hammerskins united, we march on.“
Wenn man das Line-up von Konzerten ansieht, die Hammerskins organisierten, sticht ins Auge, dass bestimmte Bands oder Liedermacher immer wieder in diesem Rahmen auftreten, und dass bestimmte Bands und Musiker oft von weither anreisen, um auf eher kleinen und internen Hammerskin-Events zu spielen. Häufig sind es die gleichen, die auf den von Hammerskins produzierten Samplern vertreten sind. Die Frage, ob nun deren Bandmitglieder auch Mitglieder der HSN sind, ist nicht entscheidend: Es sind Bands und Musiker, die zum Netzwerk der Hammerskins gehören.
Ausgangspunkt USA
Das erste gepresste Bekenntnis zu den Hammerskins war die schon erwähnte Kompilation „Hammerskin Nation“ aus dem Jahr 1994, deren Cover ein Hakenkreuz zeigt. In dessen Zentrum sind die gekreuzten Hämmer abgebildet. Die auf dem Tonträger vertretenen Bands waren bzw. sind allesamt bekannte Bands, die sich durch die Veröffentlichung, durch Aussagen in Interviews und durch Auftritte zu den Hammerskins bekannt hatten.
In den frühen Jahren der HSN war es eine Handvoll US-amerikanischer Bands, die zu jeder sich bietenden Gelegenheit betonten, wie toll und wichtig die Hammerskins seien. Es waren vor allem die Bands «Max Resist», «Bound for Glory», «Bully Boys», «Intimidation One» und die «Blue Eyed Devils». «Max Resist» wurden 1989 unter dem Namen «Hakenkreuz» gegründet. Die Band um ihren Sänger Sean Suggs textete in ihrem Song „Hammer Skin“ von 1997: „All eyes are upon you, you’re ahead of your time, you’re a nation in exile, Hammerskins on the rise. fighting for racial freedom, the salvation of your kind, nothing can deter you, Hammerskin nation rise.“ (Alle Augen sind auf euch gerichtet, ihr seid eurer Zeit voraus, ihr seid eine Nation im Exil, Hammerskins sind auf dem Vormarsch, kämpfen für die Freiheit eurer Rasse, die Rettung eurer Art, nichts kann euch aufhalten, die Hammerskin-Nation steigt auf.“) (Übers. d. Verf.)
Ebenfalls 1989 gründete sich in Minnesota die Band «Bound for Glory», die harte, metal-lastige Musik spielte und zu einer der weĺtweit bekanntesten RechtsRock-Bands wurde. Mehrere ihrer Mitglieder, darunter der Sänger Ed Wolbank, schlossen sich 1990 den Hammerskins an. Wolbank wurde in den 1990er Jahren Anführer der «Northern Hammerskins» in Minnesota.
Die neonazistische Internetzeitung «Frontmagazin» erzählte 2017 die Geschichte der «Bully Boys», der „Skinhead Superstars“. Die Band bestand schon seit 1983. Zur Bandbesetzung zählte unter anderem Sean Tarrant, der 1988 die Hammerskins gründete. Auch ihr Sänger Scott Lessing wurde bereits 1988 Hammerskin und wegen im Jahr 1990 begangener schwerer Körperverletzung mit einer Waffe anschließend zu 8 Jahren Gefängnis verurteilt.
Es waren die US-amerikanischen Bands, die die Hammerskins nach Europa brachten, zunächst (1990) in die Schweiz und kurz darauf nach Deutschland. «Intimidation One» oder die «Blue Eyed Devils» spielten einen wesentlich härteren Sound als die Bands in Europa. Sie waren vom Hardcore-Punk inspiriert, während die europäischen Bands im wesentlichen Oi-Musik machten. Der Hardcore faszinierte viele Neonazis in Deutschland und brachte neue Stilelemente und eine neue Ästhetik mit sich: Stage-Diving, Crowd-Surfing, Bühnenshows.
Die US-Neonazi-Bands tourten in den 1990er Jahren quer durch Europa. Zu ihren meist von den Hammerskins organisierten Konzerten kamen in der Regel besonders viele BesucherInnen, 500 oder 1000 waren keine Seltenheit. Das führte dazu, dass sich die Idee der Hammerskins schnell verbreitete, sich diese als Veranstalter von guten Konzerten profilierten und einiges an Geld in die Kasse der Hammerskins floss.
Heute existieren in vielen Ländern Bands, die sich als Hammerskin-Bands bezeichnen, die in der Szene als Hammerskin-Bands wahrgenommen werden oder deren Musiker Mitglieder der «Hammerskin Nation» sind. Zu den bekanntesten gehören «Fortress» aus Australien, «Malnatt» aus Italien, «Definite Hate» und «H8Machine» aus den USA, «Marder» aus Finnland, «Frakass» aus Frankreich und «Vérszerzödés» aus Ungarn.
Hammerskinbands in Deutschland
Die erste deutsche Band, die als Hammerskin-Band auftrat, war «Freikorps» aus Schleswig-Holstein um Kai Stüwe und Oliver Klapmeier, die sich Mitte der 1990er Jahre dem Chapter «Nordmark» anschlossen. «Freikorps» war in den frühen 1990er Jahren eine der angesagtesten Bands der Neonaziszene und produzierte eine Vielzahl an CDs.
Eine Aussage in einem Interview im «Warhammer»-Fanzine mit dem schwedischen «Nordland»-Magazin aus dem Jahr 1996 zeigt, wie damals die Werbung für die Hammerskins funktionierte: „Ich weiß nicht so viel über Hammerskins, aber die, die ich kenne wie Ed oder BFG (Bound For Glory) oder Kai von Holsteiner Jungs sind cool drauf. Ich denke Hammerskins müssen eine großartige Verbindung sein.“
«Freikorps» war auch die erste deutsch Neonaziband, die 1995 in den USA spielte. Die Konzerte wurden von US-amerikanischen Hammerskins und dem ihnen nahestehenden neonazistischen Musikmagazin «Resistance» organisiert. Stüwe und Klapmeier traten als Hammerskins jedoch nicht offensiv nach außen auf. Stüwe schied noch in den 1990er Jahren bei der HSN aus.
Zu den frühen deutschen Hammerskin-Bands zählten einige aus dem Raum Berlin. Bei den Bands «Deutsch Stolz Treue» (D.S.T.), «Legion of Thor» und «Crossed Hammers» waren oder sind Mitglieder der HSN aktiv. Durch Texte, die den Nationalsozialismus verherrlichten und zur Gewalt aufriefen sowie durch ein Cover, das einen SA-Mann mit Hakenkreuzarmbinde zeigt, schuf sich «D.S.T.» das Image einer harten Untergrundband. Die Produktion und auch der Vertrieb der Tonträger wurde teils von den Hammerskins organisiert. Regelmäßig trat «D.S.T.» bei offensichtlich von Hammerskins organisierten Konzerten auf, immer wieder auch während kleinerer und interner, wie auf dem „Summerbash“ der «Westwall Hammerskins» am 17. Juni 2017 im französischen Volmunster. 2017 und 2019 spielten sie auf „Joe Rowan Memorial“-Konzerten in Thüringen sowie auf vielen Konzerten die zwar von den Hammerskins organisiert werden, aber nicht als solche deklariert sind.
Die Bedeutung von «D.S.T.», die zeitweilig wegen laufender Strafverfahren auch unter dem Namen «X.X.X». agierten, liegt in ihrem hohen Bekanntheitsgrad. Sie garantiert hohe BesucherInnenzahlen auf Konzerten sowie hohe Verkaufszahlen ihrer illegalen CD-Produktionen. Beides ist für die Hammerskins ein einträgliches Geschäft.
Die Band «Crossed Hammers» existierte ca. von 1997 bis 1998 und ordnete sich schon über ihren Namen den Hammerskins zu. Am Schlagzeug saß Heiko Hagen, der direkt nach der Auflösung von «Crossed Hammers» die Band «Legion of Thor» (LoT) gründete, die in den frühen 2000er Jahren neben «D.S.T.» die führende Berliner Hammerskinband war. Nachdem Hagen sich von den Hammerskins zurückzog, sank die Präsenz von «LoT» auf den Hammerskinsveranstaltungen. Dass die Band 2019 bei dem „Joe Rowan Memorial“-Konzert in Kirchheim auftrat, zeigt, dass ihr Verhältnis zu den Hammerskins jedoch noch intakt ist.
«Spreegeschwader» waren in den 1990er und 2000er eine der bekanntesten Neonazibands in Deutschland. Ihre CDs „Eisern Berlin“ und „Orientexpress“, die heute in der Szene als „Kult-CDs“ gelten, erschienen 1996 und 1998 auf dem Label «Hanse Records», das dem Chapter «Bremen» angebunden war. Und immer wieder spielte die Band Konzerte von und für Hammerskins. Auch wenn von keinem «Spreegeschwader»-Musiker eine Mitgliedschaft bei den Hammerskins bekannt ist, so muss die Band dem Netzwerk zugerechnet werden.
Neben Berlin war der Raum Bremen und das dort ansässige Chapter ein Kristallisationspunkt für Bands des Hammerskin-Netzwerkes. Hier war es vor allem die 1984 gegründete Band «Endstufe», die der HSN zeitweise sehr nahe stand. Die Band zählt zu den Neonazibands der ersten Stunde in Deutschland und gilt als eine der deutschen Szene-Kultbands schlechthin. Auch wenn «Endstufe» nie explizit Symbole der HSN zeigte oder sich auf andere Weise dazu bekannte, eine Hammerskinband zu sein, wird eine Nähe zwischen ihr und den Hammerskins deutlich. So leitete der «Endstufe»-Frontmann Jens Brandt zusammen mit dem Bremer Hammerskin Steffen Rolfs das von ca. 1995 bis 2001 bestehende Label «Hanse Records». In den 2000er Jahren entfremdete sich die Band «Endstufe» von den Hammerskins. Aus einer Kommunikation der HSN um 2010 lässt sich deutlich herauslesen, dass es wenig Kontakt zwischen Brandt und den Hammerskins gab und dass die Band den Hammerskins als überheblich galt. Doch man arbeitet wieder zusammen. 2020 erschien auf dem deutschen Hammerskin-Label «Frontmusik» die CD „Banner“ des Projektes «Grenadier», zu dem Musiker verschiedener Bands in gemischter Besetzung Lieder beitrugen. «Endstufe» wirkte dabei an zwei Liedern mit. Der Großteil der beteiligten Bands ist dem engeren Netzwerk der Hammerskins zuzuordnen.
Im Jahr 1992 gründete sich in Bremen die Band «Endlöser» um ihren Sänger Andreas Lohei. Sie benannte sich kurz darauf in «Schlachtruf» um, traten aber ab 2002 wieder als «Endlöser» auf. Mit Lohei, Sven Björn Danker und Matthias Kozma, der später bei «Endstufe» spielt, gehörten gleich mehrere Bandmitglieder der HSN an. 2004 war «Endlöser» mit den Liedern „Hammerskin“ und „Joe“ (es geht um Joe Rowan) auf dem Sampler „Status Quo Germania – Hammerskin Nation“ vertreten. Der Sampler versammelte die deutschen Bands, die sich zu der Zeit zur HSN bekannten. 2008 verließ Lohei die Hammerskins. 2012 kam es zu einem Zerwürfnis, als ihm diese vorwarfen, für seine Band «Endlöser» weiterhin Symbole der HSN zu verwenden, was ihm jedoch untersagt worden war. Nachhaltig war der Streit offensichtlich nicht. Schon 2015 erschien die CD „Wir Sehens, Wir Hörens, Wir Sagens“ von Loheis neuer Band «Randgruppe Deutsch» auf dem Hammerskin-Label «Gjallarhorn Klangschmiede».
Zu den Bremer Hammerskin-Bands zählte auch «Hetzjagd». Seit spätestens 2004 trat die Band um Sebastian Allwardt und Marc Gaitzsch offen für die HSN auf. Sie spielte für mehrere Hammerskin-Sampler Lieder ein und repräsentierte die deutschen Hammerskins auch im Ausland. So trat sie 2006 beim „Joe Rowan Memorial“-Konzert der ungarischen Hammerskins auf. Letztmals spielte sie 2011 auf zwei Hammerskin-Konzerten, 2012 erschienen zwei ihrer Songs auf dem Sampler „Jamel scheißt auf den Förster“, dann wurde es ruhig um die Band. Gaitzsch und Allwardt sind seit etlichen Jahren Mitglieder des Chapter «Bremen».
Kristallisationspunkt ostdeutscher Hammerskin-Bands stellte Altenburg in Thüringen dar. Hier war es die Band «Wewelsburg», die ab 1999 regelmäßig auf von Hammerskins organisierten Konzerten spielte. Deren Sänger Thomas Geissler, war um 1998 Prospect bei den «Hammerskins Sachsen» und spätestens 2001 Fullmember.Darüber hinaus kam auch die Band «Kreuzfeuer» aus Altenburg, die nach außen nicht als Hammerskin-Band auftrat. Dort saß René Weiße am Schlagzeug. Nachdem sich «Kreuzfeuer» nach dem Selbstmord ihres Sängers im Jahr 2000 aufgelöst hatte, gründete Weiße die Band «Brainwash» und wurde deren Kopf und Sänger. «Brainwash» nahm in der deutschen RechtsRock-Szene eine besondere Rolle ein. Weiße reiste ab Ende der 1990er Jahre mehrfach in die USA und besuchte die dortigen Hammerskins. Dort ließ er sich vom Hardcore-Sound und -Stil inspirieren. So wurde «Brainwash» eine der ersten neonazistischen Hardcore-Bands in Deutschland. Ihr Sound war extrem schnell und hart, ihr Style mit Basecaps, Bärten, Tunnel-Ohrringen und Hoodies hatte nichts mehr mit dem Aussehen der Skinheads zu tun. Dennoch war Weiße Mitglied der «Hammerskins Sachsen». Brainwash war international bekannt und zeitweise eine „Vorzeigeband“ der deutschen Szene. Sie tourten oft im Ausland, so in Ungarn, Spanien und sogar in Russland. Im Oktober 2005 spielten sie in Altanta / Georgia auf dem US-amerikanischen „Hammerfest“.
Bei einer Befragung eines V-Mann-Führers im Thüringer Untersuchungsausschuss „Rechtsterrorismus und Behördenhandeln“ (2019) antwortete dieser auf die Frage nach René Weiße mit den Worten „da kann ich ihnen nichts zu sagen“. Auf Nachfrage konkretisierte er: „Ich darf nicht“. Diese Aussage legt nahe, dass Weiße als V-Mann aktiv gewesen war. Seit 2020 wird dieser Verdacht in der Szene geäußert, wichtige Neonazi-Versände nahmen Produkte von «Brainwash» und weiterer Bands, in denen Weiße mitgespielt hatte, aus dem Programm. Seit Frühjahr 2021 wird in der Neonaziszene öffentlich vor Weiße gewarnt. Dieser bestreitet die Vorwürfe der Spitzel-Tätigkeit. «Brainwash» trat ein letztes Mal im September 2019 in Serbien auf, angeblich haben drei der Mitglieder die Band nach Bekanntwerden der Vorwürfe verlassen.
Tief im Westen
Von besonderer Bedeutung für die Hammerskins sind und waren die Aktivitäten von Bands aus Nordrhein-Westfalen. Obwohl es im Bundesland bis zur Gründung der Chapter «Westfalen» 2014 und «Rheinland» 2017 keine Chapter gab, entstand um Andreas Koroschetz aus Mönchengladbach ein ganzes Netzwerk von Bands, aus denen sich in den letzten Jahren der Kern der Mitglieder des Chapter «Rheinland» rekrutierte.
Schon 2001 hatte Koroschetz die Band «Division Germania» gegründet. Deren Mitglieder wechselten häufig, Koroschetz war die Konstante. Die frühen CD-Veröffentlichungen der Band wurden alle von der Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien indiziert. Dann gründete er 2007 die Band «Rotte Charlotte» und war 2008 an der Gründung von «Libertin» beteiligt. Darüber hinaus war und ist er Musiker bei «Jungsturm», «Macht & Ehre», «Hundes des Krieges», «Stahlgewitter» und «Sleipnir». Von besonderer Bedeutung ist, dass er seit spätestens 2007 in der Band «Gigi und die braunen Stadtmusikanten» spielt. Die Band veröffentlichte 2010 das Lied „Döner Killer“, welches die Morde des NSU verherrlicht.
Koroschetz war seit 2010 Prospect und ist seit 2013 Fullmember im Chapter «Westmark». Dann baute er das Chapter «Rheinland» auf, wo er heute die Führungsperson ist. Seine Bands, vor allem «Division Germania», standen unzählige Male auf unterschiedlichen Events der Hammerkins auf der Bühne: Auf Großkonzerten wie 2011 bei dem „Bonded by Blood“ in Frankreich, dem „Hammerfest“ 2015 in Italien und 2016 in Frankreich und auch 2017 in Finnland. Unverkennbar war es auch Koroschetz, der Musiker „seiner“ Bands sowie seines Umfelds zu den Hammerskins brachte. Wie Matthias Wessler von «Division Germania» oder Philipp Neumann von «Flak», der mit den beiden auch bei «Division Germania» aktiv ist.
Neumann wurde um 2017 Prospect der Hammerskins und tritt – als Solist oder als Band – regelmäßig auf den Konzerten der Hammerskins auf. Sei es 2018 beim Konzert im Rahmen des „Tag der Ehre“ im ungarischen Budapest, 2017 beim „Joe Rowan Memorial“-Konzert in Thüringen oder am 26. August 2017 bei einem „Liederabend“ auf einem Kleingartengelände in Rathenow, das den «Hammerskins Brandenburg» als Treffpunkt dient.
Weitere Zugänge sind in Anbahnung, so Peter Michels, der als Hammerskin-Supporter auftritt. Er spielte mit Koroschtz bei «Libertin», seine aktuellen Bands sind «Projekt Chaos», «Inmitten von Ruinen» und «Flucht nach vorn». Das Chapter «Rheinland» um Koroschetz zählt inklusive offen auftretenden Supportern kaum mehr als zehn Personen. Doch es sind zusammengerechnet ebenso viele Bands, in denen Hammerskins des Chapters derzeit mitwirken.
Hammerskinbands im Saarland
Auch im Saarland lässt sich feststellen, dass die Hammerskins, die im Chapter «Westwall» (bis 2013: Westmark) und im Chapter «Sarregau» organisiert sind, ihre Mitglieder überwiegend aus einem Kreis von RechtsRock-Musikern gewinnen.
Die wohl bedeutendste Hammerskin-Band aus dem Saarland war «Jungsturm«, die 1997 gegründet worden war. Sie war das Projekt von Frank Molina Y Mata, der um 2003 der Gründergeneration der Hammerskins «Westmark» angehörte. Gerade in den Anfangsjahren wechselte die Besetzung um Molina Y Mata häufig. Die Band hatte ihre Höhepunkte mit Auftritten beim „Hammerfest“ 2007 in Mailand, bei einem Hammerskin-Treffen in Florida 2008 und beim „Bonded By Blood“-Konzert in Frankreich 2011 vor 2.500 Gästen. Danach wurde es ruhig um die Band. Seitdem Molina Y Mata 2013 bei den Hammerskins ausschied, gilt die Band als aufgelöst.
Bei «Jungsturm» spielte zeitweise auch Robert Kiefer. Der hatte noch eigene Bands wie «Wolfsfront» und «Saarbrigade». «Wolfsfront» war 2010 gegründet worden und stand schon 2012 beim „Hammerfest“ im französischen Toul auf der Bühne. Die Konzerte, die die Band spielte, wurden zumeist von den Hammerskins organisiert und fanden im deutsch-französischen Grenzgebiet statt. Das aktuelle Projekt von Kiefer nennt sich «Steelcapped 98», 2020 wurde die erste CD namens „Sporting The Skinhead Style“ veröffentlicht. Es war die zweite Produktion des von Kiefer betriebenen Labels «H8Bar Productions». Die Band bekennt sich deutlich zum Chapter «Sarregau», das von Kiefer angeführt wird. Ein Song auf der CD trägt den Titel „HFFH“, auf dem Backcover prangt das Wappen des Chapters und der Schriftzug „Sarregau Music“.
Auch Nico Roth aus dem Raum Ludwigshafen gehörte zur Besetzung von «Jungsturm». Roth war Anfang der 2010er Jahre PotN und schied 2013 bei den Hammerskins aus. Unter dem Namen „Wiesel“ spielte er im Laufe der Jahre in etlichen Hammerskin-nahen Bands zwischen dem Rheinland und dem Rhein-Neckar-Kreis. Heute steht er hinter einer ganzen Reihe von in der Szene angesagten Bands und Projekten wie zum Beispiel «Heureka» und wirkte lange Zeit bei «Kategorie C» mit. Roth verließ die Hammerskins offenbar im „Good Standing“, denn bis heute unterhält er gute Verbindungen zu ihnen.
Es fällt auf, dass eine weit überproportionale Anzahl der Hammerskin-Mitglieder in Bands spielen. Das heißt: Es werden von Hammerskins gezielt Musiker (Musikerinnen gibt es bei ihnen nicht) als Neumitglieder angeworben. Offensichtlich eine Win-Win-Situation: Die Hammerskins gewinnen neue Bands, die ihre Botschaften verbreiten und die sie vermarkten können, die Bands gewinnen ein Netzwerk, dass ihnen Produktionsmöglichkeiten und Auftritte verschafft. Dass beispielsweise eine regionale Band wie «Wolfsfront» aus dem Saarland auf größeren Szenekonzerten in Frankreich, Italien und der Schweiz auftreten konnte, ist nur über deren Nähe zu den Hammerskins möglich.
Bedeutung der Bands und Liedermacher
Manche Bands aus dem Netzwerk der Hammerskins haben in der Szene eine große Bedeutung: beispielsweise «D.S.T.», «Flak», «Division Germania» oder der Liedermacher «Barny». Bei «D.S.T.» sind es die Liedtexte mit offenen Vernichtungsfantasien und das Untergrund-Image, dass ihr einen „Kultstatus“ gibt. Anders hingegen die Band «Flak», deren CD „Thronfolger“ in der Abstimmung zum „Tonträger des Jahres 2018“ der Plattform «Punikoff», die in der Szene eine hohe Reichweite hat, zur „Besten CD 2018“ gewählt wurde. «Flak» tritt national wie international häufig auf.
Der Kopf der Band «Division Germania», Andreas Koroschetz, spielt seit einigen Jahren bei den Bands «Gigi und die braunen Stadtmusikanten» und «Stahlgewitter», was bedeutet, dass ein Hammerskin bei zwei Top-Bands des RechtsRock im deutschsprachigen Raum mitwirkt. «Gigi und die braunen Stadtmusikanten» erreichen weit über die Neonaziszene hinaus Bekanntheit durch Lieder, bei denen sie die Melodien populärer Schlager mit rassistischen Texten unterlegen. «Stahlgewitter» war Headliner bei einem Konzert am 15. Oktober 2016 in der Schweiz, zu dem ca. 5.000 Teilnehmende anreisten. Eebenso spielten sie beim „Rock gegen Überfremdung II.“ am 15. Juli 2017 in Themar, an dem ca. 6.000 Personen teilnahmen. Für das „Rock gegen Überfremdung III.“ am 5. und 6. Oktober 2018 in Apolda waren sowohl «Stahlgewitter» als auch «Gigi und die braunen Stadtmusikanten» angekündigt.
Gerade in den letzten Jahren ist die Zahl der einfach zu organisierenden und oft recht familiären Liederabende stark gestiegen. Im Gegensatz zu den Konzerten, die in der Regel bierselig, aggressiv und laut sind, herrschen hier leisen Töne vor. Es stehen die Ideologie und das Lebensgefühl einer verschworenen Gemeinschaft im Vordergrund. Dies spricht natürlich auch Hammerskins an. Liedermacher der HSN sind neben Philipp Neumann als «Flak» auch Steven Arndt aus Eisenach von der Band «Hermunduren», Harm-Jan Smit als «Flatlander» sowie das «Crew 38»-Mitglied Mirko Fritze, bekannt als «Barny». Fritze trat in den letzten Jahren auch häufig im Ausland auf, vor allem in Schweden, wo er einige Zeit lebte.
Das Business der Hämmer
Die Produktion von CDs und Schallplatten ist ein wichtiger Bereich der extrem rechten Musikszene. Die Tonträger transportieren ideologische Botschaften und repräsentieren die Bands, Label und Organisationen, die mit ihnen in Verbindung gebracht werden. Zudem wird Geld verdient, was es den Betreibern der Label , professionell zu arbeiten und anderen Neonazis Jobs zu verschaffen. Auch fließt das Geld teilweise zu Organisationen und in Kampagnen. Malte Redeker hatte schon 1998 in einem Interview gefordert, den „CD Vertrieb in die eigenen Hände zu nehmen um Geld für die Bewegung zu schaffen“.
Was hervor sticht, ist die große Anzahl von zum Teil bedeutenden Labels deren Betreiber der HSN zuzuordnen sind.
Von Mitte bis Ende der 1990er war es das Bremer Label «Hanse-Records», das der Sänger der Band «Endstufe» Jens Brandt und der Bremer Hammerskin Steffen Rolfs gemeinsam betrieben. Das Label veröffentlichte in diesem Zeitraum knapp 20 CDs, eine besondere Orientierung an Hammerskin-Bands war nicht zu erkennen. Mirko Hesse, der Gründer der «Hammerskins Sachsen», rief 1997 das Label «Hate Records» mit Sitz in der Sächsischen Schweiz ins Leben, das zwischen 1997 und 2000 etwas mehr als 20 Tonträger veröffentlichte. Hesse präsentierte sich bei jeder sich bietenden Möglichkeit als Hammerskin. Es gibt wohl kein Interview mit ihm, in dem die Hammerskins nicht Thema waren. Im Interview mit der Zeitschrift «Neue Ordnung» im Jahr 1998 antwortet er auf die Frage, ob er denn nur Hammerskinbands produzieren würde: „Bis jetzt habe ich nur Dying Breed, Code Of Violence und Blodd Oath als HammerSkin-Bands unter Vertrag. Natürlich freue ich mich sehr, wenn ich Bands aus der Nation veröffentlichen kann.“
Hesse importierte mit seinem Label die US-amerikanischen Hammerskin-Bands und war zu dieser Zeit der wichtigste Multiplikator der Hammerskin-Idee in Deutschland. Er war es, der schon früh der deutschen Szene den Hardcore-Sound der US-Amerikaner nahe brachte. Für die Veröffentlichung der CD „Day Of Reckoning“ der US-Band «Dying Breed», für die er in Deutschland strafrechtliche Verfolgung befürchten musste, gab er einfach eine Label-Anschrift in den USA an. Und Hesse erschloss sich auch den neonazistischen Black Metal-Bereich. So war ab 1998 das Label «Darker Than Black Records» (DTB), das in den 1990ern Jahren die bundesweit wichtigste Schnittstelle des neonazistischen Flügels der Black Metal-Szene war, als Sub-Label an «Hate Records» angegliedert. «Hate Records» wurde eingestellt, als Hesse 2000 verhaftet und 2001 wegen seiner Beteiligung an der Produktion einer illegalen CD der Berliner Band «Landser» verurteilt wurde. Als 2002 heraus kam, dass Hesse V-Mann des Inlandsgeheimdienstes gewesen ist, verschwand er für einige Zeit von der Bildfläche. Im Jahr 2014 arbeitete er jedoch wieder mit Hammerskins zusammen. Hesse führt eine Druckerei und erhielt von Malte Redeker Druckaufträge. Die „Crossed Hammers“, das Organisationssymbol der Hammerskins, hat Hesse bis heute am Handgelenk tätowiert.
In den vergangenen Jahren waren es in Deutschland nur kleine Labels, die offen als Hammerskin-Unternehmen auftraten. Um 2010 war das Label, bzw. der Versand «100%» des damaligen Hammerskins Tony Gentsch aus Oberfranken, der 2010 den CD-Sampler „Support The Nation – Sign Of Revolution“ anlässlich des 10 jährigen Bestehens des Chapter «Franken» veröffentlichte. Derzeit tritt das saarländische Label «H8Bar Productions» mit den Symbolen der Hammerskins in den Booklets ihrer Veröffentlichungen auf. Doch es ist kein Label, das expandieren und wirtschaftlich erfolgreich sein will, sondern dient der Produktion der saarländischen „Hausbands“ «Saarbrigade» und «Steelcapped 98».
Keines der größeren Labels, die von Hammerskins gemacht werden bzw. eindeutig deren Netzwerk angehören, tritt heute in Deutschland öffentlich als Hammerskin-Unternehmen auf. Es ist Strategie, nach außen Bruderschaft und Business voneinander zu trennen. Heute haben sich drei Labels herauskristallisiert, die ein Netzwerk bilden und untrennbar mit den Hammerskins verwoben sind: Die «Gjallarhorn Klangschmiede», «Front Records» und «Wewelsburg Records».
«Gjallarhorn Klangschmiede» / GKS
Als der heutige „European Secretary“ der Hammerskins, Malte Redeker aus Schifferstadt bei Ludwigshafen, in den 1990er Jahren formulierte, den „CD Vertrieb in die eigenen Hände zu nehmen um Geld für die Bewegung zu schaffen“, dachte er dabei vermutlich noch gar nicht an sich selbst. 1999 wurde Redeker als PotN bei den Hammerskins aufgenommen.
Im Januar 2001 wurde beim EOM in Sachsen der Beschluss gefasst, ein eigenes Label zu gründen, das der Organisation gehören sollte. Im März besprachen die deutschen Hammerskins auf einem NOM, wie sie diesen Beschluss umsetzen könnten. Im April 2001 dann schrieb Redeker der Neonaziband »Carpe Diem« aus Stuttgart, dass er sich nun als „Cd-Produzent“ versuchen wolle und kündigte an, einen Sampler zu produzieren, dessen Erlös den «Hammerskins Schweiz» zu Gute kommen solle. 2003 gründete Redeker das Label «Gjallarhorn Klangschmiede» (GKS), bei dem 2004 als dritte Veröffentlichung der angekündigte Sampler erschien. Die Veröffentlichung trägt den Namen „Support the Nation“, dazu war es Redeker gelungen, neben den deutschen Bands «Jungsturm» und «United Blood» auch «H8Machine» aus den USA und «Malnatt» aus Italien zu gewinnen.
In den folgenden Jahren produzierte «Gjallarhorn Klangschmiede» zirka fünf bis sechs CDs pro Jahr, was für ein RechtsRock-Label eine recht hohe Produktionsfrequenz ist. Bei den Bands, die dort veröffentlichten, handelt es sich zu einem großen Teil um deutsche Bands, die unmittelbar mit den Hammerskins verbunden waren oder es noch sind. Beispielhaft hierfür sind «White Voice», «Jungsturm», «D.S.T.», «The Slapguns», «Flak» oder «Endlöser». Fast alle wichtigen deutschen Hammerskin-Bands veröffentlichten dort. Dazu erschienen einige wenige Produktionen mit internationalen Bands der HSN wie «H8Machine» und «Panzerjäger 38» aus Frankreich. Zirka die Hälfte der bis 2017 bei «Gjallarhorn Klangschmiede» produzierten Bands haben deutliche Bezüge zu den Hammerskins .
«Front Records»
Im Jahr 2015 verschmolzen «Gjallarhorn Klangschmiede» und das Label «Front Records». Das Label und der Versand mit Sitz in Nordsachsen war 2001 vom Neonazi Thomas Persdorf gegründet worden. Dieser war nicht als Hammerskin auffällig, sondern wurde bis dato einer Struktur zugerechnet, die mit dem Image von «Blood & Honour» behaftet war. Persdorf ließ unter anderem Shirts und Fahnen mit Aufdrucken von «Combat 18» produzieren und veröffentlichte Musik von Bands wie «Oidoxie», die als die führende deutsche «Combat 18»-Band gilt.
Bis zur Fusion mit der «Gjallarhorn Klangschmiede» 2015 waren auf dem Label ca. 50 CDs erschienen, die nur vereinzelt dem Hammerskin-Spektrum zugerechnet werden können. Danach veröffentlichte das Label 25 CDs von Bands, von denen etliche den Hammerskins nahe stehen. Mit „Brothers of the storm“ erschien dort 2018 eine CD der australischen Band «Fortress», einer der weltweit profiliertesten Hammerskin-Bands. 2020 wurde dort das Album „it ends“ der US-amerikanischen Band «Blue Eyed Devils» wiederveröffentlicht, deren Gründungsmitglieder in den 1990er Jahren der HSN angehörten. Sie ist die Nachfolge-Band von Joe Rowans «Nordic Thunder».
Als rechtliche Form für «Front Records» hatte Persdorf schon 2011 die «Falkenhainer Textil UG» geschaffen. Deren Geschäftsführung übernahm 2015 Henry Behr aus Sachsen-Anhalt, der zuvor nicht im RechtsRock-Business aufgefallen war. Seit 2015 hatte Malte Redeker bei dem Unternehmen eine offizielle Anstellung. Nicht viel später ging die «Falkenhainer Textil UG» insolvent und Henry Behr stand 2018 wegen Insolvenzverschleppung vor Gericht. Auch Malte Redeker musste dort aussagen: Dieser gab an, seit 2015 auf 460-Euro-Basis bei der «Falkenhainer Textil UG» angestellt gewesen zu sein. Redeker habe sich um die Kontakte zu den Bands gekümmert und zeitweise sogar Tätigkeiten des Geschäftsführers übernommen. Weiter erzählte er, dass er nebenbei noch auf eigene Rechnung im Textildruck tätig sei.
Tatsächlich waren ab 2015 die Aktivitäten der GKS stark zurückgegangen. Alles spricht dafür, dass Redeker über GKS weiterhin Textilien produzierte und diese an «Front Records» verkaufte. Dort hatte er offiziell eine Nebenbeschäftigung, schien jedoch tatsächlich der Chef zu sein. Behr war vermutlich nur sein Strohmann, den er im Hammerskin-Netzwerk aufgetrieben hatte. Denn seit 2014 präsentiert sich Behr als Angehöriger der «Crew 38». Offensichtlich nutzte Redeker das nordsächsische Firmenkonstrukt , um GKS als Hammerskin-Unternehmen aus dem Fokus von Öffentlichkeit und Behörden zu nehmen. Seit c.a. 2016 trägt GKS den Zusatz „Frontmusik“ und tritt heute als „GKS/Frontmusik“ auf.
Für Außenstehende ist dieses Firmengeflecht nur schwer zu durchschauen, doch es scheint klar: «Front Records», GKS und «Frontmusik» ist ein und das selbe, Malte Redeker zieht die Fäden und findet seine Handlanger in der «Crew 38». Als 2016 die Insolvenz der «Falkenhainer Textil UG» abzusehen war, gründete Redekers Vertrauter Dierck Wagner aus Ludwigshafen die «Muldentaler Textil UG», die als Geschäftszweck „Produktion und Vertrieb von Textilien und Tonträgern über das Internet“ angibt. Das Konstrukt wurde bis Anfang 2020 aufrecht gehalten. Danach übernahm die Firma «Küsten Textil UG» die Geschäfte von «Front Records». Deren Geschäftsführer Nils Budig war noch vor wenigen Jahren Fullmember beim Chapter «Bremen» und tritt heute lediglich als «Crew 38» in Erscheinung.
«Wewelsburg Records»
Budig und die «Küsten Textil UG» ist heute nicht nur für «GKS/Frontmusik» verantwortlich, sondern auch für das Label «Wewelsburg Records».
Die Wewelsburg bei Paderborn war auf Initiative Heinrich Himmlers ab 1933 umgebaut worden. Sie sollte der architektonische Ausdruck der Macht und ein repräsentativer Ort für Treffen der SS-Eliten werden. Für die umfangreichen Baumaßnahmen wurde in unmittelbarer Nähe der Burg ein Konzentrationslager eingerichtet. Über 1000 der zu den Bauarbeiten gezwungenen Gefangenen wurden ermordet. Wegen der Gestaltung und Nutzung durch die SS wurde die Wewelsburg ein Bezugspunkt für Neonazis. So beispielsweise für das Label «Wewelsburg Records». Gegründet wurde es 2005 vom damaligen Bielefelder Jura-Studenten Hendrik Stiewe. Dieser war (und ist) Mitglied der studentischen «Burschenschaft Normannia Nibelungen» und einer der führenden deutschen Hammerskins. Er gehörte lange Zeit dem Chapter «Bremen» an und gründete 2014 mit anderen das Chapter «Westfalen». Zwischen 2005 und 2017 produzierte «Wewelsburg Records» mindestens 45 Tonträger deutscher und internationaler Bands : Angefangen bei «Bound for Glory» im Jahr 2005 waren dies unter anderem «Definite Hate» (USA), «Blindfolded» aus den Niederlanden, «Vargr I Veum» und «Dissens» aus der Schweiz, «Zurzir» aus Brasilien und «Gladius» aus Argentinien. Besonders hoch ist die Anzahl von Hammerskin-Bands aus den USA. Hinzu kamen einzelne deutsche Bands seiner Bruderschaft wie «Hetzjagd», «Jungsturm» und «Division Germania» sowie die HSN-Sampler „Support The Nation – Live in Franken“ von 2006 oder „In Gedenken an Hammer Max“ von 2015. Anders als «Gjallarhorn Klangschmiede», das fast ausschließlich Tonträger deutscher Bands veröffentlicht, sind es bei «Wewelsburg Records» überwiegend Bands aus dem Ausland.
Auf etlichen CDs oder ihrer Booklets sind Symbole der Hammerskins abgebildet und immer wieder werden diese in Liedern verherrlicht. «Wewelsburg Records» popularisiert die Bands der HSN und macht die internationale Dimension sichtbar. Die benötigten Kontakte schloss Stiewe unter anderem auf seinen vielen Reisen in die USA. So nahm er beispielsweise 2010 am „Hammerfest“ in Detroit und 2012 am „St. Paddy‘s Day“ der Hammerskins in Richmond teil. Stiewe agierte dabei auch als Kontaktperson für deutsche Bands, die auf den Hammerskin-Treffen in den USA auftreten wollten oder angefragt wurden. Neben «Landknecht» um Robert Kiefer, die dort Songs des Untergrund-Projekts «Landser» coverten, stand auch «Definite Hate» auf der Bühne. Deren Gitarrist und Hammerskin Wade Michael Page führte wenige Monate später im August 2012 ein Attentat auf einen Tempel der Sikh-Glaubensgemeinschaft in Wisconsin aus.
Ca. 2013 verschwand Stiewe aus dem Impressum der Website des Labels «Wewelsburg Records». Dieses ging an den schon erwähnten Nils Budig und später an dessen Firma «Küsten Textil UG» mit Sitz in Jengum in Ostfriesland über. Eine Veränderung der Veröffentlichungspraxis war zunächst nicht festzustellen. Die Anzahl der Veröffentlichungen pro Jahr und der Kreis der veröffentlichten Bands blieben stabil. Mit «Blindfolded» (2016) und «Vargr I Veum» (2017) aus der Schweiz wurden sogar neue Hammerskin-Bands aus dem Ausland unter Vertrag genommen. Dass Budig über diese Kontakte verfügte, ist stark zu bezweifeln.
Zwischen 2017 und 2020 veröffentlichte «Wewelsburg Records» keine CDs. „Es hat nun fast 3 Jahre gedauert, aber nach erfolgter Umstrukturierung starten wir erneut durch. Schaut vorbei und vergewissert Euch selber“, hieß es im Mai 2020 auf dem Social-Media Kanal von «Wewelsburg Records» und bestätigt damit, dass man sich im Hintergrund neu formiert hat.
Stiewe ist jedoch auch nach seinem offiziellem Ausscheiden bei «Wewelsburg Records» weiterhin im RechtsRock-Geschäft tätig. Auf dem „Hammerfest“ 2019 im französischen Plaine betreute er einen Verkaufsstand über den er strafrechtlich relevante Produktionen der Label «Adolf Hitler Records» und «Irma Grese Records» anbot. Direkt neben ihm stand Nils Budig.
Eines oder Viele?
Mit Hendrik Stiewe und Malte Redeker verließen augenscheinlich zwei wichtige Akteure der «Hammerskin Nation» offiziell das RechtsRock-Business. Dies ist jedoch nur ein taktischer Rückzug, der offenkundig zur Verschleierung der Geschäftsaktivitäten diente. Die Veränderungen setzten ein, als nach dem Jahr 2011 die Hammerskins vorübergehend ins Blickfeld einiger Medien gerieten. Verflechtungen einiger Mitglieder mit dem UnterstützerInnen-Kreis des NSU waren sichtbar geworden. Den Behörden sollte es schwerer gemacht werden, bei einem Vereinsverbot oder einem Repressionsschlag gegen die Hammerskins Zugriff auf deren Rechtsrock-Business, Lagerbestände und Konten zu bekommen. Henry Behr, Dierck Wagner und Nils Budig, die mit ihren Namen für die Geschäfte der Hammerskins stehen, treten nach außen „nur“ als «Crew 38» auf und würden im Ernstfall jede Zugehörigkeit zu den Hammerskins bestreiten.
Das Konglomerat der Label «Front Records», «GKS/Frontmusik» und «Wewelsburg Records» ist heute, neben den Labels «PC-Records» aus Chemnitz und «OPOS Records» aus Südbrandenburg, einer der wichtigsten Produzenten und Händler neonazistischer Tonträger. Obwohl die drei Labels unter dem Dach der «Küsten Textil UG» laufen, agieren sie unterschiedlich. Sie haben nicht das gleiche Angebot zur gleichen Zeit und starten unterschiedliche Aktionen. So entsteht der Eindruck von lokal agierenden Akteuren, die jeweils „ihr eigenes Ding“ zu machen scheinen.
Es bleibt die Frage, ob nun ein Label wie «Front Records» oder «GKS / Frontmusik» das Unternehmen von einer oder mehreren Personen ist oder eben das Label einer Organisation, der Hammerskins – ob also einzelne Personen oder eine Organisation über die Geschäftspolitik, die Bandauswahl und letztendlich auch über die Finanzen bestimmt. Redekers Label entstand 2001 unmittelbar nachdem die Hammerskins auf einem EOM beschlossen hatten, sich ein organisationseigenes Label aufzubauen. Und schließlich treffen sich die Hammerskins vierteljährlich auf europäischer und nationaler Ebene zu NOM und EOM. Es ist nicht vorstellbar, dass dort nicht über die RechtsRock-Unternehmen ihrer Mitglieder geredet wird.
Die HSN wiederum hat einen Vorteil davon, dass sich ihr „European Secretary“ vollzeitmäßig in der Szene bewegt, viele Leute kennt und flexibel über Zeit und Geld verfügt. Wer könnte mit einem normalen Job mal eben nach Portugal fliegen, um einen Streit zwischen den dortigen Hammerskins und dem «Hells Angels MC» zu schlichten? Das europäische Netzwerk der Hammerskins braucht einen professionellen Manager. Wenn sich dieser über die Verbreitung von Neonazipropaganda mittels Kleidung und Musik finanziert, dann können alle Beteiligten zufrieden sein.
Die „Untergrund“-Produktionen
Die Hammerskins sind nach innen geschlossen und nach außen abgeschottet. Ihre „Brüder“ sind erfahrene Szenegänger mit zumeist einschlägiger Erfahrung im Umgang mit Polizei und Justiz. Die Regularien sorgen dafür, oder sollen es zumindest, dass unzuverlässige Personen keinen Platz in der Organisation finden. Es existiert ein hoher Druck nach innen, der die Spielräume der Einzelnen klein hält. Eine solche Struktur ist prädestiniert für Geschäfte mit illegalen Tonträgern.
Mit illegaler Musik lässt sich viel Geld verdienen. Damit sind Tonträger gemeint, die bewusst gegen die geltenden Gesetze verstoßen und deshalb in Deutschland nicht gehandelt werden dürfen. Die KundInnen zahlen das erhöhte Risiko und die ausgeklügelte Infrastruktur. Wenn eine Band strafrechtlich relevante Lieder einspielt oder auf dem Cover ihrer CD einen SA-Mann mit Hakenkreuzarmbinde abbildet, wie die Berliner Band «D.S,T», braucht sie eine Struktur an ihrer Seite, die die Produktion und den Vertrieb organisiert.
Das klappt nicht immer. Was beispielsweise «D.S.T.» betrifft, kam es in der Vergangenheit mehrfach zu Gerichts-Prozessen, die wichtige Akteure der Hammerskins betrafen. 2002 fing das Landeskriminalamt Berlin ein Päckchen mit 150 CDs der «D.S.T.»-CD „Deutsches Volk erwache“ ab, das von Mitgliedern des Chapters «Berlin» an andere des Chapter «Sachsen» geschickt wurde. Es kam zu Razzien, anschließenden Prozessen und Verurteilungen gegen Beteiligte. Auch bei der Produktion und dem Vertrieb der «D.S.T.»-CD „Ave et victoria“ ging etwas schief. Die Polizei deckte Teile eines bundesweiten Produktions- und Vertriebssystem auf, in das – wenig überraschend – auch Malte Redeker eingebunden war.
Auf dem „Hammerfest“ am 2. November 2019 in Plaine (Frankreich) wurde sichtbar, wer Handel mit illegalen Tonträgern betreibt. In der Konzerthalle stand Hendrik Stiewe hinter dem Verkaufsstand, an dem Schallplatten der Label «Adolf Hitler Records» und «Irma Grese Records» auslagen. Irma Grese war Aufseherin im Todeslager Auschwitz-Birkenau. Sie war durch ihre Grausamkeit berüchtigt und wurde 1945 von einem britischen Militärgericht zum Tode verurteilt und gehängt.
Die beiden Labels verfügen über keine Adresse, sie haben keinen Internetauftritt und keine Kataloge. Die Cover der produzierten Schallplatten sind von Hakenkreuzen und SS-Runen übersät, die Liedtexte teilweise Aufrufe zu Mordtaten. Solche Platten sind schwer zu bekommen und teuer. Das bedeutet, dass auch mit kleinen Auflagen viel Geld verdient werden kann. Die Pressung von 500 Langspielplatten kostet ca. 2000€, der Verkaufpreis liegt bei illegalen Produktionen zumeist um 25 €. So bleiben bis zu 10.000 € Gewinn. «Irma Grese Records» produzierte zwischen 2018 und 2020 acht Langspielplatten, «Adolf Hitler Records» sogar 13. Dabei handelte es sich vor allem um Wiederveröffentlichungen deutscher Bands der 1990er und frühen 2000er Jahre. Im aktuell abflauenden Markt neonazistischer Musik sind illegale Schallplatten jedoch ein boomendes Segment. Und die Hammerskins sind wieder mitten drin.
Das Konzertgeschehen
Konzerte haben in der Lebenswelt der Hammerskins einen besonderen Platz. Sie sind Treffpunkte der Gemeinschaft, über sie werden Botschaften transportiert, hier wirbt die Organisation für sich und ihre Unternehmen und nicht zuletzt lässt sich mit Konzerten auch viel Geld verdienen.
