Aufbauend auf «Brüder schweigen – Das geheime Netzwerk der Hammerskins» wird im Folgenden auf die Chapter der Hammerskins in Deutschland eingegangen.
Inhalt
• «Hammerskins Sachsen» – ein Chapter mit durchwachsener Geschichte
• Chapter «Mecklenburg» – Waffenbrüder beim Volkstanz
• Chapter «Pommern» – Die netten Neonazis von nebenan
• Tonangebend – Chapter «Westwall» und «Sarregau»
• Von Bremen in den Ruhrpott: das Chapter «Westfalen»
«Hammerskins Sachsen» – ein Chapter mit durchwachsener Geschichte
Das Chapter «Sachsen» ist einer der ältesten Ableger der HSN und trat vor allem in den 1990er Jahren durch Konzertorganisation, Musikvertrieb und die maßgebliche Mitgestaltung der Struktur der Bruderschaft in Erscheinung. Zeitweise umfasste das Chapter über 20 Personen und hatte sowohl in der Sächsischen Schweiz als auch im Raum Leipzig seinen Schwerpunkt. Als um 2002 gegen die «Hammerskins Sachsen» wegen „Bildung einer kriminellen Vereinigung“ ermittelt wurde, die Vertriebsstruktur strafbarer Musik-Produktionen in den Fokus rückte und interne Konflikte einsetzten, zerfiel weitgehend die Struktur in Ostsachsen. In Westsachsen überlebte das Chapter «Sachsen» die Konflikte und äußeren Umstände und wirkte in den 2000er Jahren rege an der Ausrichtung der weltweiten Bruderschaft mit. Heute gehören dem Kern der «Hammerskins Sachsen» nur eine handvoll Neonazis an, deren Wohnorte sich in Thüringen, Sachsen, Sachsen-Anhalt und Brandenburg befinden. Sie sind nach außen kaum wahrnehmbar, ihre Mitglieder besitzen in der organisierten Neonaziszene jedoch höchstes Ansehen als „verdiente politische Soldaten“.
Die 1990er Jahre in Ostsachsen
Mit gerade einmal 18 Jahren gründete Mirko Hesse (*1975) im Jahr 1993 die «Hammerskins Sachsen». Laut eigenen Aussagen war er nach dem Mauerfall „ein sehr aktives Mitglied“ der «Wiking Jugend» und gehörte ab 1991 der Neonazi-Partei «Nationale Offensive» (NO) an. Zu DDR-Zeiten habe er noch gelernt, wie man mit einer AK47 umgeht, erzählte er einem US-amerikanischen „Bruder“ in einer Korrespondenz Jahre später. Damals wäre nicht alles schlecht gewesen, schließlich hätten ihn die Uniformen an die des Dritten Reichs erinnert, führte er weiter aus. Als die NO 1992 nach dem Vereinsgesetz verboten wurde und dabei auch Hesse in den Fokus kam – er brachte mit einer Handvoll Neonazis das Monatsblatt „Der Sturm“ der NO in Sebnitz heraus – fasste er den Entschluss, die Hammerskins in Sachsen zu etablieren. Dafür stand er im Kontakt mit den «Confederate Hammerskins» in den USA und erhielt alsbald die Erlaubnis zur Chapter-Gründung.
Hesse lebte damals am Rand von Neustadt, mitten in der Sächsischen Schweiz unweit von Sebnitz an der deutsch-tschechischen Grenze. Das war auch der Grund, warum in den Anfangsjahren der Hammerskins in (Ost)Sachsen der Name «East Saxon Hammerskins» verwendet wurde. Hesse war bis 1995 der einzige in Sachsen, der sich Hammerskin nennen durfte. Dies führte mitunter zu Hohn und Spott, da er wie auf verlorenen Posten wirkte mit den Hämmern auf der Bomberjacke. Doch Hesse war fasziniert vom Gedanken einer weltweiten Bruderschaft, der nur die Elite der Skinheads angehören dürfte.
Rasch schuf er sich ein Profil, um auch als Hammerskin wahrgenommen zu werden und um die Rekrutierung unter seinen KameradInnen voran zu treiben. Im Sommer 1993 erschien die erste Ausgabe seines Fanzines «Hass Attacke» (HA), das zuvor unter dem Namen «White Resistance» lief. Anfang der 1990er Jahre hatte er sich bereits als Fanzine-Macher versucht und gab die Zeitschrift «Noier Stürmer» heraus. 52 Seiten war die HA dick, mit einer Auflage von 400 Stück. Bis zur achten und letzten Ausgabe um das Jahr 1998 entwickelte sich das Fanzine zum Sprachrohr der Hammerskins in Sachsen. Es war von überregionaler Bedeutung, war teils farbig gedruckt und enthielt Szeneberichte aus der ganzen Welt. In der Fülle der Fanzines der 1990er Jahre stach die HA hervor.
In und um Sebnitz hatte Hesse einen kleinen aber beständigen Freundeskreis, der sich nach dem Zusammenbruch der DDR radikalisiert hatte und früh den Kontakt zu Neonazis in anderen Bundesländern suchte. Vor allem Hesse war reiselustig und nahm schon 1993 an Treffen der Szene in Königs Wusterhausen bei Berlin teil. Sein ständiger Begleiter: ein Fotoapparat. Diesem Umstand ist es verschuldet, dass es aus diesen Jahren zahlreiche Bildsätze von Konzerten und Treffen gibt. Auch die Events seiner „Brüder“ besuchte und dokumentierte er fleißig. Im Juli 1994 nahm er etwa am traditionellen „Sommerfest“ der «Hammerskins Schweiz» in der Nähe von Luzern teil. Seine stetige Werbung für die Bruderschaft sollte in Sachsen allerdings erst um 1995 Früchte tragen. In dem Jahr schlossen sich schließlich Mandy F. (*1976) und Annett W. (*1973) den «East Saxon Hammerskins», kurz ESHS, an. Zu diesem Zeitpunkt war es Frauen noch gestattet, Teil der Bruderschaft sein zu können und es gab keine einheitliche Linie, wie die Aufnahme neuer Mitglieder abzulaufen hatte. Erst mit der Etablierung des Dachverbands der Hammerskins 1997 in Europa – der «Hammerskin Nation» (HSN) – verschärften sich die Bedingungen, um Mitglied zu werden.
Mandy F. und Annett W. brachten um 1995 das rechte Skingirl-Magazin «Victory» heraus. F. schied nach der zweiten Ausgabe 1997 aus der Redaktion aus. Sie wurde von W. bezichtigt, Gelder aus der Produktion des Fanzines veruntreut zu haben. Mandy F. verschwand danach von der Bildfläche. Ein Bild von ihr „zierte“ noch das Cover der sechsten Ausgabe der «Hass Attacke» im Frühjahr 1996. Annett W. führte das «Victory»-Heft noch bis zur Jahrtausendwende weiter, trat allerdings 1998 bei den ESHS aus. Dies war ihrem Umzug im Jahr 1997 nach Berlin verschuldet, wie auch ihrem neuen Lebenspartner Stephan Lange, genannt „Pinocchio“. Lange war damals Chef der «Blood & Honour – Division Deutschland» (B&H). Noch bevor Lange sich 2000 dem Berliner LKA als Spitzel anbot und ab 2002 für den Geheimdienst („Verfassungsschutz“) tätig war, zerbrach die Beziehung. Das Heft seiner Partnerin W. fand trotz der Trennung seine Verbreitung in den Strukturen von B&H. Die letzte Ausgabe des «Victory» wurde sogar als „Heft im Heft“, nämlich als Beilage des deutschen B&H-Magazins, vertrieben. Annett W. rückte letztmalig 2000 in den Fokus. Damals liefen Observationsmaßnahmen der Behörden gegen sie und ihren neuen Partner Jan Werner aus Chemnitz. Werner war federführend an der Ausrichtung der sächsischen B&H-Sektion beteiligt und betrieb mit «Movement Records» eines der wichtigsten Musiklabels in dieser Zeit. Vielmehr noch, er gehörte dem engsten Unterstützungskreis der 1998 untergetauchten rechts-terroristischen Gruppe «Nationalsozialistischer Untergrund» (NSU) an. Deshalb wurde er schließlich auch kurzzeitig im Juni 2000 observiert. Annett W. ist ab 2002 nicht mehr in der Neonazi-Szene feststellbar.
Sprunghafter Zuwachs
In den 1990er Jahren war es durchaus üblich, dass Neonazis zu den Hammerskins fanden, einfach weil alle in ihrem näheren sozialen Umfeld der Bruderschaft angehörten. In Ostsachsen stieß dadurch eine Reihe von Personen zu den ESHS um Hesse. Nach kurzer Zeit als Anwärter waren es ab den Jahren 1996 und 1997 Marcel K. (*1977), Michael L. (*1975), Andreas K. (*1977), Andreas Jörg E. (*1977) und Stefan Müller (*1976), die sich Hammerskins nennen durften. Auch aus anderen Bundesländern fanden Neonazis in der Zeit zu den ESHS, darunter Mathias Preiss (*1976) aus Hettstedt in Sachsen-Anhalt und Thomas Pavenzinger (*1977) aus Eggenfelden in Bayern. Letzterer war Mitgründer der «Hammerskins Bayern» im Jahr 1998.
In Bayern lebte damals auch Uwe Gebhardt (*1977), genannt „Barfly“, der um 1997 bei den ESHS als Prospect aufgenommen wurde. Offensichtlich schaffte er es nicht zum Fullmember. Doch seit 2017 durchläuft er wieder die Anwärterschaft, diesmal beim Chapter «Franken». Im November 1997 war Gebhardt Teil einer Reisegruppe von Hammerskins aus Sachsen, die in Madrid (Spanien) das spanische Prospect-Chapter besuchten. Neben Gebhardt und Hesse saßen auch Steffen Kanzler (*1970) und Alexander H. (*1973) im Auto auf dem Weg zu den spanischen Anwärtern. Beide stammen nicht aus Ostsachsen, sondern aus dem sächsischen Vogtland. 1997 waren sie ebenfalls Prospects, 1998 wurden sie zu Fullmembern.
Durch den enormen Zuwachs hatte Mirko Hesse, den alle „Glubschi“ nannten, auf einmal eine beachtliche Gruppe um sich geschart. Das Chapter «Ostsachsen» konnte sich endlich angemessen präsentieren. Die Neonazis zogen meist durch die Diskotheken der Dörfer um Pirna und Sebnitz und erlangten schnell den Ruf einer Schlägertruppe. Vielfach wurden sie von der Polizei aufgegriffen, weil sie auf Stadtfesten und bei Kneipengängen Personen bedrohten, die sie als politische Feinde erachteten. Die «East Saxon Hammerskins» waren ein fester Zusammenhang und nutzten Jugendclubs in der Region für Treffen und Partys. Darüber hinaus reisten sie quer durch die Republik, wie auch ins benachbarte Ausland, um an Feiern und Konzerten ihrer „Brüder“ teilzunehmen.
Ab 1997 stiegen die ESHS auch selbst ins Konzertgeschehen und Musikbusiness ein. Gemeinsam mit Michael L. gründete Hesse 1997 den «Boot Boy Service». Die GbR sollte den Vertrieb von RechtsRock anstoßen und bekam dafür sogar vom Freistaat Sachsen eine sogenannte „Existenzgründerhilfe“. 13.000 DM bekam Hesse zudem vom Staat, als er ebenfalls 1997 sein Label «Hate Records» ins Leben rief. Der «Boot Boy Service» versandete nach kurzer Zeit, während «Hate Records» etliche CDs heraus brachte, vor allem aus dem Bereich des aufkommenden NS-Hardcore.
Eines der ersten Konzerte, das die «Saxon Hammerskins» (SHS), wie sich das Chapter um Hesse nun nannte, ausrichteten, fand unter dem Motto „RAC im Elbtal“ im November 1997 bei Königstein in Ostsachsen statt. Das Konzert war jedoch ein Flop, denn nur wenige Neonazis reisten an und zwei Bands hatten kurzzeitig abgesagt. Anders als im Januar 1998, als die SHS in Döbeln in Mittelsachsen ein Konzert u.a. mit der italienischen Hammerskin-Band «Corona Ferrea» und «Vinland Warriors» aus Kanada durchführten. Bis zu 600 Personen sollen an der Veranstaltung teilgenommen haben. Die Berliner Hammerskins hatten den Sicherheitsdienst gestellt.
Höchst aktiv
1998 war das Jahr der großen Konzerte, vor allem für die «Saxon Hammerskins». Fast im monatlichen Takt richtete das Chapter Events aus, bei denen Bands aus Übersee spielten und mehrere hundert Neonazis anreisten. Die Jahre, in denen Hesse als Hammerskin allein durchs Land zog und Kontakte pflegte, schienen sich ausgezahlt zu haben, wie auch die Tatsache, dass die Mitglieder und Prospects seines Chapters verstreut in Sachsen und darüber hinaus wohnten. Für die Organisation der Konzerte konnte so auf eine weitläufige Struktur und regionale UnterstützerInnengruppen zurück gegriffen werden. Wurde etwa ein Konzert in Sachsen polizeilich untersagt, wich die Gruppe nach Sachsen-Anhalt, Brandenburg oder Bayern aus. Die Bands wiederum, die Hesse für seine Veranstaltungen verpflichten konnte, brachten sowieso ihre CDs bei «Hate Records» heraus. Hesse schien somit die erste Anlaufstelle in Deutschland für Bands aus dem Ausland zu sein. Die sächsische Struktur der Hammerskins funktionierte damals so gut, dass selbst Schweizer Hammerskins auf diese zurückgriffen, wenn in ihrem Land Konzerte untersagt wurden.
Vor allem die «Romandie Hammerskins» um Olivier Kunz und Karolina Wisniewska führten mehrmals mit der Hilfe der Hammerskins um Hesse ihre Konzerte in Sachsen durch. Herausragend war dabei eine Veranstaltung im September 1998 in Pölzig bei Leipzig, wo die schwedische Band «Pluton Svea» gemeinsam mit den US-amerikanischen Kult-Bands «Max Resist» und «No Alibi» auftraten. Wieder hatten sich bis zu 600 Teilnehmende eingefunden, darunter um die 60 Hammerskins aus ganz Europa, wie ein ehemaliger sächsischer Hammerskins später in einem polizeilichen Verhör zu Protokoll gab. Diesmal übernahmen die «Hammerskins Bayern» den Sicherheitsdienst bei dem Konzert, für das ein Eintrittsgeld von 35 DM verlangt wurde. Ralf Marschner aus Zwickau, genannt „Manole“, hatte den Austragungsort organisiert. Er gehörte «Blood & Honour» an und hatte sich noch Jahre später mutmaßlich um die Unterstützung des NSU in Zwickau gekümmert.
Das Konzert in Pölzig war ein Erfolg, weil alle relevanten Strukturen in der Zeit zusammen arbeiteten. Schließlich war nicht nur Marschner als Angehöriger des B&H-Netzwerkes involviert, sondern auch die Chemnitzer Jan Werner und Hendrik Lasch, die an dem Abend einen Verkaufsstand betreuten. Den Einlass kassierten Kunz und Wisniewska aus der Schweiz, welche die Bands organisierten. 40.000 DM sollen am Ende bei dem Konzert zusammengekommen sein. Mit der Kasse, in dem sich das Geld befand, verschwand Wisniewska fluchtartig, als die Polizei das Konzert aufzulösen versuchte. Das missfiel vielen der Anwesenden um Hesse ungemein, denn er glaubte, dass die gebürtige Polin Gelder veruntreuen könnte. Im selben Jahr verließ Wisniewska mit ihrem Partner Olivier Kunz die Hammerskins im Streit.
Im Jahr 1998 unternahmen Hammerskins aus Sachsen auch Reisen in die USA. Laut den Erzählungen Hesses in einem Brief an einen „Bruder“ in Neuseeland reiste er im Mai des Jahres nach Tampa in Florida, einem der Hotspots der «Hammerskin Nation» in den USA. Dort fand ein Konzert u.a. mit «Max Resist» statt, zu dem Hesse von Michael L., Olivier Kunz und Karolina Wisniewska begleitet wurde. Im Rahmen ihres Aufenthalts entstanden auch Bilder, auf denen die vier mit halbautomatischen Waffen posieren. Zurück in Europa wurden Hesse und L. von Steffen Kanzler und Stefan Müller am Flughafen abgeholt und direkt zu einem EOM in den Niederlanden gebracht. Schon damals waren Zeit und Geld wichtige Faktoren, um am Leben der Bruderschaft umfänglich teil haben zu können. Hesse reiste 1998 noch zwei weitere Male nach Florida und traf sich dort mit den Gründern der «Hammerskin Nation» – Sean Tarrant, Scott Lessing und Forrest Hyde. Hyde seinerseits war im Herbst 1998 auf Europa-Reise und besuchte dabei auch ein Konzert der Hammerskins am 28. November in Sachsen. Es war das letzte Konzert, das Hesse und die «Romandie Hammerskins» um Olivier Kunz gemeinsam ausrichteten. Angekündigt war es als „Memorial-Konzert“ für den 1984 vom FBI erschossenen Robert Jay Mathews. Er gehörte in den 1980er Jahren der rechts-terroristischen Gruppe «The Order/Brüder Schweigen» aus den USA an, die 1984 u.a. einen jüdischen Radiomoderator ermordet hatte.
Die Gruppe der SHS bzw. der «East Saxon Hammerskins» befand sich 1998 auf dem Peak ihrer Aktivitäten. Mit der Größe des Chapters wuchsen aber auch die Probleme. Es galt den gewohnten Standard der Konzertorganisation hoch zu halten, die Erlöse treuhändisch zu verwalten und sich um die Vertriebsstruktur von «Hate Records» zu kümmern. Außerdem erwarteten die „Brüder“ in ganz Europa regelmäßige Besuche der Sachsen und es wurde verlangt, dass die Sachsen „National Officers Meetings“ (NOM) und „European Officers Meetings“ (EOM) ausrichteten. Dazu kamen interne Streitereien, die zum Ausschluss von Andreas K. und Michael L. führten. K. hätte das Interesse an den Hammerskins verloren und L. hatte im Sommer 1998 ein Verhältnis mit der Ex-Partnerin von Hesse angefangen. Noch Jahre später wurde ihm das zum Verhängnis, als er – der 2001 nach Bayern verzogen war – in der Silvesternacht 2001/2002 an einer Feier in Sebnitz teilnahm. Mit den Worten „Du hetzt nicht mehr gegen Mirko“ wurde Michael L. dort von Personen aus dem Kreis der ostsächsischen Hammerskins verprügelt. Er wurde von seinen Ex-Kameraden als „Verrätersau“ beschimpft. Unter den Angreifern befand sich auch Martin Schaffrath (*1982), genannt „Schaf“, und Torsten L. (*1982), genannt „Pummel“. Initiiert worden sei die Gewalt von Stefan Müller, der als Hesses rechte Hand bei den Hammerskins galt.
Torsten L., Schaffrath, René Wuttke (*1982), Sandro Wagner (*1973), Rico Münzberg (*1984) und Lars Ulbrich (*1981) gehörten – wie auch einige der Partnerinnen der sächsischen Fullmember – dem unmittelbaren Unterstützernetzwerk der Hammerskins in der Sächsischen Schweiz an. Als «Crew 38» konnte sich der Personenkreis erst nach der Jahrtausendwende betiteln, nachdem Schweizer Hammerskins diese offiziell ins Leben riefen.
Wagner galt als „Chauffeur“ von Mirko Hesse, Wuttke war als „guter Boxer“ in der Region bekannt. Der Kreis übernahm Botengänge im CD-Vertrieb von «Hate Records». Dafür erhielten einige der Personen Einblicke in die Bruderschaft, wie Schaffrath, der 2001 am „Summercamp“ der Hammerskins in Frankreich teilnehmen durfte.
Als neuen Fullmember gewannen die ostsächsischen Hammerskins 1998 Marco Kai Hirschmann (*1975), der Mitte der 1990er Jahre aus Erlangen in Bayern nach Auerbach ins sächsische Vogtland verzogen war. Er hatte Hesse auf einem Konzert auf die Hammerskins angesprochen. Der mehrfach vorbestrafte Hirschmann trat im November 1998 eine Haftstrafe wegen vorsätzlicher Körperverletzung in der JVA Waldheim bei Chemnitz an. In internen Rundbriefen der Hammerskins wurde er zum Zeitpunkt seiner Inhaftierung als „Hammerskin-Prisoner Of War“ bezeichnet, also als politischer Häftling. Jahre später gab der Hammerskin-Unterstützer Sandro Wagner in einer polizeilichen Vernehmung an, dass Hirschmann wegen seiner bevorstehenden Inhaftierung „schneller als sonst üblich Mitglied bei den Hammerskins“ wurde. Nach seiner Haftentlassung im Juni 2000 zog er nach Berlin und schloss sich dort dem lokalen Ableger der Bruderschaft an. Die „Crossed Hammers“ trägt er bis heute als Tattoo auf seiner Brust. Noch 2007 wirkte er als Fotomodel für das Cover einer Split-CD der RechtsRock-Bands «X.x.X/D.S.T.» und «Burn Down», auf dem das Tattoo in vollem Umfang abgebildet ist.
Zerfallserscheinungen in Ostsachsen
In den Jahren bis 2001 wirkten die Hammerskins um Hesse agil und konnten ihrem Ruf als Macher und Netzwerker alle Ehre machen. Noch im März 2001 organisierten sie zwei Konzerte der US-Bands «Max Resist» um Shawn Sugg und «Initmidation One» um den Hammerskin Jason Stevens. Eines in Bergisdorf bei Zeitz in Sachsen-Anhalt, an dem 400 Neonazis teilnahmen. Zwei Tage später ein weiteres in Döbeln-Gärtitz in Mittelsachsen, dass aufgrund von „Sieg Heil“-Rufen durch die Polizei aufgelöst wurde.
Auch im Vertriebswesen um das Label «Hate Records» hatten die «Hammerskins Sachsen» bis Ende 2000 viel zu tun. Neben klassischen RechtsRock-Bands aus ganz Europa mischte sich Hesse auch in die Produktion von CDs aus dem NS-Black Metal-Bereich (NSBM) ein. Grund war nicht nur die Weiterentwicklung seines persönlichen Musikgeschmacks, sondern auch der vermehrte Kontakt in diese Szene, vor allem zu den Brüdern Hendrik und Ronald Möbus. Hendrik Möbus war erst 1998 aus der Haft entlassen worden, nachdem er 1993 einen Mitschüler aus neonazistischen Motiven ermordet hatte. Nach seiner Freilassung gründete er die extrem rechte Organisation «Deutsche Heidnische Front» und führte mit seinem Bruder die Kultband «Absurd» fort. Zum Zeitpunkt nahmen auch die Hammerskins an Konzerten der NSBM-Szene teil. Bei einem Konzert von «Heldentum» – dem Nebenprojekt von Ronald Möbus – traten sie sogar als Security auf. Die Verbindung in die Szene führte soweit, dass Hesse mit «Hate Records» um 1998/1999 als „Mutter-Label“ von «Darker Than Black Records» auftrat, das von Hendrik Möbus auch heute noch geführt wird. Schließlich war es auch Hesse, der gemeinsam mit dem südwestdeutschen Hammerskin Stefan Pohlers im Frühjahr 2001 in die USA reiste. Dort sollte Hesse, zusammen mit dem Thüringer Neonazi und V-Mann Tino Brandt, für Hendrik Möbus als Leumund aussagen. Möbus hatte sich nach einer Verurteilung in Deutschland Ende 1999 nach West Virginia abgesetzt, wurde kurze Zeit später aber verhaftet und stellte einen Asylantrag – mit Hilfe der deutschen Neonazis. Im Rahmen der Reise nahm Hesse mit Pohlers auch an einem Schießtraining in der Wüste teil.
Über Hesses weitreichende Kontakte in die USA konnten CD-Produktionen US-amerikanischer Bands in Deutschland ihren Absatz finden. Vor allem die Hammerskin-Band «Dying Breed» (heute «H8Machine») schaffte es mit Hilfe von Hesse nach Europa. Über «Hate Records» lief auch die Produktion der CD „Have a nice day“ der Band «Extreme Hatred». Das Cover der CD zeigt einen Leichenberg, der bei der Befreiung eines Konzentrationslagers durch die Alliierten dokumentiert wurde. Hesse war sich bewusst, dass die Verbreitung einer solchen Darstellung in Deutschland unter Strafe steht. Er beauftragte deshalb Angehörige aus der «Crew 38» in Ostsachsen, die Identifikationsnummer des Presswerkes von den CD-Rohlingen zu entfernen. Händisch schleifte etwa Martin Schaffrath diese bei der besagten CD von «Extreme Hatred» heraus. Schaffrath und andere Personen waren auch für die Lagerung der CDs zuständig. Um die 3 000 Stück der CD „Ran an den Feind“ des Berliner Untergrund-Projekts wurden auf seinem Dachboden wie auch auf dem seiner damaligen Partnerin gelagert. Ihren Weg nach Ostsachsen fanden die CDs ebenfalls über die Kanäle der regionalen Struktur der «Crew 38». In mehreren Wellen wurden jeweils mehrere tausend CDs versendet, sowohl an Torsten L. als auch an Sandro Wagner aus Bautzen. Der Vertrieb florierte und es konnten erhebliche Geldbeträge umgesetzt werden, völlig an der Steuer vorbei.
Das System funktionierte eine Zeit lang und die Produktpalette strafbarer CD-Produktionen wuchs stetig. Hesse und die Hammerskins waren schließlich auch an der CD „Noten des Hasses“ der Untergrundband «W.A.R.» beteiligt. 2001 kamen Ermittler*innen Hesse und den Ostsachsen auf die Spur. Auslöser war die erwähnte CD von «Landser». Im Frühjahr durchsuchte die Polizei die Räumlichkeiten von Torsten L., im Juli 2001 folgte eine Razzia bei Mirko Hesse, am 12. Juli kam er in Untersuchungshaft. Bei der Durchsuchung seiner Wohnung fand man auch eine halbautomatische Pistole sowie Munition. Im Dezember des Jahres wurde er zu zwei Jahren Haft wegen Mithilfe bei der technischen Herstellung und des Vertriebs der «Landser»-CD und wegen Verstößen gegen das Waffengesetz verurteilt.
Die Hammerskins in Ostsachsen mussten sich sammeln, um die Geschäfte, vor allem im Vertrieb strafbarer CDs, auch ohne Hesse fortführen zu können. Stefan Müller besetzte seinen Posten und wickelte einen Großteil des Vertiebs ab. Unter seinem Mitwirken und in Absprache mit dem inhaftierten Hesse wurde 2002 eine Produktion der konspirativ agierenden Berliner Band «Deutsch Stolz Treue» (DST) umgesetzt. Dabei stand er vor allem mit den «Hammerskins Berlin» in Kontakt, die ihre Hand über die Band um Peter Brammann hielten.
Das Ende naht?
Im April 2002 verschickten die Berliner 150 CDs von DST nach Sachsen. Ermittler*innen des Landeskriminalamt in Berlin hatten zum Zeitpunkt allerdings – angestoßen durch die Ermittlungen rund um «Landser» – das Chapter «Berlin» im Visier. Sie fingen die CD-Lieferung am 22. April 2002 ab, durchsuchten zwei Tage später die Wohnungen einiger Hammerskins in Berlin und nahmen dabei Steffen Penschow, Norman Zühlke und Ricardo Adler in Gewahrsam. Die «Hammerskins Sachsen» wurden unruhig, da sie teils sehr enge Freundschaften zu den Berlinern hielten. Stefan Müller überlegte sogar 2002, sich dem Chapter «Berlin» anzuschließen. In einem Telefonat mit einem „Bruder“ erklärte er, dass es zum Zeitpunkt in Ostsachsen kaum noch Hammerskins gäbe. Müller war für seine befehligende, arrogante Art bekannt und trug damit sicher nicht zum Zusammenhalt bei. Viele Hammerskins in Ostsachsen gab es Mitte 2002 tatsächlich nicht mehr. Andreas Jörg E. und Marcel K. sollen auf einem EOM Anfang des Jahres aus der «Hammerskin Nation» ausgeschlossen worden sein. Die Struktur der «Crew 38» war es im Wesentlichen, die den „Laden“ im Osten des Freistaats zusammen hielt. Herausragende Aktivitäten entwickelten auch die Frauen aus der „Crew“, wie etwa Sandra K., genannt „Elfe“. Sie brachte um 2001/2002 das Fanzine «Aryan Sisterhood» heraus und unterhielt vor allem einen steten Kontakt zu Personen aus dem Raum Mannheim, die ab 2003 das Chapter «Westmark» bildeten. Mit «Aryan Sisterhood» wurde zeitweise versucht, eine verdeckte Vertriebs-Struktur für Hesses «Hate Records» zu etablieren. Sandra K. ist letztmalig 2004 im Kontext der Hammerskins aufgefallen.
Zum großen Knall kam es im Sommer 2002. Das LKA Sachsen hatte ein Ermittlungsverfahren wegen „Bildung einer kriminellen Vereinigung“ gegen die «Hammerskins Sachsen» vorbereitet und durchsuchte am 16. Juli bundesweit die Wohnungen und Geschäftsräume derer, die sie dem Chapter «Sachsen» zurechneten. Es waren knapp dreißig Personen, die in der Begründung zu den Maßnahmen aufgeführt wurden. Im Laufe der Ermittlungen und Vernehmungen ging das LKA auf etliche weitere Personen aus dem unmittelbarer Umfeld ein. Außer, dass die Behörden einen tiefen Einblick in das Innenleben der «Hammerskin Nation» erhaschen konnten, folgten keine Konsequenzen für die Bruderschaft. Die Ermittler*inne hatten schon damals nicht verstanden, wie diese überhaupt funktioniert. Für sie war weder die Dimension der Organisation greifbar, noch die Tragweite der Struktur in der Neonazi-Szene weltweit. Ein Großteil der Ermittlungen wurde 2006 eingestellt, zu Verurteilungen kam es nur aufgrund des Vertriebs und der Produktion von CDs mit strafbaren Inhalt. Man arbeitete sich vor allem an Mirko Hesse ab, der zum Zeitpunkt bereits inhaftiert gewesen ist. Im November 2002 wird er zu weiteren Jahren Haft verurteilt. Man konnte ihm die Produktion zwölf weiterer strafbarer CDs nachweisen.
Parallelstrukturen in Westsachsen
Hammerskins in Leipzig?
Nicht nur in Ostsachsen hatten sich Neonazis den Hammerskins angeschlossen. Ab 1995 traten Personen u.a. aus der Region Leipzig der „Nation“ bei, die sich ebenfalls 2002 zentral in den Ermittlungen gegen die «Hammerskins Sachsen» wieder fanden. Trotz dessen, dass die Hammerskins im Westen des Freistaats eigentlich unter dem Label der «Hammerskins Sachsen» auftreten sollten, wurde intern frühzeitig der Begriff „Sachsen-West“ geprägt. Später war die Rede von den «Westsachsen Hammerskins». Als erste Hammerskins aus der Region traten Stefan Wagner (*1977) und sein Bruder Marko Wagner (*1971) auf. Beide wohnten damals in Schkeuditz bei Leipzig und waren sehr eng mit Mirko Hesse befreundet. Marko Wagner übernahm in den ersten Jahren die Funktion des Kassenwarts. Die Gebrüder unternahmen bis Ende der 1990er Jahre eine Vielzahl von Reisen zu ihren „Brüdern“ der HSN quer durch Europa und sogar nach Übersee. Stefan Wagner, genannt „Reha“, saß damals zudem bei der Band «Stahleemer» am Schlagzeug. Die Gruppe brachte es allerdings nicht weit und veröffentlichte um 1998 nur eine Kassette über Hesses «Hate Records».
Viel interessanter waren die Wagner-Brüder für die Hammerskins durch ihre Zugriffsmöglichkeiten auf Räume in der Region um Leipzig. Ihre Eltern betrieben eine Pizzeria in Schkeuditz, die sich im Laufe der Jahre als ein Treffpunkt der Hammerskins entwickelte – vor allem für interne Treffen. Auch auf andere Kneipen im direkten Wohnumfeld der Wagners konnte regelmäßig zurück gegriffen werden. Schkeuditz liegt nordwestlich von Leipzig, direkt hinter der Stadtgrenze der sächsischen Großstadt. Weil auch in Leipzig-Wahren einige Feiern und Anlässe der Hammerskins ihre Austragung fanden, ist in einigen Fanzines aus der Zeit auch der Begriff „Leipziger Hammerskins“ bekannt.
Ab 1997 erweiterte sich der Kreis um Stefan und Marko Wagner in der Region und neue Prospects wurden eingeführt. Ab 1998 waren die Neonazis Silvio R. (*1972) und Mike Jürgen G. (*1976) Fullmember. R. war über seine Beschäftigung in der Pizzeria der Wagners auf die Hammerskins gestoßen. Später stellte er in einem Verhör fest, wie banal seine Aufnahme als Fullmember aussah: Er sei mit den Hammerskins um Hesse auf einem Konzert in Bayern gewesen und bekam ganz nebenbei seinen „Crossed Hammers“-Patch ausgehändigt. Dann war er dabei. R. bewegte sich Anfang der 1990er Jahre in der linken Szene Leipzigs und sei laut eigener Aussage 2000 wieder bei den Hammerskins ausgestiegen. Bemerkenswert ist, dass er sichtlich unsicher war, wie viel er über die Hammerskins im Verhör überhaupt sagen dürfe. „Ich kenne es durch hören und sagen, dass wenn einer aussteigt und aussagt, dann wird seine Wohnung kurz und klein geschlagen“, teilt er den Polizist*innen 2002 mit.
Thüringen stößt dazu und damit ein V-Mann
Im Dreiländereck der Bundesländer Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen wurde offenbar kräftig die Werbetrommel für die Bruderschaft gerührt. Nach und nach stießen zwischen 1998 und 2000 René Weiße (*1976), Jan Lippert (*1975), Sven Jahnke (*1976), Rene J. (*1971) und Thomas Geissler (*1978) dazu. Ursprünglich war sogar geplant, dass Weiße, Jahnke, Lippert und Geissler ein Chapter «Thüringen» eröffnen sollten. Doch der Zeitpunkt war nicht der Beste. Mit der Rekrutierung neuer Mitglieder vor allem in Thüringen entstand ein Disput zwischen den Hammerskins Stefan und Marko Wagner im Westen und Mirko Hesse im Osten Sachsens. Um 1999 war eine Kommunikation zwischen den Fraktionen kaum möglich, man warf sich gegenseitig „Spalterei“ vor. Am Ende stellte man die einzelnen Mitglieder vor die Wahl, welcher regionalen Gruppe sie sich zugehörig fühlten. Die Thüringer Prospects um Weiße und Lippert entschieden sich für die Ostsachsen.
Lippert und Weiße erlangten Ende der 1990er Jahre überregionale Bekanntheit aufgrund ihres Mitwirkens in der Band «Kreuzfeuer» (vormals «Kroizfoier»). Die Band um Sänger Jens Rahl aus Altenburg besitzt bis heute Kult-Status in der Szene. 1999 wechselten die Musiker ihren Stil und folgten dem Trend, Skinhead-Rock durch härtere Spielarten wie Hardcore oder Deathmetal zu ersetzen. Mit Weiße und Lippert in der Band erhoffte sich Mirko Hesse, endlich über eine „richtige Hammerskin-Band“ verfügen zu können. Doch Jens Rahl war Mitglied in der Thüringer Sektion von «Blood & Honour» und wollte sich nicht in „eine Schublade“ stecken lassen, wie er in Interviews preis gab. Am 10. September 2000, zwei Tage vor dem Verbot von «Blood & Honour» in Deutschland, nahm sich Rahl das Leben. Er war schwer depressiv.
Weiße führte seine musikalischen Betätigungen fort und gründete um 2001 «Brainwash». Die Band war prägend für die NS-Hardcore-Szene. Sie bediente sich an den Codes der nicht-rechten, antirassistischen Subkultur und versuchte anfangs sogar im Konzertgeschehen dieser Jugendkultur Fuß zu fassen. Bis 2019 veröffentlichte «Brainwash» etliche CDs. Weiße soll im Frühjahr 2002 aus der «Hammerskin Nation» ausgeschlossen worden sein. Offenbar im „Good Standing“, denn er konnte noch Jahre später mit «Brainwash» auf etlichen Hammerskin-Konzerten spielen, darunter mehrfach auf dem „European Hammerfest“. Um 2010 zog er nach Dresden, betätigte sich als Grafikdesigner und war für das Modelabel «Dryve by Szushyde» verantwortlich. Erst durch den Abschlussbericht des Thüringer NSU-Untersuchungsausschusses wurde 2019 öffentlich, dass Weiße nachweislich für den Geheimdienst spitzelte. Ab März 1998 erst als „Gewährperson“ unter dem Namen „Indio“ und bis September 1998 unter dem Alias „Wolke“. Insgesamt sechzehn Treffen hatte es zwischen ihm und dem Thüringer Geheimdienst („Verfassungsschutz“) gegeben. In der Zeit nahm Weiße an einer Reise zu den «Confederate Hammerskins» in die USA teil und verkaufte im Auftrag von Hesse auf Konzerten in Deutschland strafrechtlich relevante CDs. Angesetzt wurde er allerdings auf die Mitglieder seiner Band «Kreuzfeuer».
Zwanzig Jahre später fehlten ihm offenbar die Worte. Gegenüber seinen Kameraden wollte er sich dazu nicht vollumfänglich äußern. Im Frühjahr 2021 prangerten diese ihn deshalb im Internet an und warnten auf einer eigens für den Fall „Rene W.“ aufgesetzten Webseite vor Weiße. Die VerfasserInnen des „Outings“ wissen, dass Weiße auch nach 1998 vom Geheimdienst noch mehrfach angeworben werden sollte. Warum er diese Anwerbeversuche größtenteils nicht öffentlich gemacht hätte? „Dann würden die Leute denken er wäre ein V-Mann!“, soll Weiße gesagt haben.
Weißes Mitstreiter bei «Kreuzfeuer» Jan Lippert habe 2001 die «Hammerskin Nation» verlassen. Das erzählte er zumindest den Ermittler*innen in einem Verhör ein paar Jahre später. Sein ehemaliger „Bruder“ Sven Jahnke wusste allerdings im selben Ermittlungskomplex zu berichten, dass „Lippi“ unbedingt seine Patches mit den gekreuzten Hämmern behalten wollte. Ihm seien sie wichtig gewesen, weil er sich damit profilieren wollte. In einem Brief an den inhaftierten Mirko Hesse wiederum berichtet Jahnke über Streitereien mit den Schkeuditzer Hammerskins um Stefan Wagner. Diese seien auch der Grund gewesen, warum er, Weiße und Lippert im Frühjahr ihre Patches abgegeben hätten, schreibt er Hesse. Nichts desto trotz würde er weiterhin die „Nation“ unterstützen. Lippert und Jahnke sind bis heute im Altenburger Raum in der Neonaziszene verankert. Sie reisen zu RechtsRock-Konzerten und nehmen an Partys teil, auf denen sich einige ehemalige „Brüder“ finden lassen – betrachtet man die Bilderstrecken dieser Events in den sozialen Netzwerken. Jahnke war etwa auf dem Großevent „Rock gegen Überfremdung II“ im Juli 2017 zu Gast und reiste dort mit Enrico Behling an. Behling ist seit den 1990ern in der Neonaziszene im Altenburger Land aktiv und bewegt sich bis heute im Umfeld der Hammerskins.
Neben Weißes «Kreuzfeuer» kam auch «Wewelsburg» aus dem Raum Altenburg. Sänger der Band war Thomas Geissler, genannt „Ameise“, der im Dezember 1998 als Anwärter am sogenannten „SHS-Marsch“ teilnahm. In der Einladung zum Marsch der «Hammerskins Sachsen» hieß es, man solle auf Bomberjacken verzichten. Gewünscht sei „ordentliche, militärische Kleidung“. Geissler war mit «Wewelsburg» bis 2001 aktiv. Ein letztes Konzert spielte die Band im März 2001 in Bergisdorf bei Zeitz (Sachsen-Anhalt), gemeinsam mit den US-amerikanischen Hammerskin-Kapellen «Max Resist» und «Intimidation One». Bis zu 600 Personen nahmen an dem Konzert teil. Als Geissler 2019 offenbar „Erinnerungswochen“ hatte, veröffentlichte er mehrere alte Fotos innerhalb sozialer Netzwerke. Eins davon zeigt ihn in Bomberjacke mit einem Patch der «Hammerskin Nation», vermutlich um 2002. Die Reaktionen auf das Bild sind durchweg positiv und auch der aktive Hammerskin Thomas Gerlach hinterlässt einen Kommentar. Thomas Geissler dürfte bis Mitte der 2000er Jahre den «Hammerskins Sachsen» angehört haben. Nach seinem Austritt bewegte er sich mehrere Jahre in der Rockerszene um den «Stahlpakt MC» in Ostthüringen, in dem sich einige Neonazis sammelten. Heute ist Geissler Mitglied des regionalen Motorradclubs «Blue Eyed Skulls».
Rene J., genannt „Hecke“ verzog aufgrund einer beruflichen Neuorientierung aus Zeitz in Sachsen-Anhalt in den Raum Heidelberg, Baden-Württemberg. Er hatte sich zuletzt um die Verwaltung der Kasse der Westsachsen gekümmert. Laut unterschiedlichen Einschätzungen im Ermittlungskomplex des LKA Sachsen gegen die Hammerskins soll er an seinem neuen Wohnort weiterhin in der Bruderschaft aktiv gewesen sein. Ab 2003 konnte er nicht mehr in der Neonaziszene festgestellt werden.
Ein Beispiel von vielen – der Überfall in Gohrisch 1999
Die «Hammerskins Sachsen» waren, wie viele andere lokale Kameradschaften auch, für ihr gewalttätiges Verhalten bekannt. In der Gruppe besuchten sie nicht nur szeneeigene Partys und Konzerte, sondern fanden sich regelmäßig in den örtlichen Diskotheken ein. In Ostsachsen sprach sich schnell herum: Der Hesse und sein Freundeskreis, das sind Hammerskins. Dabei war unwesentlich, ob auch alle aus der Gruppe um Hesse tatsächlich Fullmember waren, oder ob manche nur damit kokettierten. Fest stand jedoch, dass von der Gruppe eine Gefahr ausging, dass sie zusammen hielt und Kontakte zur bundesweiten Szene pflegte.
