Vor nunmehr 32 Jahren importierten Schweizer Neonazis das Konzept der neonazistischen Bruderschaft aus den USA nach Europa und gründeten 1990 die «Schweizer Hammerskins» (SHS). Drei Jahrzehnte, in denen das Schweizer Chapter durch Gewalttaten, politische Agitation und Einfluss auf das internationale RechtsRock-Geschehen auffiel. Bis zu 60 Personen durchliefen seit der Gründung nachweislich die Vollmitgliedschaft der SHS, etliche weitere schafften es über den Status als Anwärter nicht hinaus. Aktuell unterhält das Chapter bis zu 20 aktive Mitglieder. Hinzu kommt die unterstützende Struktur, die «Crew 38 Zentralschweiz».
In der Öffentlichkeit treten die «Schweizer Hammerskins» nur selten auf, und wenn dann meist im europäischen Ausland. Doch sie stellten stets eine Hintergrundstruktur der Schweizer Neonaziszene. Noch bis vor kurzem waren etliche Schweizer Hammerskins in extrem rechten Parteien wie der PNOS («Partei National Orientierter Schweizer») involviert. Auch im neonazistischen Kampfsport-Milieu mischen sie kräftig mit und sind dort für Labels wie «White Rex» und «Resistend Sportswear» verantwortlich.
Rechte Umbruchstimmung in den 1980er Jahren
Wie überall in Europa fasste die Skinhead-Kultur Mitte der 1980er Jahre auch in der Schweiz Fuß. Die losen Jugendgruppen waren größtenteils unpolitisch, nur wenige orientierten sich an der rassistischen „White-Power“-Ideologie, die vor allem durch die englische Band «Skrewdriver» und deren Frontmann Ian Stuart Donaldson propagiert wurde. Ab 1985 bildeten sich dann im Deutsch-Schweizer Grenzgebiet vermehrt rechte Skin-Cliquen. So entstand zwischen Schaffhausen, Aarau, Basel, Lörrach und Freiburg eine zusammenhängende Szene. In Zürich unterhielten rechte Skins um die Gruppe «Adlerhorst» zu dieser Zeit Kontakte zur englischen Neonazi-Partei „British National Party“ (BNP).
Parallel zur Entstehung der rechten Skinhead-Szene kam es in der Schweiz ab 1989 zum sogenannten „kleinen Frontenfrühling“ – eine Anlehnung an den historischen Begriff des „Frontenfrühling“, dem vorübergehenden Aufschwung einer faschistischen Bewegung in der Schweiz im Jahr 1933. Der „kleine Frontenfrühling“ beschreibt indes die Aufbruchstimmung innerhalb der Schweizer Rechten in den Umbruchjahren nach dem Mauerfall. 1989 marschierte die extreme Rechte erstmals seit dem Zweiten Weltkrieg in der Schweiz in Luzern auf. Vor dem Löwendenkmal, einem Erinnerungsort des Schweizer National-Mythos, versammelten sich Alt-FaschistInnen, moderne „FröntlerInnen“ und rechte Skinheads. Bis 1991 formierten sich diese „Fronten“ in weiteren Kleinstädten, mit dem Ziel einen politischen Umsturz zu provozieren. Allein während dieser zwei Jahre wurden sechs Menschen von den FaschistInnen getötet. Im Gegensatz zu den „Fronten“ organisierte sich die neonazistische Skin-Szene nicht in parteiähnlichen Strukturen, sondern war mit gut zwei Dutzend Gruppen und einem Potential von 150 bis 200 Personen, eher lose organisiert und vordergründig für ihre Straßengewalt bekannt.
Gründung der SHS als Wegweiser der europäischen «Hammerskin Nation» (HSN)
Die Stadt Luzern in der Zentralschweiz war ab 1989 ein Hotspot der neonazistischen Skinhead-Szene. Als Treffpunkt galt das Restaurant „Unterlachen“, wo Patrik Iten (*1968) aus Littau ein- und aus ging. Er produzierte bis 1993 das erste rechte Fanzine der Schweiz, das «Totenkopf»-Magazin, das er als „Rundbrief für kurzhaarige und glatzköpfige Froinde und Froindinnen“ beschrieb. Über das Heft pflegte Iten weltweit Briefkontakte. Unter anderen zu Ed Wolbank, dem Gitarristen der US-amerikanischen Neonazi-Band «Bound for Glory». Wolbank war zu dieser Zeit „Director“ der «Northern Hammerskins» in den USA und begeisterte Iten für die Idee, ein Chapter in Europa zu eröffnen. Mit diesem Leumund gründete Iten mit dem ebenfalls in Littau wohnhaften Carlo Albisser (*1970) 1990 die «Schweizer Hammerskins». Albisser, genannt „Gary“, ist bis heute dort aktiv. Er ist damit seit 32 Jahren Hammerskin: ein Alleinstellungsmerkmal innerhalb der HSN in Europa.
Als Gründungstag der SHS suchten sich Albisser und Iten den 17. August 1990 aus, den dritten Todestag von Rudolf Hess, Stellvertreter Adolf Hitlers. Das Schweizer Chapter war das europäische „Motherchapter“. Es sollte in den folgenden Anfangsjahren eine herausragende Position einnehmen und die Gründung neuer Chapter in anderen europäischen Ländern regulieren.
Eine der ersten wahrnehmbaren Aktivitäten der SHS war ein Sommerfest am 3. August 1991, das am Ufer der Reuss in Luzern stattfand. Ein Trinkgelage, bei dem 250 Liter Bier „vernichtet“ worden seien, wie später im «Totenkopf»-Fanzine zu lesen war. Im August des Folgejahres wurde erneut ein Fest organisiert, bei dem laut eigenen Angaben Gelder für ein „Behindertenheim“ und Stimmen für ein Referendum gegen den Europäischen Wirtschaftsraum (EWR) gesammelt worden seien. Im Verlauf dieser Zusammenkunft, an der Neonazis aus der ganzen Schweiz und dem nahen Ausland teilnahmen, kam es zu Übergriffen auf zwei People of Color (PoC).
Das Sommerfest im August 1993 wurde in Patrik Itens «Totenkopf»-Fanzine beworben. Der Ort des Geschehens wurde nur nach schriftlicher Anmeldung mitgeteilt. Das Fest sorgte für Aufsehen, da die Neonazis dort Hakenkreuzflaggen zeigten. Patrik Iten verließ 1996 die SHS einvernehmlich im „Good Standing“. Über die sozialen Netzwerke ist er bis heute mit Hammerskins der ersten Generation der SHS verbunden. Noch im Juni 2013 nahm er am von den «Italia Hammerskins» in Mailand (Italien) organisierten „Hammerfest“ teil.
Aufbau eines Unterstützer-Netzwerks – die SHS-AO
Vor allem durch die Sommerfeste bauten die bislang nur in Luzern aktiven Hammerskins Kontakte zu anderen Neonazi-Gruppen auf. Reger Austausch entstand insbesondere mit der «Nationalen Jugend Schweiz» (NJS) aus Weinfelden in der Ostschweiz. Deren Führungsfigur Pascal Lobsiger (*1974) schloss sich wenig später den «Schweizer Hammerskins» an, die Achse Luzern-Weinfelden entstand. Lobsiger stieg innerhalb der SHS schnell auf und übernahm unter anderem die Verantwortung für die Rekrutierung von Nachwuchs. Dafür rief er die «Schweizer Hammerskins – Aufbau-Organisation», kurz SHS-AO, ins Leben. Neben der NJS zählten dadurch bald die Gruppen «Kameradschaft Morgenstern» aus der Region Sempach, «Celtic Warriors» aus Affoltern am Albis im Kanton Zürich, «Radikale Mutschellen Front» aus dem Aargau und der «Patriotische Ostflügel» aus der Ostschweiz zum UnterstützerInnen-Netzwerk der SHS-AO. Der Hammerskin Daniel Bingesser gab später in einer polizeilichen Vernehmung zu Protokoll, dass er und der «Patriotische Ostflügel» sich als lokale Ortsgruppe der SHS verstünden. Die AnhängerInnen der SHS-AO wurden unter Lobsiger straff organisiert und ideologisch geschult. Die SHS-AO gilt somit gewissermaßen als Vorläufer-Organisation der späteren UnterstützerInnen-Gruppe der Hammerskins, der «Crew 38».
Schulungen fanden monatlich in Effretikon und Affoltern am Albis im Kanton Zürich statt. Affoltern am Albis blieb lange ein Kristallisationspunkt der «Schweizer Hammerskins». Um Kontakte zu anderen Chaptern aufzubauen und zu vertiefen, veranstalteten die SHS regelmäßige Sommerfeste in Hessenreuti bei Sulgen (Kanton Thurgau) sowie in Luzern.
Diese etablierten sich zum festen Bestandteil der Lebenswelt der Hammerskins, auch für jene aus dem europäischen Ausland. Laut einem Bericht aus Mirko Hesses Fanzine «Hassattacke» fanden sich im Juli 1994 unter anderen Mitglieder des Chapter «Ostsachsen» um Hesse, des Chapters «Brandenburg» und der «Charlemagne Hammerskins» aus Frankreich ein. Hesse stellte in einem seiner Fanzine-Berichte fest, „dass das Ganze extrem gut organisiert war“ und erwähnte Verkaufsstände, die von italienischen Neonazis betreut wurden. Bis 1994 zogen die Sommerfeste der SHS in Luzern jeweils 50-60 Neonazis an. An dem Fest im August 1995, dass nun anders als in den Vorjahren in Schönenwerd im Kanton Solothurn ausgetragen wurde, nahmen hingegen rund 200 Personen teil. Wie bereits bei den vorhergehenden Festen waren zahlreiche Neonazis aus dem Ausland zugegen. Erstmals organisierten die SHS eine eigene Security für das Event. Zu diesem Zeitpunkt hatten die Hammerskins bereits eine handvoll Chapter außerhalb der Schweiz eröffnen können – in Deutschland, England, den Niederlanden, Tschechien und Frankreich. Zusammenkünfte wie das Sommerfest der SHS dienten dem Austausch und wurden zu einer der Anlaufstellen für Anwärter und „Supporter of the Nation“. In ungezwungener Atmosphäre konnte man sich beim „Motherchapter“ vorstellen, um mit dem „Segen“ der Schweizer neue Chapter ins Leben zu rufen.
Andere verbindliche Treffen außerhalb dieser Partys gab es bis 1996 für die europäische Struktur der HSN noch nicht. Auch wurden in der Schweiz noch keine RechtsRock-Konzerte ausgetragen. Dafür reisten die Schweizer zu ihren „Brüdern“ nach Italien, Tschechien und Deutschland, wo vor allem die «Hammerskins Sachsen», gemeinsam «Blood & Honour» Konzerte mit hunderten Teilnehmenden organisierten.
Trotz einer fehlenden europaweit einheitlichen Struktur waren die Schweizer als Chapter zu diesem Zeitpunkt bereits straff organisiert. Dafür gründeten sie einen Verein mit Vorstand und Co. Diesem gehörten 1995 Carlo Albisser und seine Partnerin Myriam Gosztola (*1970), Patrik Iten, Reinhold Fischer, Roland E. (*1973) Peter Sulzer (*1963) und dessen Frau, Werner G., sowie Patrick M. und dessen Partnerin Melanie Q. (*1974) an. Mit dem Begriff „Vorstand“ waren die genannten Personen gemeint, die als „Officers“ ihres Chapters tätig waren und damit innerhalb des Zusammenschlusses eine herausragende Position einnahmen. Auch heute noch unterhalten einige zueinander Kontakt, etwa Fischer mit Peter Sulzer.
Schon damals wurde versucht, den Führungsanspruch innerhalb der neonazistischen Szene mit Gewalt durchzusetzen. „Die befehlen jetzt, wo es durchgeht“, erzählt ein Neonazi-Skin der Gruppe «Rechtsfront Olten» Journalist*innen, die im November 1995 einen längeren Artikel über die «Schweizer Hammerskins» veröffentlichen. Im Verlauf des Gesprächs bezeichnet der 25-Jährige Neonazi die SHS als „Psychopathen, die wahllos auf Ausländer losgehen“. Da er selbst bei den Angriffen nicht habe mitmachen wollen, stünde er auf der „Abschussliste“. Bei anderen Mitgliedern der «Rechtsfront Olten» blieb es nicht nur bei Drohungen durch die SHS. Zwei jugendliche Anhänger der Gruppe hatten im Oktober 1995 einem Fernsehsender ein Interview gegeben. Daraufhin seien Hammerskins „von auswärts“ gekommen und hätten sie geschlagen. Nun wolle man lieber schweigen, berichteten sie den Journalist*innen.
Gewalt im öffentlichen Raum – der Hochdorf-Überfall und seine Konsequenzen
Motiviert durch den Zulauf an Mitgliedern und dem Erstarken der Schweizer Neonazi-Szene nahmen die SHS am 23. September 1995 an der sogenannten „Blocher-Demo“ in Zürich teil. Christoph Blocher, Präsident der rechten Partei SVP («Schweizerische Volkspartei»), hatte unter dem Slogan „Ja zur Schweiz“ zu einem Groß-Aufmarsch gerufen, welcher letztlich mit massivem antifaschistischen Widerstand konfrontiert wurde. Unter Führung von Pascal Lobsiger agierte die SHS hinter den Polizeireihen und warf Steine auf die Gegendemonstrant*innen. Als der Polizei das Tränengas ausging, soll diese sogar die Neonazis aufgefordert haben, mit ihnen gegen die Autonomen zu kämpfen. Kurzfristig hatte dies keine strafrechtlichen Konsequenzen für die Neonazis. Vielmehr sahen die Polizeibehörden in den Hammerskins einen willkommenen Partner. Erst nach massivem medialen Druck wurden die Ereignisse in Zürich untersucht und juristisch verhandelt. Dabei spielte auch der einige Wochen später stattfindende Überfall in Hochdorf eine große Rolle.
Bestärkt von den Vorfällen im Rahmen der „Blocher-Demo“ in Zürich verschärften die SHS die Konfrontation mit den politischen Gegner*innen. Ein besonderer Fokus lag damals offenbar auf den Bewohner*innen des Züricher Stadtteils Niederdorf, im Volksmund „Niederdörfli“ genannt, die sie dem linken, antifaschistischen Spektrum zurechneten. Anlässlich des am 4. November 1995 stattfindenden 21. Geburtstages von Pascal Lobsiger kursierte innerhalb der SHS der Aufruf, die „Linken im Niederdörfli aufzumischen“. Eingeladen waren dazu ausgewählte Personen, die sich erst in Werd im Kanton Aargau sammeln sollten, um sich dann ins nahe „Niederdörfli“ nach Zürich zu begeben. Am Vortreffpunkt in Werd kamen schließlich rund 50 Neonazis zusammen, von denen die Polizei aber Wind bekam. Der ursprüngliche Plan wurde verworfen, das neue Ziel sollte Hochdorf im Kanton Luzern werden. Dort fand zu der Zeit das antirassistische „Festival für Völkerfreundschaft“ statt, hinter dem die Neonazis ein Antifa-Event vermuteten. Vor Ort angekommen, stürmten die größtenteils bewaffneten Neonazis die Feier im Kulturlokal „Braui“, verwüsteten den Saal und verletzten die Anwesenden. Einer Person am Einlass des Lokals wurde der Ellbogen zertrümmert. Nach zwei Minuten brutaler Attacke zogen sich die Angreifenden zurück.
Die Ereignisse in Hochdorf waren prägend für die Schweizer Antifa-Bewegung, da es sich um den ersten größer organisierten Überfall auf (weiße) linke Personen in der Schweiz handelte. Die Neonazis – in diesem Fall die Hammerskins – fingen damals bewusst an, in Räume zu drängen, um ihre Vormacht zu demonstrieren. Für die antirassistische, linke Bewegung wurde der Hochdorf-Überfall ein Schlüsselmoment hin zur Notwendigkeit, antifaschistischen Selbstschutz zu organisieren.
Wenige Tage nach dem Angriff in Hochdorf verhaftete die Polizei über 20 Neonazis und ermittelte insgesamt gegen mehr als 50 Personen. Der TäterInnen-Gruppe gehörten etliche Hammerskins an, darunter Personen aus dem Vorstand der SHS: Carlo Albisser, Peter Sulzer, Reinhold Fischer, Roland E. und Oliver G. (*1977), der damals Kassenwart der SHS war. Aus der SHS-AO waren beteiligt: Pascal Lobsiger, Daniel Bingesser, Oliver F. (*1980), Marcel Hufschmid und Oliver P. (*1976). Zudem wurde durch die Ermittlungen bekannt, dass die Hammerskins Patrick Erni, Alexander R. (*1976), Florian M. (*1975) und Marc G. (*1975) an dem Überfall beteiligt hatten, wie auch Hansjörg Felber, Adrian Segessenmann und Pascal Zarka, die erst in den darauf folgenden Jahren zu Fullmembern bei den SHS wurden. Auch Albissers Partnerin Myriam Gosztola wurde der Gruppe zugerechnet, gegen sie wurde jedoch nicht ermittelt.
Ein Großteil der AngreiferInnen wurde im Schnellverfahren mit „bedingten Haftstrafen“ zwischen sechs Wochen und drei Monaten belegt. Nur Pascal Lobsiger und zwei weitere Neonazis mussten sich als Protagonisten des Überfalls vor dem Luzerner Amtsgericht wegen Angriff, Körperverletzung, Sachbeschädigung, sowie Haus- und Landfriedensbruch verantworten. Im Prozess gaben sie an, sie hätten sich von der gewalttätigen Szene distanziert und würden nun ein gutbürgerliches Leben führen. Das Gericht glaubte ihnen und verurteilte Lobsiger lediglich zu einer Bewährungsstrafe von drei Jahren, sowie einer Geldbuße von 2000 Schweizer Franken. Erstaunlich war indes, dass alle Personen im polizeilichen Verhör großzügig Auskunft über die Organisation des Angriffs und die anderen Beteiligten gaben. Zudem wurden die Mitglieder des Vorstands der SHS benannt und Interna Preis gegeben.
Doch schien der Überfall von Hochdorf für einige Beteiligte eine Nummer zu groß gewesen zu sein. Aus Angst vor Repressalien wegen Mitgliedschaft in der Gruppe stand nun sogar die Auflösung der «Schweizer Hammerskins» im Raum. Nach dem Überfall wurde es verhältnismäßig ruhig um die SHS. Einige Mitglieder waren sich sogar unsicher, ob die Organisation überhaupt noch besteht, da das Kommunikationsnetz brach lag und keiner der Hammerskins wie gewohnt Newsletter oder Einladungen zu Treffen bekam. Obwohl einige Mitglieder nach dem Vorfall austraten, kam es nie zu einer Auflösung des Schweizer Chapters, stattdessen zu einer Neuorientierung. Noch 1996 schätzte die Bundespolizei das Personenpotential der SHS auf rund 50 Mitglieder und rechnete der SHS-AO über 200 Personen zu. Vermutlich beriefen sich die Behörden dabei auf die Informationen der Hammerskins selbst.
Im Jahr nach den Ereignissen in Hochdorf sammelten sich die SHS erneut, traten aber kaum mit wahrnehmbaren Aktivitäten auf. Politisch fanden die Hammerskins den Weg in die neonazistische Partei «Nationale Initiative Schweiz» (NIS), die sich im April 1996 in Zürich gegründet hatte. Abschließend kann jedoch nicht beurteilt werden, ob es sich bei der NIS um ein „legal-politisches“ Projekt der «Schweizer Hammerskins» handelte oder es einfach nur starke personelle Überschneidungen gab.
Auch über die Schweiz hinaus brachte das Jahr 1996 strukturell entscheidende Neuerungen mit sich. Denn die bestehenden europäischen Chapter sollten sich auf Drängen der Schweizer und Niederländer erstmals in ihrer Geschichte für ein gemeinsames Strategie-Treffen zusammenfinden. So traf man sich mutmaßlich im Mai 1996 in Italien, um eine einheitliche Organisierung der europäischen Hammerskins zu besprechen. Seit dem gilt auch in der Schweiz, dass Neumitglieder eine Probezeit durchlaufen müssen. Dies sollte den elitären Charakter in der Szene verdeutlichen. In der öffentlichen Wahrnehmung traten die «Schweizer Hammerskins» erst im April 1997 wieder in Erscheinung. Im „Niederdörfli“ in Zürich griffen sie über mehrere Stunden Menschen an, die sie der autonomen Szene zurechneten.
Wenige Monate später, am Wochenende des 7. September 1997, luden die SHS zur „2. Gesamteuropäischen Versammlung der Hammerskins-Verbände“ ein. Dieses Treffen, das im Kanton Schwyz in der Zentralschweiz stattfand, sowie das Treffen im Vorjahr in Italien, waren der Ursprung des „European Officers Meeting“ (EOM), das heute auf europaweiter Ebene mehrmals im Jahr stattfindet. Auf ihrer Webseite stellten die SHS später fest: „Die an diesem Gipfeltreffen festgelegten Grundsätze führten zu einer echten Einheit. Von nun an war Europa eine feste Bruderschaft und zusammen mit den USA, Kanada, Neuseeland und Australien verschmolz die Hammerskin-Bewegung nun definitiv zu EINER Nation“ (sic!). Fortan bezeichnete sich auch der europäische Zusammenhang als «Hammerskin Nation».
1997 gaben sich die SHS ihr eigenes mehrseitiges Regelwerk, das auf den allgemeinen Richtlinien der HSN basierte. So wurde etwa ein fester Jahresbeitrag von 40 Schweizer Franken festgelegt, mit dem unter anderem der monatliche Newsletter (das «Hammer»-Fanzine) finanziert werden soll. „Interessenten (ab 18 Jahren)“ sollen einen Fragebogen erhalten, den sie innerhalb von 14 Tagen „wahrheitsgetreu zurückzusenden“ haben, wie es im Regelwerk heißt. Sechs Monate habe sich der Anwärter einer Probezeit zu unterziehen, in der „vom Vorstand gestellte Aufgaben“ erfüllt werden sollen. Der Vorstand grenzt sich vom „einfachen“ Mitglied ab, wie man zwischen den Zeilen lesen kann. Denn „im Vorstand Beschlossenes wurde gut überlegt, auch wenn manchmal nicht gleich ein Ziel zu erkennen ist. Das Vertrauen in den Vorstand muss unbedingt bestehen wenn wir unsere Ziele erreichen wollen.“(sic!) Dem Vorstand beizuwohnen, sei „das höchste was ein Schweizer HS erreichen kann“. In diesen werde man hinein berufen, wenn eines der fünf bis sechs Vorstandsmitglieder inhaftiert wird oder anderweitig ausfällt. Dabei dulde man keine Ablehnung dieser Pflicht, denn „abgeschlagene Köpfe jederzeit ersetzen zu können zeugt von einer wahren Elite!“. Bis heute besitzt jedes Chapter ein Regelwerk, das sich auf die gemeinsam beschlossenen Statuten der «Hammerskin Nation» bezieht. Das aktuelle Regelwerk der Schweizer unterscheidet sich von dem Ende der 1990er Jahre in einigen Punkten. Die elitäre Ausrichtung und die hierarchische Struktur der Gruppe stehen weiterhin zentral, während einzelne Formulierungen aus dem alten Regelwerk fehlen – nicht zuletzt aus Eigenschutz gegenüber staatlicher Verfolgung.