Es waren die Konzerte US-amerikanischer Hammerskin-Bands, die ab Mitte der 1990er Jahre dafür sorgten, dass die Hammerskins in aller Munde waren. Auch weil die Bands einen guten Sound und kraftvolle Shows ablieferten und die Organisation fast immer funktionierte. „Super Organisation der HAMMERSKINS SCHWEIZ“ heißt es in einer Konzertbesprechung des Fanzines «Doitsche Offensive» im Jahr 1998. Ihre gute Konzertorganisation wurde für die Hammerskins zu einem Markenzeichen. Dass sie in der Lage waren Konzerttourneen über halb Europa zu veranstalten zeigte sich zum Beispiel 2009 als die US-Band «Bully Boys» für fünf Konzerte innerhalb von 12 Tagen gebucht war. Ein Auftritt in Spanien wurde verboten, die Konzerte in Frankreich, Ungarn, der Tschechischen Republik und Italien konnten jedoch stattfinden. Bei dem Konzert in Frankreich handelte es sich um das „European Hammerfest“, dem jährlich wichtigsten Konzert der europäischen Hammerskins, zu dem ca. 750 Personen erschienen. Nachfolgend sollen einige Konzerte beispielhaft in ihrer Funktion dargestellt werden.
Bekenntnisse oder Versteckspiele
Schon auf dem Flyer sind die gekreuzten Hämmer abgebildet – die ungarischen Hammerskins mobilisierten zum „Joe Rowan Memorial“-Konzert am 13. Oktober 2019. Jeder und Jede sollte sehen, dass die Hammerskins hinter dem Event stehen. Am gleichen Tag fand auch in Deutschland ein „Gedenk-Konzert“ für Joe Rowan statt, doch in keiner Ankündigung war der Name oder das Symbol der Hammerskins zu finden. Szenekundigen Personen war klar, wer dieses Konzert organisierte, denn wie bereits erwähnt, ist der US-amerikanische Hammerskin Joe Rowan, der 1994 bei einer Auseinandersetzung zu Tode kam, ein kultisch verehrter Märtyrer der HSN.
Die Praxis der Chapter in den einzelnen Ländern ist unterschiedlich, was mit den spezifischen rechtlichen und politischen Gegebenheiten zu erklären ist. In Ungarn haben Neonazis bei öffentlichen Auftritten keinen Widerstand und keine Repression zu erwarten und selbst nationalsozialistische Propaganda wird kaum verfolgt. Ein Traum für deutsche Hammerskins, doch hierzulande nicht möglich bzw. ratsam. Daher ziehen sie es vor, im Verborgenen zu bleiben.
Die Veranstaltungen in Deutschland, bei denen sich Hammerskins offen als Organisatoren zu erkennen geben, wie zum Beispiel Liederabende in der «Hate Bar», dem Clubhaus des Chapter «Sarregau» im Saarland, sind nur einem ausgewählten und internen Kreis zugänglich.
Solche Konzerte dienen vor allem der Selbstvergewisserung und der Festigung eigener Strukturen. Oftmals sind runde Geburtstage der Chapter Anlass für solche Treffen oder aber die NOMs, für die Auftritte von Bands oder Liedermachern den musikalischen Ausklang bilden.
Ohne Zweifel Hammerskins
In regelmäßigen Abständen finden seit über 10 Jahren an verschiedenen Orten in Deutschland neonazistische Konzerte statt, bei denen in der Werbung für nicht ersichtlich ist, dass diese von den Hammerskins organisiert werden. Schwerpunkte liegen vor allem in Thüringen und Sachsen, aber auch in anderen Bundesländern finden sich Beipsiele. Seit 2014 existiert eine Konzertreihe unter dem Motto „Skinheads Are Back In Town“, zwischen 2013 und 2015 liefen Konzerte unter dem Motto „Ein Sturm zieht auf“, und seit 2009 bedienen sich auch die Hammerskins des Labels „White X-Mas“ für im Dezember stattfindende Konzerte.
Dass all diese Konzerte von den Hammerskins organisiert wurden, wird erst bei näherem Hinsehen deutlich. Beispielsweise, wenn im Juni 2017 beim „Skinheads Are Back In Town“ im thüringischen Kirchheim hinter der Bühne eine Hammerskin-Fahne hängt. Auch wer weiß, dass Andreas Steinbauer, auf dessen Konto das Geld für Eintrittskarten zu überweisen war, ein Hammerskin ist, kann sich denken, welche Gruppe hinter diesem Konzert steht. Die Hammerskins veranstalten weit mehr Konzerte als bekannt. Nur legen sie keinen Wert darauf, dass dies außerhalb der neonazistischen Szene deutlich und somit ihre Bedeutung sichtbar wird. Dies Strategie ist erfolgreich. In der Szene ist klar, wer das Konzert in der Hand hat. Die Polizei und die Geheimdienste verharmlosen die Hammerskins konsequent dadurch, dass sie in ihren Veröffentlichungen die Zahl der Konzerte der Hammerskins viel zu niedrig ansetzen. Denn für sie ist ein Konzert nur dann ein Hammerskin-Konzert, wenn sich die Organisation klar dazu bekennt bzw. auf den Konzert-Plakaten großzügig ihre Symbole abbildet.
Das „Hammerfest“
Seit Ende der 1990er Jahren veranstalten in den USA die unterschiedlichen Chapter jährlich ein „Hammerfest“. Es ist das zentrale Event im Verantaltungskalender der Hammerskins und geht meist über zwei Tage. Das Rahmenprogramm besteht häufig aus Barbeque, einem „Strong Man Contest“ und gelegentlicheem „Swastika Lightning“, bei dem hölzerne Hakenkreuze feierlich entzündet werden. Die Konzerte, die als „Hammerfest“ in den USA ausgerichtet wurden, erreichten Anfang der 2000er Jahre bis zu 500 Teilnehmende, später waren es eher zwischen 200 und 300 oder auch nur 100.
Das erste „European Hammerfest“ wurde am Wochenende vom 9.-11. August 2002 in der Schweiz durchgeführt. Mit ca. 1.300 Teilnehmenden war es größer als alle, die jemals in den USA stattfanden. Im Line Up des Konzerts war mit «Noie Werte» aus Stuttgart eine der damaligen deutschen Top-Bands. Auch wenn diese hohe TeilnehmerInnenzahl bis 2015 nicht mehr erreicht wurde, entwickelten sich das europäische „Hammerfeste“ jedoch zu einer bedeutenden Konzertveranstaltung.
2007 fand das „Hammerfest“ mit 500 ZuschauerInnen in Italien statt, 2009 in Frankreich kamen 700, Headliner waren «Stahlgewitter» aus Deutschland und die US-Bands «Bully Boys» und «H8machine». 2010 in Italien spielte unter anderem «Kolovrat» aus Russland vor 500 Personen. Über 1.000 TeilnehmerInnen waren es 2012 in Frankreich als die griechische Band «Der Stürmer», die deutschen «Blutzeugen» und die ungarische Band «Vérszerzödés» im Line-Up standen.
In den Jahren 2013, 2014 und 2015 wurde das „Hammerfest“ in Italien ausgerichtet, 2015 standen vor 2.500 TeilnehmerInnen unter anderem die deutschen Bands «Division Germania» und «Frontalkraft» auf der Bühne.
Viel Publikum bedeutet auch viel Geld. Es geht beim „Hammerfest“ nicht nur darum, sich selbst zu präsentierten, sondern auch, durch Eintrittsgelder, den Verkauf von Getränken, CDs, Platten, Kleidung und Merchandise Geld zu verdienen. Der Eintrittspreis für ein solches Konzert liegt bei etwa 25 € pro Person. Fullmember, Prospects und deren Partnerinnen haben in der Regel freien Eintritt.
Gerade für die Prospects sind die Konzerte kein Vergnügen, wie eine Mail von Malte Redeker verdeutlicht, die er in der Vorbereitung des „Hammerfestes“ im Jahr 2012 an „Brüder“ eines anderen Chapters schrieb: „Ansonsten wäre es super, wenn ihr uns einige Anwärter zur Unterstützung an dem Abend „überlassen“ könntet. Saalschutz, Einlass und eventuell Ausschank“, schreibt er. Denn die Hauptarbeit wird von denen gemacht, die ihren Gehorsam und ihre Aufopferung für die Bruderschaft noch beweisen müssen. Hier zeigt sich die Hierarchie der Hammerskins. Je niedriger der Status , desto „niedriger“ ist die ihnen zugewiesene Tätigkeit.
Die Prospects und Hangarounds der Hammerskins sind eine Gelddruckmaschine für die Organisation. Das Prinzip ist von Rockergruppen bekannt, die größere Veranstaltungen wie Konzerte, „Bike-Weeks“ oder Tattoo-Conventions ausrichten. Nahezu alle Arbeiten, vom Thekendienst bis zur Security und der Reinigung der Toiletten leisten diensteifrige Anwärter und Hangarounds, die für ihre Arbeit ein paar Freigetränke und Essensgutscheine, aber in der Regel nicht einmal die Anfahrtkosten ausgezahlt bekommen. Oft werden diese von der veranstaltende Gruppe von den Chaptern im ganzen Land herbestellt. So bleiben für die Veranstaltenden als Unkosten für ein Konzert allenfalls die Kosten für die Bands, die Hallenmiete, die Soundtechnik und für ein paar Mietautos. Personalkosten entfallen komplett, da die Hammerskins durch ihre Struktur von Supportern und Prospects über loyale Arbeitskräfte verfügen können. Hier liegt auch einer der Gründe für die lange Anwärterzeit. Denn ein Vollmitglied lässt – seinem gehobenen Status entsprechend – nach Möglichkeit für sich arbeiten.
Dass bisher noch kein „Hammerfest“ in Deutschland stattgefunden hat, ist kein Indiz für eine geringere Bedeutung der deutschen Hammerskins, sondern liegt daran, dass man die öffentliche Aufmerksamkeit scheut und dem potenziellen Verbotsrisiko ausgesetzt ist, mit denen man in Frankreich, Italien und Ungarn so nicht zu rechnen hat. Deutsche Chapter sind aber in die Planung und Durchführung eingebunden, Landesgrenzen spielen keine Rolle. Beim „Hammerfest“ am 2. November 2019 in Plaine in Frankreich, 50 Kilometer von der deutschen Grenze entfernt, stellten Hammerskins der deutschen Chapter «Westwall» und «Sarregau» einen erheblichen Teil des Personals.
Doch gerade in Plaine 2019 mussten die Hammerskins erleben, dass ein „Hammerfest“ selbst mit Headlinern aus den USA keine Garantie für ein attraktives und einträgliches Event sind. Es spielten an dem Abend «Mistreat» aus Finnland, «Green Arrows» aus Italien, die Berliner Band «Kraft durch Froide» und «Blue Eyed Devils» aus den USA. Doch es kamen nur wenige hundert ZuschauerInnen, die sich in einer viel zu großen Halle verloren. Der Sound war grauenhaft, Stimmung kam nicht auf und der Platz vor der Bühne blieb leer. Zwei Teilnehmende wurden aus nichtigem Anlass von der Security im Konzertraum und vor allen Leuten zusammengeschlagen, wobei sich die Prospects dabei hervortaten. So sollten wenigstens alle Anwesenden sehen, was für harte und unerbittliche Kerle Hammerskins doch sind.
Das Territorium wird markiert
Das „Hammerfest“ ist nicht nur eine Gelegenheit Bands zu sehen, sondern auch szeneintern sichtbar werden zu können. Hinter der Bühne und an den Hallenwände bringen die anwesenden Chapter ihre Banner an und zeigen darüber ihre Präsenz. So entsteht der Eindruck einer großen Gemeinschaft. Es ist zugleich ein Gestus der Selbsterhöhung und der Markierung eines Territoriums und soll zeigen, wer hier das Sagen hat. Selbst wenn sich Hammerskins zum „Wintercamp“ in einer Selbstversorgerhütte in den österreichischen Bergen treffen: Die Banner sind immer dabei und werden bei sich bietender Gelegenheit an die Balkonbrüstung gehangen – und sei es um ein Foto für die Zuhausegebliebenen oder den HSN-Jahreskalender zu machen.
Dabei sagen die Fahnen weder etwas über die Bedeutung der Chapter aus, noch darüber, ob nur eine Person oder das gesamte Chapter anwesend ist. So hing das Banner des Chapter «Bremen» am 17. März 2012 in den USA bei einem Konzert der Hammerskins hinter der Bühne, doch vermutlich war nur eine Person aus diesem in die USA gereist. Das Chapter «Bremen» mag sich nun einbilden, weltweit Bedeutung zu haben.
Für die Bewegung
Den Hammerskins ist es wichtig, Teil der neonazistischen Bewegung zu sein. Ihnen geht es nicht immer darum, das verdiente Geld, in die eigenen Kassen fließen zu lassen. Immer wieder unterstützen sie Projekte anderer, ohne sich dabei selbst zu präsentieren. Im Jahr 2004 erschien die erste jener „Schulhof-CDs“, die in einer Auflage von mehreren 10.000 produziert und kostenlos an Schulen und Jugendtreffpunkten verteilt werden sollte. Ein erheblicher Teil der Finanzierung dieser CD kam aus der Struktur von Redeker, doch nirgendwo auf dieser CD findet sich ein Hinweis auf die deutschen Hammerskins, nur die «Crew 38 Schweiz» gab sich als Unterstützerin zu erkennen.
Immer wieder werden „Solidaritätskonzerte“ von Hammerskins organisiert oder unterstützt. „Ein ganz besonderer Dank gilt neben den Bands natürlich der HSN, die einen hervorragenden Job abgeliefert hat und ohne deren Unterstützung dieses Konzert so nicht möglich gewesen wäre!“, bedankt sich ein User in einem Konzertbericht im neonazistischen „Thiazi Forum“. Dabei ging es um ein Konzert am 22. August 2009 in Belgien mit rund 800 BesucherInnen und den Bands «Stahlgewitter», «Radikahl», «Rotte Charlotte», «Kommando Skin» und «Libertin». Das Konzert diente der Unterstützung der Aktionen zum „Antikriegstag“ in Dortmund. Von 2005 bis 2012 führten Dortmunder Neonazis mit dem jährlichen „Anitkriegstag“ einen Aufmarsch mit internationaler Beteiligung durch.
Auch für die bundesweite Aufmarschreihe „Tag der deutschen Zukunft“ (TddZ) organisierten Hammerskins „Solidaritätskonzerte“. So fand am 01. April 2017 im Clubhaus der «Lorraine Hammerskins» in Frankreich ein Konzert mit «Flak» und anderen Bands statt, zwei Jahre später wurde über die Mailadresse von Malte Redeker die Ankündigung für eine „Soliveranstaltung für den TdDZ 2020“ verschickt. Das Konzert mit mehreren Bands sollte in Bad Harzburg stattfinden, wurde jedoch von der Polizei aufgelöst.
Im Jahr 2012 organisierte der Thüringer Neonazi Steffen Richter ein Konzert zur Unterstützung von Ralf Wohlleben aus Jena, der im Münchner NSU-Prozeß angeklagt war. Dazu fragte er Redeker nach Kontakten zu Bands. Redeker schrieb zurück: „Hat gutet zweck was mit jena zu tun? Dann wäre die bereitschaft eventuell höher.“ (sic!) Als Richter bejahte, dass es um Gelder für Wohlleben geht, versicherte ihm Redeker: „Ich klemm mich hinter.“
Für die Holocaust-Leugnerin Ursula Haverbeck sammelten die Hammerskins ebenfalls Geld. Während am 10. November 2018 mehrere Hundert Neonazis in der Bielefelder Innenstadt für die Freilassung der damals inhaftierten Haverbeck aufmarschierten, organisierten Brandenburger Hammerskins für den Abend unter dem Motto „United we Stand“ ein Solidaritätskonzert. Im thüringischen Kircheim standen an dem Abend die Bands «Confident of Victory», «Exzess», «Heiliger Krieg», «Uwocaust» und «Exzess» auf der Bühne.
Hammerskin Allroundservice
Die Hammerskins organisieren aber nicht nur selbst Konzerte, sondern werden auch für solche gebucht. Der Allroundservice für Konzerte geht von der Band-Beschaffung bis zum Thekenservice und dem Security-Dienst. Mit ihrer straffen Hierarchie, ihrer hohen Disziplin, ihren Bandkontakten und der langjährigen Szeneerfahrung bietet sich die HSN für derartige Dienstleistungen gerade zu an.
Wer am 7. Mai 2018 in Mailand das „Hot Shower Festival“ besuchte, eines der bedeutendsten Konzerte des neonazistischen Black Metal in Europa, fiel schnell auf, dass am Einlass, an der Theke und als Security etliche Hammerskins beschäftigt waren. Sie richteten das Konzert weder aus noch waren sie Fans des Black Metal, sondern wurden offensichtlich angeheuert. Für Veranstaltungen wie das „Hot Shower-Festival“, bei denen Hakenkreuzfahnen geschwenkt werden, kann man schließlich nicht irgendeine kommerzielle Firma engagieren. Im Line-up befanden sich an diesem Abend mit «Absurd» und «Stahlfront» auch zwei deutsche Bands und im Publikum waren viele Deutsche. Schon seit Jahren kaufen sich die Veranstalter des Festivals, das seit 2012 jährlich stattfindet, die Dienste der Hammerskins ein. Das Event 2013 fand gar im «Skinhouse» in Mailand, dem Clubhaus der Italienischen Hammerskins statt. Natürlich regelten auch hier die „Brüder“ den Einlass, Theke und Security und stellten somit die nahezu komplette Struktur für das Konzert.
Ähnliche Beobachtungen wie in Italien lassen sich auch in Deutschland machen. Am 28. Oktober 2017 fand im Thüringischen Themar ein Konzert unter dem Motto „Rock gegen Links“ statt. Es kamen 1.000 BesucherInnen. Angemeldet hatte das Konzert der bayerische NPD-Funktionär Patrick Schröder, der Kartenvorverkauf lief hingegen über «Front Records» von Malte Redeker. Mit den Australiern von «Fortress» und den «Blue Eyed Devils» aus den USA traten zwei bekannte Hammerskin-Bands als Headliner auf. Malte Redeker brachte «Fortress» zum Konzertort und Hammerskins waren in verschiedenster Weise in die Organisation eingebunden. Überliefert ist ein Gespräch bei dem Schröder zu Redeker sagt: „Ich schick ab jetzt alle mit Bandproblemen zu dir“, Redeker stimmte zu. Nirgendwo auf der Veranstaltung hing ein Hammerskin-Banner, keine Gruppe posierte mit HSN-Insignien. Man wollte sich nach Außen nicht als solche zu erkennen geben. Von Schröder ist bis dato kein besonders enges Verhältnis zu den Hammerskins bekannt. Die Frage ist, wer wen eingebunden oder angeheuert hatte: Schröder die Hammerskins oder die Hammerskins Schröder? In jedem Fall war es eine professionelle und mit Sicherheit einträgliche Zusammenarbeit von Geschäftspartnern.
Fit machen für den Tag X
Kampfsport, die Vermittlung von Nahkampf-Techniken, Fitness-Trainings, Powerlifting und der unbedingte Anspruch auf Körperkult und gesunde Lebensart: Die „Wehrhaftmachung“ der Szene ist im vollen Gange und findet nicht mehr nur im individuellen Rahmen statt, sondern wird flächendeckend forciert. Präzise werden junge Menschen über den Sport geködert, während die Älteren sich aktiviert fühlen und in ihrem Ego gefordert werden.
Mittendrin die Hammerskins als Stichwortgeber, Logistiker und Financier, die sich selbst und andere ständig zu übertreffen versuchen – in der Sehnsucht nach der Erschaffung des „Übermenschen“, durch Taten „unsterblich“ zu werden und alles für „Volk und Nation“ geben zu wollen.
Man habe sich von der Allgemeinheit zu unterscheiden
„Körperliche Fitness und Training sind ein Muss (…) eine Elite ist körperlich fit und ist bereit körperliche Anstrengungen zu ertragen (…)“. So steht es unter Punkt 3 des Regelwerks europäischer Hammerskins um die Jahrtausendwende.
Körperliche Fitness wird als Notwendigkeit erachtet, um als erhaben wahrgenommen zu werden. Sich gesund und fit zu halten soll aber auch die Grundlage schaffen, in körperlichen Auseinandersetzungen „seinen Mann stehen“ zu können. Ein wichtiger Aspekt innerhalb der Eigenwahrnehmung der extremen Rechten, in der Männlichkeit immer mit Attributen wie Stärke und Dominanz verknüpft ist. Oder eben Härte und Brutalität, die schon durch den Skin-Look der 1990er Jahre, durch Boots, kurz geschorene Haare und Bomberjacken ausgestrahlt werden sollten. Ein uniformes, martialisches Bild, an dem vor allem Gruppen wie die Hammerskins vehement versuchen festzuhalten. Dabei wirkt der Skin-Kult innerhalb der extremen Rechten längst überholt und wurde schon vor 20 Jahren in Frage gestellt, da er in der politischen Agitation kaum noch zeitgemäß wirkte. Auch das Image des „krakigen Suff-Skins“ der 1990er Jahre war nicht förderlich für die Außenwirkung. Die Hammerskins mögen demnach wie ein Relikt wirken und stehen vermeintlich im Widerspruch zu aktuellen Entwicklungen. Doch scheinen sie der Diskussion erhaben, denn es waren vor allem Mitglieder der HSN, die schon früh Aspekte der körperlichen Ertüchtigung, der Selbstkontrolle-und Disziplin bezüglich Alkohol und Drogen, wie auch bewusst die Schulung und Ausprägung von Fähigkeiten im Kampfsport, bzw. Straßenkampf voran trieben.
Wenn heute über das Erstarken von Kampf-und Kraftsport in der extremen Rechten berichtet wird, beginnt oftmals die Datierung der Einflussnahme bei Mitte der 2000er Jahre. Tatsächlich ist es aber kein Phänomen des neuen Jahrtausend, sondern ließ sich bereits in den 1990er Jahren beobachten.
Blättert man in Fanzines aus dieser Zeit, etwa in Heften wie dem damals weit verbreiteten und der HSN nahe stehenden «Resistance Magazine» aus den USA, stößt man bereits 1995 auf einen Artikel der übersetzt den Titel „Körperliche Fitness und die Arier“ trägt. So heißt es in dem Artikel:
„Einem Box-oder Kampfsportclub beizutreten ist ebenfalls eine gute Idee, und eine exzellente Möglichkeit um in Form zu kommen, während man Fähigkeiten entwickelt die für ein Überleben essentiell sind (…) Fit und in Form zu sein, bringt dich im Leben so viel weiter. Es verbessert dein Auftreten und baut dein Selbstvertrauen auf. Innerhalb der rassistischen Bewegung geht es darum, die Lebensqualität zu verbessern und in guter, physischer Kondition zu sein ist der erste Schritt um eine gesunde, genetisch begnadete Partnerin auf dich aufmerksam zu machen.“ (Übers.d.Verf.)
Im Artikel werden dabei zwei Aspekte verarbeitet. Zum einen, dass durch Sport physische Dominanz entwickelt werden könne, d.h. um den politischen Gegner*innen überlegen zu sein. Zum anderen würde man dadurch innerhalb der „Bewegung“ an Attraktivität gewinnen. So, wie es eben auch die Hammerskins beschwören.
Unter Punkt 7 ihres Regelwerkes erklären diese um 2000, wie man innerhalb der Szene selektieren wolle, um eine sogenannte Elite heraus bilden zu können. Nicht nur der Konsum und der Verkauf illegaler Drogen sei verboten, heißt es, sondern auch Alkohol und Tabak seien für den Körper schädlich und „keinesfalls einer elitären Sache dienlich“. Man dulde kein „asoziales Verhalten“ in den eigenen Reihen, da man sich „von der Allgemeinheit zu unterscheiden“ habe, erklärten sächsische Hammerskins ihren Umgang mit Alkohol.
„Gesunder Geist, gesunder Körper“ – eine heute vielfach und spektrenübergreifend benutzte Losung, die sich im Kern auf den nationalsozialistischen Gedanken der „Reinheit“ und „Körperhygiene“ bezieht. Auch der Versuch Konzepte wie Straight Edge zu adaptieren, muss in diesen Kontext gesetzt werden. Es geht den Neonazis schließlich nicht um die Werte der in den 1980er Jahren aus der linken, progressiven Subkultur entstandenen Form des drogenfreien, selbstbestimmten Lebens. Vielmehr geht es um die Intoleranz gegenüber „Volksschädlingen“, die nicht auf ihren Körper achten und sich dem Konsum der westlichen Welt hingeben würden. Ein Leben ohne Alkohol, Nikotin und sonstige Drogen, wie auch den Verzicht tierischer Produkte propagierten Ende der 2000er Jahre vor allem Einzelpersonen aus dem Spektrum der «Autonomen Nationalisten», ohne, dass das Konzept für rechte Lebenswelten tatsächlich relevant zu sein schien. Heute, in Anbetracht des gesamtgesellschaftlichen Fitness-Booms, gewinnt das Thema in der Szene allerdings an Relevanz.
Bemerkenswert ist jedoch, dass sich die Hammerskins in Deutschland schon vor 20 Jahren dem Thema Straight Edge versuchten anzunehmen. So fand man um die Jahrtausendwende im Fanzine des Chapter «Mecklenburg» einen Gastbeitrag der «NS-Aktionsgruppe Drogenfrei Leben». Dort heißt es, dass Drogenkonsum „nichts mit Stärke oder Männlichkeit zu tun“ habe „sondern eher mit Schwäche“. „Sinn und Zweck ist es seinen Körper rein zu halten und einen freien Geist zu haben (…)“, erläutert die Gruppe, „damit wir die großen Aufgaben und Probleme die sich unserer Bewegung stellen lösen können“. Darüber hinaus wolle man aufmerksam machen „in wessen Hand sich diverse Alkohol-und Tabakfirmen befinden“. „Die führenden Drahtzieher im weltweiten Drogenhandel sind ebenfalls in dieser ‚Religionsgemeinschaft‘ zu finden“, so die Gruppe. Gemeint ist die in der extremen Rechten verbreitete antisemitische Annahme, dass Jüdinnen*Juden einer Weltverschwörung angehören würden, die auf Wirtschaft und Politik Einfluss nehme.
Nicht zuletzt setzt die «NS-Aktionsgruppe Drogenfrei Leben» im Heft der «Hammerskins Mecklenburg» den Verzicht von Rauschmitteln in einen historischen Kontext. Unvermittelt nennt man Adolf Hitler als Vorreiter der Idee, „den Mann in der heutigen Zeit sicherlich als ‚Straight Edger‘ bezeichnen würde.“(sic!) Der Nationalsozialismus selbst sei „das Gesetz des Lebens“. Damit endet der Gastbeitrag.
Dass es die «Hammerskins Mecklenburg» waren, die jene Aspekte in ihrem Fanzine «Crossed Hammers» verarbeiteten, wirkt heute schlüssig. Denis Tomzek, Gründungsmitglied des Chapters, war immerhin einer der ersten Hammerskins in Deutschland, die sich schon lange vor Formaten wie dem «Kampf der Nibelungen» (KdN) aktiv im Kampfsport betätigten. Aus seiner Zugehörigkeit zur Bruderschaft machte er im Ring keinen Hehl und präsentierte etwa auf der „5. Neubrandenburger Fightnight“ im Februar 2011 sein Rückentattoo, das zwei gekreuzte Hämmer und ein Keltenkreuz zeigt – das (alte) Wappen der «Hammerskins Mecklenburg». Erst Jahre später übermalte oder überklebte er das Symbol während seiner Kämpfe. Nicht nur, weil er heute offenbar kein Mitglied der Bruderschaft mehr ist, sondern auch, weil die Verwendung des Keltenkreuzes in Deutschland unter Strafe steht.
Den Körper „rein zu halten“ hieß im historischen Nationalsozialismus, sein Blut und damit seine Erbmasse nicht „zu beschädigen“. Vor allem über die sozialen Netzwerke und der dort herrschenden Macht der Bilder können heute die kruden Vorstellungen von Körperkult und „Rassenhygiene“, modern verpackt tausende Menschen erreichen. Dabei spielt auch die Verwendung nationalsozialistischer Bilder, wie das des „Übermenschen“, eine enorme Rolle. Sich selbst zum „Übermenschen“ zu erziehen sei auch der Anspruch der Hammerskins, wie einer der Gründer der HSN in den USA im Frühjahr 1999 in seinem Schriftstück „What makes a Hammerskin“ festhielt. Diese Selbsterziehung sei Pflicht eines jeden Mitglieds. Das „Eigene“ müsse geschützt und das „Artfremde“ bekämpft werden. Die Darstellung des „Übermenschen“ wirkt dabei gottgleich und ist ein Ausdruck für die niemals endende Selbstoptimierung.
Fit zu bleiben und sich dadurch „wehrhaft“ zu machen sind also keine neuen Ansätze und Konzepte, sondern ein schon früh mehr oder minder beachteter Aspekt der extremen Rechten. Durch (sportliche) Aktivitäten lassen sich positive Impulse setzen und Gemeinschaften schaffen. Diese Impulse sind Versuche eine „Bewegung statt Szene“ zu schaffen. Auch deshalb ist im speziellen Kampf-und Kraftsport heute eines der wichtigsten Aktionsfelder im Kampf um die Köpfe sowie eine Erweiterung der eigenen Erlebniswelt – geprägt und geformt unter Mithilfe der HSN.
Der «Kampf der Nibelungen» – ein „Hammer“-Event?
„Wir brauchen Sport innerhalb der Bewegung um die Straßen von Deutschland endlich – naja, zu befreien wäre jetzt eine andere Sache – zu verteidigen“.
Mit diesen Worten erklärt der Dortmunder Neonazi Alexander Deptolla, der seit April 2021 Landesvorsitzender der extrem rechten Kleinstpartei «Die Rechte» in NRW ist, den Zweck von Kampfsport um das Format KdN. Er geht dabei auf das Narrativ der Szene ein, sich in einem Abwehrkampf zu befinden. Statt auf Deutschland hätte sich Deptolla auch auf Europa beziehen können, denn extrem rechte Identität hört nicht an den Landesgrenzen auf. Vielmehr wird sich auf die „Verteidigung Europas“ bezogen – „Defend Europe“ als länderübergreifender Kampfbegriff „weißer Nationalisten“.
Um die 350 Neonazis sind es, die der knapp zehnminütigen Rede von Deptolla auf dem „Schild & Schwert“-Festival am 2. November 2018 im sächsischen Ostritz folgen. Ursprünglich habe man an dem Abend Team-und Einzelkämpfe zeigen wollen. Geblieben waren den Veranstaltenden letztlich nur Showkämpfe und Vorführungen, abgerundet mit Auftritten diverser NS-Hardcore-Bands wie «Terrorsphära». Nur zwei Wochen zuvor war am selben Ort das Hauptevent des KdN über die Bühne gegangen, zu dem bis zu 800 Neonazis aus ganz Europa anreisten.
Der KdN wurde ursprünglich als «Ring der Nibelungen» ins Leben gerufen und fand 2013 erstmals, wie auch im Folgejahr, in den Räumen des «Asgard Fightclub» in Vettelschoß, Rheinland-Pfalz, statt. Dabei trat Matthias Herrmann, der noch bis 2013 Fullmember bei den «Hammerskins Westmark» war, vor Ort als Anmelder und Veranstalter auf. Intern bewarb das «Aktionsbüro Rhein-Neckar» das Kampfsport-Event, ein damals im Raum Mannheim aktives Netzwerk, dem etliche Hammerskins angehörten. Am Event selbst nahmen nicht mehr als 150 Neonazis teil, auch weil das Debut lediglich im kleinen Kreis beworben wurde. Zur Rolle der Bruderschaft musste sogar die Bundesregierung auf eine Kleine Anfrage der Partei «Die Linke» im November 2018 feststellen, dass die erste Veranstaltung des KdN 2013 „als eine HS-Veranstaltung bewertet werden“ könne. Bei den folgenden Turnieren könne jedoch „nicht mehr von einem echten HS-‚Bezug‘ gesprochen werden“, heißt es in der Antwort zur Anfrage weiter, da „einzelne HS-Mitglieder“ nur noch für „Unterstützungsleistungen“ zuständig gewesen seien. Wie ein „echter HS-Bezug“ zu definieren ist, bleibt in der Kleinen Anfrage ungeklärt. Fest steht, dass auch in den Folgejahren Hammerskins maßgeblich für die Durchführung des KdN verantwortlich waren.
So war es allen voran Malte Redeker, Europa-Chef der Hammerskins, der die Kampfsport-Strukturen zusammen brachte und die Veranstaltung zu dem formte, was es heute ist: eine der wichtigsten Schnittstellen der militanten Neonazi-Szene.
Neben Redeker und Herrmann waren in der Anfangszeit auch andere Hammerskins, vorrangig vom Chapter «Westmark/Westwall» mit der Organisation des Events befasst. Etwa der 2015 verstorbene Roland Sokol, der sich um die Aufstellung von KämpferInnen gekümmert hatte. So fragte er u.a. beim Hamburger Neonazi-Kampfsportler und Zuhälter Frank Kortz an, ob dieser Lust hätte zu kämpfen. Kortz, der zum Zeitpunkt am Anfang seiner Mixed Martial Art (MMA)-Karriere stand, sagte Sokol zu und teilte ihm mit, dass er sich dafür bereits bei „Malte“ aus „LU“ – also Malte Redeker aus Ludwigshafen – angemeldet habe. Im engen Kontakt zu Kortz stand damals auch Wolfgang Benkesser. Dieser war nicht nur im Rotlicht-Geschäft in Norddeutschland um Kortz tätig, sondern trainierte auch mit ihm MMA beim «Team Ardalan» in Hamburg.
Redeker meldete 2014 die «Funsport Arena» in Vettelschoß für den KdN an, in der sich die Räume des «Asgard Fightclub» befinden. Als Organisation hatte man den „Boxclub Dortmund“ angegeben, den es offiziell als Verein nie gab. Vielmehr war es das Label einiger Neonazi-Hooligans um Timo Kersting aus Dortmund, unter dem diese etwa an Kämpfen in Russland bei «White Rex» teilnahmen. Der Lokalzeitung Die Rheinpfalz teilte Redeker im Vorfeld des KdN im Oktober 2015 mit: „Ich weiß noch nicht mal, ob ich überhaupt hingehe.“. In diesem Jahr wurde der «Ring der Nibelungen» in «Kampf der Nibelungen» umbenannt und fand in einer Lagerhalle in Hamm bei Dortmund statt. Wie schon die Jahre zuvor übernahm Malte Redeker die Funktion eines Ringrichters, während weitere Hammerskins Aufgaben in der Organisation übernahmen. Plakativ mit einem Shirt der «Hammerskins Berlin» bekleidet, posierte Wolfgang Benkesser an dem Tag im Ring, gemeinsam mit dem russischen Neonazi und Gründer der extrem rechten Bekleidungs- und Kampfsportpromotion «White Rex», Denis Kapustin, genannt „Nikitin“. Benkesser, einer der Gründer des Chapter «Westmark», trat ein Jahr später auf dem KdN augenscheinlich selbst als Kämpfer an.
Trainings im Ausland und die Angst ausgeschlossen zu werden – ein Exkurs
Benkesser trainiert bis heute im Amateurbereich Muay Thai und reiste für Trainings sogar nach Thailand, wie im Januar 2020. „Das nächstes mal fliege ich mit“ kommentierte er schon ein Jahr zuvor ein Bild seines „Bruders“ Marc Hoppe, das diesen in einem thailändischen Gym im April 2019 zeigt. Hoppe, der in Deutschland im «Bulldog»-Gym in Karlsruhe anzutreffen ist, wie auch Benkesser sind nicht die Einzigen vom Chapter «Westwall», die es ins Mekka des Muay Thais nach Südostasien zieht. Denn seit über zehn Jahren schon fröhnt auch Malte Redeker dem Kampfsport-Tourismus. 2016 verband er sogar seine Flitterwochen mit Trainings im renommierten Gym «AKA Thailand» in Phuket. Vorgestellt als „Frederik Redecke“ gab er im Rahmen eines Trainings ein spontanes Interview, das später auf YouTube landete: „Wir sind hier seit fast drei Wochen im Urlaub. Ich habe mal gekämpft als ich noch ein bisschen jünger war (..) mir wurde empfohlen hier ein paar Sessions mitzunehmen und das ist es, was ich hier tue (…)“, erzählte er auf englisch freigiebig. Schon im Frühjahr 2009 hatte er mit seinem damaligen Verein «Thaistorms Mannheim» an Trainings in Thailand teilgenommen, innerhalb dessen er es ebenso vorzog auf Wettkämpfen als „Frederik Redecker“ anzutreten. Das half ihm jedoch wenig, da antifaschistische Gruppen seine Tätigkeiten im Verein öffentlich machten und der dadurch entstandene Druck Redeker zwang, das Gym im Dezember 2011 zu verlassen. Er sei dort nicht irgendwer gewesen, sondern u.a. Co-Trainer und Wettkampfrichter, teilte er einem „Bruder“ wenig später mit. Im Jahr 2013 dockte er dann beim «Faustrecht»-Gym in Ludwigshafen an, bis er um 2017 bei der Kampfsportschule «Fuchs» Fuß fassen konnte. Unbeeindruckt von seiner einschlägigen Personalie konnte er für das Gym im November 2017 bei der deutschen Meisterschaft der «World Kickboxing and Karate Union» (WKU) in Neuwied antreten und holte auch im Mai 2018 auf der „WFMC Championship“ in Leverkusen für das Team «Fuchs» Pokale im Kickboxen ein. Am Vorgang, seine Identität zu verschleiern, änderte er dabei nur wenig. Mal wurde auf Fotos in den sozialen Medien sein Gesicht bewusst nur halb abgebildet, auf anderen Fotos, etwa von einem Turnier im Mai 2018, versteckte er sich hinter den Pokalen – anders als sein Trainingspartner und langjähriger politischer Mitstreiter Jan Zrzodelny, der sich auf dem Event in Leverkusen offen präsentierte. Zrzodelny kämpfte ebenfalls mehrmals auf dem KdN und ist eng an die Strukturen der Hammerskins um das Chapter «Westwall» angebunden.
Zum System Redekers gehört ebenso, sich zwar offiziell aus dem Vereinsgeschehen mit Bild und Namen rauszuhalten, gleichzeitig aber mit seinen Erfolgen zumindest szeneintern nicht hinter dem Berg zu halten: „Wir gratulieren unserem Kämpfer vom KDN-Team zum 2. und 3. Platz bei der Kickbox Weltmeisterschaft“ heißt es im Oktober 2017 auf der Facebook-Seite des KdN. Zu sehen ist auf dem beigefügten Bild nur der Oberkörper eines leicht untersetzten Mannes, der bekleidet in einem Shirt des KdN stolz seine Medaillen präsentiert. Zweifelsfrei handelt es sich dabei um Redeker, erkennbar u.a. an seinen Tattoos. Das Bild wiederum entstand im Rahmen der „WFMC Championship“ in Hagen, nur eine Woche nachdem Redeker als Ringrichter beim KdN in Kirchhundem tätig war.
Vor allem in professionellen Gyms erlernen Neonazis wie Redeker ihre Fähigkeiten im Kampfsport. Die Szene ist zwar heute wesentlich breiter vernetzt und beheimatet zahlreiche TrainerInnen aus den verschiedenen Kampfstilen, doch wird es noch einige Jahre brauchen, um großflächig eigene Gyms zu unterhalten und professionelle Trainings anbieten zu können. Versuche gab und gibt es bereits, doch durch die Intervention antifaschistischer Gruppen konnten Bestrebungen frühzeitig erkannt und öffentlich gemacht werden. Dies musste auch Redeker 2011 am eigenen Leib erfahren, als gegen ihn hinsichtlich seiner Rolle bei «Ludwigshafen Nazis und Rassisten» (LuNaRa) ermittelt wurde. Er hatte der Gruppe, die sich selbst auch als „NS Hooligans“ bezeichnete, Kampfsport-Techniken vermittelt, sodass sogar das LKA hellhörig wurde. Intern soll die Behörde die Gruppe um Redeker und seine Mitstreiter Dierck Wagner und Mathias Endreß als „terroristische Vereinigung“ eingestuft haben. Allerdings auch, weil Redeker Schießübungen im Ausland angeboten haben soll und die Gruppe demnach als „Wehrsportgruppe“ wahrgenommen werden konnte.
Rechte Hooligan-Szenen als Rekrutierungsfeld
Nicht nur Redeker unterhält enge Kontakte zum rechten Hooligan-Milieu in Süddeutschland. Sowohl Benkesser und Hoppe als auch Jan Ruprecht sind als „Gewalttäter Sport“ polizeilich bekannt und tummeln sich um die Fußball-Vereine SV Waldhof Mannheim und Karlsruher SC. Der verstorbene Hammerskin Roland Sokol pflegte zudem Verbindungen zur ostdeutschen Hooligan-Szene und nahm sogar 2007 an der Beerdigung von Rico Malt, Chef der «Hooligans Nazis Rassisten» (HooNaRa) in Chemnitz, teil.
Eine durchaus nützliche Verbindung, wenn man personelle Hilfe etwa bei der Absicherung eigener Events braucht. So geschehen im November 2013, als vorrangig die «Westwall Hammerskins» den Sicherheitsdienst für ein Konzert im «Rössle» im badischen Söllingen anlässlich des 60. Geburtstags von Siegfried Borchardt, genannt „SS-Siggi“, aus Dortmund stellten. Intern hieß es im Vorfeld, dass man insgesamt „25-27 Personen“ sein werde „allerdings sind darin schon 2-3 Frauen mit eingerechnet“, aber man bekäme „noch 2-3 Leute aus Dortmund. Und dann evtl. noch 3-5 Leute vom Fußball!“.
Personen aus extrem rechten Hooligangruppen als Kämpfer auf Events des KdN sind keine Seltenheit. Die Hooliganszene als Rekrutierungsfeld ist aber nicht nur zur Aufstockung des Personals für interne Events attraktiv. Durch neue Bündnisse und die Pflege alter Verbindungen wird schließlich ein Zugang zu einem enormen Potential von Gewalttätern geschaffen. Wie ein solches Netzwerk wirken kann – trotz dessen nicht nur Hooligans vor Ort waren – wurde bei der «Querdenken»-Kundgebung im Dezember 2020 in Düsseldorf sichtbar.
Neben einer selbst ernannten Post-HoGeSa-Anhängerschaft und Fans der rechten Hooliganband «Kategorie C» war auch eine größere Gruppe organisierter Neonazis und rechter Hooligans vor Ort. Unter ihnen Malte Redeker, sowie eine Reisegruppe aus Dortmund um Alexander Deptolla. Bewusst wurde sich am Rande der Kundgebung aufgehalten, die schwarzen Tücher tief ins Gesicht gezogen. Es schien, als ob man Absprachen abgehalten und sein Personenpotential durch kalkulieren wollte. Mit Protektoren-Handschuhen bekleidet und besonders auffällig durch seine Körpergröße, stieß auch Benkesser für eine kurze Zeit zu der Gruppe, verschwand dann aber wieder in Richtung Innenstadt und Bahnhof. Dort hatten Neonazi-Hooligans anwesende Antifaschist*innen angegriffen. Benkesser war federführend an dem Angriff beteiligt.
Sein „Standing“ in der Hooliganszene kommt nicht von ungefähr. Seit mindestens Anfang der 2000er Jahre nimmt er an „Ackerkämpfen“ teil, vorrangig für die Hooligans des SV Waldhof Mannheim. Als 2003 ein Gruppenbild im Nachgang eines verabredeten Kampfes aufgenommen wurde, war es Benkesser, der den „Crossed-Hammers“-Gruß zeigte. Heute, mit fast 45 Jahren, ist Benkesser auch weiterhin im konspirativen Geschehen der deutschen Hooliganszene präsent. Erst im Frühjahr 2021 kämpfte er für eine Gruppe bestehend aus Personen aus Mannheim und Basel gegen ein Team aus Hooligans des BFC Dynamo und aus Weißenfels. Seine zwei blauen Augen präsentierte er später stolz in den sozialen Medien.
Im Juni 2019 machten Benkesser eine Reise nach Mallorca. Dort traf er sich mit Hooligans der «Gelsenszene» von Schalke 04 und den «City Boys» aus Mannheim. Ebenso verbrachte er mehrere Tage mit den rechten Hooligans der «Nordischen Wut» aus Rostock. Die Gruppe galt einige Zeit als aktivste ostdeutsche „Ackercrew“. Hauptsächlich fiel diese durch ihre unmittelbare Nähe zur Neonazi-Szene um den im Juni 2021 verbotenen «Aktionsblog/Baltik Korps» in der Hansestadt auf. Die Reise Benkessers wirkt wie ein Versuch neue Mitstreiter zu aquirieren.
Nicht nur die „Freundin von“
Mindestens seit dem KdN 2016 in Gemünden in Hessen lassen sich nicht nur deutsche Hammerskins in der Organisation finden. Neben Redeker ist bis heute auch Eduardo Chapela als Ringrichter auf den Events tätig. Der Chef der spanischen Hammerskins trat mit seinem „Tattoo Thor MMA Team“ schon Mitte der 2000er Jahre in Spanien bei Wettkämpfen an. Erkennbare Bezüge zur Bruderschaft ließ er dabei nicht aus, schließlich prangt auf der Team-Bekleidung nicht nur Werbung für sein Tattoostudio in Malgrat de Mar bei Barcelona, sondern auch der Schriftzug „Outlaw“. Eine Referenz auf die «Hammerskins Espagna», die vor rund zehn Jahren verboten wurden und sich seit dem zumindest in der Öffentlich mit „Outlaw“-Schriftzügen präsentieren. Chapelas damalige Partnerin, Mutter seiner Kinder und einst eine der wenigen weiblichen Vollmitglieder der HSN bis mindestens 2015 – Roos Kraetzer Sturm – bestritt für das „Tattoo Thor MMA Team“ ebenfalls Kämpfe im Muay Thai.
Ein auffälliges Gleichnis, denn auch Heike Redeker, geborene Neumann, wurde von ihrem damaligen Ehemann Malte Redeker auf Kämpfe vorbereitet. Etwa als sie für die „Thaistorms“ im März 2011 im Raum Dresden in den Ring stieg. Redekers neue Ehepartnerin Katrin Matz war es dagegen, die wie bereits erwähnt, ihre Flitterwochen 2016 in Thailand mit Redeker verbrachte. Eduardo Chapela hatte sie ebenfalls bereits kennen gelernt. Bilder vom „Schild & Schwert“-Festival im April 2018 zeigen Matz, Redeker und Chapela auf dem Gelände in Ostritz, auf dem der KdN ein Turnier abhielt. Im November 2018 war Chapela abermals in Ostritz zugegen, wenn auch nur als Zuschauer der dort gezeigten Showkämpfe.
Frauen als aktiver Teil der rechten Kampfsport-Szene seien erwünscht, heißt es in Darstellungen der extremen Rechten. Beim KdN haben es schließlich nicht nur „Nummerngirls“ in den Ring geschafft, sondern auch Kämpferinnen wie Julia Thomä oder Emma Gongora aus Frankreich. Darüber hinaus stand Redeker bereits zum ersten Event des Formats 2013 in Kontakt mit Tirza Müller, die heute in der Partei «Der III. Weg» in München aktiv ist. In einer privaten Nachricht bot sich Müller an: „Ich werde natürlich auch gerne Punktrichter machen, habe dafür auch die benötigte Ausbildung. Meine größte Erfahrung konnte ich auf der ISKA- WM in Spanien machen, war dort 5 Tage als Punktrichter bei Vollkontakt, K1 und Thai Boxen im Einsatz.“ Redeker wiederum erklärte ihr: „Ich bin zugelassener Ring,-und Punktrichter beim grössten Thai Box Verband in Deutschland. Habe bislang 40 Kämpfe ‚gerichtet‘. Falls Du mich im Ring unterstützen kannst/ möchtest, sage ich natürlich nicht nein.“ Tirza Müller ist bis heute in die Organisation des KdN eingebunden. Noch 2020 war sie Ringrichterin bei den konspirativ ausgetragenen Kämpfen des KdN in einem Gym in Thüringen, die später als Online-Stream verbreitet wurden. Besonders sichtbar wird die Einbindung von Frauen innerhalb sozialer Medien. Demonstrativ werden Bilder vom KdN zur Schau gestellt, die lediglich Frauen in Shirts des Events zeigen.