Die ostsächsischen „Brüder“ unterhielten besonders gute Beziehungen zu den »Hammerskins Berlin». Es kam regelmäßig zu gegenseitigen Besuchen. So auch im Frühjahr 1999. Hammerskins aus der Hauptstadt waren zu Gast in Sachsen und nahmen an einer Party der lokalen Neonazi-Szene in Arnsdorf teil. Dort war zwischen ihnen und der ebenfalls äußerst gewalttätigen Struktur «Skinheads Sächsische Schweiz» (SSS) ein Streit entfacht, in dessen Verlauf es zu einer Massenschlägerei kam, bei der die Berliner um Ricardo Adler verletzt wurden. Es hieß, dass einer der Berliner sogar ins Krankenhaus musste. Gekränkt im Ego forderten die Berliner eine Revanche und vereinbarten mit den SSS ein „Match“ auf einem Sportplatz bei Bad Schandau, wie man es aus dem Hooligan-Milieu kennt. Mit bis zu zehn Autos fuhr eine Delegation aus Berlin am Abend des 6. März 1999 nach Ostsachsen. Laut einer Aussage eines Anwesenden waren nur wenige Autos von Mitgliedern der «Hammerskins Berlin» besetzt. Der Großteil der Auswärtigen bestand aus Personen aus dem rechten Hooligan-Klientel. Die Hammerskins hatten rechte Schläger aus Bremen mobilisieren können, sowie etliche Personen aus der Fanszene des Berliner Fußball Club Dynamo, wie Mirco Jäppelt und Timo Eckardt. Auch die Hammerskins aus Ostsachsen um Hesse, wie auch die westsächsischen Hammerskins waren fast vollständig vor Ort. Abgemacht wäre gewesen, die Hammerskin-Kluft zu Hause zu lassen, um später nicht identifiziert werden zu können. Die Auseinandersetzung mit der SSS fand letztlich nicht statt. Die lokalen Neonazis hatten abgesagt, jedoch im gleichen Atemzug den angereisten Neonazis erzählt, dass in einem Jugendclub in Gohrisch bei Königstein ein „Zeckenkonzert“ stattfinden würde. Offenbar überzeugt davon, das Personenpotential zu nutzen, fuhr die Kolonne in Richtung Jugendclub. Eindrücklich berichtet einer der anwesenden Hammerskins Jahre nach den Geschehnissen den Ermittler*innen, wie vor Ort agiert wurde. „Es war jedem klar dass wir das Konzert und danach die Disko auseinander nehmen wollten“ berichtet er und führt aus, dass man direkt ausgestiegen sei und die ersten Besucher*innen des Konzerts angegriffen habe, die ihnen entgegen liefen. Die Berliner hätten Schlagstöcke mitgeführt und einer von ihnen sei von einer Mauer auf sein Opfer gesprungen. Als die Polizei kam, flüchteten die Neonazis und hinterließen mehrere verletzte Jugendliche. „Wenn die Polizei nicht so schnell gekommen wäre, hätten wir definitiv noch den Club platt gemacht“, gibt der Beteiligte zu Protokoll. Auf der Flucht über die Zufahrt zum Jugendclub hätten er und seine Insassen zudem eine ungewöhnliche Bewegung des Autos vernommen. „Wir haben gerade einen überfahren“ soll der Fahrer – Silvio R.von den westsächsischen Hammerskins – festgestellt haben.
Ein V-Mann wird enttarnt – ohne Konsequenzen
Der Status Quo war bei den «Hammerskins Sachsen» in den ersten Jahren nach der Jahrtausendwende alles andere als rosig. Viele Mitglieder haben aus Motivationslosigkeit oder ähnlichem ihre Patches zurück gegeben und interne Konflikte zermürbten das zuvor höchst aktive Netzwerk. Eines der letzten großen Treffen, das vorrangig die westsächsischen Hammerskins organisiert hatten, war das EOM im Januar 2001 in Schmannewitz bei Grimma, östlich von Leipzig. Rund 60 Hammerskins aus ganz Europa kamen zusammen, darunter Briten, Spanier, Italiener, Niederländer, Schweizer und Personen aus dem Bundesgebiet. Kurz darauf folgten vermehrt Einschläge, die dem Netzwerk schaden sollten. Strafbare CD-Produktionen gerieten in den Fokus, Hesse kam in Haft und die Ermittler*innen sammelten Hinweise, die beweisen sollten, dass die Hammerskins ihre Struktur für kriminelle Zwecke nutzen.
Kurz nach dem „Summercamp“ der HSN, das am letzten Augustwochenende 2002 in Spanien ausgetragen wurde, bestätigte sich der Verdacht, der seit einiger Zeit im Raum stand: Man hat einen V-Mann in den eigenen Reihen. Es ging um Mirko Hesse. Malte Redeker, der zum Zeitpunkt erst wenige Monate Fullmember ist, führte dazu mehrere Korrespondenzen mit den «Hammerskins Sachsen». Immer hieß es, die Gerüchte würden nicht stimmen. Stefan Müller lege für Hesse die Hand ins Feuer, hieß es und vor allem Redeker und Stefan Pohlers vom Chapter «Westmark» würden ihm den „Rücken frei halten“, wie Pohlers in einem Brief an den inhaftierten Hesse erklärt. Hesses Tätigkeit für den Geheimdienst wurde durch die Ermittlungen gegen sein Chapter «Sachsen» bekannt. Er wurde um 1997 vom «Bundesamt für Verfassungsschutz» angeworben und seit dem unter dem Decknamen „Strontium“ geführt. Kurz vor seiner Verurteilung im Dezember 2001 wird er als „Quelle“ abgeschaltet. Laut Presseberichten aus dieser Zeit habe er für seine Zuarbeit – an der Steuer vorbei – um die 100 000 Euro erhalten.
Die Hammerskins wirkten kurzzeitig aufgewühlt, führten ihre Aktivitäten nach dem Aufliegen von Hesse aber wie gewohnt weiter. Es wirkte fast so, als ob eigentlich jeder aus der Bruderschaft wusste, wo sich Hesse nebenher Gelder besorgt hatte. Er lebte auf großen Fuß, war bedacht, die neuesten Autos zu fahren und reiste um die ganze Welt. Dabei steckte er ständig in finanziellen Schwierigkeiten, musste sich bei seinen „Brüdern“ Geld leihen oder machte Schulden in der Kasse seines Chapters. Die finanzielle Not war sicher einer der Aspekte, warum Hesse sich als V-Mann anwerben ließ. Zum Zeitpunkt des Einstiegs in seine „Nebentätigkeit“ wusste mindestens ein weiteres Fullmember der ostsächsischen Hammerskins davon. Michael L. hatte Hesse sogar zu einem der ersten Treffen mit dem Geheimdienst chauffiert.
Nachdem Hesse im März 2004 aus der Haft entlassen wurde, konnten keine Konsequenzen für seine V-Mann-Tätigkeit wahrgenommen werden. Doch dauerte es einige Zeit, bis er wieder am rechten Alltag in der Sächsischen Schweiz teilnahm. Am ersten Mai 2008 fiel er auf, weil er aus einer Gruppe heraus im sächsischen Stolpen alternative Jugendliche verprügelt hatte. Ein Jahr später war er Teilnehmer eines Neonazi-Aufmarsches in Tschechien. Im Nachbarland, so berichteten tschechische Antifaschist*innen ausführlich, habe er in der Zeit vermehrt den Kontakt zur NS-Black Metal-Szene gesucht.
Um 2008 wird er Mitbetreiber des „Crash & Born Store“ in Sebnitz und versucht sich im Textildruck- und Design. Die Anfang der 2000er Jahre entstandene Marke «Hatecrime» (dt. „Hassverbrechen“) wird zu seinem Steckenpferd, entwickelt jedoch überregional keine Relevanz in der Szene. Mit seiner Firma „Tatex Textildruck“ ist er auch in die Produktion von Bekleidung des Labels «Imperator Wear» involviert. „Qualität statt Quantität! Definitiv mein favorisiertes Klamotten-Label!!“. Mit diesem Kommentar bewirbt der Hammerskin Thomas Gerlach die Marke ab 2014. Regelmäßig posiert er in Shirts von «Imperator Wear» mit Schriftzügen wie „Singing Birds Hunting Club“. Mit „Singing Birds“, also „Singvögel“, wird doppeldeutig Bezug auf Spitzel und PolizeiinformantInnen genommen, die man zum Abschuss frei gebe. Das ist paradox hinsichtlich der V-Mann-Tätigkeit Hesses. Dieser war durchaus bedacht, so wenig Bezug wie möglich zu «Imperator Wear» sichtbar werden zu lassen. Doch auf Bildern, auf denen gezeigt wird, wie die Klamotten des Labels bedruckt werden, lassen sich unschwer Hesses tätowierte Arme erkennen. Ein Tattoo von gekreuzten Hämmern, das er bis heute am Handgelenk trägt, retouchierte er auf dem Foto. Markiert war der Beitrag zum Bild in den sozialen Netzwerken mit „#organizedcrime“ und „#brotherhood“.
Auch der Europa-Chef der Hammerskins, Malte Redeker, hatte offenbar wenig Berührungsängste mit Hesse in den Jahren nach dessen Haft. 2014 konnte eine Kommunikation festgestellt werden, in der sich Hesse und Redeker über T-Shirts und ähnliches unterhielten. Anhand dessen kam heraus, dass Hesse mit „Tatex Textildruck“ und seiner anderen Firma „Druckbude“ die Shirts für HoGeSa («Hooligans gegen Salafisten») druckte, die Redeker in Auftrag gegeben hatte. Für Redeker bedruckte Hesse auch Band-Merchandise für «Gjallarhorn Klangschmiede» (GKS). Auch „MMA-Zeugs“ (sic!) habe Hesse gedruckt. Offen bleibt, ob es sich dabei um Artikel für den «Kampf der Nibelungen» handelte. Die Geschäftsbeziehung war nicht beliebig, sondern im Dezember 2014 so eng, dass Hesse gegenüber Redeker sogar die Idee äußerte, den Textildruck für GKS zu professionalisieren. Er würde die Kooperation unter dem Namen „Front Druck“ weiterführen wollen, schrieb Hesse.
Bis heute bewegt sich Mirko Hesse in der lokalen Neonaziszene in der Sächsischen Schweiz und ist im Textildruck tätig. Im Februar 2017 nahm er an einem rassistischen Aufmarsch im sächsischen Neustadt teil. Als 2019 eine CD der schwedischen Band «Heysel» neu aufgelegt wurde, war es «Hate Records», die dafür eine Lizenz vergab. Hesse hatte die CD um 2000 erstveröffentlicht und eine hohe Stückzahl produziert. Damals war noch kein Hakenkreuz auf dem Frontcover der CD abgebildet, heute sind jedoch zwei Soldaten aus dem Dritten Reich zu sehen, die einen Schwur auf die Hakenkreuz-Flagge ablegen.
Jahre der Neuorientierung
Nach 2002 gab es in Ostsachsen faktisch keine Struktur mehr, die sich als Chapter organisierte, so wie es in den 1990er Jahren der Fall war. Stefan Müller war der einzige, der von der alten Struktur um Hesse als aktiver Hammerskin übrig blieb. Er nahm noch 2003 und 2004 an der Jahresfeier der «Hammerskins Berlin» teil, die jeweils vom Sondereinsatzkommando der Polizei aufgelöst wurde. Danach verliert sich die Spur zu Müller und seiner Aktivitäten in der HSN, doch der rechten Szene ist er bis heute verbunden.
Auch die «Crew 38» um Martin Schaffrath, Lars Ulbrich, René Wuttke und Rico Münzberg zerfiel um 2003. Alle der Genannten orientierten sich die kommenden Jahre vor allem an der rechten Hooliganszene der SG Dynamo Dresden oder gingen in Nachfolgestrukturen der «Skinheads Sächsische Schweiz» auf. Schaffrath wurde noch im August 2003 von der Polizei – fälschlicherweise – als Mitglied der «Hammerskins Sachsen» bezeichnet, als er bei einem RechtsRock-Konzert in Stolpen als Veranstalter in Erscheinung trat. Später wurde er Stützpunktleiter der «Jungen Nationalisten» (JN) und war für die NPD im Stadtrat in Struppen aktiv. Er betreibt heute den rechen Szeneladen „The Store“ in Pirna bei Dresden und nahm in den vergangenen Jahren an Aufmärschen von PEGIDA teil. Schaffrath war einer von rund 225 Neonazis, die im Januar 2016 den links-alternativen Leipziger Stadtteil Connewitz verwüsteten.
Lars Ulbrich entwickelte nach dem Zerfall der Hammerskin-Struktur in Ostsachsen ebenfalls eine Vielzahl von Aktivitäten in der extremen Rechten. Letztmalig fiel er explizit im Kontext der Bruderschaft auf, als er im Sommer 2001 u.a. mit Schaffrath am „Summercamp“ der HSN in Frankreich teilnahm. Er ist heute Geschäftsführer einer Baufirma, deren Logo sich stark der Symbolwelt der Hammerskins bedient: Ein Zahnkranz umrahmt zwei gekreuzte Werkzeuge. Jüngst geriet Ulbrich in den öffentlichen Fokus, weil er in Pfaffendorf bei Königstein eine Art Clubhaus für die regionale Neonaziszene aufgebaut hatte. Bei einer Feier im Mai 2020 war es dort zu Angriffen auf Polizist*innen gekommen.
Sandro Wagner wiederum – der „Chauffeur“ von Mirko Hesse und damals Betreiber eines rechten Szeneladens in Bautzen – ist heute in einem Tattoo-Studio in Bautzen tätig. Um ihn ranken sich viele Geschichten, auf die sich kein Reim gemacht werden kann. Seine Wohnung wurde im Zuge der Ermittlungen um die Band «Landser» im April 2001 durchsucht. Zufällig stießen die Polizist*innen dabei auf Munition. Er selbst gab in einer Vernehmung im NSU-Komplex 2012 an, dass er 2000 aus der rechten Szene „ausgestiegen“ sei. Tatsächlich war er noch 2003 tief in die Strukturen verstrickt und hatte sogar einen Bekannten gebeten, ihm eine Waffe zu besorgen. Als es zur Übergabe kam, wurde nicht Wagner, sondern sein Bekannter festgenommen. Später stellte sich heraus, dass Wagner der Polizei einen Tipp gegeben hatte. Und noch vielmehr: Wagner wurde höchstwahrscheinlich vom LKA Berlin im Rahmen der «Landser»-Ermittlungen als V-Person angeworben und dann als „VP620 aus Bautzen“ geführt. Im Juli 2002 war Wagner zu Besuch in der JVA Dresden, wo Hesse seine Strafe absaß. Begleitet wurde er von Markus Eisold, genannt „Mick Mark“. Eisold bewegte sich schon Ende der 1990er Jahre im Umfeld der ostsächsischen Hammerskins und sei der Stammtätowierer von Hesse gewesen. Bei dem Überfall auf den Jugendclub in der Nacht des 6. März 1999 war er ebenfalls vor Ort, seine unmittelbare Beteiligung konnte jedoch nicht bewiesen werden. Tatsächlich ist Eisolds Geschichte in der rechten Szene den wenigsten bekannt. Das Antifaschistische Infoblatt veröffentlichte allerdings 2015 einen Artikel zu Eisold, da dieser das Modelabel «Yakuza» mit gründete und bis heute maßgeblich gestaltet. Eisold und Hesse scheinen auch heute noch in Kontakt zu stehen. Als Hesse im Januar 2021 auf seinem Instagram-Profil ein Bild veröffentlichte, auf dem er vermummt zu sehen ist und dazu schrieb „Wenn Vermummen quasi zur Pflicht wird…“, antwortete Eisold amüsiert: „wär hätte das gedacht vor jahren.“ (sic!)
Auch im Vogtland stellten die Hammerskins ihre Aktivitäten weitgehend ein, u.a. verließen Alexander H. und Steffen Kanzler die „Nation“. Im Laufe dieser Recherchen stellte sich heraus, dass Kanzler ebenfalls als V-Mann tätig war. Er trat noch 2017 in Erscheinung, als er am Großkonzert „Rock gegen Überfremdung II“ im Juli in Themar (Thüringen) teilnahm. Dort begrüßte er auch den NSU-Unterstützer André Eminger herzlich.
Die «Hammerskins Sachsen» verschwinden in den Jahren nach 2002 aus Eigendarstellungen der «Hammerskin Nation». T-Shirts, die auf der Vorderseite den Schriftzug „European Hammerskins“ zeigen, verweisen auf der Rückseite penibel auf jedes bestehende europäische Chapter. Zu den Sachsen heißt es lediglich „1995 HS West Sachsen“. Es findet sich kein Bezug zu Hesses 1993 gegründeten Chapter – noch nicht.
Westsachsen erstarkt
Von der Gründungsgeneration der «Hammerskins Sachsen» aus dem Raum Schkeuditz und Altenburg war um 2002 nicht mehr viel zu finden. Marko Wagner und sein Bruder Stefan Wagner waren ausschlaggebend dafür, dass das Chapter «Sachsen» nach den internen Streitereien, dem Bekanntwerden Hesses als V-Mann und den Ermittlungen überhaupt weiter existierte.
Tatsächlich trug zum Fortbestehen der Struktur auch ein bislang unscheinbarer Neonazi bei: Dirk Bertram (*1976), der damals in Altenburg wohnte. Bertram, genannt „Berti“, war 2000 Prospect bei den «Hammerskins Sachsen», wurde spätestens 2001 zum Fullmember und ist bis heute in der Bruderschaft aktiv. Aktuell wohnt er in Treben im Landkreis Altenburger Land (Thüringen) und betreibt in Nobitz einen KFZ-Service. Er soll das Kürzel „hffh“ am linken Oberarm tätowiert haben.
Um 1997 saß Bertram bei der RechtsRock-Band «Normannen» am Schlagzeug und war für die Texte der Gruppe verantwortlich. Die Band wurde später in einer Eigendarstellung der lokalen RechtsRockszene als „erste nationale Skinhead Band aus Altenburg“ benannt. Bertram präsentierte sich damals mit T-Shirts des «Blood & Honour»-Netzwerks. «Normannen» soll sich 2001 aufgelöst haben.
Jahre später trat Bertram als Veranstalter eines Hammerskin-Konzertes in Erscheinung. Er hatte ein Konzert u.a. mit «Eternal Bleeding» am 31. Juli 2007 in Altenburg organisiert, das im Verlaufe des Abends von der Polizei aufgelöst wurde. Vor Ort war auch Shawn Suggs aus Detroit (USA). Ob er mit seiner Band «Max Resist» auftrat, ist nicht überliefert.
In den 2000er Jahre profilierte er sich in der organisierten Neonazi-Szene in Thüringen und Sachsen. Bemerkenswert ist seine Teilnahme an einer Aktion in Jena im Mai 2004. Gemeinsam mit den Führungspersonen des «Thüringer Heimatschutz», André Kapke und Ralf Wohlleben, sowie rund 30 weiteren Neonazis, besuchte er eine Ausstellung des «Bundesamt für Verfassungsschutz». Unter dem Motto „Braune Falle“ wollte der Geheimdienst auf die Gefahr von Rechts aufmerksam machen. Die Gruppe, der Bertram angehörte, hatte DIN A4-Zettel mit den Namen einiger Neonazis mitgebracht, die für den Geheimdienst tätig waren. Diese sowie Zettel mit der Aufschrift „Verfassungsschutz=Kriminelle Organisation“ klebte die Gruppe auf einige der Informationstafeln der Ausstellung.
Der Zusammenhang um Wohlleben und Kapke war für Bertram prägend. Als 2007 das «Freie Netz» (FN) entstand, gehörte er zum inneren Kreis der Organisation. Er tauchte in den Jahren danach vielfach als Ordner, stellvertretender Versammlungsleiter und sogar als Redner bei Versammlung des FN auf. Dem überregionalen Kameradschaftsverband gehörten neben Bertram, Wohlleben und Kapke noch etliche weitere Hammerskins an. Als die Aktivitäten des FN ab Anfang der 2010er Jahre einschliefen und sich deren AkteurInnen aus der Öffentlichkeit zurückzogen, tauchte auch Bertram kaum noch auf Aufmärschen auf. Es wäre falsch, ihn als „Mitläufer“ zu charakterisieren und doch schien er sich sehr an seinen politischen MitstreiterInnen und den „Brüdern“ in der HSN zu orientieren. Erst 2017 konnte Dirk Bertram wieder wahrgenommen werden. Er war Teilnehmer des „Rudolf-Hess-Gedenkmarsches“ in Berlin und fand sich vor Ort in einem Block ein, der aus Hammerskins unterschiedlicher deutscher Chapter bestand.
In der Zeit, als Bertram Prospect wurde, dürfte auch Thomas Gerlach (*1979) den Anwärterstatus erreicht haben. Zumindest wusste das Mandy Struck über ihren ehemaligen Partner Gerlach in einer Vernehmung im NSU-Komplex zu berichten. Wann genau Gerlach letztlich seinen Fullmember-Patch erhielt, ist unklar, auch weil er von April 2001 bis September 2004 in Haft saß und unmöglich in dieser Zeit gepachted worden sein konnte. Doch schon im Juni 2002 nutzte er die nur Fullmembern vorbehaltene Grußformel „HFFH“ in einen Brief an den ebenfalls inhaftierten Mirko Hesse. Er sei bei weitem noch nicht so lang dabei wie etwa Stefan Müller, erzählt er Hesse. Doch er habe „von Anfang an gesagt, das ich gegen jeden Mißstand vorgehen werde, der mir bekannt wird!“ (sic!) Der Brief lässt einen tiefen Blick in Gerlachs Weltanschauung und Wertegefüge zu. Zur Ausrichtung der «Hammerskin Nation» erläutert er seinem Ex-„Bruder“ aus Ostsachsen:
„Du weist selber, wir sind eine Nation die ein Ziel verfolgt und wir wollen kein Verein von gestrandeten Personen werden, das planlos im nationalsozialistischen Lager umherdümplet (so wie B&H z.b.!) Deshalb müssen wir gerade auf unsere Öffentlichkeitsarbeit ganz besonders achten!!! Dazu zählen natürlich auch Anti-soziale Partys oder dergleichen, ganz ohne Zweifel! Ich bin ja dafür ganz dem Volksgift Alkohol zu versagen, aber das wird wohl unrealistisch sein (Leider!).“(sic!)
Gerlach, der den Spitzname „Ace“ trägt, entwickelte sich nach seiner Haft zu einem der umtriebigsten Neonazis in Sachsen und Thüringen. Die Auflistung seiner politischen Betätigung würde im Gesamten sicher Seiten füllen. Er war besessen davon, dem Personenpotential in Mitteldeutschland eine funktionierende Struktur zu verschaffen. Lokal war er ab 2005 maßgeblich am Aufbau der «Nationalen Sozialisten Ostthüringen» (später «Nationale Sozialisten Altenburger Land») beteiligt und initiierte 2007 das Kameradschaftsnetzwerk «Freies Netz» mit. Bundesweit war er im «Kampfbund Deutscher Sozialisten» (KDS) organisiert und als Mitglied des «Freundeskreis Halbe» einer der Hauptveranstalter der revisionistischen und NS-verherrlichenden „Heldengedenken“ in Seelow (Brandenburg). Der NPD war Gerlach ebenfalls kurzzeitig verbunden, aber nur, weil er dadurch die Chance sah, unterschiedliche Spektren der extremen Rechten zu vereinen. Kernfeld seiner Agitation war der „Freie Widerstand“ um das FN und der Aufbau der Struktur der „Autonomen Nationalisten“. Mit dem FN war Gerlach auch in die „Organisationsleitung“ der Veranstaltungsreihe „Fest der Völker“ in Thüringen eingebunden, die in ihrer Hochzeit um 2007 über 1 000 Neonazis anzog – auch aus dem Ausland.
Thomas Gerlach wurde 1979 in Altenburg (Thüringen) geboren. Seit den 1990ern wechselte er mehrmals seinen Wohnsitz und lebte dabei viele Jahre in Meuselwitz im Altenburger Land. Vor einigen Jahren zog er mit seiner Lebenpartnerin Marlen Gerlach (geborene Pucknat) und seinen Kindern in die kleine Gemeinde Heukewalde.
Gerlach bewegt sich seit Mitte der 1990er Jahre in der rechten Fußballszene und fand in der Zeit ebenfalls Anschluss an die organisierte Neonazi-Szene. Er fiel erstmals 1997 auf, als er in der Öffentlichkeit eine Flagge mit dem in Deutschland strafbaren Keltenkreuz zeigte und dabei „Heß, Märtyrer für den Frieden“ rief. Ende der 1990er Jahre nahm er bereits an RechtsRock-Konzerten teil und produzierte um die Jahrtausendwende das Fanzine «Ace of Spades» – eine Anspielung auf seinen Spitznamen „Ace“ und seine Herkunft aus der Skatstadt Altenburg.
Zwischen April 2001 und Oktober 2004 verbüßte er eine Haftstrafe aufgrund mehrerer Körperverletzungsdelikten. Er saß in der JVA Tonna und in der JVA Hohenleuben und war in der Gefangenenvertretung (GMV) als Schriftführer tätig. Zudem gründete er in Haft den neonazistischen «Kameradschaftsbund für Thüringer POWs» (POW = „Prisoners of war“) mit. Während seiner Haft trat er bereits als Fullmember der «Hammerskin Nation» auf. Seine Anwärterschaft bei den Hammerskins durchlief er ab etwa 2000/2001.
Nach seiner Haftentlassung initiierte er die rechte «Bürgerinitiative Schöner Leben Altenburger Land» und die «Nationalen Sozialisten Ostthüringen», die dann in «Nationale Sozialisten Altenburger Land» umbenannt wurde. Zum Zeitpunkt war er kurzzeitig mit der NSU-Helferin Mandy Struck liiert. Ab 2007 war er maßgeblich mit dem damaligen Hammerskin Maik Scheffler an der Gestaltung des «Freien Netz» beteiligt. Nach dessen Vorbild – als „Freie Nationalisten“ – organisierten sich in Sachsen, Thüringen und Bayern bis Anfang der 2010er Jahre verschiedene Kameradschaften. Vor allem das Konzept der „Autonomen Nationalisten“ wurde vom «Freien Netz» vorangetrieben. Codes und Symbole aus der linken Subkultur wurden übernommen und um gedeutet. Gerlach tauchte damals mehrfach auf nicht-rechten Hardcore-Konzerten in Sachsen und Thüringen auf. Bis zirka 2010 war Gerlach auf fast allen Veranstaltungen der Neonazi-Szene in Mitteldeutschland vor Ort und übernahm dort Aufgaben als Ordner, Redner, Versammlungsleiter und Anmelder. Auch sein Bruder Andreas Gerlach war bei Aufmärschen des «Freien Netz» als Ordner eingesetzt.
2011, mit der Selbstenttarnung des NSU, rückte er in den Fokus der Ermittler*innen, weil er u.a. mit dem NSU-Unterstützer Ralf Wohlleben im «Freien Netz» politisch tätig und eng befreundet war. Mit André Kapke – ebenfalls treuer Gefährte Wohllebens – war Gerlach bis 2014 im Messebau in Deutschland und in der Schweiz tätig. Zuvor, um das Jahr 2009, betreute Gerlach als Hausmeister das Anwesen des extrem rechten Vereins «Gedächtnisstätte» in Borna bei Leipzig.
2015 absolvierte Thomas Gerlach ein erstes Praktikum in der Pflege, u.a. in einer psychatrischen Einrichtung und entschied sich bald darauf eine Ausbildung zur Pflegekraft zu machen. Im Sommer 2018 absolvierte er seine Prüfungen und arbeitet seitdem als Altenpfleger. Aktuell ist er im „Senioren-Wohnpark Klausa“ in Nobitz, Ortsteil Klausa, angestellt.
Neben seiner regen Aktivität als Hammerskin ist Gerlach heute – nach mehrjähriger Pause – wieder öffentlich politisch tätig. Gemeinsam mit seiner Ehepartnerin Marlen Gerlach organisiert er den «Impfkritischen Stammtisch» im Altenburger Land, der im Oktober 2019 bereits zum dritten Mal ausgetragen wurde. Beide treten dabei unter dem Namen «Impfkritik Altenburg » auf. Im September 2019 besuchten beide mit ihren Kindern eine Demonstration der Impf-GegnerInnen in Berlin. Im August 2020 nahmen sie an einem «Querdenken»-Aufmarsch in Berlin teil und bewegten sich dort um den Lautsprecherwagen des «Netzwerk Impfentscheid Deutschland». Als es im November 2020 in Berlin im Rahmen eines «Querdenken»-Aufmarsches zu schweren Übergriffen auf die Polizei kam, war auch das Ehepaar Gerlach zugegen. Gerlach hatte sich dort in einer Gruppe um u.a. René-Sebastian Stöcklein eingefunden, der den «Hammerskins Berlin» angehört. Wenige Tage zuvor war Gerlach Teil einer „Kunstaktion“ der verschwörungs-ideologischen Bewegung, die sich gegen die Corona-Maßnahmen richtete.
Sein Grundstück in Heukewalde dient den «Hammerskins Sachsen» heute als Anlaufstelle für familiäre Zusammenkünfte, intime Feste und Liedermacherabende. Seine Familie und die Bruderschaft gehören für ihn fest zusammen. So nimmt auch Marlen Gerlach, wie auch die älteste Tochter regelmäßig an Abendessen oder Sommerfesten der «Hammerskins Sachsen» teil. Gerlach ist Anhänger der extrem rechten, völkischen «Artgemeinschaft» und lebt mit seiner Familie nach den Riten und Bräuchen der Völkischen Siedler.
Thomas Gerlach war bis Anfang der 2010er Jahre mit dem FN aktiv. Danach stellten sich dessen Aktivitäten ein und er widmete sich der politischen Anteilnahme aus dem Hintergrund. Sein tatsächlicher familiärer Zusammenhang um seine Kinder und seine Lebenspartnerin Marlen Gerlach (*1982), geborene Pucknat, sowie seine „Wahlfamilie“, die Hammerskins, bestimmen bis heute sein Leben. Auf den dokumentierten Treffen der Bruderschaft der letzten Jahre in Deutschland tauchte er nicht auf, reiste aber noch im Mai 2019 zu einem EOM nach Italien, das die «Italia Hammerskins» in ihrem Clubhaus in Mailand ausgerichtet hatten. Gerlach ließ sich vor einigen Jahren in Heukewalde nieder und lebt dort mit seiner Familie, die er in den sozialen Netzwerken als „Sippe“ bezeichnet. Ein Versatzstück aus der völkischen Ideologie, dessen AnhängerInnen auch Thomas und Marlen Gerlach sind.
Die Brüder Marko und Stefan Wagner galten nach den Ermittlungen gegen die Hammerskins 2002 weiterhin als Ansprechpartner für das Chapter «Sachsen» – europaweit. Sie unternahmen Reisen zu ihren „Brüdern“ nach Ungarn und Italien und richteten selbst auch eigene Zusammenkünfte aus. Bemerkenswert waren die „Julfeste“, also Weihnachtsfeiern, die man gemeinsam „mit Kameraden der Erlebnisgeneration (Waffen SS -Luftwaffe- Wehrmacht)“ in Schkeuditz ausrichtete, wie in einer internen Einladung beschrieben wurde. Die Feste, wie eines am 17. Dezember 2011, würden nicht ausschließlich von den «Hammerskins Sachsen» organisiert, betonte man in der Einladung. Vielmehr sei die Feier eine Kooperation mit der „Hilfsgemeinschaft auf Gegenseitigkeit der Angehörigen der ehemaligen Waffen-SS“ (HIAG) gewesen.
Zwei Tage vor diesem Fest feierte Marko Wagner seinen 40. Geburtstag. Die Party wurde gleichzeitig intern als Jahresfeier der «Hammerskins Sachsen» beworben. Seitdem ist Wagner nicht mehr im Kontext der Bruderschaft feststellbar. Kein Wunder, denn auf Aufmärschen wirkte er unscheinbar und passte so gar nicht ins Klischee des Neonazi-Skins. Im adretten grünen Polohemd, ohne jegliche politische Symbole zur Schau zu stellen, nahm er etwa an einem Aufmarsch des «Freien Netz» im August 2008 in Altenburg teil. Einzig sein – nur für Mitwissende erkennbares – Tattoo am linken Oberarm macht deutlich, in welchem Milieu er sich bewegt. Das Tattoo zeigt die zwei gekreuzten Hämmern, ein Symbol, das nur Fullmember nutzen dürfen.
Auch sein Bruder – und „Bruder“ – Stefan Wagner tritt heute nicht mehr als Hammerskin auf. Im August 2012 lud er noch zum „Sport-und Familienfest“ des Chapter «Sachsen» in den Raum Schkeuditz ein. Heute ist er an die Neonazi-Partei «Der III. Weg» angebunden und fand sich etwa auf deren Aufmarsch im September 2019 in Plauen (Sachsen) ein. Stefan Wagner wohnt heute noch in Schkeuditz, sein Bruder Marko Wagner in Leipzig-Nordwest.
„Batman“ von den «Hammerskins Sachsen»
Mit seinem Spitznamen „Batman“ stellt sich Christian Kunja (*1979) bis heute bei Kameraden in ganz Deutschland und darüber hinaus vor. Kunja wurde in Lübben im Spreewald geboren, leistete seinen Grundwehrdienst in Hessen und zog 2000 nach Hamburg. Dort fing er eine Ausbildung bei der Lufthansa an und schloss ein BWL-Studium ab. Seitdem ist er als Entwickler, Ingenieur und „Troubleshooter“ für verschiedene internationale Firmen aus der IT-Branche tätig und bereist Länder wie Taiwan und Chile. Ende 2008 zog er zurück in seine alte Heimat, lebte bis 2014 in Cottbus und wohnt heute in der kleinen Gemeinde Lübben. Dort sponsert er als Privatperson den SV Grün-Weiss Lübben e.V., ist aber auch an die lokale Neonaziszene im nahen Cottbus angebunden.
In Hamburg wurde er ab 2003 als regelmäßiger Teilnehmer von Veranstaltungen der Bramfelder Neonazi festgestellt. Ein Jahr zuvor dürfte er bereits Prospect bei den «Hammerskins Sachsen» gewesen sein. 2002 wurde er auch auf einem konspirativ veranstalteten LeserInnen-Treffen der Zeitschrift „Recht & Wahrheit“ festgestellt, auf dem ihn Dirk Bertram begleitete. Mit Bertram nahm er auch im August 2003 am „Rudolf-Hess-Marsch“ in Wunsiedel teil. Beide wirkten dort unscheinbar und zeigten keine offensichtlich neonazistischen Symbole. Es ist unvorstellbar, dass die Auftritte mit Bertram zufällig waren. Beide lebten hunderte Kilometer von einander entfernt, teilten jedoch ihrer Hingabe zur «Hammerskin Nation». Ein ähnliches Bild entstand auf einem Aufmarsch in Hamburg-Wandsbek im Juli 2005. Wieder befand sich Kunja in einer Gruppe von Teilnehmern, die vorrangig den «Hammerskins Bremen» angehörten. Als Fullmember bei den Hammerskins war Kunja allerdings erst ab 2007 dingfest zu machen. In dem Jahr nahm er am „Ian Stuart Donaldson-Memorial“-Konzert in England teil und zeigte sich stolz in einem T-Shirt seiner Bruderschaft. Ab 2007 ist von ihm hingegen keine Teilnahme an Aufmärschen bekannt. Im September diesen Jahres besuchte er mit seinen „Brüdern“ Thomas Gerlach und Tony Gentsch eine Kundgebung des «Kampfbund Deutscher Sozialisten» (KDS).
Mit seinem Rückzug aus der Öffentlichkeit ab 2007 als Aufmarschgänger und dergleichen wuchsen jedoch seine Aktivitäten im Kontext der Bruderschaft. Vor allem seine „Brüder“ in den USA, im Mutterland der «Hammerskin Nation», haben es ihm offensichtlich angetan. Schon 2009 plante er gemeinsam mit seinem Kameraden Jörg Wollermann aus Cottbus zum „Hammerfest“ im Oktober nach Florida zu reisen. Auch 2015 war er in den USA, als das jährlich ausgerichtete Fest in San Bernardino in Kalifornien ausgerichtet wurde. Seine starke Anbindung an die US-amerikanischen Hammerskins trägt er auch auf seiner Kluft: auf dem rechten Oberarm seiner Bomberjacke hat er ein Patch der «Confederate Hammerskins» angebracht.
Kunja verpasste fast keines der Events der HSN in Europa. Zeitweise wirkte es sogar so, als ob er als Vertreter des Chapter «Sachsen» bei den Zusammenkünften auftrat. Im Oktober 2019 nahm er am „Joe Rowan Memorial“-Konzert in Kirchheim (Thüringen) teil und war auch beim „Hammerfest“ im November 2019 in Frankreich zugegen. Im Berufsleben und auf Ausflügen mit seiner tatsächlichen Familie gibt er den Biedermann. Anders als ein Großteil seine Brüder trägt er keine Tattoos sichtbar zur Schau, die auf seine politische Weltanschauung oder gar auf eine Mitgliedschaft in der HSN hinweisen könnten. Seine Freizeit außerhalb der Bruderschaft verbringt er schließlich mit diversen sportlichen Aktivitäten im öffentlichem Raum. Er nahm in Norddeutschland an Radrennen teil und betätigt sich heute vor allem im Bereich Kraftsport und Bodybuilding. Rückschlüsse auf seine neonazistische Gesinnung könnten nur gezogen werden, wenn er sich oberkörperfrei präsentieren würde. Denn auf seiner Brust trägt er die Wappen unterschiedlicher Division der Waffen-SS, darunter das Symbol der „Leibstandarte Adolf Hitler“.
Aus welchem Zusammenhang Christian Kunja Anfang der 2000er Jahre zu den Hammerskins fand, ist unklar. Anders als bei Maik Scheffler (*1974), genannt „Michi“. Scheffler gehörte vor seiner Zeit in der Bruderschaft der organisierten Neonaziszene im Raum Leipzig an. An seinem Wohnort, in Delitzsch nördlich von Leipzig, hatten die Hammerskins offenbar über Scheffler Zugriff auf ein Objekt. Dort, im Ortsteil Döbernitz, fand im Juni 2006 bereits ein Konzert statt, das den Hammerskins zugerechnet wurde. Scheffler war mit Thomas Gerlach ab 2007 am Aufbau des «Freien Netz» beteiligt und meldete selbst unzählige Aufmärsche an. Um 2008 betrieb er kurzzeitig eine Szenekneipe in Bad Düben, im selben Jahr trat er (wieder) der NPD bei, der er schon Ende der 1990er Jahre angehörte. Bis Herbst 2014 gehörte er dem Landesvorstand der NPD an. In der «Hammerskins Nation» dürfte er bis 2010 aktiv gewesen sein.
Als nach der Selbstenttarnung des NSU im November 2011 zahlreiche antifaschistische Recherchen in Artikeln darauf hinweisen, dass einige Neonazis aus dem «Freien Netz» enge Verbindungen in den NSU-UnterstützerInnenkreis pflegten, fiel auch der Name von Scheffler. Er und Thomas Gerlach waren über Jahre an den NSU-Helfer Ralf Wohlleben angebunden. In dem Zusammenhang musste sich auch der Europa-Chef der Hammerskins, Malte Redeker, vor seinen „Brüdern“ auf der ganzen Welt erklären, bzw. darauf eingehen, ob die „Nation“ durch die Ermittlungen im NSU-Komplex mit Konsequenzen zu rechnen hätte. Er ging in einem internen Newsletter im Januar 2012 auf die Geschehnisse ein und nannte dort auch „Michi“, der in den Presseberichten rund um den NSU auftauchte. Damals beschrieb er dessen Status in der HSN beiläufig: „formerly from Saxonia“ – ehemals vom Chapter «Sachsen». Maik Scheffler hörte 2015 auf in der rechten Szene aktiv zu sein, legte seine Tätigkeit in der NPD nieder und wird heute im Fernsehen als „Aussteiger“ präsentiert. Antifaschist*innen öffnete er sich seit dem zu keinem Zeitpunkt, seine ehemalige Mitgliedschaft in der HSN erwähnte er bisher nur am Rande. Dennoch ist er gefragter Referent in der Jugend-und Präventionsarbeit. „Scheffler ist höchstwahrscheinlich abgeschalteter v mann. Ekelhafte fotxxx“ (sic!) kommentierte Redeker im Juli 2020 einen Beitrag zu Scheffler im neonazistischen Telegram-Kanal „RockHate Forum“.
Um 2007 war in der Region Nordsachsen auch Stefan Troitzsch (*1983) als Prospect den Hammerskins angeschlossen. Er nahm an einem EOM im Mai 2007 in Kirchheim an der Weinstraße teil, in dessen Rahmen auch die Jahresfeier des Chapter «Westmark» stattfand. Als im Oktober des selben Jahres eine kleine Gruppe Hammerskins und Prospects aus Sachsen, Thüringen und Bayern in Kreuzwertheim (Bayern), mit Personen aus den «Blood & Honour»-Nachfolgestrukturen zusammen kamen, war Troitzsch auch anwesend. Ob es der in Spröda bei Delitzsch wohnhafte Troitzsch zum Fullmember schaffte, ist nicht überliefert. Er ist heute noch der Neonaziszene verbunden und arbeitet bei der „Landgut Brodau GmbH“ unweit seines Wohnorts.
Rekruten aus dem «Freien Netz»
Wie Troitzsch war auch Patrick Kettner (*1982) im August 2003 Teilnehmer des „Rudolf-Hess-Marsch“ im bayrischen Wundsiedel. Dort bewegte er sich im Block der «Jungen Nationalisten» (JN) um Tommy Naumann. Am 18. November 2006 konnte er dann beim NS-verherrlichenden „Heldengedenken“ in Seelow (Brandenburg) dabei beobachtet werden, wie er mit Maik Scheffler am Vormittag der Großveranstaltung die Bühne aufbaute. Kettner, genannt „Loki“, fand sich mit Gründung 2007 im «Freien Netz» ein und hatte dort vor allem die Aufgabe, Aufmärsche und Aktionen des Netzwerks zu dokumentieren.