Zuwachs aus der Romandie
Nicht nur in der deutschsprachigen Schweiz hatten sich die SHS ausbreiten können, auch in der französischsprachigen Westschweiz konnten Mitglieder gewonnen werden. Allen voran Olivier Kunz (*1974), Sohn eines Polizisten, der bereits 1991 die Neonazi-Partei «Partie Nationaliste Suisse et Européen“ (PNSE) mit gegründet hatte und ab 1994 unter dem Namen «Mjölnir/Mjölnir Diffusion» einen rechten Versand samt gleichnamiger Zeitschrift führte. Zu seinen engsten MitstreiterInnen gehörte seine Partnerin Karolina Wisniewska (*1978), Mehdi Pierre Barbezat (*1974) und Xavier Auderset.
Zugunsten der Hammerskins gaben die Neonazis um Kunz ab 1995 ihre Aktivitäten in der PNSE auf und formierten sich als «Romandie Hammerskins» (RHS) neu. Das «Mjolnir»-Fanzine bekam den Zusatz „La voix des Hammerskins suisse romands“ und wurde zur „Stimme“ des Chapters. 1996 hatte es bereits Ermittlungen gegen Kunz und Barbezat gegeben. Sie hatten im «Mjölnir» den Holocaust geleugnet und wurden dafür auch verurteilt. Bemerkenswert: Kunz erschien vor Gericht im T-Shirt von «Combat 18» und einem Hammerskin-Patch.
Olivier Kunz schrieb in einem internen Newsletter der europäischen Hammerskins, dass eine Autorisierung der «Romandie Hammerskins» erst 1997 erfolgt sei. Tatsächlich stellen die Hammerskins aus der Deutsch-Schweiz im selben Jahr im Regelwerk der SHS fest, dass es in der Romandie eigentlich keine eigenständige Sektion gäbe: „In der Schweiz gibt es nur eine Sektion. Die Mjölnir Sektion ist keine offizielle Sektion, sie besteht nur aus schweizerischen Sprachgründen und sorgt in der Französischen Schweiz dafür, dass unsere Mitglieder dort auch alles mitkriegen was in der SHS besprochen wurde.“ (sic!) Eine Widerspruch, der auf den schwelenden Konflikt zwischen Kunz‘ RHS und der europäischen Hammerskin-Struktur hinweist.
Im Jahr 1997 erhielten die RHS um Kunz erheblichen Einfluss auf das rechte Konzertgeschehen in Europa. Unter den Flaggen der «Schweizer Hammerskins», «Hammerskins Nederland» und der «Hammerskins Sachsen» fand ein erstes Konzert in St. Aubin bei Neuchâtel (Neuenburg) statt, an dem bis zu 400 Neonazis teilnahmen. Die Westschweizer Hammerskins übernahmen neben der Organisation des Konzertes auch die Security, während die bekannten Neonazibands «Fraction Hexagone» (FR) und «Celtic Warrior» (UK) auf der Bühne standen. Die Polizei tolerierte das Konzert und drängte die Gemeinde den Vertrag für die gemietete Mehrzweckhalle nicht aufzulösen. Ebenfalls schickte sie Journalist*innen vom Veranstaltungsort weg, um negative Presse zu vermeiden. Dies dürfte von den Hammerskins als Einladung verstanden worden sein, denn nur wenig später, im März 1998, wurde das nächste größere Konzert in Chézard-Saint-Martin im Kanton Neuenburg durchgeführt. Neben den Hammerskin-Bands «Odins Law» aus Kanada und «Corona Ferrea» aus Italien trat auch die deutsche Band «Noie Werte» auf. Ganze 35 Schweizer Franken kostete der Einlass zum Konzert, der über Kunz‘ «Mjölnir Diffusion»-Versand abgewickelt wurde. Um die 800 Neonazis aus ganz Europa reisten an. Aus Berichten deutscher Neonazi-Fanzines geht hervor, dass mehrere Autos der «Skinheads Chemnitz» vor Ort gewesen seien. Die Fanzines waren gefüllt mit Lob und glühender Begeisterung für das neu-erschlossene „Konzertparadies Schweiz“. Vor allem sächsische Neonazis um «Blood & Honour» und Hammerskins nahmen in der Zeit regelmäßig an den Konzerten teil.
Bis Herbst 1998 führte Kunz mit «Mjölnir Diffusion» und den «Romandie Hammerskins» Konzerte durch, die aufgrund des „hochkarätigen“ internationalen Line-Ups die europäische Szene in die Schweiz lockte. Erst im Zuge eines geplanten Konzertes u.a. mit der US-amerikanischen Band «Max Resist» am 19. September 1998 intervenierten die Westschweizer Behörden und der Regierungsrat verbot das Event. Aufgrund der gewachsenen Struktur der HSN konnte das Konzert jedoch kurzfristig nach Deutschland verlegt werden.
Mirko Hesse war mit weiteren sächsischen Hammerskins seit 1997 Stammgast auf den Konzerten von Kunz und half beim Auf-und Abbau. Er war unter anderen mit Kunz und dessen Partnerin Karolina Wisniewska 1997 zu Besuch bei den «Confederate Hammerskins» in Tampa, Florida (USA) gewesen. Bilder der Reise zeigen Hesse, Kunz und Wisniewska wie sie mit Waffen hantieren. Im Laufe des Jahres 1998 kam es jedoch zum Bruch der Westschweizer mit der Bruderschaft. Vor allem Olivier Kunz hatte damals heftigen Streit mit einzelnen europäischen Chaptern der HSN. Die Ereignisse überschlugen sich bereits im Frühjahr 1998 nach einem „European Officers Meeting“ (EOM) am 30. Mai in Amsterdam. Kunz hatte in einem Newsletter seines Chapters kritisiert, dass die Niederländer die französischen Hammerskin-Anwärter auf diesem Treffen „wie Sklaven behandelt“ hätten. Die Niederländer reagierten darauf wütend. In einem siebenseitigen Brandbrief hielten sie Kunz ein „rückgratloses Verhalten“ vor, da er seine Kritik über Mail und Fax geäußert hatte anstatt direkt auf dem EOM. Außerdem habe er schlecht über die europäischen Hammerskins gesprochen, als er in den USA zu Besuch gewesen war. Man warf ihm vor, der „Nation“ zu schaden und sie in Verruf zu bringen.
Darüber hinaus habe Kunz gegen das Regelwerk der HSN verstoßen, das besagt, dass Hammerskins nicht mit den Medien kooperieren dürfen. Kunz hatte am Dokumentarfilm „Skin or die“ mitgewirkt und sich und die «Romandie Hammerskins» dort porträtieren lassen. Er hatte den Regisseur 1997 sogar auf Konzerte wie das in St. Aubin eingeladen, wovon später Sequenzen im Film gezeigt wurden. Auch zeigt der1998 erschienene Film mehrere Anwärter, die auf die Bearbeitung ihres Mitgliederantrags warten. Der Film gab Einblicke in das Leben der Bruderschaft und Kunz nahm dabei kein Blatt vor den Mund. Er verglich die SHS mit der Waffen-SS und erklärte, die Hammerskins sollten führen und lenken, sollten Vorbild sein und voraus gehen. Er plädierte für gezielte und geplante Gewalt zur Abschreckung politischer Gegner und zur Durchsetzung ihrer Interessen innerhalb der Szene. Ziellose Kneipen- und Straßenschlägereien seien seiner Meinung nach zwar wichtig, aber das Mittel des durchschnittlichen Skinheads. „Unsere Brüder aus der Schweiz haben unsere Sache würdig vertreten und wir hoffen, daß die Einblicke nicht zu tief waren, auf das man uns keinen Strick daraus dreht.“ (sic!), stellte Kunz‘ enger Wegbegleiter Mirko Hesse in einem internen Rundbrief im Mai 1998 hinsichtlich des Films „Skin or die“ fest.
Letztlich konnten sich die RHS und das Chapter in den Niederlanden nicht einigen. So entschieden die „Romands“ auf einem Treffen der «Schweizer Hammerskins», ihre Aktivitäten als Hammerskins zum 2. August 1998 einzustellen, wie man in einem Newsletter mitteilte. Laut dem Schweizer Staatsschutzbericht gehörten den «Romandie Hammerskins» zum Zeitpunkt fünf Personen aus dem Kanton Neuenburg, zehn Personen aus den Kantonen Waadt und Genf sowie sechs weitere aus dem Kanton Wallis an.
Noch bis Ende 1998 jedoch bedienten sich vor allem Kunz und Wisniewska dem Label der Hammerskins – trotz offizieller Auflösung der RHS – und führten einige Großkonzerte mit Hilfe deutscher Hammerskins um Mirko Hesse durch. Aufgrund der Vertrautheit zwischen Kunz und Hesse sowie den Erfahrungen Hesses in der Durchführung von Konzerten in Ostdeutschland konnte das in der Schweiz verbotene Konzert mit «Max Resist» im September 1998 letztlich in Pölzig bei Leipzig stattfinden. Ralf Marschner, genannt „Manole“, aus Zwickau – B&H-Anhänger, NSU-Unterstützer und V-Mann – organisierte den Veranstaltungsort, die «Hammerskins Bayern» übernahmen den Saalschutz. Bis zu 600 Neonazis nahmen an dem Konzert teil. Durch Ermittlungen gegen die «Hammerskins Sachsen» wurde bekannt, dass Kunz und Wisniewska dabei 40 000 DM umgesetzt haben sollen.
Die Verbote der Konzerte der (Ex-)RHS um Olivier Kunz hielten in der Schweiz an. So wurde unter Mithilfe der Hammerskins um Mirko Hesse auch ein für die Schweiz geplantes Konzert am 28. November 1998 in Sachsen ausgetragen. Das Konzert mit den US-Bands «Intimidation One» und «Aggravated Assault» war intern als „Robert Mathews-Memorial“ beworben worden. Mathews gehörte in den 1980er Jahren der rechts-terroristischen Gruppe «The Order/Brüder Schweigen» in den USA an. Aus einer internen Kommunikationen wurde im Nachgang bekannt, dass an diesem Konzert auch Forrest Hyde teilgenommen hatte, der 1988 die Hammerskins in den USA mit gegründet hatte.
Im Jahr 1999 kehrten Kunz und Wisniewska der Bruderschaft endgültig den Rücken und gründeten mit weiteren Ex-Mitgliedern der RHS eine «Blood & Honour»-Sektion in der Westschweiz. Auch strukturierten sie ihren Versand «Mjölnir Diffusion» um. Im Frühjahr 1999 wurde dieser von der Polizei durchsucht, im Anschluss wurde vom größten Fund rassistischer Materialien in der Schweiz gesprochen. Tausende Tonträger, Zines, Videoaufnahmen und NS-Devotionalien wurden sicher gestellt, darunter auch rund 2 000 CDs der deutschen Band «Kraftschlag», die in der Bundesrepublik indiziert waren. Die CDs seien über die Kontakte von Kunz‘ Partnerin Karolina Wisniewska in Polen gepresst worden. Wisniewska war damals mindestens so umtriebig wie Kunz. Sie produzierte unter dem Namen «Goldtooth Records» CDs und war für das Layout zahlreicher Produktionen anderer Labels verantwortlich.
Die Romands um Kunz halfen dem Schweizer B&H-Netzwerk an Bedeutung zu gewinnen. Eine erste Sektion war bereits im Dezember 1998 in Basel entstanden und hatte den Grundstein dafür gelegt, dass sich 1999 weitere Sektionen in den Kantonen Aargau, Bern, Baselland, Zürich und Waadt bildeten. B&H erstarkte, weil sich die «Schweizer Hammerskins» in den Jahren nach 1995 strenger regulierten und auf „Qualität statt Quantität“ setzten. Bereits 1999 bezeichnete der Schweizer Staatsschutz das Verhältnis dieses Netzwerks zu dem der Hammerskins als angespannt. Laut szene-internen Informationen soll es gar eine regelrechte Feindschaft gewesen sein, die sich noch Jahre später entlud. Etwa auf einem Konzert 2008 in Wimmis im Kanton Bern, bei dem sich Mitglieder der beiden Organisationen eine handfeste Auseinandersetzung lieferten.
Auch das ehemalige RHS-Mitglied Heinrich Ariss aus Lausanne (Kanton Waadt), trug nicht gerade dazu bei, dass sich die Wogen zwischen den Westschweizern und dem Rest der HSN glätteten. Er hatte auch nach dem Ausschluss der Romands aus der „Nation“ 1998 das Fanzine „Race & Nation“ weiter produziert, in dem er die HSN als „undemokratisch“ kritisierte und es bedauere, dass die Romands ausgeschlossen wurden. Er schrieb, dies sei „ein großer Verlust“ für die „Nation“ gewesen. Heute ist Ariss über die sozialen Netzwerke mit einzelnen ehemaligen Hammerskins verbunden. Noch vor wenigen Jahren betrieb er in Lausanne die Yoga-Schule „Shiva Shakti Yoga Shala“.
In seinem Fanzine „Race & Nation“ rührte Ariss damals außerdem kräftig die Werbetrommel für die «International Federation of Hammerskins» (IFHS), die sich Ende der 1990er Jahre gegründet hatte und sich als Alternative zur HSN präsentierte. Der IFHS gehörten vor allem die „unautorisierten“ Chapter an sowie die, die aus der HSN ausgeschlossen wurden. So wie die «Charlemagne Hammerskins» (CHS) aus Frankreich, die sich in ihrem Sprachrohr «W.O.T.A.N» gar über die «Schweizer Hammerskins» lustig machten und dabei Carlo Albisser und Reinhold Fischer namentlich erwähnten. Man wünschte ihnen AIDS, denn man wisse, dass sie im Urlaub in Thailand gewesen seien – die „Senkgrube menschlichen Abfalls, wo natürlich alle wahren Arier ihre Ferien verbringen“, bemerkten die CHS hämisch. Aufgrund der tiefgreifenden Konflikte sollte es Jahre dauern, bis die Hammerskins in der Westschweiz wieder auf eigene Strukturen zählen konnten.
Olivier Kunz ist bis heute in der Neonazi-Szene aktiv und gehört den Hooligans der «Neuchâtel Casual Element» des Fußballvereins Neuchâtel Xamax an. Gemeinsam mit seiner aktuellen Lebenspartnerin Anja Schiffner aus Bautzen (Ostsachsen) tritt er in den sozialen Medien als Art rechte Influencer auf und bewirbt dort vor allem Neonazi-Marken wie «White Rex» und «Pride France».
Seine damalige Partnerin Karolina Wisniewska zog in den 2000er Jahren in die USA, wo sie noch 2011 als „Karolina88“ Grafiken für RechtsRock-Bands wie «Chaos88» und «Moshpit» aus Deutschland entwarf. Aktuell lebt sie in Philadelphia im Bundesstaat Pennsylvania und unterhält über die sozialen Netzwerke auch weiterhin regen Kontakt in die europäische Neonaziszene, darunter zum Ex-Hammerskin Mirko Hesse. In Philadelphia besucht Wisniewska offenbar regelmäßig nicht-rechte Hardcore-Konzerte, wie das „This is Hardcore“-Fest im Juli 2019. Dort stand sie am Rand auf der Bühne, schaute sich die Bands an und filmte – sie hatte schließlich einen VIP-Pass vom Veranstalter erhalten. Ein Schlag ins Gesicht für Bands wie „Jesus Piece“, deren Schwarzer Sänger beim Auftritt der Band, gemeinsam mit den vielen anwesenden People of Color, den Song „Oppressor“ ins Mikro brüllte – „Unterdrücker, eure Zeit wird kommen“, heißt es in dem Lied übersetzt. Wisniewska bedankte sie sich mehrfach u.a. bei den Veranstalter*innen für die großartige Zeit auf dem Konzert.
Auch Xavier Auderset und Mehdi Pierre Barbezat, einst Mitglieder der «Romandie Hammerskins», sind heute noch an die Neonazi-Szene angebunden. Während Auderset seine ersichtlichen Kontakte zur HSN über die sozialen Netzwerke pflegt, kokettiert Barbezat auch im realen Leben mit seinen Verbindungen zu den Hammerskins. So verbreitete er 2016 ein Foto, dass ihn mit Olivier Kunz und den damals noch aktiven Hammerskin Christophe Gruy zeigt. Das Foto entstand im Clubhaus des «Celtics MC Switzerland» in Crissier bei Lausanne. Diesem Motorradclub gehört Barbezat seit einigen Jahren als Fullmember an.
Neuorientierung in der deutschsprachigen Schweiz
Während in der Westschweiz in den Jahren 1997 und 1998 mehre größere Konzerte organisiert wurden, richteten die Hammerskins in der deutschsprachigen Schweiz „nur“ interne Treffen und Partys aus. So fand am Wochenende des 13. September ein „European Officers Meeting“ (EOM) mit bis zu 50 Personen in einem Gemeindehaus in Rigi-Scheidegg im Kanton Schwyz statt. Wenig später luden die SHS am 10. Oktober 1998 zur „1. Glatzenparty auf dem Mutschellen“ nach Berikon im Kanton Aargau ein, an der rund 140 Neonazis teilnahmen – auch aus Deutschland.
Das Postfach der SHS wechselte in der Zeit häufig seinen Sitz und wurde schlussendlich nach Berikon verlegt. Diese Veränderung ging mit einem Führungswechsel der SHS einher, denn ab 1997 wurde Reinhold Fischer (*1971), damals wohnhaft im nahen Rudolfstetten im Kanton Aargau, zum Strippenzieher des Schweizer Chapters. Fischer, genannt „Reini“, war schon in den 1980er Jahren in der rechten Skin-Szene aktiv und produzierte Anfang der 1990er Jahre das «Totenschläger»-Fanzine, welches vor antisemitischer Hetze strotzte. Er soll auch am «Hammer»-Zine beteiligt gewesen sein, welches ab 1997 zum inoffiziellen Sprachrohr der SHS wurde. Über das Postfach in Berikon wickelte Fischer zudem seinen «Non Konform Versand» ab. Dieser war lange Zeit der größte Neonazi-Versand in der Schweiz. Nachdem Fischer aufgrund seiner Aktivitäten seine Arbeitsstelle bei einem internationalen Konzern verlor, lebte er für einige Zeit vom Ertrag seines Versandhandels. Zudem lief auf seinen Namen ab 1997/1998 das „Nationale Infotelefon“, das Informantionen über Mobilisierungen und „praktische Tipps“ u.a. im Umgang mit bevorstehender Repression verbreitete. Sein Handel mit neonazistischer Propaganda und seine Beteiligung an einem Angriff führten dazu, dass er laut einem internen Rundbrief im Februar 2001 eine zehnmonatige Haftstrafe antreten musste. Während der Haft wurde er von der Szene finanziell unterstützt. So sollte etwa der Erlös eines Konzerts der «Kameradschaft Morgenstern» – die Unterstützergruppe der SHS – im April 2001 an „Bruder Reini“ gehen. Fischer lebt heute in Rotkreuz im Kanton Zug. 2009 erlangte er in Zürich das Höhere Wirtschaftsdiplom und ist als Dipl. Kaufmann tätig. Der passionierte Motorradfahrer scheint sich aktuell nicht aktiv in der Neonazi-Szene einzubringen, dennoch findet sich sein Profil in den sozialen Netzwerken in etlichen Freundeslisten bekannter (Ex-)Hammerskins. Darüber hinaus verbreitet er über soziale Medien rechte, verschwörungs-ideologische Inhalte, vor allem zur Corona-Pandemie.
Die Aktivitäten der SHS in der deutschsprachigen Schweiz beschränkten sich auch 1999 auf Grillfeiern sowie auf ein Mitwirken an einem Konzert im Juli. Auch der Schweizer Nationalfeiertag wurde eher in kleinerer Runde in Meilen im Kanton Zürich begangen. Doch die vermeintliche Inaktivität sollte nicht über die Bedeutung hinwegtäuschen, insbesondere in Bezug auf die engen internationalen Verflechtungen der SHS. Diese demonstrierten sie bei einer versuchten Aktion zum Todestag von Rudolf Hess am 17. August. Da in Deutschland die „Hess-Gedenkmärsche“ durch die Behörden unterbunden wurden, verlegten süddeutsche Neonazis mit logistischer Unterstützung der SHS ihre Aktivitäten in die Schweiz. Nach vielen Zwischenstopps und Polizeikontrollen sammelten sich letztlich rund 80 Neonazis vor der Deutschen Botschaft in Bern. Doch auch dort wurde eine Kundgebung nach kurzer Zeit polizeilich aufgelöst. Einen Monat später, am 11. September 1999, richteten die SHS erneut ein EOM im Raum Romanshorn bei St. Gallen aus, an dem rund 60 Hammerskins aus den Niederlanden, der Schweiz, Italien, Deutschland, Frankreich und England teilnahmen.