Der KdN auf seinem Zenit
Für den KdN schien bereits im Oktober 2017 der Zenit erreicht, zumindest hinsichtlich seiner Reichweite im nicht-öffentlichen Raum. Bis zu 600 Neonazis lotste das Team des KdN unter konspirativen Umständen in die Schützenhalle des sauerländischen Dorfes Kirchhundem. Eine Taktik, die aus der Organisation von RechtsRock-Konzerten nun auf Kampfsport-Events übertragen werden konnte.
Um die zwanzig Kämpfe wurden in Kirchhundem von europaweiten Kämpfenden aus unterschiedlichen Spektren der Naziszene ausgetragen. Von diesem Erfolg sichtlich beeindruckt schrieb das Team des KdN in einer Nachbetrachtung des Events: „Die Zeiten haben sich geändert, es geht nicht mehr um Musik und Suff, sondern die deutsche Jugend steht auf. Sie geht in die Fitnessstudios und Kampfsportschulen um sich auf das kommende gefasst zu machen. Denn die Zeiten werden nicht leichter, sondern härter und schlimmer.“ (sic!)
Motiviert von dem enormen Feedback der Szene entschied das Orga-Team des KdN 2018 erstmals Kämpfe im Zusammenhang mit einer angemeldeten, öffentlichen Veranstaltung durchzuführen. Es dauerte nur wenige Monate, bis sich dafür am Wochenende um den 20. April 2018 – dem Geburtstag Hitlers – hunderte Neonazis auf den Weg in die ostsächsische Kleinstadt Ostritz machten. Dort hielt Thorsten Heise, Multifunktionär der extremen Rechten und Spiritus Rector der rechts-terroristischen Gruppierung «Combat18», zum erstem Mal sein zweitägiges „Schild & Schwert“-Festival ab. Es sollte letztlich zum Schmelztiegel verschiedener Geschäftszweige und Subkulturen werden, die im Laufe der Jahre ausgeprägt und professionalisiert werden konnten: RechtsRock, CD-Vertrieb, Merchandising, Tätowierkunst und eben auch Kampfsport.
Tatsächlich verbauten sich die OrganisatorInnen des KdN mit der Öffnung ihres Events den Zugang zu jenem Klientel, das sich in erster Linie vom Konzept der rechten Kampfsport-Promotion angesprochen fühlte. Sportevents in der Szene waren modern und wirkten progressiv. Sie verwischten teils den extrem rechten Background der VeranstalterInnen und boten eine Mischung aus aufgeputschter Männlichkeit, Klandestinität und Unterhaltung. Eine Mischung, die so nur selten auf RechtsRock-Konzerten vorherrscht. Kampfsport war im Begriff, die Erlebniswelt RechtsRock ablösen zu wollen, doch der KdN begann den Fehler und ging ab 2018 den Schulterschluss mit dieser Art Events ein. Deren neonazistische Ausrichtung in der Öffentlichkeit dürfte verschiedene Personengruppen an der Anreise ins sächsische Ostritz abgehalten haben. Etwa anpolitisierte Hooligans oder Personen der extremen Rechten, die eine Öffentlichkeit scheuen.
Special Guests aus den USA
Niemand wusste im Vorfeld, wie das erste öffentlich beworbene Turnier des KdN im Rahmen eines RechtsRock-Festivals werden würde. Bereits am Freitag, dem ersten Tag des Events, waren hunderte Neonazis aus Nah und Fern zugegen, wie auch die Protagonisten des KdN um Malte Redeker. Dieser kümmerte sich vor allem um die angereisten Kämpfer, die teils extra aus Übersee angereist waren.
So hatte etwa die Gruppe «Rise Above Movement» (RAM) aus den USA vier Abgesandte geschickt, von denen mindestens zwei an den Kämpfen des KdN teilnahmen. Einer davon war Robert Rundo, über den US-amerikanische Antifaschist*innen im Rahmen von rechts-motivierten Gewalttaten schon mehrfach zu berichten wussten. Ein anderer, Robert Smithson, lebte zum Zeitpunkt des ersten „Schild & Schwert“-Festivals bereits in der Ukraine, wo er Kontakt zu Denis Kapustin aufbaute und Anschluss an paramilitärische Zusammenhänge wie das faschistische «ASOW-Bataillon» suchte. Smithon kommt ursprünglich aus Alaska und war neben Rundo treibende Kraft hinter der vor wenigen Jahren ins Leben gerufenen Gruppe RAM – dem „Fightclub der Alt-Right“, wie sie von den US-Medien fast anerkennend tituliert wurde. Tatsächlich ist der knapp 15-köpfige Kern der Gruppe ein extrem rechter Hybrid, der in Ideologie und Ästhetik stark von europäischen Strömungen beeinflusst wurde: «Identitäre Bewegung», «Casa Pound», «Autonome Nationalisten» und sogenannte NS-Straight Edge-Gruppen aus Osteuropa.
Bemerkenswert ist, dass dem RAM seit Anbeginn mindestens drei Vollmitglieder der HSN angehörten. Auch Robert Smithson ist seit spätestens Anfang 2018 Anwärter der Bruderschaft. Dass es die Kontakte der HSN waren, die Smithson und Rundo, sowie Benjamin Daley und Michael Miselis im April 2018 nach Ostritz führten, liegt nahe.
Deren Europa-Chef Redeker war es schließlich auch, der Smithson und seine ukrainische Partnerin zum Heidelberger Schloss führte, nur wenige Tage vor dem «Hammerfest» im November 2019 in Frankreich. Am Nachmittag des Events selbst, hielt sich Redeker mit Smithson im deutsch-französischen Grenzgebiet auf, gemeinsam mit Jake Thomas aus Hermosa Beach, USA. Auch Thomas gehört dem RAM im Süden Kaliforniens an und war zu diesem Zeitpunkt auf Europareise.
Noch vor dem «Hammerfest» im November trafen sich Smithson und Redeker im April 2019 in der griechischen Hauptstadt. Dort richtete der «Pro Patria Fightclub» ein Kampfsport-Turnier aus, zu dem auch rund zwanzig deutsche Neonazis aus den Formaten KdN, TIWAZ und die Gruppe «Wardon21» anreisten. Mittendrin und oft verdeckt, um nicht auf den Bildern seiner Mitreisenden aufzutauchen: Malte Redeker. Er coachte nicht nur Marvin Esterhaus (bis 2020 in Publikationen fälschlicherweise als „Esterholz“ benannt) als Kämpfer des KdN-Teams, sondern begleitete auch mindestens einen Kampf als Ringrichter, vermummt mit einer Sturmhaube. Robert Smithson war es wiederum, der in Athen gegen Esterhaus antrat.
Ein Jahr zuvor, im Nachgang des KdN-Turniers in Ostritz im April 2018, besuchten die US-amerikanischen Neonazis um Smithson den «White Rex»-Gründer Kapustin in der Ukraine. Smithson hatte spätestens zu diesem Zeitpunkt beschlossen, bei seiner Partnerin in der Ukraine dauerhaft zu leben. Die anderen drei Mitreisenden des RAM erwartete, zurück in den USA, nur kurze Zeit später ein Repressionsschlag. Man hielt ihnen „conspiring to riot“ vor, also Verschwörung und Anstiftung zu Unruhen, in Bezug auf die von der Gruppe im Süden Kaliforniens ausgeführten Angriffe auf Gegendemonstrant*innen bei „Pro-Trump“-Aufmärschen. Auch die gewalttätigen Ausschreitungen im Rahmen des „Unite The Right“-Aufmarsches 2017 in Charlottesville fielen schwer ins Gewicht, sodass Rundo, Daley, Miselis und weitere Mitglieder der Gruppe in Haft genommen wurden. Nur Smithson entging offensichtlich der Strafverfolgung.
Trotz der kämpfenden „Special Guests“ aus den USA, erachtete das Organisations-Team die Einbindung des KdN in das RechtsRock-Festival im April 2018 in Ostritz nur als mittelmäßigen Erfolg. Zwar konnte der KdN einige der vorrangig wegen den Konzerten angereisten Neonazis auch für den gezeigten Kampfsport begeistern, der exzessive Alkoholkonsum und das „krakige Verhalten“ einiger Personen führten jedoch zu Unstimmigkeiten und Diskussionen. Was allerdings blieb war die Möglichkeit, auf einen sicheren Ort wie das «Hotel Neisseblick» in Ostritz zurück greifen zu können. Schließlich konnte dort nur wenige Monate später, im Herbst 2018, das Hauptevent des KdN ausgetragen werden.
An- und Einbindung der „Nation“
Besonders ins Auge fiel im Oktober 2018 in Ostritz, dass u.a. Hammerskins nicht nur im engsten Orga-Kreis wirkten, sondern auch „niedere“ Dienste übernahmen.
So wurden etwa Dennis Kiebitz und Stefan Held, beide Vollmitglieder des Chapter «Westfalen», für den Ordnerdienst verpflichtet. Der Bezug von Kiebitz zum Kampfsort war zu diesem Zeitpunkt bereits offenkundig: 2016 bewarb er den KdN in den sozialen Medien und ist auch selbst aktiver Kampfsportler. Mit Mario Blütchen trainierte er mindestens von 2011 bis 2016 im Verein «Luta Livre Braunschweig». Blütchen, der für den Verein 2016 sein MMA-Debut in Frankfurt-Sachsenhausen bestritt, absolvierte um 2011 gemeinsam mit Kiebitz seine Anwärterschaft bei den «Hammerskins Bremen». Lediglich Kiebitz verblieb aber nach erfolgreich durchlaufendem Prozess als Vollmitglied bei den Bremern, bis er um 2015 zum Chapter «Westfalen» wechselte.
Auch Stefan Held wurde einst bei den Bremern zum Vollmitglied, bis er dem 2014 eröffneten Chapter «Westfalen» beitrat. Die Einbindung von Held in die Ordnerstruktur des KdN 2018 verwunderte anfangs hingegen. In der Öffentlichkeit fiel er bislang wenig auf, erst recht nicht im Zusammenhang mit den Hammerskins. Die Tatsache dass er 2018 schon länger eine Beziehung mit seiner heutigen Ehefrau Marina Liszczewski führte, erklärt jedoch sein Auftreten in Ostritz. Denn Liszczewski war schon früh in die Strukturen des heute verbotenen «Nationaler Widerstand Dortmund» (NWDO) um Alexander Deptolla eingebunden und gehört seit mehreren Jahren zum inneren Zirkel des KdN. Ihre unmittelbare Nähe zur HSN – wie auch die des KdN selbst zur Bruderschaft – hätte im Übrigen nirgends eindrücklicher sein können, als auf dem „Hammerfest“ 2019 in Frankreich. Denn während sich vor den Verkaufstischen ihr Ehepartner mit seinen „Brüdern“ in Kutte stolzierend präsentierte, war es Liszczewski, die den Stand des KdN betreute. Zwischen Auslagen mit strafrechtlich relevanten Musikproduktionen und diversen „Hammerskin Only“-Verkaufsständen, wirkte der Stand des KdN mit Liszczewski alles andere als ein eigenständiges Business. Vielmehr wie ein Zweig von Vielen, im eng miteinander verflochtenen Sortiment des Warenhauses der Hammerskins. Alexander Deptolla war an diesem verregneten Novembertag im französischem Elsass nicht anwesend.
Rollenverteilung im KdN – zwischen Bruderschaft und politischen WeggefährtInnen
Medienwirksam stellt sich Deptolla heute als „Chef des KdN“ dar, um offenbar von den Hammerskins um Redeker als treibende Kraft des Kampfsport-Formats abzulenken. Beide konnten eine Zeit lang als Gespann bundesweit auf Aufmärschen beobachtet werden und schienen darüber hinaus schon früh ein immenses Interesse an Kampfsport geteilt zu haben. Deptolla war schließlich schon vor der Premiere des KdN im Oktober 2013 Teil eines rechten MMA-Teams und begleitete Timo Kersting im März 2013 zu einem Event von «White Rex» ins russische Yekaterinburg. Kurze Zeit später nahm Deptolla in ähnlicher Funktion an einem rechten Kampfsport-Turnier in Italien teil. Für den nicht gerade durchtrainiert wirkenden Deptolla eine enorme Selbstaufwertung.
Den Klüngel um Deptolla zu binden, bot für den KdN in der Anfangsphase viele Vorteile. Man konnte u.a. auf die rechte Hooliganszene Kölns und Dortmunds zurückgreifen und war dadurch unmittelbar auch mit Kapustin und «White Rex» in Kontakt. Kapustin wohnte schließlich viele Jahre in Köln, bis er in Russland sein Kampfsport-Format erfolgreich etablieren konnte. Netzwerke mussten demnach nicht von Grunde auf neu erschaffen, sondern lediglich justiert werden. Kapustin mit «White Rex» im Boot zu haben hieß damals, auf finanzielle Ressourcen zurück greifen zu können und vor allem semi-professionelle Kämpfer aus Osteuropa für den KdN zu verpflichten.
„Mich dürften die meisten kennen. Ich bin seit Anfang an dabei beim KdN. War damals in Dreier-Konstellation (…)“ (sic!), erzählt Redeker auf der Bühne des KdN im November in Ostritz. Ein wichtiger Punkt, der oft in der Erzählung über das Kampfsport-Format verloren geht, denn nicht nur Redeker und Deptolla haben den KdN ins Leben gerufen, sondern auch Henrik Ostendorf.
Auch er lässt Erfahrungsreichtum in der Organisation von Events einfließen und teilt mit Redeker vor allem die Faszination für den Nationalsozialismus. Ostendorf kann als ist ein Macher und Ermöglicher charakterisiert werden. Er ist mit seinem «Sport Frei»-Versand Sponsor des KdN und seit Jahrzehnten Teil einer weltweit vernetzten Neonazi-Struktur. Als Mitarbeiter der «National Alliance» in den USA um 2000 dürfte er zudem schon früh mit den Hammerskins in gutem Kontakt gestanden haben und war in Deutschland ebenfalls mit der Organisation größerer Konzerte vertraut. Darüber hinaus ist er eng mit der Hooliganszene in Norddeutschland verknüpft, bei der Bremer Hooligangruppe «Standarte» war er lange Zeit tonangebend. Ein Allrounder also, der den KdN nicht nur finanziell unterstützte, sondern auch konkret als dessen Sprachrohr wirkte – zumindest intern. Er heizte den Teilnehmenden des KdN zwischen den Kämpfen mit schwülstigen Reden ein und gab Interviews. Für ihn ist Kampfsport ganz klar ein Mittel zum Zweck, um die Szene zu einen und um körperliche Missstände bei den „Kameraden“ abzubauen.
„Mich selber regt es auf wenn auf unseren Demonstrationen die Leute schon meckern, wenn die Demonstrationsroute länger als drei Kilometer ist, weil da viele dann schon sagen ‚oh da bin ich aus der Puste, das halte ich nicht aus, das ist mir viel zu lang‘. Insofern sage ich, ihr sollt euch nicht nur geistig bilden, sonder auch körperlich vorwärts kommen und auch den Körper trainieren.“, erklärt Ostendorf 2015 in einem Podcast des rechten Formats «Tremonia» u.a. seinen Ansporn und die Bedeutung von Sport.
Betrachtet man diese Komponenten, d.h. das Zusammenspiel der AkteurInnen außerhalb der HSN in dem Kampfsport-Format, könnte der These der Behörden fast zugestimmt werden, dass es sich beim KdN heute um keine „echte HS-Veranstaltung“ handeln würde. Dies wäre aber spätestens dann zu kurz gegriffen, wenn ein Blick auf die Abhängigkeiten innerhalb der Organisation geworfen wird. Denn die Rollen sind klar verteilt: Die Hammerskins um Redeker stellen Struktur, Logistik und Finanzen und werden dabei organisatorisch von Personen außerhalb der Bruderschaft unterstützt. Das ist kein Kompromiss innerhalb der Führung des Events, sondern politisches Kalkül.
Redeker wusste, dass es Sinn macht, auf ein erweitertes Netzwerk zurück zu greifen, damit Synergien entstehen können. Der Anspruch des KdN war es eben nicht, ausschließlich den Hammerskins eine weitere Form der Unterhaltung bieten zu können. Stattdessen hat man systematisch das Potential der Szene gebunden und geformt, um heute als eins der wenigen politischen Formate zu gelten, in dem sich gleichauf Personen aus Parteien wie «Der III. Weg», NPD und «Die Rechte» wiederfinden sowie spektren- und länderübergreifend parteifreie Organisationen teilhaben können. Dabei bleibt auch der Rückgriff auf Zusammenhänge um C18 und B&H nicht aus. Beobachter*innen der Szene setzten diese Strukturen häufig konträr zur Organisation der HSN und attestieren ihnen ein generelles Konkurrenzverhalten. Eine viel zu einfache Schlussfolgerung, wie anhand des KdN im Oktober 2018 deutlich wurde. Denn niemand geringeres als Robin Schmiemann, selbsternannter Pressesprecher von C18 in Deutschland, stand bei dem Event als Ordner an exponierter Stelle an der Einfahrt zum «Hotel Neisseblick». Die Einbindung Schmiemanns muss weniger als Widerspruch gewertet werden, sondern bestärkt den Punkt, dass der KdN diverse Strukturen einbezieht. Außerdem gehört Schmiemann nicht nur C18 an, sondern ist Teil der Dortmunder Struktur um den ehemaligen «Nationalen Widerstand Dortmund», die den KdN seit Anbeginn begleitet. Wirklich erstaunlich ist demnach nicht Schmiemann als Ordner bei diesem Event, sondern das Narrativ in den Medien. Denn während er in etlichen Bildstrecken auftaucht und in der Berichterstattung zum KdN seine Rolle bei C18 – zu recht – kaum fehlt, fallen die Hammerskins in de Presse fast hinten runter. Am eindrücklichsten ist dabei, dass es von Malte Redeker kein einziges Bild vom KdN gibt.
Wie Brüder – aber nur fast
Auch die Geschäfte des KdN laufen offiziell außerhalb der nachvollziehbaren Wege der HSN. Sowohl das Merchandise, als auch der Ticketverkauf wird über Deptollas Steuernummer abgewickelt, mit Geschäftssitz in der Wörthstraße 28 in Dortmund.
Ein Ticket für einen Stehplatz im Oktober 2019 Event, das abermals in Ostritz hätte stattfinden sollen, hätte 35 Euro gekostet. Letztendlich wurde die Folgeveranstaltung behördlich untersagt. Bei einer ähnlichen Anzahl an AbnehmerInnen wie in 2018 – rund 800 Personen – konnten allein durch den Ticketverkauf fast 30.000 Euro Umsatz generiert werden. Mit etwa 10.000 Euro habe man im Vorfeld des KdN 2019 in Vorleistung gehen müssen, erklärte Deptolla im Nachgang des verbotenen KdN. Blieben immer noch 20.000 Euro übrig, die in den Strukturen zirkulieren. Über 10.000 Euro habe man auch im Vorfeld für das „Hammerfest“ 2012 vorstrecken müssen, teilte Redeker den deutschen Hammerskins wenige Tage vor diesem Großkonzert mit. Die Meldung an die Mitglieder der HSN klingt dabei gelassen und unaufgeregt, ganz im Gegenteil zu Deptolla, der im Nachgang des Verbots des KdN 2019 sich etliche Male vor den TicketkäuferInnen zu rechtfertigen versuchte. Die Gelder aus dem Ticketverkauf könne man nicht ohne weiteres zurück überweisen und hoffe auf Solidarität, erklärte er.
Darauf dass Deptolla die Gelder sorgsam verwaltet und kritische Stimmen durchaus zu besänftigen weiß, dürfte Redeker sich mittlerweile verlassen können. Mit ihm ist Redeker auch außerhalb des KdN-Geschehens eng verbunden und gewährt ihm Einblicke ins Leben der Bruderschaft. Sei es durch gemeinsame Urlaube mit etlichen anderen Hammerskins auf Mallorca im Sommer 2017 oder in vertrauter Runde in Bulgarien 2019.
Auch schon Jahre vor den gemeinsamen Reisen war Deptolla auf internen Veranstaltungen der HSN zu Gast und wurde etwa auf die Feier zum 10-Jährigen Bestehen des Chapter «Westmark» eingeladen. Hammerskins aus ganz Deutschland sowie aus dem Ausland waren dafür am frühen Nachmittag des 26. Januar 2013 ins hessische Fürth-Erlenbach gereist und hielten im Kreis der „Brüder“ ein EOM ab. Der Personenzusammenhang der im Anschluss stattfindenden Party war demnach erlesen. Trotz konspirativer Organisation konnte nicht verhindert werden, dass Antifaschist*innen von der Zusammenkunft Wind bekamen und durch eine Veröffentlichung die Polizei zur Auflösung der Feierlichkeit bewegten.
Deptolla reiste damals gemeinsam u.a. mit Dietrich Surmann an. Beide waren bis zum Verbot im August 2012 Schlüsselfiguren des NWDO. Die Kameradschaft und deren heutiges Auffangbecken, die Partei «Die Rechte», steht in wechselseitiger Wirkung zur HSN. „Für einen kleinen Beitrag in die Kameradschaftskasse“ hätten sich Prospects aus dem Ruhrgebiet etwa die Konzertanlage für ein Konzert im Sommer 2012 vom NWDO ausleihen können. Als ein Jahr später ein Solidaritäts-Konzert für den NWDO in Herne veranstaltet wurde, war wiederum fast das gesamte Chapter «Bremen» zu gegen, mutmaßlich um die Dortmunder im Saalschutz zu unterstützen.
Alles Beispiele für die gegenseitige Unterstützung einer Gemeinschaft, die schon vor dem Entstehen des KdN wachsen konnte. Und doch: trotz dem funktionierenden Netzwerk um den KdN, konnte eine Reichweite wie auf dem Event im Oktober 2018 bislang nicht übertroffen werden. Es war das letzte Event, an dem nicht nur so viele unterschiedliche Spektren der Szene aus ganz Europa teilnahmen, sondern auch das letzte, reine Sportevent des KdN, welches legal über die Bühne gehen konnte. Fast wehmütig erklärte Nils Budig – einst Fullmember der HSN und heute «Crew 38»-Mitglied – am Stand des KdN im November 2018 in Ostritz, dass sich niemand gefunden hätte, der an den Team-und Einzelkämpfen habe teilnehmen wollen. „Da hast du keinen Einfluss drauf“, erzählte er laut vor einigen Interessierten am Verkaufsstand und fügt hinzu: „Das war dieses Jahr mal zum antesten wie auch das Publikum ist. Ich sag mal KdN spricht ein anderes Publikum an“. So blieb es an diesem Abend bei Showkämpfen und der Vorstellung von Nahkampf-Techniken, abgerundet von Konzerten diverser NS-Hardcore-Bands.
„Ähm, Polizei anwesend?“ – Wehrsport mit Ansage
Auch wenn das Organisations-Team in der Öffentlichkeit nicht müde wurde zu betonen, dass es sich beim KdN um eine rein sportliche Veranstaltung handelt, muss das Format unbedingt als ein Teil von „Wehrsport“ begriffen werden. Die Events und Trainings sind niedrigschwellige, legale Zugänge zu Gewalt und rechter Identität. Sie sind Teil eines Wehrsportkonzeptes, das heute aus Strategie-Gründen zerfasert angewandt wird und eben durch die Aufteilung in unterschiedliche Wirkungsbereiche rechtlich schwer angreifbar ist. Kampfsport ist nur ein Aspekt einer „Wehrhaftmachung“ der Szene und reiht sich ein in Bemühungen sich in ergänzenden Feldern wie Schützenvereinen einzubringen oder etwa in der Airsoft-Szene Fuß zu fassen.
Trainings in den eigenen Gyms oder nahestehenden Vereinen lassen sich offen bewerben und durchführen. So geschehen zu einem Seminar des KdN im März 2019 in Castrop-Rauxel. Mit den Worten „werdet Wehrhaft“ kündigten Cottbuser Neonazis das spezielle Training in den sozialen Netzwerken an und verbreiteten den Flyer, auf dem dazu eingeladen wurde „Grundlagen Selbstverteidigung, Strassenkampf und klassisches Kickboxen“ zu erlernen. Seine Fähigkeiten im Kampfsport für mögliche körperliche Auseinandersetzungen zu schulen, losgelöst von Schießtrainings oder klassischen Wehrsport-Übungen, war auch der Ansatz im historischen Nationalsozialismus. In „Mein Kampf“ schrieb Adolf Hitler, dass ihm Boxen und Jiu-Jitsu „immer wichtiger erschienen als irgendeine schlechte, weil doch nur halbe Schießausbildung“.
Ideologisch gefestigte, erfahrene Neonazis waren es, die die Gunst der Stunde nutzten, um Kampfsport innerhalb der Szene in der Breite zu etablieren. Der KdN war der Versuch, alteingesessene rechte KampfsportlerInnen zu aktivieren und zu vernetzen, das Personenpotential aus der rechten Hooligan-Szene zu binden und neue Rekrutierungsfelder zu eröffnen. Es sollte entstehen, was Denis Kapustin mit «White Rex» in Russland seit 2008 erfolgreich vorlebte: szeneübergreifende Events, die der Szene neue Strahlkraft verleihen. Durch die unmittelbare Teilhabe der Hammerskins am KdN muss zudem geschlussfolgert werden, dass der KdN ein (erfolgreicher) Versuch war, die Neonazi-Szene wehrhaft zu machen – ganz im Sinne der HSN selbst, welche schließlich predigt, eine „wehrhafte Elite“ durch ihre Bruderschaft erschaffen zu wollen.
Mittlerweile haben sich in ganz Europa zahlreiche KämpferInnen zusammen getan und betreiben eigene Gyms und Trainingsgruppen. Das, wovor antifaschistische Kampagnen wie «Runter von der Matte» seit Jahren in ihren Analysen im Bereich des Kampfsports warnen, scheint unaufhaltsam. Hat sich der KdN zum Multiplikator und Dachverband einer extrem rechten Kampfsportszene entwickelt, handeln die unterschiedlichen, bundesweit agierenden Gruppen mittlerweile eigenständig. Selbstbewusst stellt man sich heute als Organisation vor, die jederzeit ansprechbar sei und vermitteln könne. „Deutschlandweit haben wir mittlerweile Vernetzung, dass wir Leute haben aus sämtlichen Städten wo trainieren, wo wir sagen können, da kannst du in Ruhe unter Deutschen trainieren oder da ist es kein Problem als Nationalsozialist trainieren zu gehen und von daher sprecht uns einfach an, wir vermitteln gerne, das Netzwerk steht, die Kampfgemeinschaft steht“(sic!), verriet Alexander Deptolla den Teilnehmenden einer Veranstaltung des KdN im November 2018 in Ostritz. Warum trainiert werden sollte verrät auch Malte Redeker im Anschluss an Deptollas Rede. So sagt er:
„Ich kann jeden von euch, der noch keinen Kampfsport macht oder Selbstverteidigung, nur ans Herz legen, sucht euch einen lokalen Boxclub aus, schnappt euch ein paar Freunde, trainiert im Keller. Im Sommer kann man am Strand, am Baggersee trainieren. Es ist für die Psychologie wichtig, für den Mehrwert auf der Straße, fürs Selbstvertrauen, für die körperliche Verfassung und für die viel beschworene Stunde, Tag X, ist es von Nöten sich verteidigen zu können.“(sic!)
Redeker ist nach eigenen Angaben zwölffacher deutscher Meister, Vize-Weltmeister und Europameister, lizensierter Trainer und Ringrichter. Er habe, 65 Kämpfe im Kick-und Thaiboxen bestritten und betreibe seit 2003 eine eigene Kampfsportschule. Von Kampfsport als Mittel gegen politische Gegner*innen spricht Redeker vor allem dann, wenn er sich in Sicherheit vor behördlicher Verfolgung wähnt. In seiner zwanzig-minütigen Rede im November 2018 erklärt er in Ostritz unter anderem, was die effektivste Kampfsportart sei. „Kickboxen oder Thaiboxen gilt so als die, ähm, ich würde jetzt mal sagen – Polizei anwesend? – als die effektivste Selbstverteidigung auf der Straße. Wenn ich gefragt werde, Mensch Malte, ich möchte jetzt Kampfsport machen, möchte mich relativ schnell verteidigen, sag ich ihm als erstes, was du machen kannst sind Basics im Boxen haben.“(sic!) Den Worten Redekers folgte ein Showkampf Martin Langners. Dieser gehört zum engsten Umfeld des KdN und betreibt in Ostthüringen das Gym «Barbaria Schmölln». Die Trainingsstätte war 2020 Kulisse der später im Online-Stream präsentierten Kämpfe.
Langner führte auf der Bühne in Ostritz Schläge und Tritte aus, während Redeker die Kombinationen erklärte. „Diese Halbrundtritte z.b. sind eigentlich weniger Straßenkampf-tauglich (…) aber die Frontkicks oder diese frontalen Kniestöße die er jetzt macht sind sehr sehr zerstörerisch (…) so ein frontales Knie in den Solar Plexus, unteren Magenbereich oder in die kurzen Rippen bei einem ungeübten Sportler oder eben Nicht-Sportler dürfte so ein frontales Knie bereits zum Knock-Out führen.“(sic!)
Der größte Teil der anwesenden ZuschauerInnen, 95%, würden bei der Wucht von Langners Tritten am Boden liegen, schwadroniert Redeker. Sichtlich beeindruckt fragt er ihn, ob er gemessen habe, wie viel Energie bei einem seiner Tritte freigesetzt werden würde. Langner antwortet, es seien 1400 Kilo-Joul. „Klasse. Wahnsinn. 1400, wie viel hat eine Kugel zu Beispiel? 9mm nach tausend Meter? Das dürfte nicht viel mehr haben.“, reagiert Redeker euphorisch. Wer einen Lowkick in seiner Wucht mit der Einschlagskraft einer Patrone vergleicht,dem liegt offensichtlich weniger am Sport als Freizeitvergnügen, als an der Vernichtung des Gegenüber.
Diese Veranstaltung wurde behördlich angemeldet und alle Teilnehmenden im Vorfeld durch die Polizei kontrolliert. Wenn also dort – im scheinbar kontrollierten Rahmen – über Kampfsport als effektives Nahkampf-Konzept klar und deutlich sinniert wird, kann sich ausgemalt werden, wie ungehalten es auf internen, konspirativ organisierten Events zugehen muss. Dass der KdN nach sechs Jahren erstmals 2019 von staatlicher Seite unterbunden wurde, zeigt wie gering das Einschätzungsvermögen der Behörden gegenüber dem Thema Kampfsport ist.
In der Verbotsverfügung wird schließlich darauf eingegangen, dass erlernte Fähigkeiten im Kampfsport die „öffentlichen Ordnung und Sicherheit“ gefährden könnten. Dabei wird sich vor allem auf ein Beispiel aus Chemnitz im Spätsommer 2018 bezogen. Im Verlauf einer Versammlung der extrem rechten Szene wurde ein Polizist mit einer Technik aus dem MMA zu Fall gebracht. Auch, dass der KdN Seminare zum „Strassenkampf“ angekündigt hatte, dürfte im Nachhinein kein cleverer Schachzug gewesen sein.
Die Einordnung von Kampfsport als ein Aspekt des „Wehrsport“, wie sie ungehalten von Deptolla oder Redeker im November 2018 in Ostritz vorgetragen wurde, fand im Verlauf des Abends schließlich einen weiteren Höhepunkt. So beschrieb der Brandenburger Neonazi Tobias Vogt – Musiker bei den RechtsRock-Bands «Exzess» und «Die Lunikoff Verschwörung» – in seiner Zurschaustellung von Selbstverteidigungs-Techniken, wie man auch einen „Martin aus Schmölln mit 130 Kilo“ abwehrt:
„Also was macht man? Genau das was ich sage: Eier, Hals. Funktioniert immer. Fingernägel, Ohren, Augen, Weichteile. Alles das, was Spass macht, was man nicht darf, ist völlig geil. Und was richtig gut ist, man hat auch immer irgendwas bei. (…) Kommt nen Typ die Straße lang, oder drei: Mensch, Schlüssel, rein in die Fresse, fetzt wie Sau.“ (sic!)
In die gleiche Kerbe schlug die letzte Vorführung des Abends, in der ein „Frank“ aus Berlin zum Thema Stock- und Schwertkampf referierte. Nicht nur bewusst zweideutig erklärte er, dass man ein scharfes Schwert mit sich führen dürfte, wenn man auf dem Weg zum Training sei. Auch ließ er trocken verlautbaren, dass das Köpfen mit dem Schwert regelmäßig trainiert werde. „Habt ihr ne Idee was das sein kann?“ fragte er das Publikum zum Abschluss, mit Verweis auf das Stück Seil in seinen Händen. „Schal. Ja, man kann sich auch als Kategorie A-Fan verkleiden, legt sich nen Schal um. Damit kann man wunderbar arbeiten“, erläuterte er und führte an seinem Partner auf der Bühne vor, wie der*die Gegner*in damit gewürgt oder fixiert wird.
Kein deutsches Phänomen
Italienische Hammerskins mit eigenen Gyms
Das Erlernen von Kampfsport und das Forcieren körperlicher Ertüchtigung innerhalb der Neonaziszene ist kein deutsches Phänomen. Auch war der KdN selbst nicht Vorreiter im europäischen Raum.
In Rom hatte die neofaschistische Organisation «Casa Pound» gemeinsam mit lokalen Gyms schon Jahre vor dem Boom des Kampfsports in der europäischen extremen Rechten eigene Turniere durchgeführt. Dieses Potential entdeckte auch Denis Kapustin bereits früh und wirkte 2013 als Kooperationspartner eines Turniers im Rahmen des faschistischen „Tana Delle Tigri“-Festivals in Rom mit. Weiter nördlich, in der Lombardei, war ein starkes Interesse der italienischen Hammerskins (IHS) am Kick-und Thaiboxen zu beobachten. Luca Gigliotti, langjähriges Vollmitglied der IHS, stieg 2012 bei einer Gala des populären Formats „Oktagon“ in den Ring und brachte sich dadurch mit in das Kampfsportgeschehen ein. Die gekreuzten Hämmer und die Buchstaben „IHS“ hat Gigliotti großflächig und unübersehbar am Hals tätowiert.
Elia Rosati beschreibt in einem Gastbeitrag in „Ihr Kampf“ von Robert Claus, wie Gigliotti im Laufe der Jahre zu einer wichtigen Konstante in der rechten Kampfsportlandschaft Italiens wurde – hofiert und abgesegnet von einflussreichen Promotern und Wegbereitern des italienischen Kampfsports. „Wolf Of The Ring“ (WTR), nennt sich die Eventreihe sowie das Gym, das Gigliotti selbst aufbaute. Bis heute werden „Turniere gegen Pädophile“ unter der Schirmherrschaft von WTR organisiert. Man wolle mit „Sport und seinen Werten die Kindheit schützen“, heißt es auf den Fylern eines Events. WTR ist dabei eng an die neofaschistische Organisation «Lealtà Azione» gebunden, deren Führungsriege aus bekannten Vollmitgliedern des italienischen Chapters der Hammerskins besteht. Betrachtet man die Bilder der Trainings im Gym des WTR, könnte daraus der Schluss gezogen werden, dass es sich um eine reine Kampfsportgruppe der Hammerskins handelt. Dazu passt, dass im Rahmen der 15-Jahrfeier der IHS im Oktober 2010 in ihrem Clubhaus in Milano-Bollate offenbar auch eine Kampfsportvorführung geplant war. „Für schwache Nerven verboten“ wurde auf einem Flyer des Events mitgeteilt, im Hintergrund die Abbildung der Szenerie eines MMA-Kampfes.
Wer Luca Gigliotti ist und wofür WTR einsteht, scheint vielen Kampfsportler*innen und Promoter*innen in Italien gleich zu sein. So wurde etwa Christian Balsamo vom WTR unterstützt, als dieser 2017 einen Profi-Kampf im MMA bestritt. Nur ein Jahr zuvor kämpfte er auf der „Fight or Nothing – Road to Bellator“-Gala. „Bellator“ ist im europäischen Raum die wohl wichtigste und lukrativste MMA-Promotion, vergleichbar mit Formaten wie „Ultimate Fighting Championship“ (UFC). Auch 2018 unterstützte WTR Christian Balsamo, genannt „The Barber“, als dieser sich für die Teilnahme eines Kampfes in der „World Bare Knuckle Fighting Federation“ vorbereitete. Ein Bild in den sozialen Netzwerken zeigt ihn umgeben von acht Kämpfern des WTR – sechs davon gehören den italienischen Hammerskins an, darunter Stefan del Miglio, Amerigo Zacconi und Stefano Ghezzi.
Ghezzi ist zudem im Brazilian Jiu Jitsu aktiv und absolvierte bereits seine Blau-Gurt-Prüfung. Sein Gym ist die «L‘Accademia – Scuola di sport» in Mailand, an das auch der Hammerskin Emmanuele Bisogni angebunden ist. Auch Pietro Caruso, dessen aktive Mitgliedschaft bei den IHS bis weit in die 1990er Jahre zurück verfolgbar ist, darf sich seit spätestens 2018 „Istruttore di Kickboxing“ (dt.: Kickboxlehrer) nennen, lizensiert von der «Federazzione Italiana Savate Thai-Boxing» (FIST).
Französische Hammerskins und «Pride France»
In Frankreich wiederum ist eine neonazistische Kampfsportszene vor allem durch die Bekleidungsmarke «Pride France» für die Öffentlichkeit sichtbar geworden. Von 2014 bis 2017 war es dessen Gründer Tomasz Szkatuslski, der unter Mithilfe von Denis Kapustin und «White Rex» die Eventreihe „Day of Glory“ etablieren konnte. Diese fand jährlich im Großraum Lyon statt und zog bis zu 300 Neonazis aus ganz Europa an. Bis 2016 unterstützten Mitglieder der «Blood & Honour – Division Hexagone» das Event personell, sowohl in der Logistik, als auch mit KämpferInnen.
«B&H Hexagone» und die Hammerskins unterstützen sich in Frankreich bereits mehrfach gegenseitig in der Organisation von RechtsRock-Konzerten. Dass Alexandre Filipe 2014 als Prospect der Schweizer Hammerskins mit einem sichtbaren „38“-Tattoo auf dem „Day of Glory“ in den Ring stieg, während im Ring die Zahl „28“ (für «Blood & Honour«) auf der Matte prangte, ist demnach kein Widerspruch. Die Parameter für Szkatulski‘s Kampfsport-Gala änderten sich 2017. Statt B&H war es nun das Chapter «South France» der französischen Hammerskins, sowie deren «Crew 38», die den Einlass und den Ausschank betreuten. Vor Ort fanden sich zudem Hammerskins aus der französischsprachigen Schweiz ein, wie Christophe Gruy. Auch der Ende der 1990er Jahre aus der HSN verstoßene Olivier Kunz war in die Organisation des Events eingebunden. Er übersetzte für die französischsprachigen Neonazis den Vortrag der russischen Gruppe «PPDM-Father Frost Mode». Sebastian Bottali, zum Zeitpunkt Prospect des Schweizer Chapters, war für den Shuttle der Russen vom Flughafen zuständig.
Joël Moret, der zum Zeitpunkt des Events erst kurze Zeit Vollmitglied des Schweizer Chapters war, trat auf dem Turnier im Juni 2017 südlich von Genf gegen Denis Kapustin an. Moret boxt im Amateurbereich und bietet heute unter dem Namen „Trashtraining“ Personaltrainings im Kampf-und Kraftsport an. Gemeinsam mit rechten Kampfsportlern aus Frankreich und aus der Schweiz ist er zudem Mitglied der rechten Hooligangruppe «Radikal/Swastiklan Sion». Im November 2020 war Moret zudem einer der Begleiter von Tomasz Szkatulski und Yanek Vincent Czura, als diese an einem Kampf des aufstrebenden Underground-Formats „King Of The Streets“ in Schweden teilnahmen.
Durch Personen wie Moret erscheint die Einbindung von sportlichen Aktivitäten im Rahmen von Konzerten der Hammerskins aus der Romandie nur folgerichtig. Mit einem „Tournoi par équipes“, dt. „Mannschaftswettkampf“, bewarben die Hammerskins aus der deutsch-französischen Schweiz ein Event im August 2015, das im späteren Verlauf des Abends mit Konzerten enden sollte. Was die Neonazis vorhatten, suggerierten sie auf dem Flyer der Veranstaltung mit Bildern unterschiedlicher Disziplinen: Kugelstoßen, Baumstamm-Weitwurf, Tauziehen und Armbrust-Schießen.
Szkatulskis Event in Frankreich wechselte 2017 jedoch nicht nur die unterstützende Struktur, sondern nannte sich zudem in „Force et Honneur“ (dt. „Stärke und Ehre“) um.
Auch viele deutsche Neonazis aus dem Orga-Kreis des KdN waren gekommen und schickten Kai Andreas Zimmermann – Kader der Neonazi-Partei «Der III. Weg» in Bayern – für das „Team Kampf der Nibelungen“ in den Ring.
„Körperhygiene“ oder „Ballermann“ – ein Exkurs
Bemerkenswert ist, dass das deutsche Kampfsport-Format KdN vorrangig von Personen aus der NS-Straight Edge-Szene rund um die ebenfalls 2017 entstandene Gruppe «Wardon 21» vertreten wurde. Ein großer Teil eben dieser Leute nahm an dem „Force et Honneur“ in Frankreich teil. Zeitgleich befanden sich andere Personen aus dem Kreis des KdN auf Mallorca, darunter Malte Redeker, Wolfgang Benkesser, Dennis Kiebitz und Alexander Deptolla. Hier zelebrierten sie das Gegenteil ihrer Alkohol- und drogenfreien Kameraden, feierten wie in den vorherigen Jahren exzessiv und schafften es dadurch sogar in die Boulevard-Presse: Sie hatten die Show einer deutschen Schlagersängerin im «Bierkönig» durch das Zeigen einer schwarz-weiß-roten Flagge gestört. Warum der Zusammenhang nicht an dem Turnier in Frankreich teilnahm, könnte auf viele, sehr unterschiedliche Gründe zurück geführt werden. Es wäre möglich, dass die deutschen Hammerskins aufgrund eines alten Streits mit Schweizer Mitgliedern dem Event fernblieben. Oder weil ein Seminar mit russischen Neonazis angekündigt wurde, denen Teile der deutschen HSN nicht unbedingt positiv gesinnt sind.
Ganz banal, aber nicht unwahrscheinlich, könnte die Nichtteilnahme des KdN-Klüngels um Redeker und Deptolla auch damit erklärt werden, dass die Reise nach Mallorca einfach um Längen früher gebucht, als das Event in Frankreich angekündigt war.
Der Widerspruch im Team des KdN, das einerseits die Speerspitze und das Vorbild einer „wehrhaften Jugend“ sein will, andererseits durch Alkoholexzess und Kontrollverlust auf dem „Ballermann“ auffällt, scheint keine tiefen Gräben gezogen zu haben. Beides gehört schließlich zur Lebensrealität der ProtagonistInnen des KdN. Wie im Umkehrschluss auch bei weitem nicht alle Neonazis das Konzept des Veganismus praktizieren, das durch «Wardon21» auf dem KdN Einzug erhielt.
„Kämpfer kämpfen, Zuschauer (meist Sportler) schauten auch alle nur zu, und Straight Edger oder wie die Jungs heißen, welche ihre Kontrolle über ihr Leben leider verloren haben, straighteten die ganze Zeit Edge…Was auch immer das, das heißen mag,aber jedenfalls musste ich mir keine Angst machen, dass das Bier alle wurde“ (sic!), schrieb Daniel Orlewicz von den «Hammerskins Franken» unter dem Autorennamen „Onkel Orle“ im rechten «For The Love Of Oi!»-Fanzine im Nachgang des KdN 2018. Er mokierte sich auch über den „veganen Eintopf mit Dachpappe“, freute sich über die „blonden Engel aus Kiev“, die als „Nummerngirls“ auftraten und sei „berauscht vom Testo in der Luft“ gewesen. Eigentlich ein Bericht, wie ihn der Großteil der Anwesenden sicherlich unterschrieben hätte. Denn im Unterschied zur Propaganda und den Eigendarstellungen des KdN, hat man es in der Realität oftmals mit „einfach gestrickten“ Neonazis wie Orlewicz zu tun, die sich selbst am liebsten im „Team Gerstensaft“ sehen, deren Erlebniswelt sich aber durch Formate wie dem KdN erweitert und neue Impulse setzt.
Dies ist ein wesentlicher Punkt um zu verstehen, dass sowohl Personen aus der NS-Straight Edge-Szene den KdN ihr eigen nennen können, als auch Neonazis wie Deptolla und Redeker, für die es einmal im Jahr nach Mallorca in den Alkoholexzess geht. Der KdN vereint alle, die sich dem Kampfsport zugeneigt fühlen und versucht möglichst nicht zu spalten. Oder wie es „Onkel Orle“ in seinem Fanzine-Bericht auszudrücken wusste: „Kam jeder Freak auf seine Kosten“.
Fragen wirfst zudem die Doppeldeutigkeit des „Crossed Hammers“-Grußes auf, hinsichtlich dessen Verwendung auf dem Turniers in Frankreich 2017. Die gekreuzten Arme und geballten Fäuste sind schließlich nicht nur der Gruß zwischen Fullmembern der Bruderschaft, sondern ebenso das Erkennungszeichen der Straight Edge-Bewegung. Beide Erscheinungsformen des Grußes waren auf dem Event in Frankreich 2017 häufig zu beobachten. Die in den sozialen Medien veröffentlichten Bilder ließen für Nicht-Szenekundige durchaus offen, wer nun den Hammerskins angehört und wer der NS-Straight Edge-Szene zuzuordnen ist. So ist etwa Szkatulski zusammen mit Vertretern der russischen Gruppe «PPDM – Father Frost Mode« mehrfach in dieser Pose zu sehen. Einmal sogar in unmittelbarer Nähe einer Flagge der «Hammerskins South France». Sowohl der Franzose, als auch die russischen Neonazis sind jedoch keine Hammerskins. Andere wie Christophe Gruy, posierten in dem Rahmen ebenfalls mit dem Gruß. Gruy gehörte zum Zeitpunkt jedoch tatsächlich der HSN an. Auf seiner Handoberfläche hat er die „38“ tätowiert.
Die Hammerskins achten penibel auf die Verwendung ihrer Symbole und Grußformeln und in der Vergangenheit sorgte die unautorisierte Nutzung der Insignien für reichlich Gesprächsstoff und Handlungsbedarf. Mit den russischen Neonazis auf dem Turnier in Frankreich verhielt es sich anders. Nur wenige würden das Posen der Russen mit den gekreuzten Arme als Bekenntnis der Russen zur HSN interpretieren. Allen ist klar, dass diese Personen der NS-Straight Edge-Szene angehören. Es war auch nicht der Rahmen, in dem dieses Missverständnis ausdiskutiert werden musste. Zudem verkörpern die russischen Neonazis für die Szene erstrebenswerte Bilder von Männlichkeit und Stärke, die den Hammerskins imponieren und an denen sich ebenfalls orientieren. Dies wäre eine Erklärung warum der Gruß der Russen mit den gekreuzten Armen – auf einer Veranstaltung der Hammerskins – keine direkten Konsequenzen nach sich zog.