Am 3. November 2007 reiste er mit Thomas Gerlach, Christian Kunja und Maik Scheffler zum „European Hammerfest“ nach Italien. Zwei Jahre später, im November 2009, trat er bereits in einem Pullover der «Crew 38» auf, als er beim „Winterfest der nationalen Jugend“ in Thüringen teilnahm. Ein paar hundert Neonazis gedachten dort der verstorbenen Neonazi- Führungsperson Jürgen Rieger. Um 2010 war Kettner in die Webseite „Nationaler Demonstrationsbeobachter“ eingebunden. Die Seite wurde von Thomas Richter (*1974), genannt „HJ Tommy“, betrieben, der zum Zeitpunkt in Halle in Sachsen-Anhalt lebte. Richter war V-Mann und mit hoher Wahrscheinlichkeit Produzent der sogenannten „NSU/NSDAP-CD“. Seine Rolle im NSU-Komplex wurde nur Ansatzweise ermittelt. Richter hinterließ etliche offene Fragen, als er 2014 an nicht erkannter Diabetis verstarb.
Kettner nahm der Tod von Richter schwer mit, dieser galt schließlich ab 2010 als sein engster Weggefährte. In der Zeit war Richter, wie Kettner Angehöriger der «Crew 38». Den direkten Weg zu den „Brüdern“ fand Kettner spätestens 2014. In dem Jahr konnte er mit Prospect-Bekleidung auf der Hochzeit eines Hammerskins in Jamel (Mecklenburg-Vorpommern) festgestellt werden. 2018 wurde er das erste Mal in Fullmember-Merchandise dokumentiert, als er erneut in Jamel in Erscheinung trat und dort an einem völkischen Fest teilnahm. Kettner ist bis heute in der «Hammerskin Nation» aktiv, mit Zugehörigkeit zum Chapter «Sachsen». Im Oktober 2018 reiste er zum „Hammerfest“ nach San Bernardino in den USA und war auch im Februar 2019 auf einem NOM in Lohr (Bayern) zugegen. Zu diesem Zeitpunkt wohnte er noch in Brandis bei Leipzig. Heute soll er in Leipzig-Leutzsch wohnen und ist beruflich im Bereich Grafikdesign aktiv. Unter dem Namen „V8 Travels“ betreibt er außerdem eine Art Reisetagebuch in den sozialen Netzwerken.
In der selben Zeit wie Kettner schloss sich auch Florian Jass (*1985) der «Crew 38» an – allerdings im Süden von Baden-Württemberg. Dort trat er 2007 erstmals in einem Pullover der UnterstützerInnenorganisation der HSN auf. Er war Antifaschist*innen vor Ort als Angehöriger der Kameradschaft «Freikorps Baden» bekannt, sowie als Bassist der RechtsRock-Band «Kurzschluss». Mit der Band stand er im Dezember 2009 beim „White X-Mas“-Konzert der «Hammerskin Nation» auf der Bühne. Shirts, die dort erworben werden konnten, wiesen im Frontaufdruck darauf hin, wer das Konzert maßgeblich organisiert hatte: „100% Crew 38“. Jass war um 2008 auf das Anwesen des bekannten Neonazis Enrico Marx in Allstedt-Sotterhausen in Sachsen-Anhalt gezogen. Die Immobilie im Dorfkern gehört zu den wichtigsten Konzert-Locations der Szene in Mitteldeutschland. Seit seinem Umzug war Jass stetiger Begleiter von Enrico Marx, sei es auf Konzerten oder Aufmärschen. Dabei übernahm er auch organisatorische Aufgaben, betreute etwa die Technik auf Versammlungen und war als Kameramann tätig. Florian Jass wirkte auch in seiner neuen Heimat in einer RechtsRock-Band: «Kinderzimmerterroristen». Weit brachte es die Kapelle jedoch nicht. Dafür konnte sich Jass als Tätowierer einen Ruf erarbeiten. Er arbeitet in Halle an der Saale im Tattoo- und Piercingstudio „White Skull“. Dort tritt er unter dem Künstlernamen „SkinArtSociety/S-A-S Tattoos“ auf. Er selbst ist bis ins Gesicht tätowiert. Auf der einen Wange hat er „VX“ tätowiert, ein selten benutzter Szenecode für „Haken Kreuz“. Die andere Wange ziert der Code „168:1“, der sich auf die 168 Menschen bezieht, die beim neonazistisch motivierten Bombenanschlag in Oklahoma City in den USA im April 1995 getötet wurden. Die „1“ ist ein Bezug auf den Haupttäter des Anschlags, Timothy McVeigh. Seit 2017 nimmt Florian Jass an internen Treffen der Hammerskins teil. 2019 war er im Februar auf einem NOM im bayrischen Lohr und reiste auch zum „Hammerfest“ im November des Jahres nach Frankreich. Dort trug er eine Bomberjacke mit dem Prospect-Patch. Er lebt heute in Wettin-Löbejün, gemeinsam mit seiner Partnerin Anke Jass. Sie gab sich auf dem „Hammerfest“ 2019 in Frankreich mit einem T-Shirt als „Supporter of the Nation“ aus. Florian Jass dürfte mittlerweile die Vollmitgliedschaft beim Chapter «Sachsen» erreicht haben.
Als der „ewigen Prospect“ wirkte hingegen Steffen Andrä (*1986), der heute in Altenburg lebt. Er gehörte Anfang der 2000er Jahre der Neonaziszene in Sachsen an und fand sich auf Aufmärschen wie dem „Rudolf-Hess-Marsch“ 2004 in Wunsiedel ein. Auch er war im «Freien Netz» aktiv und fand dadurch Anschluss an die «Hammerskins Sachsen» um Thomas Gerlach. Im Oktober 2008 nahm er bereits am „European Hammerfest“ in Ungarn teil, zu dem dutzende Hammerskins aus ganz Deutschland gereist waren. Erst um 2016 wurde er Prospect und war es bis Ende 2019 auch weiterhin – eine überdurchschnittlich lange Zeit für eine Anwärterschaft in der HSN. Dementsprechend hörig wirkte auch Andräs Auftreten. Als das „Joe Rowan Memorial“-Konzert im Oktober 2019 erneut im Szeneobjekt in Kirchheim (Thüringen) ausgetragen wurde, war offenbar auch Andrä in die Organisation eingebunden. Es sind Anlässe wie diese, an denen die Prospects zeigen können, dass sie es wert sind irgendwann als Fullmember anerkannt zu werden. So ereignete sich eine skurrile Situation am Einlassbereich des Hammerskin-Konzerts in Kirchheim, die das Autoritätsgefüge bestens beschreibt. Denn als die Hammerskins feststellen, dass Journalist*innen das Event dokumentieren, wird schnell versucht, Einblicke zu verwehren. Christian Kunja ist – in voller Hammerskin-Montur – auch vor Ort, nimmt die Journalist*innen wahr und wirkt unentschlossen. Statt die Tür selbst zu schließen, schaut er Steffan Andrä an, der neben ihn steht. Ohne zu zögern, geht Andrä nun zur Tür und verschließt diese.
Auch am „Hammerfest“ 2019 in Frankreich nahm Andrä als Prospect teil.
Einer der es bereits vor einigen Jahren zum Fullmember geschafft hat ist Tino Marx (*1978) aus Merseburg in Sachsen-Anhalt. Der Neonazi gehörte in den 2000er Jahren der Kameradschaftszene an und fiel 2003 durch seine mehrfache Teilnahme an Treffen und Feiern der «Artgemeinschaft» in Ihlfeld im Harz auf. Etwa im Rahmen einer Sonnenwendfeier der völkischen, extrem rechten Organisation im Juni des Jahres. Dort waren auch die NSU-Helfer André und Susann Eminger zu Gast. Marx, der unter dem Spitznamen „Schleimi“ bekannt ist, nahm bis Ende der 2010er Jahre regelmäßig an Aufmärschen in Mitteldeutschland teil. Beim „Rudolf-Hess-Marsch“ im August 2004 in Wunsiedel reihte er sich in den Block des „Freien Widerstand Leipzig“ ein und lief dort in unmittelbarer Nähe zu den damaligen Hammerskins Marko und Stefan Wagner, sowie Sven Jahnke. Später gehörte er dem «Freien Netz Merseburg» an und war auch in dem Zusammenhang mit Hammerskins wie Thomas Gerlach bestens bekannt. Mit Stefan Wagner nahm er noch am Aufmarsch in Halle an der Saale am 1. Mai 2011 teil. Wagner trat dort als Redner auf. In der Gruppe um Marx und Wagner befand sich auf dem Aufmarsch zeitweise auch Henry Behr (*1982) aus Wittenberg in Sachsen-Anhalt. Er war in der Zeit der «Crew 38» angehörig. Bemerkenswert ist auch, dass Behr ab 2013 als Geschäftsführer einer Firma in Nordsachsen auftrat, die sich dann ab 2015 für «Front Records» verantwortlich zeigte. Dort war auch Malte Redeker offiziell beschäftigt und nutze die Geschäftsstruktur von «Front Records», um von seiner Haupttätigkeit bei «Gjallarhorn Klangschmiede» abzulenken und Geldströme zu verschleiern. Jemand wie Behr, als Angehöriger der «Crew 38», kam Redeker da gelegen.
Tino Marx wurde um 2011 Prospect bei den «Hammerskins Sachsen». In dem Jahr nahm er mit Thomas Gerlach an einer Reise zu den «Portugal Hammerskins» (PHS) nach Lissabon teil. Vier Jahre später war Marx – der es zum Zeitpunkt bereits zum Fullmember der HSN geschafft hatte – gemeinsam mit Gerlach und Patrick Kettner erneut in Portugal. Dort fand am Wochenende des 24. Januar 2015 ein EOM, sowie die 10-Jahresfeier der portugiesischen Hammerskins statt. Der Kontakt zu den „Brüdern“ vor Ort läuft seit Jahren über Thomas Gerlach. Zeit 2005 unternimmt dieser teils mehrmals im Jahr Reisen zu den PHS und übernahm sogar organisatorische Aufgaben, als die Portugiesen in den 2000er Jahren mit staatlicher Repression zu kämpfen hatten. Gerlach soll auch damit beauftragt gewesen sein, Waffenteile nach Portugal zu schmuggeln.
Auch zu den russischen Neonazis um die «Crew 38 Moscow» unterhält das Chapter «Sachsen» eine besondere Beziehung. Jeweils im September besuchten Marx und Gerlach in 2018 und 2019 die UnterstützerInnengruppe der HSN in Russland. Die Treffen vor Ort mit Personen wie Maksim Savelyev und Maksim Alexandrowitsch Makiyenko – beide Protagonisten der Kampf-und Kraftsportgruppe «PPDM-Father Frost Mode» – sind von Gerlach und den Russen umfangreich fotografisch festgehalten worden und können in den sozialen Netzwerken nachvollzogen werden. Anders herum besucht vor allem ein russischer Neonazi, der nur als „Aleksandr“ bekannt ist, in regelmäßigen Abständen die «Hammerskins Sachsen». Gemeinsam mit Thomas Gerlach, Patrick Kettner, Dirk Bertram und Steffen Andrä nahm u.a. „Aleksandr“ von der «Crew 38 Moscow» etwa am „Joe Rowan Memorial“-Konzert teil, dass am 8. Oktober 2016 in Kirchheim (Thüringen) von den «Hammerskins Franken» ausgerichtet wurde. Einen Tag zuvor fand eine Zusammenkunft des Chapter «Sachsen» in einem Restaurant im Altenburger Land statt. Auch Gerlach Ehepartnerin, sowie eines der Kinder der Gerlachs fanden sich bei dem intimen Abendessen ein. Marlen Gerlach war am nächsten Abend ebenfalls in Kirchheim und trug dort ein T-Shirt mit der Aufschrift „Girls of South France – Switzerland – Germany – Sweden – Austria – Support the Nation“.
Die «Crew 38 Sachsen»
Über die Jahre sammelten sich etliche Neonazis um das Chapter «Sachsen», um gemeinsam an Konzerten und Ausflügen teilzunehmen. Doch nur einem kleinen Teil von ihnen war es wichtig, sich nach außen als UnterstützerInnen der Hammerskins zu präsentieren und auf eine Zugehörigkeit zur Struktur der «Crew 38» hinzuweisen. Den meisten aus der lokalen extremen Rechten war eh bewusst, wer zu wem gehörte. Auch Bands und die Musiker aus dem Altenburger Land, wie «Eternal Bleeding» um Michael Frenzel und Sören Leibnitz, mussten nicht in «Crew 38»-Merchandise auftreten, da ihr engstes Umfeld um Thomas Gerlach bundesweit als Hammerskin-Struktur wahrnehmbar war und es dazu keiner Stellungnahme bedurfte. Es ist banal, aber „wes Brot ich fress, des Lied ich sing“ könnte nicht besser zutreffen, als auf die RechtsRock-Szene im Altenburger Land. Darauf weist auch der CD-Sampler „Altenburg rockt das Reich“, der 2011 vom Hammerskin Hendrik Stiewe über «Wewelsburg Records» veröffentlicht wurde. Der Sampler beinhaltet sechs Bands aus der Region, u.a. «Brainwash», «Diary of a dying nation» und «Moshpit». Mit dem Erlös sollte das «Braune Haus» in Jena sowie das dort aktive «Freie Netz Jena» unterstützt werden. „Trotz der widrigen Bedingung weht in Jena noch immer unsere Fahne und das dies so bleibt, dafür hast auch Du mit dem Kauf dieser CD gesorgt“, heißt es im Booklet. Das Haus in Jena war Dreh-und Angelpunkt der Strukturen in Jena, die vom NSU-Unterstützer Ralf Wohlleben maßgeblich gestaltet wurden. Grüße gehen auf der CD als aller erstes an die «Hammerskin Nation».
Persönliche Kontakte führten auch Oliver Riesen aus Lucka bei Altenburg ins Nahumfeld der «Hammerskin Nation». Er war mit Thomas Gerlach von Ende der 2000er Jahre Teil der rechten Fangruppe «Luckas Beste» des FSV Lucka und besuchte mit ihm auch Fußballspiele der SG Sachsen Leipzig (heute BSG Chemie Leipzig). Beide konnten dank antifaschistischer Interventionen aus der Fanszene der BSG Chemie Leipzig entfernt werden. Riesen nahm mehrmals an Reisen zu den Hammerskins in Portugal teil und trat bis zirka 2013 als Angehöriger der «Crew 38» auf. Das Logo dieser Struktur hatte er sich sogar auf den Unterarm tätowieren lassen. Heute ist er an die Neonazi-Partei «Der III. Weg» angebunden und scheint vor allem einen engen Kontakt zu Partei-Kader und Ex-Hammerskin Tony Gentsch in Plauen zu unterhalten.
Um Florian Jass in Halle an der Saale bewegte sich ab 2010 wiederum Marvin Fock. Gemeinsam mit Jass nahm er an einem Aufmarsch am 1. Mai 2011 in Halle teil. 2015, als Fock in Regis-Breitlingen bei Leipzig wohnte, nutzte er eine Mailadresse, die unter dem Namen „focke-c38“ bei einem Provider angelegt wurde. In Sachsen-Anhalt selbst hatte sich die Band «Valhallas Patriots» um Sänger Jens März mehrfach als Unterstützer der „Nation“ zu erkennen gegeben. Auf ihrer 2005 veröffentlichten CD „Race over all“ grüßt die Band u.a. explizit „Malte und die Westmark Hammerkins“ sowie die „Westsachsen Hammerskins“. Jens März war damals der deutsche Vertreter der US-amerikanischen Neonazi-Organisation «Volksfront» und trat mit «Valhallas Patriots» im März 2005 auf einem Konzert in Mannheim auf, das als Verlobungsfeier von Malte Redeker und Heike Neumann (später Redeker) angekündigt wurde. Mit der Auflösung von «Valhallas Patriots» ist März heute, seit über fünf Jahren, in der Band «Barricades» aktiv. 2015 bedankte sich der Hammerskin Terry Vaughan aus den USA bei ihm, dass März ihm eine CD der Band geschickt hatte.
Weitaus deutlicher als März bezieht sich Mirko Fritze (*1982), geborener Szydlowski, auf seine Angehörigkeit zur «Crew 38». Fritze, der als Liedermacher «Barny» seit über zehn Jahren europaweit in der Neonaziszene bekannt und beliebt ist, stammt aus Jena. Dort wurde er Ende der 1990er Jahre in den Kameradschaftstrukturen um Ralf Wohlleben sozialisiert und politisiert. Seine damalige Band «Blustahl» probte im «Winzerclub» in Jena, wo auch das Kerntrio des NSU ein und aus ging. Als Fritze im NSU-Ermittlungskomplex zum Kerntrio befragt wurde, gibt er an, dass es möglich sei, dass er diese flüchtig gekannt habe. Den Hammerskin Thomas Gerlach kenne er nur aus aus dem Internet und nicht persönlich, sagt er in seiner Vernehmung zum NSU 2013. Doch mit Gerlach und den «Hammerskins Sachsen» ist er seit den 2000er freundschaftlich verbunden. Bereits 2007 nahm er gemeinsam mit Christian Kunja und Gerlach an einem Konzert von «Blood & Honour/Combat 18» in Skandinavien teil und befand sich mit Kunja im September 2007 in einer Gruppe beim „Ian Stuart Donaldson-Memorial“-Konzert in England.
Seit spätestens 2013 ist Fritze, der heute mit seiner Ehepartnerin Theresa Fritze (geborene Tambor) in Drognitz im Landkreis Saalfeld-Rudolstadt wohnt, Angehöriger der «Crew 38». Ab diesem Zeitpunkt trat er als Liedermacher auf Konzerten der «Hammerskins Schweden» auf und befand sich beim „Hammerfest“ im November 2015 als Musiker der Hammerskin-Band «Division Germania» auf der Bühne. Ab 2016 lassen sich vermehrt gemeinsame Reisen von Fritze und Thomas Gerlach feststellen. Fritze wird zu internen Treffen in Niedersachsen und Mecklenburg-Vorpommern als Liedermacher eingeladen, reist zur 10-Jahresfeier der ungarischen Hammerskins und nimmt mit Gerlach und Patrick Kettner im November an Zusammenkünften der Bruderschaft in Berlin teil. Als die «Hammerskins Pommern» im März 2017 ihr 20-Jähriges Bestehen in Salchow bei Anklam feierten, ist Fritze mit seiner Ehefrau Theresa Fritze anwesend. Beide haben im August 2020 geheiratet. Zu seinem Junggesellenabschied begleitete ihn Thomas Gerlach.
Fanzine-Macher als Prospect
Über Musik und die Neonazi-Skinkultur fand auch Norman Baar (*1983) den Zugang zur Bruderschaft. Er stammt aus dem sächsischen Erzgebirge und gab ab Ende der 2000er Jahre das rechte Skinheadmagazin «Für immer & ewig» heraus, wofür er ein Postfach in Niederwürschnitz unweit von Zwickau nutzte. Baars Fanzine wurde noch bis Anfang der 2010er Jahre in unregelmäßigen Abständen vertrieben und war gefüllt mit Berichten zu Aufmärschen, Konzerten und Feiern. In den ersten Heften fanden sich bereits Bezüge zu den Hammerskins. 2008 war Baar schließlich gemeinsam mit den Cottbusser Neonazis Martin Seidel und Jörg Wollermann zu Besuch bei den «Confederate Hammerskins» in den USA. In dem Rahmen unternahmen sie auch einen Ausflug auf einen Schießstand, wie Baar in seinem Heft beschriebt. In einer späteren Ausgabe des «Für immer & ewig» kommt auch der Hammerskin Hendrik Stiewe zu Wort. Er verfasste einen Reisebericht, der sich um seine Teilnahme am „St. Paddy‘s Day“-Konzert der «Confederate Hammerskins» drehte. Einer der Mitglieder dieses US-amerikanischen Chapters war dort auch vor Ort: Wade Michael Page. Dieser führte wenige Monate später ein Attentat auf einen Tempel der Sikh-Glaubensgemeinschaft aus, bei dem sechs Menschen vor Ort starben und weitere Personen schwer verletzt wurden.
Baar war sächsischen Antifaschist*innen eigentlich als Anhänger der Nachfolgestrukturen von «Blood & Honour» bekannt. Er bewegte sich ab Anfang der 2000er Jahre im Freundeskreis der RechtsRock-Bands «White Resistance» aus Schneeberg und «Blitzkrieg» aus Chemnitz. Mit Auftritten der beiden Bands wollte er im Juni 2006 seinen Geburtstag feiern. Eingeladen hatte er dafür in kleiner Runde in einen Jugendclub in Oelsnitz im Erzgebirge, dort wo auch «Blitzkrieg» und «White Resistance» zeitweise ihren Proberaum unterhielten. Mit Alexander Schwarz – dem ehemaligen Bassisten von «White Resistance» und heutigen AfD-Politiker im Zwickauer Stadtrat – nahm er an einem Aufmarsch des «Freien Netz» und der NPD am 1. Mai 2010 in Zwickau teil
Darüber hinaus ist Norman Baar mit Silvio Form aus Zwönitz im Erzgebirge eng befreundet. Ein weiterer Bezug Baars zu den Strukturen von «Blood & Honour», der Form einst – vor dem Verbot in Deutschland 2000 – angehörte. Es verwundert demnach, dass Baar im Dezember 2011 in einer internen Kommunikation von dem Bochumer Hammerskin Hendrik Stiewe als Prospect der «Hammerskins Sachsen» beschrieben wurde. Zu Baar ist keine Teilnahme an internen Treffen der Bruderschaft in dieser Zeit bekannt und auch heute lässt sich keine Vollmitgliedschaft erkennen. In der rechten Szene ist er jedoch weiterhin aktiv.
Aktivitäten des Chapter «Sachsen» in den letzten Jahren
Die «Hammerskins Sachsen» sind heute mit einem Potential von sieben Personen im inneren Kreis kein besonders großes Chapter, im Vergleich zu den «Westwall Hammerskins» oder den «Hammerskins Franken». Die Mitglieder des Chapter «Sachsen» zeichnen sich vor allem durch ihre starke Reisefreudigkeit aus und den dadurch entstandenen engen Verbindungen zu „Brüdern“ in Portugal, Russland und in die USA. Besonders Thomas Gerlach wirkt im Chapter als Vaterfigur und ist auf das Ausleben der Bruderschaft bedacht. Für ihn ist die Gemeinschaft und eine unbedingte Loyalität zur «Hammerskin Nation» heute mehr wert, als ständige Konzertbesuche, bzw. die rechte Subkultur im Allgemeinen. Alle Mitglieder der «Hammerskins Sachsen» stehen fest im Leben und sind teils über Jahrzehnte in der Neonaziszene aktiv.
Statt eigene Konzerte auszurichten, sind die Hammerskins um Thomas Gerlach vor allem bemüht, ihren „Brüdern“ gemütliche, intime und außergewöhnliche Zusammenkünfte zu bieten. Wie ein roter Faden ziehen sich diese durch die Geschichte des Chapters seit Mitte der 2000er Jahre. Schon 2006 luden Gerlach und Bertram die «Portugal Hammerskins» zu einem sogenannten „Ritteressen“ auf die Leuchtenburg nach Jena ein. Das Treffen war ein Spektakel, einige Teilnehmer kostümierten sich, es wurden mittelalterliche Geschichten erzählt und nachgestellt. Jahre später, im August 2011, luden die «Sachsen» erneut zu einem solchen gastronomischen Erlebnis, zu dem vor allem Prospects und Fullmember des Chapter «Franken» anreisten. Das Altenburger Land bietet genügend solcher Kulissen, wie auch Räumlichkeiten, in denen sich die Hammerskins ungestört treffen können. In Altenburg selbst galt vor allem eine Gaststätte in der Pohlhof Gasse – genannt „Pohlhof“ – um 2012 als eine der Anlaufstellen für Gerlach, Bertram und Co. Auswärtige Hammerskins in der Stadt unterbringen zu können, schien auch keine Hürde. Dafür nutzte man Gästewohnungen der Wohnungsgenossenschaft „eG Altenburg“, auf die Dirk Bertram Zugriff hatte.
„What a great weekend…“ kommentierte der Hammerskin Dirk Breuer aus Bayern im Frühjahr 2017 ein Bild, dass Mitglieder der Bruderschaft aus Ungarn bei einem „Ritteressen“ zeigt. Aufgenommen wurde das Bild in der „Lutherstube“ auf der Uferburg in Altenburg – eines der beliebtesten Ausflugslokalen von Thomas Gerlach. Die Veranstaltung fand am Wochenende des 21. Januar 2017 statt und gehörte zum Rahmenprogramm eines „European Officers Meeting“ (EOM), zu dem die «Hammerskins Sachsen» geladen hatten.
An diesem Wochenende fanden sich Hammerskins aus ganz Deutschland im Altenburger Land ein, sowie Mitglieder der Bruderschaft u.a. aus Schweden und Ungarn. Selbst ein Prospect aus Brasilien nahm an dem EOM teil. Das Treffen selbst fand nicht auf der Uferburg statt, sondern in Haselbach, rund 15km nördlich von Altenburg. Dort hatte sich das Chapter «Sachsen» in den „Saloon“ der Westernstadt eingemietet, der von den Betreiber*innen der Gaststätte „Zum Dorfkrug“ in Haselbach verwaltet wird. Das Ambiente wirkt skurril, betrachtet man die wenigen Bilder, die Hammerskins in den sozialen Netzwerken veröffentlicht haben. Rund 60 glatzköpfige Neonazis drängen sich im Raum aneinander, an den Wänden hängen Südstaaten-Flaggen und Bilder von Reenactment-Zusammenkünften. Der Ort war für das internationale Strategietreffen der HSN nicht zufällig gewählt worden. Er liegt abgeschottet am Rand von Haselbach. Die Westernstadt dürfte zu diesem Zeitpunkt größtenteils geschlossen gewesen sein, da sie nur saisonal und anlassbezogen betrieben wird. An den dort eigentlich stattfindenden Wildwest-Spektakeln nahm Thomas Gerlach mehrfach mit seiner Familie teil, wie aus Bildern aus seinem Social Media-Profil hervor geht.
Der Umgang Gerlachs in den sozialen Netzwerken ist seit Jahren ein Phänomen. Trotz dessen, dass Mitglieder der «Hammerskins Sachsen» darauf bedacht sind keine Rückschlüsse auf ihre Zugehörigkeit zur Bruderschaft zu zu lassen, ist es vor allem Gerlach der tiefe Einblicke gibt. Anhand hunderter Beiträge, die er in den sozialen Netzwerken veröffentlichte, lassen sich Treffen der HSN rekonstruieren und Personenzusammenhänge erschließen. Thomas Irion vom Chapter «Bayern» wies ihn bereits 2012 in einer internen Kommunikation auf die Problematik hin: „sag mal Bruder, ich dachte ihr fliegt sofort raus, wenn einer von euch im Netz mit nem HS Shirt auftaucht!!! Dann würde ich das von Dir gleich entfernen (Portugal)!!!“ (sic!) Gerlach verpixelt mittlerweile Codes und Insignien der Bruderschaft, kommt aber nicht davon weg, regelmäßig Bezüge herzustellen. Etwa in einem Beitrag, den er im Dezember 2019 auf Instagram veröffentlichte. Dort präsentiert er sich im Auto, bekleidet in einem Pullover mit der Aufschrift „HSN“. Das Bild kommentiert er mit:
„6:34 Stunden und einen Dreiviertel Tank verfahren für 60 Minuten? 99,9% der Menschen würden sich wahrscheinlich an den Kopf greifen – > die restlichen 0,1 % kennen das Gefühl von BRUDERSCHAFT und würden – wie ich, seit fast 20 Jahren- bis ans Ende der Welt fahren, auch wenn am Ende nur 5 Minuten BRÜDERLICHE GEMEINSCHAFT unterm Strich herauskommen! Dieses Gefühl kann man kaum erklären, man muss er erleben oder besser gesagt MAN MUSS ES LEBEN!“ (sic!)
Gerlach reiste offenbar hunderte Kilometer zu einem internen Treffen der deutschen Hammerskins.
Chapter «Mecklenburg» – Waffenbrüder beim Volkstanz
In Mecklenburg-Vorpommern gibt es gleich zwei Ableger der Hammerskins: Das Chapter «Mecklenburg» (HSM) und das Chapter «Pommern» (HSP). Die «Hammerskins Mecklenburg» haben sich wie kein anderer Ableger der «Hammerskin Nation» (HSN) in Deutschland eine eigene neonazistische Lebenswelt aufgebaut. Sie besuchen gemeinsam Aufmärsche, organisieren Kinderfeste, feiern zusammen Hochzeiten und Geburtstage, sind aktiv in Vereinen oder „Bürgerinitiativen“, besitzen Immobilien und Firmen. Das Netzwerk erstreckt sich von Kameradschaften über extrem rechte Parteien und Rockerclubs bis hin zu rechtsterroristischen Organisationen wie «Nordkreuz». Ebenso lassen sich Illegaler Waffenbesitz, „Wehrsport“ und Schießtrainings im Schützenverein belegen.
Das Dorf Jamel sowie das nahe gelegene «Thinghaus» in Grevesmühlen sind Dreh- und Angelpunkt des Chapter «Mecklenburg». Sie sind von bundesweiter Bedeutung für die Infrastruktur der HSN. Das «Thinghaus» dient als Clubhaus, hier finden interne Treffen und Konzerte statt. In Jamel etabliert der Hammerskin und Dorf-Chef Sven Krüger eine extrem rechte Parallelgesellschaft. Völkische Rituale, Springerstiefel und Bomberjacken werden hier vereint. Die rechte Hegemonie ermöglicht eine Erziehung im nationalsozialistischen Sinne. Die Kinder wachsen mit antisemitischen und rassistischen Feindbildern auf.
1990er: Baseballschlägerjahre und Gründergeneration
Das Chapter «Mecklenburg» wurde 1995 gegründet und ist somit eines der ältesten Ableger der «Hammerskin Nation» (HSN) in Deutschland. In dieser Zeit stellten bestimmte Lebensräume in zahlreichen Landstrichen Deutschlands für viele Menschen eine reale Lebensgefahr dar. In sogenannten „No Go Areas“ griffen Gruppen rechter Skinheads Menschen an, die nicht in ihr Weltbild passten und verletzten diese schwer – nicht selten mit Todesfolge. In einigen Regionen orientierten sich Neonazis am Konzept der „National befreiten Zonen“ und bauten diese strategisch auf.
In anderen teilen Deutschlands wuchs die Gefahr eigendynamisch – rassistische Mobilisierungen waren in allen Teilen der Mehrheitsgesellschaft sichtbar. Die Erfahrungen von alltäglicher Gewalt und Bedrohung während dieser Zeit werden mit dem Schlagwort „Baseballschlägerjahre“ benannt. Betroffene gab es Unzählige. Am 15. März 1992 wurde Dragomir Christinel in Saal (bei Rostock) von 25 Neonazis zu Tode geprügelt. Die Bilder des Mobs, der Geflüchtete und Vertragsarbeiter*innen im „Sonnenblumenhaus“ in Rostock-Lichtenhagen mit Molotow-Cocktails angriff, gingen im Sommer 1992 um die Welt und wurden zum schrecklichen Symbol dieser Zeit.
RechtsRock-Bands lieferten den Sound zur Straßengewalt jener Zeit, die Zeilen neonazistischer Zeitschriften dienten als hasserfüllter Wegweiser der „Stiefel-Nazis“. Ein solches Fanzine gab damals auch das Chapter «Mecklenburg» unter dem Namen «Crossed Hammers» heraus. Zwei Jahre hatten sie daran gefeilt und brachten das Heft erstmals 2000 heraus. Neben CD-Besprechungen und Interviews sind antisemitische Vernichtungsfantasien allgegenwärtig:
„Doch es war schon immer das Anliegen der Juden die Völker auszubeuten und dann zu vernichten. Wir dürfen uns das nicht gefallen lassen! Denn Schuldig an der Internationalisierung der Welt sind die Juden. Schuldig an der Überfremdung unseres Landes sind die Juden. Schuldig an der Spaltung und Verkleinerung unseres Landes im letzten Jahrhundert sind die Juden. Schuldig an der Armut der Bevölkerung, der Arbeitslosigkeit und der Hoffnungslosigkeit in unserem Heimatland sind die Juden. Den ersten und zweiten Weltkrieg begannen die Juden. Und nicht wir, sondern: Die Juden werden es sein, die die Welt zerstören. Vernichtet sie und unser Volk wird leben!!!“
Dieser Auszug ist nur ein Beispiel der menschenverachtenden Ideologie, die von den Hammerskins bis heute geteilt und verbreitet wird. So auch von den Gründungsmitgliedern Ricardo Sedlak (*1976) aus Neustrelitz und Denis Tomzek (*1976) aus Neubrandenburg. Sedlak saß 1998 wegen mehrfach schwerer Körperverletzung und Landfriedensbruch in der JVA Waldeck eine Haftstrafe ab. In einem Brief aus der Haft stellte er sich damals beim V-Mann und Chef des Chapter «Sachsen» Mirko Hesse vor und erklärte dabei, dass er Gründungsmitglied der «Hammerskins Mecklenburg»sei. Heute lebt er in Kloten in der Schweiz und ist nicht mehr Teil der HSN. Auch Denis Tomzek war um 1997 bereits Fullmember des Chapters und suchte den Kontakt zu Hesse. 1998 bestellte er bei ihm mehrere illegale CDs, um sie im Kreise seiner Kameraden weiter zu verkaufen.
Tomzek gesamte Lebenswelt richtet sich auf den (Neo)Nationalsozialismus aus. 2004 nahm u.a. an einer Sonnenwendfeier der «Artgemeinschaft» und 2007 an einem Zeltlager der heute verbotenen «Heimattreuen Deutschen Jugend» (HDJ) im hessischen Hofgeismar teil. Im Februar 2012 brachte er sein Kleinkind mit zum „Tollenseemarsch“. Ein Leistungsmarsch um den gleichnamigen See bei Neubrandenburg in Gedenken an den SA-Führer Horst Wessel. Als im Juni 2014 der Hammerskin Alexander Mex seine Hochzeit in Jamel feierte, duften auch Tomzek nicht fehlen.
Der Schweriner Gunter Burkert (*1974) ist seit den frühen 1990er Jahren als rechter Skinhead bekannt. Im März 1996 war er Teilnehmer eines der Großkonzerte in der Gaststätte «Zur Linde» in Klein Bünzow bei Anklam. Es spielte die US-Band «Bound for Glory», unter den hunderten Teilnehmenden befanden sich mehrere Hammerskins. Auch das Chapter «Mecklenburg» nutze die Räume der Gaststätte für Konzerte, Fotos von 1996 zeigen ihre Fahne, aufgehängt an der Bühne. Nicht selten kam es im Umfeld der Konzerte zu Übergriffen durch rechte Schlägergruppen.
Um 2001 erlangte Burkert innerhalb des Chapters die Funktion des Schriftführers. Zu seinen Aufgaben gehörte es, den monatlichen Newsletter zu verschicken. Mit den Hammerskins Alexander Mex (*1973) aus Grevesmühlen und Matthias Schuldt (*1975) aus Bernstorf, organisierte sich Burkert damals parallel in der «Kameradschaft Schwerin» . Diese bewarb 2001 u.a. eine Veranstaltung des «Thüringer Heimatschutzes».
Alexander Mex können seit 1992 neonazistische Aktivitäten nachgewiesen werden. Damals engagierte er sich bei «Die Neue Front» (NF), eine der Schlüsselorganisationen der militanten Neonaziszene, um Führungsfigur Christian Worch. Heute gehört Mex zu den „alten Hasen“ der «Hammerskins Mecklenburg», denen er sich spätestens 2001 anschloss. Im November 2004 nahm er an der Jahresfeier der «Hammerskins Berlin» (HSB) teil.
Ein Jahr zuvor, im November 2003, reiste Sven Krüger (*1974) in die Hauptstadt, um dem Fest der Berliner beizuwohnen. Fotos von der Feier, die polizeilich aufgelöst wurde, zeigen ihn in einer Jacke mit einem Prospect-Patch. Auch Krüger, genannt „Obst“ oder auch „Obsti“, blickt auf eine lange gewalttätige „Karriere“ zurück. Zwischen 1992 und 1999 saß er mehrere Jahre in Haft, unter anderem wegen rechtsmotivierter Übergriffe. 1997 beteiligte er sich beispielsweise mit weiteren Neonazis an einem Überfall auf eine evangelische Jugendgruppe auf dem Zeltplatz Leisten in Plau am See. Bis 2012 war Krüger Partei-Funktionär im Landesverband der NPD und von 2009 bis 2011 Mitglied im Kreistag der «NPD Nordwestmecklenburg».
„Abriss Krüger“ und seine „Jungs fürs Grobe“
Kurz nach seiner Haftentlassung Anfang der 2000er begann sich Krüger mit einem Abrissunternehmen selbstständig zu machen. Ein erstes, eindeutig antisemitisches Logo der Firma zeigte einen Arbeiter, der mit einem Vorschlaghammer einen angedeuteten Davidstern zerstört. Krüger bietet heute auch unter dem Namen „Kipper Kalle“ Dienstleistungen an und beschäftigt mehrere bekannte Neonazis, wie z.B. seinen „Bruder“ Matthias Schuldt. Mit seinem Unternehmen erfüllt Krüger zwei wichtige Funktionen. Zum Einen stellt er Arbeitsplätze für seine Kameraden, die in anderen Bereichen aufgrund ihrer einschlägigen Vorstrafen oder extrem rechten Gesinnung womöglich keine Anstellung gefunden hätten. Diese Existenzsicherung durch die Gemeinschaft verschafft Krüger innerhalb der Szene viel Anerkennung. Zum Anderen ist er mit seiner Firma Teil eines großen Netzwerkes. In Mecklenburg-Vorpommern werden zahlreiche Handwerksfirmen und Unternehmen von Neonazis geführt, die sich in einem Netzwerk organisiert haben. Ob Gartenbau, Webdesign, Fotografie, oder Abrisstätigkeiten, in Mecklenburg-Vorpommern ließe sich alles aus „nationaler Hand“ regeln. Gemeinsam soll so ein eigener „nationaler“ Wirtschaftskreislauf etabliert werden. Die Strategie im ländlichen Raum durch solche Konzepte eine rechte Vorherrschaft anzustreben scheint auf zu gehen. Die Wirkung erhält in alle Lebensbereiche Einzug.
Finanziell schien es für die Firma nicht immer glatt zu laufen. Nachdem die Staatsanwaltschaft Krügers windige Geschäfte mit geklauten Baugeräten auf die Schliche kam, fanden bei ihm ab September 2010 mehrere Hausdurchsuchungen statt. Bei einer Durchsuchung im Januar fand das SEK neben den gesuchten sechs Baumaschinen zufällig eine Maschinenpistole mit 200 Schuss Munition. Zuvor hatte Krüger von Dritten gestohlene Geräte und Maschinen verkauft oder selbst genutzt. Ein Teil der Ware wie Schlagbohrer und Trennschleifer bot er bei Ebay an. Im Juli 2011 musste Krüger sich u.a. wegen gewerbsmäßiger Hehlerei und illegalen Waffenbesitz vor dem Landgericht Schwerin verantworten. Gegen eine Kautio von 15 000 Euro konnte er zunächst der U-Haft entkommen. Krüger gestand die Taten vor Gericht und wurde im August 2011 zu vier Jahren und drei Monaten Haft verurteilt. Diese trat er im November 2011 in der JVA Bützow an, saß allerdings nicht die gesamte Zeit ab. Es war nicht das erste mal, dass Krüger mit dem Gesetz in Konflikt geriet. Bis 2011 sammelte er bis zu 51 Vorstrafen u.a. wegen wegen schwerer Körperverletzung, gewerbsmäßiger Hehlerei, Landfriedensbruch, Diebstahl, räuberischer Erpressung und der Verwendung verfassungsfeindlicher Symbole.
Nach dem Urteilsspruch im Sommer 2011 organisierten die Hammerskins für Krüger ein „Solidaritäts“-Konzert in Jamel. Aus allen Bundesländern reisten Hammerskins an, sammelten Spendengelder und zeigten, dass sie ihrem „Bruder“ zur Seite stehen. Trubelig im Dorf wurde es bereits gegen Nachmittag am 30. Juli 2011. An der Hofeinfahrt standen Neonazis, darunter auch einige Hammerskins. Sie trugen einheitliche Ordner-Shirts mit dem Aufdruck „Jamel bleibt deutsch“ auf der Vorder- und „Freiheit für Sven Krüger“ auf der Rückseite. Nach und nach füllte sich der Dorfplatz mit Autos. Breitschultrige Skinheads in Hammerskin-Kluft und Shirts stiegen aus ihren Wägen und begrüßten weitere Anreisende. Auch Neonazis außerhalb der «Hammerskin Nation» unterstützen die Struktur an dem Tag, wie David Petereit, der regelmäßig auf den Festen in Jamel zu Gast ist. Petereit erhielt als Herausgeber des «Weissen Wolf» eine Spende des NSU und druckte dort 2002 die bekannte Danksagung ab: „Vielen Dank an den NSU, es hat Früchte getragen ;- ) Der Kampf geht weiter…“.
Ebenfalls unterstützend wirkte beim Solidaritäts-Konzert Matthias Schuldt mit, Mitarbeiter in Krügers Firma und Fullmember des Chapter «Mecklenburg». Der in der NPD aktive Schuldt ist gelernter Einzelhandelskaufmann und steht nicht nur während seiner Arbeitszeit an der Seite seines Kameraden Krüger. Gemeinsam besuchten sie Aufmärsche von MVGIDA, dem von der NPD organisierten Ableger der sächsischen PEGIDA. Das erste Mal wurde Schuldt 2004 bei einem Neonazi-Aufmarsch in Neubrandenburg fotografisch dokumentiert.
Ein weiteres Mitglied der HSM, der an der Feier zu Gunsten von Krüger im Sommer 2011 teilnahm, war der in Neuruppin geborene Steven Hahs (*1984). Auch er ist Antifaschist*innen seit Jahren als regelmäßiger Aufmarschgänger bekannt. Um 2003 lebte er im brandenburgischen Wittstock/Dosse und suchte von dort aus regelmäßig die Nähe zur norddeutschen Skinheadszene. Erstmals in Erscheinung trat er am 22. Februar 2003 bei einem Aufmarsch in Hamburg. Um 2005 besuchte er zahlreiche Neonaziveranstaltungen in Norddeutschland und war an die Kameradschaft «Snevern Jungs» unter Führung von NPD-Funktionär Matthias Behrens angebunden. Um 2006 orientierte er sich vermehrt nach Mecklenburg-Vorpommern und trat dort auf extrem rechten Events in Erscheinung. Ob NS-verherrlichender „Tollensemarsch“ in Neubrandenburg 2012, NPD-Fackelmarsch in Stralsund 2014 oder MVGIDA-Aufzug in Schwerin 2015 – Hahs ist seit fast zwei Jahrzehnten auf bundes-und europweit relevanten Veranstaltungen der Extremen Rechten anzutreffen. Zum „Hammerfest“ 2019 in Frankreich begleitete ihn seine Partnerin Nicole Janke (*1989). Das Paar ist seit über zehn Jahren liiert und lebt derzeit in Bünzow.