Wegbereiter zum RechtsRock-Paradies
Bis zur Jahrtausendwende organisierten die SHS in der Deutsch-Schweiz meist Feste – sogenannte „Trinkerkongresse“ – und übernahmen auf Konzerten befreundeter Organisationen Security-Aufgaben. Sie selbst organisierten lediglich eine handvoll Events, die selten mehr als 100 Neonazis anzogen. Die Organisation größerer Konzerte oblag zu diesem Zeitpunkt Olivier Kunz, der allerdings nicht mehr im Namen der Hammerskins agierte. Ab der Jahrtausendwende sollte sich das schlagartig ändern. Vor allem in Deutschland erhöhte sich der behördliche Druck, Konzerte mussten kurzfristig abgesagt werden oder wurden polizeilich gestürmt. Frust machte sich breit. In der Schweiz hingegen herrschte ein vergleichbar lascher Umgang der Behörden mit neonazistischen Konzerten. Die Anreise über die Grenze fand meist störungsfrei statt und auch an den Orten des Geschehens beschränkte sich die Polizei auf sporadische Kontrollen. In den angemieteten Turnhallen und Gemeindesälen waren die Neonazis unter sich. Das gemeinsame, massenhafte Zeigen des Hitlergrußes gehörte genauso zum Standard-Repertoire auf den Konzerten, wie die unzähligen Verkaufsstände, auf denen etliche strafrechtlich relevante CDs, Merchandise und NS-Devotionalien verkauft wurden. Zu nennen sei hier ein Konzert der «Schweizer Hammerskins» im April 2000 in der Grenzregion um Lörrach mit den Berliner Bands «D.S.T.» und «Legion of Thor». Beide Bands waren schon damals eng an die «Hammerskins Berlin» angebunden. Darüber hinaus ist das Konzert der SHS in der Reithalle Ettiswill im Kanton Luzern im Januar 2001 erwähnenswert, bei dem auch die deutschen Bands «Jungsturm» und «Eternal Fear» auftraten. Die Sänger der beiden Bands waren zu dieser Zeit in Deutschland Anwärter der «Hammerskin Nation». «Jungsturm» spielte nur wenige Monate später, im Mai 2001, erneut auf einem Konzert der SHS in der Nähe von Luzern. Die Konzerte waren die Präsentationsfläche der Hammerskin-Musikszene. Jedes Chapter brachte „ihre“ Bands mit und konnte sich dadurch profilieren. Die Einnahmen flossen direkt in die Strukturen der SHS, wie aus einem internen Rundbrief im Nachgang des Konzerts im Januar 2001 ersichtlich wird. So schrieben die SHS an ihre deutschen „Brüder“: „Durch eine erfreulich hohe Besucherzahl und enormen Durst der Kameraden konnten wir endlich mal wieder etwas in unsere Kasse hineingeben, was uns beim weiteren Kampf um unseren Klubraum bestimmt nützlich sein wird.“ (sic!)
Zu dem Aufwind rechter Konzerte in der Schweiz dürfte auch ein deutscher Neonazi beigetragen haben: Malte Frederik Redeker (*1976), aus Malsch in Baden-Württemberg. Er wohnte in Mexico, bis er 1999 in die Schweiz zog, um an der Universität in St. Gallen zu studieren. Im Januar 2000 wurde er Prospect bei den «Schweizer Hammerskins». Er war es vermutlich, der gemeinsam mit dem deutschen Chapter «Baden» am 24. März 2001 in der Ostschweiz ein Konzert u.a. mit «Celtic Warrior» organisierte. Anlass war der Geburtstag von Ulf Kaminski, der zum Zeitpunkt den «Hammerskins Baden» angehörte. Im Nachgang sei man mit der Organisation des Abends sehr zufrieden gewesen, verlautbarten verschiedene deutsche Chapter in ihren Newslettern. Redeker stand schon damals weltweit mit RechtsRock-Bands in Kontakt. Da sein Visum aufgrund seiner politischen Aktivitäten von den Schweizer Behörden nicht verlängert wurde, zog er 2001 nach Ludwigshafen in Rheinland-Pfalz, wurde jedoch 2002 Fullmember bei den SHS. 2003 gründete er das Chapter «Westmark». Heute ist Redeker „European Secretary“ der HSN und damit einer der führenden Hammerskins in Europa.
Einen tatsächlichen Erfolg innerhalb der Szene erzielten die SHS aber erst am 10. August 2002. An diesem Tag richteten sie das erste „European Hammerfest“ in Eggmas in der Gemeinde Affoltern im Albis aus, rund 17 Kilometer südlich von Zürich. Um die 1.300 Neonazis waren gekommen, darunter alleine 300 Personen aus Deutschland. Das Konzert war das dahin größte Neonazi-Event in der Schweiz und sorgte entsprechend für mediale Empörung. Auch wurde hierbei deutlich, dass die Behörden noch keinen adäquaten Umgang mit solchen Konzerten gefunden hatten. So wusste die Polizei im Vorfeld etwa nicht, wo das „Hammerfest“ stattfinden würde. Im Nachgang lobten die SHS sogar die Behörden. Sie hätten sich korrekt und höflich verhalten und hätten dem Wunsch entsprochen, Journalist*innen vom Event fern zu halten, wie später auf der Webseite der SHS nachzulesen war.
Als Antifaschist*innen eine Demonstration als Reaktion auf das „Hammerfest“ und die gewachsenen Strukturen in Affoltern im Albis durchführten, sammelten sich etwa 80 Neonazis im „Arche Pub“. Im Verlauf der Demonstration kam es zu Angriffen durch die Neonazis.
In der Schweiz obliegt ein wesentlicher Teil der Gesetzgebung und der polizeilichen Handlungsfähigkeit den einzelnen Kantonen. Durch diese Kleinteiligkeit war es für Neonazis einfach, Konzerte zu organisieren. Schon der Wechsel des Kantons macht es für Behörden schwer, diese zu verbieten. Auch wenn die Anzahl der Konzerte im Gegensatz zu denen in Deutschland der 2000er Jahren gering blieb, stellte die Schweiz einen sicheren Hafen für die europäische Neonazi-Szene dar. Konzerte konnten bei behördlichen Druck in Deutschland spontan in die Schweiz verlegt werden, denn in den kleinen Gemeinden störte sich kaum jemand an deren Durchführung. Auch ist der Umgang mit in Deutschland verfassungsfeindlichen Symbolen in der Schweiz lascher. Wird neonazistische Propaganda im nicht-öffentlichen Raum verbreitet, ist sie in der Regel nicht strafbar. Erst wenn sich etwa das Zeigen des Hitlergrußes explizit gegen Menschen richtet, um sie zu diskriminieren, kann dies zu strafrechtlichen Konsequenzen führen. Aufgrund dieser Umstände wurde die Schweiz von Journalist*innen vielfach als „RechtsRock-Paradies“ betitelt. Die Hammerskins waren dafür ein Wegbereiter.
Schweizer Hammerskin-Bands
Die Hofkapelle der SHS war die um 2000 gegründete Band «Dissens» um Sänger und Mitgründer der SHS, Carlo Albisser. Auftritte der Luzerner Band waren allerdings rar und genau gewählt. So spielte die Band gemeinsam u.a. mit «Noie Werte» auf dem ersten „European Hammerfest“ im August 2002 in Affoltern im Albis und ließ sich später vor allem auf Konzerte der HSN einladen, die szeneinternes Prestige versprachen. Zuletzt trat die Band nachweislich beim „Hammerfest“ im November 2007 in Italien auf. Nach längerer Pause erschien im Juni 2011 ihr dritter Tonträger „Weltenbrand“auf Malte Redekers Label «Gjallarhorn Klangschmiede». Im März 2013 legte «Dissens» eine Split-CD mit der argentinischen Band «Gladius» nach. Seit dem wurden keine Aktivitäten mehr festgestellt.
Jahre bevor «Dissens» ins Leben gerufen wurde, formierte sich bereits eine andere Hammerskin-Band in der Schweiz: «Erbarmungslos». Ein erstes Konzert konnte im Juli 1999 festgestellt werden. Am Mikrofon stand der damalige Hammerskin Daniel Bingesser (*1977) aus der Region Amriswill in der Ostschweiz, am Schlagzeug saß Hansjörg Felber (*1973), heute wohnhaft in Weinfelden im Kanton Thurgau. Beide waren als Täter des Hochdorf-Überfalls 1995 bekannt. Hansjörg Felber wohnt zwar in der Schweiz, gehört aber schon länger nicht mehr dem Schweizer Chapter an. Vor über 10 Jahren schloss er sich nämlich dem deutschen Chapter «Bayern» an. Mit den „Brüdern“ dieses Chapters nahm er unter anderem am „Joe Rowan Memorial“-Konzert im Oktober 2019 in Thüringen teil.
Im Kanton Thurgau ist Felber heute bestens ins gesellschaftliche Leben integriert, obwohl seine Aktivitäten bei den Hammerskins hinlänglich bekannt sind. In Märstetten betreibt der gelernte Forstwart eine Firma für Landschaftsgärtnerei und bietet seit 2020 unter dem Namen «Beaver Woodart» die Herstellung von Holzskulpturen an. Eine meterhohe Skulptur der „Irminsul“, die schon als Kulisse für Bandfotos von «Vargr I Veum» diente, steht in seinem Garten. Aber auch die Schützengesellschaft Lommis gehörte 2020 zu seinen Kunden. Für diese hat Felber ein riesiges Schweizer Karabiner-Gewehr geschnitzt. Er selbst ist Sportschütze und nahm im Mai 2017 an einem Wettkampf auf dem Schießstand in Bussnang teil. Angetreten war er für den Schützenverein Güttingen-Kesswill, dem er mindestens seit 2011 angehört. In Märstetten ist er zudem häufig in der nicht-rechten Kneipe „New Racing Bar“ anzutreffen. Zuletzt fiel Felber Antifaschist*innen im März 2021 auf, als er in Begleitung zweier jüngerer Neonazis der Gruppe «Junge Tat» an einem Aufmarsch von Corona-LeugnerInnen in Weinfelden teilnahm.
Im Gegensatz zu Felber bediente sich sein Mitmusiker Daniel Bingesser nicht am klassischen Skin-Look der 1990er Jahre. Das stach bereits Anfang der 2000er Jahre auf einem Konzert von «Erbarmungslos» ins Auge. Zu einem Shirt mit gekreuzten Hämmern trug Bingesser in diesem Umfeld ungewöhnlich lange Haare.
«Dissens» und «Erbarmungslos» spielten gemeinsam auf einem Sommerfest der SHS 2003 in Sörenberg im Kanton Luzern. Im selben Jahr erschien die einzige bekannte Musikproduktion an der «Erbarmungslos» mitwirkte, der Sampler „White Nation Vol. I“. Für die Produktion der CD sei die «Crew 38» verantwortlich gewesen, wie es im Booklet heißt. Der Sampler orientierte sich an dem Video-Format «Weisse Nation», dass als Sprachrohr der Hammerskins in Süd-Baden-Württemberg galt. «Erbarmunsglos» gab noch im April 2004 ein Konzert in Erlen im Kanton Thurgau. Es ist der letzte nachweisbare Auftritt der Band. Die Organisation dieses Konzertes wurde maßgeblich von Hansjörg Felber übernommen, während ihm Malte Redeker die schwedische Band «Endless Pride», sowie die Sängerin Lina Eriksson mit ihrem Projekt «Saga» vermittelt hatte. Chauffiert wurden die schwedischen MusikerInnen damals von deutschen Hammerskins. Weiter als zur Schweizer Grenze kamen sie an diesem Tag jedoch nicht, ihnen wurde die Einreise verwehrt. Trotz dessen besuchten rund 200 Neonazis das Konzert.
Daniel Bingesser stellte sein Wirken in der RechtsRock-Szene im Laufe der Zeit offenbar ein. Stattdessen widmete er sich einem neuen, „unpolitischen“ Projekt, der Pagan-Metal-Band «Asaviga». Bis heute ist er mit ihr als Sänger in der ganzen Schweiz auf kleineren Konzerten und größeren Metal-Festivals unterwegs. Stolz präsentiert die Band in den sozialen Netzwerken Flyer vergangenen Auftritte, u.a. mit der europaweit bekannten Schweizer Folk-Metal-Band «Eluveitie», wie auch mit der deutschen, rechts-offenen Band «Minas Morgul» aus Brandenburg. Eine ideologische Distanzierung zur extremen Rechten hat bei Bingesser offensichtlich nicht stattgefunden. Auf Konzert-Fotos von «Asaviga» stellten BesucherInnen während eines Konzerts am 27. Juli 2012 offen ihre neonazistischen Tattoos zur Schau, u.a. ein stilisiertes Hakenkreuz und das Symbol der „Schwarzen Sonne“. Das Konzert fand im Proberaum der Band in Zihlschacht-Sitterdorf im Kanton Thurgau statt, der auch eine kleine Bar beherbergt. Bingesser selbst ist großflächig mit Motiven aus der nordischen Mythologie tätowiert. Wie viele seiner Schweizer Ex-„Brüder“ ließ er sich die gekreuzten Zimmermannshämmer, hinterlegt mit einem Zahnrad, auf die Innenseite seines Oberarms tätowieren. Ein deutlicher Bezug auf Angehörige der Waffen-SS, die sich in der Zeit des Nationalsozialismus ihre Blutgruppe ebenfalls auf der Innenseite des Oberarms tätowieren ließen. Sein Hammerskin-Tattoo hat sich Bingesser mittlerweile überstechen lassen. Über die sozialen Netzwerke hält er jedoch weiterhin Kontakt zu etlichen, einst aktiven Hammerskins aus der ganzen Schweiz und trifft sich auch im realen Leben mit ehemaligen „Brüdern“, etwa mit dem SHS-Urgestein Patrik Iten.
Während sich Daniel Bingesser ab 2006 seiner Band «Asaviga» widmete, wurde sein damaliger „Bruder“ Hansjörg Felber im selben Jahr Gitarrist der Band «Vargr I Veum». Die Band sang größtenteils auf althochdeutsch über heidnische, germanische Sagen und Mythen. Der Name der Band stammt ebenfalls aus dem Althochdeutschen und bedeutet soviel wie „von der Gesellschaft verstoßen“ oder „vogelfrei“. Mit dem Projekt versuchten die Neonazi-Musiker im Metal- und Folkrock-Bereich Fuß zu fassen und gaben sich inhaltlich unpolitisch. Man könne der Band nichts vorwerfen, was gegen das Schweizer Rassismusgesetz verstoßen würde, bescheinigte ihnen selbst die Kantonspolizei Thurgau im Jahr 2012. Veröffentlicht wurden die ersten CDs jedoch bereits beim einschlägigen deutschen Neonazi-Label «PC Records».
Bei «Vargr I Veum» spielte auch der Hammerskin Pascal Zarka (*1973) aus Gossau und übernahm dort den Gesang. Zarka gehörte den «Schweizer Hammerskins» bereits Ende der 1990er Jahre als Prospect an und wurde im Dezember 2000 zum Fullmember. Sein Polterabend am 8. Dezember 2000 in St. Gallen wurde damals in der internen Kommunikation europaweit als Hammerskin-Party beworben. Noch bis Mitte der 2010er Jahre präsentierte sich Zarka auf Bandfotos mit Merchandise der HSN. Auch auf der Beerdigung des deutschen Hammerskins Maximilian Reichel im bayrischen Eiching im Juli 2013, sowie auf der des Hammerskins und V-Manns Roland Sokol in Karlsruhe im Oktober 2015, war Zarka zugegen. Bei letzterer trug er eine Bomberjacke mit den gekreuzten Hämmern auf der Brust, sowie das Chapter-Patch der «Hammerskins Bayern» am linken Ärmel. Demnach durchlief Zarka einen ähnlichen Werdegang wie sein „Bruder“ Hansjörg Felber. Auch dieser fing einst bei den SHS an, wechselte dann aber aus unersichtlichen Gründen zum Chapter «Bayern».
Einen ersten Auftritt absolvierte «Vargr I Veum» 2006 bei den «Hammerskins Franken» in Bayern, gemeinsam mit der bekannten deutschen RechtsRock-Band «Stahlgewitter». Auch in den folgenden Jahren war «Vargr I Veum» in Deutschland sowohl bei Konzerten der «Franken» als auch beim Chapter «Bayern» vertreten. In Marktheidenfeld in Bayern spielten sie im Juni 2008 im Rahmen eines neonazistischen Aufmarsches. Der letzte bekannte Auftritt in der Schweiz fand 2013 im Hammerskin-Treff «Absolut Pub» in Luzern statt. 2017 erschien ihre bisher letzte CD auf dem deutschen Hammerskin-Label «Wewelsburg Records». Hatte sich «Vargr I Veum» im Layout der ersten CD-Cover bemüht eher unverfänglich zu wirken, machte sie auf der letzten Produktion keinen Hehl aus ihrer Zugehörigkeit zur «Hammerskin Nation». Das Cover zeigt ein Foto der Band bei einem Auftritt in Frankreich, im Clubhaus der «Lorraine Hammerskins». Folglich war die Band auch nach 2013 live aktiv, da sich die «Lorraine Hammerskins», deren Flagge auf dem CD-Cover zu sehen ist, erst im Sommer 2014 gründeten.
Felber bestätigte dies in einem Interview mit der «Partei National Orientierter Schweizer» (PNOS) im Jahr 2021 und gibt an, dass er mit «Vargr I Veum» noch im März 2020 ein Konzert gegeben habe – möglicherweise im Rahmen des Winter-Camps der «Hammerskins Bayern», das vom 13.-15. März 2020 in Mühlbach am Hochkaiser (Österreich) stattfand. Auch sei eine neue CD in Aussicht, so Felber.
Allein dank antifaschistischer Veröffentlichungen wurden die neonazistischen Aktivitäten der Musiker von «Vargr I Veum» bekannt. Hansjörg Felber versteckte sich lange Zeit hinter dem Pseudonym „Dirk Haase“, angelehnt an seinen Spitznamen „Hase“. Der scheint auch bei der Namensfindung für seine aktuelle Band eine Rolle gespielt zu haben – «Rabbit and the Rebels». Die Gruppe gibt sich unpolitisch und covert unter anderem Lieder bekannter Rockbands wie «Motörhead» oder «Böhse Onkelz». Zuvor versuchte sich Felber mit einem ähnlichen Projekt, das den Namen «Elwood – Die Band» trug. Sowohl bei dieser, als aktuell bei «Rabbit and the Rebels» ist auch Felbers „Bruder“ Pascal Zarka unter dem Alias „Jimi Demensia“ aktiv.
Dass «Rabbit and the Rebels» lediglich Cover beliebter Rocksongs spielen würden, ist reine Selbstdarstellung. Eigentlich ist die Band ein Deckmantel für «Vargr I Veum». Dies bestätigten die Musiker in einem Live-Stream im Mai 2021, zu sehen auf dem Social Media-Profil von «Rabbit and the Rebels». In dem rund eine Stunde andauernden Video spielten sich Felber und Zarka schließlich durch einige der Alben von «Vargr I Veum». Die Live-Zuschauenden wussten offenbar genau Bescheid. Wie sonst erklärt sich, dass sich etwa Sylvain Ortet, führender französischer Hammerskin, Thorsten Wolff und Tanja Steinhagen-Wolff vom Chapter «Mecklenburg» sowie Stephan Haidt vom Chapter «Brandenburg» den Stream anschauten und von Felber im Video sogar persönlich gegrüßt wurden. Ein weiterer Gruß ging raus an „Onkel Lu aus Berlin“, also Michael Regener alias „Lunikoff“ aus Berlin. Regener war Sänger der RechtsRock-Band «Landser» und ist Frontmann der Neonazi-Band «Die Lunikoff Verschwörung». Mit Hansjörg Felber stand Regener bereits auf der Bühne. Das Lied „Walküre“, dass im Live-Stream von «Rabbit and the Rebels» unter anderem vorgetragen wurde, stammt vom zweiten Album von «Vargr I Veum». Im Stream wurde es wiederum „Erminio from Milano, mi Fratello“ gewidmet, man sehe sich „in Walhalla“. Mit „mi Fratello“, d.h. „meinen Bruder“, ist Erminio Rigamonti von den «Italia Hammerskins» gemeint, der im Mai 2021 verstorben war.
Widmungen für verstorbene Neonazis setzten sich im Verlauf des Proberaum-Konzerts fort. Die Rede war von Warren Meikle, Sänger der US-Band «Chaos 88», der im Mai 2021 verstarb. Er soll, so Felber, Ian Stuart Donaldson (Sänger der Szene-Kultband «Skrewdriver») und Joe Rowan (Märtyrer der HSN) „in Walhalla“ grüßen, sowie „Onkel A“ – Adolf Hitler. Unpolitisch war dieser Auftritt von «Rabbit and the Rebels» im Proberaum ganz und gar nicht. Vielmehr muss der öffentlich einsehbare Livestream als Darbietung eines RechtsRock-Konzertes gewertet werden, wenn auch nur im virtuellen Raum.
Tatsächliche Liveauftritte absolviert «Rabbit and the Rebels» vorrangig im „Redneck Club 66“ in Herisau bei St. Gallen – eine dreiviertel Stunde Autofahrt entfernt von Felbers Wohnort in Weinfelden – sowie im „5th Avenue Dartlokal“ in Gossau. Wie „unpolitisch“ auch die Live-Konzerte von «Rabbit and the Rebels» ablaufen, zeigt ein Video eines Auftritts im Dartlokal in Gossau. Schließlich gab die Band den Song „Tomorrow belongs to me“ der britischen RechtsRock-Kultband «Skrewdriver» zum Besten, wobei Felber den Refrain des Liedes um den Ausruf „Hail Victory“ ergänzte – „Sieg Heil“.
In den Lokalen in Herisau und in Gossau müssen sich die Neonazis nicht verstecken. Ganz im Gegenteil, ihre Bezüge zu den Hammerskins können ohne Konsequenzen offen zur Schau gestellt werden. Etwa im Frühjahr 2016 auf der Feier zum 50. Geburtstag von Martin Ramsauer, dem Betreiber des „Redneck Club 66“. Hier trug beispielsweise ein Gast, der aus Norddeutschland stammende Hammerskin Timm Ludwig, einen Pullover der «Hammerskins Westfalen». Ludwig – bis heute Fullmember beim Chapter «Pommern» – soll laut Erzählungen seiner „Brüder“ zu diesem Zeitpunkt in der Schweiz gewohnt haben.
Eine andere Kneipe, in der ebenfalls mehrere Dart-Automaten die Tanzfläche vor einer kleinen Bühne umgeben, nutzte Hansjörg Felber mit «Vargr I Veum» schon viel früher als Auftrittsort. Die Rede ist vom „Löwen Pub“ in Riedt bei Erlen. „Der grössere Teil der Band gehört zu meiner Stammkundschaft, und ich will mich mit ihnen nicht anlegen“, teilte der Wirt dem Tagblatt im Dezember 2012 mit, als dort ein von Felbers Band öffentlich beworbenes Konzert über die Bühne ging. Bilder eines Auftritts von «Vargr I Veum» in der Kneipe zeigen auch den deutschen Neonazi Nico Roth am Bass, der um 2013 Prospect beim Chapter «Westmark» war. An den Konzerten selbst nahmen mehrfach Hammerskins aus Deutschland teil, vor allem aus dem Chapter «Franken». Der „Löwen Pub“ diente jedoch nicht nur den ortsansässigen Neonazis um Felber als Bühne. Im November 2004 fand dort bereits eine Veranstaltung mit u.a. «Tollschock» aus Österreich und «Civico 88» aus Italien statt.
Ein weiterer Szene-Treffpunkt im Thurgau war die Bar „S‘Baluu“ in Frauenfeld (ehemals „Helvetia Bar“). Hierhin lud Hansjörg Felber 2012 zur Fußball-Europameisterschaft der Männer auch Neonazis aus Deutschland ein. Gemeinsam wurde am 9. Juni das Spiel Deutschland gegen Portugal verfolgt. Über soziale Netzwerke ließ er seine Kameraden an seiner Freude teilhaben: „in der helvetia bar beim fussbal mal wieder die richtige deutschlandfahne!!!!!! sehen zu dürfen“ (sic). Ob er dabei auf eine möglicherweise dort hängende Reichsfahne oder die Hakenkreuz-Flagge anspielte, ist unklar. Er versichere jedoch, dass die gemeinte Flagge „gottlob bei uns nicht verboten“ sei.