Das Oktagon als Bühne
Warum die Hammerskins in Frankreich nicht schon viel früher ihr Netzwerk nutzen, um ein eigenes Kampfsport-Event zu organisieren, ist unklar. Dabei kündigten sie intern bereits im Oktober 2010 an im darauf folgendem Jahr ein Free-Fight-Turnier auszurichten. Ihr ehemaliges Clubhaus in Toul hätte dafür ausreichend Platz geboten und auch innerhalb des französischen Chapters befanden sich etliche Mitglieder mit Kampfsport-Bezug.
Allen voran Jérémy Flament, der 2011 zum Vollmitglied der «France Hammerskins» wurde und im Jahr 2013 und 2014 einige semi-professionelle Kämpfe im Bereich MMA absolvierte. Zudem nahm er 2014 am «Ring der Nibelungen» in Deutschland teil. Wie wichtig MMA und Kampfsport für das französische Chapter zu sein scheint, wird auch durch die Ausstattung des neuen Clubhauses in Combres-sous-les-Côtes erkennbar. Nachdem der alte Treffpunkt in Toul gekündigt wurde, kauften die Hammerskins 2015 für rund 25 000 Euro ein Grundstück samt Halle im Département Meuse. Jérémy Flament trat auf dem Papier als Eigentümer der Fläche auf. Im Veranstaltungsraum selbst thront seit jeher ein Oktagon, ein käfigartiger Ring, der im MMA-Bereich als Austragungsort der Wettkämpfe dient. Das Oktagon im Clubhaus dient als Ort für MMA-Trainings und wird für RechtsRock-Konzerte zur Bühne umfunktioniert.
Heute ist das Clubhaus in den Händen der «Hammerskins Lorraine», die aus einer Neustrukturierung Französischer Hammerskins 2014 entstanden sind. Julien Allemand, der als Chef dieses Chapters gilt, betätigt sich gemeinsam mit seiner Ehefrau Audrey Allemand ebenfalls im Kampfsport-Bereich.
Ein anderer, bisher namentlich unbekannter Französischer Hammerskin trainiert im «MMA Berserker Fight Club» mit Sitz im «Jungle Gym» in Pierres, südwestlich von Paris. Mit ihm trainiert dort Pierre Scarano, der sich in den sozialen Medien unter dem Pseudonym „Pierrot Fou“ als Fitness-Coach versucht. Scarano ist Kernmitglied der «Blood & Honour – Division Hexagone», die seit Juli 2019 einem Organisationsverbot unterliegt und steht bei der bekannten französischen RechtsRock-Band «Match Retour» am Bass. Er übernahm mit seiner B&H-Sektion auf Szkatulskis Kampfsport-Event „Day of Glory“ Aufgaben innerhalb des Sicherheitsdienst. Auch Jonathan Bottin von der B&H-Sektion «Hexagone» unterhält enge Kontakte zur HSN. Mit Joël Moret von den Schweizer Hammerskins trat er als Fitnesstrainer unter dem Namen „Terrormachine“ auf – eine deutliche Anlehnung an «Combat 18».
In Saint-Girons, nahe der spanischen Grenze, ist zudem der langjährig aktive Hammerskin Sylvain Ortet als Karate-Trainer tätig und trat noch bis 2019 selbst auf Meisterschaften in der „Sénior“-Klasse dieser Kampfkunst an. Gemeinsam mit seiner Ehefrau Stephanie Ortet, die ursprünglich aus der Neonazi-Szene in Deutschland kommt, begleitet er seine Kinder regelmäßig zu Wettkämpfen. Heute gehört Ortet den «Hammerskins South France» an und war etwa Ansprechpartner für ein EOM im Mai 2013 in Südfrankreich.
Am Rand der Hauptstadt Paris versucht sich hingegen der fast 50-Jährige Aymeric Falampin, Hammerskin der ersten Stunde in Frankreich, eine Karriere als Fitness-Coach aufzubauen. Mit Telefonnummer und vollem Namen wird er als Ansprechpartner des «Club de Sport CPA» „für Fragen rund um die Muskulatur“ in Auvers-sur-Oise vorgestellt. Niemand scheint dabei sein „Crossed-Hammers“-Tattoo am linken Oberarm zu stören. Falampin war u.a. auf Szaktulskis „Force et Honneur“-Turnier 2017 zugegen und lebt Straight Edge. Wie wichtig ihm der Sport zu sein scheint offenbart er vor allem in den sozialen Medien. So veröffentlichte er etwa ein Foto von sich, das an einem Wochenende im Mai 2018 in einem Fitness-Studio in Finnland entstanden ist. Ohne den nötigen Einblick ins Leben der Bruderschaft könnte man meinen, er sei lediglich im Urlaub gewesen. Tatsächlich fand am selben Wochenende aber auch ein EOM im Raum Helsinki statt – der eigentliche Grund des Aufenthalts Falampins in der finnischen Metropole.
Kraftsport als physische Dominanz
Im US-amerikanischen Mutterland der Hammerskins wurden einst Shirts für Kraftsportler der Bruderschaft wahlweise mit dem Spruch „HSN-Lift Team“ oder „Crew38 Lift Team“ gedruckt . Zurück zu führen ist der Bezug u.a. auf Steve Doby von den «Confederate Hammerskins» (CHS). Doby und weitere Mitglieder nutzten bereits vor Jahren Veranstaltungen der HSN, um neben Konzerten auch Wettkämpfe durchzuführen. In Dobys Heimat Virginia wurde etwa zum „CHS Memorial Day“-Event im Mai 2009 ein „Strongman“-Wettbewerb abgehalten. In dessen Nachgang trat die RechtsRock-Band «Definite Hate» auf, in der auch Wade Page spielte. Dieser verübte wenige Jahre später in Wisconsin ein rassistisch motiviertes Attentat auf einen Sikh-Tempel, bei dem sechs Menschen ermordet und vier weitere Verletzt wurden. Für das im Oktober 2009 in Florida stattfindende „Hammerfest“ wurde ebenso eine „Strongman Competition“ angekündigt. Diese Aktivität sollte nicht dem reinen Selbstzweck dienen, sondern der jüngeren Generation ein Vorbild sein.
Der Zielgruppe rät der heute fast 50-Jährige Doby in einem Interview 2017 „(…) bleibt physisch fit, versucht eine gute Gesundheit zu wahren. Lasst glückliche Familien entstehen, gebt euch nicht mit Frauen ab, die Drogen nehmen oder Alkohol missbrauchen. Hab mit deinem Bruder einen Drink, aber lass es nicht zur Regelmäßigkeit kommen. Wir sind etwas besseres! Wir sind besser als die Alkoholiker und Drogensüchtigen, die schwach sind.“
Dusty Shaw aus der «Crew38» um Dobys CHS bietet darüber hinaus als „Holistic Fitness & Nutrition“ in Gloucester, Virgina, Personal Trainings an. Ab 2008 bestritt er unter dem Namen „The Disciple“ („der Jünger“) zudem Amateur-Kämpfe im Kampfsport, bis er sich ab 2013 im Profi-Bereich des MMA betätigte. Den schwarz-weiss-roten Zahnkranz, stilisiert zu einer Bombe, hatte er sich auf den Oberarm tätowieren lassen. Shaws letzter Kampf im Oktogon fand 2016 statt, danach orientierte er sich u.a. eben als Fitness-Trainer neu. Auf der Matte betätigt er sich ebenfalls weiterhin, nun aber im Brazilian Jiu Jitsu (BJJ), vorrangig im «Devotion BJJ»-Gym. Das Gym ist Teil der rechten Kampfsport-und Lifestyle-Gemeinschaft «Operation Werewolf» um den Neonazi Paul Waggener.
„Bist du ein Hammer, ist alles andere der Nagel“ steht auf englisch in großen Lettern auf dem Rücken eines Shirts der HSN. Ein Bild davon verbreitete auch Steve Doby von den CHS Anfang 2017 in den sozialen Medien. „Das ist großartig! HFFH“ kommentierte Ryan Summers, genannt „Fryzie“. Summers ist ebenfalls Fitnesscoach und gehört den «Southern Cross Hammerskins» in Australien an. Bis Mai 2020 war er im «The Strenght Den» an der Nordküste Tasmanien angestellt, bis er sich augenscheinlich selbstständig machte. Gemeinsam mit weiteren, offenbar nicht-rechten Personen aus dem Powerlifting-Bereich rief er „Iron Born – Strenght & Conditioning“ ins Leben, und ist dort als Headcoach tätig. Bilder eigener „Conditioning“-Einheiten wirken dabei militärisch und martialisch. Eine Runde auf dem Laufband, beladen mit taktischem Rucksack, wie aus bekannten „Survival“-Trainings, dazu sein freier Oberkörper mit klaren Bekenntnissen in die Haut tätowiert: Runenschriftzüge, Thorshammer und ein Hakenkreuz. „Selbst ernannter Naturbursche & Menschenkundler“ steht in der Beschreibung seines Profils.
Ein solches Potential in den eigenen Reihen zu haben, soll Eindruck machen. Dass sich deutsche Hammerskins wie Martin Erdmann und Felix Wiotte unter den Abonnent*innen Summers sozialer Medien-Kanäle befinden, leuchtet ein.
Wiotte ist es, der die Bezüge der HSN zum Kraftsport ebenso aufgreift. Mit «Crew38 Lift Team»-Shirt bekleidet, posiert er für „Likes“ im Fitnessstudio und eifert damit seinem engsten Freund und „Bruder“ Robert Kiefer nach. Dessen Social-Media-Profil war einst überladen mit Selbstdarstellungen als Kraftsportler. Noch bis 2017 bewarben die «Westwall Hammerskins» ihren jährlich im Sommer stattfindenden „Summerbash“, der auf Kiefers Freigelände im französischen Eschviller stattfand und bei dem neben Konzerten auch ein „Strongman“-Wettbewerb angekündigt wurde. Dabei sollten sich die Teilnehmer auch im „Car Pull“ messen können, also dabei, wer am schnellsten ein Auto mit Hilfe eines Seils eine bestimmte Strecke ziehen kann.
Im „Buspulling“ wurden in Niedersachsen sogar Meisterschaften durchgeführt. Eine beliebte Disziplin der Strongman-Szene, der auch Dennis Kiebitz, heute Vollmitglied der «Hammerskins Westfalen», nachging. Als er noch dem Chapter «Bremen» angehörte, nahm er 2013 mehrfach in Wolfenbüttel an solchen Meisterschaften teil.
Sein „Bruder“, der langjährige Hammerskin Marc Gaitzsch, ist weniger an Bussen interessiert, dafür aber am Fitness-Geschäft. Schon ab 2010 begann er sich in der Fitnessbranche einzubringen, absolvierte 2012 Weiterbildungen und bestand wenig späte die C-Lizenz als Fitness-Trainer sowie die Lizenz als Personal Trainer. Zusammen mit André Friedrich gründete er um 2019 die Firma „Personal Training Gemeinsam Stark“ und bietet seit Juli 2020 zweimal im Monat ein Personaltraining für Mitarbeiter*innen der Bremer Heimstiftung an. Auch das Studio «My Gym» in Osterholz-Scharnbeck nutzen Gaitzsch und Friedrich für ihre Trainings.
„Feed You Wild Side“ titelte eines der Produkte der Auslage des „Muscle Growth“-Shops in der Ostpreußenstraße 7 in Haßfurt. Am Tresen steht der „Bodybuildingbegeisterte Shopinhaber“ Uwe Gebhardt, wie einem Bericht eines Fitness-Blogs zu entnehmen ist. Das Geschäft befand sich in der Garage des Wohnhauses, in dem Gebhardt selbst bis mindestens 2015 lebte. Er ist seit Ende der 1990er den Hammerskins verbunden und pflegt seit jeher vor allem eine innige Freundschaft mit dem spanischen Hammerskin Eduardo Chapela. In den Räumen des „Muscle Growth“-Shops beherbergte er diesen mehrfach als Tätowierer. Um 2017 wurde Gebhardt Anwärter bei den «Hammerskins Franken».
Seinen Supplements-Shop in Haßfurt eröffnete er im Herbst 2010 und bot dort u.a. einen „Proteinnotdienst“ an Sonn- und Feiertagen an. Sein Konzept schien Wirkung zu zeigen, denn zahlreiche (lokale) Kraftsportler*innen fanden sich bald unter dem Label „Team Muscle Growth“ ein und warben für Gebhardts Geschäft u.a. auf der Fitness und Bodybuilding-Messe (FIBO) in Köln. Aktuell weist jedoch nichts darauf hin, dass sein Shop weiterhin läuft.
Sich fit zu halten, Vorbild für die Jugend zu sein und sich als starker Mann zu präsentieren ist in der HSN omnipräsent. Es gibt faktisch kaum ein Vollmitglied, das heute nicht mindestens einen Hometrainer im Keller stehen oder einen Boxsack in der Garage hängen hat – und dies auch der Außenwelt unbedingt mitteilen muss. Dementsprechend peinlich wirkt es dann auch, wenn Patrick Mörsdorf vom Chapter «Westwall» am Sandsack posiert und offensichtlich keinen Dunst hat, wie Schläge zu platzieren sind. Mörsdorf will seinen „Brüdern“ in nichts nachstehen und erntet „Likes“ und höfliche Anerkennung. Körperliche Ertüchtigung ist ein Muss, schon fast ein Zwang, so scheint es.
Aufgrund seines Wirkens im Kraftsport-und Fitness-Bereich ist auch Christian Kunja vom Chapter «Sachsen» im Internet zu finden, entgegen seiner sonst so starken Abstinenz innerhalb der sozialen Medien. „Merry Liftmas!“ heißt es beim «Hard Body Radio», einer Online-Radiosendung des News-Blogs «Body Xtreme», die sich mit der Kraftsport-Szene ausgiebig beschäftigt. „Christian von USA Update“ sei zur Sendung am 24. Dezember 2014 zu Gast und berichte über Entwicklungen der Fitnessszene in Übersee. Schon 2011 gehörte Kunja dem vierköpfigen Redaktions-Team von «Body XTreme» an und war 2015 erneut Teil einer Radiosendung des «Hard Body Radio», die auf der „Fitness und Bodybuilding“-Messe (FIBO) in Köln aufgezeichnet wurde. Neben Kunja trat in der Sendung auch Patrik Baboumian auf und posierte nebenbei unter anderem mit Kunja auf Bildern. Vielleicht wusste der bekannte „Strongman“ Baboumian nicht, dass Kunja Mitglied einer gewalttätigen Neonazi-Organisation ist. Doch auch ein anderer in der Runde auf der FIBO spricht nicht gerade für eine unpolitische Umgebung: Pierre Lameley. Er war bis zur Liquidation im März 2021 Geschäftsführer der „Body-Xtreme Publishing UG“ und bis 2019 Geschäftsführer der „Body Xtreme Nutrition GmbH“. Lameley ließ sich als Kandidat der AfD für die Landtagswahl in Hessen 2018 aufstellen und war Spitzenkandidat für die Stadtverordnetenversammlung 2021 in Fulda. „Auch wir wollen uns unser Land wieder zurückholen.“ teilte er im Januar 2020 den 35 Zuhörenden beim Neujahrsempfang der AfD in Fulda mit. Damit stößt er in die selbe Kerbe einer Ideologie, wie sie von der «Identitären Bewegung» bis hin zur Neonazi-Partei «Der III. Weg» propagiert wird. Vor allem seit den Fluchtbewegungen 2015 spielt die phantastische Sehnsucht nach „Reconquista“ eine immense Rolle in der extremen Rechten.
Auch die Hammerskins wollen sich ihr „Land zurück erobern“, drücken dies nur wesentlich ungefilterter aus. Steve Doby, den Christian Kunja etwa 2015 in den USA besuchte und dann im selben Jahr in Europa für einige Tage beherbergte, formulierte es wie folgt. Gefragt, in welchem Zustand er die Bewegung in zehn Jahren sehen wolle, antwortet er in einem 2017 geführten Interview:
„Ich hoffe auf einen Bürgerkrieg! Wir nehmen uns die Straßen zurück. Ich hab den Krieg immer auf meinen Schultern tragen wollen und nicht meinen Kindern weiter geben wollen. Auf den Tag des Endsiegs habe ich 25 Jahre gewartet (…) Holen wir uns unser Land zurück.“ (Übers.d.Verf.)
Doby ist zum Zeitpunkt des Interviews 25 Jahre Mitglied der HSN.
Nicht Amboss, sondern Hammer sein
„Leben bringt Leben“ und „Pflicht statt Sucht“ heißt es auf einem der Werbe-Banner der extrem rechten Sportgruppe «Baltik Korps» aus dem Raum Rostock. Ein professionell auftretender und modern wirkender Zusammenschluss um David Mallow. Dieser ist zwar noch keine 30 Jahre alt, verortet sich mit seinem Zusammenhang jedoch kompromisslos in der Tradition des historischen Nationalsozialismus. Dabei wird in den Selbstdarstellungen schwülstig vereint, was die Palette an NS-Rhetorik hergibt. Man wolle den „stählernen Körper“ erschaffen, sei bereit „das Schwert empor der aufgehenden Sonne zu strecken, um der Hydra die Köpfe ab zuschlagen“ („Hydra“ ist in der Neonazi-Szene eine gängige Metapher für antisemitischen Verschwörungsglauben) und wägt sich in „einem immer fortschreitenden Kampf gegen eine größere Macht“. Eine Sprache, wie sie auch in den zahlreichen Schriften der HSN immer wieder zu finden ist.
Sicherlich auch der räumlichen Nähe geschuldet, ist es kein Zufall dass sich die Protagonisten des Rostocker Zusammenhangs auf den völkischen Sonnenwendfeiern in Jamel einfinden und dort mit zahlreichen Hammerskins aus dem Bundesgebiet in Kontakt kommen. Zwar unterscheidet sich die Gruppe im Habitus und Altersdurchschnitt stark von den Hammerskins, im Geiste vereint sie jedoch die Gewalt und die bedingungslose Verehrung des Nationalsozialismus. Beide Gruppen sind zudem Nutznießer des jeweils anderen. So konnten im «Thinghaus» in Grevesmühlen, das auch von den Hammerskins als Clubhaus genutzt wird, bereits mehrmals „offene Trainings“ des «Baltik Korps» stattfinden. Andersherum erschließt sich für die Hammerskins ein weiterer Zugang zur jüngeren Neonazi-Generation als politischen Partner – im Kampf am „Tag X“ und im fortwährenden Streben nach „Volksgemeinschaft“.
Praktischerweise ist es zudem möglich, dass jüngeren Prospects oder «Crew38»-Mitgliedern damit ein passendes Umfeld zugänglich gemacht wird, in dem sie die Aspekte des „Körperkultes“ und der physischen Fitness ausleben können. Wie Wilhelm Krüger, Anhänger der «Crew38» und Sohn des Hammerskins Sven Krüger, der auch schon an den offenen Trainings des «Baltik Korps» im «Thinghaus» teilgenommen hat.
Darüber hinaus verbindet beide Gruppen die Ansicht, sich in einer Offensive zu befinden und Überlegenheit im politischen Kampf demonstrieren zu müssen. Bei der HSN heißt es, man wolle „Nicht Amboss sondern Hammer sein“ , das «Baltik Korps» formuliert: „Wir sind keine deutschen Opfer (…) Wir sind die, die furchtlos mit gehobenen Fäusten auf den Gegner zugehen (…) die, die nicht auf den ‚Tag X‘ warten müssen, weil wir der ‚Tag X‘ sind!“
Trotz Überschneidungen bedeutet das nicht, dass Hammerskins in Gruppen wie «Baltik Korps» zwingend neue Rekruten für ihre Bruderschaft suchen. Es heißt nur, dass die selbsternannte Elite andere, sich elitär gebende Gruppen um sich schart, auf die gegebenenfalls zurück gegriffen werden kann.
Hammerskins übernehmen das Schloss des «Weißen König»
„Erlesen“ wirkte auch der Kreis, der sich im Mai 2017 in einer Sporthalle in Heringsdorf auf Usedom traf. Der «Pommern-Sturm-Usedom» hatte zu einem Kampfsportseminar unter der Anleitung von Denis Kapustin eingeladen. „Leben heißt Kampf“ prangte auf den Shirts zur Veranstaltung, an der letztlich rund 40 Neonazis aus Mecklenburg-Vorpommern und Brandenburg teilnahmen. Einige aus der „Kampfgemeinschaft“, wie sich die Szene um den KdN gern selbst beschreibt, waren gekommen, darunter die Gruppen «Baltik Korps» und «Northsidecrew/Preußen Gloria».
«Pommern-Sturm-Usedom» als Organisator mutet dabei durchaus provinziell an. Doch ist Dietmar Speckin, der als Führungsfigur dieser lokalen Kameradschaft gilt, Vollmitglied der «Hammerskins Pommern».
Ein paar Monate vor dem Seminar auf Usedom war Kapustin bereits bei den Schweizer Hammerskins zu Gast. Auch dort trat nicht die Bruderschaft als offizieller Veranstalter auf, sondern die extrem rechte «Partei National Orientierter Schweizer» (PNOS), der etliche Hammerskins in Führungspositionen angehören. Bereits das zweite mal konnte das Selbstverteidigungsseminar unter dem Namen „Wort und Tat“ im Raum Zürich stattfinden. „Tagungsleiter“ Denis Kapustin stellte im Nachgang des Events fest: „Je mehr Leute Sport treiben werden, desto besser für uns alle.“
Der fließend deutsch sprechenden Russe bringt auf den Punkt, dass sich die Szene – egal wie – fit halten müsse. Eine starke Gemeinschaft sei das Ziel, eine „Jugend die sich wehrt“, wie es hundertfach in der Propaganda der extremen Rechten zu lesen ist.
Kapustins Reise in die Schweiz im Februar 2017 hatte auch einen geschäftlichen Grund. Es standen Verhandlungen zur Übergabe seines Labels «White Rex» – was soviel wie „Weißer König“ bedeuten soll – an die Schweizer Hammerskins an. Darauf deutet ein Bild, dass ihn in diesem Rahmen in einer Gaststätte zeigt, in der sich auch Florian Gerber und Peter Patrik Roth eingefunden hatten. Roth zeigte den „Crossed-Hammers“-Gruß als Zugehörigkeit zur HSN. Er und Gerber hatten wenige Tage vor der Tagung die „Fightex AG“ mit einem Stammkapital von 100 000 CHF gegründet. Die Aktiengesellschaft ist heute der Vertrieb für Merchandise von «White Rex», mit Sitz in Lotzwil im Kanton Bern.
Das Konzept schien für die Schweizer jedoch nicht aufzugehen. Dank antifaschistischer Intervention musste sich Roth mit seinem Kapital aus der Aktiengesellschaft zurück ziehen, um seinen Ruf als Geschäftsführer des renommierten Matrazen-Herstellers „Roviva“ halbwegs zu retten.
Auch der Zeitpunkt der Übernahme von «White Rex» hätte schlechter nicht sein können. Denn Kapustin verzog Ende 2017 in die Ukraine, wo er sich auf seine neue Tätigkeit als Promoter extrem rechter Kampfsport-Formate u.a. im «Reconquista Club» fokussierte. Auf Kapustin und sein Netzwerk in Osteuropa konnte man demnach nur noch bedingt zählen. Überhaupt hatte der russische Neonazis über die Jahre diverse Star-Allüren an den Tag gelegt, die der westeuropäischen Szene nicht gefielen.
Florian Gerber und Kapustin dürften sich letztmalig beim KdN im Oktober 2018 getroffen haben. Es war der bislang letzte Auftritt des «White Rex»-Gründers außerhalb der Ukraine, denn nur kurze Zeit später verhängten die Behörden eine Einreisesperre für Kapustin im Schengen-Raum. Dem nicht genug veröffentlichte Spiegel Online im Februar 2019 einen Bericht, in dem ihm Drogenhandel und Waffenbesitz vorgehalten, sowie seine wahre Identität Preis gegeben wurde – denn Kapustin war bis zu diesem Zeitpunkt nur als Denis „Nikitin“ bekannt. Dazu kam, dass die Journalist*innen heraus gefunden hatten, dass Kapustin eine Geschichte als sogenannter „jüdischer Kontingent-Flüchtling“ habe.
Ob aufgrund dessen die Marke «White Rex» aus verschiedenen Versänden entfernt wurde, oder weil keine neuen Designs auf den Markt kamen, bleibt Spekulationssache. Die Schweizer „Fighttex AG“ um Gerber hält jedoch auch weiter an der Vermarktung fest und nutzt den Webshop auch als Verkaufsfläche für Produkte der PNOS. Nur ein paar Jahre später, im April 2019, erweiterten die Schweizer Hammerskins ihr Sortiment zudem um die Marke «Resistend Sportswear». Sie ist heute Teil der deutschen „Kampfgemeinschaft“ um den KdN. Beim Deutschen Patent- und Markenamt angemeldet hatte die Marke Michael Ruchhöft, der aus dem Raum Burg in Sachsen-Anhalt stammt und vor Jahren bereits in die Schweiz verzogen ist. Er gehörte schon 2016 der «Crew38 Zentralschweiz» an und dürfte es mittlerweile mindestens zum Anwärter der HSN geschafft haben. «Resistend Sportswear» wird zwar mit offiziellen Sitz in Ungarn – über ein Postfach in Budapest – vertrieben, doch ist Ruchhöft in Boll außerhalb von Bern über Marina Hinzberger zu erreichen.
„… die Überzeugung seiner Überlegenheit einimpfen“
„Den Glauben das die Szene eine Bewegung ist, habe ich vor Jahren schon abgehakt – Das Wenige am Schicksal aller bauen ergibt dadurch nur noch mehr Sinn und deshalb bin ich heute lieber mit 50 Leuten beisammen, von denen ich lernen kann, als mit 6000 die mich entweder nicht verstehen können oder nicht verstehen wollen.“(sic!), schreibt der sächsische Hammerskin Thomas Gerlach über seine Teilnahme am ersten „Heureka“-Kongress 2018 in Sachsen-Anhalt.
Der Tag sei „geistiger Sport“ gewesen, so Gerlach weiter, den die „Jungs von Wardon 21“ veranstaltet hatten. Tatsächlich dürften es nicht mehr als 50 Personen gewesen sein, die sich am 26. Mai 2018 im Szeneobjekt in Allstedt-Sotterhausen für die Tagung einfanden. Unter ihnen VertreterInnen aller relevanten rechten, deutschen Kampfsportformate um den KdN, sowie Denis Kapustin mit «White Rex». Eingeladen wurde im engsten Kreis, eine Bewerbung oder Hinweise auf eine solche Veranstaltung gab es im Vorfeld nicht. Umso bemerkenswerter, dass sich Gerlach unter den geladenen Gästen befand. Er betreibt keinen Kampf-und Kraftsport, lebt nicht vegan und scheint auch sonst nicht an moderne Formate der Neonazi-Szene angebunden zu sein. Aber, Gerlach ist Anhänger der Ideen der völkischen Siedler, im Ansatz mit Techniken der Lebensmittel-Selbstversorgung vertraut und entschied vor einigen Jahren, dem Alkohol zu entsagen. Schon in einem Brief an Mirko Hesse im Jahr 2002 klagte er sein Leid über das undisziplinierte Verhalten einiger Kameraden im Rausch und teilt ihm mit, dass er „dafür ist dem Volksgift Alkohol ganz zu versagen.“(sic!)
Die sächsischen Hammerskins um Gerlach und Stefan Wagner waren es auch, die 2012 zum fünften Mal im Raum Schkeuditz bei Leipzig ein „Sport-und Familienfest“ ausrichteten. Bilder in den sozialen Netzwerken lassen vermuten, dass es solche Zusammenkünfte noch bis mindestens 2017 gab.
Im Mai 2019, als der zweite Kongress von «Wardon21» unter dem Namen „Heureka“ in den Räumen des extrem rechten «Gedächtnisstätte e.V.» im thüringischen Guthmannshausen abgehalten wurde, war es unter anderem Dirk Bertram von den sächsischen Hammerskins, der als Teilnehmer erkannt wurde. Nils Budig bot auf der Veranstaltung CDs aus dem Sortiment von «Wewelsburg Records» an und dürfte zudem die Funktion des Abgesandten des KdN-Teams erfüllt haben. Diese Funktion übernahm er schon im Januar 2019, als er für den KdN nach Sofia in Bulgarien reiste und dort an einem Turnier des «NS Fight Club» teilnahm.
„Absolut heroisches Gefühl (…)“ kommentierte ein Besucher im Nachgang den Kongress. „Einen elitären Selbstanspruch sollte in den heutigen Tagen jeder haben (…)“ antwortete ein Administrator von «Wardon21» innerhalb sozialer Medien.
Terror und Gewalt
Die Geschichte der Hammerskins ist eine Geschichte voller Gewalt. Wie ein roter Faden ziehen sich rassistisch motivierte, brutale Angriffe, Totschlag und Mord durch 30 Jahre Bruderschaft. Viele der Mitglieder besitzen Vorstrafen wegen Körperverletzung, unerlaubten Waffenbesitzes oder ähnlich einschlägigen Delikten. Etliche „Brüder“ saßen jahrelang in Haft. Die Häufung der brutalen Geschehnisse um die Bruderschaft ist kein Zufall. Die «Hammerskin Nation» (HSN) versteht sich als Elite der Neonaziskin-Bewegung, die sich in einem ständigen „Rassenkrieg“ befände und sich für den bevorstehenden „Endkampf“ – den „Tag X“ – rüsten müsste. Als Vorbilder dienen terroristische Gruppierungen, die bereits in den 1980er Jahren nach der Strategie des „führerlosen Widerstandes“ handelten. Das weltweite Netzwerk der HSN – und dessen Konzept der absoluten Verschwiegenheit und Loyalität – ermöglicht es den Mitgliedern und ihrem Umfeld, sich über Know-How auszutauschen und u.a. auf Waffen und Fluchtmöglichkeiten in anderen Ländern zurückzugreifen.
Terrorkonzept aus dem „Mutterland“ der Bruderschaft
In den Zeitschriften der Neonaziszene der 1990er Jahre wimmelte es vor Verehrung von Gewalt und Terror. Auch in den Heften der Hammerskins wurden immer wieder Konzepte vorgestellt, die der Durchführung rechts-terroristischen Terrors dienten. Zudem gab es Bezüge zu rechts-motiverten terroristischen Anschlägen und TäterInnen.
Vor allem das Werk „The Turner Diaries“ (Die Turner-Tagebücher) gehörte damals (wie heute) zur Pflichtlektüre der Szene. Auch die Hammerskins in Ostsachsen waren fasziniert von der Publikation aus den USA. Als zwei Unterstützer des sächsischen Chapters – René Wuttke und Martin Schaffrath – im März 2002 an der deutsch-tschechischen Grenze von Grenzbeamten kontrolliert wurden, fand man bei ihnen im Auto einige Ausgaben des Heftes, versteckt in der Rückenlehne. In der Region in den Umlauf gebracht hatte diese Jörg Winter. Einen Monat nach dem Fund der Hefte im Auto wurde Winter wiederum vom ostsächsischen Hammerskin Stefan Müller gebeten, eine Handvoll der „Turner Diaries“ zu besorgen.
In diesem fiktiven Roman aus dem Jahr 1978 ging der im Jahr 2002 verstorbene US-amerikanische Neonazi William Luther Pierce unter dem Autoren-Pseudonym „Andrew Macdonald“ auf das Terrorkonzept des „Leaderless Resistance“ (dt. „führerloser Widerstand“) ein. Der überaus gewaltvolle Plot spielt in einer Zeit, in der ein weltweiter „Rassenkrieg“ herrsche und der antisemitisch konnotierten US-amerikanischen Regierung der Kampf angesagt wird. Pierce stellt in dem Buch eine Gruppe vor, die sich um die Hauptfigur Earl Turner gesammelt hat und sich „Die Organisation“ nennt. Aus dem Untergrund heraus begeht die Gruppe Attentate, Bombenanschläge und Sabotageakte. Aufgrund seines besonderen Engagements wird Turner in den „Orden“ aufgenommen, dem geheimen Zirkel der „Organisation“. Als Turner verhaftet und gefoltert wird, gibt er die Existenz des „Ordens“ preis. Nach seiner Entlassung wirft ihm die „Organisation“ Verrat vor und verurteilt ihn zum Tode. Ihm wird jedoch eine letzte Möglichkeit unterbreitet, mit der er seine Ehre wieder herstellen könne: ein Selbstmordattentat. Der Roman endet mit der Erzählung, dass Turner, bestückt mit einer Atombombe, mit einem Flugzeug in das US-amerikanische Verteidigungsministerium (Pentagon) fliegt. Dieses wurde als Leitzentrale des „Systems“ wahrgenommen. Die in dem Roman beschriebene Strategie des „Leaderless Resistance“ meint, dass im „Krieg gegen das System“ kleine Gruppen unabhängig voneinander agieren sollen. Verbunden sind sie dabei nur über Mittelspersonen, ihre Aktionsformen und Ziele bestimmen sie weitgehend selbst.
In der zehnten Ausgabe der Zeitschrift «Wehrt euch!» von 1999, die von den «Hammerskins Berlin» herausgegeben wurde, schreiben diese in einer Vorstellung des Romans: „Wie das Ganze jedoch endet, das soll nicht verraten werden, da es noch einen Anreiz geben soll, die Tagebücher zu lesen. Hervorgehoben werden soll zum Schluß noch, das es sich um eine rein fiktive Story handelt, die nicht den Sinn hat, daß man nach der Lektüre sofort losgeht um reinen Tisch zu machen – ist ja schließlich auch verboten…“. Eine bewusst doppeldeutige Einschätzung von Sinn und Zweck des Romans, der zur Radikalisierung der Szene beitrug und zu Hass und Gewalt anstiftete. Die „Turner-Tagebücher“ machen deutlich, wie aus einer rassistischen und antisemitischen Ideologie heraus die Vernichtung von Menschen zu einem politischen Programm wird.
Der „Endkampf“, in dem alle Feinde vernichtet werden müssten, ist ein wiederkehrendes Motiv in der Selbstdarstellung der HSN. So findet sich etwa auf dem 2006 veröffentlichten Album „Kampf dem System“ der Bremer Hammerskin-Band «Hetzjagd» das Lied „Hammerskins“. Dort wird besungen: „Hammerskins, die Elite aus der Masse. Skinheads aus der Arbeiterklasse, den Hämmern immer treu verbunden, im Kampf um unsere weiße Rasse, wir sind Nationalisten aus der ganzen Welt, unsere Bruderschaft uns ewig zusammen hält. Bis der letzte unserer Gegner für immer fällt.“ Jahre später, während eines Auftritts auf dem „European Hammerfest“ 2015 in Mailand (Italien), brachte wiederum die Hammerskin-Band «Division Germania» dem Publikum die Ideen vom „Tag X“ nahe. In dem dort dargebotenen Song „Stunde X“ – der ursprünglich von der Band «Saccara» stammt – heißt es: „Wir leben nur für die Stunde. Die Stunde die einst kommen wird. Es ist schon in aller Munde, dass es einmal passiert. Unsere Stunde wird einmal sein, dann werden wir Deutschland vom Abschaum befreien!“.
Tatsächlich bezogen sich etliche Rechtsterroristen auf die „Turner-Tagebücher“ als Inspirationsquelle. So auch Timothy McVeigh, der Haupttäter des Bombenanschlags auf das Murrah Federal Building in Oklahoma City in den USA am 19. April 1995 (auch bekannt als „Oklahoma City Bombing“). Am Tag des Anschlags, bei dem 168 Menschen getötet wurden, fanden die Ermittler*innen im Auto von Veigh Auszüge aus dem Roman. Auch für den NSU galten die Tagebücher als „Blaupause“. Sie wurden bei Wohnungsdurchsuchungen kurz nach der Selbstenttarnung der Gruppe in 2011 bei André Eminger und Ralf Wohlleben gefunden. Beide wurden später für ihre Unterstützung des NSU vor dem OLG in München verurteilt.
The Order – Brüder schweigen
Die Intention der „Turner-Tagebücher“ versuchte auch die Gruppe «The Order» – auch «Silent Brotherhood» und «Brüder Schweigen» genannt – in den 1980er Jahren in den USA in die Realität umzusetzen. Der Kopf und Gründer von «The Order», der Texaner Robert Jay Mathews, soll die „Turner Diaries“ auswendig gekannt haben. „The Order“ ist ein direkter Bezug auf den im Roman erwähnten Geheimzirkel des „Ordens“. Die Aktivitäten von Mathews Gruppe reichten von Banküberfällen hin zu Bombenanschlägen und Mord. Sie lebten im Untergrund und bekannten sich nicht zu den Taten.
Neun Personen hatten «The Order» im September 1983 gegründet. Sie alle waren Anhänger des rassistischen „White Power“-Gedankens, der bis heute weltweit Neonazis vereint. Es ist die Vorstellung, dass man sich als „Weiße“ zusammentun und gegen alles „Nicht-Weiße“ kämpfen müsse. Man sei den als „nicht-weiß“ definierten Menschen überlegen („White Supremacy“). «The Order» erstellte eine Liste mit ihren Feinden, auf der sich auch der Name des liberalen jüdischen Radiomoderators Alan Berg befand. Am 18. Juni 1984 lauerten sie Berg vor seinem Haus in Denver, Colorado, auf und erschossen ihn. Ende 1984 wurde «The Order» von den Ermittler*innen zerschlagen. Bei der Erstürmung von Robert Jay Mathews Haus im Bundesstaat Washington kam Mathews im Schusswechsel ums Leben. Die anderen Mitglieder der Gruppen wurden ebenfalls gefasst und erhielten zum Großteil lange Haftstrafen.
Die inhaftierten Mitglieder von «The Order – Brüder Schweigen» werden von den Hammerskins bis heute kultisch verehrt und teils finanziell unterstützt. Schon die «Hammerskins Sachsen» hatten im November 1998, gemeinsam mit den «Romandie Hammerskins» aus der Schweiz, ein „Robert Jay Mathews Memorial“-Konzert in Sachsen ausgerichtet. Bei dem Großkonzert war auch Forrest Hyde, Gründer der «Hammerskin Nation» in den USA, vor Ort. In den USA selbst veranstalten heute vor allem die «North Western Hammerskins» jährlich im Dezember eine Gedenkveranstaltung für den Rechtsterroristen Mathews. Im Rahmen dieses „Martyrs‘ Day“ pilgern die Hammerskins und ihre UnterstützerInnen nach Whidbey Island in Washington, wo Mathews letzter Unterschlupf war und er schlussendlich starb. Abgerundet wird der Tag mit einem Konzert und dem Entzünden eines Holzkreuzes – angelehnt an den Ritus des rassistischen «Ku Klux Klan».
In der Zeitschrift «Crossed Hammers» druckten die «Hammerskins Mecklenburg» im Jahr 2000 ein Interview mit dem Inhaftierten «The Order»-Mitglied Richard Scutari ab. Auf die Frage was ihnen zum Sieg verhelfen könne, antwortet er: „Die Grundlinie ist die, das wir nur durch eins gewinnen können, und das ist der totale Guerilla – Krieg. Das Überleben unserer Rasse steht auf dem Spiel. Wenn es die Gefangennahme eines Drittels unserer Männer und den Tod eines weiteren Drittels erfordert, um diesen Krieg zu gewinnen, so ist dies ein geringer Preis zu zahlen.“
Auch in der vierten Ausgabe des Fanzine «Victory» aus dem engen Umfeld der «Hammerskins Sachsen», wird die Geschichte von «The Order» ausführlich erzählt. So heißt es in dem Artikel: „Einige eingekerkerte Mitglieder, am bemerkenswertesten ist in diesem Zusammenhang David Lane, setzten ihren Kampf aus ihren Gefängniszellen unermüdlich fort. Und üben weiterhin großen Einfluß auf die Bewegung aus. Manche behaupten, daß David Lane jetzt sogar noch gefährlicher für das System ist, als vor seiner Festnahme. […]Heil The Order!“
David Eden Lane, der 2007 im Gefängnis starb, war Mitglied von «The Order» und Urheber der sogenannten „14 Words“. Ein aus vierzehn Wörtern bestehender Satz, in dem es heißt: „We must secure the existence of our people and a future for White children.“ („Wir müssen die Existenz unseres Volkes und eine Zukunft weißer Kinder sichern.“). Die Losung wurde weltweit zum Leitspruch der rassistischen „White Power“-Bewegung. Ein pathetisches Glaubensbekenntnis, das auch deswegen einen solch hohen Stellenwert erreichte, weil es aus dem Mund eines Mitglieds der Gruppe «The Order» kam. Sein politisches Handeln gemäß den „14 Words“ auszurichten, ist auch ein Statut der „Hammerskin Constitution“, der „Verfassung“ der HSN, die Ende der 1990er entwickelt wurde und auf die sich die „Brüder“ heute noch weltweit beziehen.
Die positiven Bekenntnisse zu «The Order» sind nicht immer auf den ersten Blick erkennbar. Nur mit dem Wissen um die Gruppe und deren Protagonisten wird sichtbar, dass etwa Hendrik Stiewe vom Chapter «Westwalen» eine Zeit lang das Konterfei Mathews als Profilbild seiner Facebook-Präsenz benutzte. Auf den Kodex „Brüder schweigen“ – den befehlsartigen Zusatz im Namen von «The Order» – bezieht sich auch Philipp Neumann vom Chapter «Rheinland» mit seiner Band «Flak». 2019 veröffentlichte die Band den Song „Bullen kein Wort“, in dem es heißt: „Bullen kein Wort: kein Futter denen, die Recht verdrehen. Ein Mann, ein Wort: soll‘n sie uns anzeigen, Brüder schweigen!“ Die Zeilen nutzte auch Tom Mex, Prospect des Chapter «Mecklenburg», im selben Jahr für einen Selfie-Post auf Instagram. Mex ist gerade einmal Anfang 20, scheint aber den Duktus der Hammerskins – denen auch sein Vater angehört – voll und ganz verinnerlicht zu haben.
Der Schriftzug „Brüder Schweigen – bis in den Tod“ prangte auch auf dem T-Shirt von André Eminger, das er als Angeklagter im NSU-Prozess im Münchener OLG am 26. Oktober 2014 trug. An dem Tag trat Thomas Gerlach von den «Hammerskins Sachsen» in den Zeugenstand. Die Botschaft wirkte: Gerlach machte keine belastenden Aussagen und schwieg zu den Fragen rund um die Hammerskins.
Der „Chef“ als Propagandist von Untergrund und Terror
Öffnet man die Webseite von Malte Redekers Musiklabel «Gjallarhorn Klangschmiede/Frontmusik» fällt unweigerlich eine Collage in Gedenken an Robert Jay Mathews ins Auge. Redeker scheint besessen von «The Order» und deren Mitgliedern. Mathews Portrait ließ er sich sogar als Tattoo auf den Rücken stechen. Über seinem Bauch prangt wiederum der Schriftzug „RAHOWA“, ein Szenekürzel für den Begriff „Racial Holy War“ ( dt.: „Heiliger Rassenkrieg“), der gerahmt ist von einer Karikatur eines bewaffneten Skinheads. Der heute in Schifferstadt bei Ludwigshafen wohnhafte Redeker ist seit Ende der 2000er Jahre „European Secretary“ der «Hammerskin Nation» und damit einer der einflussreichsten Hammerskins in ganz Europa.
2012 initiierte er eine Spenden-Kampagne für Gary Lee Yarbrough. In einer Rundmail an ProtagonistInnen der rechten Musikszene stellte er diesen als einen „der legendären Brüder Schweigen“ und einen der „letzten 3 inhaftierten Getreuen“ dar. Yarbrough gehörte «The Order» – Brüder Schweigen“ an und saß zum Zeitpunkt eine erhebliche Haftstrafe für seine Aktivitäten in der Terrorgruppe ab. Redeker fragte in der Rundmail nach finanzieller Unterstützung für Yarbroughs Frau sowie für seine anwaltliche Vertretung. Redeker sei bewusst, dass zum Zeitpunkt u.a. auch Ralf Wohlleben dringend Gelder benötige, teilte den Empfängern der Mail aber auch mit: „Ich versichere Euch, dass Gary einer DER Leute ist, welche jede Unterstützung benötigen.“ Er „war bereit den ultimativen Preis zu zahlen und ist ein lebendiger Märtyrer.“
Tatsächlich stand Redeker auch mit Yarbroughs Frau Susan in direktem Mail-Kontakt und nutzte seine Reputation, um sein Anliegen zu untermauern. Ohne Umschweife stellte er sich als Malte Redeker, Mitglied der «Hammerskin Nation» vor. Sie könne seinen Namen im Internet suchen, wenn sie im nicht glauben wolle. Mit viel Pathos teilte er ihr den Grund für sein Unterstützungsansinnen mit: „In Deutschland haben wir ein altes Sprichwort. „Treue um Treue“ (…) Wir schulden deinem Ehemann so viel und es wäre eine Sünde, wenn wir nicht unser Bestes versuchen würden um dir auszuhelfen.“ «Wewelsburg Records»-Betreiber und Hammerskin Hendrik Stiewe wollte Redeker für die Spendensammlung 50 Euro zukommen lassen. Yarbrough starb 2018 in Haft aufgrund eines Krebsleidens.
Noch heute sind über den Webshop von «Gjallarhorn Klangschmiede/Frontmusik» T-Shirts zu beziehen, die den Kult um «The Order» nähren. „Silent Brothers – Invictus“ steht groß auf der Vorderseite der Textilien, dazu die Namen der Mitglieder von «The Order» – die „Brüder“, die nicht nur bis zu ihrem Tod schwiegen, sondern auch als „unbezwungen“ erachtet werden.
Nicht nur die terroristischen Aktivitäten der US-amerikanischen Terrorgruppe führen bei Redeker zu Verehrung. Auch für das Konzept von „Combat 18“ (C18) konnte er sich begeistern. Unter dem Label importierten Neonazis in den frühen 1990er Jahren die Strategie des „Leaderless Resistance“ nach Europa. C18 war zum einen ein Konzept, eine Strategie, zum anderen entstanden unter diesem Label Gruppen, die sich als innerer Kreis und bewaffneter Arm des Netzwerks «Blood & Honour» verstanden. Etliche Personen, die sich den Hammerskins anschlossen, waren und sind Anhänger des Konzeptes von „Combat 18“. Schon als Malte Redeker noch kein Hammerskin war, offenbarte er seine Sympathien für C18 und Terrorismus. Als Macher der Neonaziheftes «Donnerschlag» war er bereits eine bekannte Person in der Szene der 1990er Jahre. In einem Interview mit der Mannheimer Neonazi-Zeitschrift «Doitsche Offensive» meinte er 1998:
„Der C18 ist eine Frontorganisation, welche aus dem Untergrund heraus versucht ihre Ziele zu verwirklichen. Einige ihrer Ziele sind die Schaffung von ‘‘nur weissen Areallen‘, aussortierung von ….. den CD Vertrieb in die eigenen Hände zu nehmen um Geld für die Bewegung zu schaffen. Ich stehe 100% ig hinter der Grundidee. Nur hat das Geld leider einige Charaktäre verdorben, was ziemliche Auswirkungen hatte. Man muss abwarten was sich aus der Asche des radikalen C18 Flügels formt. […].“ (sic!)