Auch Stephan Reichelt (*1979) aus Tangerhütte in Sachsen-Anhalt, war freilich im Sommer 2011 in Jamel vor Ort, um Sven Krüger zu unterstützen.. Im Kontext der Bruderschaft fiel er erstmals im Februar 2011 auf, als er im «Thinghaus» an einem vom Chapter «Pommern» ausgerichteten NOM teilnahm. Seine ersten politischen Aktivitäten lagen da schon zehn Jahre zurück. Am 20. April 2000 – dem Geburtstag Adolf Hitlers – organisierte er ein Konzert mit der Band «Sperrfeuer» in Tangerhütte. 2001 war er „Rekrut“ bei der «Deutschen Heidnischen Front», einer extrem rechten Organisation um den verurteilten Mörder und Musiker aus der NS-Black Metal-Szene, Hendrik Möbus. Reichelt war zu diesem Zeitpunkt an das 2000 vom Innenminister verbotene «Blood & Honour»-Netzwerk angebunden. Er fiel in den Fokus, weil er in der Zeit nach dem Verbot einem führenden Mitglied dieser Organisation sein Telefon überließ. Dessen Telefon war polizeilich überwacht worden. Als im Februar 2019 ein NOM im bayrischen Lohr anstand, nahm Reichelt mit Steven Hahs und Gunter Burkert an dem Treffen teil. Zwei weitere Mitglieder des Chapters «Mecklenburg» waren ebenfalls vor Ort: Peter Bania und Thorsten Wolff.
Das Trio aus Schleswig-Holstein
Die Hammerskins Peter Bania, Thorsten Wolff und seine Frau Tanja Steinhagen-Wolff nehmen regelmäßig den Weg zu den „Brüdern“ in Mecklenburg-Vorpommern auf sich. Alle drei leben zwar in Schleswig-Holstein, sind aber Teil des Hammerskin-Ablegers um Sven Krüger.
Seit Mitte der 2000er ist Thorsten Wolff (*1974) als Neonazi von diversen Aufmärschen und RechtsRock-Konzerten bekannt. 2007 nahm er beispielsweise an einem Aufmarsch in Salzwedel teil und stand dort im Kreise von Neonazikadern wie Oliver Malina und Alessandro Bettini. Zu dem in Italien lebenden Bettini, der in den 1990er Jahren den „Italia Hammerskins“ angehörte, pflegen aktuell aktive Hammerskins bis heute guten Kontakt. Er organisierte unter anderem, dass eine deutsche Reisegruppe 2014 zum „Hammerfest“ von Mitgliedern des italienischen Chapters am Flughafen abgeholt wurden. Der Kontakt lief – wie so oft – über Tanja Steinhagen-Wolff (*1972). Thorsten Wollf und sie sind seit 2006 verheiratet, haben zwei gemeinsame Kinder und leben in Mölln. Steinhagen-Wolff organisiert zahlreiche Reisen für die Hammerskins ins Ausland, bucht Hotels und Flüge und koordiniert die Männer. Sie übernimmt einen Großteil der Kommunikation zwischen den „Brüdern“ und Chaptern und ist bei zahlreichen Veranstaltungen an vorderster Stelle. So hat sie auch international einen hohen Bekanntheitsgrad erreicht.
Als eine der wenigen Frauen genießt sie aufgrund ihrer organisatorischen Unterstützung und langen Zugehörigkeit Privilegien: auf dem „Hammerfest“ 2019 durfte sie Fotos machen, obwohl dort ein striktes Film- und Fotoaufnahmeverbot galt. Steinhagen-Wolff gehört organisatorisch der «Crew 38» an, der höchste Status den sie als Frau bei den Hammerskins erreichen kann. Die Neonazistin ist seit den 1990er Jahren bekannt und besuchte zahlreiche Konzerte und Veranstaltungen. Ihr Ex-Mann Sven Steinhagen war ebenfalls Fullmember in der „Nation“ und gehörte dem Chapter «Nordmark» an. Auch deshalb war Tanja Steinhagen-Wolff bereits 1998 Teilnehmerin einer Feier diese Chapters in Scharnebeck. Damals organisierte sich Steinhagen-Wolff in der «Skingirlfront Deutschland», später in der Nachfolgeorganisation «Gemeinschaft Deutscher Frauen» (GDF) mit Sitz in Grevesmühlen.
Am 23. November 1992 wurden die 10-jährige Yeliz Arslan, die 14-jährige Ayşe Yılmaz und die 51-jährige Bahide Arslan bei einem rassistischen Brandanschlag auf ihr Wohnhaus in Mölln ermordet. Im Zusammenhang mit der Tat musste auch Steinhagen-Wolff zum Verhör. Sie kannte die Täter Michael Peters und Lars Christiansen sehr gut, einem Kameraden erzählte sie später: „naja lars ist der beste freund meines bruders und gaaaaanz früher war ich des öfteren mit peters unterwegs….wir wurden ja auch von der arbeit abgeholt und zum verhör gebracht.“
Der Dritte im Bunde aus Schleswig-Holstein ist Peter Bania (*1981), geborener Möller. Bania ist seit den 2000ern als Neonazi aktiv, fand jedoch erst spät Anbindung an die HSN. Erstmals dokumentiert ist Bania am 22. Februar 2003 bei einem Aufmarsch in Hamburg. 2006 war er Teil des «Schutzbund Deutschland», einer Organisation die Flugblätter im Stile der NSDAP verteilte – im Juni 2006 folgte deren Verbot. Bania besuchte diverse Aufmärsche. 2017 fand er sich im Block der Hammerskins beim NS-verherrlichenden „Rudolf-Hess-Marsch“ in Berlin ein. Seine Verbindung zur HSN wuchs offensichtlich über die Zeit. So war er in den vergangen Jahren häufig Teilnehmer an extrem rechten Feiern in Jamel, wie etwa 2011 bei dem Solidaritäts-Konzert für Sven Krüger. Erstmals auf einer internen Veranstaltung der „Nation“ wurde Bania im Juli 2017 dokumentiert, als er an einem NOM in Geiselhöring in Bayern teilnahm. Im Februar 2018 stolzierte er in Prospect-Kutte neben seinen „Brüdern“ beim Aufmarsch im Rahmen des „Tag der Ehre“ in Budapest, Ungarn. Der als Maler und Lackierer arbeitende Bania lebt heute in der 400-Seelen Gemeinde Lanze und sammelt mit seinem VW-Bus des Öfteren seine „Brüder“ ein, um gemeinsam zu Treffen zu fahren.
Kommando zurück
Im Jahr 2013 gab es mächtig Wirbel in der Bruderschaft. Die Selbstenttarnung des NSU 2011 und das Attentat eines Hammerskins in den USA im Sommer 2012, sorgten offensichtlich für schlaflose Nächte. Hinzu kam, dass dank der Öffentlichmachung durch Antifaschist*innen ein internes Treffen im Januar 2013 in Fürth-Erlenbach von den Behörden aufgelöst wurde. Die zunehmende Sorge vor Überwachung und Verboten führten letztlich zur offiziellen Auflösung zweier Chapter.
Das Chapter «Mecklenburg» wird Mitte Februar 2013 geschlossen. Steffen Borchert (*1978) – genannt „Steffi“ oder auch „4 Fingers“ (der Zeigefinger fehlt an seiner rechten Hand) – aus Damshagen, einem 1200-Seelen Dorf nahe Jamel, gründete das Chapter «Nordmark» neu. Da zur Auflösung und Neugründung noch nicht klar war, welches Mitglied wohin wechselt, lässt sich daraus ein überstürztes Vorgehen ablesen. Im Februar 2013 leitet Europa-Chef Malte Redeker eine Nachricht der HSM an seine deutschen „Brüder“ weiter:
„Auf diesem Wege muss ich Euch informieren, dass unser Mecklenburg Chapter mit sofortiger Wirkung geschlossen wurde. Steffi wird die Nordmark neu gründen. Wer vom ehemaligen Mecklenburg Chapter mit in die Nordmark wechseln wird ist zum jetzigen Moment noch ungewiss. Weitere Informationen werden folgen.“
Der Bezug zur «Nordmark» ist nicht zufällig, sondern hat Geschichte. Schon 1995 gab es ein Chapter «Nordmark», das aus Lüneburg in Niedersachsen geführt wurde. Steffen Borchert wurde bereits 2001 als Vollmitglied des Chapter «Nordmark» aufgenommen. Derzeit sind keine Aktivitäten eines Chapter «Nordmark» mehr festzustellen. Lediglich aus Nostalgie-Gründen werden «Nordmark»-Shirts von Hammerskins auch derzeit noch getragen. Keine zwei Jahre später bekam das Chapter «Mecklenburg» ein neues Design. Mitglieder tragen wieder freizügig «Mecklenburg»-Patches, Fahnen und Shirts. Die Sorgen waren offensichtlich unbegründet und die Umstrukturierung nur von kurzer Dauer.
Trügerische Idylle in Jamel
Jamel – hundert Jahre hoch gewachsene Bäume, sattes grün und ein buntes Blumenmeer auf weitläufigen Feldern umgeben das kleine Dorf. Eine Vorzeige-Idylle mit zentralem Dorfplatz, eingeschlossen von gepflegten Einfamilienhäusern. Hier spielen im Sommer 2019 fast hundert Kinder, springen auf einer Hüpfburg, toben über den Dorfplatz und drehen eine Runde mit dem Trecker. Viele Frauen und junge Mädchen tragen lange Röcke, haben ihre Haare geflochten und bringen Geschenke zum Fest. Neben ihnen breitschultrige Skinheads in martialischen Outfit mit neonazistischen Symbolen.
Das bundesweit als „Nazidorf“ bekannte Jamel bringt seit Jahren regelmäßig zu Sonnenwenden, Sommer- und Maifest hunderte Neonazis verschiedenster Spektren aus dem ganzen Bundesgebiet zusammen. Hier treffen junge und alte, völkische und subkulturell orientierte Rechte aufeinander. In Jamel werde „schon über drei Generationen das NS-Gedankengut ausgelebt“ stellt die Fachjournalistin Andrea Röpke fest.
Thomas Gerlach vom Chapter «Sachsen» brachte es vor wenigen Jahren in einer internen Kommunikation auf den Punkt:
„jameln zum beispiel bauen unsere jungs aus in meck pomm. schönes sackgassen dorf und im notfall auch ideal zu ‚verteidigen‘ wenn man das aktuell so sagen darf ohne gleich wieder verdächtig zu werden“. (sic!)
Zu den Festen – die intern auch als Hammerskin-Veranstaltungen angepriesen werden – reisen bundesweit Personen aus der der «Hammerskin Nation» an. Der engste Kreis wird konspirativ zu den Events eingeladen. Zum Sommerfest am 28. Juli 2012 hieß es intern bei den Hammerskins:
„Nehmt Euch Zeit und seid dabei. Das wird ne gute Sause. Bitte weiterleiten!!! Allerdings nur verschlüsselt oder per Mundpropaganda. NICHT PER FUNKTELEFON!!! Wir freuen uns Euch zu sehen. Bis dahin“.
Das Chapter «Berlin» um Benjamin Doege ist nahezu bei allen Events im Dorf anwesend. Die enge Bande der beiden Chapter erklärt sich daraus, dass Doege Anfang der 2000er Jahre das Chapter «Berlin» maßgeblich umstrukturieren sollte. Zuvor gehörte er ebenfalls dem Chapter «Mecklenburg» an. Er sei nach Berlin „geschickt“ worden, hieß es intern. Die Berliner waren es auch, die für den inhaftierten „Bruder“ Sven Krüger die Solidaritäts-CD „Jamel scheißt auf den Förster“ initiierten. Der CD-Sampler stellt eine Feindmarkierung dar. Im Forsthaus in Jamel wohnt das Künstlerehepaar Lohmeyer, die sich seit Jahren gegen die Neonazis im Dorf engagieren. Seit 2007 veranstalten sie das Festival „Jamel rockt den Förster“. 2015 wurde die Scheune der Lohmeyers angezündet. Der Brandanschlag ist bis heute nicht aufgeklärt.
Neben Sven Krüger kümmern sich weitere Angehörige der Bruderschaft im Dorf um die Aufrechterhaltung rechter Vormachtstellung – das Ehepaar Kirsten Maria Mex (*1979), geborene Janschek und Alexander Mex. Im Sommer 2014 feierten sie mit diversen Hammerskins, die teils aus dem europäischen Ausland angereist waren, unter völkischen Ritualen ihre Hochzeit in Jamel. Auch der Thüringer Hammerskin und dem NSU-UnterstützerInnenetzwerk zugerechnete Thomas Gerlach war unter den Gästen. Im Festzelt, das Platz für ungefähr 100 Personen schuf, hing zentral die Fahne der «Hammerskin Nation – am Ende der hergerichteten Tafel, hinter dem Sitzplatz des Brautpaars. Festliche Kleidung für die „Brüder“ meint an diesem Tag das Tragen von Hammerskin-Textilien.
Für die musikalische Begleitung sorgten die britischen RechtsRock-Urgesteine Kenneth McLellan und David Braddon, bekannt als Musiker von «Brutal Attack». Am Abend sitzen die beiden Musiker unter der Hammerskin-Fahne auf einer provisorischen Bühne und spielen auf ihren Gitarren die Lieblingssongs des Brautpaars. Nicht nur das frisch getraute Ehepaar posierte später für das Familienalbum mit den Ehrengästen. Auch Erinnerungen mit den Kindern werden festgehalten. So ist auf einem Bild des Hochzeitstags der damals 11-jährige Wilhelm Krüger zu erkennen. In schwarzer Bomberjacke steht er mit den britischen Neonazis vor dem nationalsozialistischen Wandgemälde des Dorfes. An der Jacke des Kindes ist ein Anstecker zu sehen, auf dem ein durchgestrichener Davidstern abgebildet ist.
«Thinghaus» – Das Clubhaus der Hammerskins
Keine 15 Kilometer entfernt von Jamel befindet sich eine der wichtigsten Immobilien der norddeutschen Neonaziszene: Das «Thinghaus» in Grevesmühlen. Seit Erwerb 2009 wurde das «Thinghaus» immer mehr zur Festung ausgebaut – natürlich von „Abriss Krüger“, der Firma des Immobilienbesitzers Sven Krüger. Stacheldraht, Kameraüberwachung und ein blickdichter Bretterzaun um das Gelände, sind neben der großen Reichsflagge das einzige was von außen zu sehen ist.
Das Gebäude dient den Hammerskins als Clubhaus und bietet eine zentrale Infrastruktur. Im «Thinghaus» finden seit April 2010 regelmäßig extrem rechte Events statt, inoffiziell bereits seit 2009. Ob sogenannte „Zeitzeugenvorträge“, Bücherbörsen, RechtsRock-Konzerte, NPD Veranstaltungen oder konspirative Treffen, die Immobilie ist der zentrale Ort für die Vernetzung von Neonazis in Norddeutschland und darüber hinaus. In dem Haus finden etwa 350 Personen Platz. Auf dem Gelände baute Sven Krüger einen KZ-Wachturm nach und stellte einen Grill mit der Aufschrift „Happy Holocaust“ auf. Im Innenraum hängt eine Fahne der «Hammerskins Mecklenburg» an der Wand. Zum Eröffnungs-Konzert spielten im «Thinghaus» am 18. April 2010 die Bands «Deutsch Stolz Treue», «Frontalkraft» und «Division Voran». Der Europa-Chef der HSN, Malte Redeker, verfasste dazu im «Thiazi Forum» einen Bericht und benennt die Immobilie stolz als „Clubhaus der Mecklenburger“.
2009 – Zeitgleich zum Erwerb des «Thinghaus» begann Krüger sich auch für die NPD zu engagieren. Mit ihr zog er in den Kreistag und war bis 2011 im Landesvorstand der Partei aktiv. Eine Zeitlang diente das «Thinghaus» als Bürgerbüro für die NPD. Im August 2019 veranstaltete die extrem rechte Partei ihr Sommerfest auf dem Gelände.
Die Räumlichkeiten werden von der Bruderschaft auch immer wieder für interne Treffen genutzt. Im Februar 2011 wurde hier ein NOM durchgeführt. Ausgerichtet wurde die Zusammenkunft vom Chapter «Pommern», maßgeblich organisiert durch Detlef Riske. Neben ihm fanden sich Hammerskins u.a. aus Bremen, Nordhein-Westfalen und Sachsen ein, wie natürlich auch aus Mecklenburg-Vorpommern selbst.
Fast selbstverständlich, dass Sven Krüger seinen 40. Geburtstag an diesem Ort feiern wollte. Da die zwei Hammerskins Thorsten Wolff und Steven Hahs wenige Monate zuvor ihr 30. und 40. Lebensjahr erreichten, legten die drei Neonazis die Feiern zusammen und luden für den 4. Oktober 2014 ins «Thinghaus».
Immer wieder finden dort auch Konzerte der HSN statt. Am 4. Juni 2016 beispielsweise nahmen Sven Krüger und Steven Hahs die angereisten Bands «Exzess», «Timebomb» und «Hausmannskost» auf dem Vorplatz in Empfang. Hahs machte vor Ort keinen Hehl aus seiner Zugehörigkeit zur „Nation“ und präsentierte sich in Hammerskin-Shirt. Zuvor machte die Polizei einen Rundgang durch die Räumlichkeiten, mit dabei – vier Rocker in Kutten vom «Gremium MC Schwerin». Noch bevor das Konzert los ging, schwangen sich die „Outlaws“ auf ihre Motorräder und fuhren davon. Eine weitere Verbindungen ins Rocker-Milieu ist Richard Scheel aus Wismar, ehemals Mitglied des «Schwarze Schaar MC». Er ist regelmäßig zu Gast in Jamel und bewegt sich heute im Umfeld des «Hells Angels MC».
Auch wurde ein Solidaritätskonzert für den NSU-Helfer Ralf Wohlleben, genannt „Wolle“ im «Thinghaus» ausgerichtet. Bekleidet mit einem „Freiheit für Wolle“-Shirt begrüßte Sven Krüger im September 2016 die anreisenden Gäste. An diesem Abend spielte auch die Thüringer Band «TreueOrden». An einem Verkaufstisch der «GefangenenHilfe» konnten „Solidaritäts“-Shirts erworben und Spenden an den NSU-Helfer abgegeben werden. Der Sänger von «Treueorden» erklärte von der Bühne herab: „Getroffen hat es Wolle, der nun schon seit über fünf Jahren von seiner Familie getrennt ist! Meinen tut der Staat uns alle und dessen müssen wir uns bewusst sein!“
Wehrsport – „typische Beschäftigungen wie arbeiten und ……..“
Wie ein roter Faden ziehen sich Geschichten um Waffen und Schießtrainings durch 30 Jahre Bruderschaft. So auch beim Chapter «Mecklenburg». Gunter Burkert verfasste 2001 den monatlichen Newsletter, der Einblick in die Aktivitäten des Chapters gibt:
„Als erstes geht Dank an die Brüder aus Westsachsen für die erfolgreiche Durchführung des EOM. Guter Platz für diese Art Veranstaltung. Am letzten Wochenende waren einige von uns auf eiher Party in Berlin auf der auch Berliner Brüder anwesend waren. Es soll wohl ein dolles Fest gewesen sein, soweit man sich erinnern konnte. Mex war am gleichen Tag auf einer Party in Rostock, wo es ihm auch sehr gut gefiel(viele alte Bekannte, gute Gespräche und natürlich die dazugehörigen Getränke). Der Rest des Monats verlief dann etwas ruhiger, man verbrachte die Zeit mit für uns typischen Beschäftigungen wie arbeiten und …….. .“ (sic!)
Wofür die acht Platzhalter-Punkte im Newsletter stehen kann nur spekuliert werden. Eine typische Beschäftigung für Hammerskins, die verklausuliert worden wäre, bietet sich an: schießen.
Zwei Jahre später, im Juni 2003, wurde Sven Krüger mit seinem heutigen „Bruder“ Benjamin Doege zusammen beim sogenannten „Wehrsport“ erwischt. Krüger soll „Kommandant“ einer 20-köpfigen Gruppe gewesen sein. Diese hob Schützengräben aus und trainierte im Everstorfer Forst bei Jamel auch mit Übungshandgranaten. Hinweise von einem Förster und Patronenfunde im Wald führten zu Ermittlungen wegen Bildung einer kriminellen Vereinigung.
Die Ermittlungen scheinen keinen Effekt auf die Neonaziszene gehabt zu haben. 2010 finden Ermittler*innen in Jamel Fotos in Dateien, auf denen Zielscheiben mit Bilder politischer Feinde, wie den damaligen Innenminister Lorenz Caffier, abgebildet sind und die Einschusslöcher aufweisen. Im Rahmen der Durchsuchung wurde auch ein Luftdruckgewehr gefunden. Dass Krüger die Ermittlungen wenig beeindruckten und auch die Razzia offensichtlich halbherzig war, sollte sich im Januar 2011 zeigen, als das SEK sein Anwesen durchsuchte. Wegen dem Vorwurf der Hehlerei, auf der Suche nach Baumaschinen, fand die Polizei dort zufällig zwei Waffen u.a. eine Maschinenpistole mit 200 Schuss Munition. Kurz vor seinem Haftantritt wendet er sich über die neonazistische Plattform „Mupinfo“ an seine Kameraden und erklärt:
„Was die Waffen betrifft, war ich schlampig und was das Werkzeug betrifft, war ich gleichgültig. Hinzu kam der Aufwand, mit dem die Gegenseite ermittelt hat – alles zusammen hat dann zu diesem Ergebnis geführt. Aber gelernt ist gelernt, ich kaufe kein Werkzeug mehr aus dem Kofferraum, und lasse keine Waffen mehr herumliegen“.
Die Munition habe er legal von Schießständen, erklärt er damals dem Gericht und ergänzt: „Ich schieß halt gern“. Seine Waffen dürfte Krüger seitdem besser versteckt halten.
Auf der Matte und am Schießstand
Das Schießtrainings bei Neonazis lediglich Freizeitbeschäftigung seien, die ihnen „Spaß“ machen würden, ist eine verheerende Verharmlosung. Um auf den Ernstfall, den sogenannten „Tag X“ vorbereitet zu sein, trainieren Neonazis seit jeher mit Schusswaffen, üben gemeinsam Wehrsport aus und planen die Beseitigung politischer Feinde. Dabei lassen sich Verbindungen von Hammerskins aus Mecklenburg-Vorpommern zu Mitarbeitern von Sicherheitsbehörden mit identischen Anliegen beobachten.
Bei dem bis heute aktiven Gründungsmitglied der HSM, Gunter Burkert, ist über seine Lebensgefährtin Sandra Niemann (*1977) eine Nähe zum «Nordkreuz»-Netzwerk festzustellen. Die Gruppe, die aus Soldaten und Mitgliedern von Spezialeinsatzkräften der Polizei besteht, bereitete sich lange aktiv auf jenen „Tag X“ vor. Ihre Mitglieder sammelten Waffen, Sprengstoff und Munition, legten Feindeslisten an und trainierten den „Ernstfall“.
Niemann ist Gründungsmitglied in dem Schützenverein „Plate 1990 e.V.“ bei Schwerin, in dem auch die «Nordkreuz»-Mitglieder Jens Zinck und der ehemalige SEK-Beamte Marko Gross engagiert sind. Bei einer Razzia gegen den AfD-Anhänger Gross wurden rund 55.000 Schuss Munition gefunden. Das „Weihnachtsschießen“ 2016 haben Niemann, Zinck und Gross zusammen im Verein absolviert. Sandra Niemann wurde als Kind 1990 Mitglied des Vereins, da ihre Mutter Viola Niemann den Verein mit gründete und bis heute im Vorstand sitzt. Niemann ist immer noch regelmäßig als „Gast“ im Schützenverein und trainiert an Waffen. Da sie auch an neonazistischen Veranstaltungen wie auf RechtsRock-Konzerten im «Thinghaus» teilnimmt oder etwa an der Jahresfeier des Chapter «Pommern» 2017 in Salchow zugegen war, ist vorstellbar, dass sie aus strategischen Überlegungen nicht mehr als Vereinsmitglied auftritt. Die Arzthelferin des „Sozialpädiatrischen Kinderzentrum Mecklenburg“ lebt bereits viele Jahre mit Gunter Burkert zusammen und ist in das Leben der Bruderschaft bestens integriert. Im Sommer 2019 verbrachte sie ihren Urlaub mit ihrem Lebenspartner, dem Sohn und einigen Mitgliedern der Schweizer Hammerskins in der Schweiz.
Die Verbindungen zum «Nordkreuz»-Netzwerk sind nicht die einzigen Bezüge der Hammerskins zu Neonazis in Uniform. Schließlich trainierte Denis Tomzek, Gründungsmitglied des Chapter «Mecklenburg» mit Mathias Delf im „First Fight Team“ in Neubrandenburg. Delf, genannt „Odin“, aus Sponholz bei Neubrandenburg, stand als Angehöriger der Bundeswehr unter Terrorverdacht. Er soll eine schwere staatsgefährdende Straftat gegen Mitarbeitende des Militärischen Abwehrdienst geplant haben, unter dessen Beobachtung er stand. Am 14. September 2020 fand deshalb eine Razzia bei ihm statt. Als Delf im Mai 2013 bei der „La Familia Fight Night“ in Sachsen-Anhalt kämpfte, wurde er von Ronny Schindhelm, einer der Trainer des «First Fight Team» aus Neubrandenburg, gecoacht. Das Gym fiel lokalen, antifaschistischen Initiativen schon vor vielen Jahr auf. Besonders in den Fokus rückte 2011 die „5. Neubrandenburger Fight Night“, als auf Plakaten der Kampf des Hammerskins Denis Tomzek angekündigt wurde. Seine Zugehörigkeit zur Bruderschaft ließ sich Tomzek auf den Rücken tätowieren: zwei gekreuzte Hämmer, hinterlegt mit dem in Deutschland strafbaren Keltenkreuz – das Logo des Chapter «Mecklenburg». Das Tattoo zeigte er offen im Ring.
Delf trainierte nicht nur mit Hammerskins auf der Matte, um Fähigkeiten im Einzelkampf zu erlangen – seine Pläne schienen größer. So nahm er im Juli 2020 auf Einladung des Gründers und Neonazis Dirk Gaßmann an einem internen Treffen der rechten Sicherheitsfirma „Asgaard“ teil. Das Sicherheitsunternehmen beschäftigt hauptsächlich Ehemalige aus Spezialeinheiten der Polizei und Bundeswehr für heikle Auslandseinsätze. Im Februar 2021 wurde aufgrund des Verdachts einer schweren staatsgefährdenden Straftat die Räumlichkeiten der Firma durchsucht. Das Unternehmen und seine Mitarbeitenden stehen auch in Verbindung zum «Uniter/Nordkreuz»-Netzwerk. Gaßmann und sein Geschäftspartner standen im Austausch mit Frank Thiel, dem Besitzer des berüchtigten Schießplatzes „Baltic Shooters“ in Güstrow. Jahrelang übte hier auch Marko Gross – der Kopf von «Nordkreuz».
Tomzek trainiert heute noch bei Ronny Schindhelm in Neubrandenburg. Schindhelms Frau meldete wiederum die Sicherheitsfirma „MPK Protection GmbH“ mit Sitz unter der Wohnadresse von Mathias Delf an. Ein Netzwerk aus schießwütigen Rechten in Uniform und Mitgliedern einer international agierenden Bruderschaft, die sich beide nach dem „Tag X“ sehnen – eine äußerst besorgniserregende Mischung.
Die nächste Generation – Der eigene Nachwuchs
Dass die Familien der Hammerskins ihr gesamtes Leben auf die Bedürfnisse der Bruderschaft ausrichten, wurde unter anderem beim „Hammerfest“ 2019 in Frankreich deutlich. Hier reiste das Ehepaar Mex gemeinsam mit ihrem damals 17-jährigen Sohn Hagen Mex (*2002) an, der Junge trug dort ein «Crew 38»-Shirt. Am Nachmittag des 2. November trafen sich um die 35 Neonazis in Mutzig an der „Feste Kaiser Wilhelm II“ (Fort de Mutzig), dass unter Obhut des französischen Militärs steht. Die Neonazis besichtigten etwa zwei Stunden das Gelände, posierten für ein Gruppenfoto und bestaunten vorbeifahrende Militärfahrzeuge. Solche Ausflüge gehören zum festen Programm der Bruderschaft. Vor allem Gebäude und Anwesen aus Zeiten des Ersten und Zweiten Weltkriegs scheinen anziehend. Am Abend besuchte die Reisegruppe aus Mecklenburg-Vorpommern gemeinsam das „Hammerfest“ im ca. 30 km von Mutzig entfernten Plaine.
Auch Hagens älterer Bruder Tom Mex (*1998) ist Mitglied der Bruderschaft. Er befand sich im Jahr 2019 auf Vorstellungsreise bei den einzelnen deutschen Chaptern. Auch in den sozialen Netzwerken posierte er im Januar 2020 mit Prospect-Kutte. Neben „T.Mex Fotografie“ versucht er sich als Grafikdesigner „Meximum Arts“ eine Existenz aufzubauen. Wie selbstverständlich ist er als Nachwuchs bereits in das Mecklenburger Firmengeflecht eingebunden. Er betreut beispielsweise die Instagram-Seite von „Edel & Wild“, der Firma des Neonazis Tino Streif. Streif lebt ebenfalls in Jamel, ist ein enger Freund der Familie, bringt sich rege in die Dorfgemeinschaft ein und besucht nahezu alle Veranstaltungen im «Thinghaus» und Jamel.
Verinnerlichte Terrorkonzepte verbreitet der Nachwuchs bereits bei Instagram. So kommentiert Tom Mex eines seiner vielen Selfie-Postings: „Bullen kein Wort: kein Futter denen, die Recht verdrehen. Ein Mann, ein Wort: soll‘n sie uns anzeigen, Brüder schweigen!“. «Brüder schweigen» ist der Ehrenkodex der Szene und bezieht sich auch auf «The Order/Brüder Schweigen» – eine rechte Terrororganisation aus den USA der 1980er Jahre, auf deren Konzept sich die Hammerskins stark beziehen. Schon vor 20 Jahren druckten die «Hammerskins Mecklenburg» in ihrem Fanzine «Crossed Hammers» ein Interview mit einem Mitglied von «The Order/Brüder Schweigen» ab.
Die Familie Krüger nutze das „Hammerfest“ im November 2019 ebenfalls als Ausflugsziel. Neben Sven Krüger und seiner Frau Janette Krüger, war dort auch ihr gemeinsamer Sohn Wilhelm Krüger (*2003), genannt „Willi“, teil des Spektakels. Dieser ist seit Kindesbeinen mit der neonazistischen Lebenswelt vertraut. Ausflüge wie diese sind es wohl, die die Kinder untereinander zusammenschweißen und politisch prägen.
Im Januar 2021 reisten Tom und Hagen Mex gemeinsam mit Wilhelm Krüger in die Niederlande um die „Brüder“ des niederländischen Chapters zu besuchen. Die Niederlande und Frankreich sind nicht das weiteste ausländische Reiseziel der drei Nachwuchs-Hammerskins. So nahmen sie bereits im Februar 2020 gemeinsam in Budapest am NS-verherrlichenden Aufmarsch zum „Tag der Ehre“ teil. Ein gemeinsamer Freund der Mex-Brüder und von Krüger ist Eric Herberg (*1999) aus Wismar, der den «Skinheads Wismar» angeschlossen ist. Einer knapp 10-köpfigen Gruppe, die mit Bomberjacken und Springerstiefeln versucht die Straßen Wismars unsicher zu machen. Eine Kameradschaft von jungen Neonazis, im „Old School“-Skinhead-Stil – die „Generation Jamel“. Herberg präsentiert sich aktuell zudem mit «Crew 38»-Symbolen. Auch er nahm an der Auslandsreise in die ungarische Hauptstadt Budapest 2020 teil. In das NS-Gedenken vor Ort eingebunden ist auch der «Ausbruch60»-Leistungsmarsch, bei dem etliche Teilnehmende SS-und Wehrmacht-Uniformen zu Schau stellen. An dem Marsch nahmen auch die vier Jungs aus Mecklenburg-Vorpommern teil. Dass die Nachkömmlinge schon früh in die Organisationsstruktur von Veranstaltungen eingebunden wurden, war beispielsweise im Februar 2018 im niedersächsischen Karlshöfen ersichtlich. Bei der NPD-Veranstaltung trat der Neonazi-Barde «Lunikoff» auf, Tom Mex sowie Eric Herberg waren als Ordner eingesetzt.
Wie „die Großen“ üben sich auch die jungen Erwachsenen im Wehrsport – mit einem etwas angepassterem legalen Konzept. Wilhelm Krüger und Eric Herberg spielen regelmäßig Airsoft in dem Verein „Modern Vikings e.V“ auf einem ehemaligem Marine-Stützpunkt in Tessin. Das Gelände wird von dem Airsoft-Team „Ragnarök“ genannt. Ragnarök ist der nordischen Mythologie entlehnt und meint den Kampf der Götter und Riesen, in Folge dessen die Welt untergeht. Auf Bildern ist zu sehen wie die Teilnehmenden in Uniformen der Bundeswehr martialisch mit den Airsoft-Waffen posieren. Es wird Häuserkampf trainiert, Schützengräben ausgehoben und technisch hochwertiges Gerät eingesetzt. Dass die Neonazis hier nicht nur aus Spaß militärische Taktiken erlernen, ist offensichtlich. Als Wilhelms Vater, Sven Krüger, 2003 mit einer Neonazigruppe im Wald Wehrsportübungen absolvierte, musste die Truppe sich vor Sicherheitsbehörden verstecken.
Heute werden Bilder von taktischen Trainings ganz selbstverständlich und legal in sozialen Netzwerken geteilt. Den Umgang mit scharfen Schusswaffen können Neonazis zusätzlich am Schießstand im Schützenverein oder auch auf ihren Auslandsreisen erlernen. Ein legales Wehrsportkonzept, mit dem sich teils öffentlich zahlreiche zur Militanz bereite Neonazis an Waffen ausbilden und Gefechtsübungen für den Ernstfall trainieren können.
Generell will die Bruderschaft in Mecklenburg-Vorpommern unter sich bleiben. Malte Redeker schien in einer internen Kommunikation begeistert über die Haltung des Chapter «Mecklenburg» und einer Aussage von Gunter Burkert: „meine lieblingsaussage von gunther war jahrelang: prospects? brauchen wir nicht. und wenn, dann mindestens 5 jahre. warum? weil halt. fand ich simpel aber gut.“(sic!) In Mecklenburg-Vorpommern wird sich der eigene Nachwuchs herangezogen. Die Vorteile liegen auf der Hand. Die Kinder wachsen mit einem geschlossenen extrem rechten Weltbild auf, sind ideologisch geschult und gefestigt und voll kontrollierbar. Das bietet der Bruderschaft Sicherheit, ein Anwärter muss nicht erst viele Jahre geprüft und in die Gemeinschaft integriert werden. Mit ihrem „Sippschaftsprinzip“ müssen sie kein Risiko eingehen etwas über die eigene Struktur an einen Kandidaten preiszugeben, der später vielleicht doch nicht die harten Kriterien der Organisation erfüllt oder aus anderen Gründen frühzeitig ausscheidet. Jeder der Wissen über die Struktur erlangt, stellt eine Gefahr für die Bruderschaft dar. So bietet das Konzept „Dorfgemeinschaft Jamel“ – in dem die Kinder der Neonazikader gemeinsam aufwachsen und in die Organisation rein geboren und erzogen werden – die best möglichste Nachwuchsrekrutierung für die konspirativ agierende Struktur. Hier fließen verschiedene Lebenswelten der neonazistischen Bewegung zusammen aus der man sich bedient. Hier bezieht sich eine Bruderschaft auf den Naziskinkult gleichermaßen, wie auf die Prinzipien der völkischen Sippen.
Chapter «Pommern» – Die netten Neonazis von nebenan
Die «Hammerskins Pommern» (HSP) wurden 1997 gegründet. Ihr Zentrum liegt im Raum Anklam. Dort hat die Bruderschaft Zugriff auf die gewachsene Infrastruktur der Extremen Rechten, wie Gaststätten, Konzertscheunen und „Nationale Begegnungsstätten“. Der Inhaber einiger wichtiger Immobilien vor Ort ist zentraler Akteur in der Region und führt den 1996 gegründeten «Kameradschaftsbund Anklam» (KBA) an. Der KBA und das Chapter «Pommern» bilden bis heute eine unzertrennliche Verbindung, vor allem weil sie eine ähnliche Ausrichtung anstreben: beide Organisation agieren konspirativ und treten elitär auf.
Durch das lange Bestehen des KBA und des Chapter «Pommern», ihrer weitreichender Vernetzung und elitärem Agieren konnten die Neonazis über die Jahre hinweg eine extrem rechte Dominanz in der Region etablieren, die auch in die Gesellschaft hineinwirkt und dazu beiträgt, neonazistische Ideologe nahezu widerspruchslos zu normalisieren.
Die „No Go Area“
Anfang der 1990er Jahre entwickelten Neonazis Konzepte, um so genannte „National Befreite Zonen“ zu schaffen. Parallelstrukturen zu staatlichen Institutionen sollten etabliert werden, um eine möglichst geringe Abhängigkeit und Einflussnahme von Außen zu garantieren. Durch ihr gewalttätiges Auftreten auf der Straße wurde in gesellschaftliches Leben eingegriffen. Die Errichtung eigener Infrastruktur, in Form von Geschäften, Unternehmen und Wohnobjekten demonstrierten Macht und machten es der ansässigen Bevölkerung unausweichlich, mit den Neonazis in Kontakt zu kommen. Es wurde sich in Sport- und Schützenvereinen eingebracht, in der Dorffeuerwehr engagiert oder in der Elternvertretung in der Schule. Dabei galt, bei der Bevölkerung Sympathien zu gewinnen und zum „netten Nachbarn von nebenan“ zu werden. Dieses Vorhaben setzten Neonazis vielerorts in Deutschland in die Tat um. Für alle, die aus Sicht der Neonazis nicht dem „deutschen Volkskörper“ angehören und als minderwertig erachtet werden, wurden „No Go Areas“ geschaffen, innerhalb derer jederzeit mit körperlichen Angriffen gerechnet werden musste. Eine solche „National Befreite Zone“ etablierten die Neonazis Mitte der 1990er auch in Mecklenburg-Vorpommern, u.a. in Anklam. „Argumente – Netzwerk antirassistischer Bildung e.V.“ berichtet 2002 in der Broschüre „in der Mitte angekommen“ ausführlich über die besondere Situation in Mecklenburg-Vorpommern.
Die 760 Seelen Gemeinde Klein Bünzow wurde zu einem regelrechten Wallfahrtsort für Neonazis. In den Jahren 1995-1998 fanden in der Gaststätte «Zur Linde» RechtsRock-Konzert statt, mit teils bis zu 700 Teilnehmenden. Im Umfeld der Konzerte kam es immer wieder zu Übergriffen. Für Behörden galt das Mantra, von den Konzerten ginge „keine wahrnehmbare Außenwirkung“ aus. Im Jahr 1996 konnten sich nahezu jeden Monat hunderte Neonazis ungestört dort treffen. In der zweiten Ausgabe des Hammerskin-Fanzine «Warhead» wurde unter der Überschrift „Anklam, eine kleine Stadt rettet das Wochenende“ ein Bericht über ein Konzert veröffentlicht. Die Bandmitglieder „spielten nun auf und brannten ein Feuerwerk aus Hass und Gewalt ab, da daß es sich gewaschen hatte.“ (sic!)
Am 9. März 1996 versammelten sich vor Ort etwa 500 Neonazis zu einem Konzert. An der Bühne hingen die Fahnen von «Blood & Honour Sachsen» sowie der «Hammerskins Sachsen». Auf Bildern des Abends ist die Szenerie eindrücklich festgehalten. Ein Naziskin hängt die Flagge der «Hammerskins Mecklenburg»- auf, während Ed Wolbank (Sänger der US-Band «Bound for Glory») der schwitzenden Menge von der Bühne aus einheizt. Das Publikum tanzt wild und ekstatisch, einige glatzköpfige Männer liegen oberkörperfrei, teils übereinander auf dem Boden, andere zeigen den Hitlergruß. Wolbank zieht sein B&H-Shirt aus und ein «Hammerskins Berlin»-Shirt an. Auch im Publikum sind Skinheads in «Blood & Honour»-Shirts Seite an Seite mit Personen in Hammerskin-Merchandise zu sehen. Die Konzerte stärkten die Neonazis in der Region enorm und waren quasi als Geburtsstätte des «Kameradschaftsbund Anklam» und des Chapter «Pommern».
Nur ein Jahr nach Gründung des HSP im September 1998 tauchte die Fahne der HSP etwa auf einem Konzert in Pölzig bei Leipzig bei einem Großkonzert auf, dass die «Hammerskins Sachsen» organisiert hatten. Ein Hinweis darauf, dass das Chapter sich nicht nur regional in Klein Bünzow oder Anklam präsentieren wollte, sondern schnell im bundesweiten Kontext Fuß fasste.
Die Ehemaligen
Drei der Gründungsmitglieder sind heute nicht mehr bei den Hammerskins aktiv, haben ihr neonazistisches Weltbild aber nicht abgelegt.