Öffentliche Auftritte der SHS in den 2000er Jahren
Anlässlich dem Nationalfeiertag – zum mythischen Gründungsdatum der Schweiz („Rütli-Schwur“) – finden alljährlich am 1. August auf der Rütli-Wiese unweit von Luzern Feierlichkeiten statt. Begleitet wurden diese in den 2000er Jahren von amtierenden Politiker*innen aus dem Bundesrat. Seit Ende der 1990er Jahre marschierten auch Neonazis auf und versuchten das Event zu vereinnahmen. Aus ihrer völkischen Sicht würden die Politiker*innen die Legende des „Rütli-Schwur“ missdeuten und missbrauchen. Es gehe um die Frage, wer das Recht hat, sich Schweizer nennen zu dürfen, denn als „Eidgenosse“ werde man geboren und Schweizer auf dem Papier könne jeder und jede werden, so der extrem rechte Duktus. Medien berichteten von über 100 Neonazis, die am 1. August 2000 geschlossen zur Rütli-Feier anreisten und die Rede des Bundesrats Kaspar Villiger lautstark störten. Ein Novum, das im Anschluss einen Aufschrei in der Schweizer Presselandschaft entfachte. Anführer des Mobs war der Hammerskin Pascal Lobsiger. Er war es auch, der eine Woche nach dem Vorfall dem Rundschaumagazin des Schweizer Fernsehens Rede und Antwort stand. Dort schwafelte er von Gewaltverzicht und einer Politisierung der Skinheads. Man wolle weg vom Image der betrunkenen, gewalttätigen Horden und sich als politische Kraft etablieren. Im Anschluss an das Interview verlor Lobsiger seine Arbeitsstelle.
Wenige Wochen nach dem Aufmarsch auf dem Rütli war Pascal Lobsiger maßgeblich an einem rassistischen Überfall in St. Gallen beteiligt. Am Abend des des 27. August trafen sich Neonazis aus der ganzen Schweiz in ihrem Stamm-Lokal „Old Fashion Bar“ in der Innenstadt. Spätnachts brach Lobsiger mit weiteren Neonazis auf, um an anderer Stelle weiter zu feiern. Wenige hundert Meter von der „Old Fashion Bar“ entfernt lag der „African Club“, wo Lobsiger und seine Begleiter auf zwei PoC, Besucher*innen des Clubs, trafen und diese angriffen. Es entstand eine Massenschlägerei, die laut einem Medienbericht durch die Polizei mit Wasserwerfern beendet wurde. Einer der Angegriffen gab wenige Tage später in einem Interview an, dass einer der Neonazis versucht hatte, ihn durch Würgen zu töten.
Der Aufmarsch auf dem Rütli wurde zum zentralen Momentum der wachsenden Neonazi-Bewegung. In den Folgejahren stieg die Zahl der rechten TeilnehmerInnen stetig, bis es 2005 zum Eklat kam. 750 bis 1 000 Neonazis störten massiv die offiziellen Bundesfeierlichkeiten und provozierten das bürgerliche Establishment. Diese Störaktion und eine Aktion am 1. August 2005 in Brunnen im Kanton Schwyz, bei der 600 Neonazis ungestört mit „Ausländer Raus“-Parolen durch den Ort zogen, waren die Höhepunkte eines rechten Mobilisierungszyklus. Danach verschärften die Behörden ihren Umgang und regulierten den Zutritt zu den Rütli-Feiern durch Einlasskontrollen. Die Neonazis verloren ihren wichtigsten Sammlungspunkt. Neben dem Rütli versuchte die Szene auch die historischen Feiern anlässlich der Schlachten von Sempach, Morgarten und Näfels zu vereinnahmen. Die Anlässe boten ihnen einen Ort zur Selbstinszenierung und suggerierten Anschlussfähigkeit. In Sempach am Winkelried-Denkmal übernahm die «Kameradschaft Morgenstern» – als engstes Umfeld der SHS – die Organisation des Gedenkmarsches, der bis heute durchgeführt wird. Die Hammerskins dominierten dort jahrelang das Bild. Auch, weil auf lokale Infrastruktur zurück griffen werden kann, schließlich wohnt der Hammerskin Thomas Wermelinger nur wenige hundert Meter vom Winkelried-Denkmal entfernt. Von den Behörden wurden die Hammerskins vor Ort mehr als lokaler Verein wahrgenommen, als eine neonazistische Organisation. Die Feier der Neonazis in Sempach ist insofern besonders, weil sie seit längerer Zeit konstant durchgeführt wird.
Auch die Rütli-Feiern waren weiterhin viele Jahre Anziehungspunkt der SHS. Noch im August 2012 tauchte die «Crew 38» als Mitveranstalter – nebst u.a. «Kameradschaft Morgenstern» und «Blood & Honour Schweiz» auf dem Flyer zu den neonazistischen Aktionen am Rütli auf.
Auch in Deutschland waren die SHS als Teilnehmende zu Gast, etwa auf den jährlichen „Gedenkmärschen“ für Rudolf Hess, die Mitte der 2000er in Wunsiedel hunderte von Neonazis aus ganz Europa anzogen. So fanden sich dort u.a. Thomas Wermelinger, Hansjörg Felber, Markus Martig und Marcel Hufschmid im Block der Schweizer am 21. August 2004 ein. Als Hammerskins gaben sie sich jedoch nicht zu erkennen. Ähnlich verhielt es sich am 20. August 2005, als die NPD zu einer Kundgebung anlässlich des Gedenkens an Hess nach Nürnberg mobilisierte. Schweizer Neonazis, darunter u.a. die Hammerskins Wermelinger, Martig und Benjamin Rothenbühler, wie auch der Hangaround Pirmin Wallimann, reisten mit einem Reisebus an.
Ein Hochzeitsbild gibt tiefe Einblicke
Im Juli 2005 feierten die SHS ihr 15-Jähriges Bestehen. Dafür mieteten sie das Gelände des Schützenvereins SV Winigraben in der Gemeinde Grossaffoltern bei Bern an, stellten dort ein Festzelt auf und richteten ein Konzert mit den bekannten RechtsRock-Bands «H8Machine» (USA), «English Rose» (England), «Blitzkrieg» (Deutschland), «Civico88» (Italien) und «Vérszerződés» (Ungarn) aus. Rund 350 Neonazis waren gekommen, dabei soll die Hälfte aus Deutschland gewesen sein. Später versuchten einige Teilnehmende ins nahe Burgdorf zu gelangen, vermutlich um ein dort stattfindendes antirassistisches Festival zu stören.
Wer zu diesem Zeitpunkt dem Schweizer Chapter angehörte, war damals weitgehend unbekannt. Jedoch gelangten Antifaschist*innen an ein Gruppenbild, dass bei der Hochzeit von Marcel Hufschmid (*1976), genannt „Hufi“, aus Dielsdorf im Kanton Zürich und Beatrice Schweizer im Jahr 2006 entstand. Bereits mehrfach wurde dieses Bild in antifaschistischen Publikationen veröffentlicht. Zu sehen sind rund zwei Dutzend Personen, die ihre Bomberjacken mit den Patches der SHS präsentieren. Neben Vollmitgliedern aus der Gründungszeit der SHS auch einige, die erst Ende der 1990er Jahre, bzw. in den Jahren ab 2000 zum Chapter dazu gestoßen waren.
Zu letzteren gehörte etwa Adrian Segessenmann (*1979), genannt „Schwed“, aus Kirchberg im Kanton Bern, der sich bereits 1995 am Hochdorf-Überfall beteiligte. Ursprünglich aus der rechten Skin-Szene kommend, suchte er schon im jungen Alter Anschluss an die völkischen „Altrechten“. Offenbar erfolgreich, denn 2003 wurde er Vorsitzender der extrem rechten, antisemitischen «Avalon Gemeinschaft». Zuvor war er Chef der «Nationalen Offensive Bern» (NO), der noch weitere Hammerskins angehörten. Laut dem Bundesamt für Polizei (fedpol) hätten die Hammerskins aufgrund mehrfacher Doppelmitgliedschaften, einen großen Einfluss auf die Ausrichtung der NO gehabt. 1999 kam es zu einem Überfall auf ein von Linken besetztes Haus in Bern, bei dem auch Schusswaffen eingesetzt wurden. Der Angriff wurde dem Spektrum der NO zugerechnet. Als es daraufhin im Mai 2000 in Bern zu Hausdurchsuchen gegen NO-Mitglieder kam, fanden die Ermittler*innen bei diesen Waffen und Splitterbomben. Auch die Webseite der SHS lief über Segessenmann, der 2005 zudem den Buchverlag «Neue Zeitwende» gegründet hatte. Mit der «Avalon-Gemeinschaft» ist er heute noch aktiv und referierte zuletzt im November 2019 über den „Nationalen Sozialismus im 21. Jahrhundert“, im Rahmen des „Völkischen Forums“ der «Nationalen Aktionsfront» in der Innerschweiz. 2021 fiel Segessenmann erneut durch seine Teilnahme an der Schlacht-Feier in Sempach auf. Dort trat er mit jüngeren Neonazis der Gruppe «Junge Tat» auf, die sich in der Schweiz momentan durch einen aktionistischen, gewalttätigen Habitus zu profilieren versuchen. Den SHS gehört Segessenmann heute noch an. Darauf deuten Fotos, die im Sommer 2021 entstanden, wo er einen Anstecker der «Hammerskin Nation» auf seiner Bauchtasche trägt.
Bemerkenswert war Mitte der 2000er Jahre zudem Segessenmanns Verbindung zum rechten Modelabel «Thor Steinar» aus Brandenburg in Deutschland. So ließ er 2006 eine Einzelfirma im Namen von «Thor Steinar» im Schweizer Handelsregister eintragen und sicherte sich so den Vertrieb der Marke in der Schweiz. Die Verkaufsdauer währte nicht lange. Bereits im April 2007 gab er die Geschäfte mit der Marke auf. Mit «Thor Steinar» befasste sich schon wenige Jahre zuvor der damalige Hammerskin Rafael Hernandez-Schmid, der ebenfalls auf dem Hochzeitsbild zu sehen ist. Auf ihn lief um 2004 der Webshop «Nevada», sowie ein gleichnamiges Ladengeschäft in Niederrohrdorf im Kanton Aargau, über das hauptsächlich Klamotten der rechten Szene-Marke verkauft worden sind. Sucht man heute nach den Verbindungen von «Thor Steinar» im Web-Archiv, gelangt man über den Domain „thorsteinar.ch“ zum «Nevada Shop».
Hernandez-Schmid politisierte sich bei den nationalistischen «Jungen Schweizer Demokraten» (JSD) und führte später um 2006 in Dietikon bei Zürich den rechten Szeneladen «London‘66» . 2008 schloss er ein Diplom als Marketingplaner ab und arbeitet seit 2018 laut eigenen Angaben als Marketing Manager bei der Meier Tobler AG. Wohnhaft sei er in Zürich. Bis 2020 studierte er außerdem an der Universität Bern und ist heute im Vorstand des Handballclub Mutschellen aktiv. Und: er ist Organisator von Sportevents. So war er mitverantwortlich für ein Public Viewing der Handball-EM 2020, das in Berikon im Kanton Aargau stattgefunden hatte. Eine Stadt weiter, in Widen, ist er außerdem seit einigen Jahren Präsident des Organisationskommitees des „Mutschälle Fäst“ – ein Volksfest, das als „größte im Schweizer Mittelland“ 2021 bis zu 25 000 Besucher*innen anlockte.
Benjamin Tschopp, der auf dem Hochzeitsbild die Insignien der HSN präsentierte, ist heute ebenso im Management tätig, als „Area Sales Manager“ im Bereich Export bei der Griesser AG. Tschopp bewegte sich noch bis vor wenigen Jahren im Umfeld rechter Hooligans des Grasshopper Club Zürich. Heute noch lassen sich etliche Neonazis hinter den „Likes“ seiner auf sozialen Medien geposteten Bilder finden, darunter ehemalige Hammerskins.
Stefan Graber, genannt „Speedy“, der auf dem Hochzeitsfoto ebenfalls posierte, bewegt sich hingegen in der Fanszene des FC St. Gallen, wie die Antifa Bern in ihrer Zeitschrift „lautstark“ im Dezember 2014 mitteilte. Aufgrund einer Sammelleidenschaft ist er seit einigen Jahr in Deutschland auf Release-Partys bekannter Markenschuhe anzutreffen – etwa in Hamburg und Berlin. Mit den Betreibern eines Sneaker-Geschäfts in Frankfurt am Main reiste er im März 2019 sogar nach Flimby in England, um die Produktionsstätte von „New Balance“ zu besichtigen. Auch Graber, der heute in Weinfelden im Kanton Thurgau wohnt, taucht in den sozialen Medien in der ein oder anderen Freundesliste bekannter, ehemals aktiver Hammerskins auf.
Ebenfalls aus St. Gallen stammt Reto Wäckerlig (*1977), genannt „Wäcky“. Seine Zugehörigkeit zu den Hammerskins wurde nicht erst durch das Bild von Hufschmids Hochzeit ersichtlich. Bereits im November 2003 nahm er mit weiteren Schweizern an der Jahresfeier der «Hammerskins Berlin» teil, die letztlich von Spezialkräften der Polizei aufgelöst wurde. Bilder der Polizeimaßnahme zeigen ihn in Bomberjacke mit Aufnäher der «Skinheads St. Gallen». Er dürfte bis heute öfter in Berlin anzutreffen sein, vorrangig bei Fußballspielen des BFC Dynamo. Seine Zugehörigkeit zum Berliner Fußballclub präsentiere er in den letzten Jahren häufig durch das Zeigen diverser Fan-Utensilien. Im Berliner Stadion müsste er sich wohl fühlen, tummeln sich im Fan-Spektrum des BFC Dynamo doch seit Jahrzehnten Hammerskins aus Berlin und Brandenburg. Wäckerlig ist bis heute als Abgesandter der SHS europaweit auf Treffen zugegen. Er nahm am „Hammerfest“ im November 2019 in Frankreich teil und trat zuletzt im Februar 2022 in Erscheinung, als er gemeinsam mit anderen SHS-Migliedern an einer Gedenk-Feier zum „Tag der Ehre“ in Budapest (Ungarn) teilnahm – wie auch die Jahre zuvor. Dabei trat er bisher offen als Hammerskin auf – anders als seine „Brüder“ aus Deutschland, die ihre Zugehörigkeit mehrheitlich zu verbergen versuchen. Wäckerligs konstante politischen Aktivitäten in der Neonazi-Szene schienen jahrelang weder Einfluss auf seine berufliche Karriere, noch auf sein privates Umfeld gehabt zu haben. Bis mindestens 2016 war er als Brauer in St. Gallen in „der ältesten Brauerei der Schweiz“ – der Brauerei Schützengarten – tätig. Bilder zeigen ihn 2016 etwa am Ausschank beim Open-Air St. Gallen. Zudem engagierte er sich um 2011 bei der Freiwilligen Feuerwehr der Stadt. Dass die Hammerskins im Stadtleben St. Gallens nicht als Neonazis, sondern offenbar als „recht-schaffender Verein“ wahrgenommen werden, dafür spricht auch ihr Engagement auf dem Stadtfest. Am 17. und 18. August 2012 betreuten die SHS etwa einen Ess-und Bierstand auf diesem Großevent. Es ist unwahrscheinlich, dass sie sich dabei offen als Hammerskins zu erkennen gaben. Offen beworben wurde der Stand jedoch in den sozialen Netzwerken von Wäckerligs „Bruder“ Patrick Erni. Auf der Vereinsmeile in der Neugasse, mitten im Zentrum des St. Galler Fests, sollte es am Stand der SHS laut Ankündigung „feurig und würzig“ werden. Wäckerlig ist nicht nur ins Stadtleben St.Gallens eingebunden, sondern unterhält auch in die Organisierte Kriminalität gute Verbindungen – hauptsächlich zum Schweizer Ableger des «Hells Angels MC». Diese Kontakte nutzte er im Herbst 2012, um die rechte Bruderschaft «Nordic Brotherhood» zur Auflösung zu drängen. Diese unterhielt Ableger in Süddeutschland sowie in St. Gallen und war offenbar im Sicherheitsgewerbe tätig. Für die SHS bedeutete deren Existenz vor allem Konkurrenz innerhalb des Machtgefüge in der Neonazi-Szene. Dem «Hells Angels MC» dürfte es ums Geschäft in der Sicherheitsbranche gegangen sein. „Nun hat unser Bruder Wäcky sich am letzten Freitag in St.Gallen mit Rot-Weiss getroffen und man hat sich darin informiert/geeinigt , dass der Club Nordic Brotherhood aufgelöst sei.“ (sic), hieß es dazu in einer Mitteilung der «Schweizer Hammerskins» an die deutschen Chapter im Nachgang dieser Aktion. Die Nähe zwischen den Rockern und Hammerskins wird auch an einem anderen Beispiel deutlich. Stolz teilten die SHS im Januar 2013 ihren europäischen „Brüdern“ mit, dass sie „der größte Motorradclub der Welt“ gefragt hätte, ob sie bei einem Traktoren-Rennen im Juli 2013 in der Schweiz die „Security stellen und andere Aufgaben übernehmen könnten“. Dies ist insofern beachtenswert, da der «Hells Angels MC» für derartige Dienstleistungen in der Regel (unbezahlte) Mitgliedsanwärter ihres Clubs oder Support-Clubs einsetzen. Mit dem „größten Motorradclub der Welt“ ist ohne Zweifel der «Hells Angels MC» gemeint.
Dass einzelne Hammerskins sich heute konkret als Unterstützer des «Hells Angels MC» zur Schau stellen, erscheint beinahe logisch und ist in vielen Ländern zu erkennen. Denn mit ihren Ritualen, Insignien und Codes ist das Leben in der HSN die Kopie dessen, was in den großen Motorradclubs vorgelebt wird. Ein Beispiel dafür ist Markus Martig (*1979) aus Alchenflüh im Kanton Bern, der heute Mitglied des «Kodiaks MC Thun» ist. Diese verstehen sich als offizieller Unterstützer des «Hells Angels MC». Martig, der mittlerweile zum Stammpersonal der Aufmärsche der Corona-LeugnerInnen zählt, war seit Anfang der 2000er Jahre bei den SHS aktiv und gehörte diesen noch bis circa 2010 an. Mit seinen Austritt im „Good Standing“ ließ er sich sein „Crossed Hammers“-Tattoo am Oberarm mit einem Eintritts-und Austrittsjahr versehen. Bekannt war er in der Öffentlichkeit nicht nur als Hammerskin, sondern auch als langjähriger Aktivist der Neonazi-Organisation «Partei National Orientierter Schweizer» (PNOS), die sich um die Jahrtausendwende gegründet hatte. Er wurde sogar als Redner für das deutsche „Fest der Völker“ im September 2008 in Altenburg (Thüringen) angekündigt – vor Ort übernahm allerdings Segessenmann diese Rolle. Als Martig die PNOS in Emmental im Berner Mittelland aufgrund interner Differenzen verließ, dauerte es nicht lange bis Adrian Segessenmann 2011 zum stellvertretenden Vorsitzenden der Sektion avancierte. Wie bereits einleitend beschrieben stellte die PNOS ein wichtiges Agitationsfeld zahlreicher Hammerskins dar.
Wie in allen Chaptern der HSN gibt es bei den SHS prominente, exponierte Mitglieder auf der einen und die Unscheinbaren auf der anderen Seite. Zu letzteren gehört auch der gelernte Elektromonteur Patrick Erni (*1973) aus St. Gallen. Er übernahm bereits um die Jahrtausendwende die interne Kommunikation der SHS mit den deutschen Chaptern und war noch nachweislich bis Mitte der 2010er Jahre im Hammerskin-Forum unter dem Namen „Abyssus“ aktiv. Er schien dort häufig für die Schweizer zu sprechen und bot seinen „Brüdern“ den neuesten Merchandise der SHS an. Zum 20-Jährigen Bestehen des Chapters wurden 2010 sogar Energy-Drinks mit auf den Dosen abgebildeten gekreuzte Hämmern produziert. Wie alle anderen Hammerskins ist Erni sowohl in Europa wie auch weltweit mit seinen „Brüdern“ vernetzt. Schon im Oktober 2000 reiste er gemeinsam mit Hammerskins u.a. aus den Niederlanden in die USA, um am „Hammerfest“ teilzunehmen – den deutschen und italienischen Hammerskins hingegen wurde damals die Einreise verweigert. Jahre später zog es Erni wieder in die Vereinigten Staaten. Gemeinsam mit zwei weiteren SHS-Mitgliedern nahm er am „Hammerfest“ in Boise (Idaho) im Oktober 2012 teil.
Ähnlich öffentlichkeitsscheu ist der Hammerskin Matthias Wicki (*1979) aus Schachen im Kanton Luzern, der ebenfalls an der Hochzeit von Hufschmid 2006 teilnahm. Mit einem Teil der dort anwesenden Personen besuchte er ein Jahr später im Mai das „European Officers Meeting“ in Kirchheim an der Weinstraße . Organisiert wurde das Treffen vom Chapter «Westmark». Zu Wicki ist kaum etwas bekannt, doch ist klar: bis heute gehört er den SHS an. Das macht er in den sozialen Netzwerken durch den Gebrauch von Codes der «Hammerskin Nation» deutlich. Beruflich ist er als Polier in der Zimmerei Holzbau Schachen AG tätig und dort seit 2021 sogar Mitglied der Geschäftsleitung.
Auch die Hammerskins Jan Brunner und Marcel Bucheli (*1979) aus dem Kanton Luzern sowie Michael Lüscher (*1981) aus dem Kanton Solothurn, Brian Ruchti aus dem Kanton Bern und Matthias Rüfli aus dem Kanton Zürich mieden damals die Öffentlichkeit. Auch sie nahmen als Fullmember an der Hochzeit teil. Im Folgejahr, im Mai 2007, nahmen Lüscher und Bucheli zudem an einem von deutschen Hammerskins organisierten EOM in Rheinland-Pfalz teil. Neben den bisher genannten Fullmembern sind auch Prospects auf dem Bild zu sehen. Etwa Benjamin Rothenbühler (*1983) aus Holziken im Kanton Aaargau und Pascal Vogel aus Oberentfelden im Kanton Aaargau.