Zur Organisation «Blood & Honour» hatte Redeker auch eine Meinung: „Eine unterstützenswerte Organisation. Sollte vielleicht ein wenig mehr in den Untergrund gehen. Das Musikgeschäft ist nicht alles. Leaderless Resistance ist die Devise.“ Im Jahr 2000, dem Jahr, in dem er als Prospect beim Chapter «Schweiz» aufgenommen wurde, äußerte sich Redeker im Neonazi-Fanzine «Der Braune Bär» zu C18 erneut: „Absolut unterstützenswert. […] Mehr als Worte zählen die Taten. Whatever it takes!“ […] Leaderless Resistance ist die Devise. Lediglich dein Aktionismus kann den Sieg bringen.“
Damit wird auch deutlich: Statt sich Gruppen von «Blood & Honour/Combat 18» anzuschließen, wählte er den Weg in die «Hammerskin Nation». Auch, weil diese ihm geeigneter erschien, seine Vorstellungen eines Untergrundkampfes umzusetzen. Schließlich ist die HSN eine Bruderschaft, die sich dem Stillschweigen verpflichtet hat und in der man sich im Notfall auf jedes Mitglied verlassen könne.
Dass er auch heute noch vom Glauben an den „Tag X“ getrieben ist, offenbarte er im November 2019 auf einem Event des rechten Kampfsport-Formats «Kampf der Nibelungen» in Ostsachsen. Den rund 400 Anwesenden erläuterte er dort von der Bühne aus, wofür man eigentlich den Kampfsport in der Szene bräuchte: „(…) es ist für die Psychologie wichtig, für den Mehrwert auf der Straße. fürs Selbstvertrauen, für die körperliche Verfassung und für die viel beschworene Stunde, Tag X, ist es von Nöten sich verteidigen zu können.“ (sic!)
Wenn es um Rechtsterrorismus geht, scheint Redeker offenbar immer der richtige Ansprechpartner zu sein. So auch, als Patrick Schröder mit seinem extrem rechten YouTube-Format „FSN-TV“ im November 2012 eine Sendung zur US-amerikanischen Gruppe «Aryan Republican Army» (ARA) moderierte.
Redeker, der von Schröder namentlich nicht benannt, sondern als der „Allwissende“ zugeschaltet wurde, referierte als Experte zur Geschichte der ARA und dessen bekanntestem Mitglied Scott Stedeford. Dieser war Musiker der US-amerikanischen Neonazi-Bands «Day Of The Sword» und «Break The Sword». Mit ihm stand Redeker laut eigener Angabe im Kontakt. Auf die Frage, wer die ARA gewesen sei, schob Redeker vorweg: „Wie soll ich es nennen, ohne mich strafbar zu machen gerade im Zeitalter der NSU Geschichte“. Darauf folgend konkretisierte er, dass die ARA auf Konzepten basiert habe „ähnlich wie die Brüder Schweigen oder auch The Order“, „ne Art Geheimbund von ich nenn das jetzt mal ganz wertfrei von Überzeugungstätern, die halt ein politisches Manifest erstellt haben und einige Veränderungen anstrebten.“ Nach kurzem Gelächter ergänzt Schröder spöttisch: „sehr humanistisch ausgedrückt“, worauf Redeker erwidert „Ich versuch ja mich bzw. dich straffrei zu lassen“. Redeker beschreibt die Ziele der ARA, denen die „Turner Tagebücher als grober Leitfaden diente“: Die Regierung stürzen, um eine „reine Weißenbastion“ im Nordwesten der USA zu errichten. Man wolle „den Einfluss einer gewissen Minderheit in den USA ausschalten“ und, so die Worte Redekers, „nach Möglichkeit die Jungs wieder ganz woanders hinschicken“.
Die ARA verübte in den 1990er Jahren mehrere Banküberfälle in den USA und war unter dem Namen „Midwest Bank Robbers“ bekannt. Sie standen in unmittelbarem Kontakt zu Timothy McVeigh, dem Haupttäter des Bombenanschlags in Oklahoma City 1995. Für die Banküberfälle wurde das ARA-Mitglied Stedeford 1996 zu 30 Jahren Haft verurteilt. Redeker unterhielt mit ihm Briefkontakt und erläuterte Schröder bei „FSN-TV“, dass er mit ihm zwei Interviews geführt habe. Stolz berichtet er weiter, dass er während seiner regelmäßigen Aufenthalte in den USA den ehemaligen Bandmitglieder und Wegfährten von Stedeford begegnet sei und sogar eine Person getroffen habe „der angeblich oder vermeintlich Mitwisser in der gesamten ARA Geschichte war“. Stedeford hätte die „Message von The Order / Brüder Schweigen aufgesogen“, so Redeker. Seine Faszination für Stedeford geht insbesondere darauf zurück, dass dieser als RechtsRock-Musiker den Kampf gegen das System nicht nur besungen, sondern nach seinen Liedtexten gelebt und gehandelt hatte. Dafür, dass Stedeford „standhaft geblieben“ sei, dass er keine Aussagen bei den Behörden machte und dass er das Urteil von 60 Jahren Haft „mit einem Lächeln akzeptiert habe“ hätte Redeker „sehr große Ehrfurcht“ empfunden. Geschwiegen hat Stedeford auch darüber, wo das von der ARA erbeutete Geld – 250 000 bis 400 000 Dollar – verblieben ist. Redeker verweist recht selbstsicher darauf, dass davon ausgegangen werden kann, dass es entsprechenden Strukturen und Organisationen gespendet worden sei.
In seiner Haft habe Stedeford neue Musik produziert. Diese soll er Dennis Dent, Ex-Hammerskin und Sänger der US-Neonazi-Band «H8 Machine», zur Verfügung gestellt haben, so Redeker gegenüber „FSN-TV“. Aufnahmen von «H8 Machine» wiederum sollten auf einem „deutschen Label“ veröffentlicht werden, erklärt er. Der Erlös sei für Stedeford bestimmt.
Im Jahr 2016 kam tatsächlich die CD „Fighting Solves Everything“ von «H8 Machine» auf den Markt. Produziert hatte sie Redeker mit «Gjallarhorn Klangschmiede/Frontmusik». Dass der Kampf die Lösung aller Dinge sei, wie im Titel des Albums behauptet wird, ist eine elementare Annahme der extremen Rechten und beschreibt ihren Wesenszug: Die Durchsetzung ihrer Ideologie könne nur mit (Waffen-)Gewalt erreicht werden, dafür sei jedes Mittel recht.
Erlebnisraum USA
In den Statuten der deutschen Hammerskins heißt es, dass jedes (zukünftige) Mitglied mindestens einmal bei den „Brüdern“ in den USA vorstellig werden müsse. Derartige Besuche finden in der Regel im Rahmen des sogenannten „Hammerfest“ statt, welches die HSN jährlich in unterschiedlichen Bundesstaaten ausrichtet. Die allermeisten der deutschen Hammerskins lassen es sich nicht nehmen, so oft wie möglich zu den US-amerikanischen „Brüdern“ zu reisen. Feste wie das traditionelle „Hammerfest“ oder das „St. Paddy‘s Day“-Konzert in den USA sind keine auf Kommerz ausgerichtete Veranstaltungen. In manchen Jahren nahmen an den Events nur bis zu 100 Personen teil, die im entsprechenden Ambiente unter wehenden Hakenkreuzflaggen zusammen kamen. Hier trifft sich die Familie, die Bruderschaft, es kommen nur die Eingeweihten. Gerade darin liegt die Faszination für die deutschen Hammerskins. Wer es in den Klüngel der US-amerikanischen Hammerskins geschafft hat, der glaubt, nunmehr in der Elite angekommen zu sein. Die „Brüder“ in den USA werden für ihre Härte und Entschlossenheit bewundert. Es sind Geschichten wie die der «Aryan Republican Army» (ARA), die um sie wabern, aber auch die Taten der eigenen „Brüder“.
Gewalt als Initiations-Ritus
Im April 2017 leitete Redeker eine Anfrage der «Western Hammerskins» (WHS) an die europäischen Hammerskins weiter. Dort hieß es, dass Travis Miskam nun, nach 19 Jahren Haft, kurz vor seiner Entlassung stehe. Er gehört ebenfalls den WHS an und würde sich über die Unterstützung jedes einzelnen Chapter weltweit freuen, so die US-Amerikaner in ihrer Nachricht.
Miskam war am 17. März 1999 teil eines Mobs, der in Temecula im Bundessstaat Kalifornien Randy Wordell Bowen aus rassistischen Gründen angriff und schwer verletzte. Um die 150 Menschen sollen sich laut Presseberichten damals zu einem Lagerfeuer anlässlich des „St. Patricks Day“ am Stadtrand von Temecula versammelt haben. Der feiernden Menge gehörte auch eine größere Gruppe Neonazis an, die sich unter dem Banner der «Western Hammerskins» organisiert hatten. Video-Aufnahmen von der Feier zeigen die Neonazis, wie sie sich mit Hitlergrüßen und Neonazi-Parolen gegenseitig aufwiegeln. Randy Wordell Bowens Freund*innen berichten später, dass die Aufmerksamkeit der anwesenden Hammerskins schon früh auf ihn fiel. Es soll nicht lange gedauert haben, bis sie ihn rassistisch beleidigten und versuchten in einen Streit zu verwickeln. Bowen jedoch erkannte die Gefahr und versuchte sich der Situation zu entziehen, in dem er vom Feuer weg rannte. Sofort rannten die anwesenden Neonazis – es sollen laut Zeug*innen um die 30 Personen gewesen sein – Bowen hinterher. Travis Miskam befand sich direkt hinter Bowen, holte ihn ein und zog ihm eine Flasche über den Kopf. Bowen ging zu Boden und wurde mit Tritten malträtiert. Nachdem er sich wieder aufgerichtet hatte, rannte er in Richtung seines Autos. Die Gruppe um Miskam war euphorisiert von der Gewalt und stachelte sich gegenseitig mit Ausrufen wie „Kill that N*****“ an. Wieder holten sie Bowen ein und umringten ihn an seinem Wagen, hinter dem er sich versteckte. Fausthiebe und Tritte folgten. Als er sich erneut von den Angreifenden los reißen konnte, merkte er, dass ihm eine Schnittwunde zugefügt wurde. Er rannte ziellos in die Dunkelheit, bis er einen Bauernhof erreichte, wo ein Notarzt gerufen werden konnte. Statt zu fliehen, liefen die Hammerskins um Miskam zurück zum Lagerfeuer und feierten den Angriff unter Hitlergrüßen und Gejohle.
Bowen überlebte den Angriff. Der scharfe Gegenstand, mit dem ihm der Schnitt zugefügt wurde, verfehlte nur um wenige Zentimeter ein lebenswichtiges Organ, wie Bowen später vor Gericht über seinen Anwalt verlautbaren ließ.
Miskam galt damals als Anführer der lokalen Hammerskins. Er hatte an dem Abend in Temecula neue MitstreiterInnen anwerben wollen und soll vor Ort sogar Visitenkarten der «Hammerskin Nation» verteilt haben – ein damals geläufiger Weg um mit den Hammerskins in Kontakt zu treten. Ermittler*innen gehen davon aus, dass der Angriff auf Bowen der Heranführung neuer Rekruten diente. Man wollte sehen, ob sie „street-tested“ sind, also bereit für den Straßenkampf.
Gemeinsam mit Miskam wurde auch Jesse David Douglas u.a. wegen Körperverletzung im Zusammenhang mit einem Verbrechens aus Hass („Hatecrime“) verurteilt. Douglas war es, der Bowen die Wunde am Rücken vermutlich mit einem Rasiermesser zugefügt hatte, wie vor Gericht festgestellt wurde. Die ursprüngliche Anklage wegen versuchten Mordes wurde im Laufe des Prozesses fallen gelassen. Bowen erschien nicht vor Gericht und litt noch Jahre nach dem Angriff an den psychischen Folgen. Ein Statement ließ er vor Gericht dennoch von seinem Anwalt verlesen: „Die Urteile gegen Miskam und Douglas sollten ein klares und starkes Zeichen sein und andere entmutigen die Wurzeln von Rassismus und Gewalt zu kultivieren“. (Übers.d.Verf.)
Douglas wurde ein paar Jahre früher als Miskam aus der Haft entlassen. Der zum Zeitpunkt des rassistischen Angriffs gerade einmal 17 Jahre alte Douglas gehört heute ebenfalls den «Western Hammerskins» an und spielte noch vor wenigen Jahren in der RechtsRock-Band «Hate Your Neighbours». Nachdem Miskam 2017 seine Gefängnisstrafe abgesessen hatte, verblieb auch er bei den Hammerskins. In der eingangs erwähnten Nachricht der US-amerikanischen Hammerskins hieß es zudem, dass er nicht nur finanzielle Unterstützung bräuchte, sondern es ihm auch viel bedeuten würde, wenn ihm alle seine „Brüder“ diverse Textilien ihres Chapter zukommen lassen könnten. Schon in Haft unterstützte ihn die europäische HSN, wie der französische Hammerskin Sylvain Ortet. Er wollte ihm Fotos vom großen Hammerskin-Konzert im Juli 2011 in Frankreich zukommen lassen, bei dem sich um die 2 500 Neonazis einfanden.
Etliche weitere Beispiele solch brutaler Angriffe ließen sich hier skizzieren, bei denen Hammerskins in den USA allein bis Anfang der 2000er Jahre eine maßgebliche Rolle spielten. Wie das der HSN-Gründergeneration, die Anfang der 1990er Jahre mit brutaler Gewalt versuchte, sogenannte „No-Go-Areas“ für Schwarze im Stadtzentrum von Dallas (Texas) zu etablieren. Oder das von Donald Thomas, der im Juni 1991von Christopher Brosky und zwei anderen Mitgliedern der «Confederate Hammerskins» in Arlington (Texas) aus rassistischen Motiven ermordet wurde.
Wie Douglas Garret, einem wohnungslosen Schwarzen, der im Dezember 1991 in Birmingham (Alabama) von Lois Oddo und einem weiteren Hammerskin zu Tode geprügelt wurde. Oddo hatte kurz zuvor sein Fullmember-Patch erhalten. Wie Michael Boyd, einem Mitglied der «Confederate Hammerskins», der im Mai 1995 am Stadtrand von Dallas (Texas) einen Schwarzen erst rassistisch beleidigte und dann niederschoss.
Nach Reue für die Taten sucht man vergeblich. Stattdessen entstehen in der Neonaziszene Legenden und Mythen um die Täter, mit der sich die «Hammerskin Nation» schmückt. So heißt es in einem Fanzine der Hammerskins aus den 1990er Jahren etwa, dass der „Hammerskin P.O.W“ Michael Ray Perry den Briefkontakt zu „uns und Skinhead-Girls weltweit“ (Übers.d.Verf.) suche. Er sitze in Haft und sei dafür verurteilt worden, „drei SHARPs, diesen Abschaum“ (Übers.d.Verf.) ermordet zu haben. Die SHARP-Bewegung („Skinheads Against Racial Prejudice“) wurde parallel zum Erstarken der Neonaziskin-Szene ins Leben gerufen, um sich als Skinheads aktiv gegen Rassismus zu engagieren.
Dies ist der Erfahrungs- und Erlebnisraum, der Hammerskins aus den anderen Ländern fasziniert und zu potentiellen Mördern formt. Zumal Besuche in den USA wohl immer mit Schießübungen verbunden sind, die deutlich anders ablaufen, als es von Schützenvereinen in Deutschland bekannt ist. Viele Berichte, die deutsche Hammerskins nach ihren USA-Reisen im Überschwang des Erlebten verfassten, geben darin Einblick, nachfolgend sind nur zwei Beispiele erzählt.
Der Umgang mit Waffen gehört zum Programm
Als René Weiße aus Thüringen im Mai 2002 den Hammerskin Chris Odom in den USA besuchte, gehörte er den «Hammerskins Sachsen» an. Während seiner Reise berichtete er Sven Jahnke – damals ebenfalls dem Chapter «Sachsen» angehörig – von seinen Erlebnissen. Da ihm die Brisanz dessen durchaus bewusst war, nutzte er für diese Kommunikation den E-Mail-Account von Odom.
Weiße erzählt Jahnke, er habe in Orlando mit lokalen Kameraden auf Coyoten schießen wollen und dann seien „Wilderer“ gekommen. Er berichtet, dass Schüsse gefallen sind und dass ihm die anwesenden Neonazis zur Flucht geraten hätten. Denn, wie er weiter erzählt, hatte „ich Mongo wieder ein verbotens gewehr“ (sic!) in der Hand. Auf der Flucht verletzte er sich an einem Stacheldrahtzaun. Kurze Zeit später ist die Gruppe noch einmal los gezogen. Mit einem Nachtsichtgerät suchten sie die „Wilderer“. Weiße erzählt, man war „auf die Jagd nach den typen gegangen und fanden sie und wieder vielen schuesse.“ (sic!)
Ob in jener Nacht Menschen verletzt oder gar getötet wurden, ist nicht bekannt. Seine Mail beendete Weiße mit dem Satz: „In amerika kann man wilderer auf fremden Land einfach abknallen sagten die mir.“ (sic!) Seine Nachricht an Jahnke unterschreibt er mit dem Namen „Der Niggerhunter“.
Die Band «Brainwash», bei der René Weiße bis 2019 als Sänger tätig war, gehörte zu den weltweit einflussreichsten Bands im NS-Hardcore-Bereich. Ihren Status in der Szene erlangte die Band nicht nur durch den rechten Überzeugungstäter Weiße, sondern auch durch die anderen Mitwirkenden. Am Bass stand schließlich Michael Lorenz, genannt „Wüste“, der in den 1990er Jahren der sächsischen Sektion von «Blood & Honour» angehörte und schon damals in einigen RechtsRock-Bands mitwirkte. Während eines vierzehntägigen Aufenthalts im Herbst 1999 reiste er mit weiteren deutschen Neonazis zum „Hammerfest“ am 2./3. Oktober nach Atlanta (Georgia). Laut einem von Lorenz verfassten Bericht in einem Neonazi-Fanzine fand dieses auf einer Farm eines Mitglieds des «Ku Klux Klan» statt. Am Nachmittag sei dort ein Hammerskin-Treffen abgehalten worden, das laut deutschen Hammerskins das „Welttreffen der Hammerskin Nation“ gewesen sei. Im Rahmen der USA-Reise der Gruppe um Lorenz hätte es auch ein Schießtraining gegeben, berichtet er stolz in dem Fanzine. Wenige Jahre später waren es «Brainwash», die den Terrorkonzepten der US-amerikanischen „White Power“-Bewegung eine Hymne schrieben. Auf dem 2004 bei Malte Redekers «Gjallarhorn Klangschmiede» veröffentlichten Album „Moments Of Truth“ heißt es in dem Lied „We won‘t forget“ u.a.:
„In deepest respect we look at you. You show us the only way to break the chains! Only a few are able to live like you. (…) But not everyone fought with them till the end. They broke the oath and lied because of fear! The final battle for those who stayed true was a declaration of war against the chosen few!“
(„Mit tiefsten Respekt blicken wir auf Euch. Ihr zeigt uns den einzigen Weg, die Ketten zu sprengen! Nur wenige sind in der Lage, so zu leben wie Ihr. (…) Aber nicht alle kämpften mit ihnen bis zum Ende. Sie haben den Schwur gebrochen und aus Angst gelogen! Die letzte Schlacht für diejenigen, die treu blieben, war eine Kriegserklärung an die Auserwählten!“ (Übers.d.Verf.)
Der Begriff „die Auserwählten“ ist ein in der Neonazi-Szene weitverbreitetes, antisemitisches Synonym für Jüdinnen*Juden. Spätestens im Refrain wird klar, wem der „tiefste Respekt“ gezollt wird: „To the ARA and The Order, We show our reference! You are a model for all the silent masses!“ (An die ARA und The Order, wir beziehen uns auf Euch! Ihr seid ein Vorbild für die schweigende Masse! (Übers.d.Verf.) . Nur beim genauen Hinhören sind die Namen der US-amerikanischen Terrorgruppen zu erkennen. Im Booklet werden sie bewusst ausgespart, wie auch die Auflistung der Namen der Mitglieder von «The Order», die am Ende des Songs von René Weiße vorgelesen werden. Bassist Michael Lorenz nutzte bei der Band den Alias „Earl Turner“ – eine Referenz auf den Protagonisten der „Turner Diaries“.
Weiße spitzelte nachweislich im Jahr 1998 für den thüringischen Geheimdienst. Über ein Dutzend Treffen habe es zwischen ihm und seinem V-Mann-Führer gegeben. Erst 2019 wurde der Sachverhalt publik, Weiße wurde 2020 aus der Szene verbannt.
Mit seinem „Bruder“ Mirko Hesse – bis 2001 Chef der «Hammerskins Sachsen» und ebenfalls V-Mann – war Weiße mindestens einmal gemeinsam in den USA. Hesse war fasziniert von Waffen und nutzte die Zeit bei seinen vielen Reisen ins „Mutterland“ der HSN, um sich im Umgang mit diesen zu schulen. Bilder zeigen ihn im Frühjahr 2001 beim Abfeuern einer Kalaschnikov und einer Pistole. Begleitet wurde er zum Schießtraining von Stefan Pohlers, der ab 2003 Fullmember der «Hammerskins Westmark» war. Auch von einem Aufenthalt bei Hammerskins in Tampa (Florida) im Mai 1998 existieren Fotos, auf denen Hesse mit Schusswaffen posiert. Als die Polizei am 11. Juli 2001 seine Wohnung wegen des Verdachts der Volksverhetzung durchsuchte, fand sie bei Hesse eine halbautomatische Pistole und Munition.
Ihre Reisen dafür zu nutzen, den Umgang mit Waffen zu erlernen oder Fähigkeiten zu erweitern haben deutsche Neonazis bis heute verinnerlicht. Nur wenig wird davon öffentlich und wenn, dann häufig über Fanzines der Szene. So fand sich auch 2008 ein Bericht in einer der Zeitschriften, in dem die Rede von „schießwütigen Cottbusern“ ist, die gemeinsam mit dem damaligen Hammerskin Forrest Fogarty – nicht zum ersten Mal – in Florida den Tag auf dem Schießstand verbrachten. Zuvor waren sie zu Gast beim traditionellen „St. Patrick‘s Day“-Konzert der «Confederate Hammerskins“. Fogarty nahm in den 2000er Jahren für die US Army am Krieg im Irak teil. Laut einem Interview, dass er 2005 dem Fanzine «Resistance Magazine» gab, seien „seine Handlungen und die seines Teams der Grund gewesen dass einige dreckige Araber ihre 70 Jungfrauen genießen können“. (Übers.d.Verf.)
Mit dem Wissen um das liberale Waffengesetz unternahm auch der Europa-Chef der Hammerskins, Malte Redeker, im Oktober 2010 eine Reise in die USA. Am 2. Oktober fand das „Hammerfest“ der HSN in Detroit (Michigan) statt, das er besuchen wollte. Davor plante er einen Zwischenstopp in Florida, weswegen er sich bei den dort wohnhaften Hammerskins meldete und sich nach dem üblichen Rahmenprogramm erkundigte: „And if anything is going one in Florida, the time between september 20th till october first, keep us informed, Barbeque, nigger hunting or anything like that“ („Und wenn irgendetwas in Florida in der Zeit zwischen dem 20. September und dem ersten Oktober los ist, halte mich auf dem Laufenden, Grillen, N*****jagd oder so etwas“). Ein Hammerskin aus den USA antwortete: „Iam sure some of the boys will want to go out in the woods and make loud noises“. („Ja, ich bin sicher, dass einige der Jungs in die Wälder hinausgehen wollen und dort viel Krach machen werden“).
2012 in den USA: Ein Hammerskin ermordet sieben Menschen
Auf seiner USA-Reise im Oktober 2010 wurde Malte Redeker von Hendrik Stiewe begleitet. Beide trafen im Rahmen des „Hammerfest“ in Detroit (Michigan) auch auf Wade Michael Page, der dort seinen Prospect-Patch erhielt. Ein Jahr später, auf dem „Hammerfest“ am 11. Oktober 2011 in Florida, wurde er Fullmember bei den «Confederate Hammerskins». Page war seit den 1990er Jahren als Musiker in diversen RechtsRock-Bands aktiv. 2002 nahm er etwa als Live-Musiker an einer Europa-Tour der Hammerskin-Band «Intimidation One» teil und kam damals auch mit deutschen Hammerskins in Kontakt. Um 2010 spielte er in den Bands «Definite Hate» und «End Apathy».
Am 5. August 2012 stürmte Wade Michael Page einen religiösen Ort der Sikh-Glaubensgemeinschaft in Oak Creek im US-Bundesstaat Wisconsin und eröffnet mit einer Pistole, Kaliber 9mm, das Feuer auf die Anwesenden. Sechs Menschen starben sofort: Paramjit Kaur (41), Satwant Singh Kaleka, (65) Prakash Singh (39), Sita Singh, (41), Ranjit Singh, (49) and Suveg Singh (84). Vier Menschen wurden schwer verletzt, darunter Baba Punjab Singh (72). Er starb im Mai 2020 an den schweren Folgen der Verletzungen.
Der zum Zeitpunkt 40-Jährige Page wurde auf seiner Flucht durch den Schuss eines Polizisten verletzt. Kurz darauf erschoss er sich selbst. Page war Veteran der US Army, aus der er nach sechs Jahren Dienst im Jahr 1998 entlassen worden war. Grund für die Entlassung waren Delikte im Bezug auf Alkohol. Pages Lebenspartnerin Misty Cook wurde vorgeworfen, von dem geplanten Attentat gewusst zu haben. Bei einer Durchsuchung ihrer Wohnung kurz nach der Tat fand die Polizei ebenfalls eine Waffe. Cook war Unterstützerin der Hammerskins und zuvor in den 2000er Jahren an die Neonazi-Gruppe «Volksfront» angebunden.
Wenige Tage nach dem Attentat in Wisconsin 2012 beschwerte sich Hendrik Stiewe – damals noch ans Chapter «Bremen» angebunden – in einem internen Forum über Interviewanfragen. Etwa von der New York Times (USA), die mit ihm über „Hass“ reden wollte. Er hatte schließlich vor dem Attentat über sein Label «Wewelsburg Records» die Neuauflage der CD „Welcome to the south“ von Pages «Definite Hate» produziert. Auf dieser befindet sich auch das Lied „Take Action“. Dort heißt es: „Genug der Rede, es ist an der Zeit zu handeln. Revolution liegt in der Luft, die 9mm in meiner Hand. Vor diesem Masterplan kannst du weglaufen, dich aber nicht verstecken“ (Übers.d.Verf). Stiewes enge Verbindung zu den «Confederate Hammerskins» um Wade Michael Page erschließt sich auch durch eine Darstellung im Booklet der CD „Chosen Few“ von «Definite Hate». Explizit wird nicht nur ihm für seine Unterstützung gedankt, es existieren auch Fotos, auf denen Hendrik Stiewe im Gruppenaufstellung mit den US-amerikanischen Hammerskins zu sehen ist.
Stiewe reiste mit einer größeren Gruppe deutscher Hammerskins auch zum „St. Paddy‘s Day“-Konzert, das die «Confederate Hammeskins» am 17. März 2012 in Virginia ausgerichtet hatten. Dazu verfasste er sogar einen Reisebericht für das sächsischen Fanzine «Für immer und ewig». Im Layout dieses Berichts finden sich Fotos, auf denen die Bühne des Konzerts zu sehen ist. Darüber hängt u.a. die Flagge des deutschen Chapter «Bremen». Den Auftakt des Konzert machte die Band «Fuccface88», die Songs wie „Dead, nigger, dead“ präsentierten.
Auch der saarländische Hammerskin Robert Kiefer war vor Ort. Er stand am Mikro der eigens für das Konzert ins Leben gerufenen Band «Landsknecht», die Songs des Berliner Untergrund-Projekts «Landser» coverten. Page war dort für die Band als Live-Musiker tätig. Im Nachgang bedankte er sich im internen Forum der HSN bei den „vielen Deutschen“ die teilgenommen hatten.
Als Redeker von dem Attentat Pages in Wisconsin erfuhr, warnte er sofort seine „Brüder“ in Europa und gab ihnen konkrete Anweisungen. Er beschrieb Page als „netten und engagierten Bruder“ und könne sich gar nicht vorstellen, dass er ein Mörder sei. US-amerikanische Hammerskins erklärten ihm, dass Page zwei Wochen vor der Tat seinen Fullmember-Patch zurück gegeben habe. Dies ist wohl als Schutzbehauptung und Legende der HSN zu verstehen, um sich nicht für die Taten ihres „Bruders“ verantworten zu müssen. Darauf deutet auch, dass Redeker den Administrator des internen Hammerskin-Forums aufforderte, alle Beiträge von Page zu löschen. Auch sollten die „Brüder“ nicht offiziell mit der Tat sympathisieren und „nicht über diesen Vorfall“ sprechen. Zudem sollte niemand – schon gar nicht mit ihm – am Telefon darüber reden: „DO NOT CALL ME OR ANYONE ABOUT THAT MATTER ON THE PHONE!!!!“. Eine größere Ermittlung zum Umfeld, die auch die deutschen Hammerskins eingeschlossen hätte, ist zu diesem terroristischen Anschlag nicht bekannt. Offiziell ist Page ein „Einzeltäter“.
US-amerikanische Hammerskins reagierten sehr unterschiedlich auf das Attentat. Das Hammerskin-Label «Antipathy Records» bezog sich etwa positiv auf Pages Taten, in dem sie eine Rabatt-Aktion initiierten. Mit dem Code „WADEPAGE“ erhalte man Prozente auf die angebotenen CDs des Labels. Betrieben wurde «Antipathy Records“ schließlich von den «Confederate Hammerskins» Peter Mitchell Gaughenbaugh und Robert Brown, genannt „Andy“. Brown war Sänger in Pages Band «Definite Hate».
Konsequenzen für die HSN zog der Anschlag nicht nach sich. Die Bruderschaft machte weiter wie bisher. Bereits am 6. Oktober 2012 kamen die Neonazis wieder zusammen, um das 25-jährige Bestehen der «Hammerskin Nation» in Boise (Idaho) zu feiern. Angereist waren auch Malte Redeker und Hendrik Stiewe.
Die „Baseballschlägerjahre“ der deutschen Hammerskins
1992, Berlin – Der Mord an Günter Schwannecke
Am 29. August 1992 hielten sich die beiden Neonazis Norman Zühlke und Hendrik Jähn auf einem Spielplatz in Berlin-Charlottenburg auf. Sie beleidigten und bedrängten vier Studenten aus Sri Lanka, bis der Kunstmaler Günter Schwannecke und sein Freund Hagen Knuth den Angegriffenen zu Hilfe kamen. Zühlke eilte nach Hause, holte einen Baseballschläger, ging zurück zum Spielplatz wo Schwannecke und Knuth noch immer saßen. Dann schlug Zühlke mit dem Baseballschläger auf die beiden ein und zielte dabei auf deren Köpfe. Hagen Knuth erlitt ein schweres Hirntrauma, konnte im Krankenhaus aber gerettet werden. Günter Schwannecke starb am 5. September 1992 an seinen schweren Verletzungen. Zühlke wurde für die Tat 1993 wegen Körperverletzung mit Todesfolge zu sechs Jahren Haft ohne Bewährung verurteilt.
Zur damaligen Zeit war Zühlke in einer «Ku-Klux-Klan“ (KKK) Gruppe organisiert, die in ihrer Publikation „Das Feuerkreuz“ unverhohlen zu rassistischer Gewalt aufrief. Anführer dieser Gruppe war der Brandenburger Neonazi und V-Mann Carsten Szczepanski. Szczepanski pflegte die Kontakte in die USA und organisierte zusammen mit Zühlke eine „Zeremonie“, als im September 1991 der US-amerikanische KKK-Anführer Dennis Mahon zu Besuch kam. Eigens für die eingeladene Presse wurde ein Auftritt im bekannten Stil des KKK inszeniert. Vor laufender Kamera sagte Mahon auf die Frage, was er von den rassistischen Angriffen in Deutschland halte: „Ich bin sehr glücklich, das zu sehen, weil das deutsche Volk – zu wissen scheint, daß es durch die vielen Ausländer seine Zukunft verliert. Denn die haben eine sehr hohe Geburtenrate und zerstören das deutsche volk… Jedes Mittel ist recht, jedes, um eure Nation an retten.“ Im Mai 1992 ermittelte die Generalbundesanwaltschaft wegen des Verdachts der Gründung einer terroristischen Vereinigung (§129a) gegen die deutsche KKK-Gruppe. Im August 1992 ermordete Zühlke Günter Schwannecke. Das Verfahren gegen Zühlke und den V-Mann Szczepanski in Bezug auf den KKK wurde eingestellt.
Nach seiner vorzeitigen Haftentlassung schloß sich Zühlke den Hammerskins an. Schon 1997 gab u.a. er die Zeitschrift «Wehrt euch!» der «Hammerskins Berlin» heraus. Ab 1998 war er für die Versendung des monatlichen Newsletters des Chapter «Berlin» an die europäischen „Brüder“ zuständig.
Am 24. April 2002 durchsuchte die Polizei bei Zühlke und anderen Hammerskins die Wohnungen. Aufgrund der Produktion und Verbreitung einer volksverhetzenden CD der an die Hammerskins angebundenen Band «Deutsch Stolz Treue» aus Berlin wurde ein Verfahren u.a. wegen des Verdachts der „Bildung einer kriminellen Vereinigung“ geführt. Im einem späteren Prozess konnte sich Norman Zühlke an nichts erinnern. Auch dieses Verfahren gegen ihn wurde eingestellt.
1995, Jüterbog – Körperverletzung mit Todesfolge
Patrick Cuhrts war von Anfang der 1990er Jahre bis zur Auflösung 1998 eine zentrale Figur des „alten“ Chapters der «Hammerskins Brandenburg». In seiner Polizeiakte findet sich ein Eintrag, wonach dieser am 30. Juni 1995 in Jüterbog, einer Kleinstadt 50 Kilometer südlich von Potsdam, zusammen mit André Below, Marco Ziehe und Marcel Steinmetz eine „gefährliche Körperverletzung mit Todesfolge“ begangen hatte. Alle genannten Personen zählten zum Kern der Gruppe um Cuhrts und wurden (1995) von der Polizei als Mitglieder der «Hammerskins Brandenburg» benannt. In den Statistiken der Opfer rechter Gewalt sowie in antifaschistischen Archiven findet sich jedoch nichts zu der Tat in Jüterbog.
Aufschluss gibt ein Artikel in der Märkischen Allgemeinen Zeitung (MAZ) vom 3. Juli 1995. Unter der Überschrift „Kette der tödlichen Arbeitsunfälle reißt nicht ab“ fasst der Artikel Meldungen aus Polizeiberichten zusammen. Darin geht es um tödliche Arbeits- und Badeunfälle, um „sechs Polen“, die aus einem Gefangenentransport geflohen waren und schließlich um eine „Schlägerei im Jugendclub“. Dazu heißt es: „Bei einer Schlägerei in einem Jugendclub in Jüterbog (Teltow-Fläming) sind am Freitagabend [den 30. Juni 1995, Anmerkung der Verfassenden] drei Personen verletzt worden. Acht mutmaßliche Täter sind nach einer Fahndung von der Polizei gestellt worden. Sie waren vor dem Eintreffen der Beamten mit einem Wagen geflüchtet. Eine Gruppe von etwa zehn bis zwölf Jugendlichen im Alter zwischen 17 und 23 Jahren – darunter zwei Mädchen – geriet bei einer Tanzveranstaltung gegen 21.40 Uhr in Streit mit anderen Gästen. Bei einer anschließenden Schlägerei waren der Leiter des Jugendclubs und zwei Gäste mit Faustschlägen und Fußtritten verletzt worden.“
Der MAZ-Artikel ist ein erschütterndes Dokument aus einer Zeit, die mit dem Begriff „Baseballschlägerjahre“ treffend beschrieben wurde. Ständig griffen Neonazigruppen auf Veranstaltungen, auf der Straße oder am Badesee Menschen an und schlugen sie zusammen. Die Zwischenüberschrift „Schlägerei im Jugendclub“ relativiert, was damals geschehen ist. Jugendliche streiten eben, geben sich mal was auf die Mütze, dabei gibt es auch Verletzte und schließlich habe die Polizei ja auch ein paar Schläger erwischt. So bleibt von einer Tat, bei der Neonazis einen Menschen so verprügelten, dass er starb, bis heute nicht mehr als ein Kurztext von 621 Zeichen zwischen Badeunfällen und „geflohenen Polen“.
Die Geschichte von Jüterbog im Juni 1995 ist bis heute nicht aufgearbeitet. Was damals genau geschah, welche Strafen die Täter erhielten und wer überhaupt das Opfer war und was dessen Angehörige zu sagen haben, all das ist nicht bekannt.
1999, Berlin – Der Mord an Kurt Schneider
Am 6. Oktober 1999 wurde in Berlin-Lichtenberg der 38-jährige Kurt Schneider von vier Neonazis ermordet. Kurt Schneider starb, weil er zur falschen Zeit am falschen Ort war. Weil neonazistische Skinheads jemanden quälen und töten wollten.
Am Abend des 5. Oktober 1999 hatten sich die Berliner Neonazis Michael Voigt, Manuel Sandmann, Carsten Ufer und Björn Oberjartel in der Wohnung von Voigt getroffen. Auch dessen Verlobte war anwesend. Den Gerichtsakten zufolge brachte die Gruppe sich mit Alkohol und RechtsRock in aggressive Stimmung. Um Mitternacht zogen die vier in Richtung eines von Linken besetzten Haus. Auf dem Weg zogen sie einem Jugendlichen eine Bierflasche über den Kopf, weil er einen Döner aß und „wie ein Hip-Hopper“ aussah. Angekommen am dem besetzten Haus skandierten sie mehrfach: „Hier marschiert der nationale Widerstand.“ Niemand reagierte. Als sie gegen 2:00 Uhr in einer Tankstelle Bier kauften, begegnete ihnen Kurt Schneider. Er rief ihnen im Vorbeigehen „Prost, Kameraden!“ zu. Die Täter interpretieren den Gruß eines in ihrer Wahrnehmung sozial Schwächeren als Provokation und demütigen ihn physisch und verbal. Schneider entschuldigte sich und lud die Täter zu einem „Versöhnungstrunk“ ein. Doch die Neonazis lockten ihn in eine unbeleuchtete Grünanlage, schlugen ihn brutal zusammen und beraubten ihn. Zurück in Voigts Wohnung sprachen sie über die möglichen Folgen ihrer Tat. Sie kehrten mit einem Küchenmesser in den Park zurück, wo sie auf den immer noch am Boden liegenden Schneider erneut eintraten und ihn mit vier Messerstichen in den Hals töteten.
Im Jahr 2000 wurden Voigt und Sandmann zu lebenslanger Haft wegen schweren Raubes in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung und Mord verurteilt. Ufer wurde zu achteinhalb und Oberjartel zu acht Jahren Haft verurteilt.
Alle vier Täter waren bereits vor dem Mord an Kurt Schneider an rechts-motivierten Delikten wie rassistischen Beschimpfungen und Tätlichkeiten beteiligt. Sandmann zählte zum Umfeld der «Kameradschaft Spreewacht», die bis in die 2000er Jahre eng an die Hammerskins in Berlin angebunden war. Nach eigenen Angaben war er zudem Gründer der Berliner «Kameradschaft 14/88» sowie Mitglied einer Neonaziband. Oberjartel gab an, bei der NPD organisiert gewesen zu sein. Alle vier Neonazis bezeichneten sich selbst als Hammerskins, bei einem Täter hatte die Polizei bei der Wohnungsdurchsuchung auch ein T-Shirt mit der Aufschrift «Hammerskins Berlin» gefunden. Die Ermittler*innen gingen der Spur zu den Hammerskins nie systematisch nach. Ermittlungen darüber, wie weit die Täter tatsächlich in die Strukturen der Bruderschaft eingebunden waren, fanden nicht statt.
2011, Winterbach – Versuchter Mord im Kleingarten
In der Nacht vom 9. auf den 10. April 2011 feierten etwa 70 Neonazis im Kleingarten eines NPD-Funktionärs in Winterbach im baden-württembergischen Rems-Murr-Kreis. Spät in der Nacht fingen einige der Teilnehmenden aus rassistischen Gründen Streit mit neun Menschen an, die sich in einem Garten in der Nähe aufhielten. Auf einem Feldweg in der Nähe versuchte ein Neonazi mit dem Auto einen der Betroffenen umzufahren, kurz danach gingen die Neonazis auf die gesamte Gruppe los, jagten, prügelten und traten sie. Fünf der Angegriffenen flüchten in eine Gartenhütte. Ein Neonazi rief: „Kommt raus, ihr Scheißkanaken, wir machen euch fertig“. Ein Anderer zündete die Holzhütte an und in letzter Sekunde – kurz bevor der Generator explodierte – flüchteten die jungen Männer ins Freie. Die Hütte brannte komplett nieder. „Ich habe uns schon tot gesehen“, schilderte später ein 18-Jähriger der Presse. Sie hatten Todesängste, wurden schwer verletzt. Einige Betroffene leiden noch heute unter den Folgen der Tat.
In einem ersten Prozess, der sich bis ins Frühjahr 2012 zog, warf die Staatsanwaltschaft Stuttgart zwei Angeklagten fünffachen versuchten Mord, gefährliche Körperverletzung und schwere Brandstiftung vor. Doch die beiden Neonazis wurden nur wegen gemeinschaftlicher gefährlicher Körperverletzung zu jeweils 2 Jahren und 5 Monaten Haft ohne Bewährung verurteilt.
Im August 2012 begann der Folgeprozess gegen zwölf weitere Neonazis. Fünf von ihnen saßen seit März 2012 in Untersuchungshaft. Von versuchten Mord ist nicht mehr die Rede, es geht nunmehr um gefährliche gemeinschaftliche Körperverletzung, Meineid und Strafvereitelung. Am Morgen des Prozessbeginns tauchten sechs Neonazis vor dem Stuttgarter Landgericht auf. Ihre Aufgabe war es offenkundig nicht nur, den Prozess zu beobachten und die Angeklagten zu unterstützen, sondern auch, Betroffene und Personen aus den eigenen Reihen einzuschüchtern. Der Plan ging offenbar auf. Ein Neonazi, der zuvor seine Mittäter schwer belastet hatte, schwächte nun seine Aussagen ab.
Die sechs bedrohlich wirkenden Neonazis waren: Kai Benjamin Larsen, Frank Schönleber, Robert Kiefer, Danny Hoffmann, Thilo Sebastian Seger und Jonathan-Gaston Kennel. Einige der Gruppe waren zum Zeitpunkt Fullmember und Prospects bei den Chaptern «Württemberg» und «Westmark» oder gehörten dem engen Unterstützungskreis der Hammerskins im Südwesten Deutschlands an.
Auf der Anklagebank in Stuttgart saß unter anderem Patrick Mörsdorf aus dem Saarland, der aus der Untersuchungshaft in Handschellen vor Gericht geführt wurde. Er bewegte sich schon damals in den Strukturen der Hammerskins und ist heute Fullmember beim Chapter «Westwall».
Des weiteren war Christian Haas im „Winterbach-Prozess“ angeklagt, zu der Zeit Angehöriger der «Crew 38». Sebastian Schober, heute Fullmember bei den «Hammerskins Württemberg», musste im Prozess als Zeuge aussagen. Haas und Schober saßen in der Nacht des Überfalls in einem Auto, mit dem einer der Betroffenen fast überfahren worden wäre. Schober hatte den Fahrer zu der Tat ermutigt und andere Neonazis angerufen, damit sie hinzukommen und „den Kanacken aufs Maul geben“. Das Landgericht Stuttgart verurteilte schließlich elf Männer wegen gefährlicher Körperverletzung zu Haftstrafen zwischen einem Jahr und zehn Monaten und zwei Jahren und acht Monaten, von denen zwei zur Bewährung ausgesetzt wurden. Die einzige weibliche Angeklagte wurde freigesprochen.
Im April 2021 erinnerten antifaschistische Gruppen an die brutale Hetzjagd vor zehn Jahren und solidarisierten sich mit den Betroffenen.
Terrorpläne unter den Augen der Behörden
Hotspot Sinning
Eine ganz eigene Geschichte spielte sich von Mitte der 1990er bis Mitte der 2000er in Sinning im Raum Ingolstadt (Bayern) ab. Unverfroren konnten Neonazis dort bewaffnete Strukturen aufbauen, geschützt von den Behörden. Schließlich gehörte zur Struktur die V-Person Didier Magnien.
In Sinning gab es zu dieser Zeit ein großes Anwesen, das dem Neonazi Anton Pfahler gehörte. Pfahler war bereits in den 1970er Jahren Mitglied der «Wehrsportgruppe Hoffmann» und trieb ab Mitte der 1990er Jahre den Aufbau einer „bewaffneten Zelle“ in Deutschland voran. Zur Gruppe von Pfahler zählten Alexander Larrass (heute Rotelli) und Didier Magnien, der ca. 1995 nach Sinning verzogen war.
Magnien war in seinem Geburtsland Frankreich um 1994 den «Charlemagne Hammerskins» angehörig. Die Mitglieder des Chapters galten als besonders besessen vom Untergrundkampf und propagierten diesen, ohne ein Blatt vor den Mund zu nehmen. In ihrem Sprachrohr, der Publikation «W.O.T.A.N.» („Will Of The Aryan Nation“) finden sich etliche Gewaltdarstellungen und Umsturzphantasien. Sie seien im „Krieg und machen keine Gefangene“, heißt es in der zweiten Ausgebe des Hefts im Jahr 1996. Im Krieg befanden sie sich aber auch mit der «Hammerskin Nation», die sie abwertend „Hammer Skum Nation“ (Skum=Scum, dt. „Abschaum“) betitelten. 1998 wurde das Chapter offiziell aus der HSN vebannt.
Diedier Magnien und die «Charlemagne Hammerskins» waren nicht die einzige Verbindung nach Sinning. Die Gruppe um Pfahler, Larrass und Magnien stellte auch der «Nationalen Initiative Schweiz» (NIS) ein Postfach zur Verfügung, über das die deutsche „Generalvertretung“ der NIS erreichbar war. Die NIS war eine 1996 gegründete Partei, der zahlreiche Hammerskins aus dem Raum Zürich angehörten. Über das Postfach der NIS konnte auch das Schweizer Hammerskin-Fanzine «Hammer» bezogen werden. Die Behörden gingen davon aus, dass die Verbindungslinie Schweiz-Deutschland um den deutschen Leiter der NIS – Stefan Göbeke-Teichert – und die Schweizer NIS-Leute und Hammerskins vornehmlich der Beschaffung und der Einfuhr von Waffen diente.
Als die Polizei 1998 Pfahlers Anwesen in Sinning durchsuchte, wurden Sturmgewehre, Handgranaten, Maschinenpistolen – und ein vierzehn Tonnen schweren Panzer aus dem Zweiten Weltkrieg gefunden. Pfahler und Larrass wurden wegen Terrorplänen und Waffenbeschaffung zu mehrjährigen Haftstrafen verurteilt. An Magnien liefen Ermittlungen und Prozess zielgerichtet vorbei, obwohl er derselben Gruppe angehört hatte.
Spätestens ab 2002 schloss sich Magnien der «Kameradschaft Süd» in München an. Er war in Waffenbeschaffungen involviert und begleitete diesbezüglich den Anführer dieser Kameradschaft – Martin Wiese – in mindestens einem Fall nach Brandenburg. In einem später von den Ermittler*innen präsentierten, abgehörten Gespräch teilt Magnien seinem Kameraden Wiese mit, wie man im Falle einer Polizeikontrolle zu reagieren hätte: Man solle die Beamten „wegblasen“. Martin Wiese ergänzte: „Dann haben wir zwei Waffen mehr“.