Einer von ihnen ist Enrico Deetz (*1977) aus Anklam. Der in der Szene stark vernetzte Deetz nutzte seine Kontakte, um nach seinen Kriterien „fähige“ Personen für den Aufbau eines Ablegers im Osten Mecklenburg-Vorpommerns zu gewinnen. Er war mindestens bis 2001 zentrale Ansprechperson für das Chapter und ist heute beim «Kameradschaftsbund Anklam» organisiert. Marcel Hornbogen wurde bereits 1999 als „Hammerskin Prisoner of War“ bezeichnet, als er in Haft saß. Heute lebt er in Hannover, steht zwar noch mit seinen damaligen „Brüdern“ über soziale Netzwerke in Kontakt, ist aber nicht mehr in der Bruderschaft aktiv. Marcel Nedow (*1979), genannt „Nemo“ aus Anklam, taucht ab 2000 als Kontaktperson für das Chapter «Pommern» auf. Im August 2002 nahm er am „Summercamp“ der Hammerskins in Spanien teil, gemeinsam mit dem heutigen Europa-Chef der HSN, Malte Redeker. Diesem schrieb er im gleichem Jahr eine E-Mail und berichtete von den Spitzel-Tätigkeiten seine sächsischen „Bruders“ Mirko Hesse. Letztmalig aufgetaucht ist er im Mai 2011, bei der Jahresfeier des KBA in Salchow.
Der eingeschworene Kreis
Ein bis heute aktives Gründungsmitglied des Chapters ist Detlef Riske (*1973), auch „Dedder“ oder „Dedda“ genannt, aus Postlow. Er erarbeitete sich in der rechten Szene früh den Ruf als „Macher“. 1998 wird er im Booklet der CD „Die Letzten Patrioten“ von der Band «Sturmtrupp» mit „Dedda + HS Pommern“ gegrüßt. Am 13. Juni 1998 begleitete Riske selbstbewusst einen Neonaziaufmarsch mit HS-Kutte und Ordnerbinde in Anklam. Zwei Jahre zuvor meldete er einen „Rudolf-Hess-Marsch“ in Klein Bünzow an. Selten gab es Streitereien zwischen der in Mecklenburg-Vorpommern agierenden «Blood & Honour» Sektion und den Hammerskins. Deutlich wurde dies auch, als Riske 2006 dem damaligen Hammerskin Enrico Deetz sein Auto lieh, damit dieser mit einem «B&H»-Mitglied aus Chemnitz eine Musikanlage zu einem Konzert nach Sachsen transportieren konnte.
Im Jahr 2007 bescherte Riske der HSN ein Clubheim in Anklam, als er eine Immobilie in der Leipziger Allee erwarb – eine ehemalige Großbäckerei. Das Verwaltungsgebäude dient seitdem sowohl als „Nationales Wohnprojekt“, und nach Baumaßnahmen im Jahr 2009 auch als Konzerthalle, die bis zu 500 Personen fasst. Antifaschist*innen vor Ort berichten, dass es im Umfeld des Gebäudes immer wieder zu gewalttätigen Übergriffen kommt. Das Haus wurde hauptsächlich von Hammerskins und ihnen nahestehenden Angehörigen lokaler Kameradschaften umgebaut. Im Gegenzug können sich diese in den Räumlichkeiten treffen. Mit einem Shirt einer dieser Kameradschaften, der «Heimatbund Pommern», ging Riskes Ehefrau Kathrin Riske (*1982) 2006 an die Wahlurne, um der NPD ihre Stimme zu geben. Sie betreibt ein Geschäft für „Damenmode“ in Anklam.
Riske ist nicht nur Hammerskin sondern engagiert sich auch als Gruppenführer in der Löschgruppe der Freiwilligen Feuerwehr in Postlow. Im Juni 2020 besuchte der heutige CDU Funktionär Dr. Matthias Manthei den Sitz der Feuerwehr und stellte auf seinem persönlichen Blog auch Detlef Riske vor. Manthei gewann 2016 bei der Landtagswahl noch ein Direktmandat für die AfD und ist seit 2019 Teil der CDU-Fraktion. Riske ist zudem in der Zuckerfabrik in Anklam, in der er angestellt ist, als Einsatzleiter der Betriebsfeuerwehr tätig. Zum „National Officers Meeting“ (NOM) im Februar 2019 reiste Riske mit den Hammerskins des Chapter «Mecklenburg» ins bayrische Lohr.
Heiko Sauer (*1983), wohnhaft in Klein Bünzow, ist Hammerskin der jüngeren Generation. Er besuchte 2013 die 10-Jahresfeier der «Hammerskins Westmark» in Fürth, die gleichzeitig auch ein EOM war. Im September 2013 präsentierte er sich in Prospect-Kutte auf dem „Ian Stuart Memorial“-Konzert in England. Zur Beerdigung des Hammerskin Roland Sokol im Oktober 2015 trat Sauer mit Fullmember-Kutte auf, wie ebenso auf dem „Hammerfest“ 2019 in Frankreich. Im Februar 2020 reiste er mit weiteren deutschen Hammerskins nach Budapest um am neonazistischen Gedenkmarsch „Tag der Ehre“ teilzunehmen. Heiko Sauer arbeitet unter dem Künstlernamen „Por Vida“ im Tattoo-Studio «Dirty Deeds» in Greifswald, seiner Geburtsstadt.
Der Hammerskin Dietmar Speckin (*1980) lebt heute in Zirchow auf der Insel Usedom. Er ist Inhaber eines Haus- und Gartenservice, mit dem er in das extrem rechte Handwerkernetzwerk in Mecklenburg-Vorpommern eingebunden ist. Langfristig können Neonazis so Beschäftigung finden und Gelder zirkulieren nur noch in „nationalen Kreisen“. Handwerks-Unternehmen sind unverzichtbar, ein Dilemma für Menschen in ländlichen Regionen. Der Versuch sich als extrem rechte Genossenschaft zu organisieren scheiterte 2019, doch das Netzwerk bleibt bestehen.
Im März 2014 war Speckin noch als Prospect im internen «Crew 38»-Forum registriert. Wann er genau Fullmember wurde, ist nicht bekannt. Auf dem „Hammerfest“ 2019 in Frankreich trug Speckin seine Fullmember-Kluft. Speckin ist bei der NPD aktiv und kandidierte 2014 und 2019 für die Gemeindevertretung in Heringsdorf bei den Kommunalwahlen. Zusätzlich ist er an die Kameradschaft «Pommern Sturm Usedom» angebunden. Um den Nachwuchs ist Speckin ebenfalls bemüht. Er war im Mai 2017 Mitorganisator eines extrem rechten Kampfsportseminars in Heringsdorf. Auch etliche Mitglieder der kürzlich verbotenen «Nationalen Sozialisten Rostock / Baltik Korps» nahmen daran teil. In einer Turnhalle in Heringsdorf versammelten sich etwa 40 Teilnehmende, um von dem Neonazi Denis Kapustin, Initiator der Marke «White Rex», in Kampfsporttechniken trainiert zu werden. «White Rex» als Marke und Promotion hatte damals enorme Strahlkraft in die neonazistische Szene, vor allem junge, sportbegeisterte Rechte an.
Timm Ludwig (*1987) ist in Anklam geboren und lebt heute im nahe gelegenen Neu Kosenow. Der gelernte Fahrzeugbauer absolvierte seine Ausbildung in Oldenburg. Seit etwa 2010 ist Ludwig in der Region als Neonazi bekannt, um 2012 war er in der Kameradschaft «Jungsturm Pommern» organisiert. Im Mai 2012 beteiligte Ludwig sich an einem Angriff auf eine Gruppe Punks in Anklam, wofür er im September 2012 zu einem Jahr auf Bewährung wegen dreifacher gefährlicher Körperverletzung verurteilt wurde. Er trainierte damals im Gym des «First Fight Team» in Neubrandenburg. Im Juni 2013 wurde Ludwig auf einem NOM in Berlin zum Fullmember gepatched. Besonders eng verbunden scheint er mit den Chaptern «Bayern» und «Schweiz». Im April 2016 besuchte er bereits den in der Schweiz lebenden Hans Jörg Felber, Mitglied des Chapter «Bayern». Zusammen nahmen sie an einer Party im «Redneck 66»-Club in der Schweizer Gemeinde Herisau teil. Im Frühjahr 2017 verbrachte er das Wochenende auf dem jährlichen «Winter» des Chapter «Bayern» in Österreich. Seine „Brüder“ bezeichneten ihn in sozialen Netzwerken zu diesem Zeitpunkt als „Wahlschweizer“. Zum NOM im bayrischen Lohr im Februar 2019 reiste Ludwig alleine an.
Der Hammerskin Robert Lange (*1978) lebt heute mit seiner Frau Nicole Lange, geb. Kosing und zwei Kindern auf der Insel Usedom, wie auch Speckin. Neben ihrem Wohnhaus in der Gemeinde Zempin betreibt Nicole Lange die Gaststätte «Nicky’s Pommernstube». Das Paar nahm bereits 2004 an einer Sonnenwendfeier der «Artgemeinschaft» im Harz teil. Das Wochenende verbrachten sie mit 300 Teilnehmenden, darunter auch die NSU-UnterstützerInnen Susan und André Eminger. Letzterer war mit seinem Bruder Maik Eminger im Mai 2011 nach Salchow gereist, um an der 15-Jahrfeier des KBA teilzunehmen. Dort fanden sich auch die Eheleute Lange ein.
Erst ab 2013 fiel Lange als Hammerskin auf. Im Januar 2013 fuhr er unter anderem mit Heiko Sauer und Timm Ludwig zu einem EOM nach Fürth-Erlenbach, wo das Chapter «Westmark» sein 10-jähriges Bestehen feierte. Damals betreute Lange bereits die Mails für das Chapter. Im Mai 2015 ist er in Fullmember Kutte neben seinen „Bruder“ Detlef Riske auf der Beerdigung des V-Mann und Hammerskins Robert Sokol in Karlsruhe dokumentiert.
Alexander Wendt (*1979), genannt „Welpe“, ist zwar kein Mitglied bei den Hammerskins, agiert aber als einer der wichtigster Supporter in der Region um Anklam. Wendt lebt im Ortsteil Salchow der Gemeinde Klein Bünzow. Der wenige hundert EinwohnerInnen fassende Ort liegt 13 Kilometer von Anklam entfernt und ist mit seiner Vielzahl an dort beheimaten Neonazis das vorpommerische Pendent zum mecklenburgischen Jamel.
Seit fast 20 Jahren tritt Wendt auf neonazistischen Events in Erscheinung, wie im August 2004 auf dem „Rudolf-Hess-Marsch“ in Wunsiedel oder im Mai 2017 auf dem „Trauermarsch“ in Demmin. Wendt ist eine der zentralen Kaderfiguren in der Region. Neben einer Handwerks-Firma ist er Inhaber des Unternehmens „Pommerscher Buchdienst“, das mit Sitz in Anklam eine „Volksbücherei“ betreibt. Die Immobilie dient der rechten Szene auch als „Nationales Begegnungszentrum“. Daneben ist Wendt Besitzer der «Konzertscheune» in Salchow, in der regelmäßig RechtsRock-Konzerte stattfinden. Wendt ist seit 2009 bei der NPD aktiv und führender Kopf des «Kameradschaftsbund Anklam», der heute etwa 14 Personen umfasst.
Aktivitäten & Wirken des Chapters «Pommern»
Ähnlich wie das Chapter «Mecklenburg», wird auch im Chapter «Pommern» auf einen kleinen, aber vertrauten und eingeschworenen Kreis an „Brüdern“ gesetzt. Es gibt kein Bestreben zu wachsen – „Klasse statt Masse“ ist die Devise. Zudem hat man sich über die Jahre in der „National Befreiten Zone“ bestens eingerichtet. Einzelpersonen des Chapters besetzen gewichtige Positionen und üben die Kontrolle über wichtige Entscheidungen in der Region aus. Detlef Riske ist Feuerwehrmann, wird als „netter Nachbar“ wahrgenommen und eben nicht als Hammerskin. „Ganz redliche, fleißige Leute sind das. Wirklich“, erzählt eine Dorfbewohnerin der TAZ, die sich selbst als überzeugte Sozialistin beschreibt. „Solange die ruhig sind, geht das doch alles. Ja, wir haben Glück mit den Rechten hier im Dorf.“.
Auch der Hammerskin Dietmar Speckin hilft beim Rasen mähen und Hecke schneiden. Sicherlich wird auch er als wertvolles Mitglied der Gemeinschaft empfunden, der sich für die Belange der Dorfgemeinschaft über die NPD einsetzt. Wenn Speckin die Jugendlichen der Region zum extrem rechten Kampfsportevent zusammen trommelt kann das als Jugendsozialarbeit gewertet werden. Eben dieses Agieren der Hammerskins ist nicht zufällig, sondern strategisch entschieden. Das offene Bekennen zur Bruderschaft tritt zurück, im Sinne des „Gemeinwohls“. So können Hammerskins mit den Mitgliedern des KBA über Jahre Konzerte und Veranstaltungen strukturübergreifend organisieren, weil es um die „Sache“ geht und nicht um Konkurrenz. Alexander Wendt stellt den Konzertort, Detlef Riske organisiert Bands und Mitglieder beider Bruderschaften stellen den Sicherheits- oder Thekendienst. Wie im Januar 2011, als Riske zu seiner Geburtstagsfeier in einer kürzlich erworbenen Immobile einlud. Dort spielte auch die Bremer Hammerskin-Band «Hetzjagd».
Als im April 2012 das Chapter «Pommern» seine 15-Jahrfeier ausrichtete, war Riske Ansprechperson für die „Brüder“ von außerhalb. Schon um 13 Uhr fanden sich Hammerskins aus ganz Deutschland zum Mittagessen und anschließenden NOM im «Thinghaus» in Grevesmühlen, dem Clubhaus des Chapter «Mecklenburg», ein . Als das Chapter «Pommern» zwei Jahre später, im November 2014, ein NOM in Anklam ausrichtete, war wiederum Robert Lange für alle Rückfragen der „Brüder“ zuständig. In der Öffentlichkeit traten Detlef Riske und Heiko Sauer im Mai 2021 auf. Sie nahmen an einem verschwörungsideologischen Aufmarsch gegen die Corona-Maßnahmen in Anklam teil.
Hammerskins und der «Kameradschaftsbund Anklam»
Der KBA ist eine seit Mai 1996 bestehende Bruderschaft, ähnlich der «Hammerskin Nation», und ist mit den Mitgliedern der HSP tief verbunden. Man teilt sich Immobilien, besucht die Treffen und Feiern wechselseitig und unterstützt sich gegenseitig in jeglichen Belangen. Von Außen gibt es kaum Möglichkeiten die Strukturen zu erfassen. Das Interview eines KBA-Mitglieds in dem Fanzine von «Blood & Honour Deutschland» von 1999/2000 zum 3-Jährige Jubiläum gibt jedoch Aufschluss über die Weltanschauung der Gruppe. Die abschließenden Worte und Grüße des «Kameradschaftsbund Anklam» richten sich an „die Hammerei Pommern“ und an Kai Diesner, dem man dort mitteilt: „denk an R.Hess sein Abschlußplädoyer“. Der Neonazi Kai Diesner schoss 1997 auf einen Buchhändler und verletzte diesen schwer. Auf seiner Flucht geriet er in eine Kontrolle und tötete einen Polizisten. Vor Gericht zeigte Diesner keine Reue, er verteidigte die Tat.
Vor 20 Jahren beschrieb das KBA-Mitglied in diesem Interview die Aktivitäten der Bruderschaft, die auch auf heute übertragbar sind. Über die Gruppe berichtet er: „Als unser Bundesland noch von der CDU regiert wurde organisierten wir regelmäßig Konzerte, Liederabende, Partys und Geburtstagsfeiern in Klein Bünzow oder anderswo. Hierzu luden wir Kameraden aus dem gesamten Bundesgebiet ein. Des weiteren organisierten wir Klebeaktionen, Sonnenwendfeiern, Gedenkmärsche und Kranzniederlegungen.“
Seit 2002 regiert der parteilose Bürgermeister Michael Galander in Anklam. Im Jahr 2010 räumte er der TAZ gegenüber ein man habe „den Rechtsextremen hier zu viel Spielraum gelassen“. Galander versprach eine Wende, doch es blieb bei leeren Worten. Im Mai 2011 feierte der KBA sein 15-jähriges Bestehen. Die Feier auf dem Grundstück von Alexander Wendt zog knapp 300 Neonazis aus ganz Deutschland an. Es gab keine Reaktionen seitens der Politik.
Wenige Tage nach der Jubiläumsfeier, am 10. Mai 2011, schrieb das KBA-Mitglied André Heise an NSU-Unterstützer André Kapke in den sozialen Netzwerken: „Super feier. Kein streß mit den grünen, dafür gäste aus dem ganzen reich. War ne gelungene Veranstaltung:)“.
Öffentlich beworben wurde die Feier nicht, es waren ausschließlich geladene Gäste vor Ort. Die Gästeliste liest sich wie das „Who-is-Who“ der militanten Neonaziszene. So befanden sich neben „Szenegrößen“ aus Sachsen, die den Nachfolgestrukturen von «Blood & Honour» zugerechnet werden, auch der NSU-Helfer André Eminger mit seinem Bruder auf der exklusiven Party. Selbstverständlich anwesend waren auch die «Hammerskins Pommern» sowie einige aus dem Chapter «Mecklenburg». Vereinzelt reisten „Brüder“ aus Berlin und Brandenburg an. Und auch David Petereit, der eine Geldspende vom NSU bekam und sich in seinem Fanzine dafür bedankte, gratulierte der Kameradschaft zum Jubiläum.
Einer der Gastgeber des Abends verdient besondere Aufmerksamkeit: André Heise, führendes Mitglied beim KBA, aus Strasburg, etwa 40 Kilometer von Anklam entfernt. Schon 1999 war er im Kundenregister bei «NS88 Records» zu finden. Heise war bis Juni 2020 fraktionsloser Stadtvertreter in Strasburg und trat dann zurück. Neben den Hammerskins aus Mecklenburg-Vorpommern pflegt er auch besten Kontakt zum Hammerskin Thomas Gerlach aus Thüringen.
Im Juli 2013 forderte André Heise seinen Kameraden Gerlach auf, seine Abendpläne zu ändern und schrieb: „Lasse die Finger von HH und fahre Richtung Usedom! Geburtstag mit Livemusik. Kannst dich hiermit als eingeladen betrachten. Auch deine Brüder aus Berlin Pommern und Mecklenburg sind anwesend..“ (sic!). Gerlach antwortete: „Moin Moin. Naja wir müssen Sonntag früh wieder malochen in Bremen. Ich halte mal Kriegsrat mit Kappe“. Mit „Kappe“ ist NSU-Unterstützer André Kapke gemeint, mit dem Heise befreundet ist. Die beiden ließen sich überzeugen und fuhren nach Usedom. Gerlach gab bekannt: „Wir sind an Bord! ;)“.
Im Zuge der NSU-Ermittlungen wurde Kapkes Telefonbuch ausgewertet. Die Behörden halten überraschenderweise zu André Heise fest: „Keine Erkenntnisse“. Heise und Kapke stehen nicht nur in einem freundschaftlichen Verhältnis, die beiden arbeiten auch zusammen. Am 30. August 2011 verschickte Heise eine Rund-SMS unter andere auch an Kapke: „Nachtschicht fällt heute aus. Jeder monteur bekommt trotzdem 9 stunden bezahlt. Diese sms ging an streufert, kappke, helge, sven und grappel. Ich hoffe das jetzt alle bescheid wissen. Werkzeug ist im container.“
Heise glorifizierte die Taten des NSU. Öffentlich forderte er die Freilassung von seinem Freund, dem NSU-Unterstützer Ralf Wohlleben. Sein politisches Handeln sowie sein Freundeskreis beschränken sich sichtbar auf seine Wohnregion – mit Ausnahme der Hammerskins und des NSU-Netzwerks in Sachsen und Thüringen. So ist es nicht verwunderlich, dass Heise im März 2019 bei der Beerdigung von Thomas Haller in Chemnitz auftauchte. Haller war Gründer der extrem rechten Hooligangruppe «HooNaRa» und selbst tief verstrickt im Netzwerk des NSU.
Ein Hammerskin-Geschäft im «Pommern»- Gebiet
Besonderes Augenmerk verdient das Agieren von Malte Redeker in Stralsund. Dieser betrieb von 2006 bis Herbst 2011 den rechten Szeneladen „Headhunter Streetwear“.
Redeker war in dieser Zeit in Ludwigshafen wohnhaft, bot im Laden das Sortiment seines Labels «Gjallarhorn Klangschmiede» an. Stralsund liegt weit außerhalb seines Aktions-und Kontrollradius, über 800 Kilometer am anderen Ende Deutschlands. Redeker war dort bisher weder besonders in Erscheinung getreten, noch gilt der Ort als regionaler Schwerpunkt der Hammerskins. Er muss vor Ort über engste Vertraute verfügt haben, die für ihn das Geschäft organisierten. Eine solche Person war offensichtlich Karsten Münchow, der zumindest eine Zeit lang die Verantwortung für das Geschäft übernahm. Im Mai 2009 lud Münchow zum Sommerfest: „Sonnabend den 9.5.2009 ist im Headhunter-Streetwear dem Szeneladen in Stralsund in der Bartherstraße 65 b ein Sommerfest. Für das leibliche Wohl wird gesorgt mit alkoholfreien Getränken, Bier und Bratwurst. Ihr seid alle herzlich eingeladen zum Sommerfest. Außerdem gibt es auf alle Sachen 10% Rabatt, CD’s und T-Hemnden werden für 12 EUR rausgehauen. Gruß euer Headhunter Team Headhunter Stralsund“. (sic)
Münchow, der sich nachweislich seit 2002 in der NPD engagiert und zuletzt 2014 bei den Kommunalwahlen in Mecklenburg-Vorpommern kandidierte, ist in der Szene vielseitig aktiv. Er ist eng verbunden mit der RechtsRock-Band «Painful Awakening» aus dem Raum Güstrow, mit der er im März 2010 zu einem Konzert nach Kirchheim (Thüringen) anreiste. Im Juni 2001 nahm er schon an einem Pfingstlager der HDJ-Nachfolgeorganisation «IG Fahrt und Lager» im «Niederschlesischen Feriendorf» am Quitzdorfer See in Ostsachsenteil. Dorthin reiste er mit den HDJ-Kadern Frank Klawitter und dem ehemaligen „Bundesführer“ der HDJ, Sebastian Räbinger an. Im Mai 2011 war Münchow ebenfalls Teilnehmer des KBA-Jubiläums in Salchow. Im Juni 2016 besuchte er die Sonnenwendfeier auf Sven Krügers Anwesen in Jamel. In sozialen Netzwerken präsentiert sich Münchow u.a. in einem T-Shirt mit der Aufschrift „Support your local Einsatzkommando“, dessen Design an das von «Blood & Honour» angelehnt ist. Auf dem Aufdruck des T-Shirts befindet sich zudem die Abbildung einer Pumpgun.
Tonangebend – Chapter «Westwall» und «Sarregau»
Das Chapter «Westmark», 2013 in «Westwall» umbenannt, ist unter den deutschen Hammerskins seit Jahren tonangebend. Zentrale Figur ist Malte Redeker, einer der führenden Hammerskins in Europa.
Der Einflussbereich der «Hammerskins Westmark/Westwall» auf die Neonaziszene erstreckt sich vom Odenwald bis ins Saarland. Die Mitglieder waren und sind in verschiedenen Spektren aktiv: In Kameradschaften, der NPD, der «Heimattreuen Deutschen Jugend» (HDJ) und in der Hooliganszene. Ihre Aktivitäten bündelten sie bis 2013 im «Aktionsbüro Rhein-Neckar», welches zu einem bundesweiten Vorbild wurde. Zum engeren Kreis des Chapters zählen ein Label und mehrere Bands. In ihren Reihen entstanden eine „Schulhof-CD“ und neonazistische Musikzeitschriften. Immer wieder schaffen sich die südwestdeutschen „Brüder“ Treffpunkte, die auch der europäischen Struktur als Anlaufstellen dienen.
Im Jahr 2013 geriet das Chapter «Westmark» in eine Krise, in deren Verlauf langjährige Mitglieder ausschieden. Doch die Krise scheint ausgestanden und neue Mitglieder haben die Lücken geschlossen. Vor allem die Szene im Saarland wurde zur Rekrutierungsstätte. Dort bauten sich ehemalige „Westmärker“ ab 2019 ein eigenes Chapter «Sarregau» auf.
Vor der Gründung des Chapter « Westmark »
Bereits 1995 gab es in Schwetzingen bei Heidelberg ein Postfach der «Hammerskins Deutschland», das ein Neonazi der kurzlebigen Gruppe «Aktionsfront Nationaler Kameraden» eingerichtet hatte. Eine Struktur oder eine feste Gruppe stand damals nicht erkennbar dahinter. Es war die Zeit, in der das Label „Hammerskin“ vielerorts frei verwendet wurde, unwissend, dass es eigentlich einer „Autorisierung“ bedarf. Eine Bundesführung hatte sich in dieser Zeit noch nicht etabliert und so gab es keine einheitliche Kontrolle darüber, wer sich Hammerskin nennen durfte und wer nicht.
Nachdem sich im Jahr 2000 im Süden von Deutschland die Hammerskins in den Chaptern «Baden», «Bayern» und «Franken» organisiert hatten, war es nun nur noch eine Frage der Zeit, bis sich die Naziskins auch in Rheinland-Pfalz und im Saarland der „Nation“ anschließen würden.
Eine der ersten Personen, die in der Region als Hammerskin auftrat, war Stefan Pohlers (*1978) aus Wachenheim, 25 Kilometer von Ludwigshafen entfernt an der Weinstraße gelegen. Er war seit Mitte der 1990er Jahre als Musiker in mehreren Neonazibands wie «United Blood» aktiv. Deren einzige CD „Road to Victory“ erschien im Jahr 2000 auf dem sächsischen Hammerskin-Label «Hate Records». Auf einem Bandfoto posiert Pohlers mit dem „Crossed-Hammers“-Gruß. Er war ein Vertrauter von Mirko Hesse, dem Anführer der sächsischen Hammerskins und reiste mit ihm im Februar 2001 in die USA. Hesse sollte damals in einem Auslieferungsverfahren als Zeuge zugunsten des dort inhaftierten deutschen Neonazimusikers Hendrik Möbus aussagen. Im Rahmen dieser Reise führten Hesse und Pohlers mit US-amerikanischen Hammerskins ein Schießtraining mit Kalaschnikovs und Pistolen durch.
Im April 2001 schrieb Bastian Makowski (heute Fiedler) vom Chapter «Baden» in einem monatlichen Rundbrief an die deutschen Hammerskins, dass sich auf einer Party seines Chapters im März 2001 drei Interessenten aus der Pfalz und aus dem Saarland, sowie drei weitere aus Mannheim vorgestellt hätten. „Die meisten davon sind ja bereits den Sachsen bekannt oder haben sich bereits mal in Berlin blicken lassen“, schrieb er, und weiter: „Auf jeden Fall machen die Jungs einen guten Eindruck und wir werden sie jetzt mal unter unsere Betreuung nehmen. Sie werden sich jetzt erst mal sich als Gruppe formieren und dann sich bei den Chaptern vorstellen.“ (sic!) Eine der ersten Bewährungsproben der neu entstandenen Gruppe war die Organisation eines Konzertes im April 2001 im Raum Mannheim, mit dem sie sich profilieren wollten.
Gründungszeit und Gründergeneration
Der Rhein-Neckar-Raum ist eine dicht besiedelte Region um das Dreiländer-Eck Hessen, Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz. Sie reicht vom Heidelberger Raum in den Neckar-Odenwald-Kreis, die südhessische Bergstraße, nach Mannheim und den Großraum Ludwigshafen. Der Rhein-Neckar-Raum wurde ab den frühen 2000er Jahren zu einem Hotspot der Hammerskin-Aktivitäten. Das lag vor allem an zwei Personen, die ab 2000/2001 in Ludwigshafen in Erscheinung traten: Matthias Herrmann und Malte Redeker.
Im Jahr 2000 zog Matthias Herrmann (*1978) aufgrund eines Studiums von Jena nach Ludwigshafen. Er war ein Macher und Netzwerker, durch und durch ideologisiert. Die Skinheadkultur schien für ihn nur kurzzeitig Anfang der 2000er Jahre von Interesse gewesen zu sein. Dennoch wurde er Vollmitglied bei den Hammerskins und blieb es bis 2013.
Malte Redeker (*1976) wuchs in Norddeutschland auf, lebte einige Jahre in Mexiko und ab 1999 in der Schweiz. Dort wurde er im Januar 2000 beim Schweizer Chapter als Prospect aufgenommen, zog 2001 jedoch nach Ludwigshafen. Redeker hatte dort bereits mit hiesigen Neonazis Freundschaften geschlossen. Spätestens 2002 trug er das Fullmember-Patch und wurde in den folgenden Jahren einer der führenden Hammerskins in Deutschland und Europa. Er wohnt heute in Schifferstadt bei Ludwigshafen.
Im Jahr 2003 wurde das Chapter «Westmark» offiziell gegründet. Zur Gründergeneration zählten neben Herrmann, Pohlers und Redeker auch Frank Molina y Mata aus Saarbrücken, Wolfgang Benkesser aus Mannheim, Christian Lenz aus Bad Dürkheim, Tilo Eckhardt aus dem Raum Ludwigsburg sowie die Südhessen Sascha Kaminski und Stephan Oppelt. Zu dieser Zeit zählten bereits einige mehr dazu, die zumindest als Hangarounds den „Westmärkern“ angebunden waren. Auf Aufmärschen wurden Redeker, Pohlers, Eckardt und Kaminski von verschiedenen Personen flankiert, die über Symbole und Shirts („Support the Nation“) ihre Nähe zu den Hammerskins öffentlich zeigten. Im Jahr ihrer Gründung organisierten die «Hammerskins Westmark» ihr erstes größeres Konzert. In Morhange in Frankreich, 50 Kilometer von Saarbrücken entfernt, kamen am 20. Dezember 2003 um die 600 Neonazis zusammen. Anmelder war Stephan Oppelt (*1979), genannt „Frosti“, aus Südhessen.
Die «Hammerskins Westmark» und ihr Umfeld waren eifrig bemüht, sich national und international zu zeigen. An der Jahresabschluss-Party der Berliner Hammerskins im November 2004 nahmen ein gutes Dutzend Personen aus dem Kreis der «Westmark» teil, derweil die anderen westdeutschen Chapter allenfalls Delegationen von zwei bis drei Personen entsandt hatten. Einen Monat später reisten zwei Dutzend Neonazis aus der Region Rhein-Neckar – Hammerskins und Angehörige der «Kameradschaft Bergstraße» – zu einem neonazistischen „Gedenkmarsch“ ins schwedische Salem, einem Vorort von Stockholm.
Alle bekannten Mitglieder der Gründergeneration waren bis mindestens 2013 in der Bruderschaft aktiv oder gehören ihr heute noch an, mit Ausnahme von Stefan Pohlers. Dieser zog 2004 nach Rheinbach bei Bonn. Noch 2006 brachte Pohlers mit seiner Band «World Hate Center» eine CD heraus, auf der er der «Hammerskin Nation» (HSN) ein Lied widmete. Darin heißt es: „We are, we are Hammerskins, no time for losers, we will never give in“. Zuletzt wurde er im Mai 2007 in Kirchheim an der Weinstraße auf einem EOM mit anschließenden Konzert festgestellt, dann verliert sich seine Spur.
In Rheinbach wohnte auch Thorsten Dederichs (*1976), damals Mitglied der «Skinheads Rheinland», stieß dann zu den Hammerskins und wurde um 2004 Prospect beim Chapter «Westmark». Offensichtlich schaffte er es aber nicht zum Fullmember. Ende der 2000er Jahre gehörte er dem Rockerclub «Bandidos MC» an.
Malte Frederik Redeker (*1976), wohnhaft in Schifferstadt bei Ludwigshafen, wuchs in der Kleinstadt Elmshorn nahe Hamburg auf. Nach eigenen Angaben schloss er sich Ende der 1980er Jahre der neonazistischen Skinhead-Szene an. Anfang der 1990er Jahre war er mitverantwortlich für das rechte Fanzine «Deutsche Zukunft». Von 1994 bis 1999 wohnte Redeker in Mexiko, wo sein Vater eine Anstellung hatte. Von 1996 bis 2002 brachte er das Neonazi-Magazin «Donnerschlag» heraus und machte sich darüber in der Szene einen Namen. Auch während seiner Zeit in Mexiko war er teils für mehrere Wochen zu Besuch in Europa und nahm etwa an RechtsRock-Konzerten teil. Im Jahr 1999 zog Redeker in die Schweiz in den Raum St. Gallen und begann ein Studium der Rechtswissenschaften. Im Januar 2000 wurde er Prospect bei den Schweizer Hammerskins und erhielt spätestens 2002 den Fullmember-Patch. Als 2001 sein Visum aufgrund seiner politischen Tätigkeiten nicht verlängert wurde, zog er nach Ludwigshafen und begann ein BWL-Studium. Seit 2004 ist er professioneller „Bewegungs-Unternehmer“, er gründete das Musiklabel «Gjallarhorn Klangschmiede» (GKS)und betrieb neonazistische Ladengeschäfte. Musik sah er immer als ein Mittel, neonazistische Ideologie zu transportieren. Im August 2020 schrieb Redeker in der Telegram-Gruppe „Rock Hate Forum“: „Rechtsrock als Waffe hat noch lange nicht ausgedient“. Heute steckt er hinter den Labels «GKS/Front Musik» und «Front Records» und ist maßgeblich im extrem rechten Kampfsport-Format «Kampf der Nibelungen» involviert.
Geld schien für ihn niemals ein Problem zu sein. Er unterstützt Personen seines Umfeldes bei finanziellen Engpässen und förderte Projekte wie die „Schulhof-CD“ „Anpassung ist Feigheit“ (2004) sowie die Zeitschrift «Invers» (2005). Die antifaschistische Zeitschrift Lotta schrieb 2012 über ihn: „Redeker zeichnet etwas aus, was dem Großteil seiner Szene fremd ist: soziale Kompetenz. Er bringt kraft seiner Autorität die Leute an einen Tisch, moderiert Konflikte und kümmert sich um die, die er väterlich „seine Jungs“ nennt.„ Dies verschafft ihm im Neonazispektrum hohes Ansehen.
Auch die Kampagne „Tag der deutschen Zukunft“ (TddZ) konnte sich der Unterstützung Redekers und der Hammerskins sicher sein. Sowohl der Erlös eines im April 2017 im Clubhaus der «Hammerskins Lorraine» im Nordosten Frankreichs ausgetragenes Konzert kam der Kampagne zu Gute, wie auch zwei Konzerte im Jahr 2019. Zu diesen hatte Redeker über seine Mailadresse eingeladen. 2020 veröffentlichte er über «Front Records» zudem einen Solidaritäts-Sampler für den zwölften und letzten „Tag der deutschen Zukunft“ in Worms. Unter den rund 50 Teilnehmenden des Aufmarschs im Juni 2020 befand sich auch Redeker.
In der Telegram-Gruppe „Rock Hate Forum“ schrieb Redeker im Juli 2020 über sich: „Ich bin 18er Mann und nur meinem Gewissen verpflichtet. Ich bin sowohl im ‚metapolitischen‘, als auch ‚szene‘ aktiv. Ich befürworte tendenziell jedes ‚rasseerhaltendes‘ Engagement (…)„ (sic!). Die Zahl 18 steht in der Neonaziszene für die Buchstaben A und H, die Initialen von Adolf Hitler.
Immer wieder äußerte er rassistische und antisemitische Vernichtungsfantasien. So gab er sich in einer neonazistischen YouTube-Sendung 2012 als Bewunderer der US-amerikanischen Terrorgruppe «Aryan Republican Army» (ARA) zu erkennen. Er erzählte, Ziel der ARA sei es gewesen, „den Einfluss einer gewissen Minderheit in den USA aus[zu]schalten“ und „nach Möglichkeit die Jungs wieder ganz woanders hin[zu]schicken“. Wie er selbst mit Schwarzen und People of Colour umgehen wolle, verdeutlichte er im Vorfeld einer USA-Reise im Jahr 2010. Damals hieß es in einer Nachricht an seine „Brüder“ in Florida: „And if anything is going one in Florida, the time between september 20th till october first, keep us informed, Barbeque, nigger hunting or anything like that“(sic!). Zu deutsch: „Und wenn irgendetwas in Florida in der Zeit zwischen dem 20. September und dem ersten Oktober los ist, halte mich auf dem Laufenden, Grillen, N*****jagd oder so etwas“ (Übers.d.Verf.). Schon früher progagierte Redeker Terrorkonzepte von «Combat 18» und des „Leaderless Resistance“ (dt.: „führerloser Widerstand“), so äußerte er in einem Interview im Jahr 2000: „Leaderless Resistance ist die Devise. Lediglich dein Aktionismus kann den Sieg bringen.“.
Redeker ist nicht nur die Führungsperson der deutschen Hammerskins, sondern wurde Ende der 2000er Jahre auch „European Secretary“ der «Hammerskin Nation». Er ist beständig im In- und Ausland auf entsprechenden Treffen und Veranstaltungen unterwegs. Nachdem er im Jahr 2011 mit rechts-terroristischen Aktivitäten in Verbindung gebracht wurde, streitet er nach außen seine führende Rolle bei den Hammerskins ab. Einer Lokalzeitung sagte er sogar, dass es die Neonazi-Bruderschaft in Deutschland gar nicht mehr geben würde.
Redeker ist zweifellos noch immer Kopf der deutschen Hammerskins und Führungsfigur der europäischen Struktur. Erst im Oktober 2018 wurde er von den Behörden in North Carolina (USA) kurzzeitig festgesetzt. Ein im Netz einsehbarer Eintrag verweist auf den Grund der Ingewahrsamnahme, mutmaßlich am Charlotte Douglas International Airport: „Immigration“. Er war auf dem Weg zum jährlichen „Hammerfest“, dass am 5. Oktober in Southern Carolina stattfand.
Als im Februar 2019 ein NOM in Lohr im Spessart ausgetragen wurde, lieferte Redeker zudem einen eindrücklichen Auftritt, der auf seine unumstrittene Position in der «Hammerskin Nation» hinwies. Denn während die anderen Fullmember und Propects frühzeitig anreisten, um das Treffen vorzubereiten, und artig ihre Autos vor dem Gelände ab parkten, kam Redeker auf die Minute pünktlich am Gelände an und fuhr mit seinem Auto direkt vor die Eingangstür.
Die aus Rostock stammende Neonazistin Heike Redeker, geborene Neumann, war viele Jahre Lebensgefährtin von Malte Redeker. Sie verlobten sich im Jahr 2005 und lebten zusammen in Ludwigshafen. Um 2012 trennten sie sich. Im Jahr 2016 heirate Redeker dann Katrin Matz (*1989), die ebenfalls aus der neonazistischen Szene stammt.
Hammerskins in Kameradschaften
Die «Hammerskins Westmark» waren nicht darauf aus, ihr „eigenes Ding“ zu machen und anderen neonazistischen Gruppen distanziert und selbstgefällig gegenüber zu stehen. Tatsächlich waren etliche Hammerskins aus dem Chapter «Westmark» außerhalb ihrer „Bruderschaft“ aktiv, gründeten beispielsweise Kameradschaften und führten diese an:
Tilo Eckardt (*1977) aus Untergruppenbach bei Ludwigsburg, wurde im Jahr 2005 von der Polizei als führende Person der «Kameradschaft Stuttgart» angesehen. Eckardt war dem Chapter «Westmark» angeschlossen, wechselte jedoch offensichtlich ab 2010 ins neu gegründete Chapter «Württemberg».
Christian Lenz (*1983) und Wolfgang Benkesser gehörten der Kameradschaftsszene im Raum Ludwigshafen an, die unter anderem als «Kameradschaft Kurpfalz» auftrat. Weitere Mitglieder dieser Kameradschaft trugen und tragen „Support“-Kleidung der Hammerskins und tauchen seit Jahren auf Aufmärschen im Gefolge von Redeker auf. Zu nennen sind Sebastian Chmielorz (*1981) aus Ludwigshafen, Markus Fickelscher (*1987) aus Schifferstadt, Jan Zrzodelny (*1987) aus Neuhofen und Benjamin Riedle (*1983) aus Bad Dürkheim. Riedle war bereits 2002 zusammen mit dem späteren Hammmerskin-Prospect Nico Roth an einem Angriff auf linke Jugendliche in Erpolzheim (Pfalz) beteiligt. Neonazis hatten versucht, einen Molotow-Cocktail in ein Haus zu werfen, in dem die Jugendlichen feierten. Während des Prozesses 2003 beteuerte Riedle, sich von der rechten Szene gelöst zu haben und kam mit einer Bewährungsstrafe davon. In den Folgejahren nahm er öfter an Aufmärschen teil. Für den 11. Juli 2009 organisierte er den Reisebus, der die «Hammerskins Westmark» und ihr Umfeld zum Großevent „Rock für Deutschland“- nach Gera (Thüringen) brachte.
Sascha Kaminski (*1978) aus Viernheim war einer der Anführer der 2002 gegründeten «Kameradschaft Bergstraße». Er ist heute noch bei den Hammerskins aktiv und wohnt in Heidelberg. Zur «Kameradschaft Bergstraße» zählte auch Stephan Oppelt, der zu dieser Zeit in Lampertheim, einem Nachbarort von Viernheim, wohnte. Als die Gruppe ab 2006 zerfiel, fand ein weiteres führendes Mitglied, Sebastian Kahlmann (*1980), den Weg zu den Hammerskins. Kahlmann, der heute im südhessischen Zwingenberg wohnt, wurde um 2010 Vollmitglied. Ab 2012 trat zudem Christian Lulei (*1985) aus Bensheim von der ehemaligen «Kameradschaft Bergstraße» als Prospect bei den Hammerskins in Erscheinung. Zu Kahlmann, genannt „Kalle“, pflegt Lulei heute noch einen freundschaftlichen Kontakt, auch wenn er es selbst nicht zum Fullmember schaffte.
Als ein „Hotspot“ der Hammerskins entwickelte sich die Kleinstadt Viernheim am südlichen Zipfel von Hessen. Im Süden ist sie fast an Mannheim angewachsen, nach Osten ist es nur ein Spaziergang nach Weinheim, das (wie auch Mannheim) in Baden-Württemberg liegt. Im Frühjahr 1997 überfiel eine Gruppe von Neonazis ein als alternativ angesehenes Café in Weinheim. Mit dabei waren die späteren Hammerskins Wolfgang Benkesser, Stephan Oppelt und Dennis Kühlwein, damals 19, 18 und 16 Jahre alt. Augenscheinlich hatte sich in der Gründerzeit der «Hammerskins Westmark» eine kleine Clique von Naziskins aus den Nachbarstädten Viernheim und Lampertheim den Hammerskins angeschlossen: Dennis Kühlwein (*1980), Stephan Oppelt, Sascha Kaminiski, Marc Winkenbach (*1980) sowie ein paar weitere, die mit ihnen Hammerskin-Konzerte und -Partys besuchten. Kühlwein wurde ca. 2006 Vollmitglied, der Viernheimer Daniel Weidner (*1982) wurde um 2010 von der Polizei den Hammerskins zugerechnet und Michael Riedel (*1985), ebenfalls aus Viernheim, wurde im Jahr 2012 Fullmember.