Ganz ohne Aufnäher auf der Bomberjacke fanden auch die Hangarounds Pirmin Wallimann (*1985) aus Hochdorf im Kanton Luzern und Marco Arber (*1984) aus Gränichen im Kanton Aargau ihren Platz auf dem Bild – wenn auch nur in der untersten Reihe, kniend vor den Fullmembern und Prospects. Rothenbühler, Arber und Wallimann reisten mit zig weiteren Mitgliedern der SHS ein Jahr später, am 26. Mai 2007, zu einer Feier des deutschen Chapter «Westmark», die in Kirchheim an der Weinstraße stattfand. Arber ist heute als Fullmember in der Bruderschaft aktiv.
Besonders auffällig an dem Hochzeitsbild von 2006 war, dass bei den SHS auch Frauen die Insignien der Bruderschaft tragen durften. In einer Reihe mit den anderen Fullmember präsentierte sich etwa Myriam Gosztola (*1970), genannt „Mimi“, mit dem Patch der HSN. In einem Interview mit dem sächsischen «Victory»-Fanzine gab sie schon 1996 an, dass es sogar noch viel mehr Frauen im Schweizer Chapter gegeben habe, viele wären jedoch nach dem Hochdorf-Überfall „ausgestiegen“. Gosztola gehört seit Anbeginn den SHS an und fand über ihren Lebenspartner Carlo Albisser den Zugang zu Bruderschaft. „Er hat mir sehr viel über die Bewegung, ihre Ziele und ihre Gedanken beigebracht“, teilte sie dem Fanzine mit. Gemeinsam mit Albisser, aber auch allein besuchte sie um die Jahrtausendwende Konzerte ihrer „Brüder“ in ganz Europa. Vor allem nach England hielt sie damals engen Kontakt. Bei den «Schweizer Hammerskins» war sie damals als „Officer“ tätig.
Die andere Frau auf dem Hochzeitsbild ist Roos Kraetzer Sturm (*1984) aus den Niederlanden, die sich zum Zeitpunkt als Prospect präsentierte. Sie gehörte noch bis mindestens 2015 dem spanischen Chapter an – wohlgemerkt als Fullmember – , genau wie ihr damaliger Lebenspartner Eduardo Chapela, der ebenfalls an der Hammerkin-Hochzeit 2006 in der Schweiz teilnahm und in Spanien ab 1999 die «Celtiberian Hammerskins» aufgebaut hatte.
Auf die anderen Hammerskins des Schweizer Chapters – Thomas Wermelinger, Hansjörg Felber, Carlo Albisser und Pascal Zarka – die ebenfalls auf dem Hochzeitsbild von 2006 zu sehen sind, wird im Artikel bereits an anderer Stelle eingegangen. Unklar ist hingegen, ob auch Patrick M., genannt „Dixie“, an der Hochzeit teilnahm. Dieser wurde gemeinsam mit Pascal Zarka im Dezember 2000 als Fullmember bei den SHS aufgenommen.
Treffpunkte und Clubhäuser
Dass es im Kanton Thurgau in der Ostschweiz regelmäßig zu rechten Konzerten kam, ist vor allem den Aktivitäten von Hansjörg Felber und Daniel Bingesser zuzuschreiben. Viele der Events fanden dabei vor allem in Kradolf statt, wo sich die Ostschweizer Hammerskins im „Teigi Areal“ eingerichtet hatten. Die ehemalige Teigwarenfabrik beherbergte im Laufe der Jahre den Proberaum von «Vargr I Veum» und wurde vom «Patriotischen Ostflügel» (POF) genutzt, den Bingesser um 1995 mit gegründet hatte. 2008 lud der POF zu einem Fest nach Kradolf, auf dem auch die deutsche Hammerskin-Band «White Voice» auftrat. 2010 kündigte der Vermieter den Neonazis ihren „Clubraum“, wie sie ihre Räume im „Teigi Areal“ selbst bezeichneten. Neun Jahre hatten sie die Räume nutzen können.
In Malters im Kanton Luzern versuchte die SHS ab dem Frühjahr 2000 ein Clubhaus zu etablieren. Im Gewerbegebiet der Stadt wurde dafür eine 250 Quadratmeter große Immobilie angemietet, die „Nibelungensaal“ getauft wurde. Das Gebäude war nicht nur für Konzerte geeignet, sondern beinhaltete auch dutzende Schlafmöglichkeiten. Die Menge an Events schoss merklich in die Höhe. Die Polizei listete allein für das Jahr 2000 elf Veranstaltungen auf, die in dem Objekt stattfanden. Meist belief sich die Zahl der Teilnehmenden auf unter Hundert. Zu Anlässen wie der 10-Jahresfeier der SHS sammelten sich dort jedoch bis zu 200 Neonazis aus ganz Europa. Im Anschluss der Feierlichkeiten zum runden Geburtstag richteten die Schweizer zudem ein „Summercamp“ in Andwil in der Ostschweiz aus.
Das Clubhaus in Malters diente auch als Treffpunkt der «Kameradschaft Morgenstern» (KMS), die sich als Unterstützergruppe der SHS begriff. Sie feierte im „Nibelungensaal“ im April 2000 ihr siebenjähriges Bestehen. Die Verbindung zu den SHS liegt auf der Hand, es war schließlich der Hammerskin Thomas Wermelinger (*1976), genannt „Wermy“, der die KMS im Raum Sempach maßgeblich aufbaute. Der Landwirt betreute in den 2000er Jahren zudem das Postfach der «Crew 38».
Lange hielt die Freude über das eigenes Clubhaus allerdings nicht an. Schon Ende 2000 bekamen die Hammerskins aufgrund von Brandschutzauflagen ein Betretungsverbot für die Räume. 2002 wurden dann dem Vermieter alle Immobilien entzogen, teilten die SHS auf ihrer Webseite mit. Somit verloren sowohl die Hammerskins als auch die KMS ihren Treffpunkt. Die Kameradschaft versuchte es daraufhin mit einem neuen, kleineren Konzertlokal in Sempach, das bis 2009 genutzt werden konnte. Die Hammerskins wiederum hatten von 2004 bis 2006 Zugriff auf einen Bauernhof in Neuenkirch, wo auch Konzerte stattfanden. Das „Chalet Pilatus“ sei ein „topausgerüsteter Partyraum“, staunte die Neue Luzerner Zeitung 2006, als bekannt wurde, dass die SHS dort eine Feier zum Schweizer Nationalfeiertag ausrichten wollten. Dem Mieter Thomas Wermelinger wurde letztlich aufgrund des medialen Rummels eine kurzfristige Absage erteilt.
Zur selben Zeit, um 2005/2006, etablierte sich auch die «Absolut Bar» im nahen Luzern zum Treffpunkt der Neonaziszene. Viele Jahre später bezeichneten die SHS die Bar sogar als „ihre Kneipe“. Dies dürfte unter anderem daran gelegen haben, dass die Eigentümer freimütig die Räume für Privatfeiern her gaben. So konnte dort 2011 auch der Polterabend des Hammerskins Christophe Gruy stattfinden. Das Lokal war in dieser Zeit offenbar in den Händen von Unterstützern des «Hells Angels MC» – Bilder in den sozialen Netzwerken zeigen den Bar-Chef mit „Support 81“-Merchandise. Im Frühjahr 2012 schloss die Kneipe, wurde jedoch im selben Jahr von Daniel Villiger wieder eröffnet, der zum Nachwuchs der «Kameradschaft Morgenstern» gehörte. Deshalb konnte hier im Februar 2013 ein Konzert der Hammerskin-Band «Vargr I Veum» ausgerichtet werden, bis der Pub Ende 2013 endgültig schließen musste.
Einen neuen Treffpunkt erschloss sich die Szene ab November 2013 in der Romandie mit der Eröffnung des Lokals «Excalibar Taverne» in Bossonnens im Kanton Freiburg. Hervé Savoy, Betreiber der Bar, war Mitglied der Neonazi-Organisation «Corps Franc». In der «Excalibar Taverne» traten die Hammerskins aus der Romandie bis 2015 offen mit ihren Insignien auf. Ob in den Räumlichkeiten auch Konzerte der Hammerskins stattgefunden haben, ist nicht bekannt. Savoy ließ vor allem Pagan-Metal-Bands auftreten. Lange konnte sich das Lokal nicht halten. Bereits 2017 legte Savoy seine Geschäfte um die Bar nieder und ließ diese aus dem Handelsregister austragen. Seit Sommer 2020 betreibt der Neonazi ein Craft-Beer-Geschäft namens „L‘Abreuviste“ in Bulle im Kanton Freiburg.
Aktuell sind keine Kneipen oder Konzert-Locations bekannt, die von den «Schweizer Hammerskins» oder deren direkten politischen UnterstützerInnen-Netzwerk betrieben werden. Es ist jedoch davon auszugehen, dass vor allem im ländlichen Raum Kneipen und Waldhütten für Anlässe genutzt werden. Kneipen, wie das „5th Avenue Dartlokal“ in Gossau, der „Redneck Club 66“ in Herisau oder Immobilien befreundeter Motorradclubs. Ein Anlaufpunkt ist zudem immer wieder der Proberaum von Hansjörg Felbers Band «Rabbit and the Rebels», bzw. «Vargr I Veum» im Raum Gossau. Zudem dürften die Privathäuser der Hammerskins, wie der Bauernhof von Thomas Wermelinger, sowie Firmengebäude als Austragungsorte für Feste und Treffen herhalten. Schließlich sind viele der Hammerskins im Dorfleben fest integriert und werden durch ihr Engagement in den Vereinen geschätzt und akzeptiert. Dadurch ist es möglich auf Räume zurück zu greifen, deren Nutzung durch Hammerskins sich einer öffentlichen Wahrnehmung entzieht.
Ersichtlich wurde dies zuletzt bei einer Feierlichkeit der Neonazi-Gruppe «Eisern Luzern» am 14. August 2021, an der u.a. Hammerskins, sowie Mitglieder von «Blood & Honour» und «Junge Tat» teilnahmen. Ein Bauernhof – der „Hinter-Aetzleschwand“-Hof, rund 5 Kilometer südwestlich von Wolhusen im Luzerner Hinterland – diente als Austragungsort der Feier, auf der Felbers «Rabbit and the Rebels» (respektive «Vargr I Veum») spielten. Niemand hätte von dieser Zusammenkunft erfahren, schließlich liegt der Hof fernab des städtischen Lebens und eine Bewerbung des Events fand ebenfalls nicht statt. Nur ein verschwommenes Foto und ein kurzes Video in den sozialen Netzwerken lassen den Rahmen dieser Veranstaltung erahnen.
Ohne Außenwirkung finden letztlich auch die traditionellen Silvesterfeiern der SHS statt. Für eine dieser Feiern zum Jahreswechsel 2011/2012 wurde der damalige Hangaround Dominik Hulliger beauftragt, einen Raum zu finden, der bis zu 60 Personen fasst. Dafür fragte er Hütten im Berner Oberland an. Zum Jahreswechsel 2013/2014 waren sogar die finnischen Anwärter der HSN auf dieser Feier in der Schweiz zugegen.
Abschließend sei auch auf Räumlichkeiten hingewiesen, die von der PNOS für Veranstaltungen genutzt wurden. Die Partei war Wirkstätte vieler Hammerskins und um Repression zu vermeiden und selbst nicht als Hammerskins in der Öffentlichkeit zu stehen, trat die PNOS häufig als offizieller Anmelder von Events auf, die unter dem Aspekt der «Hammerskin Nation» betrachtet werden werden. Ein Vorgehen, dass auch aus anderen Ländern, insbesondere aus Deutschland, bekannt ist. Als etwa der deutsche Neonazi Philipp Neumann – zum damaligen Zeitpunkt Prospect der HSN – als Liedermacher «Flak» bei einer Veranstaltung der PNOS im Oktober 2016 in Kaltbrunn auftrat, steckte dort deutlich das Netzwerk der Hammerskins dahinter. Ein Jahr später war der Schweizer Florian Gerber für ein „Sommerfest“ mit Konzert im deutschen Kirchheim (Thüringen) als Vertreter der PNOS als Redner angekündigt. Auch hier wird nur durch einen genauen Blick ersichtlich, dass es sich um ein Konzert der «Hammerskins Franken» handelte und auch Gerber ist aktives Mitglied der «Schweizer Hammerskins». Solche Zusammenkünfte bieten Raum für Austausch, Rekrutierung und Vernetzung. Wenngleich sie nicht immer als Strategietreffen der HSN gewertet werden sollten, dienen diese zur Festigung der Organisation.
Nachwuchs aus dem Berner Oberland
Um das Jahr 2003 wurde vermehrt das Berner Oberland Schauplatz neonazistischer Aktivitäten. Immer wieder kam es zu Angriffen auf alternative Jugendliche, etwa im Ausgehviertel Selve Areal in Thun, dem „Tor“ zum Berner Oberland. Zudem tauchten im Oberland immer wieder antisemitische Flyer und andere rechte Propaganda auf. Zurückzuführen war dies auf den damals aktiven «Bund Oberland» um deren Hauptprotagonisten Mario Friso (*1983) aus Spiez im Kanton Bern. Bis zur Jahrtausendwende war er in antifaschistischen Zusammenhängen in Bern aktiv gewesen, bis er die Seiten wechselte. 2004 waren Friso und der «Bund Oberland» für die Verteilung der ersten Auflage der sogenannten „Schulhof CD“ in der Schweiz zuständig. Produziert wurde diese in Deutschland maßgeblich vom führenden Hammerskin Malte Redeker. Auf der CD wird zu den deutschen Hammerskins allerdings keine Verbindung hergestellt, zu den „Brüdern“ in der Schweiz schon. Denn es ist die «Crew 38 Schweiz», die u.a. als Unterstützer des CD-Projekts genannt wird.
Aus Frisos «Bund Oberland» entstand schon bald die «PNOS-Sektion Berner Oberland», mit der die Neonazis nun in der Öffentlichkeit auftreten konnten. Die Sektion sollte eine der stärksten Ableger der Partei werden und die politische Ausrichtung, vor allem im außerparlamentarischen Rahmen, stark beeinflussen. Mit der PNOS konnte sich Friso profilieren und Kontakte in ganz Europa knüpfen. Die Hammerskins waren für Friso schon frühzeitig ein wichtiger Bezugspunkt. Er war seit spätestens 2006 im «Crew 38»-Forum unter dem Namen „beoberland18“ angemeldet und hielt per E-Mail Kontakt zu Redeker. Im September 2006 lud er Thomas Gerlach als Redner zum Parteitag der PNOS in die Schweiz ein. Gerlach trat dort als Vertreter des «Kampfbund Deutscher Sozialisten» (KDS) auf, gehört seit der Jahrtausendwende allerdings auch den «Hammerskins Sachsen» an. Als Vertreter der PNOS besuchte Friso zwei Jahre später Gerlach in Sachsen, als dessen «Freies Netz» im Oktober 2008 zum «Nationalen Gesprächskreis» nach Zwickau einlud.
Friso wurde zum Multi-Funktionär der Neonazi-Szene im Kanton Bern. Er hatte die Webseite „Nationaler Beobachter Oberland“ initiiert und stieg spätestens ab 2008 auch ins RechtsRock-Geschehen ein. Gemeinsam mit den Mitgliedern der bekannten Schweizer RechtsRock-Band «Indiziert» half er gelegentlich als Livemusiker bei der deutschen Kult-Band «Kraftschlag» aus. In der Zeit gründete er außerdem das Label «Holy War Records», was südlich von Bern in Brienz von einem «Verein Meinungs- und Redefreiheit in Kunst und Medien» betrieben wurde. Als Ansprechpartner galten Marco Gaggioli (*1990) und Marcel Gafner. Das Postfach in Brienz betreute unterdessen Dominik Hulliger (*1988), ehemals Vorsitzender der «Helvetischen Jugend» (HJ). 2009 trat Friso als Vorsitzender der PNOS zurück, Gaggioli und Gafner traten die Nachfolge an. Im Dezember 2010 wurde Friso als Prospect bei den SHS aufgenommen. Hulliger und Gaggioli erlangten im Jahr 2012 den Prospect-Status. Gaggioli arbeitet bei der Spedition Gaggioli Trans GmbH in Fahrni bei Thun als Kraftfahrer. Das Gelände der Spedition, die offiziell von Marco Gaggiolis Vater geführt wird, bietet viel Platz für Zusammenkünfte, wie auch der Bauernhof der Familie in unmittelbarer Nähe. Auf letzterem scheinen die Neonazis um Gaggioli seit einigen Jahren eine Art Privatkneipe zu betreiben. Zuletzt konnte dort Anfang Juni 2022 eine Zusammenkunft festgestellt werden, an der bis zu 20 Personen teilnahmen, darunter Fullmember der SHS wie Friso und Gaggioli, wie auch Mitglieder des «Bund Oberland».
Bei den «Schweizer Hammerskins» wurde Mario Friso im Januar 2013 Fullmember. Er schloss eine Lehre zum Koch in Bern ab und sei laut eigenen Angaben in der „gutbürgerlichen Gastronomie“ und nebenbei in einem Altenheim tätig. In einer Selbstdarstellung im Internet heißt es außerdem: „Durch die Zusammenarbeit mit Mitarbeitern aus unterschiedlichen Ländern die Freude an der Kochkunst anderer Kulturen entdeckt, die mich vorallem privat nach wie vor begeistert“
Dominik Hulliger dürfte im Jahr 2014 Fullmember bei den SHS geworden sein, ähnlich wie Marco Gaggioli. Beide sind bis heute als Hammerskins aktiv. Im Februar 2019 nahm Gaggioli gemeinsam mit Mitgliedern der «Crew 38 Zentralschweiz» und u.a. dem Hammerskin Reto Wäckerlig am neonazistischen Gedenken zum „Tag der Ehre“ in Budapest (Ungarn) teil. «Holy War Records», dass Gaggioli mit betrieben hatte, wurde hingegen Ende 2013 aufgelöst.
Exkurs – Spuren des NSU in die Schweiz
Wie alle Prospects mussten auch Mario Friso und Dominik Hulliger bei allen Chaptern in ganz Europa vorstellig werden. So kam es, dass die beiden gemeinsam mit Frisos Partnerin Laura Matter Anfang April 2012 nach Deutschland fuhren, um Malte Redeker – zum Zeitpunkt bereits „European Secretary“ der europäischen Hammerskins – in Ludwigshafen zu besuchen. Nach einem kurzen Aufenthalt machten sie sich erneut auf den Weg, um von Mitgliedern des Chapter «Sachsen», u.a. Thomas Gerlach und Dirk Bertram, in Empfang genommen zu werden. Vier Tage übernachteten die Schweizer in Altenburg (Thüringen) und unternahmen Ausflüge, u.a. zur Frauenkirche nach Dresden oder zum Völkerschlachtdenkmal nach Leipzig.
Brisant ist ein Ausflug ins thüringische Jena im Rahmen des Kurztrips. Hier trafen sich die Schweizer u.a. mit Gerlachs engen Weggefährten André Kapke. Kapke gehörte wie Gerlach zum engsten Kreis um Ralf Wohlleben, der der rechtsterroristischen Gruppe «Nationalsozialistischer Untergrund» (NSU) die Waffe besorgte, mit der zwischen 2000 und 2006 neun rassistische Morde begangen wurden. Der NSU hatte sich wenige Monate vor dem Besuch von Friso, Hulliger und Matter selbst enttarnt. Mit Kapke und Gerlach führte Mario Friso bereits Jahre zuvor für das extrem rechte Portal «Volksfront Medien» Interviews.
Kurz nach der Selbstenttarnung des NSU im November 2011 gab Friso der Aargauer Zeitung ein Interview, in dem er sich zum Vorwurf äußerte, das Kerntrio des NSU gekannt zu haben. Er sagte, es sei ihm „unangenehm“ in Verbindung mit dem NSU gebracht zu werden. Und sowieso hätte er sich „vor über zwei Jahren von der Szene losgesagt“, log er die Journalist*innen an. Eine Lüge – Friso ist bis heute in der Szene umtriebig. Die Kontakte nach Sachsen hielt er weiterhin. Etwa im Herbst 2018, als er die «Hammerskins Sachsen» besuchte. Im Rahmen des Trips, den er mit Laura Matter unternahm, bekam er auch sein Hammerskin-Tattoo auf die Wade: zwei gekreuzte Hämmer, unterlegt mit der Schweizer Flagge. Dieses ließ er sich bei Peggy Schumann in ihrem damaligen Studio in Bad Schlema im Erzgebirge stechen. Schumann stammt aus dem Zwickauer Land und unterhält weitreichende Kontakte in die bundesweite Neonazi-Szene. Mit dem Hammerskin Thomas Gerlach steht sie im engen Austausch.
Um 2011 war Friso mit Gerlach auch bei den Hammerskins in Portugal zu Gast – eine Verbindung die aufhorchen lässt. Denn Gerlach stand wenige Jahre zuvor im Verdacht, Waffen für seine portugiesischen „Brüder“ beschaffen zu wollen. Ob Friso und die SHS mit den Deals etwas zu tun hatten, bleibt unklar. Aufgrund seiner engen Verbindung zu Gerlach wurde Friso bereits kurz nach der Selbstenttarnung des NSU in der Schweiz verhört. Natürlich bestritt er, mit dem NSU zu tun zu haben.
Eine andere Spur des NSU führt schon weitaus früher in die Schweiz. Nämlich ins Jahr 1998, als Olivier Kunz und die «Schweizer Hammerskins» am 11. April ein Konzert mit mehreren hundert Teilnehmenden in Concise, unweit von Neuchâtel, durchführten. Damals spielte u.a. die australische Kult-Band «Fortress», deren Sänger ebenfalls den Hammerskins angehörte. Am selben Tag fing das Landeskriminalamt Thüringen einen Anruf ab. Aus einer Telefonzelle in Concise wurde der Thüringer Neonazi Jürgen Helbig in Jena angerufen, der schon früh als möglicher Unterstützer des NSU in Frage kam. Die Person am anderen Ende der Leitung in der Schweiz soll Uwe Mundlos gewesen sein. Mundlos, Uwe Böhnhardt und Beate Zschäpe waren seit Anfang 1998 untergetaucht, nachdem die Polizei in einer von ihnen genutzten Garage eine Bombenwerkstatt ausgehoben hatte. Helbig hatte in den ersten Zeit des Untertauchens Kurierfahrten für die drei unternommen. In einer Vernehmung räumte Helbig ein, dass er in einem Päckchen, dass er überbrachte, eine Waffe vermutete. Auch die Waffe, mit der der NSU bis 2007 neun migrantische Kleinunternehmer und eine Polizistin tötete – eine Česká 83 – war im Frühjahr 2000 in der Schweiz beschafft worden.