Als die «Kameradschaft Süd» 2003 konkret plante, einen Bombenanschlag auf die Veranstaltung zur Grundsteinlegung des jüdischen Gemeindezentrums in München am 9. November 2003 zu verüben und dabei möglichst viele Menschen zu töten, ließ Magnien die Gruppe auffliegen. Nun wurde klar, dass Magnien über viele Jahre Zuträger des französischen Geheimdienstes gewesen und nach einigem behördeninternen Gerangel den deutschen Behörden zugeteilt worden war.
Der V-Mann Magnien verschwand danach von der Bildfläche. Wiese bewegte sich in den Folgejahren auch im Umfeld der «Hammerskins Bayern». 2013 nahm er an der Beerdigung des bayrischen Hammerskins Maximilian Reichel teil. Auch Magniens Mitstreiter in den 1990er Jahren in Sinning, Alexander Larrass, ist weiterhin aktiv. Er galt den Behörden in den 2000er Jahren als einer der gefährlichsten deutschen Neonazis.
Eine „herausragende Kontaktperson“ bei den Hammerskins
Im Februar 2001, als Larrass in der JVA Schwalmstadt seine Haftstrafe verbüßte, wurden bei einer Durchsuchung seiner Zelle brisante Texte beschlagnahmt. Darin beschrieben sind V-Leute und Polizist*innen als Hauptfeinde: „Wenn mehrere abgeschnittene Köpfe per Expresszustellung die betreffenden LKA’s, LfV oder sonstige Verbrechernester erreichen, wird sehr schnell Ruhe im Stall sein, vor allem wirkt so was hochgradig abschreckend.“ Aus den Texten wird deutlich, wie Larrass plant, mit seinen Feinden umzugehen: „Keine Gnade für Verräter, Spitzel und Saboteure…Nicht nur auf Verräter losgehen die ausgepackt haben, die ganze Familie mit Mann und Maus muss in Stücke geschossen, geschlagen oder geschnitten werden…Werdet zu reißenden Bestien die vor nichts aber auch nichts zurückschrecken, die Feinde des Reiches zu bekämpfen.“
2002 pflegte Larrass auch zu Thomas Gerlach von den «Hammerskins Sachsen» einen regen Briefkontakt, der vom bayrischem Geheimdienst mitgelesen und ausgewertet wurde. Aufgrund der besonderen „Gefährdung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung sowie einzelner Personen“, die sich laut der Behörde nach der Haftentlassung von Alexander Larrass ergab, erstellte der Geheimdienst einen Bericht und informierte andere Behörden.
Das Landeskriminalamt Rheinland-Pfalz hielt dazu im Januar 2003 eine Besprechung ab, in der sie verschiedene Maßnahmen veranlassten. Sie ordneten Gerlach als „herausragende Kontaktperson“ von Alexander Larrass ein. Einer weiteren Auswertung des Geheimdienstes kann entnommen werden, dass Larrass an Gerlach u.a. schrieb: „was los wäre, wenn 134 Spitzel, Verräter oder Systemschergen aller Art umgenietet werden und der Tod eines Systemschergen in den Hauptnachrichten zum Staatsakt stilisiert wird.“ Er bräuchte „Kameraden, die extrem hart zupacken können und sich nicht davor scheuen, den Weg von Blut, Schweiß und Tränen zu gehen.“ Es würden „Männer mit Eiern wie Kokosnüsse gebraucht, die sich nicht davor scheuen, Blut zu lassen und Blut fließen zu lassen.“ Man müsse Kameraden finden, die bereit sind, „den Abzug durchzuziehen“. Gerlach habe diese Männer gefunden, hält der Geheimdienst in seinem Bericht fest. Thomas Gerlach „soll ein Netzwerk von mehreren hundert Personen haben. Es sollen die Besten herausgefiltert und zu einem Kaderlehrgang geschickt werden“.
Larrass schreibt in einem Brief auch, dass es wieder möglich sei „Arbeitsgeräte“ in der Schweiz zu besorgen. Eine „Schaufel“ würde bis zu 880 Schweizer Franken kosten. Das es sich hier verklausuliert um Waffen handelt, ist offensichtlich. Larrass saß zu diesem Zeitpunkt unter anderem in Haft, weil er für die Sinninger Gruppe Waffenteile aus der Schweiz besorgt hatte. Auch damals verwendete er Code-Wörter, bemerkt der Geheimdienst in seinem Bericht.
Während dieser Zeit wird Gerlach zum Fullmember der «Hammerskin Nation» gepatched. Dazu hält der Geheimdienst wiederum nichts in seinem Bericht fest. Auch gibt es keine Hinweise darauf, ob die Behörden zu dem Netzwerk ermittelt haben.
Waffen und Drogenbusiness in Portugal – Hammerskins & «Hells Angels»
Im Jahr 2006 schickt der portugiesische Geheimdienst SIRP einen Bericht ans das «Bundesamt für Verfassungsschutz» in Köln, in dem er mitteilt, dass nach seinen Kenntnissen Thomas Gerlach für Waffenlieferungen an Hammerskins in Portugal verantwortlich ist. Von besonderem Interesse für die portugiesischen Neonazis sollen Schalldämpfer gewesen sein. Diese habe Gerlach über Alexander Larrass in der Schweiz besorgen wollen. Die SIRP observierte zu dieser Zeit die frisch gegründeten «Portugal Hammerskins» (PHS) offensichtlich sehr genau.
Zwischen Gerlach und den portugiesischen Hammerskins besteht bis heute eine enge Bande. 2006, als in Jena das neonazistische „Fest der Völker“ stattfinden sollte, war unter anderem der damalige Chef der PHS Mário Machado als Redner eingeplant. Gerlach hatte das „Fest der Völker“ an führender Stelle organisiert – u.a. mit dem NSU-Unterstützer Ralf Wohlleben. Machado war als äußerst gewalttätiger Neonazi bekannt. Er hatte zum Zeitpunkt bereits eine Haftstrafe von vier Jahren und drei Monaten verbüßt, da er im Juni 1995 mit weiteren Neonazis aus rassistischen Motiven den von den Kapverdischen Inseln zugewanderten 27-jährigen Alcindo Monteiro auf den Straßen Lissabons so schwer zusammen schlug, dass dieser kurze Zeit später starb.
Kurz vor dem „Fest der Völker“ 2006 wurde Machado in Portugal verhaftet, weil er im Fernsehen sein Waffenarsenal präsentierte und anmerkte, dass alle portugiesischen „Nationalisten“ bewaffnet und bereit seien „die Straßen im Sturm zu erobern, wenn nötig“. Wieder auf freiem Fuß plante er, trotz polizeilicher Auflagen, mit 30 Neonazis um die Organisation «Frente Nacional» im Juni nach Jena zu reisen. Sie wollten nach Frankreich fliegen und dort mit französischen Hammerskins gemeinsam nach Deutschland weiter fahren. Thomas Gerlach würde sie dann an der französisch-deutschen Grenze abholen. Letztlich wurde das „Fest der Völker“ verboten, mit der Begründung, dass aufgrund der Männer-Fußball-WM in Deutschland nicht ausreichend Sicherheitskräfte zur Verfügung stünden. Dennoch statteten Machado und seine «Portugal Hammerskins» Gerlach im Jahr 2006 einen Besuch ab. Sie wurden von den «Hammerskins Sachsen» u.a. mit einem „Ritteressen“ auf der Leuchtenburg bei Jena unterhalten. Auch Ralf Wohlleben war dort Teil der Runde.
Am 18. April 2007 kam es zu einem Einsatz der Terrorismusabwehreinheit der portugiesischen Polizei. Nach umfassenden Ermittlungen gegen die PHS und ihren Anführer Mário Machado kam es zu etlichen Hausdurchsuchungen und Gewahrsamnahmen. 27 Personen wurden der Besitz illegaler Waffen, Entführung, sowie die Verbreitung von nationalsozialistischer Propaganda vorgeworfen – vierzehn Personen gehörten dem Chapter «Portugal» an.
Nur wenige Tage nach der Durchsuchung fand eine Konferenz der europäischen extremen Rechten in Lissabon (Portugal) statt, auf der auch Thomas Gerlach als Redner angekündigt wurde. Acht Tage nach der Konferenz hielten deutsche Hammeskins ein „National Officers Meeting“ (NOM) ab. Laut der Meldung eines Teilnehmers des Treffens, der zu dem Zeitpunkt als V-Mann für den Geheimdienst tätig war, habe man sich u.a. über die Vorfälle in Portugal ausgetauscht. Die portugiesischen Behörden hatten über die Hammerskins Kontaktsperren verhängt. Diese galt es, laut der Diskussion auf dem NOM, zu „unterwandern“. Es wurde entschieden, dass sich darum „ACE“ (Alias von Gerlach) kümmern soll.
Dem Repressionsschlag von 2007 folgte eine Haftstrafe für Mário Machado. Im Oktober 2008 wurde Machado zu vier Jahren und zehn Monaten Haft verurteilt, wogegen er Berufung einlegte. Machados Kommentar vor Gericht dazu: „Es sind die Schwarzen und die Zigeuner, die ins Gefängnis gehören.“ Das Urteil werde „die Bewegung – und vor allem mich – nicht aufhalten.“
Das abschließende Urteil für Machado im August 2010 lautete sieben Jahren und zwei Monaten Haft wegen Nötigung, Entführung, Raubes und illegalen Waffenbesitz. „White Warrior Mário Machado“ stand auf einem Transparent geschrieben, das die PHS in der Folgezeit auf Konzerten präsentierten. Auch bei einem Konzert 2010 in Lissabon, an dem u.a. Thomas Gerlach teilnahm. Seine stetig enge Bindung an die PHS ist seiner eigenen Faszination für Gewalt und Waffen geschuldet. 2011 verweist er in einer internen Kommunikation auf seine Bereitschaft und Erfahrung, wie man anderen Menschen schwere Schäden zufügen könne, ohne sich juristisch angreifbar zu machen: „ich würde eher so nen cm nehmen. das gilt net als waffe, damit kannste mit wenig wirklichen risiko den grösstmöglichen schaden anruchten.“ (sic!) Mit „cm“ meint er ein Cuttermesser. Dieses habe er auch schon in Auseinandersetzungen, mutmaßlich mit politischen Gegner*innen, eingesetzt, wie er in einer anderen Kommunikation mitzuteilen weiß: „mich haben die eigentlich recht schnell zufrieden gelassen. gab zwar auch 1-2 überfälle, aber die gingen meistens nach hinten los, weil ich durch die englischen fussball assis „(a)sozialisiert“ wurde und da 2 mal mitm Cuttermesser 1-2 von den schmocks gut erwischt hab.“ (sic!)
Im November 2016 gab es erneut Razzien bei Mitgliedern der PHS. Gegen rund 20 Personen des Chapters wird wegen „Hassverbrechen“, d.h. rassistischer Diskriminierung, Angriffe auf 20 Menschen sowie einem versuchten Mord ermittelt. Bei den entsprechenden Razzien wurden eine Schrotflinte sowie Schusswaffen, Munition, Messer, Macheten, Schlagringe, Pfeffergas, Schlagstöcke und Baseballschläger gefunden. Im Fund der Ermittler*innen befanden sich auch Merchandise und Patches deutscher Hammerskins.
Während der Haft verlor Machado die Kontrolle über sein Chapter. Der geltungssüchtige Portugiese kam mit den veränderten Umständen nicht klar. Er teilte seinen „Brüdern“ außerhalb Portugals mit, dass Mitglieder der PHS rausgeschmissen werden müssten, weil sie mit mehreren Kilogramm Kokain und Heroin festgenommen worden seien. Beweise könne er nicht anbringen, habe aber schon in einer Korrespondenz mit Thomas Gerlach geklärt, dass er weiterhin in der „Nation“ bleiben und nach seiner Entlassung ein neues Chapter aufbauen wolle.
Die Konflikte und Intrigen der Portugiesen landeten mehrfach auf der Tagesordnung der europäischen «Hammerskin Nation». Dabei wurde offenkundig, dass die Portugiesen auch außerhalb ihres Chapters in Auseinandersetzungen mit anderen Organisationen geraten waren. Malte Redeker bemühte sich, die Probleme mit dem Führungskreis der PHS zu klären, dem auch Bruno Monteiro angehörte.
Ihm berichtete Monteiro im November 2011 ausführlich über den Stand der Dinge. Monteiro habe von einem kürzlich in Deutschland ausgerichteten NOM erfahren. Dort habe Wolfgang Benkesser von einem Gespräch mit einem Mitglied des «Hells Angels MC» erzählt, das ihm verärgert mitteilte, die Probleme in Portugal – bezogen auf die Hammerskins – würden nicht aufhören. Monteiro aber wisse, dass es keine Probleme mit dem Rockerclub geben würde und das alles nur Gerüchte seien. Die portugiesischen Hammerskins hätten sogar, nachdem diese Gerüchte aufkamen, ein Essen mit führenden Personen des lokalen «Hells Angels MC» Charter arrangiert. Dies sei nur geschehen „wegen euch in Deutschland“, hält Monteiro fest. Die beiden Gruppen hätten nun offiziell „Frieden geschlossen“. Monteiro schließt seinen Bericht an Redeker ab, mit der Feststellung: „Wir haben darüber gesprochen, dass sie zu unseren Events kommen können und wir zu ihren. Wir haben keine Probleme mit ihnen (…) aber wir wollen keine Scheiße und keine schlechten Worte mehr darüber hören. Also, wir haben den ‚Krieg‘ gegen sie gewonnen, den ‚Krieg‘ den sie angefangen haben.“. Im „Krieg“ mit dem «Hells Angels MC» zu sein heißt, sich mit der Organisierten Kriminalität anzulegen. Erstaunlich, dass sich die Hammerskins als Gewinner dieses „Kriegs“ erachteten.
In der Auseinandersetzung mit Mário Machado spitze sich der Konflikt hingegen zu. Thomas Gerlach fragte mehrmals in Portugal nach, wie es im Umgang untereinander aussähe.
Ein portugiesischer Hammerskin beantwortete ihm seine Frage und stellte fest: „Soviel ich weiß ist Mario sehr enttäuscht von der HSN, denn bislang gab es keine Lösung der Situation. Und die XXX zwischen Mario und einigen Mitgliedern der PHS sind ziemlich gefährlich. Ich weiß, dass einige von ihnen Waffen tragen und sie sagen, dass dies der einzige Weg ist um diesen Zustand zu beenden (…) Das wird der HSN nicht gut tun.“ (Übers.d.Verf.)
Die deutschen Hammerskins waren sich lange Zeit unsicher, welcher Seite sie in dem Chapter-internen Konflikt Glauben schenken sollten. Einer von Gerlachs deutschen „Brüdern“ würde ungern auf die Portugiesen in der HSN verzichten, wie er ihm 2014 mitteilt: „Ich sehe da bald schwarz für den Südwesten. Das würde mir aber schrecklich leid tun, denn ich denke, das es ein sehr starker Teil von uns ist. Dennoch sollten sie genauso idealistisch bleiben, wie sie auch gewalttätig sind“. Heute scheint der Konflikt geklärt und es findet erneut ein reger Austausch zwischen den «Portugal Hammerskins» und ihren „Brüdern“ der anderen Chapter statt. Am Wochenende um den 27. Januar 2019 richteten die PHS ein „European Officers Meetings“ (EOM) im Raum Lissabon aus.
Hammerskins im NSU-Komplex
Im November 2011 enttarnte sich der «Nationalsozialistische Untergrund» (NSU) selbst und die rechtsterroristische Mordserie wurde bekannt.Das Leben der Familien der Ermordeten wurde ein weiteres Mal erschüttert. Für viele war es aber auch ein Moment der Erleichterung, endlich wurde bestätigt, was sie schon lange vermuteten.
Im Mai 2006 kamen Freund*innen und Angehörige der vom NSU Ermordeten in Kassel zusammen, um unter dem Motto „Kein 10. Opfer“ den gerade erst getöteten Halit Yozgat und Mehmet Kubaşık sowie den bisherigen Mordopfern zu gedenken. Auf die Frage, ob sie schon 2006 Neonazis hinter der Tat vermutete, sagte Semiya Şimşek, die Tochter des Ermordeten Enver Şimşek: „Gedacht habe ich das schon 2000, als mein Vater erschossen wurde, aber 2006 war ich mir dann vollends sicher. Und alle anderen auch.“.
Ab November 2011 wussten dann alle, dass Neonazis hinter den Taten steckten und sie, die Angehörigen der Ermordeten, jahrelang zu Unrecht von den deutschen Behörden und ihren rassistischen Ermittlungsmethoden drangsaliert wurden. Doch es folgten weitere qualvolle Jahre, gezeichnet von ungeklärten Fragen und Enttäuschungen.
Bis heute ist der NSU-Komplex nicht aufgeklärt. Einige der UnterstützerInnen laufen (wieder) frei herum. Andere sind mit ihren gegenüber Ermittler*innen, Abgeordneten und dem Gericht geäußerten Lügenkonstrukten davon gekommen. Viele gerieten nicht einmal in den Fokus aus unterschiedlichsten Gründen. Das Desaster begann maßgeblich mit schlechter polizeilicher Arbeit. Institutioneller Rassismus und die daraus resultierenden Thesen sowie das fehlende Verständnis, wie rechter Terror und Neonazi-Netzwerke funktionieren, bestimmten das Handeln innerhalb der Ermittlungen. Geheimdienst-Akten wurden geschreddert, immer noch werden Informationen zurück gehalten. Die eigenen Verstrickungen und Beihilfsleistungen sollen verschleiert und ihre über 40 V-Leute, die auch den NSU beobachteten, geschützt bleiben. Bis heute ist der Mangel an Aufklärungswillen offensichtlich. Das Oberlandesgericht (OLG) in München erteilte durch seine Urteile regelrechte Freifahrtscheine für die NSU-Unterstützer und demütigte die Hinterbliebenen erneut. Der Neonaziszene dürfte dies nachhaltig ermutigt haben, in Zukunft ähnliche Gewalttaten durchzuführen. Das Urteil soll die unhaltbare These eines Trios zementieren und will einen Schlussstrich ziehen, wie auch NSU-Watch im August 2018 feststellte. Auf eine Aufklärung seitens staatlicher Stellen hofft heute niemand mehr.
Betroffene und Hinterbliebene kämpften mit ihren Anwält*innen jahrelang darum, dass ihre Perspektive Gehör findet. Ihr Wissen steht als Gegenpol zu den beschwichtigenden, entpolitisierten und oftmals falschen Einschätzungen, die sich u.a. in den Unterlagen der Geheimdienste finden lassen. Einige Untersuchungsausschüsse haben mittlerweile Detailwissen zum NSU-Komplex erarbeitet. Der Umfang dessen und ob es öffentlich zugänglich gemacht wurde, hing zumeist an einzelnen engagierten Politiker*innen.
Darüber hinaus haben sich Journalist*innen und antifaschistische Recherchen jahrelang – zu Recht – bei dem Versuch, den NSU in all seinen Facetten zu begreifen, auf das Netzwerk von «Blood & Honour» konzentriert. Auch einzelne exponierte Hammerskins rückten dabei ins Licht, ein Großteil der Bruderschaft ist jedoch nahezu davon gekommen. Dies hängt u.a. damit zusammen, dass die «Hammerskin Nation» (HSN) nur selten greifbar ist, viele Mitglieder unbekannt sind und die Dimension des Netzwerks bisher unterschätzt wurde. Das konspirative Agieren der Bruderschaft macht es auch Antifaschist*innen schwer, einen Einblick in die Struktur zu bekommen, um daraus analytische Schlüsse zu ziehen. Retrospektiv stellte dies Recherche auch vor die schwierige Aufgabe einer Bewertung. Wie substanziell sind oder waren die Verbindungen zwischen den Hammerskins und dem NSU? Nicht jedes Puzzlestück ist eine Spur, nicht jede Spur relevant. Kontakte können flüchtig sein oder funktional bedingt. Und: Kameradschaften, die offen in den Städten aufmarschieren, im Internet Präsenz zeigen, Veranstaltungen durchführen und durch Gewalttaten auffallen, geraten gewiss schneller in den Fokus. Auch in der Recherche zieht dieses Verhalten deutlich früher Aufmerksamkeit auf sich als eine Organisation, die nahezu nirgendwo öffentlichkeitswirksam in Erscheinung tritt.
Doch beim genauen Hinblick wird deutlich: Die Hammerskins tauchten im Umfeld des NSU auf. Während der Auswertung von Ermittlungsunterlagen stößt man auf Mitglieder der Bruderschaft, die gar nicht erst als Hammerskins benannt wurden. Einige von ihnen, vor allem aus dem Chapter «Sachsen», stehen teils seit den 1990er Jahren mit den vom OLG verurteilten NSU-Unterstützern im Austausch. Gemeinsam bauten sie in den 2000er Jahren bedeutende Organisationsstrukturen in Thüringen und Sachsen auf. Hammerskins waren maßgeblich in die finanzielle Unterstützung des inhaftierten NSU-Helfers Ralf Wohlleben verstrickt und ihm auch privat verbunden. Dieser Umstand war kein Zufall, sie teilen dieselbe extrem rechte Ideologie, auf der ihr politisches Handeln beruht. In Bezug auf die Unterstützung des NSU lassen sich Indizien zusammentragen, die sicher weiterer Untersuchungen bedürfen. Vielen Spuren wurde in den Ermittlungen nicht nachgegangen. Auch in Verhören durch die Kriminalist*innen und in Zeugenvernehmungen vor dem Gericht wurden kaum tiefer gehende Nachfragen gestellt. Viele der Hammerskins solidarisieren sich mehr oder weniger offen mit dem NSU, ihren Taten und HelferInnen.
Im Folgenden werden mögliche Verbindungen aufgezeigt, die sich in der Recherche um die Hammerskins in Bezug auf das NSU-Netzwerk ergeben haben. Es wird auf einen V-Mann eingegangen, der schon Mitte der 2000er klare Bezüge zum NSU aufwies und der «Crew 38» angehörte. Ebenso wird über ein Fullmember berichtet, der bis heute mit NSU-Unterstützern befreundet ist und – wie erst jetzt bekannt wurde – selbst für den Geheimdienst arbeitete. Diese Person war Angestellter einer Baufirma, in der auch Uwe Mundlos tätig gewesen sein soll. Umfassend wird die Rolle von Thomas Gerlach im NSU-Komplex skizziert, der vor Gericht nichts zur Struktur der Hammerskins aussagen musste und damit davon kam. Dafür wird zunächst ein Blick auf die wichtigsten UnterstützerInnen des NSU mit auffälliger Nähe zur «Hammerskin Nation» geworfen.
Etwa André Kapke aus Jena, der Mitglied in der Kameradschaft «Thüringer Heimatschutz» (THS) war, in der sich das NSU-Kerntrio ebenfalls organisiert und politisiert hatte. Mit Uwe Mundlos, Uwe Böhnhardt und Beate Zschäpe nahm er gemeinsam an zahlreiche Aktionen teil. 1996 besuchten Kapke, Tino Brandt und Beate Zschäpe eine rechtskonservative Veranstaltung der Partei «Deutsche Soziale Union» (DSU) in Thüringen. Als das Kerntrio 1998 abtauchte, versuchte Kapke über Neonazis in Berlin Hilfe zu organisieren. Um die Drei finanziell zu unterstützen, verkaufte er das von ihnen hergestellte antisemitische Brettspiel „Pogromly“. Mit dem NSU-Helfer Ralf Wohlleben organisierte Kapke RechtsRock-Konzerte, um Spenden für das Kerntrio zu sammeln. Das Geld sollte dazu dienen, sich ins Ausland absetzen zu können. Kapke war zudem daran beteiligt, für den NSU Reisepässe zu besorgen.
Im August 1998 flog er sogar nach Südafrika, um vor Ort die Möglichkeiten einer Zuflucht für die Drei auszukundschaften. Als am 4. November 2011 in Eisenach ein vom NSU benutztes Wohnmobil brannte und darin die Leichen von Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt gefunden wurden, war das Handy von André Kapke 12 Minuten lang in einer naheliegenden Funkzelle eingeloggt. Die Ermittlungsbehörde verdächtigte ihn, an diesem Tag über Handy Verbindung zu Beate Zschäpe aufgenommen zu haben. Bis heute ungeklärt bleiben die offenen Fragen, wie Beate Zschäpe davon erfuhr, dass ihre Verbündeten sich im Wohnmobil in Eisenach umbrachten. Was veranlasste sie dazu, die Wohnung in der Frühlingsstraße in Zwickau in Brand zu setzen und die Bekennervideos zu verschicken?
Im November 2013 kam Kapke vor Gericht in einer Zeugenbefragung damit davon, dass er sich angeblich an nichts erinnern könne. Er sei auf der Autobahn unterwegs gewesen, auf dem Weg ein neues Auto zu kaufen.
Ralf Wohlleben hingegen wurde wenige Tage nach der Selbstenttarnung, am 29. November 2011, an seinem Wohnort in Jena festgenommen. Er ist einer der maßgeblichen Unterstützer des NSU. Ohne seine Hilfe wäre dem Trio das Leben im Untergrund wohl nicht möglich gewesen. Er hielt mit ihnen telefonischen Kontakt und nahm sogar einen Kredit auf, um die Drei finanziell zu unterstützen. Die Hilfen koordinierte er gemeinsam mit den sächsischen Unterstützungsstrukturen.
Und: Er beschaffte dem NSU die Waffe, eine Pistole vom Typ Česká samt Munition und Schalldämpfer, mit der die rassistische Mordserie begangen wurde. Wohlleben verbrachte in den 1990er Jahren viel Zeit mit Zschäpe, Böhnhardt und Mundlos. Gemeinsam trafen sie sich im Jugendclub «Winzerclub» in Jena-Winzerla und führten politische Aktionen durch. Sie legten etwa eine Bombenattrappe in Form eines Puppentorsos, auf dem ein Davidstern und die Aufschrift „Jude“ zu sehen war und hingen sie an eine Autobahnbrücke in Jena.
Im Juli 2018 wurde Wohlleben wegen Beihilfe zum Mord in neun Fällen zu einer Freiheitsstrafe von zehn Jahren verurteilt.Wenige Tage später, am 18. Juli 2018 wurde er nach 6 Jahren und 8 Monaten Untersuchungshaft entlassen.
Weitaus glimpflicher als Ralf Wohlleben kam im Münchner NSU-Prozess der Angeklagte André Eminger aus Zwickau davon. Er und seine Lebenspartnerin Susann Eminger waren die engsten Vertrauten des NSU-Kerntrios und Mitwissende. Neben der politischen Ideologie verband sie eine tiefe persönliche Freundschaft. Beide hatten Zschäpe, Mundlos und Böhnhardt bei ihrem Leben unter falschen Namen maßgeblich unterstützt. Bereits 1999 mietete André Eminger in Chemnitz eine Wohnung, die den Drei auf der Flucht als Unterschlupf diente. Auch half er bei späteren Anmietungen von Wohnungen in Zwickau. Einer ihrer Zwickauer Zufluchtsorte geriet im Dezember 2006 in den Fokus einer Ermittlung. Grund dafür waren ein Wasserrohrbruch und ein Diebstahldelikt. Die Polizei suchte Zeug*innen im Umkreis. Beate Zschäpe, die sich zu dem Zeitpunkt als „Lisa Dienelt“ ausgab, wurde als Zeugin aufgetan. André Eminger begleite Zschäpe zu ihrer Vernehmung auf die Polizeiwache und gab ihr dabei den Pass seiner Frau. Zschäpe gab sich bei der Polizei als Susann Eminger aus. So konnte Beate Zschäpes tatsächliche Identität geschützt und ein Auffliegen des NSU verhindert werden. Noch im Mai 2009 besorgten die Emingers dem Kerntrio Bahncards. Auch die Logistik des Terrors unterstützte André Eminger. Er mietete zwischen 2000 und 2003 dreimal Wohnmobile an, die für Raubüberfälle und für den Bombenanschlag in der Kölner Probsteigasse im Dezember 2000 genutzt wurden.
Am 4. November 2011 versuchte Beate Zschäpe durch einen selbst gelegten Brand, die Spuren in der Wohnung zu verwischen. Danach rief sie André Eminger an, der ihr bei der Flucht aus Zwickau half. Zschäpe und weitere Personen verschickten nun mindestens fünfzehn DVDs, in denen sich der NSU zu seinen Morden bekannte. Sechs der DVDs wurden mutmaßlich von Beate Zschäpe und André Eminger am 6. November 2011 versendet. Die Bundesanwaltschaft ging davon aus, dass Eminger an der Erstellung der DVD maßgeblich beteiligt war. Nachgewiesen werden konnte dies nicht. Nach dem Versand der DVDs versteckte sich André Eminger bei seinem Bruder Maik Eminger in Brandenburg, wo ihn am 24. November 2011 eine Einheit der GSG9 festnahm. André Eminger wurde im Juli vor dem OLG in München zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren und sechs Monaten wegen Unterstützung einer terroristischen Vereinigung verurteilt. Er soll angeblich erst ab 2009 von den Taten gewusst haben. Die anwesenden Neonazis im Gerichtssaal brachen in Jubel aus, als das Urteil und seine Freilassung bekannt gegeben wurde.
Viele ungeklärte Fragen im Kontext des UnterstützerInnen-Netzwerkes stellen sich auch bei Mandy Struck aus Schwarzenberg im sächsischen Erzgebirgskreis. Beate Zschäpe nutze über Jahre Strucks Identität, sie ermöglichte ihr so ein Leben im Untergrund. Strucks Name tauchte etwa auf einem Mitgliedsausweis eines bayerischen Tennisclubs auf, den Zschäpe nutzte. Im Falle einer Personenkontrolle durch die Polizei hätte sie sich so, trotz eines fehlenden Personaldokuments, zumindest vorläufig ausweisen können. Auch ein Impfpass für Zschäpes Katzen, der im Brandschutt des letzten Unterschlupf in Zwickau gefunden wurde, war auf Struck ausgestellt. Besonders brisant ist aber: die Ermittler*innen stellten im Rahmen einer Asservatenauswertung Strucks aktuelle Handynummer sowie die Anschrift ihres vorletzten Wohnortes fest, wo sie zwischen 2004 und 2007 lebte. Persönliche Daten, die regelmäßig aktualisiert worden sein müssen. Es ist davon auszugehen, dass Zschäpe immer die aktuellen Daten von Struck bekannt waren, da sie im Falle einer Personenkontrolle aufzufliegen drohte, wenn die Adresse veraltet gewesen wäre.
Struck organisierte den Flüchtigen Uwe Mundlos, Uwe Böhnhardt und Beate Zschäpe schon im Frühjahr 1998 eine der ersten Unterkünfte. Sie kamen in der Wohnung von Strucks damaligen Partner Max-Florian Burkhardt im sächsischen Chemnitz unter. Mit der Begründung, die Drei hätten „Mist gebaut“, mehr müsse er nicht wissen, hatte sie dem Trio für ihre ersten Wochen auf der Flucht eine Bleibe ermöglicht. Struck gab später an, eine Person aus der Chemnitzer Szene hätte sie dazu aufgefordert, die Drei unterzubringen. Da sie die Drei nicht in ihrer Wohnung haben wollte und Burkhardt bei ihr übernachtete, sollten die Untergetauchten in seiner Wohnung schlafen. Burkhardt hätte bereitwillig Hilfe angeboten. Sein Name tauchte bis zur Selbstenttarnung des NSU im Jahr 2011 im Zusammenhang mit Anmietungen von Wohnungen und einem Konto auf. Auch ein von Uwe Mundlos genutzter Reisepass lief auf den Namen „Max-Florian Burkhardt“. Aufgewachsen ist Struck mit dem Unterstützer und Vertrauten des NSU, André Eminger. In ihrer Jugendzeit nahm er sie Aufgrund von Streitigkeiten in der Familie bei sich auf. Struck wiederum überließ ihm ihre Wohnung, damit er sich dort mit seiner Freundin treffen konnte. Struck erzählte Eminger damals davon, dass sie die Drei in Chemnitz bei ihrem Partner untergebracht hatte.
Im Prozess in München gibt Struck zu, dass sie in jener Zeit freiwillig ihre Krankenversicherungskarte an Zschäpe verlieh, als diese einen Arzt aufsuchen musste. Und auch, dass sie und Burkhardt zusammen einen Pass für das NSU-Trio vom Amt abholten.Etwa vier bis sechs Wochen hielten sich die flüchtigen Thüringer Neonazis bei den beiden in Chemnitz auf. Kurz nach ihrem Verschwinden kam es zur Trennung und einem Streit zwischen Struck und Burkhardt. Er habe eine Waffe auf sie gerichtet und mit den Worten gedroht: „Du weißt schon, was mit Verrätern passiert.“ – Wohl aus Sorge, dass seine ehemalige Verbündete ihn nun der Fluchthilfe bezichtigen könnte. Im Januar 2000 befragten Fahnder*innen Struck nach dem untergetauchten Kerntrio – sie hält tatsächlich dicht. Auf Fotos will sie die Drei damals nicht erkannt haben. Vor Gericht im NSU-Prozess 2014 in München lügt Struck erneut und erklärt, sie habe nicht gewusst, um was es bei den Drei ging.
Kennwort „struck-mandy“
Die einzige Person aus dem Hammerskin-Netzwerk, die prominent in den Fokus der Ermittlungen geriet, war Thomas Gerlach aus dem Altenburger Land in Thüringen. Er ist seit 2002 Fullmember der «Hammerskins Sachsen» und galt darüber hinaus bis in die 2010er Jahre als Stichwortgeber überregional organisierter Neonazi-Zusammenhänge. Bei kaum einer anderen Person lässt sich so viel Nähe zum Unterstützungskreis wie auch zur Kerngruppe des NSU erkennen. So ging er laut der Meldung einer V-Person sogar eine Liebschaft mit Beate Zschäpe ein. Er selbst bestreitet dies. Als Gerlach Anfang der 2000er Jahre in Haft saß, pflegte er über die «Hilfsorganisation für nationale und politische Gefangene» (HNG) Briefkontakt zu Mandy Struck. Nach seiner Haftentlassung im Oktober 2004 waren die beiden kurzzeitig liiert. In einer Vernehmung im Dezember 2011 erzählte Struck, dass sie sich 2004 in Thomas Gerlach verliebte. Silvester 2004/2005 hätte Gerlach ihr gar einen Heiratsantrag gemacht. Doch kurze Zeit später trennten sie sich wieder, da Gerlachs völlige Hingabe für die „Sache“ zu Streitereien führte.
Durch den Hack des Neonazi-Forums „HatecoreTK“ Ende 2005 wurde bekannt, dass Gerlach den Namen von Struck als persönliches Passwort nutzte. Unter seinem Spitznamen „Ace“ schrieb er zahlreiche Beiträge im Hauptforum und kommunizierte zudem mit Neonazis aus ganz Deutschland in einem geheimen Unterforum. Für beide Zugänge nutze er das Kennwort „struck-mandy“. Noch im März 2005 nahmen Struck und Gerlach an einem Aufmarsch im thüringischem Greiz teil. Mandy Struck war dabei am Banner der Kameradschaft «Nationale Sozialisten Ostthüringen» zu sehen, das die Aufschrift trug: „Nur Nationaler Sozialismus schafft Arbeit und soziale Gerechtigkeit“. Neben ihr am Transparent lief der damalige sächsische Hammerskin Stefan Wagner. Gerlach selbst bewegte sich neben dem Banner, trug ein Megaphon und war im Stil der «Autonomen Nationalisten» gekleidet. Auch Ralf Wohlleben befand sich auf der Aufmarsch. Er lief einen Block hinter Gerlach, Struck und Wagner, in den Reihen des «Thüringer Heimatschutz».
Die drängende Frage, wie Beate Zschäpe an ihre aktuellen Meldedaten gekommen ist, konnte Struck bei ihrer ersten Vernehmung nicht beantworten. Auch verschwieg sie zu diesem Zeitpunkt ihre damalige Liebesbeziehung zu Gerlach. Erst in ihrer dritten Vernehmung im Dezember 2011 erzählte sie:
„Ich habe mir nochmal hinsichtlich der durch die Polizei aufgefundenen Zettel und Ausweise auf meinen Namen Gedanken gemacht. Ich bin zu dem Schluss gekommen, dass eigentlich nur Thomas Gerlach so ziemlich alles von mir gewusst hat. Er war z.B. der einzige aus meiner Vergangenheit, der alle meine Wohnanschriften genau kennt. Trotzdem er mich verarscht hat traue ich ihm eigentlich nicht zu dass er meine Adressen weitergegeben hat.“
Struck erklärte weiter, dass sie mit Gerlach noch nach der Beziehung, bis mindestens 2008, per SMS Kontakt gehalten habe. Gerlach habe sich immer mal wieder erkundigt, wie es ihr gehe. Dieser hingegen behauptete vor dem OLG in München, er habe nach der Trennung von Struck im Jahr 2005 keinen direkten Kontakt mehr zu ihr gehabt.
Thomas Gerlach vor dem OLG in München
Im Jahr 2014 war Thomas Gerlach gleich mehrfach vom Oberlandesgericht in München geladen, um im NSU-Prozess auszusagen. Als er am 16. Oktober 2014 in den Zeugenstand musste, nahm André Eminger das zum Anlass, sich in einem Shirt mit der Aufschrift „Brüder Schweigen – bis in den Tod“ auf der Anklagebank zu präsentieren – eine Anspielung auf die US-amerikanische Terrorgruppe «The Order/Brüder Schweigen» wie auch eine Referenz auf den Kodex der Hammerskins. Im Vorfeld der Gerichts-Vorladung sprach ein befreundeter Neonazi Thomas Gerlach Mut zu: „So oder so, ich wünsche dir Hals und Beinbruch!“. Woraufhin Gerlach erwiderte: „Wünsch lieber dem Richter gute Nerven“.
Einen Monat vor seinem Auftritt im Münchener Gerichtssaal tauschte er sich in privaten Nachrichten mit einem Neonazi über Vernehmungsstrategien in einem anderen Fall aus. Dabei wird deutlich, dass sich Gerlach im Bezug auf mögliche Repression geschult hatte. Der Neonazi meinte: „wenn zb die bullen das 1×1der phsychologie anwenden um ne aussage von dir zu entlocken springst du doch auch nicht auf den Zug auf und spielst ihnen in die hände“ (sic!) Gerlach antworte stolz, dass ihm keiner eine Aussage entlocken könne: „Ich nicht, weil ich mich mit dem 1 mal 1 der Psychologie beschäftigt hab.“ (sic!)
Immer wieder führte Gerlach das Gericht in München regelrecht vor. Er sprach nur über allgemein Bekanntes und wenn die Fragen in die Tiefe gingen, verweigerte er die Aussage – oder log. Das Gericht ließ ihn damit durchkommen. Besonders deutlich wurde dies bei seiner ersten Zeugenvernehmung im Prozess am 1. Juli 2014. Befragt nach seiner Mitgliedschaft bei den Hammerskins, verweigerte er die Aussage. Als die Frage nach dem Ablauf des Aufnahmeprozesses bei der Bruderschaft aufkam, behauptete er, dass er darüber nichts wisse. Auf den Vorhalt, dass seine Ex-Partnerin Mandy Struck ausgesagt hatte, es gäbe eine lange Probezeit bei den Hammerskins und Anwärter würden wie Sklaven behandelt werden, erwiderte Gerlach: „Ich möchte zu dem Thema Hammerskins gar nichts sagen“.
Weitere Nachfragen zum Thema blockte Gerlach ab und erklärte, sein „selbst gestelltes Wertegefühl“ verbiete es ihm, sich dazu zu äußern. Zum zweiten Verhandlungstag erschien Gerlach mit einem Rechtsanwalt, der vor dem OLG erklärte, Gerlach könne sich nicht zu den Hammerskins äußern, ohne sich selbst zu belasten. Es habe dazu mal ein Ermittlungsverfahren der Staatsanwaltschaft Dresden gegeben, erklärt dieser weiter, und dieses könne jederzeit wieder aufgenommen werden. Die Verteidigung von Ralf Wohlleben setze sich ebenfalls dafür ein, dass Gerlach dazu keine Aussage tätigen müsse und verwies darauf, dass irgendwo ein Verfahren gegen die Hammerskins als „kriminelle Vereinigung“ (§129 StGB) laufen könnte. Gerlach berief sich schließlich auf Anraten seines Anwalts auf §55 StPO Auskunftsverweigerungsrecht. Er kam damit durch.
In den sozialen Netzwerken wiederum war Gerlach zum Thema recht freizügig. Er stellte Fotos von der Schleuse vor dem OLG in München online, wie auch andere Hinweise zu seinem Auftritt im Zeugenstand vor dem Gericht. Diesbezüglich veröffentlichte er einen Screenshot eines Presseberichts, in dem auf seine Aussageverweigerung zu den Hammerskins eingegangen wurde. „Ganz stark ace“, „Zieh‘s durch Keule!“ und „…so kennen wir dich“ waren die ermutigenden Reaktionen einiger KommentatorInnen unter dem Posting von Gerlach. Wolfgang Benkesser, vom Chapter Westwall, reagierte auf die Veröffentlichung mit „HFFH“ – „Hammerskins forever forever Hammerskins“.
Am 9. Juli 2014, einen Tag vor seiner zweiten Vorladung in den Zeugenstand vor dem OLG, traf sich Gerlach mit dem Europa-Chef der Hammerskins, Malte Redeker. Dies gibt Gerlach auf Nachfrage der Nebenklage bei seiner letzten Befragung am 16. Oktober 2014 in München zu. Er bestreitet, mit Redeker über den Prozess oder das Thema NSU gesprochen zu haben. Die beiden hätten lediglich gemeinsam Bier getrunken und sich über andere Themen unterhalten. Gerlach stellte das Treffen als vollkommen selbstverständlich dar. Redeker und er wohnen aber hunderte Kilometer von einander entfernt, Gerlach selbst ist Vater mehrerer Kinder. Sich mal eben – an einem Mittwoch – auf ein Bier zu treffen, wirkt da alles andere als selbstverständlich. Es wurden keine weiteren Nachfragen dazu gestellt. Auf Nachfrage räumte Gerlach in München allerdings ein, den Neonazi Thomas Richter aus Halle an der Saale (Sachsen-Anhalt) gekannt zu haben. Richters Daten wurden auf einer Kontaktliste des NSU in der Garage in Jena gefunden, die 1998 von der Polizei durchsucht wurde. Er kannte Uwe Mundlos aus seiner Zeit bei der Bundeswehr. Thomas Richter wurde vom Geheimdienst als V-Mann geführt und er war es, der 2005 dem Dienst die sogenannte „NSU/NSDAP“-CD übergeben hatte.
Richter war in etlichen neonazistischen Gruppen im Osten Deutschlands aktiv. Ab Mitte der 2000er Jahre bis Anfang der 2010er Jahre bewegte er sich im Kreis der Hammerskins. In ihrem internen Forum hießen die Hammerskins Richter im Januar 2010 „Herzlich Willkommen“. Er hatte sich 2009 in dem Forum angemeldet und benutzte das Logo der «Crew 38» als Avatar. Bei Thomas Richter war von 1994 bis 2012, mit kurzer Unterbrechung, eine der „Top-Quellen“ des deutschen Inlandsgeheimdienstes („Bundesamt für Verfassungsschutz“) – mit dem Decknamen „Corelli“. Ab 2005 erstattete er dem Geheimdienst auch zum NSU-Umfeld Bericht und gab Meldungen zu den Hammerskins ab. Besonders intensiv berichtete er über Thomas Gerlach. In einem Bericht des parlamentarischen Kontrollgremiums des Bundes über die Tätigkeiten von Thomas Richter alias „Corelli“ heißt es, Richter habe im Sommer 2006 zusammen mit elf weiteren Personen, unter anderem Thomas Gerlach, an einem Kameradschaftsabend der «Freien Kräfte Halle» teilgenommen. „Dabei teilte ihm Gerlach mit, dass er von einem gemeinsamen Bekannten aus der Schweiz eine E-Mail erhalten habe, in der er gefragt worden sei, ob er sich einen bewaffneten Kampf der nationalen Szene vorstellen könne.“ Gerlach könne sich „darauf keinen Reim machen“, beabsichtige allerdings in die Schweiz zu fahren.
Gerlach sagte später vor dem OLG in München, er habe sich von Richter distanziert, weil er ihn verdächtigte, für einen Geheimdienst zu arbeiten. Als Richter 2011 von den Ermittler*innen zum NSU-Komplex befragt wird, stellt man ihm auch die Frage, wem er gewalttätige Anschläge zutraue. Richter nannte elf Personen, darunter Thomas Gerlach. Bei weiteren dieser elf Personen, denen er durchaus Anschläge zutraue, erläuterte Richter seine Einschätzung unter anderem damit, dass diese gute Kontakte zu Gerlach hätten. Trotz der Vielzahl an Quellenmeldungen über Thomas Gerlach und auch aktenkundigen Begegnungen der beiden behauptet Richter gegenüber dem BKA, dass er Gerlach nur einmal getroffen habe. Warum die beiden Neonazis in ihren Aussagen logen und darauf bestanden, sich nicht wirklich gekannt zu haben, konnte nicht geklärt werden. Thomas Richter starb im April 2014 an einer unerkannten Diabetes.
„Denke wir kommen da glimpflich davon“
Vom Kreis um Thomas Gerlach führen auch Spuren zum Mord des NSU an der Polizistin Michèle Kiesewetter. Die 22-jährige Polizistin war am 25. April 2007 in Heilbronn mit einem gezielten Kopfschuss ermordet worden. Sie war das letzte bekannte Opfer des NSU. Über den Facebook-Account „Kritischer Mensch“ wurde 2011 just nach Auffliegen des NSU das direkte Umfeld der ermordeten Polizistin bedroht. Eine enge Freundin der Polizistin bekam von diesem Account unter anderem Weblinks zum «Thüringer Heimatschutz» zugeschickt. Auch erhielt sie eine Freundschaftsanfrage von dem Account, was insgesamt als Ausspäh- und Einschüchterungsversuch wahrgenommen wurde.
Der Abschlussbericht des NSU-Untersuchungsausschuss in Thüringen vom August 2019 hält dazu fest, „dass es sich bei ‚Kritischer Mensch‘ um Mareike Bielefeld handelte.“ Mareike Bielefeld und Thomas Gerlach kennen sich seit Jahren. Bielefeld lebt(e) mit Andreas Gerlach – dem Bruder von Thomas Gerlach – in einer Lebensgemeinschaft. Thomas Gerlach, Mareike Bielefeld, Dirk Bertram und Marlen Pucknat bildeten in den 2000er Jahren den aktivistischen Kern der «Nationalen Sozialisten Altenburger Land». Bielefeld ging in Katzhütte im Landkreis Saalfeld-Rudolstadt zur Schule. Im Nachbarort Oberweißbach/Thüringer Wald wuchs die 2007 vom NSU erschossene Polizistin Michèle Kiesewetter auf. Eine Jugendfreundin von Kiesewetter sagte später aus, dass sie Mareike Bielefeld von früher kenne und sie gemeinsam die Schule besucht hatten. Zusammen mit Marlen Pucknat und der Erfurterin Isabell Pohl bildete Bielefeld in den 2000er Jahren die Führungsriege des «Mädelring Thüringen» (MRT), die Frauenorganisation im Kreis des «Thüringer Heimatschutzes» (THS).