Das «Aktionsbüro Rhein-Neckar»
Das «Aktionsbüro Rhein-Neckar» (ABRN) existierte von 2003 bis 2013 und galt als Neonazi-„Leitzentrale“ der gesamten Region. Es koordinierte die Aktivitäten der einzelnen lokalen Kameradschaften, übernahm die Mobilisierung zu Aufmärschen, organisierte Veranstaltungen wie „Rechtsschulungen für nationale Aktivisten“ und stellte ein Gremium, in dem Absprachen getroffen und Konflikte verhandelt wurden. Eine der ersten Aktionen des ABRN war ein am 8. November 2003 konspirativ durchgeführtes „Totengedenken“ auf dem Heiligenberg bei Heidelberg, wo die NSDAP 1935 eine „Thingstätte“ in Form einer Freilichtbühne hatte errichten lassen. Zwischen 100 und 200 Neonazis nahmen an der Veranstaltung teil. Es waren Hammerskins, die die Veranstaltung prägten. Neben dem «United Blood»-Musiker Markus Hüther sprachen Christian Lenz und Malte Redeker, der in seiner Rede aus Hitlers „Mein Kampf“ zitierte. Für die Party danach mietete Stefan Pohlers eine Gaststätte an.
Die Dynamik und Breite, die die neonazistische Szene in der Rhein-Neckar-Region und in der Pfalz nun für viele Jahre entfaltete, wäre ohne die Arbeit des ABRN nicht möglich gewesen. Auf einem internen Telefonverteiler des ABRN von 2005 finden sich 191 Personen alleine aus dem Raum Ludwigshafen.
Den Führungskreis des ABRN bildeten Matthias Herrmann, Malte Redeker und Rene Rodriguez-Teufer (*1974), ein bestens vernetzter Kameradschaftsführer aus Viernheim. Als Rodriguez-Teufers rechte Hand wurde der Hammerskin Sascha Kaminski angesehen.
Vor allem Hermann trieb im ABRN eine Aktion nach der anderen voran. Doch er galt als überheblich, verkörperte den „Scheitel-Typen“ und hatte wenig „Credibility“ bei den Naziskins und Hooligans im Kreis des ABRN. Es war vor allem Redeker, der Kraft seiner Autorität und sozialen Fähigkeiten den Laden zusammen hielt. Sein Wort hatte Gewicht. Er war Integrationsfigur für alle – für die Hooligans, die Skinheads, für NPD und Kameradschaften.
So diente das ABRN fast zehn Jahre lang als bundesweites Vorzeigeprojekt, dem Neonazis in anderen Region nacheiferten. Ab 2012 verlor das ABRN an Bedeutung und stellte 2013 seine Arbeit ein.
Weitere Mitglieder und Prospects – eine Auswahl
Eine nicht unerhebliche Anzahl Neonazis im Raum Ludwigshafen und der Vorderpfalz war in den vergangenen 20 Jahren in irgendeiner Weise den Hammerskins angebunden. Alle aufzuzählen und über ihren Status bei den Hammerskins zu spekulieren würde den Rahmen sprengen. Hier nur eine Auswahl:
Thilo Sebastian Seger (*1982), genannt „Anwalt“, wird schon seit Mitte der 2000er Jahre zum engen Umfeld um Redeker und zum Kern der «Hammerskins Westmark» gezählt. Im Jahr 2013, als er noch in Neustadt an der Weinstraße lebte, reiste Seger zusammen mit Redeker auf ein NOM nach Berlin. Im Juli 2014 verbreitete sich unter Hammerskins die Nachricht, dass „Anwalt vor einer Weile“ als Fullmember gepatcht worden sei. Seger wohnt aktuell in Homburg an der Saar, rund 30 Kilometer nördlich von Saarbrücken. Ob er heute noch eigenständig als Anwalt arbeitet – wie 2015 von der Autonomen Antifa Freiburg schlüssig dargelegt wurde – ist nicht ersichtlich. Zwar studierte er in Saarbrücken Jura, bei offiziellen Stellen findet sich heute jedoch kein Eintrag dazu, ob er eine Lizenz als Rechtsanwalt besitzt. Lediglich ein „Sebastian Seger“ fällt ins Auge, sucht man im Netz nach Anwälten in Saarbrücken. Als Geschäftssitz gibt dieser eine Kanzlei in der Innenstadt an. Auf der Webseite dieser Kanzlei findet sich auch der Name eines anderen Rechtsanwaltes wieder, der schon Anfang der 2010er Jahre in der Freundesliste auf einem Social Media-Profil von Thilo Sebastian Seger auftauchte. Damals benutzte Seger als Profilbild das Konterfei von Robert Jay Mathews – Kopf der US-amerikanischen Terrorgruppe The Order/Brüder Schweigen.
Um das Jahr 2010 schloss sich Nico Roth (*1983), genannt „Wiesel“, aus Böhl-Iggelheim bei Ludwigshafen den Hammerskins an. Er war schon 2002 an dem Molotow-Cocktail-Anschlag auf linke Jugendliche in Erpolzheim beteiligt. Um 2012 spielte Roth in mehreren Hammerskin-Bands, wie «Division Germania» und «Vargr I Veum». Er kam jedoch nie über den Prospect-Status hinaus und wurde im Dezember 2013 aufgrund „persönlicher Angelegenheiten“ aus der HSN ausgeschlossen. Den Strukturen blieb er dennoch freundschaftlich verbunden.
2012 konnte das Chapter «Westmark» einen „prominenten“ Neuzugang verzeichnen: Roland Sokol (*1972) aus Karlsruhe erhielt den Prospect-Status. Er war vielen in der Szene gut bekannt und in ganz Deutschland vernetzt. Vor allem aufgrund seiner Aktivitäten in der Band «Triebtäter», die bis in die frühen 1990er Jahre zurück gehen. Die Band hatte das «Blood & Honour»-Netzwerk in Baden-Württemberg maßgeblich begründet und erspielte sich im Laufe der Jahre ihren Status als „Kultband“ der Szene. Dass Sokol sich im Alter von fast 40 Jahren den Hammerskins anschloss, hat sicher auch seinen Grund darin, dass er dorthin geschickt wurde: Vom baden-württembergischen Geheimdienst („Verfassungsschutz“), für den Sokol offensichtlich viele Jahre spitzelte – laut Redeker seit 2009. Anfang 2015 wurde Sokol zum Fullmember der «Hammerskin Nation», im Oktober 2015 starb er an Krebs.
Seit 2011 ist Steven Haase (*1984) im Kreis der Hammerskins zu finden. Er hatte zuvor in Offenbach am Main gewohnt und war ein Anführer der Neonazigruppe «Freie Nationalisten Rhein-Main». Die Gruppe stellte um das Jahr 2010 ihre Aktivitäten ein und Haase zog nach Neuhofen bei Ludwigshafen. Schon 2011 reiste er mit Redeker zu einem Hammerskin-Konzert nach Mecklenburg-Vorpommern, die Polizei vermerkte ihn in diesem Jahr als den «Hammerskins Westmark» zugehörig. Im Oktober 2017 chauffierte er zusammen mit Redeker die australische Hammerskin-Band «Fortress» zu einem Konzert nach Thüringen.
Im Jahr 2013 fiel der Tätowierer Marco Berlinghof zum ersten Mal im Kontext der «Hammerskin Nation» auf. Mit einer Gruppe von Hammerskins des erst kurz zuvor in «Westwall» umbenannten Chapter «Westmark», war er nach England zu einem Neonazikonzert gereist. Im Rahmen des Trips besuchte die Gruppe die historische Stätte Stonehenge und stellte sich dort zum Gruppenbild auf. Berlinghof trug dabei ein Shirt, mit dem er sich als Prospect zu erkennen gab.
Den Prospect-Patch auf der Kluft trug er noch am 12. Juni 2014, als er an einem NOM in Berlin teilnahm. Wann er zum Fullmember wurde, ist nicht bekannt. Seine Urlaube 2014, 2016 und 2017 verbrachte er mit seinen „Brüdern“ auf Mallorca. Auf seinem Oberkörper prangt die Tätowierung einer Runenfolge, die das Wort „Herrenrasse“ ergibt. Das „SS“ im Wort ist dabei mit zwei „Sig“-Runen dargestellt, so wie es die Nationalsozialisten im Abzeichen der Waffen-SS benutzten. Neben dem Schriftzug befindet sich eine tätowierte „Schwarze Sonne“ – ein ebenfalls aus der NS-Zeit stammendes Symbol, das drei übereinander gelegte Hakenkreuze zeigt.
Als die Antifaschistische Initiative Heidelberg im Juni 2017 Informationen zu den beteiligten Hammerskins und deren Umfeld bei der „Nazi-Party auf Mallorca“ veröffentlichte, fiel auch der Name Berlinghof.
Dieser ließ kurz darauf über die Presse erklären, dass er kein Anhänger der Hammerskins sei und nicht jeden aus der „Touristengruppe“ auf Mallorca gekannt habe. Auf Neonazi-Treffen wurde er seitdem nicht mehr festgestellt, eine Distanz zu den Hammerskins ist jedoch nicht zu erkennen.
2019 verbrachte er seinen Urlaub gemeinsam mit dem Hammerskin Wolfgang Benkesser in Argentinien. Im Frühjahr 2020 bewarb Berlinghof innerhalb sozialer Netzwerke die Eröffnung einer Shisha-Bar in Kleve, dessen Mitbetreiber Benkesser ist. Berlinghof leitet das angesehene Studio «PikAss Tattoo» in Ketsch bei Heidelberg. Sein Unternehmen scheint zu florieren. Die Zahl seiner Angestellten wächst und im April 2021 wurde Berlinghof für „herausragende unternehmerische Leistungen“ ein Preis namens „Mission Mittelstand-Award“ verliehen.
Die Saarländer Fraktion der «Hammerskins Westmark» wurde bis in die 2010er Jahre von Frank Molina y Mata (*1972), genannt „Ed“, angeführt. Er war Sänger und Frontmann der Band «Jungsturm», die schon Jahre vor der Gründung des Chapters «Westmark» auf Hammerskin-Konzerten auftrat. Im Booklet einer CD seiner Band aus dem Jahr 2003 trug Molina y Mata den Prospect-Patch.
Zur Saarländer Gruppe stießen um 2006 Frank Mailänder (*1979) aus Püttlingen und Robert Kiefer (*1983), genannt „Robby“, aus Quierschied. Kiefer führte in den 2000er Jahren die «Kameradschaft Köllertal» an und spielte in der Neonaziband «Aggressor». Später gründete er die Band «Wolfsfront«, die im November 2012 auf dem „Hammerfest“ in Frankreich ihr erstes größeres Live-Konzert gab. 2010 waren Mailänder und Kiefer Fullmember der «Hammerskin Nation». Kiefer entwickelte sich zu einem der tonangebenden Hammerskins, neben Redeker. Welche Vorstellungen er von der Bruderschaft hat, wird in einer Kommunikation deutlich, die er 2014 mit Redeker führte. Dort teilt Kiefer ihm mit:
„Mir ist Authentizität und Ehrlichkeit wichtig! Verlass und Gradlinigkeit. Wenn einer immer groß erzählt, was er alles macht und kann, aber nie aus den Pötten kommt, Termine und Vereinbarungen nicht hält, hinten und vorne immer andere Ansichten vertritt weil es so am Bequemsten ist, dem kann ich nicht vertrauen und den will ich auch nicht in meinem engeren Kreis haben.“ (sic!)
Mit Kiefer spielte bei «Wolfsfront» auch Jonathan-Gaston Kennel (*1979), genannt „Johnny“. Er ist Franzose und wohnt in der französischen Kleinstadt Roth im Département Moselle, unweit von Saarbrücken. Schon 2008 fiel sein Name, als das «Aktionsbüro Rhein-Neckar» Spenden für den Grabstein von Friedhelm Busse sammelte, der damals eine führende Person in der deutschen Neonaziszene . Das Spendengeld sollte auf Kennels Konto bei der Sparkasse Saarbrücken eingezahlt werden. Kennel wurde um 2012 als Prospect bei der «Westmark» aufgenommen. Frank Molina y Mata hatte sich damals für seine Aufnahme stark gemacht. Redeker schrieb dazu in einer internen Kommunikation: „molina schleppt den an und erzählt uns wunderwas warum man den braucht (molina brauchte ihn). Der rest war seeeeeeeeeehr verhalten. dem molina zuliebe wurde nach langen grummeln dann zugestimmt. Man wollte ihm die bitte nicht ausschlagen.“ (sic!) Kennel konnte sich offensichtlich als Prospect beweisen, schaffte es zum Fullmember und ist bis heute als Hammerskin aktiv.
Ein weiterer Musiker bei «Wolfsfront» war ab spätestens 2013 Michael Weiland aus Homburg an der Saar. Weiland trat zu dieser Zeit für die «Crew 38» auf und reiste im September 2013 mit Kiefer, Redeker und weiteren Hammerskins des Chapter «Westwall» zu einem Neonazikonzert nach England. Um das Jahr 2017 wurde er Prospect bei diesem Chapter.
Musikkultur und „Jugendarbeit“
Das auszuführen, was Hammerskins in den vergangenen 20 Jahren alleine im Raum Mannheim/Ludwigshafen angeleitet und organisiert haben, würde noch viele Seiten mehr füllen. Es kann hier nur in Ausschnitten wiedergegeben werden. Ab 2002 organisierten die «Hammerskins Westmark» alljährlich mehrere Konzerte. Bis 2005 stand ihnen hierfür unter anderem das Clubhaus der Rockergruppe «Bandidos MC» in Mannheim zur Verfügung.
Am 7. Januar 2006 fand ein Hammerskin-Konzert mit knapp 500 Teilnehmenden aus Deutschland, Tschechien, Italien, Frankreich und der Schweiz statt, das die «Hammerskins Westmark» organisierten. Bei dem Austragungsort handelte es sich um eine Gaststätte in Griesheim bei Darmstadt. Die Feier wurde unter dem Namen eines fiktiven Basketballverein angemeldet. Einsatzkräfte der Polizei erschienen erst gegen 22 Uhr und beschränkte sich auf einzelne Personenkontrollen. Sie erklärte im Nachhinein, keine Vorkenntnisse gehabt zu haben und überrumpelt worden zu sein. In Griesheim traten unter anderem die „Kultband“ «Radikahl» um ihren Sänger Manfred Wiemer und «Propaganda» aus dem Schwarzwald auf, deren Musiker dem Umfeld der Hammerskins zugerechnet werden. Die Polizei schrieb später in einem internen Bericht: „So skandierten beispielsweise zahlreiche Besucher des Skinhead-Konzerts am 07.01.2006 in Griesheim den Hitlergruß und riefen Parolen wie „Heil Hitler“, während WIEMER das Lied „Hakenkreuz“ (,,Hängt dem Adolf Hitler den Nobelpreis um“) vortrug. Später spielte er gemeinsam mit „Propaganda“ das Lied „Blut muss fließen.“ Zu dieser Zeit wagten es Neonazis in Deutschland kaum noch, den berüchtigten Song „Blut muss fließen“ (mit Textzeilen wie „Wetzt die langen Messer auf dem Bürgersteig, lasst die Messer flutschen in den Judenleib„) außerhalb von konspirativen Kleinkonzerten zu spielen. Nicht so die Hammerskins. Sie agierten, als könne ihnen nichts passieren und es passierte ihnen ja auch wieder einmal nichts.
Im Januar 2001 beschlossen die Hammerskins auf einem EOM in Sachsen, ein Musiklabel zu gründen, was keiner Privatperson, sondern der «Hammerskin Nation» gehören soll. Kurze Zeit später, im April 2001, schrieb Redeker in einem Brief an die Neonaziband «Carpe Diem» aus Stuttgart, dass er sich nun als „Cd-Produzent“ (sic!) versuchen möchte. Er wollte die Band für einen „vollkommen legalen Sampler“ gewinnen, dessen Erlös den Schweizer Hammerskins zu Gute kommen sollte. Tatsächlich kam der Sampler erst 2004 auf dem von Redeker kurz zuvor gegründeten Label «Gjallarhorn Klangschmiede» (GKS) heraus. GKS wurde das führende deutsche Hammerskin-Label, bis heute erschienen dort über 70 Eigenproduktionen.
Redeker und GKS waren nicht auf den klassischen RechtsRock reduziert. 2010 veröffentlichte GKS eine NS-Rap-CD – „Sprechgesang zum Untergang“. Der sogenannte NS-Rap war und ist vor allem unter den Naziskins der „alten Schule“ stark umstritten. Doch Redeker sah dies funktional. In einer internen Kommunikation im Jahr 2010 schrieb er: „Man mag von dem Phänomen »Sprechgesang« halten was möchte – ich persönlich kann damit eigentlich garnichts anfangen, allerdings darf die Propagandawirkung nicht unterschätzt werden.“
Redeker und seine Gefolgschaft bemühte sich eindrücklich um Jugendliche: 2004 war er einer der Macher der CD „Anpassung ist Feigheit“, die erste jener sogenannten „Schulhof-CDs“, die in einer Auflage von mehreren 10.000 produziert und kostenlos an Schulen und Jugendtreffpunkten verteilt werden sollte. Da einzelne Lieder dieser CD jedoch von der Staatsanwaltschaft als strafbar bewertet wurden, durfte sie nicht verbreitet werden. Mindestens 50.000 bereits hergestellte Exemplare sollten sichergestellt werden, konnten bei folgenden Razzien jedoch nicht gefunden werden. Daraufhin wurde die CD als Download bereit gestellt. An Schulen im Rhein-Neckar-Kreis klebten bald Werbezettel mit der Download-Adresse. Ein erheblicher Teil der Finanzierung dieser „Schulhof-CD“ kam aus der Struktur von Redeker. Auffallend war: Nirgendwo auf dieser CD findet sich ein Hinweis auf deutsche Hammerskins, gleichwohl trat die «Crew38 Schweiz» und ein Dutzend Kameradschaften aus dem Einflussbereich des «Aktionsbüro Rhein-Neckar» namentlich als Unterstützer auf.
Von 2005 bis 2007 erschienen aus dem Hause Herrmann/Redeker mehrere Ausgaben des RechtsRock- und Polit-Magazins «Nordwind», das sich explizit an Jugendliche richtete. Ebenfalls kam 2005 in einer Auflage von 20.000 Exemplaren die neonazistische „Schülerzeitung“ «Invers» heraus. Die Projekte waren professionell aufgemacht, blieben jedoch kurzlebig.
Ladengeschäfte und Treffpunkte
Noch Ende der 2000er Jahre wurde Malte Redeker „European Secretary“ der «Hammerskin Nation» und somit einer der einflussreichsten europäischen Hammerskins.
Auch trat er als Inhaber von Szene-Ladengeschäften auf. Von 2007 bis 2011 war er offizieller Betreiber des Ladens «Headhunter Streetwear» in Stralsund, am anderen Ende Deutschlands. 2008 eröffnete er den Laden «Streetwear Company» in Ludwigshafen, der bis 2009 existierte. Als am 17. Januar 2009 Antifaschist*innen in Ludwigshafen gegen das Geschäft und die Umtriebe von Redeker demonstrierten, überfielen zeitgleich rund 40 Neonazis ein vermeintlich linkes Bekleidungsgeschäft in Mannheim.
Sie zerstörten Scheiben und die Einrichtung, zwei Angestellte konnten sich gerade noch in Sicherheit bringen. Zu den Neonazis, die wegen des Überfalls festgenommen wurden, zählten unter anderem die Hammerskins Christian Lenz und Marc Winkenbach. Die Verfahren wurden später eingestellt.
Zur Infrastruktur der Hammerskins in der Rhein-Neckar-Region zählt seit dem Jahr 2007 das Tattoo-Studio «Two Hands» des Hammerskins Arnd Rademacher (*1972) in Frankenthal nahe Ludwigshafen. Zeitweise existierte direkt daneben ein «Two Hands»-Kleidungs- und Gemischtwarenladen, den Rademacher jedoch einstellte. Er war aus dem südlichen Baden in den Rhein-Neckar-Raum gezogen, wohnt heute in Heßheim, dem Nachbarort von Frankenthal. Rademacher gehört seit der Jahrtausendwende den Hammerskins an und war dem Chapter «Baden» angeschlossen, noch bevor das Chapter «Westmark» gegründet wurde. Spätestens um das Jahr 2015, als das Chapter «Baden» seine Aktivitäten einstellte, dürfte Rademacher zum «Westmark»-Nachfolger, dem Chapter «Westwall» gewechselt sein.
Von 2006 bis 2008 verfügten die «Hammerskins Westmark» über einen eigenen Treffpunkt in Kirchheim an der Weinstraße, 25 Kilometer von Ludwigshafen entfernt. Dort hatte Redeker die ehemalige Ausflugsgaststätte «Alte Leininger Mühle» gepachtet. Über Monate hatten Hammerskins und ihnen nahestehende Personen den Treffpunkt für ihre Zwecke ausgebaut. Der Treffpunkt rückte Ende 2006 u.a. dadurch ins Licht, weil am Fahnenmast die Flagge der NPD gehisst war. Im Januar 2007 demonstrierten Antifaschist*innen gegen die Nutzung des Objekts durch Neonazis. Im Laufe des Jahres kam die NPD auch offiziell ins Spiel und verkündete großmäulig, ein „nationales Jugendzentrum“ errichten zu wollen. Infolge des öffentlichen Druck, der vor allem durch die antifaschistische Kampagne entstand, war die Stadt zum Handeln gezwungen. Im Zuge dessen wurde der Treffpunkt 2009 geschlossen. In dem als «Nationales Schulungs- und Freizeitzentrum zur Mühle in Kirchheim» benannten Objekt, hatten bis dahin etliche Neonazitreffen und -konzerte stattfinden können. Am 26. Mai Mai 2007 wurde beispielsweise ein EOM mit anschließender „Jahresparty mit Livemusik“ durchgeführt, an der zirka 300 Personen teilnahmen .
Auch dienten die Räumlichkeiten „Brüdern“ aus Bundesländern für Veranstaltungen. So wurde im November 2007 ein Konzert der «Hammerskins Franken», dass in Wertheim bei Würzburg geplant war, kurzfristig vom Vermieter abgesagt und nach Kirchheim verlegt, wo es mit 150 Teilnehmenden ungestört stattfinden konnte.
In Ludwigshafen wurden die Hammerskins und die mit ihnen verbandelten Neonazi-Hooligans und Kameradschaften ab Mitte der 2000er Jahre zu einem Machtfaktor. Die Zeitschrift Lotta schrieb 2012 hinsichtlich der Stimmung in der Stadt über „den Kneipenwirt, der es nicht wagt, diejenigen Neonazis vor die Tür zu setzen, die seine aus dem Ausland stammende Ehefrau übel beleidigen. Oder für die „unpolitische“ Metalband aus dem Ludwigshafener Vorort, deren CD laut eigener Aussage ohne ihre Einwilligung von einem Neonazilabel veröffentlicht wurde, und die sich dennoch nicht traut, juristisch dagegen vorzugehen.„ In der Stadt konnten die Neonazis auf eine handvoll Kneipen als Rückzugsorte zurück greifen. Besonders das «Rockcafé Bon Scott» galt ihnen als Stammlokal. Hier machten auch Hammerskins aus anderen europäischen Chaptern bei ihren Deutschland-Besuchen Station.
Durch beharrliche antifaschistische Aufklärung und Protestaktionen gelang es schließlich Ende der 2000er das Neonaziproblem in und um Ludwigshafen ins öffentliche Bewusstsein zu bringen. Nach vielen Jahren Untätigkeit und Desinteresse war die Stadtpolitik zumindest bereit, dem «Streetwear Company»-Laden von Redeker ein Ende zu bereiten und weitere Objektbeschaffungen von Redeker zu unterbinden.
Als der Spielraum in Ludwigshafen nun enger wurde, verlagerten die Hammerskins ihre Aktivitäten ins Saarland und ins angrenzende Frankreich. Bis Mai 2011 verfügten die saarländischen Hammerskins um Frank Molina y Mata über Räume in einer ehemaligen Brauerei in St. Ingbert. Dort wurden sowohl Konzerte als auch Feiern veranstaltet,des Weiteren befand sich der Proberaum der Band «Jungsturm» im Gebäude. Ab 2013 diente ein zuvor von den «Anonymen Alkoholikern» genutzter Flachbau in Saarbrücken als Treffpunkt und Proberaum der Band «Wolfsfront».
In Toul, 120 Kilometer südwestlich von Saarbrücken, bauten sich die französischen Hammerskins 2010 ein eigenes Clubhaus auf, das auch vom Chapter «Westmark» genutzt wurde. Gemeinsam mit den Franzosen organisierten deutsche Hammerskins bereits zahlreiche Konzerte im Grenzgebiet. So etwa das „Bonded by Blood“-Konzert am 9. Juli 2011 in Rohrbach-lès-Bitche gleich hinter der Grenze bei Saarbrücken, an dem bis zu 2.500 Personen teilnahmen. Einen Tag zuvor stießen deutsche und französische Hammerskins auf das 1-Jährige Bestehen des Clubhauses in Toul an. Im Januar des Folgejahres feierte Frank Molina y Mata bei einem Auftritt der Band «Blutzeugen» seinen 40. Geburtstag – abermals im Clubhaus der Franzosen. Laut einer internen Einladung wollte dort auch „Arnd (Baden)“ – also Arnd Rademacher vom Chapter «Baden» – seinen Geburtstag feiern.
Der Nutzen eines eigenen Geländes zeigte sich am 3. November 2012. Das diesjährige „Hammerfest“ konnte kurzfristig nicht am geplanten Ort stattfinden und wurde ins Clubhaus nach Toul verlegt. Dort lief es ab wie üblich: Die französischen Behörden zeigten keine Ambitionen, das Konzert zu verhindern und es waren kaum Polizeikräfte vor Ort. 1.500 Neonazis, darunter Hammerskins aus ganz Europa, nahmen an der Veranstaltung teil. Die «Hammerskins Westmark» hatten das Event an führender Stelle organisiert und es traten mit «Wolfsfront» und «Division Germania» ihre „eigenen“ Bands auf. Zwar beschwerten sich etliche Teilnehmende, dass das Clubhaus für die Menge an Leuten zu klein gewesen sei – doch immerhin konnte das Konzert stattfinden.
Bis heute sind die deutschen Hammerskins eng mit den „Brüdern“ aus der Grenzregion verbandelt, die sich seit 2014 unter dem Banner des Chapter «Lorraine» sammeln. Aufgrund antifaschistischer Intervention ist das Clubhaus in Toul seit März 2013 Geschichte. Eine neue Heimat fanden die Franzosen ab 2015 in einer Scheune in Combres-sous-les-Côtes, 60 Kilometer südlich von Toul.
Wesentlich näher am Kerngebiet der «Westmark» liegt ein Freigelände, dass Robert Kiefer 2009 für nur 1.500 Euro erwarb. Das 70 Meter lang gestreckte und schwer einsehbare Gelände liegt am Rand des französischen Städtchens Volmunster, nur wenige Kilometer von der Grenze entfernt beim pfälzischen Pirmasens . Bis vor wenigen Jahren wurde das von Kiefer als „altbekannte Gangland“ bezeichnete Grundstück von den heutigen «Westwall Hammerskins» bespielt. Von 2014 bis 2017 fand dort jährlich das intern beworbene „Summerbash“ statt – Auf dem Programm: Grillen, Livemusik und Kraftsport-Wettbewerb. Konzerte wie das „Sommer Open Air“ der Band «Kategorie C» am 18. Juli 2015 wurden ebenfalls dort ausgetragen. Heute wirkt das Grundstück verlassen und ungepflegt, befindet sich allerdings weiterhin im Besitz von Kiefer.
Die Hammerskins hatten auch Zugriff auf die Gaststätte «Rössle» in Rheinmünster-Söllingen bei Rastatt, 100 Kilometer südlich von Ludwigshafen. Die Gaststätte war bis Ende 2013 ein Schwerpunkt von Neonazikonzerten in Südwestdeutschland. Dort feierte Roland Sokol am 22. Juni 2013 mit einem Livekonzert der Hammerskin-Band «Division Germania» seinen Geburtstag.
Bemerkenswert ist im Zusammenhang mit dem «Rössle» auch ein Konzert am 16. November 2013, anlässlich des 60. Geburtstag des bekannten Dortmunder Neonazis Siegfried Borchardt, genannt „SS-Siggi“. Die Feier sollte ursprünglich im Raum Dortmund stattfinden, die Behörden untersagten dies jedoch. Kurzfristig wurde die Feier ins fast 400 Kilometer entfernte «Rössle» verlegt. Hammerskins um Redeker kümmerten sich an diesem Abend um den Saalschutz. Schon für die geplante Party in Dortmund waren bereits rund 25 Hammerskins für den Sicherheitsdienst vorgesehen . Das Geburtstagskonzert von „SS-Siggi“ war eines der letzten Neonazitreffen im «Rössle». Ab dem 1. Januar 2014 pachtete der Landkreis Rastatt die Gaststätte und richtete dort ein Lager für Altkleider und Elektroschrott ein.
Im Oktober 2013 eröffneten die Saarländer Hammerskins ein „Clubhaus“- die «Hate Bar». Dafür wurde sich in einem leerstehenden Kino in Sulzbach eingemietet. Als die Stadt ihr Vorkaufsrecht für das Gebäude in Anspruch nahm, mussten die Hammerskins den Ort wieder räumen. 2015 kaufte Robert Kiefer einen kleinen, heruntergekommenen Flachbau im Gewerbegebiet der Stadt Dillingen, nordwestlich von Saarbrücken. Hier eröffnete er die neue «Hate Bar». Von außen wirkt das Gebäude unscheinbar, innen dekorieren Hammerskin-Insignien die Wände. Für richtige Konzerte ist das Gebäude zu klein, bietet jedoch Raum für Liederabende und interne Zusammenkünfte. Regelmäßig finden Veranstaltungen statt, beispielsweise Vorträge von ehemaligen Soldaten aus der NS-Zeit. Für die Hammerskins ist der Ort eine Anlaufstelle vor und nach den Konzerten im benachbarten Frankreich. So sammelten sich schon am Abend vor dem „Hammerfest“ im November 2019 Mitglieder des Chapter «Mecklenburg» in der «Hate Bar».
Waffenfetisch und NS-Verherrlichung
Im Oktober 2008 nahmen zahlreiche deutsche Hammerskins am „European Hammerfest“ 2008 in Budapest teil, darunter auch Mitglieder der Chapter «Westmark» und «Baden». Mit dabei waren u.a. Mailänder, Oppelt, Kühlwein, Kahlmann, Kaminski und Rademacher. In einem virtuellen „Erinnerungsalbum 18.10.2008 Budapest“ von Frank Mailänder findet sich das Foto eines Hammerskins in einem fensterlosen Raum voller Metallkisten. An der Wand hängt eine Hakenkreuzfahne, er hält eine Panzerfaust in der Hand. Auch Hammerskins anderer deutscher Chapter verbreiteten dieses Foto. Ob hier ein Waffenlager oder nur Weltkriegsschrott vorgeführt wurde, ist unklar. Doch das Bild steht beispielhaft für die Begeisterung der Hammerskins für aller Art Waffen und Kriegsgerät.
Ähnliches spielt sich im Rahmen der Reisen in die USA ab, die alljährlich auch von den «Hammerskins Westmark» unternommen werden. Sie wollen sich den „Brüdern“ in den USA gut präsentieren und das machen, was sie in Deutschland liebend gerne und am liebsten jede Woche tun würden: Schießen – mit Pistolen, Gewehren oder automatischen Waffen. Im Vorfeld einer solchen Reise zum „Hammerfest“ im Oktober 2010 in Detroit, fragte Redeker seine „Brüder“ der «Confederate Hammerskins» in einem internen Forum, was neben dem Besuch des Konzerts gemeinsam unternommen werden könne. Redeker schwebte vor: „Barbeque, Nigger hunting or anything like that“ (sic!). Die Antwort eines US-amerikanischen Hammerskins lautete: „Iam sure some of the boys will want to go out in the woods and make loud noises“ (dt.: „Ich bin sicher, einige der Jungs werden in den Wald gehen und lauten Krach machen wollen“ Übers.d.Verf.). Redeker selbst machte sich in der Vergangenheit wiederholt zum Fürsprecher von „Combat 18“- dem Untergrundkampf und des Terrorkonzeptes vom „Führerlosen Widerstands“.
Monate vor der Reise Redekers zum „Hammerfest“ in den USA, lud für den 10. April 2010 eine «Interessengemeinschaft Fahrten & Lager» zu einem „Südwestdeutschen Kulturtag“ ins Rhein-Main-Gebiet ein. Die Gruppe war offiziell der NPD-Jugendorganisation «Junge Nationaldemokraten» angegliedert und ein ziemlich dreister und kurzlebiger Versuch, die Aktivitäten der 2009 verbotenen «Heimattreuen Deutschen Jugend» (HDJ) unter dem Dach der NPD weiterzuführen. Die antifaschistische Zeitung Lotta schreibt zu dieser Veranstaltung:
„Über Schleusungspunkte landeten knapp 150 Neonazis jedoch im Ludwigshafener Stadtteil Gartenstadt, wo ein angeblicher ‚Wanderverein‘ das ‚Volkshaus‘ angemietet hatte. Dort erwartete sie eine mehrstündige NS-Show: Fahnenträger und Trommlergruppen, die in Marschformation einzogen, ‚mitreißende‘ Reden über den ‚Politischen Soldaten‘ und die ‚Geschichte der nationalen Bewegung seit 1945‘. (…) Stadtpolitiker*innen waren nicht zu erreichen, die Polizei schickte zwei Streifenwägen, die das Geschehen aus Entfernung gelangweilt betrachteten. Eine ‚gewisse Brisanz‘ habe das Treffen dadurch erhalten, so äußerte ein Polizeisprecher später, dass sich ein ‚der linken Szene nahestehender Reporter‘ am Veranstaltungsort aufgehalten habe. Übersetzt: Wären nicht (auswärtige) Journalist*innen zur Dokumentation angereist, dann hätte der ‚Südwestdeutsche Kulturtag‘ in der polizeilichen und politischen Wahrnehmung dieselbe Brisanz gehabt wie das Treffen eines x-beliebigen Wandervereins – nämlich keine.„
Maßgeblicher Organisator der Veranstaltung war der Hammerskin Matthias Herrmann, der sich in einer völkischen Parallelwelt längst wohler fühlte als in der Skinhead-Kultur. Den „Sicherheitsdienst“ an diesem Tag übernahmen Malte Redeker und Christian Lenz, beide trugen Shirts mit dem Aufdruck „Crew 38 Saalschutz“.
„Crossed-Hammers“ auf dem Acker
Als Nachahmung der Chemnitzer Neonazi-Gruppe HooNaRa («Hooligans Nazis Rassisten») entstand um 2008 das Label LuNaRa(«Ludwigshafener Nazis und Rassisten»). Malte Redeker, selbst Kampfsportler, trainierte die LuNaRa im „Straßenkampf“. Einer der Gründer von LuNaRa, der Ludwigshafener Dierck Wagner (*1980), genannt „Lückenlautrer“, tritt seit dieser Zeit als «Crew 38» auf. Wagner war Angestellter in Redekers Laden «Streetwear Company» und wohnte zeitweise bei ihm. Als er 2012 wegen einer nicht bezahlten Geldstrafe in Haft kam, sammelte Redeker Geld für ihn. Als Wagner aus dem Gefängnis entlassen wurde, drückte ihm Redeker nach eigener Aussage 50 Euro in die Hand, damit er seinen Kühlschrank füllen konnte. Bis heute ist Wagner Redeker treu ergeben. So war er beispielsweise von 2016 bis 2020 Geschäftsführer einer Firma, über die Redekers Musikgeschäfte abgewickelt wurden.
Das besondere an den «Hammerskins Westmark» war und ist die Tatsache, dass sich in ihrem Kreis neonazistische Hooligans aus Kaiserslautern, Karlsruhe und Mannheim zusammen schlossen, die sich ansonsten in tiefer Abneigung gegenüberstehen. Die Fußball-Stadien sind feste Treffpunkte der Hammerskins, vor allem in Mannheim und Kaiserslautern. Sie stehen dort in unterschiedlichen Konstellationen, mal als Gruppe von Neonazis, mal im Kreis mit „anderen“ Fans der Vereine.
LuNaRa bestand zum Großteil aus Fans und Hooligans des 1. FC Kaiserslautern, wie der neonazistischen Fangruppierung «First Class Limburgerhof». Personell ist diese stark mit der «Kameradschaft Kurpfalz» verwoben. Zu ihrem harten Kern zählen Jan Zrzodelny und Markus Fickelscher.
Für die Kontakte in die Mannheimer Fußballszene steht bis heute Wolfgang Benkesser. Er ist seit Mitte der 1990er Jahre als Neonazi aktiv, gehört zum Gründerkreis des Chapter «Westmark» und ist ein enger Vertrauter von Redeker. Schon 2003 posierte er mit dem „Crossed-Hammers“-Gruß auf einem Gruppenbild im Rahmen eines „Ackerkampfes“ gegen andere Hooligans. Er blieb seinem Chapter, wie auch der Mannheimer Hooliganszene treu, als er 2007 nach Hamburg zog.
Die Kontakte der „Westmärker“ in Hooligankreise haben weiterhin Bestand. Ab 2013 stießen mit Christian Zauner, Marc Hoppe und Jan Ruprecht weitere Personen aus der Karlsruher und Mannheimer Fußballszene zu den Hammerskins.
Wolfgang Erwin Benkesser (*1978) verbindet wie kein zweiter der deutschen Hammerskins seine neonazistische Identität als Hammerskin mit seiner Zugehörigkeit zu Rocker- und Rotlicht-Kreisen, wie auch zur Hooliganszene.
Benkesser, aktutell wohnhaft in Düsseldorf, kommt ursprünglich aus Ludwigshafen. Schon ab Mitte der 1990er Jahre trat er als neonazistischer Schläger in Erscheinung. Er gehörte zu einer extrem rechten Hooligangruppe des SV Waldhof Mannheim und war in der NPD organisiert. Er ist seit Gründung 2003 Mitglied der «Hammerskins Westmark» und war bei Konzerten der Bruderschaft, zum Beispiel beim „European Hammerfest“ 2012 in Frankreich, als Security tätig. Vieles deutet darauf hin, dass er heute den Posten des „Sicherheitschefs“ bei den Hammerskins besetzt. Er reist seit 18 Jahren auf Hammerskin-Events im In- und Ausland und nutzt selbst seine Urlaube für politische Aktionen. So legte er bei einem Aufenthalt auf Kreta (Griechenland) im Jahr 2016 auf einem Friedhof, auf dem Soldaten der Wehrmacht begraben sind, einen Kranz der «Hammerskin Nation» ab.
Bereits im Jahr 2005 arbeitete er in Mannheim in einem Sicherheitsunternehmen. 2007 zog er nach Hamburg und fand bald Zugang zum Kreis des lokalen «Hells Angels MC». Im Oktober 2016 verwies er in den sozialen Netzwerken auf seine Tätigkeit als Türsteher in einem Bordell, das dem Einflussbereich des Motorradclubs zugerechnet wird. Benkesser, der seit 2014 selbst einen Motorradführerschein besitzt, nimmt heute regelmäßig an Events des «Hells Angels MC» teil. Etwa im Sommer 2019, als er an einer Ausfahrt der Rocker zur „Hells Week“ an die Côte d‘Azur (Frankreich) teilnahm. In diesem Milieu machte er nie einen Hehl aus seiner neonazistischen Gesinnung und seiner Zugehörigkeit zur «Hammerskin Nation». Auf einem Foto einer Feier des «Hells Angels MC» und dessen Unterstützerclubs «Clan 81» in Nordrhein-Westfalen im Dezember 2016 posiert er mit dem „Crossed-Hammers“-Gruß. Benkesser trägt auf der Brust ein riesiges Hakenkreuz als Tattoo, das er in den Sozialen Netzwerken ohne Scheu preis gibt.
Benkesser ist seit der Jahrtausendwende in der rechten Hooliganszene des SV Waldhof Mannheim beheimatet, unterhielt während seiner Zeit in Norddeutschland aber auch Kontakte zu Hooligans des Hamburger SV. Mit dem aus Mannheim stammenden Marco Aschenbrenner, der als Schlüsselfigur der Hooliganszene des HSV gilt, verbrachte er 2011 seinen Urlaub. Noch im Jahr 2021 beteiligte sich Benkesser auf Seite der Mannheimer an einer verabredeten Schlägerei, u.a. gegen Hooligans des Berliner Fußballclub Dynamo. Benkesser ist aktiver Kampfsportler und war 2016 auf dem neonazistischen Event «Kampf der Nibelungen» in Gemünden (Hessen) präsent. Vermutlich kämpfte er dort auch.
2020 zog Wolfgang Benkesser nach Düsseldorf. Er ist Mitbetreiber der 2020 eröffneten «Shisha-Bar Aolani» in Kleve am Niederrhein. Am 6. Dezember 2020 nahm er an einer Kundgebung der «Querdenken»-Bewegung in Düsseldorf teil. Vor Beginn der Veranstaltung beteiligte er sich an einem Angriff auf Antifaschist*innen am Duisburger Hauptbahnhof.
Krise und Scheinauflösung 2013
Am 9. Juli 2011 richteten die «Hammerskins Westmark» gemeinsam mit Hammerskins aus Frankreich in Rohrbach-lès-Bitche, nur 35 Kilometer von Saarbrücken entfernt, ein Konzert unter dem Motto „Bonded by Blood“ aus. In freudiger Erwartung teilte Redeker schon im Vorfeld seinen deutschen „Brüdern“ in einem Rundbrief mit: „Wir erwarten zwischen 2- und 4000 Gäste, womit wohl der Zuschauerrekord in diesem Jahrtuasend gebrochen wäre.“(sic!) Zu den Auftritten der fünf Bands, darunter die deutschen Hammerskin-Bands «Division Germania» und «Jungsturm», kamen nach Angabe der Veranstaltenden 2.500 Personen. Hätten nicht Antifaschist*innen zeitnah über dieses Konzert berichtet, dann hätte außerhalb von Rohrbach-lès-Bitche kaum jemand davon erfahren.