Seit vielen Jahren nutzen deutsche Neonazis ihre Kontakte in die Schweizer Neonaziszene, um sich mit Waffen auszurüsten. Die schweizerische Waffengesetzgebung gilt schließlich als eine der liberalsten der Welt. Der Besitz und Erwerb ist allen Schweizern – und Ausländern mit Niederlassungsbewilligung – gestattet, solange diese u.a. keine Einträge im Strafregister haben. Sportschützen müssen nicht einmal einen Erwerbsschein nachweisen, um etwa an Jagd- oder Repetiergewehre zu gelangen. Bei Schießanlässen kann Munition vereinfacht erworben und sogar mit nach Hause genommen werden. Bilder eines Besuchs Bayrischer Hammerskins in der Schweiz im Januar 2020 zeigen, dass die gemeinsame Zeit auch für Trainings am Schießstand genutzt wird. Die Dimension des Waffenbesitzes ist in der Schweiz generell beachtlich.
„Die einzige Geheimwaffe welche die Schweizer Armee jemals besaß: Mich“, kommentiert der Hammerskin Florian Gerber ein Bild, dass er im Dezember 2019 in den sozialen Medien veröffentlichte. Das Bild zeigt eine Langwaffe mit Zielfernrohr. Als Angehöriger der Schweizer Armee hat auch Gerber Zugang zu Schusswaffen. Im Sinne der schweizerischen Waffengesetzgebung ist festgelegt, dass Angehörige der Armee ihre Dienstwaffe – ein Sturmgewehr der SIG SG550 – außerhalb der Dienstzeit mit nach Hause nehmen dürfen. Selbst nach der Ausmusterung als Soldat kann das Sturmgewehr oder die Pistole ins persönliche Eigentum übernommen werden. Laut einer Statistik aus dem Jahr 2010 befanden sich zum Zeitpunkt etwas mehr als eine halbe Millionen Armeewaffen in den Privaträumen von Soldaten. Dass dabei auch Waffen verschwinden, ist kein seltenes Phänomen. 2019 gingen 102, 2020 70 Waffen der Schweizer Armee „verloren“.
Neues Personal in der Deutsch-Schweiz
Ab 2010 bekamen die SHS – neben Friso und Co. aus dem Berner Oberland – auch in anderen Kantonen neue Vollmitglieder. Etwa Andreas Egli aus Frauenfeld im Kanton Thurgau. Er war 33 Monate Prospect, bis er im Frühjahr 2011 zum Fullmember aufstieg. Hämisch kommentierte der deutsche Hammerskin und „European Secretary“ der HSN, Malte Redeker, die lange Probezeit Eglis mit den Worten: „Glückwunsch an Egli. Ich war kurz davor ihm vorzuschlagen, dass er sich das legendäre ‚PFFP‘ tätowieren soll.“ Damit spielte Redeker auf das Kürzel HFFH an – „Hammerskins Forever Forever Hammerskins“ -, nur dass es im Falle von Andreas Egli „Prospect Forever Forever Prospect“ heißen soll. Statt dessen ließ sich Egli schließlich die gekreuzten Hämmer auf die Brust tätowieren. Auf seinen Mitglied-Status war er so stolz, dass er sich auch in den sozialen Netzwerken offen mit Fullmember-Merchandise zeigte. Lang hielt der Lebensbund für den Kranfahrer Egli offenbar nicht. Spätestens 2016 ließ er sich sein Hammerskin-Tattoo über tätowieren. In den sozialen Netzwerken ist er heute jedoch weiterhin mit (ehemaligen) Hammerskins verbunden.
Im November 2011 wurde zudem Pascal Baltisberger (*1982), genannt „Ötzi“, aus Hägendorf im Kanton Solothurn, Prospect. 2013 war er als Fullmember wahrnehmbar. Der Kraftfahrer ließ sich schon vor seiner Anwärterschaft den Schriftzug „Crew 38“ am Hals tätowieren.
Im Kanton Luzern stieß Severin Kunz (*1991) aus Grosswangen im Kanton Luzern über die «Crew 38» zu den Hammerskins. Stolz teilte er 2012 dem damaligen «Crew 38»-Anhänger Pascal Staudenmann aus Basel mit, dass über ihn Zippo-Feuerzeuge geordert werden können, auf denen das Logo der «Crew 38» eingraviert ist. Wenig später, im Juni 2014, präsentierte sich Severin Kunz mit Prospect-Patch, als er in Jamel in Mecklenburg-Vorpommern an der Hochzeit des langjährigen Hammerskins Alexander Mex teilnahm. Auch der Schweizer Neonazi Michael Kunz (*1993), genannt „Michel“, war auf der Feier zugegen und trug dort den Prospect-Patch. Gemeinsam mit Severin Kunz nahm er ein Jahr zuvor am 1. Mai 2013 an einem Aufmarsch in Würzburg (Bayern) teil. Die Umsetzung des Aufmarsches hatte das «Freie Netz Süd» übernommen, in dem damals zahlreiche Hammerskins aus dem Chapter «Franken» organisiert waren. Die beiden Schweizer liefen im Block um das «Aktionsbüro Rhein-Neckar», dass von Hammerskins des Chapter «Westmark/Westwall» dominiert wurde. Auch der „European Secretary“ der Hammerskins, Malte Redeker, befand sich in diesem Block in Würzburg. Michael Kunz ist heute Fullmember und nahm zuletzt, gemeinsam u.a. mit Reto Wäckerlig, im Februar 2022 an einer Gedenkfeier im Rahmen des „Tag der Ehre“ in Budapest (Ungarn) teil. Neben den beiden wurde Stefan Grossenbacher (*1992), genannt „Grosi“, aus dem Kanton Aargau im September 2012 als Hangaround aufgenommen.
Auch in der Ostschweiz konnten über die gefestigten Strukturen der «Crew 38» Neonazis an die Bruderschaft herangeführt werden. Das Postfach der Schweizer «Crew 38» verwaltete lange Zeit der Sempacher Hammerskin Thomas Wermelinger, während sich Reto Wäckerlig aus St. Gallen um die Beantwortung der E-Mails kümmerte. Beweisen konnten sich die Anhänger der «Crew 38» u.a. mit der Organisation von RechtsRock-Konzerten, wie im Februar 2012. Damals hatte die UnterstützerInnengruppe der SHS einen Balladenabend mit der deutschen Band «Act of Violence» in der Nähe von Sargans bei St. Gallen ausgerichtet.
Aus der «Crew 38» entwuchs ebenso der im Verkehrswesen tätige und südlich von Zürich wohnhafte Markus Bieri (*1985), genannt „Schweps“. Bekannt war er Antifaschist*innen bereits durch seine häufige Teilnahme an RechtsRock-Konzerten und Aufmärschen. Er wurde im April 2011 Prospect bei den SHS. Bieri, dessen Mutter im Osten Deutschlands lebt – wo er selbst auch ab und an zugegen war – reiste in seiner Zeit als Hangaround und Anwärter viel umher. Bereits im Oktober 2010 nahm er am „Joe Rowan-Memorial“-Konzert im ungarischen Sopron teil, reiste am 26. März 2011 zur 19-Jahrfeier der «Hammerskins Berlin» und war ein Jahr später im Oktober 2012 auf dem „Hammerfest“ in Boise (Idaho) in den USA zugegen. 2013 wurde er zum Fullmember gepatcht. Bieri ist offensichtlich sehr auf seine Privatsphäre bedacht. Als er 2017 mit etlichen weiteren SHS-Mitgliedern, Prospects und «Crew 38»-Angehörigen am Sportevent „Stairways to Heaven“ im Tessin teilnahm, meldete er sich offiziell unter falschen Namen an.
Im Frühjahr 2011 fand zudem Remo Vogel (*1992) aus St. Gallen als Hangaround Anschluss bei den SHS. Der Automechaniker wurde im Sommer 2012 Prospect, gab seine Patches jedoch nach wenigen Monaten wieder ab. Grund sei „Motivationslosigkeit“ gewesen, wie Bieri in einer internen Korrespondenz seinen „Brüdern“ mitteilte. Ganz im Gegenteil zu Florian Gerber (*1989). Damals wohnhaft in Kalthäusern im Kanton Thurgau, betätigte er sich schon als Jugendlicher in der Neonazi-Szene, vor allem in den Strukturen der Neonazi-Partei PNOS. Er durchlief dabei Positionen wie die des Jugendbeauftragten und war zeitweise Vorsitzender der «Sektion Glarus». Mit seinem Umzug nach Lotzwil in den Kanton Bern nahm sein Engagement für die PNOS nicht ab. Vielmehr noch stieg er innerhalb der Organisation auf und besetzte ab 2019 sogar das Amt des Vorsitzenden des Präsidiums der Partei. Die PNOS schien unter Gerber jedoch eher einzugehen. Anfang 2022 löste sich die Partei offiziell auf. Der Milchtechnologe Gerber wurde 2012 Fullmember bei den «Schweizer Hammerskins». Aktuell betreibt er zudem die «Fighttex AG» mit Sitz in Richenthal im Kanton Luzern. Die Firma ist seit 2017 offiziell Inhaber und Verkäufer der russischen Neonazi-Marke «White Rex». Über den Webshop bot Gerber bis vor kurzem auch Merchandise-Artikel der PNOS an.
Fehltritte und Konflikte
Für den 24. November 2012 wurde Gerber von den deutschen Hammerskins zu einem „National Officers Meeting“ in den Raum Stuttgart geladen, wo er sich im Namen der SHS zu den Vorfällen um den Schweizer Hammerskin Benjamin Haas aus Luzern, genannt „Pfannenhand“, äußern sollte. Haas hatte in den Jahren zuvor mehrfach im Alkoholrausch Schlägereien angezettelt und sich auf dem „Hammerfest“ am 3. November 2012 im französischen Toul sogar eigene „Brüder“ geschlagen, ein grober Verstoß gegen die Regeln der HSN. Die Wut und Enttäuschung gegenüber dem Schweizer Chapter war in der gesamten europäischen Hammerskin-Struktur groß, vor allem weil die Schweizer als Konsequenz Haas „nur“ eine Geldstrafe und ein mehrmonatiges Alkoholverbot auferlegten. Was nur aus dem „einstigen Vorzeigechapter“ geworden sei, fragten die «Hammerskins Franken» die SHS in einer internen Kommunikation. Und, sollten die Schweizer dem Hammerskin Benjamin Haas nicht unverzüglich die Mitgliedschaft entziehen, würde man den Kontakt zu ihnen abbrechen. Haas wurde letztlich von den SHS ausgeschlossen, „zum Wohle der Nation“ und im „Good Standing“, d.h. im Einvernehmen mit seinen „Brüdern“. Seine Hammerskin-Tätowierung musste er um sein Austrittsdatum ergänzen. Auch heute noch unterhält der Kranfahrer Haas über die sozialen Netzwerke Kontakt zu (ehemaligen) Hammerskins, wie Andreas Egli. In seiner Freizeit ist der derzeit in Wilihof bei Triengen (Kanton Luzern) wohnhafte Haas im Reitsport aktiv. 2019 nahm er an den Pferdesporttagen des Reitverein Wasseramt in Subingen (Kanton Solothurn) teil.
Nur wenige Monate bevor Haas gehen musste, wurde der Hammerskin Michael Dey, genannt „Wolverine“, im Juni 2012 aus dem Schweizer Chapter im „Bad Standing“ verbannt. Er habe sich nicht mehr bei seinen „Brüdern“ gemeldet und würde dem Chapter noch umgerechnet 1 000 Euro schulden. Dey sei als „vogelfrei“ zu betrachten, so die Schweizer.
Auch in anderen Belangen waren Entscheidungen der Schweizer durchaus umstritten. Als „Motherchapter“ in Europa wurde dem Chapter einst eine besondere Stellung zugeschrieben. Sie sollten darüber „wachen“, welche Personen der HSN beitreten und wirkten in einigen Fällen als Bürgen für diese. Die SHS waren es demnach auch, die sich um 2012 erneut für die Einbindung osteuropäischer Neonazis in die HSN einsetzten. Schon in den 1990er Jahren hatte es Streit um „nicht-autorisierte“ Chapter u.a. in Russland gegeben. Und auch 2012, als die Schweizer das Thema erneut anbrachten, sperrten sich vor allem die «Hammerskins Berlin» gegen eine Aufnahme der Russen. So lange es die «Hammerskins Berlin» geben würde, teilten sie ihren „Brüdern“ in einer internen Kommunikation mit, würde es keine Hammerskins in Russland geben. Letztlich wurde sich darauf geeinigt, dass die russischen Neonazis zumindest als «Crew 38 Moscow» auftreten dürfen – mit „Authorization from Switzerland“, wie man den T-Shirts der russischen Unterstützer entnehmen kann. Entschieden wurde dies auf einem EOM im Mai 2012 in Frankreich. „Die Jungs aus Moskau sind den Schweizer Brüdern sehr bekannt“, stellt Malte Redeker in einer internen Nachricht fest. Vor allem Matthias Wicki von den SHS stand im Kontakt zu den Russen.
Exkurs – Wirtschaftliche und gesellschaftliche Vorzüge
Im Zuge der Personenfreizügigkeit im Schengenraum wählten immer mehr Neonazis aus dem Ausland die Schweiz als Wohnsitz. Der Zuzug hat wenig Hürden und viele Vorteile. Wenn eine Arbeitsstelle gefunden wurde, ist das Einkommen im Vergleich zu Deutschland meist hoch. Auch einige Hammerskins aus Deutschland zog es im letzten Jahrzehnt in die Schweiz. Etwa Thomas Gerlach vom Chapter «Sachsen», der bis 2014 auch im Messebau arbeitete und dadurch in der Schweiz mehrfach beruflich unterwegs war. So unter anderem im Februar 2012, als er für vier Wochen in Genf Station machte. Bei dieser Gelegenheit kontaktierte er Schweizer „Brüder“ wie Mario Friso, um Treffen zu vereinbaren.
Andere Hammerskins aus Deutschland fanden unter der Mithilfe lokaler Neonazis feste Arbeitsstellen in der Schweiz. Stellvertretend dafür steht „Mobitoil“, die mobile Sanitäranlagen vermietet und ein Ableger der Condecta AG aus Kirchberg im Kanton Bern ist. Dort arbeitete Alexander Rohrbach aus Burgdorf im Kanton Bern, der Gitarrist der ehemaligen RechtsRock-Band «Indiziert». Er hatte Einfluss auf die Einstellungen in der Firma. Um 2012 verschaffte Rohrbach dem deutschen Hammerskin Robert Mohr vom Chapter «Franken» eine Anstellung bei „Mobitoil“, der daraufhin eine Weile in der Schweiz lebte. In dieser Zeit war Mohr offenbar mit den SHS im steten, persönlichen Kontakt und nahm an Konzerten seines „Bruders“ Hansjörg Felber und dessen Band «Vargr I Veum» im Kanton Thurgau teil.
Aus der Schweiz waren bei „Mobitoil“ außerdem die Hammerskins Adrian Segessenmann und Florian Gerber zeitweise angestellt.
Vor allem für Hammerskins im südlichen Baden-Württemberg sind aufgrund der räumlichen Nähe Jobs in der Schweiz attraktiv. Etwa für Benjamin Fischer, der die «Hammerskins Baden» 2000 mitgründete und auf deutscher Seite des Grenzgebiets wohnt. Er verdient seit mindestens 2007 sein Geld in der Schweiz. Seine Karriere als Ingenieur führte ihn aus dem Raum Möhlin bei Basel weiter nach Neuhausen am Rheinfall, bis er 2020 bei der BERFA AG in Wilchingen im Kanton Schaffhausen anfing.
Bastian Makowski (heute Bastian Fiedler), der dem Chapter «Baden» bis 2013 als Fullmember angehörte, wohnte um 2007 ebenfalls in der Schweiz, in Thayingen im Kanton Schaffhausen. Dort war er von März 2007 bis Mai 2011 Geschäftsführer und Gesellschafter der „Nivona GmbH“, bis diese sich in „Leafin AG“ umbenannte und er aus der Leitung austrat. Sowohl Benjamin Fischer als auch Bastian Makowski dürften ein hohes Einkommen erhalten haben. Gute Jobs in hohen Positionen sind auffallend für die Hammerskins, wenn nicht gar ein Alleinstellungsmerkmal innerhalb der extrem rechten Szene – auch bei den Schweizern.
Später zog es den deutschen Neonazi Michael Ruchhöft aus Sachsen-Anhalt in den Kanton Bern. 2019 gründete dieser die rechte Bekleidungsmarke «Resistend Sportswear». Zu dieser Zeit gehörte er den SHS als Prospect an. Auch der deutsche Hammerskin Timm Ludwig wohnte um 2017 in der Schweiz und war sichtbar an Hansjörg Felber von den SHS angebunden. Aktuell wohnt und arbeitet er allerdings wieder in Mecklenburg-Vorpommern. Als Ludwig im Januar 2013 zu einem „European Officers Meeting“ der HSN nach Fürth-Erlenbach reiste, wurde er u.a. von Michael Kurt Ackermann (*1990) begleitet, der früher – wie aktuell Ludwig – den «Hammerskins Pommern» angehört haben soll. Ackermann wohnt seit geraumer Zeit in der Schweiz – u.a. war er in Romanshorn wohnhaft – , bewegt sich in der Neonazi-Szene, unterhält heute jedoch keine offensichtlichen Verbindungen mehr zur Bruderschaft.
Erneutes Fußfassen in der Romandie
Mit dem Ausschluss von den «Romandie Hammerskins» um deren Hauptprotagonist Olivier Kunz 1998 lag der französischsprachige Teil der Westschweiz für die SHS viele Jahre brach. Es dauerte bis Ende der 2000er Jahre, bis sich Neonazis in der Romandie erneut an die «Hammerskin Nation» banden. Als Zugpferd galt dabei Christophe Gruy (*1974), der aus dem französischen Toul stammt. Seinen Spitznamen „Butcher“ bekam er, weil er mit seinem Umzug in die Westschweiz in Monthey im Kanton Wallis eine Fleischerei führte. Er wurde im April 2011 als vollwertiges Mitglied bei den SHS aufgenommen. Gruy gilt als überaus gewalttätig und wurde um 2013 im Register der Behörden mit dem Hinweis „bewaffnet“ erwähnt. Damals war er zur Schengenfahndung ausgeschrieben. Seit Ende 2017 bewegt sich Gruy vermehrt in Serbien, Polen und Tschechien und hält dort vor allem zu exponierten Anhängern um «Blood & Honour» und «Combat 18» enge Kontakte. Die „38“, die er auf dem Handrücken als Tattoo trug, hat er sich überstechen lassen – wie auch das Kürzel „HFFH“ auf den Fingern – und kokettiert aktuell auf Bekleidungsartikeln mit der „28“ – der Zahlencode für «Blood & Honour». Offenbar gehört er der HSN nicht mehr an.
Im Sommer 2012 wurde auch Michaël Biolley (*1988), geboren in Pompaples im Kanton Waadt, Fullmember. Gemeinsam u.a. mit Gruy besuchte er im Januar 2013 ein EOM, dass das deutsche Chapter «Westmark/Westwall» in Hessen geplant hatte, aber durch eine Veröffentlichung seitens Antifaschist*innen polizeilich aufgelöst wurde. Anders als im Mai des selben Jahres, als ein EOM im Süden Frankreichs ohne Störungen ausgerichtet werden konnte. Ein Bild dieses Treffens zeigt Biolley in voller Hammerskin-Kluft. Biolley, der den Spitznamen „Suce Nènè“ trägt, zog im April 2017 nach Tschechien, wo er Veronika Schwarzová heiratete. In Zliv, nahe České Budějovice (Budweis), gründete er 2018 ein Unternehmen, das sich laut Registrierung u.a. in den Sektoren Groß-und Einzelhandel, Transportwesen, Beherbergungsleistungen und Dolmetscherdiensten verortet. Zudem ist er im August 2022 als Security im Stadion des lokalen Fußball-Vereins eingesetzt worden. In České Budějovice kann er auf eine gefestigte Neonazi-Szene zurückgreifen und bewegt sich dort vor allem im Freundeskreis um Michal Moravec. Dieser war Sänger der tschechischen RechtsRock-Band «Imperium» und genießt sichtlich die Nähe zu Biolley und den Hammerskins. In den sozialen Netzwerken posiert Moravec etwa mit der Flagge der «Schweizer Hammerskins». Biolley ist heute nicht nur auf RechtsRock-Konzerten anzutreffen, sondern auch im Boxsport. In Tschechien fand er Anschluss an das Gym des Neonazis Tomáš Dubský, den «Perun Boxing Club», sowie an den Boxclub «SK Boxing z. s. České Budějovice». Aktuell ist unklar, ob Biolley immer noch den «Schweizer Hammerskins» angehört. Zwar bekommt er in Tschechien regelmäßig von Neonazis aus der Romandie Besuch, konnte in den letzten Jahren im Rahmen von Aktivitäten der HSN jedoch nicht wahrgenommen werden. Über sein Social Media-Profil ist er aber weiterhin mit Hammerskins aus der ganzen Welt verbunden und scheut sich dort auch nicht, seine Hammerskin-Tattoos zu präsentieren.
Kurze Zeit nach der Aufnahme von Gruy und Biolley bei den SHS stieß Gaël Renevey (*1985), der im französischen Fétigny wohnt, zum Schweizer Chapter. Er erhielt im Herbst 2013 seinen Prospect-Patch. Heute ist er einer der reisefreudigsten Mitglieder der SHS. 2015 und 2018 nahm er am „Hammerfest“ in den USA teil und auch bei der Gedenkfeier zum „Tag der Ehre“ in Budapest (Ungarn) ist er regelmäßig zu Gast. Zuletzt im Februar 2022, wo er sich offen als Hammerskin präsentiere.
Neben Renevey und Gruy berichteten Antifaschist*innen zudem vielfach über den Eintritt von Joël Yan Moret (*1991), genannt „Pouppi“, in die HSN. Er wurde im Herbst 2012 Hangaround und 2013 Prospect im Schweizer Chapter. Damals wohnte er in der Walliser Ortschaft Martigny, unweit von Christophe Gruy entfernt. Hier fiel er 2013 auf, als er mit weiteren Neonazis eine antifaschistische Demonstration angriff. Im März 2015 wurde Moret Fullmember und war fortan auf zahlreichen Events der Bruderschaft anzutreffen. Die gekreuzten Hämmer ließ er sich großflächig auf den Hinterkopf tätowieren. Moret war viele Jahre im Boxsport aktiv und gewann zahlreiche Titel. Vor wenigen Jahren fing er zudem an, sich als Fitness-Trainer zu profilieren und bietet seitdem unter dem Namen „Trashtraining“ seine Dienste an.