Marlen Pucknat ist mit Thomas Gerlach verheiratet und trägt heute den Namen Marlen Gerlach. Der Sachverständige Jens Eumann führt in seinem Gutachten für den Untersuchungsausschuss in Thüringen aus, dass sowohl Marlen Pucknat als auch Mareike Bielefeld auf die Frage, ob sie Michèle Kiesewetter persönlich gekannt hätten, nur ausweichende Antworten lieferten. „Kein Kommentar“ und „Dazu äußere ich mich nicht“ hieß es seitens der Befragten. Bei seiner Befragung im NSU-Prozess äußerte Gerlach, dass er nicht wisse, wer sich hinter dem Facebook-Profil „Kritischer Mensch“ verbirgt. Am Abend des 2. Januar 2012 weiß er hingegen genau um die Herkunft des Profils. In einer privaten Nachricht an André Kapke verlautbarte Gerlach: „kritischer mensch ist übrigens mareike hab ich mir gerade sagen lassen“ (sic!).
Auch Gerlachs Bruder und Lebenspartner von Bielefeld, Andreas Gerlach, erhielt in der Bewertung der Ermittler*innen keine Bedeutung. Dieser war in den 2000er Jahren an das «Freie Netz» angebunden und bei Aufmärschen dieser Vereinigung als Ordner tätig. Im Juli 2007 nahm er an einem Konzert der «Hammerskins Sachsen» in Altenburg teil. Hellhörig hätten die Ermittler*innen werden müssen, als in der Auswertung der Personalie Andreas Gerlach zu Tage kam, dass er im Januar 2008 erfolgreich eine sprengstoffrechtliche Erlaubnis beantragte.
Thomas Gerlach realisierte nach der Selbstenttarnung des NSU rasch, dass er möglicherweise in den Fokus geraten oder gar festgenommen werden könnte. In einer Kommunikation Ende November 2011 wird er gefragt: „Wenn die Ralf jetzt schon festnehmen,muss ich mir da sorgen machen um dich Thomas?“. Gerlach erwidert: „kein plan. inzwischen ist hier scheinbar alles möglich … ich sehe (im schlimmsten fall) folgende linie: wolle — kappe — ich“. (sic!)
Im Januar 2012 teilt er einem Neonazi ebenfalls seine Bedenken hinsichtlich einer Verfolgung der Hammerskins im Kontext des NSU mit: „denke die Tendenz allgemein im Bezug auf HS ist halt gefährlich. Denke da wirds bald ne größere Aktion geben. Vorbereitet ist er offenbar jederzeit, so schreibt er in einer Nachricht im Mai 2013: „naja anwalt in bereitschaft. tasche zur hand. telefonkette bereit. paar unterlagen ausgelagert, die ich denen nicht zwingend überlassen will“(sic!). Doch seitens der Behörden geschieht nichts. Gerlach wird weder in Haft genommen, noch muss er sich umfangreichen Ermittlungen aussetzen. Im November 2011 teilte er seiner Partnerin Marlen Pucknat (heute Gerlach) mit: „denke wir kommen da glimpflich davon.“ (sic!)
Die Connection Thüringen-Sachsen
Anfang 2007 war Thomas Gerlach Mitinitiator der überregionalen Kameradschaftsstruktur «Freies Netz» (FN). Dazu im NSU-Prozess befragt, nannte Gerlach nur allgemein Bekanntes zur Struktur des FN und gab lediglich die öffentlich auftretenden AkteurInnen des Netzwerks preis. Er verschwieg, dass neben ihm auch seine „Brüder“ aus der «Hammerskin Nation» – Stefan Wagner, Maik Scheffler, Dirk Bertram und Tony Gentsch aus Oberfranken – führend im FN mitwirkten. Auf die herausragende Rolle von Gerlach und Scheffler ging das antifaschistische Projekt GAMMA 2011 umfassend ein, als das interne Forum des «Freien Netz» offen gelegt wurde. Dort hatten sich die beiden in einem Thread auch zum „Trauermarsch“ im Februar 2009 in Dresden ausgetauscht. Gerlach regte an: „Wir haben uns überlegt die Polizeiwache anzugreifen und abzufackeln“ worauf Scheffler ihm antwortete: „ohne einen abzustechen? Ist ja langweilig.“
Gerlach veranlasste Ende der 2000er Jahre zudem, dass jüngere Neonazis aus dem Altenburger Land in Zwickau einen Ableger des «Freien Netz» aufbauen sollten. Eine Handvoll Personen zog schließlich in die Stadt an der Mulde und trat bis in die 2010er Jahre unter dem Namen «Nationale Sozialistsen Zwickau» (NSZ) in Erscheinung. Ihnen gehörten vorrangig Personen der NS-Hardcore-Szene (NSHC) an, wie Sören Leibnitz und Benjamin Kleine. Leibnitz ist bis heute Musiker bei der NSHC-Band «Eternal Bleeding». Mit der Band nahm er schon im Dezember 2005 an einem Konzert der spanischen Hammerskins in Malgrat de Mar teil und reiste dort mit zahlreichen Mitgliedern der HSN aus ganz Deutschland an. Warum ausgerechnet in Zwickau ein Ableger des FN aufgebaut werden sollte, wurde nie erklärt. Doch wohnten dort auch Beate Zschäpe, Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos. Und auch NSU-Unterstützer André Eminger unterhielt enge Kontakte zu dieser Struktur. Im Zuge der Wohnungsdurchsuchung bei den Emingers nach der Selbstenttarnung des NSU 2011 fand die Polizei eine Spendendose mit der Aufschrift «Nationale Sozialisten Zwickau» und „spendet für: Propaganda und Schulung.“ Dem innersten Zirkel des «Freien Netz» um Thomas Gerlach gehörten auch der verurteilte NSU-Unterstützer Ralf Wohlleben und NSU-Helfer André Kapke an.
Schon vor der Gründung des FN traten die besagten Personen als politischer Zusammenhang auf. 2005 meldete Gerlach im Voraus bis 2010 einen jährlichen, jeweils am 17. August stattfindenden Aufmarsch in Thüringen unter dem Motto „Meinungsfreiheit schützen – Gegen Polizeiwillkür“ an. Öffentlich nahmen die Demonstrationen Bezug auf einen Vorfall im Altenburger Land, bei dem ein Neonazi anlässlich einer Gedenkaktion für Rudolf Hess von Polizist*innen verletzt wurde. Intern dienten diese allerdings dem Gedenken an Hess selbst, dem Stellvertreter Adolf Hitlers. Die Durchführung der Aufmärsche wurde über die Jahre fast immer in gleicher Konstellation ausgeführt. Während verschiedene Hammerskins und deren unterstützende Struktur über die Jahre als OrdnerInnen fungierten, waren Stefan Wagner, Maik Scheffler oder Ralf Wohlleben als Redner eingeplant. Dirk Bertram, Thomas Gerlach und André Kapke wechselten oft in der Position des stellvertretenden oder Haupt-Versammlungsleiters.
Darüber hinaus organisierte der Personenzusammenhang viele weitere Veranstaltungen. Kleine und größere Aufmärsche in Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen, bei denen auch Hammerskins aus anderen deutschen Chaptern in die Durchführung eingebunden waren. Etwa als die «AG Merseburg», ein Ableger des FN, im Juni 2010 in Merseburg aufmarschierte: Stefan Wagner stellte den Versammlungsleiter und Redner, Daniel Orlewicz vom Chapter «Franken» übernahm eine Ordnerfunktion und reiste mit seinem „Bruder“ Robert Mohr an, während Tony Gentsch eine Rede hielt und Patrick Kettner (damals «Crew 38» in Sachsen, heute Fullmember) als Fotograf tätig war. Auch der „Thüringentag der nationalen Jugend“, der im Mai 2006 in Altenburg ausgerichtet wurde, bot ein ähnliches Bild: Dirk Bertram fungierte als Anmelder und Versammlungsleiter dieser Kundgebung, zu der mit Auftritten bekannter RechtsRock-Bands mobilisiert wurde. Ralf Wohlleben trat als stellvertretender Versammlungsleiter und Redner auf. Thomas Gerlach hielt ebenfalls eine Rede.
Das „Fest der Völker“ – Aus dem Kreis der NSU-Unterstützer
Zu einer bedeutenden Veranstaltung entwickelte sich hingegen ab 2005 die Neonazi-Kundgebung „Fest der Völker“, zu der zu Hochzeiten über tausend Teilnehmende aus ganz Europa anreisten. Bis 2009 wurde das Event in Thüringen veranstaltet. Auch dort traten Gerlach, Kapke, Wohlleben und Co. als Hauptorganisatoren auf. Liest man sich die Auswertungen aus dieser Zeit zur politischen Einordnung des „Fest der Völker“ durch, fällt auf, dass das Netzwerk von «Blood & Honour» als hauptsächlich unterstützende Struktur des Events benannt wird. Tatsächlich fanden sich vor Ort aber etliche Hammerskins als Akteure ein: 2005 Gergely Csirke, Chef der ungarischen Hammerkins als Sänger der Band „Vérszerzödés“, 2006 Mário Machado, damals ein enger Freund von Thomas Gerlach und führender Hammerskin aus Portugal, der als Redner eingeplant war und 2008 die Schweizer Hammerskins Markus Martig und Adrian Segessenmann, die ebenfalls auf der Bühne hetzen durften.
Als Anmelder traten André Kapke und Ralf Wohlleben auf.
Das im September 2007 in Jena ausgetragene „Fest der Völker“ ist dank der Dokumentation freier Journalist*innen eindrücklich beschreibbar, vor allem hinsichtlich der Rolle der Hammerskins. Wieder war es Thomas Gerlach, der mit Maik Scheffler, Ralf Wohlleben und André Kapke mit der Organisations-Leitung des Events betraut war. Dirk Bertram und Tony Gentsch führten die Kassen. Hendrik Stiewe, damals dem Chapter «Bremen» angehörig, übersetzte auf der Bühne die Rede eines ausländischen Neonazis. Auch Personen, die wenig später den Hammerskins als Fullmember angehören sollten, waren eingebunden. Etwa David Eschrich und Christian Dörk, die die Veranstaltung filmten. Beide wurden um 2010 zu Anwärtern der «Hammerskins Berlin». Oder Patrick Kettner, der in Jena als Ordner eingeteilt war und heute den «Hammerskins Sachsen» angehört. Als Gäste waren zudem Sebastian Allwardt und Matthias Herrmann ausmachbar, von den Chaptern «Bremen» und «Westmark». Der Europa-Chef der «Hammerskin Nation», Malte Redeker, war 2007 ebenso vor Ort. Verkaufsstände seines Labels «Gjallarhorn Klangschmiede» gab es beim „Fest der Völker“ in mehreren Jahren. 2008, als das Event nach Altenburg verlegt wurde, traten Redeker und Gerlach auf der Bühne als Übersetzer der ausländischen Redner auf.
Das Private ist politisch
Auch im Privaten sind Gerlach, Wohlleben und Kapke eng miteinander verbunden. Um 2010 vermittelte Kapke Gerlach Jobs in seiner Messebau- und Montagefirma. Gemeinsam waren sie bundesweit beruflich unterwegs. Ein äußerst praktischer Nebeneffekt war dabei, dass die Arbeitsreisen für Besuche bei Neonazis und explizit auch Hammerskins genutzt wurden. So besuchte Gerlach Hammerskins in der Schweiz, während er dort mit Kapke im Messebau tätig war. 2014 soll Gerlachs Beschäftigungsverhältnis aufgehoben worden sein.
Den Kontakt zum inhaftierten Wohlleben hielt Gerlach auch, als er nicht in unmittelbarer Nähe sein konnte. Anhand einer Kommunikation mit Jaqueline Wohlleben – der Partnerin von Ralf Wohlleben – wird deutlich wie freundschaftlich und familiär die Bande sind. Gerlach meldete sich regelrecht bei ihr ab, als er für ein paar Tage auf Montage fuhr. Er schrieb ihr „Ich bin ab morgen mit kappe paar wachen in der schweiz.“ und macht ihr verständlich, dass falls „Wolle oder du irgend was braucht, ich hab telefon ja mit.“ (sic!). Mit „Kappe“ ist André Kapke gemeint, „Wolle“ ist der Spitzname von Ralf Wohlleben. Kapke wie auch Wohlleben hatten mehrmals Einblicke in das Leben der Bruderschaft von Gerlachs «Hammerkin Nation». 2006 war Wohlleben Teil einer Runde, bestehend aus Mitgliedern der «Hammerskins Sachsen» und «Portugal Hammerskins», die auf der Leuchtenburg bei Jena an einem „Ritteressen“ teilnahmen. Bilder zeigen Wohlleben und Gerlach als Protagonisten des Spektakels, bei dem sie mittelalterliche Kostüme trugen. Die Portugiesen waren hingegen in Merchandise der Hammerskins bekleidet. Auf einem T-Shirt stand „Support NWHS or else…“, also „Unterstütze die Northwestern Hammerskins, sonst…“. Was „sonst“ passieren würde, darauf deuten die darunter abgebildeten Maschinengewehre.
Als Wohlleben in Haft saß, veröffentlichte Gerlach mehrfach Lobeshymnen auf ihn. Einer dieser Texte, den er anlässlich „Wolles Wiegenfest“ verfasste, landete Jahre später auf einer Solidaritäts-CD für die neonazistische «GefangenenHilfe». Dort schreibt Gerlach unter seinem Alias „Ace“: „Dieser Staat kann uns unsere gesellschaftlichen Existenzen zerstören, er kann uns einsperren auf Jahre hinweg (…) aber was er uns niemals nehmen kann ist unsere unerschütterliche Treue zu einem der Unsrigen und seiner Sippe, an dem sich der totale und fundamentale Widerstand gegen dieses zerstörerische System manifestiert. (…) Er wird unsere Wut und unseren Hass wahrnehmen, die ihm Kraft spenden.“
André Kapke nahm wiederum an Ausflügen teil, als zwei Prospects des Chapter «Schweiz» – Dominik Hulliger und Mario Friso – im April 2012 auf Vorstellungsreise bei den deutschen Hammerskins waren. Gerlach und Dirk Bertram brachten die beiden Anwärter am 3. April nach Chemnitz. Hier stieß Kapke zur Reisegruppe. Im Verlauf des Tages machten sie Halt am Völkerschlachtdenkmal in Leipzig und besuchten lokale Hammerskins. Später am Abend fuhren u.a. die Schweizer nach Jena, um den Abend mit Kapke zu verbringen.
Nicht als Hammerskins wahrgenommen
Im NSU-Komplex hervorzuheben ist auch der im sächsischem Schkeuditz bei Leipzig wohnhafte Stefan Wagner. Er gehörte den «Hammerskins Sachsen» von 1995 bis Mitte der 2010er Jahre an. In Schkeuditz stellte er die Infrastruktur für interne Hammerskin-Treffen und avancierte zu einer der zentralen Personen in der organisierten Neonazi-Szene im Raum Sachsen und Thüringen. Seine politische Sozialisation liegt in der Neonazi-Skin-Kultur der 1990er Jahre. Er radikalisierte sich auf Konzerten und im Austausch lokaler Kameradschaftsstrukturen – ähnlich wie das Kerntrio des NSU.
Greifbar wird dies anhand einer Konzertteilnahme Wagners im März 1995 in Gera. Es sollte die Kult-Band «Triebträter» aus Süddeutschland auftreten. Um die 230 Neonazis fanden sich am Konzertort ein. Die Polizei verhinderte jedoch die Zusammenkunft und kontrollierte die Anwesenden. Dadurch wurde bekannt, dass sich auch Ralf Wohlleben und Uwe Mundlos unter den Teilnehmenden befanden. Wagner erhielt vom NSU-Vertrauten André Eminger 2005 und 2006 Gelder. Als Verwendungszweck gab Eminger „Büchersendung“ an. In der Summe flossen 404,00 Euro auf Wagners Konto. Die Ermittler*innen stuften die Transaktionen zwar als „erwähnenswerte Überweisungsaufträge“ ein, bemühten sich aber nicht herauszufinden, was es damit auf sich hatte, ob es sich beispielsweise wirklich um eine Bücherbestellung handelte. Zudem findet sich kein Vermerk, dass es sich bei dem Adressaten um einen Hammerskin handelte.
Dieser Modus im Rahmen der Ermittlungen setzte sich auch an anderer Stelle fort. So hatte André Eminger eine Telefonnummer in seinem Kontaktbuch unter dem Namen „Steffan Wagner“ abgespeichert. Die Ermittlung der Behörden endete mit der Feststellung, dass diese Nummer nicht auf Wagner registriert sei, sondern auf eine Person, zu der man keinerlei polizeiliche Erkenntnisse hatte. Obwohl dies darauf hindeutete, dass Wagners Telefonnummer auf einen falschen Namen oder auf eine andere Person angemeldet war – was auf ein konspiratives Verhalten hindeutet – erhält der Kontakt die Bewertung „Keine Relevanz“. Zweimal taucht Stefan Wagner bei den Ermittlungen um André Eminger auf, beide Male hätten bei den Ermittler*innen die Alarmglocken klingeln müssen, nichts dergleichen geschah.
Kurz nach der Selbstenttarnung des NSU, am 22. November 2011, wird die Kommunikation von Ralf Wohlleben überwacht. Die Beamten schneiden einen Austausch auf Facebook zwischen „Stefan Wagner“ und Ralf Wohlleben mit. Der „Wagner“ erkundigt sich bei Wohlleben mit den Worten: „na du terrorist“, worauf Wohlleben entgegnet „hör bloß auf“. Er ist sich bewusst, wie ernst die Lage ist, in der sich Wohlleben befindet und versucht diesen zu beruhigen: „hm, selbst wenn ich denen ne Wohnung besorgt hätte, heißt das nicht zwangsläufig, dass ich mich schuldig mache. Wenn schon die Bullen und VS nix weis, woher dann ich…“ (sic). Wohlleben erwidert: „das siehst du jetzt so“. Woraufhin „Wagner“ ihm wünscht: „ich drück dir jedenfalls die daumen das da nix weiter passiert“. Doch Wohlleben weiß, dass sein Handeln Konsequenzen nach sich ziehen wird: „mal abwarten, aber ich seh mich schon drinne“. Sieben Tage nach dem Gespräch, am 29. November 2011, wird Wohlleben in U-Haft genommen. Er wurde im NSU-Prozess wegen Beihilfe zum Mord in neun Fällen zu einer Freiheitsstrafe von zehn Jahren verurteilt. Seit Juli 2018 ist er wieder frei.
In der Kommunikation von Wohlleben mit „Wagner“ über den Facebook-Chat lässt sich eine Vertrautheit ablesen. Ermittelt wurde jedoch nicht, um welchen Stefan Wagner es sich überhaupt handelte. Denn zu jener Zeit ist ebenso ein Stefan Wagner (*1981) aus Thüringen als aktiver Neonazi bekannt. Auch er taucht im Umfeld von Wohlleben auf. Nach Analyse von Wohllebens Kontakten und der gemeinsamen, mehrjährigen politischen Tätigkeit wird klar: der Hammerskin Stefan Wagner aus Schkeuditz ist wesentlich enger mit Wohlleben befreundet. Stefan Wagner, der sich heute in den Reihen der Neonazi-Partei «Der III. Weg» finden lässt, kam im NSU-Komplex gänzlich davon. Weder wurde er befragt, noch wurden seine Verstrickungen ins UnterstützerInnen-Netzwerk untersucht.
Ähnlich verhält es sich mit Dirk Bertram aus dem Altenburger Land, der seit Ende der 1990er Jahre dem Chapter «Sachsen» angehört. Er tauchte bereits 2001 im Kassenbuch der Bruderschaft unter seinem Spitznamen „Berti“ als zahlendes Mitglied auf. Als es 2002 zu einem Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts der „Bildung einer kriminellen Vereinigung“ gegen die «Hammerskins Sachsen» kommt, wird gegen Bertram nicht ermittelt. Bemerkenswert, da ansonsten alle Mitglieder und sogar Neonazis aus dem Umfeld in umfangreichen Personenakten erfasst wurden. Auch zu Thomas Gerlach, der 2002 Fullmember des Chapter «Sachsen» war, fehlen jegliche Ermittlungen.
Als 2011 gegen Gerlach wegen der „Vorbereitung einer staatsgefährdenden Straftat“ ermittelt wurde, wird Dirk Bertram namentlich als enger Vertrauter Gerlachs benannt. Es wurde dabei eine Einordnung seiner Person als Mitglied der HSN vorgenommen. Die Art und Weise, wie ermittelt wurde, ist verblüffend. Über fünf Personen, die den Hammerskins angehören, tauchen in der Ermittlung gegen Gerlach auf. Der Begriff „Hammerskins“ fällt nicht einmal – auf knapp 1000 Seiten Aktenmaterial. In einer „Übermittlung des Sachstandes“ wurde im April 2012 zu Bertram ein Vermerk der Kriminalpolizeiinspektion Saalfeld aufgeführt: zu Bertram würden keine polizeilichen Einträge vorliegen. Bertram ist jedoch seit Mitte der 1990er Jahre politisch aktiv, spielte in einer RechtsRock-Band und war in den Jahren vor 2012 als Order oder gar stellvertretender Versammlungsleiter auf Aufmärschen des «Freien Netz» tätig.
Im Prozess in München und den Untersuchungsausschüssen rutschte Bertram gänzlich durch. Und dass, obwohl er einen engen Kontakt zu Wohlleben und Kapke pflegte, der deutlich über ein bloßes Kennverhältnis hinausging. Bertram taucht zudem im Zusammenhang mit Max-Florian Burkhardt auf. Bertram und er saßen im selben Reisebus, der insgesamt 39 Neonazis aus dem Raum Sachsen und Thüringen am 13. Februar 1998 ins ungarische Budapest brachte. Die Gruppe nahm am Neonazi-Event „Tag der Ehre“ teil. Zum Zeitpunkt der Reise befanden sich Uwe Mundlos, Uwe Böhnhardt und Beate Zschäpe bereits seit einigen Wochen auf der Flucht und verweilten in der Wohnung von Max-Florian Burkhardt in Chemnitz. Ob sich Bertram und Burkhardt kannten oder wie nah sich die beiden waren, ist unklar. Im Reisebus befanden sich mindestens zwei weitere Neonazis, die den NSU unterstützten: Jörg Winter und Marcel Degener.
Bertram befand sich etliche Jahre später auch im E-Mail-Verteiler von Christian Kunja, der heute auf fast 20 Jahre Mitgliedschaft in der «Hammerskin Nation» zurück blicken kann. Bertrams Mailadresse im Verteiler wurde in Nachermittlungen des BKA 2015 im NSU-Kontext festgestellt. In einer Auflistung über Personenerkenntnisse zu den Mails heißt es zu Bertram lediglich er habe „laut polizeilichen Informationssystemen an einer rechten Veranstaltung teilgenommen“. Der Thüringer Geheimdienst übermittelte dazu, dass Bertram „in der Vergangenheit an Treffen und Konzerten der rechtsextremistischen Szene, zuletzt am 04.10.2014 in Kirchheim/TH“ teilgenommen habe und damals „im Vorstand des NPD-KV Altenburg“ war. Wieder bleibt Bertrams Zugehörigkeit zu den Hammerskins unerwähnt. Bei anderen Personen in dieser Auflistung wird hingegen umfangreich auf deren Einbindung in die rechte Szene eingegangen.
V-Mann arbeitet bei V-Mann
Die «Hammerskins Sachsen» rekrutierten ihre Mitglieder in den 1990er Jahren vorrangig in Ostsachsen sowie im Raum Leipzig. Doch auch im südlichen Zipfel Sachsens – im Vogtland – gab es vor der Jahrtausendwende Personen, die es in die Reihen der Bruderschaft geschafft hatten. Im Kontext dieser Betrachtung stößt man unweigerlich auf Steffen Kanzler aus Auerbach. Er wurde Anfang 1998 zum Fullmember und soll laut einer Aussage eines ehemaligen „Bruders“ aus Ostsachsen den Posten des „Sicherheitschefs“ beim Chapter «Sachsen» betreut haben. Erste Aktivitäten in der Neonazi-Szene entwickelte er Anfang der 1990er Jahre. Wie für viele Neonazis war es auch für Kanzler die menschenverachtende Musik der Szene, die Konzerte und die exzessive Gewalt, die anziehend wirkte. Hinzu kam das Gefühl, in der Nachwendezeit tun und lassen zu können, was man will – vor allem in Ostdeutschland. Die Szene war agil und fühlte sich unheimlich stark, befeuert von den rassistischen Pogromen u.a. in Rostock-Lichtenhagen. Man vernetzte sich zudem über Bundeslandgrenzen hinweg – auch Steffen Kanzler.
1994 kam es dabei zu einem, von heute aus betrachtet, brisanten Treffen. Kanzler war Anfang August ins bayrische Straubing gereist. Dorthin hatten Neonazi-Skins geladen, um bei Musik und reichlich Alkohol abgelegen an einem Weiher ein kleines Fest zu feiern. Gesungen wurde auch ein „Kultsong“ der Szene. In dem heißt es: „Blut muss fließen, knüppelhageldick“. Damit riefen sie die Polizei auf den Plan, die vor Ort 25 Personen feststellte. Kontrolliert wurde auch Uwe Mundlos.
Die Szene im Südwesten Sachsens war vor allem von den Aktivitäten des «Blood & Honour»-Netzwerks geprägt. Schlüsselfigur war damals Ralf Marschner, genannt „Manole“, aus Zwickau. Er betrieb vor Ort den Szeneladen „The Last Resort Shop“ und spielte in der Neonazi-Band «Westsachsengesocks». Zu den Hammerskins unterhielt der Zwickauer sehr gute Beziehung, eigentlich wie jeder der sächsischen «Blood & Honour»-Sektion. Die einzige CD, die Marschner mit seiner Band aufnahm, brachte Mirko Hesse heraus, der Chef der «Hammerskins Sachsen». Marschner wiederum half Hesse und seinen „Brüdern“ um 1998 bei der Organisation von Großkonzerten. So verwundert es kaum, dass sich innerhalb dieses Netzwerkes auch Jobs zugeschoben wurden. Eine Anlaufstelle für die Szene war der „Bauservice Marschner“. Die Firma hatte Ralf Marschner im Juli 2000 gegründet und sich mit ihr hauptsächlich auf Abrissarbeiten fokussiert. Die Liste der Beschäftigten klingt wie ein „Who-is-Who“ der gewalttätigen Neonazi-Szene aus Zwickau und Chemnitz: Mitglieder von RechtsRock-Bands, Kampfsportler und rechte Hooligans. Auch Steffen Kanzler, der damals in Auerbach wohnte, gehörte zum Stamm der Mitarbeitenden des Baugeschäfts, das im März 2002 aufgrund einer Insolvenz schließen musste. Baustellen wurden bundesweit bedient. Kanzler habe laut eigener Aussage für Marschner zeitweise in München gearbeitet.
Am 13. Juni 2001 gegen 20:45 Uhr wurde Abdurrahim Özüdoğru vom NSU in Nürnberg ermordet. Marschners Firma hatte am Tattag um 18 Uhr in Zwickau ein Auto angemietet, welches am Folgetag um 18 Uhr abgegeben worden sei. Sicher war sich da die Autoanmietung allerdings nicht, denn die Uhrzeiten seien nur pro forma gelistet. Oft sei 18 Uhr vermerkt worden, obwohl die Autos erst in der Nacht abgegeben wurden, wusste ein ehemaliger Mitarbeiter der Autovermietung den Ermittler*innen zu berichten. Als zweiter Fahrer war an dem Tag der Neonazi Jens Peer Gützold angegeben. Marschner wisse nicht, erzählt er später in einer Vernehmung durch das BKA, warum Gützold den Wagen im Namen der Firma beschafft hatte. „Ich möchte auch nicht ausschließen, dass er mal für mich gearbeitet oder was für mich gefahren hat“, sagte er den Ermittler*innen. Gützold wohnte in Zwickau in der Polenzstraße, schräg gegenüber der Wohnung, die André Eminger dem NSU als Unterschlupf besorgt hatte. Die drei Untergetauchten habe Gützold nie in Zwickau wahr genommen, sagte er später in einer Vernehmung aus. Doch unbekannt war ihm der Kreis der Unterstützenden nicht. Mit Eminger, Susann Häuser (später Eminger) und Ralf Marschner war er in der Nacht vom 20. auf den 21. April 2001 an einem Übergriff in der Zwickauer Kneipe „Big Twin“ beteiligt. Die Gruppe hatte zuvor den Geburtstag Adolf Hitlers gefeiert und wollte auf ihrer Kneipen-Tour im „Big Twin“ Station machen. Durch ihr aggressives Verhalten wurden den Neonazis dort der Ausschank verwehrt.
2016 soll sich Gützold an seinem Wohnhaus in Zwickau in einem Shirt der «Hammerskins Sachsen» präsentiert haben, berichten Augenzeug*innen. Gützold verstarb im August 2018 und fiel außerhalb dieser Beobachtung nicht im Kontext der Hammerskins auf – soweit bekannt.
Die Ermittlungen rund um den „Bauservice Marschner“ wurden im NSU-Komplex auch deswegen angestoßen, weil ein ehemaliger Mitarbeiter der Firma – der nicht aus der rechte Szene stammt – bei seiner Vernehmung angab, dass er Uwe Mundlos auf einigen Baustellen gesehen habe. Das wurde ihm bewusst, als er Lichtbilder vorgelegt bekam. Die Person, die er als Mundlos identifizierte, sei ihm als „Max“ bekannt gewesen. Mit der Identität des Chemnitzer Neonazis Max-Florian Burkhardt hatte sich Mundlos u.a. einen Reisepass besorgt.
Die Bande der Hammerskins zu den relevanten Personen des NSU-Unterstützungskreises ist eng. Darauf deuten auch Berichte aus dem Fanzine «The Aryan Law & Order», dem Sprachrohr der «Weissen Bruderschaft Erzgebirge» (WBE). Dieser gehörten Maik und André Eminger an. In einer Ausgabe des Heftes aus dem Frühjahr 2000 wird von einer Party der Hammerskins in Leipzig erzählt „Also unterhielt ich mich auch gleich mit einigen Leuten wegen der Zusammenarbeit und so. Sie waren auch ganz interessiert an unserer WBE, so das eigentlich einer Zusammenarbeit mit den Hammerskins in unserem schönen Ländchen Sachsen nichts mehr im Wege steht.“ Besondere Grüße werden am Ende des Berichts an „Auerbach“ gesendet, die Kleinstadt im Vogtland, in der Kanzler wohnte. In der gleichen Ausgabe werden rassistische Morde glorifiziert und rechtsterroristische Konzepte propagiert, u.a. findet sich ein Artikel zur Geschichte der US-amerikanischen Terrorgruppe «The Order/Brüder Schweigen».
In der zweiten Ausgabe von «The Aryan Law & Order» berichtet André Eminger in dem Artikel „HS-Marsch im Vogtland“ über eine gemeinsame „Wanderung“ der WBE mit den Hammerskins. Im Militär-Outfit sei die Gruppe durch den Wald gezogen, habe sich an Felsen abgeseilt und gelernt, wie man einen See durchquert und seine Klamotten so einpackt, dass sie nicht nass werden. Ein klassisches Survival-Training, das mit einer Wanderung bei weitem nichts zu tun hat. Illustriert wurde der halbseitige Artikel mit dem Symbol der «Hammerskin Nation».
Steffen Kanzler ist heute nicht mehr als Hammerskin aktiv. Er dürfte spätestens Mitte der 2000er aus der Bruderschaft ausgetreten sein. Seine Sympathie für die ehemaligen „Brüder“ stellt er aber heute noch dar. Als er im Juli 2017 zum Großkonzert „Rock gegen Überfremdung II“ nach Themar in Thüringen reiste, trug er ein Shirt, das einen Zahnkranz zeigt und den Schriftzug „Hammerfest 2015“. 2015 fand das „European Hammerfest“ in Mailand statt, das T-Shirt war dort zu erwerben. Im Sommer 2017 in Themar gab sich Kanzler in gewohnt überheblicher Manier. Er schien einige der Anwesenden zu kennen und begrüßte auch André Eminger herzlich, legte ihm seinen Arm um die Schulter. Kanzlers damaliger Arbeitgeber Ralf Marschner war von 1992 bis 2002 als V-Mann für den Geheimdienst tätig. Im Laufe der Recherchen zu den Hammerskins bestätigte sich: auch Steffen Kanzler war V-Mann.
Der „Chef“ kurzzeitig unter Verdacht
Malte Redeker ist als führender Kopf der Hammerskins in Europa selbstverständlich mit nahezu allen relevanten Neonazis bekannt, so auch mit Personen wie Ralf Wohlleben oder André Kapke. Nach außen stellt Redeker sich deutlich als Befürworter rechtsterroristischer Anschläge dar. Unmissverständlich äußerte er bereits 2002 in einem Fanzine: „Leaderless Resistance ist die Devise. Lediglich Dein Aktionismus kann den Sieg bringen. Unterstützenswert, auf jeden Fall. Mehr als Worte zählen die Taten. Whatever it takes! 14 Words!“. „Taten statt Worte“ war auch die Botschaft im Bekennervideo des NSU.
Redekers Kontakte reichten auch zu Thomas Richter aus Sachsen-Anhalt – dem V-Mann „Corelli“. Wie substanziell diese Kontakte waren, lässt sich rückblickend schwer einordnen. Im Juni 2005 schrieben sich Richter und Malte Redeker im internen „HatecoreTK“-Forum private Nachrichten. U.a. ging es um ein Hammerskin-Treffen, auf das Richter eingeht: „bist sicher am 2. zum hs treffen, ist mir leider zu weit wäre sonst auch gekommen. ach noch was weißt du wann das hs forum wieder geht? Gruss“ (sic!). Dass Richter an einem Treffen der Bruderschaft teilnehmen durfte, weist daraufhin, dass er 2005 der «Crew 38» angehörte. Im Oktober 2005 bittet er Redeker, ihm ein „Supporter of the Nation“-T-Shirt mitzubringen: „p.s kannst du so ein hs supporter tshirt noch besorgen, nachdräglich für mein wiegefest. grins“ (sic!)
Corelli meldete dem Geheimdienst nicht nur Informationen zu den Hammerskins im Allgemeinen, sondern berichtete auch konkret über Redeker. 2008 lieferte Richter diverse Auszüge aus Internetforen, in dem sich über den mutmaßlich rassistischen Brandanschlag am 03.02.2008 mit neun Toten in Ludwigshafen ausgetauscht wurde. Auch die Beiträge, die der Hammerskin Thomas Gerlach zu dem Brandanschlag verfasste, gab er weiter. Ende 2011, nach der Selbstenttarnung des NSU, kamen Verdachtsmomente in dem Fall auf. Er wurde erneut untersucht und Malte Redeker geriet kurzzeitig ins Visier. Was konkret Richter damals seinem V-Mann-Führer berichtete, ist nicht bekannt. Die Akten um V-Mann „Corelli“ sind vom Geheimdienst teils vernichtet und manipuliert worden. Es gab anscheinend hinreichend Indizien, sodass der Geheimdienst den V-Mann und Hammerskin Roland Sokol auf Malte Redeker ansetze. Auf Nachfrage berichtete Redeker: „bka chef und bundesstaatsanwaltschaft haben höchstpersönlich den brand im kanakenhaus hier ums eck vor 3 jahren wieder aaufrollen lassen. und ermittelt wird gegen mich.“ (sic!)
Thomas Richter wird im März 2013 vom BKA zu seinen Verbindungen zum NSU befragt. Er äußert sich wortkarg. Auf die Frage nach Kontakten nach Baden-Württemberg antwortet er, dass er drei Personen kenne, unter anderem Malte Redeker: „Diese Personen habe ich auch an ihren Wohnorten besucht. In welchem Zusammenhang ich sie aufgesucht habe, möchte ich nicht sagen.“ Brisant ist, dass Richter selbst zwischenzeitlich unter Verdacht geriet, von der Existenz des NSU gewusst zu haben – weit vor dessen Selbstenttarnung. Laut einem Sachverständigen stellte dieser „mit großer Sicherheit“ 2003 CDs her, die erstmals auf den Namen NSU hinwiesen. Diese enthielten 15 000 rassistische und antisemitische Texte und Bilder und bezeichneten sich selbst als „die erste umfangreiche Bilddaten-CD des Nationalsozialistischen Untergrunds der NSDAP (NSU)“ – in Kurzform als „NSU/NSDAP-CD“ bekannt. Eine CD übergab Richter 2005 seinem V-Mann-Führer. Diese wurde allerdings erst nach Richters Tod in den Archiven des Geheimdienstes gefunden und die Umstände öffentlich gemacht. Dem NSU-Untersuchungsausschuss des Bundes unterschlug der Geheimdienst zunächst die Existenz einer solchen CD. In Mecklenburg-Vorpommern wurde eine der CDs zufällig bei einer Razzia gefunden, ebenso im sächsischen Chemnitz. 2014 erhielt der Geheimdienst in Hamburg die CD von einer „Quelle“. Diese teilte mit, dass sie diese im Jahr 2006 von Thomas Richter erhalten habe.
Verbindungen der Hammerskins nach Hamburg
Am 27. Juni 2001 ermordete der NSU in Hamburg Süleyman Taşköprü in seinem Lebensmittelladen in der Schützenstraße. Ein eher abgelegener Tatort, an dem man nicht einfach auf der Durchreise vorbeikommt. Wie an vielen Tatorten sind die zentrale Fragen der Hinterbliebenen ungeklärt: Wer hat konkret ihre Angehörigen ausgesucht? Wer hat die Tatorte ausgespäht? Das rot-grün regierte Hamburg ist das einzige Bundesland, in dem ein Mord des NSU stattgefunden hat und kein Untersuchungsausschuss eingesetzt wurde. Seit 10 Jahren wird sich einer Aufklärung in den Weg gestellt. „Mein Wunsch ist weiterhin ein NSU-Untersuchungsausschuss in Hamburg“, sagte Ayşen Taşköprü, die Schwester von Süleyman Taşköprü, 2021 gegenüber dem Straßenmagazin Hinz und Kunzt.
Für das Gericht in München ist der Fall geklärt: Die beiden Haupttäter sind tot, nach weiteren lokalen UnterstützerInnen muss nicht gesucht werden. Der Frage um das Netzwerk wurde auch in Hamburg nicht nachgegangen, Personen aus der extremen Rechten der Hansestadt wurden nicht auf Kontakte durchleuchtet. Als mögliche lokale Unterstützungsstrukuren kommen einige in Betracht, die lohnenswert wären, von erneuten Ermittlungen oder einem Untersuchungsausschuss unter die Lupe genommen zu werden. Zu diesen zählen auch die Hammerskins und ihre Kontakte nach Hamburg. Eher zufällig stieß das Bundeskriminalamt auf eine Spur, als durch einen Zeitungsartikel bekannt wurde, dass ein E-Mailverteiler existierte, auf dem auch eine Mailadresse mit dem Namen „derrosarotepanther“ eingebunden ist. Abgespeichert war die Mail in Kunjas Adressbuch unter dem Namen „Wolle“. Die Ermittler*innen vermuten, dass es sich dabei um eine bislang unbekannte Mailadresse des NSU-Unterstützers Ralf Wohlleben handeln könnte, da er unter dem Spitznamen in der Szene bekannt ist. Neonazis aus ganz Deutschland kommunizierten über diesen Verteiler und es wurden u.a. Grafiken versendet, in denen die US-amerikanischen Terrorgruppe «The Order/Brüder Schweigen» glorifiziert wurde. Im Verteiler befanden sich auch etliche Hammerskins aus ganz Deutschland, wie auch Christian Kunja, der den «Hammerskins Sachsen» angehört. Die Mailadresse „derrosarotherpanher@hotmail.com“ war seit 2008 im Verteiler aktiv und die Ermittler*innen zogen den Schluss, dass es sich dabei um eine Anspielung auf die populäre Trickserie „Der Rosarote Panther“ handeln könnte. Dessen Protagonist „Paulchen Panther“ diente dem NSU in seinem Bekennervideo dazu, durch die neonazistische Mordserie zu führen und die Opfer zu verhöhnen. Eine erste Version des Bekennervideos des NSU wurde im November 2007 fertiggestellt und enthielt bereits dort die Figur des „Paulchen Panther“. Rekonstruiert werden konnte auch, dass ein erster Bezug zu der Figur durch den Spruch „Heute ist nicht alle Tage, wir kommen wieder keine Frage“ sogar schon 2001 in eine Version des Bekennervideos eingefügt wurde – nach dem ersten Mord und dem ersten Sprengstoffanschlag des NSU. Bislang ist nicht bekannt, dass das Video in Neonazikreisen kursierte. Allerdings gibt es bis heute noch zahlreiche offene Fragen um die DVD und die Herstellung.
Die ab 2015 einberufenen Ermittlungen zur Mailadresse führten letztlich zur Neonaziszene im Süden Brandenburgs. Denn es war der Hammerskin Christian Kunja, der den Mailverteiler verwaltete. Als Inhaber der Mailadresse wurde Jörg Wollermann, Spitzname „Wolle“, aus Cottbus, ermittelt. Dass dieser zufällig den Namen einer Comicserie für seine E-Mail-Adresse nutzt, die im Bekennervideo des NSU eine zentrale Rolle spielt, machte die Ermittler*innen stutzig. In seiner Vernehmung im März 2015 gibt er flapsig an, dass er den Namen verwendet habe, weil er die Geschichten von „Paulchen Panther“ in seiner Kindheit so gern geschaut hätte. Seine politische Einstellung bezeichnete Wollermann im Verhör als „Normal (…) eher konservativ“. Zu den Hammerskins habe er „zumindest wissentlich keine Berührungspunkte und kenne auch niemanden bewusst, der da Mitglied ist“. Christian Kunja habe er 2007 oder 2008 über seinen Cottbusser Freundeskreis kennengelernt, erzählt er in der Vernehmung. Auf Nachfrage erwähnt Wollermann zudem, dass es sein könnte, dass Kunja ein Hammerskin ist. Doch Wollermann selbst bewegt sich seit den 1990ern in der organisierten Neonaziszene und fand um Mitte der 2000er Jahre den Kontakt zu den Hammerskins. Er nahm mehrfach an Events der Bruderschaft teil und reiste dafür sogar in die USA. In seinen Aussagen verstrickte er sich in Lügen und hielt Informationen zu den Hammerskins bewusst zurück – ganz im Sinne der Bruderschaft, die sich nicht umsonst gebetsmühlenartig auf die Losung „Brüder schweigen“ bezieht.
2015 hatte die Polizei die Wohnung von Christian Kunja in Lübben bei Cottbus durchsucht. Sie hatten u.a. den Computer und Speichermedien sichergestellt und dürften durch eine Auswertung dessen tiefe Einblicke in die «Hammerskin Nation» bekommen haben. Eine Einordnung von Kunja als Mitglied des Chapters «Sachsen» hätte ein leichtes sein müssen. Und hätte zu einer sehr deutlichen Bewertung der Person Kunja führen können, in Bezug auf sein Netzwerk und seine direkte Anbindung an „Brüder“ wie Thomas Gerlach – der eine unmittelbare Nähe zum NSU-UnterstützerInnenkreis besitzt und ebenfalls dem Chapter «Sachsen» angehört. Als Christian Kunja im März 2015 zum NSU-Komplex befragt wurde, gab er sich wortkarg. Seine Antworten in der Vernehmung sind pampig und knapp, teils tischt er dreiste Lügen über seine persönliche Biografie auf. Mundlos, Böhnhardt und Zschäpe kenne er nicht, vom NSU habe er nur aus den Medien erfahren. Auf die Frage, ob sein enger Freund Jörg Wollermann politisch sei und in der rechten Szene aktiv ist, antwortet er nur, dass er das nicht wisse. Ralf Wohlleben kenne Kunja ebenfalls nur flüchtig. Diesen habe er einmal im Neonazi-Treffpunkt «Braunes Haus» und beim „Fest der Völker“ in Jena getroffen. Als Kontaktperson zu Wohlleben benennt Kunja seinen „Bruder“ Thomas Gerlach. Über seine Mitgliedschaft in der «Hammerskin Nation» will Kunja gar nicht reden. Christian Kunja wurde im Spreewald in Brandenburg geboren, leistete noch vor der Jahrtausendwende seinen Grundwehrdienst bei der Bundeswehr in Hessen ab und lebte dann von September 2000 bis Oktober 2008 in Hamburg. Hier absolvierte er seine Ausbildung und ein Studium. Er wurde Anfang der 2000er Jahre Prospect des Chapter «Sachsen» und ist heute eines seiner aktivsten Mitglieder. Seit 2008 wohnt er wieder im Spreewald in Brandenburg.
Die Ermittler*innen im NSU-Komplex hätten erwägen müssen, dass es im Fall von Christian Kunja einer genaueren Untersuchung bedarf. Sie hätten feststellen müssen, dass er ihnen im Verhör Lügen auftischt und sehr verhalten war, über sein Netzwerk – vor allem die Hammerskins – zu berichten. Weder verfolgte das BKA das Netzwerk und begriff, wie eng Kunja mit Thomas Gerlach und Ralf Wohlleben verbunden ist und damit eine unmittelbare Nähe zum NSU-UnterstützerInnenkreis aufzeigt. Noch wurde in irgendeiner Weise darauf eingegangen, dass Kunja in Hamburg wohnte, als der NSU den Mord an Süleyman Taşköprü begang.
Auf Anfrage übermittelte der Geheimdienst um 2015 lediglich, dass Kunja ab 2003 auf RechtsRock-Konzerten unterwegs war und sich im Milieu der Kameradschaftsszene um Hamburg bewegte. Tatsächlich war er schon im Mai 2002 Teilnehmer eines LeserInnen-Treffens der extrem rechten Zeitschrift „Recht & Wahrheit“ im Harz – gemeinsam mit Dirk Bertram, zu diesem Zeitpunkt bereits Fullmember der «Hammerskins Sachsen». An diesem Treffen nahmen laut Polizei 60 Personen teil, wobei sich das Publikum fast ausschließlich aus älteren Männern zusammen setzte. Eine regelmäßig organisierte Veranstaltung, die selten junge Neonazis anzuziehen vermochte und nicht als erster Anlaufpunkt von „Neulingen“ der neonazistischen Szene geeignet war, wenn sie nicht von einem „alten Hasen“ mitgenommen wurden. Mit Bertram war er zudem im August 2003 auf dem „Rudolf-Hess-Marsch“ in Wunsiedel zugegen. Ein Jahr später fand er sich sogar an einem Front-Transparent Südbrandenburger Neonazis in Wunsiedel ein. Später, im Zuge der Ermittlungen um den Mailverteiler 2015, gibt er Hinweise auf seine politische Anbindung und wie lange er sich schon in der Szene bewegt. Befragt dazu, wie lange er den Hammerskin Thomas Gerlach kennt, sagt er: „Weiß ich nicht. Vielleicht so 15 Jahre. Wir sind befreundet“. Möglich ist demnach, dass Kunja schon um das Jahr 2000 Anschluss bei den Hammerskins fand und dort Bertam kennen lernte.