Im Dezember 2011 gerieten die Hammerskins in Deutschland dann doch noch ins öffentliche Blickfeld. Nach der Selbstenttarnung der rechts-terroristischen Gruppe «Nationalsozialistischer Untergrund» (NSU) hatten Antifa-Gruppen aus Sachsen und der Schweiz eine direkte Verbindung des Hammerskins Thomas Gerlach aus Thüringen zum Unterstützungskreis des NSU aufgedeckt.Nun stand auch Redeker im medialen Fokus, denn antifaschistische Gruppen hatten außerdem Fotos veröffentlicht, die Redeker zusammen mit seinem „Bruder“ Gerlach zeigten. In Berufung auf Behördenquellen wusste zudem die Presse zu berichten, dass Redeker unter anderem in den USA Schießtrainings für deutsche Hammerskins organisierte . Damit nicht genug. Die Frankfurter Rundschau schrieb am 17. Dezember 2011:
„Laut Dokumenten, die der FR vorliegen, gilt Malte R. den Behörden zudem als verdächtig, den Brand in einem Ludwigshafener Wohnhaus gelegt zu haben, bei dem am 3. Februar 2008 neun türkischstämmige Bewohner ums Leben gekommen waren. Das Feuer in dem ausschließlich von Migranten bewohnten Haus hatte damals auch deshalb international Aufsehen erregt, weil die Behörden eine Brandstiftung mit ausländerfeindlichem Hintergrund relativ schnell ausgeschlossen hatten. Die Ursache des Feuers ist bis heute ungeklärt.„
Unabhängig davon, wie fundiert dieser Verdacht war oder ist, für Redeker wurde die Luft zusehends dünner. Am 5. August 2012 stürmte der US-amerikanische Hammerskin Wade Michael Page in einen Sikh-Tempel in Oak Creek im Bundesstaat Wisconsin, ermordete sechs Menschen und erschoss sich danach selbst. Page war einigen deutschen Hammerskins gut bekannt. Auf dem nächsten NOM der deutschen Hammerskins am 11. August 2012, nur wenige Tage später , wurde sich über einen Umgang mit den Morden in den USA ausgetauscht. Hier bestand Einigkeit: keiner sollte dazu Stellung beziehen, man müsse die Situation abwarten. Als wäre nichts gewesen, wurde im Oktober des selben Jahres die 25-Jahrfeier der «Hammerskin Nation» in Boise, Idaho (USA) durchgeführt, an der auch Redeker teilnahm.
Erneut in der Öffentlichkeit standen die Hammerskins am 26. Januar 2013. Ein Prospect des Chapter «Westmark», Christian Lulei, hatte im Namen eines Wandervereins eine Sporthalle in Fürth-Erlenbach im Odenwald angemietet. Dort sollte ein EOM und daran anschließend eine Party unter dem Motto „10 Jahre Hammerskins Westmark“ stattfinden. Zunächst lief alles nach Plan, unter anderem stand das „Patching“ etlicher Prospects zu Fullmembern an. So nahm das Chapter «Westmark» etwa den Dortmunder Dennis Roskos (*1980) als Vollmitglied auf. Womit nicht gerechnet wurde – eine antifaschistische Gruppe hatte Ort und Zeitpunkt des EOM herausgefunden und dies am Tag des Geschehens öffentlich gemacht.
Die Polizei kam im Laufe des Tages mit einem Großaufgebot und drohte die Veranstaltung zu räumen. Das EOM konnte deshalb nur teilweise stattfinden, die Party fiel aus. Vor allem die «Hammerskins Westmark» fühlten sich vor ihren aus ganz Europa angereisten „Brüdern“ blamiert. Auch hatte die Polizei die Teilnehmenden kontrolliert und darüber Einblick ins internationale Netzwerk bekommen. Die Hammerskins wirkten nun zunehmend nervös.
Nichtsdestotrotz fanden bundesweit weiterhin Treffen und Partys der «Hammerskin Nation» statt. Als die Behörden von Journalist*innen darüber in Kenntnis gesetzt wurden, lösten sie ein NOM am 23. Februar 2013 in Werlaburgdorf in Niedersachsen auf. Die Verunsicherung bei den Hammerskins nahm zu. Einzelne wurden paranoid und vermuteten gar, die Antifa würde ihre Telefone abhören.
Um sich für den Staat nicht mehr angreifbar zu machen, löste sich bereits im Februar 2013 das Chapter «Mecklenburg» zum Schein auf. Auch Redeker zog die Reißleine und erklärte das Chapter «Westmark» im März 2013 für aufgelöst. In einer internen Korrespondenz mit seinen „Brüdern“ behauptete Redeker, er habe sich die Auflösung der «Westmark» sogar notariell beglaubigen lassen.
Im Mai 2013 veröffentlichte die Autonome Antifa Freiburg einen umfangreichen Recherchetext über Hammerskins mit Fokus auf die Chapter «Baden» und «Württemberg». Dies veranlasste ein paar Fullmember, ihres Patches abzugeben.
Das Chapter «Westmark» gab seiner Struktur neue Namen und führte ihre Aktivitäten als Chapter «Westwall» und Chapter «Kurpfalz» fort. Letzterem sollten sich die südhessischen Mitglieder der Ex-«Westmark» anschließen. Der Rest um Redeker, Herrmann, Lenz, Benkesser sowie die Saarländer traten den «Westwall Hammerskins» bei. Die (Schein) Auflösung der «Westmark» hinterließ Spuren bei den Beteiligten und führte offenkundig zu Verwirrung, Kompetenzgerangel und Missverständnissen. Als Roland Sokol im Juni 2013 seinen Geburtstag feierte, kam niemand vom Chapter «Kurpfalz». Dennis Kühlwein von der «Kurpfalz» erklärte ihm im Nachgang in einer persönlichen Nachricht, man habe mit dem Fernbleiben „ein Zeichen setzen“ wollen. Zum einen sei man in den letzten Monaten nicht mit allen Entscheidungen von der «Westwall» zufrieden gewesen, zum anderen sei die (Schein)Auflösung doch „für den Arsch“ gewesen, wenn sein Chapter gemeinsam mit der «Westwall» aufgelaufen wäre, denn das sähe „doch sehr nach einer Finte aus“.
Auch im «Westwall» selbst war es zu Spannungen gekommen. Offenbar teilten nicht alle die selben Vorstellungen bezüglich der Ausrichtung der Bruderschaft. In einer internen Kommunikation deutet Robert Kiefer auf Konflikte, die es schon vor der (Schein)Auflösung des Chapter «Westmark» gegeben habe: „Im April hatten wir ne klare Ansage: Gemeinsames Chapter OK, wenn der Ärger aus der Welt geschafft!“.(sic!) In der selben Korrespondenz, die er mit Redeker geführt hatte, verweist er auf seinen persönlichen Konflikt mit Frank Mailänder, auf Redekers Unfähigkeit Probleme im Chapter anzusprechen und auszudiskutieren, sowie auf die unterschiedlichen Vorstellungen einzelner Fullmember, wie viel Zeit man der Bruderschaft zu widmen habe.
Frank Molina y Mata, Stephan Oppelt, Marc Winkenbach und Dennis Kühlwein verließen noch im Jahr 2013 die «Hammerskin Nation», alle offenbar im „Good Standing“, doch nicht unbedingt in Freundschaft. Kühlwein soll seinen Rückzug gegenüber Redeker damit begründet haben, dass die Hammerskins für ihn wie eine „alte Beziehung ist, die sich auseinandergelebt“ habe. 2018 wurde Kühlwein in der örtlichen Tageszeitung Rheinpfalz porträtiert. Dabei ging es nicht um seine Vergangenheit in der Neonazi-Organisation, sondern um sein Engagement als Marathonläufer. 17 Langstreckenläufe hatte er 2018 auf seiner „Bundesländer Marathonjagd“ absolviert, Mallorca inbegriffen. Mit seiner Frau organisiert er zudem den Wohltätigkeitslauf „Race-4-Charity“, mit dem beide „dauerhaft etwas für die gute Sache tun“ wollen, heißt es in einer Selbstdarstellung der Initiative. Ein Aussteiger ist Kühlwein nicht. Noch in jüngerer Vergangenheit prangte das Logo der Neonaziband «Skrewdriver» als Tätowierung auf seinem Unterarm.
Im Verlauf seines Austritts aus der HSN erklärt er einem „Brüder“ im Sommer 2014 ausführlich, warum er an der Bruderschaft Zweifel hat. Mit den Austritten und Rausschmissen, u.a. von Oppelt, „waren auf einen schlag fünf kinder weg“. Kühlwein hätte sich so darauf gefreut „wie in so schlechten kkk Reportagen mit meinen Brüdern am lagerfeuer zu sitzen, ein paar Steaks zu grillen und den kinder beim spielen zuzusehen.“ (sic!) Dabei „hatten wir schon das ein oder andere fest das ähnlich war“(sic!), erklärt er weiter hinsichtlich der Aktivitäten seines Chapters. Doch fehle ihm nun „absolut die Perspektive“. „Was habe ich für gemeinsamkeiten wie zb einem anwalt der gerade in die berufswelt einsteigt!? (…) ich habe mich zuletzt aber wie ein Paradies vogel gefühlt“(sic!) schließt er seine Ausführungen ab.
Vor seinem eigenen Austritt sorgte Kühlwein noch dafür, dass auch Marc Winkenbach seine Aktivitäten bei den Hammerskins einstellte. Malte Redeker schilderte damals einem seiner „Brüder“, dass Winkenbach von Kühlwein „rausgemobbt“ worden sei. Stephan Oppelt nahm noch 2015 an der Beerdigung des Hammerskins Roland Sokol in Karlsruhe teil, jedoch ohne Hammerskin-Insignien. Mit dem Austritt der drei Südhessen dürfte das Chapter «Kurpfalz» Geschichte geworden sein. Seit 2014 trat es nicht mehr in Erscheinung.
Mit der (Schein)Auflösung der «Westmark» wurde das Neumitglied Dennis Roskos heimatlos. Er wechselte zum Chapter «Bremen» und 2014 in das Chapter «Westfalen».
Matthias Herrmann verließ die Hammerskins Ende 2013 im Zwist. Neben seinen Aktivitäten für das «Aktionsbüro Rhein-Neckar» war er in den vergangenen Jahren Landesschatzmeister der NPD und einer der regional führenden Aktiven der 2009 verbotenen «Heimattreuen Deutschen Jugend» . Von der „Nation“ hatte er sich offensichtlich schon länger entfremdet. Mit Redeker sei er nie warm geworden. In einer internen Kommunikation erzählt Redeker dazu: „er kommt mit meiner art nicht klar, hatte oft genug über mich rumgeschimpft hinter meinem rücken und umgekehrt. Wir konnten uns nicht riechen.“(sic!) Vielmehr noch hielt Redeker ihn für ein „berechnendes Arschloch der nur auf seinen vorteil bedacht ist“(sic!) und stellt im selben Atemzug fest: „Dennoch hatten wir funktioniert“. Herrmann zog in den Raum Limburg (Hessen) und wurde für die Partei «Der III. Weg» aktiv. Ihn begleitete der Vorwurf, bei der NPD 30.000 Euro gestohlen und das Geld in den Aufbau von «Der III. Weg» gesteckt zu haben.
Frischer Wind im Chapter «Westwall»
Ab 2013 verabschiedete das Chapter «Westwall» nicht nur Mitglieder, sondern nahm auch neue auf. Etwa den Frontmann der Band «Division Germania», Andreas Koroschetz (*1983), der im Juni 2013 Fullmember wurde. Im Jahr 2017 eröffnete er allerdings sein eigenes Chapter «Rheinland» und lebt heute im Landkreis Kleve an der deutsch-niederländischen Grenzen.
Neue Mitstreiter fanden die «Westwall Hammerskins» auch im Freundeskreis von Roland Sokol. Christian Zauner (*1979), genannt „Dizzy“, und Marc Hoppe (*1978), beide aus Karlsruhe, stießen ab 2014 zum Chapter hinzu. Sokol, Hoppe und Zauner hatten bereits 2012 an der 30-Jahrfeier der extrem rechten Mannheimer Hooligan-Gruppe «The Firm» teilgenommen. Mit „unsere KA-Vertretung“ betitelte Sokol ein später veröffentlichtes Bild der Feier, dass die drei zeigt. Hoppe und Zauner bewegen sich im Kreis der Hooligangruppe «Destroyers», die seit den 1990er Jahren zum harten Kern der Fanszene des Karlsruher SC zählt. Hoppe war im Frühjahr 2014 zudem einer der Wortführer in der Facebook-Gruppe „Weil Deutsche sich‘s noch trau‘n!“, aus der wenig später die reale Gruppe «Hooligans gegen Salafisten» (HoGeSa) entstand, in der sich extrem rechte Hooligans aus ganz Deutschland und den Nachbarländern verbündeten. Ein Jahr zuvor im August 2013, nahm Hoppe mit Zauner an einem Aufmarsch in Dortmund teil, der sich gegen das Verbot des «Nationalen Widerstand Dortmund» richtete. Sie reisten an dem Tag koordiniert an. In ihrer Reisegruppe befanden sich auch Redeker und Dierck Wagner.
Vor allem Zauner war zu diesem Zeitpunkt bereits von der Idee der Hammerskin-Bruderschaft angefixt. Über Sokol bekam er Einblicke, wie es sich mit den „Brüdern“ lebt. An Zauner schrieb er damals u.a.: „(…) Disziplin, Verlässlichkeit, Ehrlichkeit, Püntklichkeit etc. das kannst Du bei HS erwarten. zusammenhalt bedingungslos. One for all – all for one.“ (sic!) und „Kleine, aber feine Bruderschaft, die mehr bewegt, als Andere mit 10000 Leuten.“ (sic!) Darauf erwiderte Zauner: „Das ist gut und selten in der heutigen Zeit (…) gute Leute…die auch was im Kopf haben.“
Marc Hoppe und Christian Zauner wohnten damals in einer Wohngemeinschaft. Auf der Beerdigung von Roland Sokol im Oktober 2015 zeigte sich Zauner bereits in Prospect-Merchandise. Wenig später begab er sich mit Hoppe auf Vorstellungsreise bei den anderen deutschen Chaptern. Ein wenig fehl am Platz wirkten die beiden Neonazi-Hooligans, als sie am „Tanz in den Mai“ am 30. April 2016 in Jamel teilnahmen, den Hammerskins des Chapter «Mecklenburg» jährlich ausrichten. Vor allem Hoppe passt nicht recht in das klassische Bild des Hammerskins. In sozialen Medien prahlt er mit seinem ausschweifenden Lebensstil. Er trägt teure Markenkleidung, geht gerne gut Essen, besucht angesagte Techno-Clubs im Karlsruher Nachtleben und fliegt für Kampfsport-Trainings nach Thailand. Während er auf dem „Hammerfest“ 2019 in Frankreich wie gehabt den Großkotz mimte und ständig auf der Suche nach Flirts mit den weiblichen Besucherinnen zu sein schien, trat Zauner eher unscheinbar auf.
„Fritten Klein und Titanic-Hoppe sind Laser-Experten? Das ist Realsatire at its best…wer tut sich sowas an ?“ (sic!) heißt es in einer Rezension im Netz zu „MyStory – Tattooentfernung“ in Karlsruhe. Seit 2017 ist Marc Hoppe für das Unternehmen mitverantwortlich, betreut dessen Social-Media-Auftritt und ist als „ausgebildeter Lasertherapeut“ tätig, wie es auf der Webpräsenz der Firma heißt. Ein treffliches Geschäftsmodell: Einige „Brüder“ verdienen ihr Geld als Tätowierer und Hoppe macht die Tattoos für viel Geld wieder weg. Mit der Bezeichnung „Titanic-Hoppe“ wird in der Rezension wiederum auf seine Rolle in der «Titanic – Kneipe Stadion Cantine» in Karlsruhe angespielt. Das Lokal, in dem Hoppe um 2016 Mitbetreiber war, galt als DIE Fankneipe des Karlsruher SC. Kurz zuvor war er bereits als Event-Manager tätig und kümmerte sich u.a. über die Firma „Mein Vegas Trip/Let Loose Vegas“ um die Vermittlung von Pauschalreisen nach Las Vegas, USA. „Barkeeper – Doorman – Eventmanager – Club owner“ steht auch in der Personenbeschreibung seines 2013 erstellten Twitter-Profils. Dies passt zu seiner Selbstdarstellung auf anderen Plattformen, auf denen er angibt als Geschäftsführer im Karlsruher «Cen Club» tätig gewesen zu sein.
Über die rechte Hooliganszene – allerdings um den SV Waldhof Mannheim – fand auch Jan Hendrik Ruprecht (*1989) aus Brühl bei Heidelberg Anschluss an das Chapter «Westwall». Er fällt seit 2015 unter anderem bei Aufmärschen der Neonazi-Partei «Der III. Weg» auf. An Zusammenkünften der Hammerskins nimmt er seit 2017 teil, doch Fullmember dürfte er erst um 2019 geworden sein. Wolfgang Benkesser veröffentlichte 2019 ein Bild von einem Stadionbesuch beim SV Waldhof Mannheim, das ihn, Ruprecht und Sascha Kaminski zeigt. Das Bild ist mit dem Zusatz „#Brüder“ versehen. Im Sommer 2020, als überwiegend Mitglieder des Chapter «Westwall» eine Motto-Party in Amsterdam ausrichteten, war Ruprecht auf Bildern des Events in Merchandise mit dem Kürzel „HFFH“ zu sehen – „Hammerskins forever – forever Hammerskins“. Marc Hoppe, wie auch Benkesser trugen auf dem selben Event T-Shirts, auf dem der Schriftzug „Summercamp 2018 – Westwall“ zu lesen ist. Dieses wurde Anfang 2018 von den «Westwall Hammerskins» im «Zeltlager Eckmannshain» bei Gießen ausgerichtet.
Auch im Saarland konnten die «Westwall Hammerskins» neue Mitglieder rekrutieren. Bereits Ende der 2000er Jahre war Felix Wiotte (*1990) aus Püttlingen in der «Kameradschaft Saarsturm» aktiv und bewegte sich als Angehöriger der «Crew 38» im engen Umfeld der «Hammerskins Westmark». Spätestens 2016 war Wiotte Prospect beim Chapter «Westwall». Im Mai 2018 nahm er an einem EOM n Finnland teil, im Januar 2020 reiste er mit Marc Hoppe zu einem EOM in die Region Marseille, Frankreich. Wiotte dürfte heute den Fullmember-Status besitzen. Das Kürzel „838“, das für „Hail Crossed Hammers“ steht, ist auf seiner Hand tätowiert. In den sozialen Netzwerken präsentiert er sich stolz als Angehöriger der „Nation“ und postet regelmäßig Fotos von seinen Reisen mit den „Brüdern“. Seit kurzem ist er Vater und füllt sein virtuelles Bilderbuch mit Fotos, die ihn als Familienmensch darstellen, wobei er zeitgleich seine Faszination für Massenmord nicht versteckt. Im März 2020 veröffentlichte er ein Foto von sich und seinem neu geborenen Kind, auf dem er ein Shirt mit dem Schriftzug „Hail McVeigh“ trägt – ein positiver Bezug auf Timothy McVeigh, der 1995 bei einem neonazistisch motivierten Bombenanschlag auf ein Gebäude in Oklahoma City (USA) 168 Menschen ermordete.
Neben Wiotte stieß auch der in Schwalbach bei Saarlouis wohnhafte Patrick Mörsdorf (*1982), genannt „Mörsi“, zum Chapter «Westwall». Er war im sogenannten Winterbach-Prozess angeklagt und dort zu einer mehrjährigen Haftstrafe verurteilt worden. Am 10. April 2011 hatten Teilnehmende einer Neonazifeier bei Winterbach (Rems-Murr-Kreis) aus einem rassistischem Motiv Menschen gejagt. Fünf junge Männer waren in eine Gartenhütte geflüchtet, die die Neonazis daraufhin in Brand steckten. Als die Männer aus der brennenden Hütte flohen wurden sie zusammengeschlagen. Bei seinem Prozess im Jahr 2012 wurde Mörsdorf von einer Gruppe Hammerskins unterstützt, unter anderem waren Robert Kiefer und Jonathan-Gaston Kennel zum Landgericht nach Stuttgart gereist. Auf dem „Hammerfest“ 2019 in Frankreich präsentierte er sich stolz in Bomberjacke mit Fullmember-Patch. Ganz im Gegenteil zu seinem Auftreten innerhalb sozialer Netzwerke. Bilder zeigen ihn in Anzug, Hemd und Krawatte, auf Dienstreisen oder im Büro.
Auch Michael Weiland (*1987) aus Homburg an der Saar hat in den vergangenen Jahren den Schritt von der «Crew 38» zum Hammerskin vollzogen. Auf einem Bild von 2017, das ihn auf einem Schießstand zeigt, wird er von einem Angehörigen der Saarländer «Crew 38» als „Lieblingspropekt“ (sic!) bezeichnet. Das Bild entstand vermutlich im Rahmen des „Hammerfest“ 2017 in den USA. Heute dürfte Weiland den Status des Vollmitglieds erreicht haben. Gemeinsam mit dem «Crew 38»-Angehörigen Andreas Stauter (*1994) aus Schwalbach war Weiland schon bei einem Aufmarsch am 1. Mai 2013 in Würzburg Teil des Blocks um Malte Redeker und den «Westwall Hammerskins». Wie Weiland spielte auch Stauter in der Band «Wolfsfront». Beide wirkten viele Jahre unzertrennlich. Im März 2017 nahmen sie, wie auch Kiefer, Kennel und Mörsdorf, an der 20-Jahrfeier der «Hammerkins Pommern» in Salchow (Mecklenburg-Vorpommern) teil. Stauter gehört der rechten Fanszene des 1. FC Kaiserslautern an und ist auch dort im Pulk von Hammerskins wie Robert Kiefer und Felix Wiotte anzutreffen.
Nicht nur im Personenpotential des Chapters kam es Mitte der 2010er Jahre zu Veränderungen. Auch in der Strukur um Malte Redekers Musik-Label «Gjallarhorn Klangschmiede» (GKS) traten Neuerungen ein. Offenbar um die Geldströme zu verschleiern, verlagerte Redeker um 2015 seine Geschäfte in andere Firmen. Eine wesentliche Rolle in dem Firmengeflecht spielt das Label «Front Records», ursprünglich mit Sitz in Nordsachsen. Dort hatte Redeker offiziell eine Nebenbeschäftigung, scheint jedoch tatsächlich der Chef zu sein. Zudem führte er bei GKS um 2016 den Zusatz «Frontmusik» hinzu.
Tod eines Spitzels
Am 22. September 2015 starb Roland Sokol an Krebs. Der Karlsruher war in der neonazistischen Skinheadszene in ganz Deutschland bekannt, dementsprechend wimmelte es auf den Facebook-Pinwänden vor Beileidsbekundungen und pathetischen Nachrufen. Nachdem Sokol sich 2012 den Hammerskins anschloss, nahm er dort schnell eine Vertrauensposition ein. So organisierte er einen Bus, der die «Hammerskins Westmark» am 3. November 2012 zum „Hammerfest“ an einen strikt geheimgehaltenen Ort nach Frankreich bringen sollte. Daher war er einer der wenigen eingeweihten Personen, die wussten wo das Konzert stattfinden sollte. Redeker schrieb ihm: „die adresse bitte NIEMANDEN vor 17 geben. auch nicht dem besten freund, dem hund, nachbars katze oder sonstwem ;-)“(sic!). Doch Sokol, der seit Jahren für den baden-württembergischen Geheimdienst arbeitete, gab diesem die Adresse weiter. Das Konzert musste verlegt werden. Anfang 2015 war Sokol bereits von seiner Krebserkrankung gezeichnet. Es hieß, er habe deswegen aus „Anstand“ den Fullmember-Patch erhalten. Am Sterbebett saß Redeker bis zur letzten Minute, hieß es in der Szene. Bei der Beerdigung auf dem Karlsruher Hauptfriedhof am 2. Oktober 2015 war Redeker eine der vier Personen, die den Sarg trugen. Über 200 Neonazis aus ganz Deutschland nahmen teil, darunter Dutzende Hammerskins – die auch aus anderen europäischen Ländern angereist waren. Zwei Tage später machte die Autonome Antifa Freiburg die jahrelange Spitzeltätigkeit von Sokol öffentlich. Sie zitierte ausführlich aus der Kommunikation von Sokol, was einigen darin erwähnten Neonazis Probleme bereitete. Während sich viele Personen aus dem Umfeld über Sokols Spitzeltätigkeit geschockt und enttäuscht zeigten, ging man bei den «Westwall Hammerskins» schnell wieder zum Alltag über. In dem Text „Hammerskin Roland: Tod eines Spitzels“ vom Oktober 2015 hat die Autonome Antifa Freiburg seine Aktivitäten nach gezeichnet.
Der «Kampf der Nibelungen»– eine „Hammer“-Veranstaltung
Auffallend viele Hammerskins aus dem Chapter «Westwall» betätigen sich im Kampfsport. Als eine zentrale Figur gilt auch hier Malte Redeker. Er stellte schon Mitte der 2000er Jahren in einem neonazistischen Fanzine fest: „Ein gesunder Geist steckt in einem gesundem Körper (…) Treibt Sport, bildet euch und organisiert euch“. Noch vor dem großen Kampfsport-Boom in der Szene trainierten er und seine damalige Lebenspartnerin, die Neonazistin Heike Redeker (*1985), offiziell im Verein bei den «Thaistorms Mannheim». Beide nahmen an Wettkämpfen teil und noch Jahre später erzählte Redeker, er sei dort auch Co-Trainer gewesen und habe Lizenzen als Wettkampfrichter erhalten. Im Verlauf der Jahre trainierte er mutmaßlich einen erheblichen Teil der neonazistischen Szene im Großraum Ludwigshafen, darunter die Hooligans der LuNaRa. Nach einem Outing durch antifaschistische Gruppen 2011 musste er die «Thaistorms Mannheim» verlassen, fand jedoch Anschluss in Ludwigshafener Vereinen wie dem «Faustrecht-Gym» und zuletzt im «Kampfsporthaus Fuchs». 2013 entstand der «Ring der Nibelungen» als „eigenes“ Kampfsport-Turnier der neonazistischen Szene, unabhängig von Verbänden und Vereinen. Auch hier waren Redeker und die «Westwall Hammerskins» die treibende Kraft. Selbst die Behörden mussten feststellen, dass es sich dabei in den Anfangsjahren um eine Veranstaltung der Hammerskins und ihrem Netzwerk handelte. Matthias Herrmann hatte für die Debut-Veranstaltung am 14. September 2013 Räume in der «Funsport Arena» in Vettelschoß bei Neuwied angemietet und trat offiziell als Ansprechpartner auf. 2014 war es Redeker selbst, der die selben Räume für das Event anmietete. Trotz dass Redeker und Herrmann sich laut eigenen Angaben „nicht riechen“ konnten, arbeiteten sie eng in der Durchführung des Events zusammen. Redeker erläuterte die Umstände 2014 in einer internen Nachricht einem seiner „Brüder“: „es geht da um die veranstaltung, welche ich für sehr gut empfinde. und im sinne der gemeinschaft, bzw im konkreten fall der veranstaltung stelle ich mich persönlich meine befindlichkeiten hintenan und arrangiere mich mit ihm. Kann mit herrmann auch punktuell zusammen arbeiten.“ (sic!)
Zwischen 120 und 200 Neonazis verfolgten die Kämpfe in den ersten beiden Jahren. In die Auswahl der Kämpfenden war auch Roland Sokol eingebunden. Unter anderem standen Neonazis aus dem Netzwerk der «Westwall» im Ring, darunter Jan Zrzodelny. Auch Wolfgang Benkesser soll auf einem Event gekämpft haben. Aus dem «Ring der Nibelungen» wurde 2015 der «Kampf der Nibelungen» (KdN). Redeker vermied es, von der Öffentlichkeit als dessen „Macher“ wahrgenommen zu werden. Diese Rolle übernahm der umtriebige Dortmunder Neonazi Alexander Deptolla, der sich heute bereitwillig als „Chef des KdN“ bezeichnet. Deptolla nahm schon am 26. Januar 2013 an einer Zusammenkunft der Hammerskins in Fürth-Erlenbach (Hessen) teil und war in den Folgejahren auf Aufmärschen mehrmals einträchtig neben Redeker festzustellen. Zudem verbrachte er einige Male seinen Urlaub mit Redeker und anderen Hammerskins, wie im Juni 2017 auf Mallorca. Redeker ist in die Events das KdN weiterhin tief involviert, tritt dort unter anderem als Ringrichter auf. Bilder, die der KdN verbreitet, zeigen ihn stets gepixelt oder kaum erkennbar von hinten. Doch an dem „Europa Chef“ der Hammerskins führt beim KdN bis heute kein Weg vorbei. Zudem helfen die „Brüder“ aus ganz Deutschland bei der Durchführung der Veranstaltungen. Der KdN ist heute ein kommerzielles internationales Netzwerk, das aus der neonazistischen Lebenswelt nicht wegzudenken ist. Das Hauptevent des KdN zog im Oktober 2018 bis zu 800 Personen an und bewegt sich mit der Anzahl der Besucher*innen in den Top 10 deutscher Kampfsport-Veranstaltungen.
Autonomiebestrebungen im Saarland
Man wolle sich abheben, die „Nation“ stärken, das regionale Potential ausschöpfen und die Bruderschaft im deutsch-luxemburgisch-französischen Grenzgebiet verbessern, so steht es in der Gründungserklärung des Chapter «Luxembourg» im Oktober 2012. Dazu gab Robert Kiefer seinen europäischen „Brüdern“ bekannt, dass das Chapter über ein Postfach in der luxemburgischen Grenzstadt Remich zu erreichen sei. Antifaschist*innen vermuteten in dieser Gründung einen strategischen Zug der «Hammerskins Westmark», sich durch die Verlagerung ihrer Aktivitäten in ein „unbelastetes“ Chapter der Aufmerksamkeit und der befürchteten Repression entziehen zu wollen.
Retrospektiv und in Hinblick auf das 2019 gegründete Chapter «Sarregau» muss in Betracht gezogen werden, dass es sich dabei auch um ein ernsthaftes „Autonomiebestreben“ der saarländischen Hammerskins gehandelt haben könnte. Dies meint keine Abspaltung im Streit. Denn vor allem bei Robert Kiefer ist eine glühende Begeisterung für die Bruderschaft und das Bedürfnis, diese größer und mächtiger zu machen, auszumachen. Jedoch wurden keine Konzerte oder sonstige interne wie öffentliche Veranstaltungen bekannt, bei denen das Chapter «Luxembourg» oder überhaupt Hammerskins aus Luxemburg als Gastgeber oder Veranstalter auftraten. Kiefer präsentierte sich mit der «Hate Bar» auch nach 2012 als Mitglied des Chapter «Westmark» – bzw. ab 2013 als das der «Westwall» – und richtete mit den «Westwall Hammerskins» mehrfach interne Treffen in Saarbrücken aus.
2019 wurde von Kiefer das Chapter «Sarregau» aus der Taufe gehoben. Im November 2019 hing das Banner des Chapters neben den anderen Bannern beim Hammerfest in Plaine (Frankreich). Bei einzelnen Personen im Kreis der saarländischen Hammerskins ist unklar, ob sie beim Chapter «Westwall» verblieben oder ob sie zu «Sarregau» wechselten. Dem Chapter «Sarregau» können derzeit Robert Kiefer, Jonathan-Gaston Kennel, Patrick Rolvien und einige saarländische Mitglieder der «Crew 38» zugerechnet werden.
Im Jahr 2020 gab Patrick Rolvien (*1987), genannt „Paddy“, aus Merzig nahe der Grenze zu Luxemburg über soziale Netzwerke stolz bekannt, dass er es zum Prospect geschafft habe. 2017 und 2018 reiste er mit Hammerskins des Chapters «Westwall» zum „Hammerfest“ in die USA und stellte sich dort den amerikanischen „Brüdern“ vor. In North Carolina, dem Kerngebiet der «Confederate Hammerskins» wohnt der Großvater Rolviens – ein Waffennarr, der seinen Enkel bei dessen Besuchen mit großkalibrigen Waffen schießen lässt. Auch Patrick Rolvien ist Musiker und spielte in der Vergangenheit den Bass bei Live-Konzerten von «Blutbanner».
Robert Kiefer ist nach dem Ausscheiden von Frank Molina y Mata der unangefochtene Anführer der saarländischen Hammerskins. Als Eigentümer des Geländes in Volmunster und des Hauses, in dem die «Hate Bar» eingerichtet wurde, ist er die Schlüsselperson der Struktur. Ebenso steht er hinter dem Label «H8Bar Productions» und der neu gegründeten Hammerskin-Band «Steelcapped 98».
Jonathan-Gaston Kennel betreibt mittlerweile im französischen Département Moselle das «Warfare Studio» und bietet in der Szene „Recording, mixing and mastering“ von Tonträgern an. Er stand hinter dem Mischpult beim „Hammerfest“ 2019 in Plaine.
Im Saarland existiert seit vielen Jahren eine feste Struktur der «Crew 38», die sich um die «Hate Bar» in Dillingen sammelt. Ein zentrale Person der Gruppe ist Marc Opitz (*1982) aus Merzig. Er besitzt einen Schlüssel zur «Hate Bar» und kümmerte sich als «Crew38»-Mitglied um den Verkaufsstand von «H8Bar Productions» auf dem „Hammerfest“ 2019. Opitz stammt aus der ostsächsischen Neonaziszene und nahm schon zur Jahrtausendwende an Veranstaltungen der lokalen Szene um die «Hammerskins Sachsen» teil. Mit ihrem Anführer Mirko Hesse stand Opitz im Briefkontakt, als dieser um 2002 in Haft saß. Vor einigen Jahren zog Opitz ins Saarland. Auch Opitz war Teil der saarländischen Reisegruppe am 11. März 2017 zur 20-Jahres-Feier der «Hammerskins Pommern» in Salchow bei Anklam. Zum Kern der «Crew38» im Saarland zählen weiterhin Andreas Stauter, Andreas Loch (*1986) aus Hüttersdorf bei Saarlouis, Dominik Bauer aus Schmelz, der auf Facebook als „Dominik Westmark“ auftritt, sowie Sven Jonderko (*1991) aus Bruchmühlbach-Miesau (bei Kaiserslautern). Letzterer war zuvor in der NPD-Jugendorganisation «Junge Nationaldemokraten» (heute «Junge Nationalisten»). Auch Jonderko spielte zeitweise in der Band «Wolfsfront».
Am 24. März 2020 wurde Robert Kiefer von einem Gericht in Saargemünd zu einer Haftstrafe von 18 Monaten verurteilt. Er hatte im Jahr 2018 auf seinem Gelände in Volmunster einen Gedenkstein für die 17. SS-Panzergrenadier-Division „Götz von Berlichingen“ aufgestellt, die in der NS-Zeit in der Region grausame Kriegsverbrechen begangen hatte. Die Hälfte der Haftstrafe wurde zur Bewährung ausgesetzt und im Mai 2020 das Urteil in einem Berufungsprozess bestätigt. Der Gedenkstein war bereits 2018 von den Behörden entfernt worden. Um die Gerichtskosten decken zu können initiierte u.a. Redeker mit «GKS/Frontmusik» eine Spendenkampagne. Über den Webshop seines Labels wurden dafür Shirts mit der Aufschrift „Kein Stein ist Illegal“ verkauft.
Bands und Musiker der «Westmark/Westwall»
In den vergangenen 20 Jahren war nahezu jede RechtsRock-Band in der Rhein-Neckar-Region und im Saarland in irgendeiner Weise mit den Hammerskins verbandelt. Für die Bands hatte das Vorteile: ihnen stand eine Label-Struktur zur Verfügung, Tonstudios wurden vermittelt und ein reges Konzertgeschehen der Hammerskins sorgte für etliche Auftrittsmöglichkeiten. Die Bands wiederum schmeichelten den Hammerskins, indem sie die „Nation“ in CD-Booklets, Interviews oder sozialen Netzwerken artig grüßten und lobten.
Schon in den späten 1990er Jahren spielte der Hammerskin Stefan Pohlers in mehreren Bands mit, von denen «United Blood», «Eternal Fear» und «World Hate Center» explizit als Hammerskin-Bands auftraten. Die Saarländer Band «Jungsturm» um Frank Molina y Mata, die von 1996 bis 2012 bestand, wurde gar zur Vorzeigeband der «Hammerskins Westmark». All ihre Musiker müssen seit den 2000er Jahren dem Support-Kreis der Hammerskins zugerechnet werden. Zur wechselnden Besetzung zählten auch Andreas Koroschetz und Danny Hoffmann (*1979) aus Saarbrücken. Die Band löste sich 2012 auf. Um und aus «Jungsturm» waren über die Jahre weitere Bands entstanden, die sich zu den Hammerskins bekannten – beispielsweise «Wolfsfront» um Robert Kiefer. In einem Interview im Jahr 2017 gab er an, dass zwei ihrer Bandmitglieder Hammerskins seien und dass sie „alle die Nation unterstützen und in der Crew38 involviert“ wären. Das betrifft auch Ken Eisenbarth (*1989) aus Schwalbach, der Sänger der Band. «Wolfsfront» ist seit 2017 inaktiv.
Die Band «Blutbanner» war ursprünglich als ein Studioprojekt von Danny Hoffmann und Nico Roth angelegt, trat jedoch ebenso live auf. Auch «Blutbanner» lässt keine Zweifel daran, eine Hammerskin-Band zu sein, obwohl es Roth nicht zum Fullmember schaffte und 2013 als Prospect die Hammerskins verlassen musste.
Bei Live-Auftritten von «Blutbanner» standen neben Roth und Hoffmann auch Patrick Rolvien, Prospect seit 2020, und Valentin Totaro (*1990) aus Ludwigshafen auf der Bühne. Totaro gehörte darüber hinaus um 2012 der Hammerskin-Band «Division Germania» an. Er kommt aus der Black-Metal-Szene, spielte in der Band «Wolfsgeheul» und ist seit 2010 mit Neonazis der «Hammerskins Westmark» und der «Kameradschaft Kurpfalz» auf Konzerten im In- und Ausland unterwegs. Möglicherweise ist Totaro für die Hammerskins nicht nur als Musiker von Bedeutung. Er arbeitet als „Senior Projektleiter“ bei der «Lite-Tech Veranstaltungstechnik GmbH» mit Sitz in Mannheim.
Im Jahr 2020 erschien auf dem Label «H8Bar Productions» die Debut-CD der Band «Steelcapped 98». Hinter dem Label und der Band steht Robert Kiefer. Diesem ist es wichtig, dass keine Frage offen bleibt: Ein Song der CD trägt den Titel „H.F.F.H.“ und auf dem Backcover prangt das Wappen des Chapter «Sarregau», dazu der Schriftzug „Sarregau Music“. Kiefer war es auch, der als Sänger der Band «Landsknecht» im März 2012 in Richmond, Virginia (USA) auf der Bühne des jährlichen „St. Paddy‘s Day“-Konzert der «Confederate Hammerskins» stand. Im Hintergrund der Musiker war u.a. die Flagge des Chapter «Bremen» zu sehen, die Hendrik Stiewe mitgebracht hatte. «Landsknecht» coverte vorrangig Songs des Berliner Untergrund-Projekts «Landser» und war nur für dieses eine Konzert zusammen gekommen. An der Gitarre stand Wade Michael Page, der wenige Monate später ein Attentat auf einen Tempel der Sikh-Glaubensgemeinschaft verübte.
In dem Interview von 2017 erwähnt Kiefer zudem, dass Musiker von «Wolfsfront» aus der Black-Metal-Szene stammen würden. Damit meinte er nicht nur Michael Weiland, sondern auch Jonathan-Gaston Kennel. Dieser ist tief in der rechten Black-Metal-Szene im Saarland verankert. Er mischte in seinem Tonstudio unter anderem das Debut-Album der Black-Metal-Band «Blakkr» ab, das 2020 auf dem saarländischen Label «Dominance of Darkness» erschien. Dessen Betreiber David Adrian Schulz (*1983) gehörte bereits um 2008 zur Unterstützer-Struktur der «Westmark» und nahm an deren internen Feiern teil. Er war eine führende Person im RechtsRock-Business im Saarland und in den 2000er Jahren vor allem dafür bekannt, strafrechtlich relevante Musikproduktionen in der Szene zu verbreiten. Zusammen mit Patrick Mörsdorf vom heutigen Chapter «Westwall» war er 2011 bei dem rassistisch motivierten Angriff in Winterbach dabei.
Über «Dominance of Darkness» produzierte Schulz 2017 die CD „Bluotrunst“ der Black-Metal-Band «Dethroned» um Danny Hoffmann. Für den 9. März 2019 wurde «Dethroned» für das Black-Metal-Konzert „Haexensabbath“ in Völkingen als „Saarbrücker Black Metal Urgestein“ angekündigt. Das Konzert hatte Schulz mit seinem Label organisiert. Die Tontechnik betreute an dem Abend der Hammerskin Jonathan-Gaston Kennel. Schulz, sein Label und die Konzertreihe „Haexensabbath“ gerieten im Jahr 2020 wegen ihrer Verbindungen in die Neonazi-Szene in die öffentliche Kritik. Antifaschist*innen aus dem Saarland wiesen unter anderem darauf hin, dass bei Veranstaltungen von Schulz „seine Kameraden von den Hammerskins“ als Security eingesetzt würden.
Aktivitäten der «Westwall » ab 2017 – eine Auswahl
Wie alle Gruppen in der «Hammerskin Nation» sind auch die «Westwall Hammerskins» ein fester sozialer Zusammenhang. Sie verbringen ihre Freizeit und auch die Zeit mit ihren Familien häufig zusammen. Gemeinsame jährliche Urlaubsreisen nach Mallorca (ohne Frauen), Städtetrips nach Dublin (2019) und Amsterdam (2020) und natürlich das ständige Unterwegs-Sein auf NOMs- und EOMs, Konzerten oder Geburtstagspartys und Hochzeiten von „Brüdern“. Vier Ereignisse aus den vergangenen Jahren stehen exemplarisch für die Aktivitäten der «Westwall Hammerskins».