Wie Moret wurde auch der in Genf geborene Alexandre Filipe (*1993), genannt „Björn“, im Herbst 2013 Prospect bei den SHS. Ihm tat es Laurent Parrod (*1984), genannt „Loulou“, aus dem Kanton Neuenburg gleich, der zur selben Zeit Prospect wurde. Parrod wurde bereits im Sommer 2012 gemeinsam mit Dylan Beuret aus dem Kanton Freiburg als Hangaround an die Bruderschaft herangeführt. Ob es die beiden zu Fullmembern schafften, ist nicht bekannt. Zumindest Beuret ist auch heute noch über die sozialen Netzwerke mit einzelnen Hammerskins aus der Deutsch-Schweiz verbunden. Parrod hingegen weist heute keine offensichtlichen Verbindungen zu den SHS auf. Über sein Social Media-Profil verbreitet er allerdings weiterhin rechte Inhalte oder auch Werbung für das Shotokan Karate-Do in Buttes im Kanton Neuenburg. Seine Gesinnung, die er großflächig durch Tattoos zum Ausdruck bringt, scheint dort niemanden zu stören.
Alexandre Filipe schaffte es offenbar nicht über den Prospect-Status hinaus. Lange war er Antifaschist*innen nur unter dem Pseudonym „Björn Sigvald“ bekannt und geriet vor allem durch seinen Wegzug in die Ukraine in den Fokus. Bereits 2014 legte er ein reges Interesse am Kriegsgeschehen in der Ostukraine an den Tag, vor allem weil dort paramilitärische Neonazi-Organisationen wie «Right Sector» und das «Azov»-Regiment aktiv an den militärischen Handlungen teilnahmen. Filipe schloss sich der Walliser Unterstützergruppe des «Asov»-Regiments – der «Misantrophic Division» – an und unternahm im Frühjahr 2015 erste Reisen in die Ukraine. Wie eine Schweizer Tageszeitung berichtete, kämpfte er auch aktiv für das «Azov»-Regiment und ist bei der ukrainischen Neonazigruppe «C14/Karpatska Sich» aktiv. 2020 wurde er wieder vermehrt in der Westschweiz angetroffen. Ein Tattoo auf dem Arm, das seine Verbundenheit zu den Hammerskins deutlich machte – die „38“ im Zahnkranz – ließ er sich mittlerweile über tätowieren. Heute, in Zeiten des russischen Angriffskrieges, lebt Filipe erneut in der Ukraine und ist weiterhin an die kämpfende Gruppe «C14/Karpatska Sich» angebunden. Unter dem Namen «Bjorns Knives» bietet er außerdem seit Sommer 2021 selbstgefertigte Kampf-Messer an.
Wie Filipe ist auch Maxime Voirol kein Fullmember geworden. Um 2015 kokettierte er mit „Support the Nation“-Shirts und zeigte sich der «Crew 38» angehörig. Als sich Schweizer Hammerskins, darunter Moret, Gruy und Biolley im Oktober 2016 auf den Weg zum RechtsRock-Großevent „Rocktoberfest“ nach Unterwasser im Kanton St. Gallen machten, entstand ein Foto, auf dem auch Voirol zu sehen ist. Stolz präsentiert er sich auf dem Bild mit einer Bomberjacke, auf der der Prospect-Patch und die Schweizer Flagge zu sehen sind.
Alle bisher genannten Personen aus der Romandie, die sich ab 2010 den SHS anschlossen, haben mehr oder weniger nachvollziehbare Werdegänge innerhalb der Neonazi-Szene. Bei vielen ist bekannt, wann sie mit den Hammerskins in Kontakt kamen, Prospects und sogar Fullmember wurden. Schwieriger wird es hingegen bei einer Person, die sich in den sozialen Netzwerken nur „Mike Ulfhednar“ nennt. Schon um 2012 präsentierte sich diese Person als Fullmember der «Schweizer Hammerskins» und bewegte sich im Klüngel um Christophe Gruy und Michaël Biolley. Zwischen Ende 2013 und 2017 wurde es im virtuellen Raum ruhig um „Mike“. „Er ist wieder da“ kommentierte Mathias May das erste Bild, dass „Mike“ im Mai 2017 hochgeladen hatte. Auch die anderen KommentatorInnen freuten sich über die Rückkehr von „Mike“, schlugen vor, sich bald mal wieder zu treffen. „Wann bis du wieder in Genf?“, fragte ein anderer – möglicherweise war „Mike“ in der Zeit zwischen 2013 und 2017 inhaftiert.
Bei „Mike“ handelt es sich höchstwahrscheinlich um Michael Alain Jeanmonod (*1986), der in Ambilly, einem Vorort von Genf im schweiz-französischen Grenzgebiet aufwuchs. Jeanmonod reiste im Januar 2013 zu einem EOM nach Hessen, wo auch das 10-Jährige Bestehen der «Hammerskins Westmark» mit einem Konzert gefeiert werden sollte. Nicht nur Member waren vor Ort, sondern auch „Supporter of the Nation“ und eng angebundene Cliquen der Hammerskins, allerdings nur mit expliziter Einladung.
Im Anhang von Jeanmonod befand sich damals Gruy und Renevey. In einem anderen Auto saßen Moret, Filipe, Biolley und Mathias May (*1992) aus dem Wallis, mit dem „Mike“ bis heute eine vertraute Verbindung pflegt – May gehörte damals der «Crew 38» an. Letztmalig wurde „Mike“ respektive Jeanmonod im Rahmen des extrem rechten Kampfsport-Turniers „Force et Honeur“ gesichtet, das im Juni 2017 südlich von Genf ausgetragen wurde. Dort betreute er mit Angehörigen der «Crew 38 South France» die Bar. Bemerkenswert war dabei vor allem, dass er vor Ort kein Fullmember-Merchandise sondern ein „Prospect of the Nation – France“-T-Shirt trug. Offenbar hatte er sich einen Fehltritt erlaubt – möglicherweise im Zusammenhang mit seiner Haft – und musste sich nun erneut beweisen. Heute wohnt er in Genf, ist aber im Zusammenhang mit Aktivitäten der HSN nicht mehr festzustellen. Einzig über sein Social Media-Profil sind vereinzelt Kontakte zur Bruderschaft ersichtlich, vorrangig zu Mitgliedern der Westschweiz und Frankreichs. Ob sein Hammerskin-Tattoo am Hals mit einem Austrittsdatum versehen ist, ist nicht zu erkennen.
Noch unklarer ist der Fall von Daniel Pfaffen. Dieser lebt heute laut eigenen Angaben in Visp im Kanton Wallis und besucht dort regelmäßig Eishockey-Spiele. Vor wenigen Jahren fiel Besucher*innen bei einem der Spiele auf, dass Pfaffen am Hals das Logo der «Hammerskin Nation» als Tattoo trägt. Bekannt ist, dass der Neonazi einige Zeit in Österreich lebte, wo er sich noch bis mindestens 2016 im Hundesportverein Güssing/Langzeil, unweit der Grenze zu Ungarn, engagierte. Im Verein war für seine Mitstreiter*Innen das Hammerskin-Tattoo ebenfalls jederzeit sichtbar. Auf seinem Social Media-Profil macht er keinen Hehl aus seiner extrem rechten Einstellung. Kontakte zu bekannten Hammerskins aus der Schweiz hält er darüber jedoch nicht. Nur Maximilian Schödl aus Sachsen befindet sich in der Freundesliste von Pfaffen. Schödl biedert sich den «Hammerskins Franken» seit 2017 an und wurde dort im Frühjahr 2020 Prospect. Dass sich Pfaffen innerhalb der Neonazi-Szene unautorisiert mit einem Hammerskin-Tattoo bewegen kann, ist unwahrscheinlich. Denkbar ist, dass er in seiner Zeit in Österreich tatsächlich den Hammerskins angehörte.
Aktivitäten der Westschweizer Hammerskins
Innerhalb weniger Jahre bekamen die SHS enormen Zuwachs. Allein zwischen 2010 und 2015 wurden bis zu 15 neue Vollmitglieder an die Organisation herangeführt und etliche Neonazis zu Prospects gepatcht – und das schweizweit. So erlangten die SHS neue Strahlkraft und Stärke und steckten innerhalb der Westschweiz ihr Territorium ab. Eindrücklich ist hier die Auseinandersetzung mit der Neonazi-Gruppe «Artam Brotherhood», die im Dezember 2012 in der Stadt Genf und dem französischen Grenzgebiet auftauchte. Das Logo und die Organisationsstruktur dieser Gruppe war den Hammerskins nachempfunden, was offensichtlich zum Konflikt führen musste. Die Hammerskins statteten daraufhin der «Artam Brotherhood» in ihrem Treffpunkt, der «Taverne de Fenrir» im Raum Genf einen Besuch ab. Sie stahlen dabei die Einnahmen des Abends und erklärten die Gruppe für aufgelöst. Am nächsten Tag war die Internetseite der «Artam Brotherhood» nicht mehr aufrufbar.
2012 präsentierten sich die Westschweizer Hammerskins wieder stärker im öffentlichen Raum. Laut einer internen Nachricht wollte man am 15. September einen Bierstand auf dem Stadtfest in Monthey betreuen und im selben Monat einen Bierstand auf einem Biker-Festival in Verbier übernehmen. Mit dem steigenden Selbstvertrauen nahmen auch die wahrnehmbaren Aktivitäten der «Schweizer Hammerskins» im RechtsRock-Geschehen in der Westschweiz zu. So wurde am 1. August 2015 in der Romandie anlässlich des Nationalfeiertags ein Sportturnier veranstaltet. Im Anschluss spielten u.a. die portugiesische Hammerskin-Band «Blood In Blood Out». Drei Monate später reisten viele der SHS-Mitglieder zum „Hammerfest“ nach Italien, wo die «Italia Hammerskins“ ihr 20-Jähriges Bestehen feierten. Die Flagge des Schweizer Chapters wurde unübersehbar auf der Bühne platziert.
Ein Jahr später war es u.a. Joël Moret, der am 2. Juli 2016 den Schleusungspunkt für ein Konzert der SHS in Villarimboud im Kanton Freiburg betreute. Für das Event war u.a. die niederländische NS-Hardcore-Band «Blindfolded» angekündigt, deren Protagonisten heute ebenfalls Hammerskins sind. An dem Konzert nahmen auch Hammerskins aus anderen Teilen der Schweiz teil, wie Dominik Hulliger und Marco Gaggioli. 2017 sollte mit den Konzerten in der Romandie erst einmal Schluss sein. Noch für den 1. Juli hatten die SHS ein Konzert u.a. mit der deutschen Hammerskin-Band «Wolfsfront» angekündigt. Nur eine „38“ auf dem Flyer des Events verriet, aus welchem Kreis die OrganisatorInnen stammten. Zu dem Konzert kam es nicht. Die Polizei hatte den Schleusungspunkt überwacht, anreisende Personen kontrolliert, die Band «Wolfsfront» bis zur Grenze zurück eskortiert und ein Einreiseverbot für die ebenfalls angekündigte Band «Katastrof» aus Italien verhängt. Auch der angedachte Austragungsort, ein Gebäude der Grundschule in Seiry im Kanton Freiburg, wurde den Hammerskins für den Abend entzogen.
Ein – wenn auch vergleichbar erfolgloser – Einsatz spielte sich schon im Januar 2017 ab, als die PNOS in der „Sport Rock“-Bar in Willsau im Kanton Luzern ein Konzert veranstalteten. Angekündigt war die italienische Band «Bronson», Julian Fritsch als «MaKss Damage» aus Deutschland und der PNOS-Politiker Dominic Lüthhard mit seinem Projekt «Gixu und die Eidgenossen». An diesem Abend sollen ebenfalls Einreiseverbote bestanden haben, sowohl für die Italiener, als auch den deutschen NS-Rapper. Am Schleusungspunkt in Rothrist im Kanton Aargau hatte die Polizei eine Kontrollstelle errichtet und die Anreisenden dem Kanton verwiesen. In Willsau konnte das Konzert dennoch wie geplant stattfinden. Sowohl die Italiener als auch «MaKss Damage» waren vor Ort und sollen vor 150 Neonazis gespielt haben.
Das interkantonale Handeln der Polizei war neu. Auch von Einreiseverboten für extrem rechte MusikerInnen hatte man in den letzten Jahren nichts mitbekommen. Die Polizei setzte gar ein Hubschrauber ein um Polizeikräfte zu verschieben. Die Schweizer Behörden hatten offenbar eine deutliche Anweisung bekommen, rigider gegen rechte Groß-Events vorzugehen. Schließlich konnten sich noch im Oktober 2016 bis zu 5 000 Neonazis zum „Rocktoberfest“ in Unterwasser im Kanton St. Gallen zusammen finden. Kaum ein deutschsprachiges Medium berichtete nicht über diesen Skandal. Der Druck auf die Schweizer Behörden schien zu steigen. Zumal nicht nur deutsche Neonazis um die Thüringer Bruderschaft «Turonen» mit der Organisation des Konzerts befasst gewesen waren. Laut einem Konzertbericht seien die Flaggen zweier weiterer Organisationen zu sehen gewesen: die von «Combat 18» und die der HSN. Die Hammerskins seien die Organisatoren gewesen, heißt es im selben Konzertbericht, der kurz nach dem Konzert auf der Webseite von «Blood & Honour – Hungary» veröffentlicht wurde. Retrospektiv ist jedoch anzunehmen, dass alle der genannten Organisationen – HSN, «Turonen» und «Blood & Honour / Combat 18» – an der Organisation des Konzerts beteiligt gewesen waren. Die Schweizer Polizei hatte an diesem Abend die schlecht möglichste Performance geliefert. Sie waren nicht auf ein solches Groß-Event vorbereitet und beließen es während des Konzerts beim Regeln des Verkehrs. Ein Konzertbesucher beschreibt die Szenerie am Abend so: „Nur an einer Stelle wurden unsere Dokumente geprüft. Ein junger Mann und eine Frau überprüften unsere Dokumente für etwa zwei Minuten und wünschten uns dann eine gute Zeit“.
Nach dem verhinderten Konzert im Juli 2017 im Kanton Freiburg wurden für die Schweiz keine weiteren Konzerte erfasst, die explizit von den Hammerskins organisiert wurden. Stattdessen brachten sich die SHS vereinzelt in das Konzertgeschehen in benachbarten Ländern ein, halfen ihren „Brüdern“ in Mailand und im Nordosten Frankreichs, wo die «Lorraine Hammerskins» ein eigenes Clubhaus besitzen. Lokal zeigten sich die Westschweizer in der Zeit auch mit anderen politischen Organisationen, wie der «Parti Nationaliste Suisse» (PNS). Mit der PNS – der französischsprachige Ableger der PNOS – kamen die Hammerskins etwa im Oktober 2017 in Freiburg im Üechtland (Kanton Freiburg) zu einem „Oktoberfest“ in familiärer Atmosphäre zusammen. Später veröffentlichte der PNS-Präsident Philippe Brennenstuhl in den sozialen Netzwerken ein Bild des Festes mit seinen „Kameraden der HS“. Auch die Flagge der SHS wird dort stolz präsentiert.
Fraglich ist hingegen, ob die hier dargestellten Hammerskin-Strukturen in der Westschweiz heute eine solch bedeutende Rolle spielen wie noch vor Jahren. Gaël Renevey scheint von den Romands aktuell der einzige zu sein, dessen Lebenswelt sich vorrangig um die «Hammerskin Nation» dreht. Joël Moret trägt zwar immer noch seine gekreuzten Hämmer unübersehbar als Tattoo auf dem Hinterkopf, auf Events der HSN wurde er allerdings seit längerem nicht mehr gesehen. Auch Christophe Gruy aus der Westschweiz scheint sich von der Bruderschaft als aktives Mitglied verabschiedet zu haben. Zwar nahm er noch im November 2019 ausgelassen und in trauter Eintracht am „Hammerfest“ in Frankreich teil, präsentierte dort jedoch keinen Merchandise der HSN. Ein klarer Unterschied zu allen anderen anwesenden Personen, die man der HSN zurechnet.
Bestrebungen im neonazistischen Kampfsport-Milieu
Wie in anderen Ländern stieg auch in der Schweizer Szene ab spätestens Mitte der 2010er Jahre das Interessen für Kampfsport. Dies geschah nicht aus sportlichem Ehrgeiz, sondern im Sinne einer „Wehrhaftmachung“ der Szene. Hammerskins, vor allem aus Deutschland, waren wegbereitend für rechte Kampfsport-Events und Kampfsportschulen (sogenannte Gyms), wie sie heute europaweit existieren. Auch bei den SHS fand man Gefallen an dieser Erweiterung der Erlebniswelt. Schon im Sommer 2014 nahm der damalige Prospect Alexandre Filipe an einem rechten Kampfsportturnier im Räum Lyon teil, dass von «Blood & Honour – Hexagone», dem russischen Neonazi-Label «White Rex» und dem französischen Label «Pride France» ins Leben gerufen wurde. Nur wenige Jahre später, im Juni 2017, konnte dessen Nachfolger – das „Force et Honneur“-Turnier in der Nähe von Genf ausgetragen werden. Logistisch möglich gemacht wurde es jedoch nicht wie die Jahre zuvor von «Blood & Honour», sondern von den Hammerskins – genauer den «South France Hammerskins» und deren «Crew 38». Im Ring stand dort auch der Hammerskin Joël Moret, der gegen den Gründer des bedeutenden Kampfsportlabels «White Rex» – Denis „Nikitin“ Kapustin – kämpfte. Morets „Brüder“, u.a. Christophe Gruy und Gaël Renevey, waren ebenfalls vor Ort. Und auch um die eingeladenen russischen Neonazis der Gruppierung «PPDM – Father Frost Mode» kümmerten sich Unterstützer der Hammerskins. So war Sebastian Bottali aus Monthey im Kanton Wallis damit beauftragt, die Russen am Flughafen abzuholen. Bottali gehörte damals der Schweizer «Crew 38» an. Bemerkenswert war zudem, dass der ehemalige Hammerskin Oliver Kunz aus Murten beim „Force et Honneur“ 2017 als Übersetzer wirkte.
2017 kam es zu Veränderungen für die Kampfsportmarke «White Rex» aus Russland, bei denen Schweizer Hammerskins eine wesentliche Rolle spielten. Denn im Januar des Jahres wurde «White Rex» offiziell an die neu gegründete «Fighttex AG» übergeben, die damals in Lotzwil im Kanton Bern ihren Sitz hatte. Inhaber der Aktiengesellschaft ist der Hammerskin Florian Gerber. Anteile an der AG hatte zudem Peter Patrik Roth (*1972), genannt „Pesche“. Dieser ist Inhaber und Geschäftsleiter des kommerziell erfolgreichen Schweizer Matratzenherstellers Roviva. Roths Verbindung zu der russischen Marke und in die Neonazi-Szene waren bis zu diesem Zeitpunkt nicht bekannt gewesen. Roth war in den Jahren zuvor bereits vermehrt in Russland zu Besuch und warb über soziale Medien verstärkt für «White Rex». Via Social Media unterhielt er schon 2013 Kontakte zu den Schweizer Hammerskins Erni, Gaggioli, Gerber, Hulliger, Martig, Segessenmann und Friso sowie zu weiteren Neonazis aus der Schweiz.
Im Frühjahr 2017, kurz nach Gründung der «Fighttex AG», kam es in der Schweiz zu einem Treffen zwischen Roth, Gerber und Denis Kapustin. Ein Bild des Treffens zeigt Peter Patrik Roth in geselliger Runde. Er selbst kreuzt die Arme, die Hände sind geballt. Ein Gruß, den auch die Straight-Edge-Bewegung benutzt, der aber innerhalb der «Hammerskin Nation» nur Vollmitgliedern gestattet ist. Ferner gibt es keine konkreten Belege, dass sich Roth aktiv bei den Hammerskins einbringt. Keine Nutzung von Zahlenkürzeln oder Zeigen von Merchandise. Dennoch steht er über Social Media auch im Austausch mit «Schweizer Hammerskins», vor allem mit Marco Arber, den er dort „Bruder“ nennt. Auch als Gaël Renevey im Herbst 2012 seinen Prospect-Patch erhält, gratuliert ihn Roth mit den Worten „Herzlichen Glückwunsch und viel Glück. Du bist hier am richtigen Ort!“ – ein deutlicher Hinweis darauf, dass Roth über das Innenleben der Bruderschaft bestens Bescheid weiß. Als Antifaschist*innen 2019 die Verbindungen Roth‘s in die Neonaziszene öffentlich machten, war der Skandal groß. So groß, dass Roth ankündigte, sich aus der «Fighttex AG» zurück zu ziehen und zudem den Vorstand des Wirtschaftsverbands Oberaargau zu verlassen.
Nur wenige Tage nach der Übernahme von «White Rex» durch Gerber fand in der Schweiz am Wochenende des 12. Februar 2017 ein „Selbstverteidigungsseminar“ der PNOS statt – angeleitet von Denis Kapustin. In diesem Zusammenhang kam es zu dem bereits erwähnten Treffen zwischen Kapustin, Roth und Gerber. Schon im Vorjahr hatte Kapustin ein solches Seminar bei der PNOS in der Schweiz geleitet, dass unter dem Namen „Wort und Tat“ beworben wurde. Im Oktober 2018 zählten Kapustin und Gerber zu den Besuchern des neonazistischen Kampfsport-Events «Kampf der Nibelungen» im sächsischen Ostritz. Heute führt Gerber aus Richenthal im Kanton Luzern «White Rex» – mehr oder weniger erfolgreich, denn der Hype um die Marke ist vorbei. Dies könnte sich mit dem aktuellen Krieg in der Ukraine ändern. Denis Kapustin lebt seit 2017 in Kiew und wirbt über die Social Media-Kanäle von «White Rex» inständig für faschistische Freiwilligenverbände, die gegen die russische Armee kämpfen. „White Rex unterstützt den Kampf und kämpft auch selbst. Eure Hilfe wird sehr geschätzt. Jeder Artikel, den ihr in unserem offiziellen Shop kauft, ist euer Beitrag!“, postete Kapustin wenige Tage nach Beginn des Krieges im März 2022 auf Telegram und verwies dabei außerdem auf Florian Gerbers Webshop. «White Rex» und damit auch die Hammerskins in der Schweiz, unterstützen also direkt das Kriegsgeschehen in der Ukraine um neonazistische Kampfverbände.