Szeneversand als Empfänger eines Bekennervideos
Am 23. November 2011 wurde dem extrem rechten bayrischen «Patria Versand» ein Exemplar des NSU-Bekennervideos zugeschickt. Es war die einzige Adresse aus Neonazikreisen, die der NSU – soweit bislang bekannt – bedacht hatte. Bislang nicht öffentlich bekannt ist, dass dort ab 1998 bis mindestens 2001 ein Hammerskin angestellt war: Thomas Pavenzinger, genannt „Unze“. Dieser lebte in Bayern, schloss sich aber Mitte der 1990er Jahre den «Hammerskins Sachsen» an. 1998 war er einer der Gründungsmitglieder der «Hammerskins Bayern». Er produzierte das Fanzine «Victory or Valhalla», das sich im Layout der Hammerskin-Insignien bediente. Das Heft konnte über die Adresse des «Patria Versands» bezogen werden. Der Versand selbst habe die dritte Ausgabe laut Eigenaussage maßgeblich finanziert, im Gegenzug gab es drei Seiten Werbung. Durch Pavenzingers Angestelltenverhältnis wurde der Versand innerhalb der Szene zeitweise als „Hammerskin-Versand“ wahrgenommen. Das Angebot des Versandes war nicht sonderlich attraktiv, er hatte keine größere Bedeutung. Im Fanzine «The Aryan Law & Order» der Eminger-Brüdern befand sich dennoch Werbung für den Versand. Der reisefreudige Thomas Pavenzinger suchte den Kontakt zu Neonazis in ganz Deutschland. Im Sommer 1998 fuhr er quer durch die Republik zu einer Party der «Hammerskins Nordmark» in den niedersächsischen Landkreis Lüneburg.
Dass der Versand Jahre nach Pavenzingers dortiger Beschäftigung abermals für die Hammerskins von Interesse zu sein könnte, darauf deuteten die Pläne des V-Manns Roland Sokol. Dieser hatte 2011 mit dem damaligen Inhaber Franz Glasauer vereinbart, den «Patria Versand» mit seinem Kameraden Bernd Christoph zu übernehmen – wenige Wochen bevor das NSU-Bekennervideo den Versand erreichte. Der in Ulm lebende Christoph sammelte bereits in den 1990er Jahren Erfahrungen im Vertrieb von RechtsRock. Heute betreibt er die Druckerei «Lithographix», die schon viele Jahre Geschäfte mit den Hammerskins macht – etwa mit Hendrik Stiewe und dem Label «Wewelsburg Records». Der «Patria Versand» besitzt zum Zeitpunkt der vereinbarten Übernahme durch Sokol wenig Relevanz in der Neonazi-Szene. Ausgerechnet dieser unscheinbare Versand erhält 2011 eines der NSU-Bekennervideos. Mögliche direkte Verbindungen der NSU-Kernmitglieder zu Franz Glasauer, dem damaligen Inhaber, sind bislang nicht bekannt. Er übergab das Video zwei Tage später der Polizei. Auch hier blieben die Spuren ins Netzwerk der Hammerskins bisher ungeklärt.
Überdies lagen dem bayrischem Geheimdienst Hinweise vor, dass Mitglieder der «Hammerskins Sachsen» geäußert hätten, das NSU-Kerntrio persönlich gekannt zu haben. Ob sich dies auch auf Thomas Pavenzinger bezieht, ist unklar. Zudem ist nicht bekannt, ob Pavenzinger überhaupt je dazu befragt wurde. Das ist insbesondere erstaunlich, da der NSU in Bayern gleich fünf Menschen ermordete und die Polizei bis heute keinerlei Verbindungen zur bayrischen Neonazis feststellen kann. Auch nicht, als bekannt wurde, dass eines der Bekennervideos von einer bis heute unbekannten Person unfrankiert in den Briefkasten der Regionalzeitung Nürnberger Nachrichten geworfen wurde. Ein Untersuchungsausschuss in Bayern ist mit der Aufklärung der NSU-Taten und dem Netzwerk gescheitert.
Der zweifache Familienvater Enver Şimşek, Inhaber eines Blumenhandels, wurde am 9. September 2000 in Nürnberg erschossen. Nur wenige Monate später, am 13. Juni 2001, wurde Abdurrahim Özüdoğru in einer Nürnberger Änderungsschneiderei hingerichtet. Auch er war Vater und hinterließ eine Tochter. Am 29. August 2001 wird Habil Kılıç ermordet, Inhaber eines Obst- und Gemüsehandels, in seinem Geschäft in München-Ramersdorf. Der Inhaber eines Döner-Imbiss, İsmail Yaşar, wurde am 9. Juni 2005 in Nürnberg getötet. Er hinterließ unter anderem seinen kleinen Sohn. Theodoros Boulgarides, Familienvater und Mitinhaber eines Schlüsseldienstes, wurde am 15. Juni 2005 in seinem Geschäft in München-Westend erschossen. Bereits 1999 beging der NSU in Nürnberg einen rassistisch motivierten Sprengstoffanschlag in einer Bar. Der Betreiber wurde damals schwer verletzt.
„Beate wird stolz auf uns sein“
Auch in der Betrachtung des Personenzusammenhangs um Steffen Richter aus Saalfeld (Thüringen) verdichtet sich ein Zusammenhang zwischen den Hammerskins und dem Netzwerk der NSU-Unterstützenden. Richter war in den 2000er Jahren Domaininhaber des Neonazi-Versands «2hard4u» und hatte hierfür die Email-Adresse supportthenation@hotmail.com hinterlegt. Auch präsentierte er sich auf einem Foto mit unklarem Aufnahmejahr in einem Shirt in Gedenken an den 1994 verstorbenen US-amerikanischen Hammerskin Joe Rowan. Im Januar 2015, als die «Hammerskins Franken» wieder einmal zu einem Konzert nach Kirchheim (Thüringen) eingeladen hatten, war auch Richter unter den Teilnehmenden. Angereist war er mit einem Auto, dessen Kennzeichen den Zahlencode „HS 38“ beinhaltete. Das sich jemand als Wunschkennzeichen diesen Code zulegt und damit nicht auf seine Zugehörigkeit zu den Hammerskins deuten will, ist ausgeschlossen.
Bekannt ist außerdem, dass Richter ab der Gründung im Jahr 2015 als führende Person der Neonazi-Bruderschaft «Turonen» auftrat. Eine hoch-kriminelle Organisation, die in Thüringen immer wieder von den Ermittlungsbehörden mit Waffenbesitz, mit Waffen- und Drogenhandel sowie mit schweren Gewalttaten in Verbindung gebracht wird, wie dem Übergriff auf die Kirmesgesellschaft von Ballstädt im Februar 2014.
Steffen Richter war mit Ralf Wohlleben schon in den frühen 2000er Jahren gut bekannt. Über Wohlleben soll er auch mit Thomas Gerlach in Kontakt gekommen sein. Nach Wohllebens Inhaftierung kümmerte sich Richter in Absprache mit Gerlach intensiv um Spendengelder für Ralf Wohlleben. Gerlach beschrieb damals in einer internen Kommunikation, dass für Wohlleben eine „stille Hilfe“ aktiviert worden wäre. Nach der Selbstenttarnung des NSU überwachten die Ermittler*innen die Kommunikation von Richter. Sie gingen Hinweisen nach, wonach Richter eine Schusswaffe und Munition versteckt halte. Die Ermittlungen weiteten sich auf den „Verdacht der Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat“ aus. Ab dem Frühjahr 2012 befand sich auch Thomas Gerlach in demselben Ermittlungs-Komplex. Die Ermittler*innen vermuteten, dass Gerlach wusste, wo sich die Waffe befindet. Durch die Abhörmaßnahmen gegen Richter und Gerlach wurde bekannt, dass sich die beiden konspirativ verhielten und mit Tarnwörtern arbeiteten. So schrieb Gerlach in einer SMS an Richter: „Ich hab dein Spielzeug mit. Da kannste jetzt das jüngste gericht einläuten. Ich werd das da ab wo die sonne nicht scheint. Heil Beate.“ (sic!). Richter antwortet: „Ok, Beate wird stolz auf uns sein“. Später erklärt Gerlach er habe absichtlich und „aus Spaß“ über diese Dinge geschrieben. Die Beiden wollten testen, ob sie abgehört werden. 2012 hatten die Behörden außerdem die Erkenntnis gewonnen, dass Ralf Wohlleben aus der Haft heraus mit Steffen Richter geheime Nachrichten ausgetauscht hatte. Anfang Oktober 2012 wurde Wohlleben deshalb von der Justizvollzugsanstalt Tonna in Thüringen nach München verlegt.
Steffen Richter war zudem federführend an der Organisation von Konzerten beteiligt, deren Gewinne dem NSU-Unterstützer Wohlleben zugute kamen. Für ein „Soli-Konzert“ im März 2012 fragte Richter den Europa-Chef der Hammerskins Malte Redeker nach Kontakten zu Bands. Redeker erkundigte sich, ob der „gute Zweck“ etwas „mit Jena“ zu tun habe, denn „dann wäre die bereitschaft eventuell höher“ (sic!). Als Richter bejahte, dass es dabei um Gelder für Wohlleben gehe, sagte Redeker entschieden: „Ich klemm mich hinter“.
Einige Jahre später, im September 2016, fand im «Thinghaus» in Mecklenburg-Vorpommern ein Solidaritätskonzert für den inhaftierten NSU-Unterstützer statt. Der Sänger der auftretenden Band «TreueOrden» aus Thüringen, der gleichzeitig auch Mitglied der «Turonen» ist, erklärte an dem Abend auf der Bühne: „Getroffen hat es Wolle, der nun schon seit über fünf Jahren von seiner Familie getrennt ist! Meinen tut der Staat uns alle und dessen müssen wir uns bewusst sein!“. «TreueOrden» wurden bei diesem Anlass vom Saalfelder „Supporter Of The Nation“ Steffen Richter, begleitet. Bekannt ist auch, dass das Großkonzert „Rocktoberfest“ – das im Oktober 2016 in einer kleinen Gemeinde in der Schweiz ausgetragen wurde und bis zu 5 000 Neonazis anzog – u.a. der finanziellen Unterstützung von Ralf Wohlleben dienen sollte. Maßgeblich steckte dort Steffen Richter mit seinen «Turonen» in der Organisation. Am Konzertort selbst soll jedoch nur das Banner der «Hammerskin Nation» und das von «Combat 18» gehangen haben.
Im Mai 2016 ist Richter Teilnehmer eines Großkonzertes in Hildburghausen in Südthüringen. Er präsentierte sich im Basecap der «Turonen» und einem Schlüsselband, auf dem sich die Aufschrift „Support the Nation“ befand. An seiner Seite: Nico Metze aus Jena, bekleidet mit einem Solidaritäts-T-Shirt für Wohlleben. Metze baute das «Freie Netz Jena» mit auf, ist ein enger Weggefährte Wohllebens und sammelte seit Beginn der U-Haft Spendengelder für „Wolle“. Im September 2010 geriet Metze u.a. mit Steffen Richter in eine Ermittlung. Die Behörden hatten Erkenntnisse erlangt, dass Sprengstoff nach Jena transportiert wurde – Metze und Richter hatten sich über Sprengstoff unterhalten. Bei einer Durchsuchung wurde allerdings nichts gefunden. Kurze Zeit zuvor, im Juli 2010, wurde u.a. Metze spät in der Nacht von der Polizei in Saalfeld aufgegriffen. In seinem Rucksack befanden sich zahlreiche Gegenstände und Mittel, mit denen offensichtlich ein Brandanschlag begangen werden sollte. In unmittelbarer Nähe zu dem Ort, an dem die Neonazis von der Polizei kontrolliert wurden, parkte ein Bus, den auch Antifaschist*innen regelmäßig nutzten. Metze nahm auch am Konzert „Rock gegen Überfremdung II“ in Themar im Juli 2017 teil und reiste gemeinsam mit dem NSU-Unterstützer André Eminger an. Eminger betreute vor Ort einen Informationsstand der „GefangenenHilfe“. In den sozialen Netzwerken gab Metze zudem zeitweise an, beim selben Bauunternehmen zu arbeiten wie André Kapke und Thomas Gerlach. Der Kreis schließt sich.
Was deutsche Behörden (nicht) zu sagen haben
Mitte Juni 2021 stellt der deutsche Inlandsgeheimdienst «Bundesamt für Verfassungsschutz» (BfV) mit großem Mediengetöse seinen «Verfassungsschutzbericht» für das Jahr 2020 vor. Darin wird auf 72 Seiten über den sogenannten Rechtsextremismus berichtet. Über die Hammerskins findet sich jedoch kein Wort. In den letzten zehn Jahren gab es – trotz reger Tätigkeiten der HSN in Deutschland – seitens der Geheimdienste zunehmend weniger Informationen für die Öffentlichkeit.
Es ist ein verbreiteter Irrtum zu glauben, dass der «Verfassungsschutzbericht» das Wissen des Inlandsgeheimdienst spiegelt und ein glaubwürdiges Lagebild sogenannter „verfassungsfeindlicher Bestrebungen“ zeichnet. In der Publikation steht vielmehr das, was die Öffentlichkeit nach Ansicht des «Verfassungsschutzes» (VS) erfahren und glauben soll. Was sie nicht wissen soll, wird kurz gehalten oder ganz verschwiegen. Insbesondere seit der Aufklärungsversuche rund um den NSU-Komplex lässt die behördliche Einschätzung bei Antifaschist*innen alle Alarmglocken läuten. Wieder liegen die Fragen auf der Hand, welche Interessen die unterschiedlichen «Verfassungsschutzämter» verfolgen, wo sie ihre Spitzel platziert haben, wie sie diese schützen möchten und welche Risiken dafür in Kauf genommen werden.
Textbausteine und Schweigen im Walde
Wohl agiert der Inlandsgeheimdienst nach politischen Vorgaben der Bundes- und Landesregierungen, doch er verfolgt auch seine eigene Agenda, bzw. haben die jeweiligen Landesämter oft eigene Ziele und Programme. Dabei arbeiten die Landesämter und das Bundesamt nicht zwingend zusammen oder folgen einer einheitlichen Linie.
Was unter anderem dazu führt, dass die einen öffentlich machen, was andere bewusst verschweigen. So geht der saarländische «Verfassungsschutz» in seinem Bericht für das Jahr 2019 auf die Hammerskins ein und schreibt dabei unter anderem: „Das ‚Chapter Westwall‘ war auch verantwortlich für die Ausrichtung des HS-‚Sommercamps 2018‘. Dieses fand Anfang August in einem Waldgelände im hessischen Eckmannsheim östlich von Gießen statt.“ Im hessischen «Verfassungsschutzbericht» des selben Jahres hingegen ist weder das Camp erwähnt noch geht man dort mit auch nur einem Wort auf die Hammerskins ein. Hatte der hessische VS diese bis einschließlich 2016 wenigstens mit ein paar Standardfloskeln bedacht, so fallen sie ab dem Jahr 2017 ganz aus dem alljährlichen Bericht heraus – obgleich sie ab Mitte der 2010er Jahre im Bundesland personellen Zulauf hatten und im Jahr 2017 auch einen eigenen Musiksampler produzierten.
Offensichtlich haben die Landesämter und das Bundesamt zum Thema Hammerskins jeweils einen entsprechenden Textbaustein, der alle Jahre wieder vom alten in den neuen «Verfassungsschutzbericht» übertragen und allenfalls mit ein paar neuen Daten angereichert wird. Der Inlandsgeheimdienst Baden-Württemberg veröffentlichte von 2013 bis 2017 einen auf Punkt und Komma identischen 550 Zeichen langen Text, ohne die Existenz der Chapter im Bundesland zu erwähnen. Im Mai 2013 behauptete der VS Baden-Württemberg auf seiner Website: „In Baden-Württemberg unterhalten zwar einzelne rechtsextremistische Skinheads Kontakte zu den ‚Hammerskins‘, ein sogenanntes ‚Chapter‘ (regionale Gruppe) konnte bislang jedoch nicht festgestellt werden.“ Dabei existierte seit 2001 ein Chapter «Baden» und seit 2009 ein Chapter «Württemberg».
Der bayerische «Verfassungsschutz» bemühte in den 2010er Jahren ähnliche Allgemeinplätze und immer gleiche Textbausteine. Im Bericht für das Jahr 2017 überraschte er mit einer zusätzlichen Information: „Auf einem abgelegenen Privatgrundstück in Geiselhöring fand am 1. Juli ein Treffen von 50 „Hammerskins“ statt. Die Personen stammten überwiegend aus Deutschland.“ Nur: Dieses „National Officers Meeting“ (NOM) war von Antifaschist*innen beobachtet und von der Antifaschistische Informations-, Dokumentations- und Archivstelle (AIDA) in München öffentlich gemacht worden. Der Erkenntnisgewinn durch den VS-Bericht war somit null, die Behörde hatte sich offensichtlich durch die Antifa-Publikation genötigt gesehen, dieses Treffen zu erwähnen. Bei den folgenden Berichten bleibt sich der VS seiner Linie wieder treu. Im Januar 2018 fand in Triefenstein (Unterfranken) ein „European Officers Meeting“ (EOM) statt, im Februar 2019 trafen sich über 70 Hammerskins zu einem NOM in Lohr am Main (Unterfranken) – beide bleiben unerwähnt.
Im Berliner «Verfassungsschutzbericht» hieß es von 2005 bis 2009 unverändert:„Aufgrund mangelnder Organisationsstrukturen und einer fehlenden Führungspersönlichkeit in ihren Reihen konnten die HS aber weder in Konkurrenz zu ‚Blood & Honour‘ treten, noch ihr Selbstbild als Elite der rechtsextremistischen Skinheads durchsetzen. Angesichts des postulierten Ziels einer ‚Hammerskin Nation‘ fällt die Konzeptionslosigkeit der HS auf. Eine Strategie zur Umsetzung ihres Ziels ist nicht erkennbar. Überregionale Koordinierungstreffen finden zwar regelmäßig statt, Impulse gehen von diesen Treffen jedoch nicht aus. Die Berliner Sektion gründete sich 1994. Innerhalb der Gruppe gab es in den letzten Jahren kaum personelle Veränderungen. Im Gegensatz zu dem von den ‚Hammerskins‘ formulierten Anspruch geht von der Berliner Sektion keine Außenwirkung aus“.
Mitte der 2000er Jahre steckten die Berliner Hammerskins tatsächlich in einer Krise, doch dann baute unter anderem der aus Mecklenburg-Vorpommern zugezogene Hammerskin Benjamin Doege das Chapter neu auf. Ende der 2000er Jahre „schluckten“ die Berliner Hammerskins Teile der «Kameradschaft 35» aus Lichtenberg und der Gruppe «Wolf’s Hook», was größere personelle Veränderungen mit sich brachte und eine neue Dynamik in Gang setzte. Anstatt darauf einzugehen, kommen die Hammerskins im Berliner VS-Bericht von 2010 bis 2014 nur noch in einem Nebensatz im Abschnitt „Netzwerk ‚Rechtsextremistische Musik‘“ vor. Seit 2015 sind sie ganz aus den Berichten verschwunden.
Der Inlandsgeheimdienst Rheinland-Pfalz hat zu den Hammerskins eine andere Einschätzung wie der VS in Berlin. In seinem Bericht 2018 schreibt er: „Heute gilt die ‚Hammerskin-Bewegung‘ als eines der wichtigsten rechtsextremistischen Netzwerke weltweit. Die internationale Vereinigung verfügt mit gleichberechtigten Regionalgruppen, so genannten Chaptern, über Ableger in einer Reihe von Ländern auf verschiedenen Kontinenten. Ein Auftreten von ‚Hammerskins‘ in der Öffentlichkeit findet nahezu nicht statt; man agiert weitgehend konspirativ und lässt auch politische Intentionen nach außen nicht erkennen. Die Gruppierung trägt damit ihrem Selbstverständnis als elitäre Sammlungsbewegung innerhalb der rechtsextremistischen Skinhead-Subkultur Rechnung.“ Hier hört das Mitteilungsbedürfnis des VS Rheinland-Pfalz auf. Es wird nicht erwähnt, dass es ein Chapter «Westwall» (ehemals «Westmark») mit dem Schwerpunkt im Raum Ludwigshafen gibt, das einflussreichste Chapter der Hammerskins im deutschsprachigen Raum.
Im Saarland widmet der Geheimdienst den Hammerskins und dem Chapter «Westwall» hingegen fast zwei Seiten. 2019 schreibt er: „Das ‚Chapter Westwall‘ stellt auch den ‚European Secretary‘ der HS. Ein offizieller Führungsanspruch ist mit diesem ‚Amt‘ zwar nicht verbunden, dennoch genießt der Inhaber großen Respekt und ist u. a. der Sprecher der europäischen Hammerskins bei Kontakten mit Chaptern außerhalb Europas“. Dieser „European Secretary“, Malte Redeker, wohnt bei Ludwigshafen. Doch dem VS Rheinland-Pfalz, der die Hammerskins als „eines der wichtigsten rechtsextremistischen Netzwerke weltweit“ beschreibt, ist die Personalie Redeker als eurpoäischer Führungsfigur keine Notiz wert.
Ähnlich reduziert und oberflächlich sind die Antworten der Behörden bezüglich Hammerskins in parlamentarischen Anfragen oder in den parlamentarischen NSU-Untersuchungsausschüssen (PUA). Manchmal gibt es auch gar keine Antwort. Für den PUA in Nordrhein-Westfalen, der von 2015 bis 2017 tagte, war als Untersuchungsauftrag formuliert: „Gab es Verbindungen des NSU oder seines Umfeldes zu militanten rechtsradikalen Gruppierungen (wie z.B. kleinen Zellen, lokal oder regional verankerten Kameradschaften, bundesweit tätigen Organisationen wie der ‚Kampfbund Deutscher Sozialisten‘ (KDS) sowie insbesondere der Netzwerke von ‚Blood & Honour‘, ‚Combat 18‘ und der ‚Hammerskins‘) in Nordrhein-Westfalen?“. Im öffentlichen Abschlussbericht des Ausschusses wird jedoch nur einmal kurz auf die Hammerskins eingegangen, als ihr Verhältnis zur Gruppe «Combat 18» beschrieben wird. Ein eigenes Kapitel oder wenigstens ein Abschnitt zu den Hammerskins findet sich nicht.
Behördliche Informationen über die Hammerskins werden in der Öffentlichkeit allerhöchstens durch gute parlamentarische Oppositionsarbeit generiert. So stellt die Linksparteiabgeordnete Martina Renner regelmäßig Anfragen im Bundestag zu den Erkenntnissen der Bundesregierung über die Hammerskins. Aber auch hier bleibt man bei der Beantwortung der Linie der Geheimdienste treu. Neben Allgemeinplätzen sind in den Antworten kaum Informationen enthalten. Stattdessen gibt man sich Mühe zu rechtfertigen, warum man nichts mitteilen könne. Nicht einmal unter Sicherheitsvorkehrungen könne man Abgeordnete informieren. Als Antwort auf eine Anfrage der Linkspartei 2018, in der sie von der Bundesregierung Informationen über „Aktivitäten und Strukturen der neonazistischen ‚Hammerskins‘ in Deutschland“ einforderte, gab es statt einer Auskunft nur eine Ausflucht:
„Über diese Erkenntnisse zu HS hinaus kann die Bundesregierung die Fragen aus Gründen des Staatswohls nicht beantworten, da Arbeitsmethoden, Vorgehensweisen und Aufklärungsprofile im Hinblick auf die künftige Aufgabenerfüllung besonders schutzbedürftig sind. Eine Veröffentlichung von Einzelheiten zu Aufklärungsaktivitäten ließen Rückschlüsse auf aktuelle Aufklärungsschwerpunkte, die nachrichtendienstliche Erkenntnislage sowie polizeitaktische Aspekte und Ermittlungsschwerpunkte zu. Aus der Abwägung der verfassungsrechtlich garantierten Informationsrechte des Deutschen Bundestages und seiner Abgeordneten mit den negativen Folgen für die künftige Arbeitsfähigkeit und Aufgabenerfüllung der Verfassungsschutzbehörden sowie den daraus resultierenden Beeinträchtigungen der Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland folgt, dass auch eine Beantwortung unter VS-Einstufung, die in der Geheimschutzstelle des Deutschen Bundestages einsehbar wäre, ausscheidet. Im Hinblick auf den Verfassungsgrundsatz der wehrhaften Demokratie hält die Bundesregierung die Informationen der angefragten Art für so sensibel, dass selbst ein geringfügiges Risiko des Bekanntwerdens unter keinen Umständen hingenommen werden kann.“
Hammerskin-Morde in den fernen USA
Worauf seit 2012 in vielen «Verfassungsschutzberichten» eingegangen wird, ist die Ermordung von sieben Menschen in den USA durch einen Hammerskin im Jahr 2012. Der VS Bayern entwarf dazu einen Textbaustein, der sich bis heute in seinem alljährlichen Bericht findet: „Weltweit in die Schlagzeilen gerieten die HS, als der 40-jährige Wade Michael Page am 5. August 2012 in Oak Creek (Wisconsin) in einem Sikh-Tempel sechs Menschen niederschoss und anschließend selbst von einem Polizisten getötet wurde. Wade Michael Page war Anhänger der US-amerikanischen ‚Hammerskin-Bewegung‘“. Dabei wird der Tathergang falsch beschrieben: Wade Michael Page schoss mehr Menschen nieder, sechs waren es, die unmittelbar starben und eine weitere Person starb 2020 an den Folgen einer Verletzung, die sie durch einen Kopfschuss erlitten hatte.
Die Morde sorgten weltweit für Entsetzen, so dass auch die deutschen Geheimdienste nicht herum kamen, darüber zu schreiben. Was bisher allerdings von keiner deutschen Behörde auch nur angerissen wurde, ist die enge Verbindung des Mörder Wade Michael Page nach Deutschland. So standen insbesondere Malte Redeker und Hendrik Stiewe als führende deutscher Hammerskin in direktem und persönlichem Kontakt zu Page. Die beiden hatten Page 2010 in den USA getroffen, wo für die deutschen Neonazis unter anderem ein Schießtraining im Reiseplan stand. Stiewe und Page waren nochmals im März 2012 auf einem Hammerskin-Konzert in Virginia zusammengekommen, bei dem Page mit seiner Band «Definite Hate» auftrat. Auf der 2011 veröffentlichten CD „Chosen Few“ von «Definite Hate» wird explizit Hendrik Stiewe gedankt und auf dem im Booklet abgedruckten Foto einer Gruppe von 45 Hammerskins sind Stiewe und Page zu erkennen. Stiewe wohnte zu dieser Zeit in Bielefeld und war dem Chapter «Bremen» angeschlossen. Er vertreibt unter anderem die Produktionen von «Adolf Hitler Records» und «Irma Grese Records», über die die deutsche Szene mit illegaler neonazistischen Musik versorgt wird. In den «Verfassungsschutzberichten» der Landesämter Bremen und Nordrhein-Westfalen wurde bislang nicht ein einziges Mal (auch nicht in anonymisierter Form) auf ihn eingegangen.
In einer kleinen Anfrage erkundigte sich die Partei «Die Linke» im Jahr 2018 nach Verbindungen deutscher Hammerskins und ihrem Umfeld zu rechtsterroristischen Einzelpersonen und Gruppierungen im In- und Ausland. Es folgte die Antwort: „Der Bundesregierung liegen hierzu keine Erkenntnisse vor.“
Binnenwirkung und Außenwirkung
In seinem Bericht über das Jahr 2019 schreibt der saarländische «Verfassungsschutz» über ein Treffen im Hammerskin-Clubhaus «Hate Bar» in Dillingen Saarland am 3. August 2019: „Durch die Beschwerde eines Anwohners wegen Ruhestörung war zudem erstmals eine Außenwirkung zu verzeichnen.“ Der ständige Verweis auf eine – stattfindende oder ausbleibende – Außenwirkung zeigt, aus welchen Blickwinkel verschiedene Behörden Neonazikonzerte betrachten. Diese werden dann zum Problem, wenn die Nachbarn durch Radau gestört oder Grundstückseinfahrten zugeparkt werden.
In den Jahren 2003, 2004 und 2005 fanden bei Würzburg jährlich Konzerte unter dem Motto „Support the Nation“ statt, die als die deutschen „Hammerfeste“ galten. Es kamen zwischen 350 und 600 Neonazis. Die Polizei ließ die Konzerte laufen. Das „Support the Nation“-Konzert am 17. Juli 2004 hätte ursprünglich in einer Gemeindehalle im Spessart stattfinden sollen, doch die Gemeindeverwaltung bekam Wind von der Sache und gab die Halle nicht frei. Letztendlich fand das Konzert in der Scheune eines landwirtschaftlichen Anwesens in Kürnach statt. Der Sprecher der Würzburger Polizei sagte danach dem Bayerischen Fernsehen, man habe die Party nicht auflösen können, weil diese als „privat“ deklariert gewesen sei. Auf Nachfrage der Reporterin erklärte er: „Wenn zum Beispiel Straftaten vorgekommen wären, wenn wir die im Außenbereich mitbekommen hätten, dann hätten wir sehr wohl die Möglichkeit gehabt, dieses Gelände zu betreten.“ Der Journalist Thomas Kuban war undercover auf dem Konzert . Er berichtet in seinem Buch „Blut muss fließen“ von einem Konzert mit 600 Teilnehmenden in einer Scheune, die in keiner Weise lärmgedämmt war. „Sieg Heil“-Geschrei sei nach draußen gedrungen und eine Band habe gesungen: „Punker, Schwule, Kommunisten steh’n auf unseren schwarzen Listen. Am Tage X, zur Stunde Null, da retten euch auch keine Bulln.“ Kuban schreib weiter: „Darüber hinaus gab sich das Publikum sangesfreudig: ‚Hisst die rote Fahne mit dem Hakenkreuz, hängt dem Adolf Hitler den Nobelpreis um‚.“ In seinem Bericht über das Konzert im Jahr 2004 schreibt das BfV, dass dieses Konzert „keine Außenwirkung“ gehabt hätte, dass „vereinzelte ‚Hitler-Grüße‘ […] sofort von der Security unterbunden“ worden seien und dass es ausgehend von Konzertbesuchern zu einer „Körperverletzung zum Nachteil eines Anwohners“ gekommen sei.
Ein Jahr später stand in der «Frankenhalle» in Dettelbach die US-amerikanische Band «White Wash» auf der Bühne, in einem nachfolgenden Szenebericht heißt es: „War ein sehr guter Auftritt. Neben eigenen Liedern wie ‚A.R.A.‘ und ‚Weapon of Choice‘ muss die geile Bühnenshow des Sängers hervorgehoben werden.“ Der Song „A.R.A.“ verherrlicht die US-amerikanische Terrorgruppe «Aryan Republican Army». In den frühen 1990er Jahre beging die ARA in den USA über 20 Banküberfälle und arbeitete mit dem Neonazi Timothy McVeigh zusammen – wenige Wochen bevor er am 19. April 1995 bei einem Bombenanschlag auf ein Regierungsgebäude in Oklahoma City 168 Menschen ermordete.
Dass auf den Konzerten vor hunderten Personen Propaganda für eine Terrorgruppe gemacht oder zum Mord an „Punkern und Schwulen“ aufgerufen wurde, interessierte die Würzburger Polizei nicht, weil die Teilnehmenden „unter sich“ geblieben und die öffentliche Ordnung nicht beeinträchtigt worden sei. Die vermeintlich fehlende Außenwirkung wird mit geringer Relevanz gleichgesetzt.
Es wäre der Würzburger Polizei ein Leichtes gewesen, die „Support The Nation“-Konzerte zu unterbinden. In Kürnach wegen der Straftaten, die dort stattfanden, und in Dettelbach, schon alleine weil sich der Zugang zur Halle unter falschen Angaben erschlichen worden war. Der Vermieter hätte den Mietvertrag in wenigen Sekunden annullieren können, wenn dieser kontaktiert worden wäre. Die Polizei wollte nicht.
Das Resultat dieses Wegsehens und Weghörens ist bekannt. Der Ideologie-Transport über Neonazirock hat in erheblichen Maße zur Radikalisierung zehntausender Neonazis beigetragen und dazu, dass seit der Wiedervereinigung in Deutschland mindesten 213 Menschen von Neonazis ermordet und viele weitere zusammengeschlagen, gequält, bedroht und vertrieben wurden. Dies ist die Wirkung nach Außen, die der Binnenwirkung zwangsläufig folgt.
„Unpolitische“ Hammerskins
Wenn in den Dokumenten verschiedener Behörden auf Hammerskins eingegangen wird, werden die Chapter in der Regel als kleine Gruppen mit einem festen und hierarchischen Aufbau beschrieben, die elitär seien, sich konspirativ verhalten und eben auf „Binnenwirkung“ abzielen würden. Das Netzwerk der Hammerskins wird dabei nicht erfasst. Die Gruppen, die unter dem Einfluss der Hammerskins stehen, die an der Struktur der Hammerskin (wie Labels oder Treffpunkte) partizipieren, bleiben fast immer ausgeklammert. Nur in ganz wenigen Fällen wird überhaupt einmal die «Crew 38» erwähnt.
Im Berliner «Verfassungsschutzbericht» für die Jahre 2010 bis 2014 kommen die Hammerskins genau ein einziges Mal vor und zwar in dem Satz: „In Berlin sind im Netzwerk ‚Rechtsextremistische Musik‘ neben mehreren Bands und Liedermachern auch Einzelpersonen und Personenzusammenschlüsse wie die ‚Hammerskins‘ und ‚Vandalen‘ aktiv, die im Umfeld der Bands agieren und diese vor allem logistisch unterstützen.“ Diese Ansicht ist in zweierlei Hinsicht interessant. Zum Einen, dass die Hammerskins nur im Zusammenhang mit einem Musik-Netzwerk Erwähnung finden und zum Zweiten, dass sich nicht die Bands im Netzwerk der Hammerskins bewegen, sondern dass die Hammerskins im Umfeld der Bands agieren würden.
Ausgerechnet in Berlin, wo Neonazis aus Kreisen der Hammerskins in den 1990er Jahren mindestens zwei Menschen ermordeten, scheint man weiter bestrebt, die Hammerskin in das längst überholte Schema einer Musik-Organisation zu pressen. Die damit verbundene Suggestion „das ist doch nur Musik“ war in den 1980er und 1990er Jahren überaus wirkmächtig und hat in erheblichen Teil dazu beigetragen, Neonazis als „Jugendkultur“ oder „Subkultur“ zu verharmlosen. Daraus resultierte, dass diese Strukturen nicht entschieden bekämpft wurde und etlichen Menschen das Leben kostete.
Über das „HS-Sommercamp“ im August 2018 in Hessen schreibt der Inlandsgeheimdienst des Saarlandes, dieses habe „in der Hauptsache einen unpolitischen familiären Charakter“ gehabt. Doch wenn sich eine Organisation wie die Hammerskins, die sich als eine verschworene Elite im Kampf für einen neuen Nationalsozialismus versteht, zum Sommercamp trifft, dient das zur Stärkung der Gemeinschaft und der Erweiterung der Lebens- und Erfahrungswelt. Man lernt sich besser kennen, verbindet die Familien miteinander, führt vertrauliche Gespräche und schmiedet Pläne – in diesem Rahmen ist selbst das Suppekochen und das Aufpumpen der Hüpfburg eine politische Handlung, ganz zu schweigen von der Kindererziehung.
Wann erhält nach Ansicht deutscher Behörden eine Tätigkeit oder eine Gruppe einen „politischen Charakter“? Dazu braucht es nach Behördensicht das eindeutige Bekenntnis, politisch zu handeln – etwa durch die Durchführung eines Aufmarsches oder durch das Verfassen von Flugblättern und Bekennerschreiben.
Das dahinter stehende Politikverständnis ist überholt. Es reduziert Politik in unzulässiger Weise auf das, was sich selbst als politisch versteht und deklariert beziehungsweise auf öffentlich stattfindendes Handeln. Spätestens die feministische Bewegung hat deutlich gemacht, dass das Private politisch ist. Wird das vermeintlich unpolitische Privat- und Familienleben außen vor gelassen, ist ein Lebensbund wie die Hammerskins nicht zu greifen.
Keine Gruppe erkennbar
Im Jahr 2011 wurde gegen den Thüringer Neonazi Thomas Gerlach wegen der „Vorbereitung einer staatsgefährdenden Straftat“ ermittelt. Gerlach ist ein exponiertes Mitglied des Chapter «Sachsen». Auch vier weitere Personen, die in den Ermittlungen auftauchen, sind Hammerskins, darunter Dirk Bertram, der laut Polizei als enger Vertrauter von Gerlach beschrieben wird. Die Ermittler*innen brachten das Kunststück fertig, in knapp 1000 Seiten Ermittlungsakten nicht ein einziges Mal das Wort „Hammerskins“ zu erwähnen. Derartige Ermittlungs-Kapriolen sind bei diesem Thema keine Ausnahmefälle. Selbst wenn man in einem Ermittlungskomplex eine Häufung von Hammerskins vorfindet, wird der gemeinsamen Organisierung keine Bedeutung zugemessen, sie werden als Einzelpersonen betrachtet.
Dieses Vorgehen wirkt umso grotesker, wenn einem klar ist, wie in der Regel Ermittlungen gegen radikale Linke geführt werden. Selbst dort, wo keine Gruppen existieren, werden mit teils abenteuerlicher Argumentation Zusammenhänge und Mitgliedschaften konstruiert, um ein gemeinsames Interesse zu unterstellen und um die Ermittlungen und Repressionsmaßnahmen auf möglichst viele Personen ausweiten zu können. Beim Thema Hammerskins passiert seit Jahren das genaue Gegenteil.
Warum Behörden die Hammerskins schützen
Im Zuge der Nachermittlungen zum NSU-Komplex gab das Bundeskriminalamt im Januar 2013 einen Bericht mit dem Titel „Hammerskin Nation“ heraus. Es ist ein eindrückliches Dokument von Unwillen und Inkompetenz. In dem Bericht wird lediglich auf vier angeblich bedeutende Chapter eingegangen: «Sachsen», «Bremen», «Westmark» und «Bayern». Andere Chapter fehlen völlig, zum Beispiel die «Hammerskins Franken», die – beispielsweise durch ihre enge Anbindung an das neonazistische «Freie Netz Süd» und durch die Ausrichtung der „Frankentage“ – durch erheblich mehr Aktivitäten in Erscheinung traten als die Bayern. Auch werden Personen genannt, die nach Ansicht des BKA „Kontakte zu den ,Hammerskins‚ als Mitglieder oder Sympathisanten aufweisen„ würden. Dabei werden Neonazis, die auf (nicht internen) Veranstaltungen der Hammerskins kontrolliert wurden, zusammen mit Mitgliedern und Prospects aufgelistet, eine Unterscheidung wird nicht getroffen. Führende Hammerskins fehlen ganz, Namen sind falsch geschrieben und manche Person ist dem falschen Bundesland zugeordnet. Auch in diesem Bericht fehlt nicht der verharmlosende Hinweis, dass „dieses Netzwerk in der Bundesrepublik Deutschland abgeschottet“ sei und „mit Ausnahme von einer geringen Anzahl von Veranstaltungen keine größere Wahrnehmung in der Öffentlichkeit“ entwickeln würde. Zwar schreibt man über ein „Netzwerk“, ist jedoch offensichtlich unfähig, die Strukturen der Hammerskins entsprechend zu analysieren.
Eigentlich hätten die Hammerskins im September 2000 zusammen mit «Blood & Honour» in Deutschland verboten werden sollen. Zumindest war dies die ursprüngliche Absicht des Bundesinnenministeriums, das ein Verbot prüfen ließ. Der Inlandsgeheimdienst schlug dieses Ansinnen nieder. Ein Verbot der Hammerskins sei nicht anzustreben, so das BfV in einer Auswertung vom November 2000. So kam der Inlandsgeheimdienst – oder vielmehr auch die von ihnen bezahlten V-Personen – zu dem Schluss, dass es „keinen ‚Gesamtverein‘ der Hammerskins in Deutschland gibt“ und somit ein bundesweites Verbot nicht möglich wäre. Laut dem BfV ließen sich den Publikationen der Chapter «Sachsen» («Hass Attacke»), «Berlin» («Wehrt Euch») oder «Nordmark» («Warhead») durchaus eine „verfassungsfeindliche Zielrichtung“ entnehmen, aber dass sich die übrigen „Sektionen den Inhalt der jeweiligen nicht von ihnen erstellten Fanzines durch andere Verhaltensweisen zu eigen machen, liegen nicht vor“. Dabei wurde ignoriert (oder wohlweislich verschwiegen) dass bereits 1996 auf einem europaweiten Hammerskin-Treffen ein gemeinsames Regelwerk für alle europäischen Chapter beschlossen worden war. 1997 trafen sich Chapter aus mehreren Ländern zur „2. Gesamteuropäischen Versammlung der Hammerskins-Verbände“, auf der die Organisationsstruktur weiter gefestigt wurde. Seither gibt es regelmäßige Gremien-Treffen, auf nationaler Ebene NOM und international die EOM. Ein derart straffes Organisationsformat hatte «Blood & Honour» nicht.
Nach Ansicht vieler Ermittler*innen und «Verfassungsschützer*innen» sei ein Verbot kontraproduktiv. Die Logik dahinter wurde in vergangenen Jahren mehrfach beschrieben. So im Jahr 2019 in einem Artikel über die Organisation «Combat 18 Deutschland». Das Antifaschistische Infoblatt beschrieb 2016, warum aufwändige, jahrelange Ermittlungen gegen Nachfolgestrukturen des in Deutschland verbotenen «Blood & Honour»-Netzwerkes häufig nicht zum Abschluss gebracht wurden und versandeten: „Sicherheitsbehörden setzen ihre Priorität in der Regel darauf, tiefe Einblicke in die Strukturen zu bekommen, geleitet vom unbeirrbaren Glauben, diese dadurch unter Kontrolle zu haben. […] Ein zügiger Abschluss der Ermittlungen ist oft nicht von Interesse, denn mit diesem müssen die Überwachungsmaßnahmen eingestellt oder zumindest stark zurückgefahren werden.“.
Hinzu kommt, dass mit einer Anklage in der Regel auch V-Personen kompromittiert werden (müssten), da sie in den Gruppenhierarchien oft oben stehen und sich massiv an Straftaten beteiligen. Die Geheimdienste und auch die Polizeibehörden, die diese Spitzel „führen“, wollen sie als Informationsquellen behalten und deshalb schützen. Die Botschaft, der Behörden in die Neonaziszene senden ist deutlich: Eine Kooperation mit staatlichen Stellen sichert den Fortbestand von Gruppen und schützt vor Strafen.
Auch bei den Hammerskins gilt: Never change a running system. Der Informationszugang über die bezahlten Spitzel in der Neonaziszene steht über dem Willen, Organisationen zu zerschlagen. Quellenschutz steht auch hier über Menschenleben.
Die Schätzungen wie viele Neonazis in Führungsebenen als V-Personen geführt werden oder mit einem anderen Status den Sicherheitsbehörden als GesprächspartnerInnen dienen, belaufen sich auf zehn bis 15 Prozent. Wer nun die V-Leute bei den Hammerskins sind, ist müßig zu spekulieren. Bei einigen gibt es keine Zweifel. Um das Jahr 2000 waren es die sächsischen Hammerskin-Anführer Mirko Hesse und Steffen Kanzler, die sich heute noch (oder wieder) in der Szene bewegen. Doch kann es für Spitzel auch anders laufen: Im Thüringer Untersuchungsausschuss „Rechtsterrorismus und Behördenhandeln“ (2019) legte die Aussage eines V-Mann-Führer durch die Befragung der Linksparteiabgeordneten Katharina König-Preuss nahe, dass auch der Hammerskin Rene Weisse aus Altenburg in Thüringen zeitweise V-Mann war. Dies führte dazu, dass sich die Szene von ihm abwendete und sich seine Band «Brainwash» auflöste.
Im Süden war es der Karlsruher Roland Sokol, ein „Urgestein“ der südwestdeutschen Naziskinhead-Szene, der sich 2012 als beinahe 40-Jähriger – sicherlich in Absprache, möglicherweise sogar im Auftrag des Inlandsgeheimdienst Baden-Württemberg – den Hammerskins anschloss. Der V-Mann Sokol war zudem unmittelbar in den Aufbau und die Organisation des Kampfsport-Events «Ring der Nibelungen» eingebunden, das sich unter dem Namen «Kampf der Nibelungen» (KdN) zu einer der zentralen Strukturen der NS-Kampfsport-Szene in Europa entwickelte. Ein wichtiger V-Mann im NSU-Komplex war ebenfalls an die HSN angebunden, Thomas Richter spitzelte von 1994 bis 2012, also 18 Jahre, für das BfV und war zeitgleich Crew 38 Mitglied.
Wie anhand vielzähliger Beispiele in den letzten Jahren deutlich wurde, handeln einige dieser Spitzel in Absprache mit ihrer Gruppe und verkaufen ihrem „Dienst“ gefilterte Informationen. Im Gegenzug erhalten sie dafür Schutz vor Repression und Verbot. Das Resultat dessen ist dann in politischen Zumutungen wie den sogenannten «Verfassungsschutzberichten» zu lesen
Quellenschutz statt Zerschlagung
Seit der Beschäftigung mit dem NSU-Komplex ist das Vertrauen in die Geheimdienste in Teilen der Bevölkerung einer soliden Skepsis gewichen, ohne dass dies realpolitische Konsequenzen gehabt hätte. Im Gegenteil: Lediglich Thüringen zog eine Lehre aus dem NSU-Komplex, schaffte in weiten Teilen das V-Mann-System ab und gründete ein behördenunabhängiges Forschungsinstitut, um Erkenntnisse über die Neonaziszene zusammen zu tragen. In allen anderen Bundesländern sind die Geheimdienste absurderweise und trotz aller Skandale als Gewinner aus dem NSU-Komplex hervorgegangen. Sie erhielten mehr Stellen und vielerorts ein fast doppelt so hohes Bugdet, lediglich geknüpft an das leere Versprechen, aus den Fehlern gelernt zu haben. Und mehr noch: Vom Bundestag und vor allem von den Regierungsparteien CDU/CSU und SPD erhielt der Inlandsgeheimdienst gerade ein Bonbon. Der „Staatstrojaner“ erlaubt den Behörden – die Quellenschutz über Menschenleben stellen, Akten schreddern und die Neonaziszene finanzieren – nun ohne richterlichen Beschluss einen enormen Eingriff in die Privatsphäre aller in Deutschland lebenden Menschen.
Nach all den Fakten und Erkenntnissen, die hier zusammen getragen wurden, läge ein Verbot der Hammerskins auf der Hand. Das Innenministerium hätte ein leichtes, dies zu tun. Weder fehlt es an Informationen, noch kann es an Argumenten fehlen. Die Hammerskins sind ein internationaler Zusammenhang mit festen Mitgliedschaften, einer klaren und hierarchischen Organisationsstruktur sowie einer hohen Strahlkraft und Vernetzung in die Neonaziszene. Sie haben einheitliche Symbolen, eigene Statuten, einen loyalen und festen UnterstützerInnenkreis und ein rassistisches, antisemitisches, nationalsozialistisches also Weltbild. Gewalt und Terror sind Grundlage der Ideologie Sie beziehen sich auf terroristische Konzepte und glorifizieren Terroranschläge wie die von «The Order». Das wird nicht erst mit dieser Publikation bewiesen.
Schaut man aber auf das Verhältnis der Geheimdienste zu den Hammerskins wird klar, dass weder der Wille besteht, die Öffentlichkeit wahrheitsgemäß zu informieren, noch das Handeln der Gruppe zu unterbinden. Die Hammerskins dienen als klassisches Beispiel für die Nutzlosigkeit und die Gefährlichkeit der Geheimdienste und wie sehr ihre Arbeitsweise und die dahinterstehende Staatsräson die Gesellschaft gefährden.
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