Nicht nur «White Rex» wird aus der Schweiz betrieben. Auch die Marke «Resistend Sportwear» wurde maßgeblich durch die Initiative von Angehörigen der SHS ab 2019 von Neonazis aus der Schweiz ins Rollen gebracht. Registriert ist die Marke auf Michael Ruchhöft (*1987), der sich seit mehreren Jahren im Kreis der «Schweizer Hammerskins» in der Deutschschweiz bewegt. Bereits im Juli 2016 war er als Angehöriger der «Crew 38» an einem Konzert der SHS in Villarimboud im Kanton Freiburg beteiligt. Im selben Jahr reiste er u.a. mit dem SHS-Member Marco Gaggioli zu einem Konzert der «Crew 38» nach Finnland. Ein Foto zeigt ihn im Januar 2019 auf einem „European Officers Meeting“ (EOM) in Lissabon in Portugal. Darauf sind Hammerskins aus ganz Europa zu sehen, im Vordergrund Fullmember aus Ungarn. Neben ihnen steht ein rothaariger, jüngerer Neonazi, auf seiner Brust der Prospect-Patch, am Ärmel die Schweizer Nationalfarben. Er wurde auf dem Foto verpixelt, die großflächige Tätowierung auf der Hand ist jedoch zu erkennen. Es ist Michael Ruchhöft, der vermutlich mittlerweile zum Fullmember gepatcht wurde. Ruchhöft stammt ursprünglich aus Deutschland, er wuchs bei Burg in Sachsen-Anhalt auf. Im deutschen Handelsregister findet sich für «Resistend Sportswear» jedoch lediglich als Kontaktadresse ein Postfach in Ungarn. Die Marke selbst wird in Deutschland hauptsächlich über «PC Records» im sächsischen Chemnitz vertrieben. Über ein ungarisches Handelsregister findet sich allerdings eine Adresse in Bolligen im Kanton Bern, bei der Ruchhöft am Klingelschild steht. Die Marke «Resistend Sportswear», die sich vor allem auf den Fitness-und Outdoor-Bereich fokussiert hat, ist heute mit einem eigenen Webshop vertreten und erfreut sich vorrangig in Deutschland an Beliebtheit. Als Models treten dabei Personen aus dem engsten Umfeld des «Kampf der Nibelungen» auf, wie auch Michael Ruchhöft selbst. Seit neuestem bewirbt zudem eine Kraftsportlerin aus der Ukraine die Marke. Alles scheint dabei unverfänglich und unpolitisch, denn die Marke verzichtet bewusst auf extrem rechte Inhalte in ihren Kollektionen. Erst bei intensiver Recherche werden Hintergründe und das Netzwerk erkennbar – etwa, dass sich das Model aus der Ukraine im Kreis des faschistischen «Asov»-Regiments bewegt. Damit zeigt sich ein weiteres Beispiel für die Verbindung Schweizer Hammerskins zu faschistischen Kräften in der Ukraine.
Auch Joël Moret hält an seiner Laufbahn im Kampfsport-Geschehen fest. Im Dezember 2018 nahm er in Kiew an einem extrem rechten Kampfsportevent teil, das u.a. von der «Asov»-Bewegung organisiert wurde. Im April 2019 reiste er zum Neonazi-Turnier «Pro Patria Fest» nach Griechenland. Darüber hinaus war er im Oktober 2020 beim schwedischen, halb-legalen Underground-Kampfsportformat „King Of The Streets“ als Begleitung des Walliser Neonazi-Kampfsportlers Yanek Vincent Czura zugegen. U.a. mit Czura ist Moret seit Herbst 2020 Teil der Hooligangruppe «Swastiklan Wallis», bzw. «Radikal Sion» und bestreitet „Ackerkämpfe“ gegen andere Hooligans – und das im Namen des FC Sion, mit dem Moret und seine Mitstreiter nicht im Geringsten etwas zu tun haben.
Die «Crew 38 Zentralschweiz» als UnterstützerInnenstruktur
Die «Crew 38» wurde in Europa um die Jahrtausendwende ins Leben gerufen, maßgeblich von den «Hammerskins Baden» und den «Schweizer Hammerskins». „Unsere Crew ist unser nächstes Umfeld, und dieses soll dementsprechend von gegenseitigen Vertrauen geprägt sein.“, beschrieben die SHS ihr Verständnis von der UnterstützerInnenstruktur. Die «Crew 38» ist Auffangbecken für den engsten Freundeskreis der Fullmember, für alle die sich mit den Werten und der Ideologie der HSN identifizieren können. Ihre Mitglieder dürfen mit einem Teil der Symbolwelt der Hammerskins kokettieren und können von dort in den Status des Hangaround aufsteigen – der erste Schritt in Richtung Vollmitgliedschaft. Die UnterstützerInnengruppe gibt aber vor allem auch Frauen die Möglichkeit, dem intimen Kreis – der heute ausschließlich den Männern vorbehaltenen ist – näher zu sein. Man(n) gewährt ihnen Einblicke in die Lebenswelt und schafft nebenbei für die Partnerinnen der Vollmitglieder einen Ort des Austausches.
Seit ihrer Gründung um 2000 bis ins Jahr 2016 war die «Crew 38» in der Schweiz hauptsächlich für CD-Produktionen und die Organisation von Konzerten mitverantwortlich. Personell fluktuierte die UnterstützerInnengruppe, da viele Angehörigen Vollmitglieder bei den SHS wurden. Die «Crew 38» ist der „Durchlauferhitzer“, der Nachwuchs heranführt und die Frauen aus der Szene bindet. Im Sommer 2016 erstellte die Schweizer «Crew 38» einen eigenen Webshop. Über diesen konnten Supporter-Artikel bestellt werden, wie T-Shirts und Pullover mit aufwändig gestaltetem Aufdruck. Im Angebot war außerdem Merchandise der «Crew 38 Moscow» oder Accessoires wie Gürtel, Bauchtaschen und Schals mit Aufdrucken der «Crew 38». Mitbeteiligt am Webshop war der Brienzer Hammerskin Dominik Hulliger, der als Betreiber von «Holy War Records» bereits Erfahrungen im Versandbusiness gesammelt hatte.
Heute tritt die Schweizer UnterstützerInnengruppe unter dem Namen «Crew 38 Zentralschweiz» auf. Ein exponiertes Mitglied ist die Neonazi-Aktivistin Luana Mannai, die laut eigenen Angaben noch 2018 in Winterthur lebte und heute angibt in Zürich zu wohnen. Kaum einer ihrer Beiträge innerhalb sozialer Medien bezieht sich nicht auf die Hammerskins, bzw. die «Crew 38». Das Zahnrad und die Codes sind omnipräsent. Selbst eines ihrer Social Media-Profile hat sie unter der URL-Adresse „C38Schweiz“ angelegt. Mannai dürfte um 2017 Anschluss an die Hammerskins gefunden haben. Damals war sie allerdings noch in der von den Hammerskins unabhängig agierenden Gruppe «Women For White Aryan Unity» (WAU) aktiv. Die WAU ist eine der wenigen neonazistischen Gruppen, der nur Frauen angehören können. Sie trägt den Beinamen „Sisterhood“ – Schwesternschaft und unterhält Ableger in den USA (wo die Gruppe 1990 gegründet wurde), Argentinien und Australien sowie in Europa in Spanien, Portugal und Italien. Mannai gehörte der italienischen Sektion von WAU an, die vor allem zu «Blood & Honour» Kontakte unterhielt. Eine erste sichtbare Überschneidung zwischen Mannai und der WAU mit den Hammerskins kam im März 2017 zustande. «WAU Portugal – Spain & Italy» hatte in Lissabon ein Konzert organisiert, das unter dem Motto „1st WAU Sisterhood – European Concert“ angekündigt wurde. Vor Ort wurde auf den «Club 38» zurückgegriffen, das Clubhaus der «Portugal Hammerskins». Während des Konzerts hing nicht nur die Flagge der WAU auf der Bühne, sondern auch die von «Blood & Honour Portugal», von den «Portugal Hammerskins» und die der «Schweizer Hammerskins». Im Rahmen des Konzerts nahm Mannai außerdem an einer Gedenkfeier zu Ehren des verstorbenen portugiesischen Hammerskins Rui Barella teil.
Gemeinsam mit Mannai reisten im März 2017 auch Giorgio Ravasi (*1993) und Mischa Kofmel (*1992) zum Konzert in Portugal. Ravasi, genannt „Metzger“, stammt laut eigenen Angaben aus Pontirone im Tessin, dem italienischsprachigen Teil der Schweiz. Er war schon im September 2016 Teil einer Reisegruppe «Schweizer Hammerskins», die ein Konzert der «Crew 38 Finland» in Finnland besuchten. Wie Ravasi präsentierte sich dort auch Michael Ruchhöft als Anhänger der «Crew 38». Kurze Zeit nach diesem Konzert wurde Ravasi Hangaround, spätestens ab Herbst 2017 durfte er als Prospect auftreten. Über diesen Status hinaus scheint er es nicht geschafft zu haben. Heute wohnt er in Biasca im Tessin und unterhält über die sozialen Netzwerke weiterhin Kontakte zu Personen aus dem Hammerskin-Gefilde, wie Mannai, Ruchhöft und Gaël Renevey aus der Schweiz sowie zu Hammerskins aus Italien. Ob er wie zu seiner Zeit als Prospect als Tätowierer tätig ist, ist nichts bekannt. Ersichtlich ist, dass Ravasi ein neues Hobby fand. Seit geraumer Zeit ist er unter dem Namen „Midgard Snakes“ als Schlangenzüchter aktiv.
Während Ravasi im Herbst 2017 bereits Prospect war, gehörte Mischa Kofmel länger „nur“ der «Crew 38» an. Im November 2017 rückte er jedoch in den medialen Fokus, nach dem er in der Nacht vom 17. auf den 18. November 2017 in Locarno im Tessin einen jungen Mann angegriffen hatte. Dieser hatte Kofmel aus einer Bar verweisen wollen, worauf Kofmel ihn mit einem Messer attackierte und eine Schnittwunde zufügte. Eine Woche nach dem Angriff wurde Kofmel der Status des Hangaround bei den SHS verliehen. Heute ist er im Schweizer Tessin als Baumpfleger tätig, wohnt laut eigenen Angaben in Agno. Zu den Hammerskins unterhält er keine sichtbaren Kontakte mehr.
An Aktivitäten mangelt es der «Crew 38 Zentralschweiz» bis heute nicht. Vor allem Luana Mannai ist europaweit auf allen relevanten Events der HSN anzutreffen – ob beim „Hammerfest“ im November 2019 in Frankreich, wo sie einen Stand betreute, oder im Februar 2020 bei der Gedenk-Feier zum „Tag der Ehre“ in Budapest (Ungarn).
Seit ein paar Jahren ist sie dabei in Begleitung von Jasmin Marfurt (*1993) aus Brittnau im Kanton Aargau. Mannai ist nicht nur Marfurts beste Freundin, sondern auch Mentorin in Sachen Hammerskins. Denn seitdem Marfurt und Mannai gemeinsam unterwegs sind, scheint es so als ob Marfurts Kleiderschrank nur noch aus „Support The Nation“ und «Crew 38»-Merchandise bestehen würde. Eine Verbindung zu den Hammerskins unterhält Marfurt allerdings schon länger. Gemeinsam mit den Schweizer Fullmembern Carlo Albisser, Dominik Hulliger, Mario Friso, Michael Kunz und Marco Arber nahm sie an der Beerdigung des deutschen Hammerskins und V-Manns Roland Sokol in Karlsruhe im Oktober 2015 teil. Marfurt ist heute vollkommen in die Lebenswelt der Hammerskins eingebunden und unternimmt vor allem Ausflüge mit dem Fullmember Marco Arber. Zuletzt nahm Marfurt gemeinsam mit Gaël Renevey, Michael Kunz und Reto Wäckerlig im Februar 2022 an einer Gedenk-Feier zum „Tag der Ehre“ in Budapest (Ungarn) teil. Auch dort präsentierte sie stolz ihre Kluft mit dem «Crew 38 Zentralschweiz»-Patch. Beruflich ist Jasmin Marfurt, genannt „Jasy“, bei „Emmi“ tätig, dem führenden Milchverarbeitungskonzern der Schweiz. Für „Emmi“ nahm Marfurt beim 42. Luzerner Stadtlauf 2019 teil, wie auch im Dezember des Vorjahres in Bern. Hier gab sie sich den Team-Namen „Die wahre Nr. 38“ – kaum ein Zufall.
Marfurt wird auch bei diesem Hobby von ihren FreundInnen aus dem Umfeld der Hammerskins unterstützt. Etwa von Caroline Moser (*1988) aus Lotzwill im Kanton Bern, mit der Marfurt am „Survivalrun“ in Thun teilnahm und auch sonst gern ihre Freizeit verbringt. Moser ist die Partnerin des Hammerskins Florian Gerber. Luana Mannai wiederum begleitete Jasmin Marfurt 2020 zum Sportevent „Stairways To Heaven“ in Quinto im Tessin. Das Event scheint bei den «Schweizer Hammerskins» beliebt zu sein. Bereits im Jahr 2017 nahm eine ganze Gruppe – bestehend aus Fullmembern und «Crew 38»-Angehörigen – an dem Wettlauf teil. Bilder zeigen Marco Gaggioli, Markus Bieri, Michael Kunz und Dominik Hulliger, sowie Michael Ruchhöft, Giorgio Ravasi, Mischa Kofmel und Laura Matter (*1984), die Partnerin des Hammerskins Mario Friso.
Auch wenn Matter und Caroline Moser nicht explizit mit Merchandise der «Crew 38» auftreten, sind sie zweifellos Unterstützerinnen der «Schweizer Hammerskins». Die Einblicke, die sie durch ihre Partnerschaft mit Fullmembern bekommen, sind immens. Mit einem Hammerskin in einer Beziehung zu sein heißt, eine Lebensführung mitzutragen, die viel Zeit und Geld kostet und reichlich familiäre Kompromisse mit sich bringt. Niederländische Hammerskins beschrieben das Verhältnis von Frauen zur Bruderschaft einst sehr anschaulich in einem Interview: „Wenn ein Typ eine Frau hat, die die Gruppe wirklich sehr mag und wirklich gewillt ist all den Bullshit mitzutragen, den ein Mitglied der Gruppe der Frau ab und an gibt – etwa ‚Wir sehen uns in drei Tagen, ich bin dann mal weg‘, solche Sachen eben – dann hat das Mitglied viel mehr Möglichkeiten, kann sich in Gruppen-Aktivitäten einbringen, als jemand, dessen Frau ständig fragt ‚Warum gehst du wieder aus, was machst du mit diesen Leuten?‘. Die Frau eines Mitglieds, die gruppenorientiert ist, macht in den meisten Fällen das herausragende Mitglied aus.“
Darüber hinaus organisieren sich weitere Personen in der «Crew 38 Zentralschweiz», über die bisher nur wenig bekannt ist. Im Februar 2019 etwa, als einige Fullmember der SHS am „Tag der Ehre“ in Budapest teilnahmen, befanden sich in der Gruppe auch zwei junge Männer, die dort das Patch der Unterstützer-Organisation der HSN trugen. Einer von ihnen stammt aus Renens im Kanton Waadt, heißt Lucas Tribolet (*1996) – genannt „Lulu“ – und wohnte um 2019 in Chapelle (Glâne) im Kanton Freiburg. Seine Jugend verbrachte er offenbar in der Raver-Szene. Die andere Person in Schweizer «Crew 38»-Kluft ist bislang unbekannt.
Zum engen Kreis um die Hammerskins zählt auch Maxime Obliger, der unter dem Namen «Max Militaria Suisse» in Berolle (Kanton Waadt) einen Handel mit historischer Militärbekleidung-und Ausrüstung betreibt. In den sozialen Medien spielt er mit entsprechenden Symbolen – die „38“ und das Zahnrad – und ist auch im realen Leben an die SHS angebunden. Zuletzt war er Teil der Reisegruppe um die SHS, die im Februar 2022 am „Tag der Ehre“ in Budapest teilnahmen. Vor allem Gaël Renevey scheint der Kontakt Obligers zu sein.
30 Jahre «Schweizer Hammerskins»
„Happy 30rd Anniversary, HSN Switzerland“(sic!), kommentierte Luana Mannai von der «Crew 38 Zentralschweiz» im Sommer 2020 ein von ihr in den sozialen Medien veröffentlichtes Foto. Dieser Geburtstagsgruß Mannai‘s wirkt trist, denn es ist kein Bild einer pompösen Feier zu sehen, das Fullmember aus der ganzen Welt in martialischen Posen zeigt, sondern schlicht die Flagge der SHS, lieblos aufgehängt, ein gammeliges Tarnnetz als Hintergrund. Es ist kein Konzert und keine Party bekannt, die im Rahmen dieses Jubiläums am 17. August 2020 oder an den folgenden Wochenenden stattgefunden haben. Nur den Schweizer Nationalfeiertag am 1. August begingen die Hammerskins in der Westschweiz in kleiner Runde mit ihren Familien und FreundInnen und besuchten am Tag selbst die Museumsanlage des Fort de Pré-Giroud in Vallorbe im Kanton Waadt. Zudem ist bekannt, dass am 1. August 2020 ein rechter Liedermacher-Abend in der Schweiz stattfand. Dass die Hammerskins ihre Jubiläumsparty öffentlich bekannt machen würden, wurde nicht erwartet und ist nicht im Interesse der Bruderschaft. Auch Jahresfeiern anderer Chapter finden weitgehend unbemerkt statt. Das Konzept besagt schließlich: keine Aufmerksamkeit erzeugen, Konspirativität statt Rumgepose, „Qualität statt Quantität“. Und, im Sommer 2020 herrschten, der Corona-Pandemie geschuldet, verhältnismäßig straffe Einreise-und Versammlungsbestimmungen. Eine große Feierlichkeit mit internationalen Gästen wäre demnach nicht realisierbar gewesen.
Hinsichtlich der Aktivitäten im Ausland stehen die SHS keinem anderen Chapter nach. Dies zeigte sich auf dem „Hammerfest“ im November 2019 in Frankreich, wo das Chapter mit circa fünf Vollmitgliedern und zwei «Crew 38»-Angehörigen durchschnittlich repräsentiert war. Bei Blicken in das Innenleben der Organisation, die sich von der Öffentlichkeit abschottet, erscheinen immer wieder Personen als Mitglieder, über deren Nähe zu den Hammerskins zuvor nichts bekannt war. So ist davon auszugehen, dass dem Chapter noch ein paar Personen mehr angehören, als im Artikel genannt.
Auch Carlo Albisser, ein Gründungsmitglied der SHS, wurde lange nicht mehr in der Öffentlichkeit wahrgenommen. Doch er ist noch dabei. Er bekam noch im Sommer 2019 Besuch von Gunter Burkert vom deutschen Chapter «Mecklenburg». Gemeinsam mit den Familien und weiteren Schweizer Hammerskins unternahmen sie eine Wandertour im Pilatus-Bergmassiv südlich von Luzern. Dass solche Zusammenkünfte dokumentiert werden können ist selten – eine Konsequenz aus dem äußerst konspirativen Vorgehen der HSN. Es wäre demnach ein Fehler in der Bewertung, die Bedeutung der Hammerskins an ihrem öffentlichen Auftreten oder über die Anzahl der Mitglieder festzumachen.
Im Bund der Hammerskins in der Ostschweiz sind hingegen aktuell keine Zerwürfnisse oder Austritte bekannt. Unverändert nimmt die Gruppe an internen Events der Bruderschaft teil und ist im In- und Ausland auf öffentlichen Anlässen anzutreffen. So beteiligten sich die «Schweizer Hammerskins» im November 2020 an einer Fotoaktion zur Schlachtenfeier in Morgarten im Kanton Zug. Die «Nationale Aktionsfront» (NAF) rief dazu auf Bildmaterial vom Schlachtdenkmal einzusenden, das danach als kurzes Video veröffentlicht wurde. Im Video sind fünf Hammerskins in voller Montur zu sehen, darunter etwa Marco Arber, die am Denkmal in Morgarten mit der Flagge der SHS posieren.
Ein Jahr später, im Juli 2021, nahmen einzelne Hammerskins – ohne Insignien der Bruderschaft zu präsentieren – an der Zeremonie zum Gedenken an die Schlacht von Sempach teil. Wenig später, mutmaßlich im Rahmen des Nationalfeiertags am 1. August 2021, richtete die SHS einen Balladenabend mit der französischen Band «Match Retour» aus. Die Feier, respektive das Konzert, wurde nirgends öffentlich beworben. Auch die verschwörungs-ideologischen Demonstrationen in der Schweiz werden aktuell von einzelnen, ehemaligen und aktiven Hammerskins besucht. Als Gruppe treten sie dort jedoch nicht auf und drängen sich auch nicht in den Vordergrund. Anders als in Budapest (Ungarn) im Februar 2022, als eine Delegation der SHS an einer neonazistischen Gedenkfeier im Rahmen des „Tag der Ehre“ teilnahm und dort in voller Hammerskin-Kluft beobachtet wurden. In diesem Zusammenhang kam es außerdem zu einem Treffen deutscher, ungarischer und portugiesischer Hammerskins mit den Schweizern.
Trotz – oder gerade wegen – ihrer seltenen öffentlichen Präsenz stellen die SHS stellen eine tragende Struktur der Schweizer Szene. Ihr Ziel ist es nicht, einen plakativen Output zu schaffen und in größerer Anzahl jüngere Neonazis anzuwerben. Zwar wurde in letzter Zeit eine Nähe einzelner Hammerskins zu jungen Gruppen wie «Junge Tat» festgestellt, die wesentlich älteren Hammerskins bleiben jedoch (noch) im Hintergrund. Es wird sich zeigen, ob die Protagonisten der SHS Mitglieder dieser Gruppen einbinden werden, so wie es damals mit den jungen PNOS-Aktivisten geschah.
Dass dem Schweizer Chapter heute „nur“ zwischen 15 und 20 Vollmitglieder sowie etwa ein Dutzend Personen in der «Crew 38» angehören, ist – in Anbetracht der Größe der Schweiz – nicht ausschlaggebend für deren Bedeutung. Die SHS ist und bleibt das „Motherchapter“ der europäischen Struktur, ihnen wird szeneintern Respekt gezollt und ihre Meinung in Belangen der Hammerskin-Organisation hat noch immer Gewicht. Aufgrund des elitären Selbstanspruchs versuchen die «Schweizer Hammerskins» – wie auch alle anderen Chapter der HSN – stets am „Zahn der Zeit“ der Neonazi-Szene zu sein: sie beeinflussen moderne Erlebniswelten, wie das extrem rechte Kampfsportgeschehen und waren bis vor wenigen Jahren Ermöglicher größerer, störungsfreier Events im RechtsRock-Bereich und stellen bis heute einen der vereinfachten Zugänge zu Waffen und Schießtrainings in der Schweiz. Zudem waren und sind sie Schnittstelle langjähriger Akteure und junger Gruppen aus der Kameradschafts-und Parteienlandschaft – auch nach 32 Jahren.
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