Im Sommer 2017 gerieten die Hammerskins ungewollt in die Schlagzeilen. Am 9. Juni hatte eine Gruppe von zirka 15 Neonazis ein Konzert der Sängerin Mia Julia in der Diskothek «Bierkönig» in Palma de Mallorca gestört. Die Gruppe entrollte eine Reichskriegsfahne, rief neonazistische Parolen und wurde vom Publikum unter „Nazis Raus“-Rufen hinaus gedrängt. Über soziale Medien und die Boulevard-Presse wurde der „Naziskandal von Mallorca“ zum internationalen Aufreger. Dabei handelte es sich um eine Gruppe der «Westwall Hammerskins», die mit Freunden ihren alljährlichen Mallorca-Urlaub verbrachten. Zur Gruppe zählten unter anderem Wolfgang Benkesser, Malte Redeker, Marco Berlinghof, Patrick Dillinger (Berlinghofs damaliger Kollege im Tattoostudio «Pikass»), der niedersächsische Hammerskin Dennis Kiebitz, Thilo Sebastian Seger, Jan-Hendrik Ruprecht, Jan Zrzodelny, Alexander Deptolla sowie weitere Personen aus der «Kameradschaft Kurpfalz» und der Karlsruher Szene. Dass sich Hammerskins als Männerrunde am „Ballermann“ wohl fühlen, überrascht weniger als die Tatsache, dass am gleichen Wochenende ein von Hammerskins organisiertes, internationales Kampfsport-Event in Frankreich stattfand und die „Brüder“ der «Westwall» lieber auf auf Mallorca feierten.
Nur wenige Monate nach den Vorfällen auf Mallorca tauchte das Chapter «Westwall» erneut im öffentlichen Raum auf – ohne das die Öffentlichkeit die betreffenden Personen den Hammerskins zuordnen konnte.
Am 28. Oktober 2017 fand unter dem Motto „Rock gegen Links“ in Themar im thüringischen Landkreis Hildburghausen das letzte Großkonzert der neonazistischen Szene in diesem Jahr statt. Es spielten neun Bands und schon in der Ankündigung fiel auf, dass mit «Fortress» aus Australien eine ausgewiesene Hammerskin-Band als Headliner angekündigt war und vier weitere Bands den Hammerskins zumindest nahe stehen: Die Brandenburger Bands «Confident of Victory», «Frontalkraft» und «Hausmannskost» sowie «Germanium» aus dem Odenwald. Der Kartenvorverkauf lief über «Front Records» von Malte Redeker. Anmelder und offizieller Organisator der Veranstaltung war der „Bewegungs-Unternehmer“ und NPD-Funktionär Patrick Schröder aus der bayerischen Oberpfalz. Über 1000 Neonazis nahmen an dem Konzert teil.
Am Tag des Geschehens übernahmen vor Ort Hammerskins, vor allem vom Chapter «Westwall», große Teile der Organisation. Malte Redeker und Steven Haase fuhren «Fortress» mit einem Kleinbus zum Konzertort. Sie kamen vermutlich direkt aus der Pfalz, wo die Band am Tag zuvor schon auf einem konspirativ organisierten Konzert gespielt hatte – gemeinsam mit «Division Germania», «Flak» und «Kraftschlag». Früh am Nachmittag reisten auch Sascha Kaminski, Christian Lenz, Felix Wiotte und Sebastian Kahlmann an und brachten in einem Auto Baustrahler zum Konzertort. Später befanden sie sich abseits des Geschehens und übernahmen offenbar Aufgaben im Sicherheitsdienst.
Patrick Rolvien und Marc Opitz – beide zum Zeitpunkt Angehörige der «Crew 38»- waren für den Ordnerdienst eingeteilt. Zu Opitz, der am Einlass positioniert wurde, gesellte sich auch Daniel Arnold vom Chapter «Franken» . Aus seinem Chapter waren zudem Andreas Steinbauer, Pacal Väth und Matthias Max Schödl vor Ort, die sich ebenfalls als „Staff“ des Konzertes zu erkennen gaben. Zum „Staff“ zählte auch Marc Simon (*1981), ein langjähriger Aktivist der «Kameradschaft Zweibrücken», der sich seit zirka 2015 im Umfeld der «Hate Bar» bewegt und der «Crew 38» angehört. Auch Arnd Rademacher gehörte der Organisationsstruktur vor Ort an, sowie Denny Krämer vom Chapter «Württemberg» und Dennis Kiebitz vom Chapter «Westfalen». Die Rolle von Redeker und den Hammerskins auf dem Konzert wird anhand eines Gesprächs zwischen ihm und Patrick Schröder ersichtlich, dass Beobachter*innen am Rand eines Presserundgangs aufschnappen konnten. Schröder sagte zu ihm: „Ich schick ab jetzt alle mit Bandproblemen zu dir“. Redeker stimmte zu.
Doch nirgendwo auf der Veranstaltung hing ein Banner der «Hammerskin Nation», keine Gruppe posierte mit den Insignien der Bruderschaft. Man wollte sich offensichtlich nicht als solche präsentieren. Einzig bei der Anreise der Hammerskins um Christian Lenz und Sascha Kaminski konnte bei Lenz ein Shirt mit dem Aufdruck «Westmark Hammerskins» festgestellt werden, wie auch ein Basecap, dass die „Crossed-Hammers“ zeigt. Als er die Pressefotograf*innen bemerkte, verdeckte er rasch sein Shirt und zog die Kapuze tief über sein Basecap. In keinem Medienbericht wurden die Hammerskins als (Mit-)Organisatoren genannt.
Zum Schaulaufen der «Westwall Hammerskins», des neu gegründeten Chapter «Saaregau» und ihren Crews wurde hingegen das „European Hammerfest“ 2019, dass am 2. November des Jahres in einer Sporthalle in Plaine, 60 Kilometer von Straßbourg, stattfand. Im Vergleich zu den anderen teilnehmenden Chaptern aus ganz Europa waren die Hammerskins aus dem Südwesten schon alleine wegen ihrer regionalen Nähe zum Konzertort personell stark vertreten. Und schließlich hatten die Chapter «Westwall», «Sarregau» und «Lorraine» (Frankreich) das Konzert zusammen organisiert, ersichtlich durch die Verteilung der Aufgaben vor Ort. Malte Redeker stolzierte durch die Halle, wurde zwischenzeitlich hektisch, als das Toilettenpapier ausging und er einen Verantwortlichen suchte, der für den Nachschub zu sorgen hatte. Robert Kiefer wies die Gäste auf dem Parkplatz ein und koordinierte offensichtlich den Sicherheitsdienst. Jonathan-Gaston Kennel stand wie gehabt am Mischpult. Patrick Rolvien, zu diesem Zeitpunkt noch nicht einmal Prospect, durfte „niedere“ Arbeiten erledigen. Er half zu Beginn des Abends beim Aufbau der Musikanlage und musste später die Blutspur auf dem Hallenboden wegwischen, die entstanden war, als der Sicherheitsdienst einen „Störer“ ausgemacht, brutal zusammengeschlagen und an den Beinen quer durch den Raum geschleift hatte.
Von der Dynamik und Stimmung der Konzerte, die in den vergangen Jahren unter dem Label des „European Hammerfest“ stattgefunden hatten, als beispielsweise 1.500 fanatische Neonazis in Mailand feierten, war das Event in Plaine weit entfernt. Nur wenige hundert Personen verloren sich in einer viel zu großen Halle, der Sound war miserabel und unterm Strich dürfte der Abend nur wenig Gewinn eingebracht haben.
Einer der letzten öffentliche Veranstaltungen, auf dem Hammerskins des Chapter «Westwall» gesehen wurden, fand am 6. Dezember 2020 auf den Rheinwiesen in Düsseldorf statt: Eine Kundgebung der «Querdenken»-Bewegung. Südwestdeutsche Neonazis um Malte Redeker und Jan Zrzodelny traten vor Ort gemeinsam mit Dortmunder Neonazis um Alexander Deptolla als Gruppe auf. Dort trafen sie Wolfgang Benkesser, der kurze Zeit zuvor aus Schleswig-Holstein nach Düsseldorf gezogen war. Am Morgen der Kundgebung hatten bereits um die 60 Neonazis einen Anreisepunkt von Antifaschist*innen am Duisburger Hauptbahnhof angegriffen, wie Betroffene berichteten. Unter den Angreifenden befanden sich Dortmunder Neonazis, wie auch Wolfgang Benkesser. Er, der auf der späteren Veranstaltung (dank Maskenpflicht) durchgängig vermummt war, hatte die Neonazis in Duisburg zur Gewalt aufgestachelt.
Von Bremen in den Ruhrpott: das Chapter «Westfalen»
Lange Zeit existierte in Nordrhein-Westfalen kein eigenständiges Chapter der «Hammerskin Nation» (HSN). Nichtsdestotrotz agieren schon seit vielen Jahren Hammerskins im bevölkerungsreichsten Bundesland. War es zunächst eine Clique von Bochumer Neonazis, die sich im Chapter «Bremen» organisierten, gründeten diese im Jahr 2014 einen eigenständigen Ableger: das Chapter «Westfalen». Diesem können heute an die fünfzehn Personen zugerechnet werden, darunter Mitglieder, die bundesweit und international eine gewichtige Rolle innerhalb der Bruderschaft einnehmen.
„Viele Seelen – Ein Gedanke“
Am 13. Februar 2014 fand in den Räumlichkeiten eines Schwimmvereins im Essener Stadtteil Steele eine Feier von Neonazis mit Live-Musik statt. Offiziell feierte an diesem Abend der Bochumer Hammerskin Stefan Held (*1984) seinen 30. Geburtstag. Was an diesem Abend aber in Wirklichkeit gefeiert wurde war die 20-Jahrfeier der «Hammerskins Bremen». Diese hätte eigentlich schon im Dezember 2013 stattfinden sollen, wurde aber aufgrund von Terminfindungsschwierigkeiten ins neue Jahr verschoben. Das Chapter «Bremen« gründete sich 1993. Für die Feier hatten sich nicht nur zahlreiche deutsche Hammerskins angekündigt, sondern auch „Brüder“ aus Frankreich, Ungarn, Schweden und der Schweiz.
Mag es auf den ersten Blick verwundern, dass das Chapter «Bremen» als eines der ältesten Ableger rund 250 km von der Hansestadt entfernt, mitten im Ruhrgebiet, diese symbolträchtige Veranstaltung ausrichtet, findet sich auf den zweiten Blick eine Erklärung: zum Zeitpunkt zählten fünf Hammerskins zum Chapter «Bremen», die ihren Wohnort in NRW hatten. Neben Stefan Held waren dies die Bochumer Mario Garcia Barrenada, Keith Klene, ehemals Hufski, Dennis Roskos aus Dortmund und Hendrik Stiewe, der ebenfalls in Bochum ansässig ist. Mit dessen Gründung im Laufe des Jahres 2014 bildeten diese zunächst den Kern des Chapter «Westfalen», bis über die Jahre eine Handvoll weiterer Mitglieder dazu stießen.
Auch wenn – oder vielleicht gerade auch weil – das Chapter noch zu den jüngeren in der HSN zählt, lässt sich bei Treffen und Veranstaltungen eine überdurchschnittlich hohe Präsenz seiner Mitglieder verzeichnen. Sie wollen und sie müssen sichtbar sein, um den „Brüdern“ zu beweisen, dass es die richtige Entscheidung war, ihnen ein eigenes Chapter zu zu gestehen. So waren die «Hammerskins Westfalen» fast vollzählig beim „Hammerfest“ 2019 in Frankreich und präsentierten sich dort so geschlossen wie kein anderes Chapter. Alle der anwesenden «Westfalen» trugen einheitlich die Shirts ihres Chapters. „Viele Seelen – Ein Gedanke“ stand auf deren Rückseite geschrieben.
Auch bei der 20-Jahrfeier der «Hammerskins Pommern» in Salchow im März 2017 sowie bei einem NOM im Frühjahr 2019 in Lohr am Main war das Chapter jeweils mit zwei Autobesetzungen vertreten. Außerhalb der verschlossenen Lebenswelt sind die meisten „Westfalen“ nur selten auf öffentlichen Veranstaltungen der extremen Rechten anzutreffen. Sie sind der Neonazi-Szene jedoch über viele Jahre, zum Teil seit Jahrzehnten, verbunden.
Alter Herr
Hendrik Stiewe (*1981) ist mittlerweile einer der wichtigsten Hammerskins in Deutschland. Ein „Outstandig Member“, dass seit fast 20 Jahren auf die internationale Neonazi-Musikszene Einfluss nimmt und als Hammerskin, neben Malte Redeker, das wohl engste Bindeglied ins Mutterland der HSN, den USA, ist. Stiewe lebte und agierte lange Zeit in Bielefeld und schloss sich Mitte der 2000er Jahre dem Chapter «Bremen» an. Während seines Studiums der Rechtswissenschaften an der Universität Bielefeld war er zudem in der extrem rechten «Burschenschaft Normania Nibelungen» aktiv, der er bis heute als „Alter Herr“ angehört. In der Burschenschaft trägt er intern den Namen „Donner“. Über die Adresse der „Normania“ war Stiewe auch zeitweise mit seinem RechtsRock-Label und Versand «Wewelsburg Records» erreichbar. Nachdem er Anfang der 2000er Jahre auf der Neonazi-Plattform „Unser Auktionshaus“ mit CDs handelte und zunächst versuchte einen Versand mit dem Namen «H8 Rock» aufzubauen, meldete er schließlich 2003 den Webshop von «Wewelsburg Records» an. Rund ein Jahr nach der Gründung erschienen darüber die ersten Veröffentlichungen. Durch den Vertrieb und die Produktion internationaler Hammerskin-Bands wie «Definite Hate» oder «Bound for Glory» sowie deutscher Bands aus den Reihen der Bruderschaft wie «Hetzjagd» und «Division Germania», entwickelte sich sein Label schnell zum Aushängeschild der deutschen Hammerskins. 2013 gab Stiewe «Wewelsburg Records» an Nils Budig ab, der zur dieser Zeit als Anhänger der «Crew 38» auftrat und in der ostfriesischen Gemeinde Jemgum (Landkreis Leer) wohnte. Hintergrund dessen war, dass die deutschen Hammerskins zu dieser Zeit ein Verbot befürchteten. Sie wollten ihre Unternehmen, Gelder und Materialien dadurch in Sicherheit bringen wollten, indem sie es Personen übergaben, die keinen vollwertigen Mitgliedsstatus bei den Hammerskins inne hatten. Ähnliche Entwicklungen in der Geschäftsstruktur konnte schließlich bei Redekers «Gjallarhorn Klangschmiede/Frontmusik» ab 2015 beobachtet werden. Auch dort wanderte die offizielle Geschäftsführung in die Hände eines «Crew 38»-Anhängers. Mittlerweile zeichnet sich Nils Budig sowohl für «Wewelsburg Records» als auch «Front Records» und Redekers «Gjallarhorn Klangschmiede/Frontmusik» verantwortlich.
Stiewe ist jedoch weiterhin im Hintergrund tätig, pflegt die Kontakte zu den Bands und hat die Hand über die Veröffentlichungen auf «Wewelsburg Records». Zudem baute er sich über die Jahre ein lukratives Geschäft mit dem Vertrieb von in Deutschland strafbaren Vinyl-Produktionen auf. In seinem Sortiment befinden sich Produktionen von «Adolf Hitler Records» und «Irma Grese Musik». Konspirativ abgewickelte Labels, ohne legale Geschäftsstruktur und ohne Kontaktadresse. Eine Auswahl dessen präsentierte Stiewe beim „Hammerfest“ im November 2019 in Frankreich. Während Budig neben ihm brav das legale Sortiment von «Wewelsburg Records» anbieten durfte, gab es den harten, menschenverachtenden und offen NS-verherrlichenden Stoff bei Stiewe: unter anderem eine Platte von «Bataillon 500», die auf dem Cover ein Hakenkreuz zeigt oder eine Neuauflage einer Split-Veröffentlichung von «Macht & Ehre» und «Kommando». Das Frontcover der CD zeigt ein Foto einer rassistischen Gewaltszene. Mit Stahlkappenschuhen wird auf einen am Boden liegenden Schwarzen eingetreten. Die Titel auf der LP reichen von „NS Skinheadkult“ bis hin zu „Der Ewige Jude“.
Seine Verkaufstätigkeiten an dem Abend im Elsass musste Stiewe zwischendurch kurz unterbrechen. Denn als die US-amerikanische Kult-Band «Blue Eyed Devils» ihren in der Szene berühmt-berüchtigten Song „Murdersquad“ anstimmten war es Stiewe, der – wie einstudiert – die Bühne erklomm. Mit Inbrunst sang er die Zeilen des letzten Refrains des Liedes, den die Band in deutsch textete: „Blut und Ehre, daran glaube ich / Einsatzgruppen, Tod für dich / Zu meinen Führer habe ich gegeben / Gegeben mein ganzes Leben.“. Den Abschluss der Zeilen bildet ein dreifaches „Sieg Heil“, das Stiewe auf der Bühne mit Hitlergrüßen unterlegte.
Auch am jährlichen „Hammerfest“ in den USA nimmt Stiewe seit vielen Jahren regelmäßig teil. Bei jenem am 2. Oktober 2010 in Detroit hatte er auch Michael Wade Page kennengelernt, der dort zum Prospect ernannt wurde. Ein im Rahmen des „Hammerfest“ entstandenes Gruppenbild, dass auch Stiewe zeigt, tauchte später im Booklet der CD „Chosen Few“ von Page‘s Band «Definite Hate« auf. Dazu ein Dank an „Hendrik at Wewelsburg Records for his support“.
Page und Stiewe werden sich noch öfter sehen. Ein letztes Treffen fand im März 2012 in den Staaten statt, als Stiewe mit zahlreichen deutschen Hammerskins zum traditionellen „St.Paddys Day“-Konzert der «Confederate Hammerskins» angereist war. Beim Konzert hing auf der Bühne die Flagge des Chapter «Bremen», während Robert Kiefer vom Chapter «Westmark» als Sänger von «Landsknecht» Coversongs der in Deutschland als kriminelle Vereinigung eingestuften Band «Landser» zum Besten gab. Wenige Monate später verübt Wade Michael Page ein rassistisches Attentat in einem Sikh-Tempel in Wisconsin, bei dem sechs Menschen ums Leben kommen. Zwei Tage nach dem Anschlag beschwerte sich Stiewe im Hammerskin-Forum, dass er dutzend Interviewanfragen bekommen hätte. Etwa von der New York Times (USA), die mit ihm über „Hass“ reden wollen würden.
Er hatte schließlich im selben Jahr die Neuauflage der CD „Welcome to the south“ von «Definite Hate» produziert, auf dem sich auch das Lied „Take Action“ befindet. Dort heißt es „Genug der Rede, es ist an der Zeit zu handeln; Revolution liegt in der Luft, die 9mm in meiner Hand. Vor diesem Masterplan kannst du weglaufen, dich aber nicht verstecken.“ (Übers. d. Verf.)
Wenn auch nicht namentlich benannt, geriet Hendrik Stiewe im Juli 2019 in die Schlagzeilen. So kam ans Tageslicht, dass ein „Mitglied der Hammerskins“ über zwei Jahre bei einer Außenstelle des Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BaMF) als Bürosachbearbeiter tätig war. Laut Medienberichten soll er zwar nicht über Asylanträge entschieden haben, aber „die Behörde konnte bis zuletzt kaum nachvollziehen, welche Mitarbeiter Zugriff auf sensible Daten haben.“
Dass Stiewe 2013 ausgerechnet nach Bochum verzog, überraschte nicht. Während er in Bielefeld kaum noch soziale Kontakte zur lokalen neonazistischen Szene pflegte, wohnten in Bochum zum Zeitpunkt seines Umzugs schon drei seiner „Brüder“. Mit ihnen bildete er schließlich kurze Zeit später das Chapter «Westfalen».
Stiewe scheint auch weiterhin an einer beruflichen Karriere in der öffentlichen Verwaltung festzuhalten. Darauf deutet auch, dass er in den letzten Jahren zusätzliche Weiterbildungsmaßnahmen absolvierte. Sein ehemaliger Arbeitgeber, das BaMF, händigte ihm zudem ein tadelloses Arbeitszeugnis aus. Dort hieß es, er erzielte „durch seine selbständige, schnelle und effiziente Arbeitsweise […] sehr gute Ergebnisse, mit denen wir stets außerordentlich zufrieden waren.“
Die Bochumer Clique
Die Geschichte der Bochumer um Mario Garcia Barrenada, Stefan Held und Keith Klene, die sich als eine Clique um 2010 der HSN zu wandten, ist für Hammerskins nicht untypisch. Weder gibt es nachvollziehbare Informationen darüber, wie sie Zugang zu dem verschlossenen Zirkel der Bruderschaft gefunden haben, noch sind sie als „altgediente Aktivisten“ in der Neonazi-Szene bekannt. Zwar sind Mario Garcia Barrenada (*1987) und Stefan Held seit Mitte der 2000er Jahre als Teilnehmer von Aufmärschen feststellbar und bewegten sich damals in den Strukturen der Freien Kameradschaften im Ruhrgebiet, traten dabei jedoch nicht als tonangebende Akteure auf. Zu Keith Klene (*1988), der den Spitznamen „Laster“ trägt, fehlt sogar jegliche Spur, die auf eine lange Einbindung in die Szene deuten würde.
Erstmals im Kontext der Hammerskins fielen die drei 2011 auf, als sie bereits Prospects beim Chapter «Bremen» waren. Damals firmierte die Gruppe intern unter dem Label „PotN-Ruhrpott“. Sie entwickelten rege Aktivitäten und profilierten sich durch die Organisation von Treffen und Feiern. So führten sie im August 2011 ein „Sommerfest“ im Ruhrpott durch und waren maßgeblich an der Gestaltung eines NOM im Mai 2011 in Niedersachsen beteiligt. Im Nachgang gab es stets Lob von den „Brüdern“. Für das „Hammerfest“ im November 2012 im französischen Toul wurde sogar ein Reisebus aus dem Ruhrgebiet organisiert. Wenige Monate zuvor, am 14. Juli 2012, richteten die Prospects im Ruhrgebiet ein Konzert aus, bei dem die Bremer Hammerskin-Band «Hetzjagd» gespielt haben soll.
Auf dem EOM im Januar 2013 in Fürth-Erlenbach erhielten die drei schließlich ihren Fullmember-Patch. Die Ausrichtung der 20-Jahrfeier der «Hammerskins Bremen» im Februar 2014 in Essen stellt eine der letzten Aktivitäten unter dem Banner des Chapter «Bremen» in NRW dar. Ihren Bezug zu den norddeutschen Hammerskins tragen einzelne Mitglieder trotzdem weiterhin zur Schau. Etwa Stefan Held, der schließlich beide Patches auf seiner Bomberjacke präsentiert: den Bremen- und den Westfalen-Patch.
Bei der Zusammenkunft 2014 in Essen-Steele tauchten etliche Neonazis aus dem Ruhrpott auf. Einige suchten zu dieser Zeit anscheinend Anschluss bei den Hammerskins. Dazu gehörte der Bochumer Sebastian Konstanty (*1990). Als Anhänger der «Crew 38» nahm er schon im Februar 2013 an einen NOM im niedersächsischen Werlaburgdorf teil. Er gehörte auch zur Gruppe nordrhein-westfälischer Hammerskins und Prospects, die gleich mit drei Autobesatzungen im Dezember 2014 nach Bremen reisten. Der Bremer Hammerskin Marc Gaitzsch hatte sich damals fern ab der Öffentlichkeit in ein Ferienhaus eingemietet, um mit den rund 50 angereisten „Brüdern“ aus ganz Deutschland seinen 40. Geburtstag zu feiern.
Auch Martin Heise (*1982) aus Wetter an der Ruhr befand sich in Bremen unter den Gästen. Heise stammt aus dem Naziskin-Milieu im Ruhrgebiet und war Anfang der 2000er Jahren regelmäßig auf Aufmärschen anzutreffen. Beim „Rudolf-Hess-Marsch“ 2003 in Wunsiedel fand er sich etwa im Block um Siegfried Borchardt, genannt „SS-Siggi“, aus Dortmund ein. Zudem bewegte sich Heise im Umfeld der «Kameradschaft Witten». Auf dem „Hammerfest“ 2019 in Frankreich präsentierte er sich in Bomberjacke mit dem Abzeichen der HSN auf der Brust und dem westfälischen Chapter-Patch am Ärmel. Als Vollmitglieder gaben sich dort auch die Bochumer Brüder Dominik Damm (*1982) und Alexander Damm (*1984) zu erkennen. Erstmals fiel Dominik Damm als Teilnehmer der 20-Jahrfeier des Chapter «Bremen» 2014 in Essen auf. Jahre später gehörte er zur Gruppe deutscher Hammerskins, die zum „Hammerfest“ im Oktober 2018 nach South California (USA) anreiste.
Die „Westfalen“ Dominik Damm und Martin Heise gelten als reisefreudig und scheinen auch ein Interesse für Kraftsport entwickelt zu haben. So fanden sie sich im Juli 2018 in der Kleinstadt Schmölln im Osten Thüringens ein, um an einem Mannschaftswettkampf teilzunehmen. Das neonazistische Kampfsport-Gym «Sportgemeinschaft Barbaria» hatte eingeladen, um in dem Rahmen ihr 5-Jähriges Bestehen zu feiern. Unter den TeilnehmerInnen befanden sich nicht nur die Bochumer Hammerskins sowie etliche bekannte Gesichter der Neonazi-Kampfsportszene, sondern auch der NSU-Unterstützer André Eminger.
Auf Demonstrationen der Szene sind die Bochumer Hammerskins nicht anzutreffen. Der überwiegende Teil der Clique führt ein kleinbürgerliches Leben im Bochumer Stadtteil Wattenscheid, zusammen mit ihren ebenfalls aus der rechten Szene stammenden (Ehe-)Partnerinnen. Sie engagieren sich in Sportvereinen und gehen gut bezahlten Jobs nach. Sowohl Mario Garcia Barrenada – der öffentlich nur als Mario Garcia auftritt – als auch Keith Klene, sind bei der Stadt Bochum angestellt. Während der ausgebildete Gartenmeister Barrenada leitender Mitarbeiter bei den Technischen Betrieben für Grünarbeiten in Wattenscheid ist, arbeitet Klene beim Tiefbauamt der Stadt. Alexander Damm und seine Ehefrau Eva Damm sind beide im Sportverein Laer’scher Fußball Club 1906 aktiv. Während Eva Damm im Frauenteam spielt, ist der Hammerskin Trainer in der Jugendabteilung. Sein Bruder Dominik Damm ist wiederum Teil einer rechten Fangruppe, die zu Spielen des Fußballclubs Schalke 04 fährt.
Stefan Held ist ausgebildeter Zahntechniker, woher auch sein Spitzname „Zahni“ rührt. Er ist heute Mitinhaber des Zahnlabors „Helix Dental“ aus Witten. Auf der Firmeneigenen Website ist als Werbemodel auch Marina Liszczewski zu erkennen. Held und sie heirateten im Sommer 2020. Liszczewski ist seit vielen Jahren bekannte Aktivistin der Dortmunder Neonazi-Szene und zählt zum Orga-Team des «Kampf der Nibelungen» (KdN). Für das rechte Kampfsport-Format betreute sie auch den Verkaufsstand auf dem „Hammerfest“ 2019 in Frankreich. Ihr Ehepartner Stefan Held fungierte beim Hauptevent des KdN im Oktober 2018 als Ordner.
Dortmunder Bruder
Neben der Bochumer Hammerskin-Clique war es insbesondere der Dortmunder Dennis Roskos (*1980), der die Gründung des Chapter «Westfalen» voran trieb und für die bundesweite Kommunikationstruktur der Hammerskins als Ansprechperson gilt. Roskos stammt aus der Skinhead-Szene im Sauerland und gab bis Anfang der 2000er Jahre das Fanzine «Sektor 7g» heraus. Das Fanzine beschäftigte sich mit der „klassischen“ Lebenswelt der Skinheads und präsentiert keine explizit neonazistischen Inhalte. Doch Roskos entfernte sich von der „unpolitischen“ Szene und fand Ende der 2000er Jahre Anschluss bei den Hammerskins. Um 2010 wurde er Prospect beim Chapter «Westmark», wo er im Januar 2013 als Fullmember aufgenommen wurde. Doch die «Westmark» löste sich noch im selben Jahr zum Schein auf und Roskos wurde „heimatlos“. Kurzzeitig wechselte er in das Chapter «Bremen», um dann schließlich ab 2014 das Chapter «Westfalen» mit aufzubauen.
Durch die räumliche Nähe nach Bochum bestand schon vor 2014 ein reger Austausch zwischen den Hammerskins im Ruhrgebiet, unabhängig von der Chapter-Zugehörigkeit. Etwa als die Bochumer Prospects im Frühjahr 2012 ein Konzert planten. In dem Rahmen ließen sie ihre „Brüder“ in einer Korrespondenz wissen, dass sie konkrete Unterstützung von Roskos bekommen, der „schon öfters Konzerte hier in der Gegend organisiert hat.“ Die Anlage sollte aus dem damaligen „Nationalen Zentrum“ des «Nationalen Widerstand Dortmund» (NWDO) kommen, „die sie uns eventuell für einen kleinen Betrag in die Kameradschaftskasse zur Verfügung stellen würden.“ Als der NWDO am 23. August 2012 durch das nordrhein-westfälische Innenministerium verboten wurde, war Roskos Teil einer Gruppe Neonazis, die versuchten am Abend eine „Solidaritätskundgebung“ in Dortmund durchzuführen, was allerdings durch die Polizei unterbunden wurde. Roskos, der seit Sommer 2020 mit der Neonazi-Aktivistin Lina Marina Dietz verheiratet ist, trat darüber hinaus nicht bei den unzähligen Kundgebungen und Aufmärschen der Dortmunder Neonazi-Szene in Erscheinung. Eine seltene Ausnahme stellte der 1.Mai 2021 dar, wo er im Duo mit Frank Riemoneit (*1967) an der von den Parteien «Die Rechte» und NPD organisierten Veranstaltungstour in Dortmund, Essen und Düsseldorf teilnahm. Der aus Wuppertal stammende Riemoneit ist seit Anfang der 1990er als neonazistischer Schläger stadtbekannt und regelmäßig Teilnehmer von Aufmärschen und RechtsRock-Konzerten. Dabei bewegt er sich im nahen Kreis der HSN. Bereits 2011 reiste er unter anderem mit nordrhein-westfälischen Hammerskins zum „Hammerfest“ nach Mailand. Im Januar 2014 nahm er zudem den brasilianischen Prospect Alexandro Carneiro, Sänger der RechtsRock-Band «Zurzir», in Wuppertal in Empfang, als dieser auf Vorstellungsreise bei den Hammerskins in Europa war.
Verstärkung aus Niedersachsen
Die «Hammerskins Westfalen» pflegen eine auffällig enge Beziehung zum Chapter «Asturias», dass an der Nordküste Spaniens angesiedelt ist. Eines der Mitglieder, Hector Garcia Perez, ist schließlich der Bruder von Mario Garcia Barrenada. Perez half schon als Prospect bei der Ausrichtung eines NOM 2013 im niedersächsischen Werlaburgdorf. Eine Delegation der „Westfalen“ war auch auf der Hochzeit von Hector Garcia Perez im Juli 2015 in Gijon anwesend. Zu dieser gehörte Dennis Kiebitz (*1981) aus Schladen in Niedersachsen.
Kiebitz ist seit über 20 Jahren bundesweit auf neonazistischen Aufmärschen und international auf RechtsRock-Konzerten anzutreffen. Anfang der 2000er Jahre bekannte er sich als Mitglied der «Skinheads Hornburg» zu «Blood & Honour» und fand um 2005 Zugang zur niedersächsischen Sektion von «Honour & Pride». Damals schon half er beim Saalschutz, wenn die Gruppe zu RechtsRock-Konzerten einlud. Als sich 2009 in Wolfenbüttel bei Braunschweig ein Prospect-Charter der «Red Devils» gründete – eine Unterstützergruppe des «Hells Angels MC» – mischte Kiebitz auch dort mit. Er zog sich jedoch aus den Zusammenhängen zurück, nachdem die Verbindungen des Rockerclubs zur organisierten Neonazi-Szene in der Presse thematisiert wurden.
Kurz danach fand er Anschluss bei den Hammerskins und wurde spätestens 2011 Prospect beim Chapter «Bremen». Anfang 2013 erlangte er den Fullmember-Status. Auch er wechselte im Laufe der Jahre zum Chapter «Westfalen», dessen Patch er 2016 bei einem konspirativen Konzert in Nordsachsen auf der Bomberjacke trug. In seinem damaligen Wohnort Werlaburgdorf fanden mindestens zwei NOM‘s statt, die maßgeblich von ihm organisiert wurden – im Mai 2011 und im Februar 2013. Letzteres konnte von Journalist*innen dokumentiert werden, wodurch tiefe Einblicke in die Struktur der Hammerskins entstanden. Das Treffen interessierte – ausnahmsweise – auch die Gemeindeverwaltung, die mit Hilfe der Polizei die Zusammenkunft frühzeitig beendete.
Sein „Standing“ erlangte Kiebitz jedoch nicht nur durch seine lange Karriere in der Szene, sondern vor allem durch sein bulliges Auftreten. Der Kampf-und Kraftsportler ist gefragt, wenn es um die Absicherung von Szene-Events geht und fiel dementsprechend bei Groß-Konzerten wie dem „Rock gegen Überfremdung II“ 2017 in Thüringen oder dem „Schild & Schwert Festival“ im sächsischen Ostritz auf. Bis 2017 war er auch beruflich in der Sicherheitsbranche tätig, etwa als Türsteher in einem Club in Braunschweig. Dort fing er sich jedoch eine Kündigung ein, nach dem Antifaschist*innen öffentlich gemacht hatten, dass er im Sommer 2017 Teil einer Reisegruppe von Hammerskins war, die auf Mallorca den Auftritt der Schlagersängerin Mia Julia gestört hatten.
Eine weitere arbeitsrechtliche Auseinandersetzung führte Dennis Kiebitz mit seinen Arbeitgeber*innen im Volkswagen-Werk in Salzgitter. Auch dort wurde er aufgrund seiner neonazistischen Aktivitäten gekündigt, gewann im März 2018 jedoch erfolgreich eine Klage. VW beließ es dabei nicht, zog vor das Landesarbeitsgericht Niedersachsen und unterlag im August 2019 erneut. Dass Gericht urteilte: „Rechtsextreme Freizeitaktivitäten sind kein Kündigungsgrund.“ Auch Kiebitz‘ Mitgliedschaft bei den Hammerskins stand im Prozess zur Debatte. Denen würde er aber gar nicht mehr angehören, teilte er dem Gericht im März 2018 dreist mit. Eine geschickte Formulierung, da er damit offen ließ, ob er die HSN im Allgemeinen meinte, oder ob er sich auf seine Mitgliedschaft beim Chapter «Bremen» bezog. Als Mitglied von letzterem ist er schließlich in der Öffentlichkeit bekannt und hätte demnach vor Gericht nicht mal gelogen, schließlich schloss er sich spätestens 2016 dem Chapter «Westfalen» an.
Umfeld und RechtsRock
Neben den Vollmitgliedern bewegen sich zudem Neonazis im direkten Umfeld des Chapter «Westfalen» und gelten demnach als Unterstützer. Etwa der aus Castrop-Rauxel stammende Peter Michels (* 1986), genannt „Piet“. Seit Jahren zählt er zum Kern der Dortmunder Szene und gehörte 2009 zu den Neonazis, die eine Demonstration der Gewerkschaften zum 1. Mai in Dortmund angegriffen hatten. „Piet“ tritt seit vielen Jahren aber auch als umtriebiger Musiker im Bereich RechtsRock in Erscheinung. Er beteiligte sich an den mittlerweile inaktiven Bands «Projekt Vril» und «Libertin», wirkt bei «Flucht nach vorn» mit und ist für das „Ein-Mann“-Bandprojekt «Inmitten von Ruinen» verantwortlich. Als Sänger von «Projekt Chaos» versucht er sich aktuell einen Namen zu machen und findet vor allem bei der HSN Zuspruch. Bezeichnenderweise stellt Malte Redekers «Gjallarhorn Klangschmiede/Frontmusik» bis auf wenige Ausnahmen die Labelstruktur bei den Veröffentlichungen aus dem Hause „Piet“. 2020, als Michels unter dem Namen «Piet Chaos Solo» erneut über Redekers Label veröffentlichen konnte, fanden sich im Booklet explizit Grüße an die «Crew 38» und die HSN. In den Sozialen Medien tritt Michels mittlerweile im „Support the Nation“-Shirt auf und reiste auch zum „Hammerfest“ 2019 nach Frankreich. Offensichtlich war er dort an die große Reisegruppe westfälischer Hammerskins angebunden.
Auch das Auftreten von «Projekt Chaos» innerhalb des Konzertgeschehen der Bruderschaft spricht eine deutliche Sprache. War die Band noch 2010 bei einem Konzert von «Blood & Honour» in Belgien festzustellen, ist in jüngster Zeit eine direkte Einbindung bei den Hammerskins beobachtbar. So befand sich «Projekt Chaos» als Special Guest im Programm des „White X-Mas“-Konzerts der „Nation“ am 9. Dezember 2017 in Schwerte (NRW) und wurde auch für das „Joe Rowan Memorial“-Konzert 2019 in Kircheim angekündigt.
Das Konzert 2017 in Schwerte war nicht das einzige, das die Hammerskins in den letzten Jahren in Nordrhein-Westfalen organisierten. Schon am 18. Oktober 2014 führte die Bruderschaft in Schwerte eine Veranstaltung mit den Bands «Sleipnir», «Frontfeuer», «Wolfsfront» und «Blindfolded» durch. Auch ein für Paderborn angedachtes Konzert am 12.November 2016 sollte unter Beteiligung der HSN stattfinden. Kurz vor Beginn löste die Polizei die Veranstaltung jedoch auf.
Den Anschluss verpasst?!
Bis von einer tatsächlichen Mitgliedschaft gesprochen werden kann, müssen sich Interessenten einer mehrjährigen Prüfung unterziehen und durchlaufen dabei die Struktur der «Crew 38,» bis sie als Hangaround oder gar als Prospect aufgenommen werden. Von außen betrachtet ist es dadurch schwer immer den genauen Status des Einzelnen innerhalb der Organisation bestimmen zu können. Und selbst wenn Neonazis teils jahrelang im Kreis der Hammerskins feststellbar sind, resultiert dies nicht immer in einer vollwertigen Mitgliedschaft. So verhält es sich auch bei den Sauerländer Nazi-Skins Jörn Kaiser (*1986) aus Neuenrade bei Iserlohn und Oliver Bothe (*1990) aus Lennestadt im Kreis Olpe. Kaiser ist schon in den 2000er Jahren als rechter Schläger aufgefallen und bewegte sich kurzzeitig im Kreis der «Oidoxie Streetfighting Crew» – die Unterstützergruppe der Dortmunder «Combat 18»-Band «Oidoxie». Bekanntheit erreichte er allerdings erst als Illustrator. Seine Zeichnungen „schmücken“ etliche CD-Cover diverser RechtsRock-Bands und Fanzines, wie das «For the Love of Oi!». In einem Interview mit dessen Herausgeber Andreas Moos bezeichnete er sich selbst als „Labelzeichner“ des Allgäuer RechtsRock-Vertriebs «Oldschool Records».
Mit Gründung des Chapter «Westfalen» 2014 tauchte Jörn Kaiser auf einmal bei den Hammerskins auf. Von 2014 bis 2018 reiste er zu diversen internen Zusammenkünften der Bruderschaft, stattete den Hammerskins in ganz Deutschland persönliche Besuche ab und nahm an zentralen Events wie dem „Hammerfest“ 2016 in Frankreich oder noch im Oktober 2018 beim „Joe Rowan Memorial“ in Kirchheim teil. Aufgrund der Zeitspanne und Häufung der Teilnahme an Treffen, muss davon ausgegangen werden, dass Kaiser Prospect war.
Bei Oliver Bothe gestaltete sich die aktive Phase in der Bruderschaft wesentlich kürzer. Er nahm am 2. Juli 2017 an einem NOM im bayrischen Geiselhöring teil und präsentierte sich dort mit einem T-Shirt der «Crew 38 Westfalen» . Mit selben Merchandise bekleidet stellte er sich noch 2018 in den sozialen Medien dar. Das Logo der «Crew 38» hatte er mehr schlecht als recht unkenntlich gemacht.
Auch der im rheinland-pfälzischen Hof (Westerwald) lebende Jan-Lukas Grech (*1990) kann dem Netzwerk der Hammerskins zugerechnet werden. Grech, der Anfang der 2010er Jahre im Westerwald der Gruppe «Vereinte Skinheads» angehörte, zeitweise im fränkischen Ansbach und in Schweden lebte, ist heute bei der neonazistischen Kleinstpartei «Der III. Weg» aktiv. Angebunden ist er an deren «Stützpunkt Sauerland-Süd», wo er sich als Kampfsportler in der «AG Körper & Geist» beteiligt. Schon während seiner Zeit in Ansbach suchte Grech die Nähe zu den lokalen Hammerskins. Ob er dabei einen Status in der Bruderschaft entwickeln konnte ist unklar, doch wirkt seine Anbindung nicht nur flüchtig. Darauf deutet auch ein Foto, dass der fränkische Hammerskin Dirk Breuer im Mai 2015 in den Sozialen Medien veröffentlicht hatte. Es zeigt Grech mit einer Handvoll Neonazis, die zum Zeitpunkt allesamt Vollmitglieder oder Prospects beim Chapter «Franken» waren. Dazu der Spruch „Eine Familie, eine Mission“. Nach seiner Rückkehr in die Region Westerwald posierte Grech weiterhin mit „Support the Nation“-Merchandise und pflegt in den sozialen Medien Kontakte in die bundesweite Struktur der Hammerskins.
Auffällig ist, dass sowohl Kaiser als auch Bothe parallel zu ihrer Anbindung an die Hammerskins, Teil einer Clique von Nazi-Skins waren, die unter dem Namen «Skinheads Südwestfalen» (SSW) in Erscheinung trat. Auch Grech bewegte sich zeitweise in den Kreisen der SSW, zu deren Umfeld ebenfalls die Band «Smart Violence» zählt. Die SSW wirkte zunächst als eine Art Vorfeldorganisation bzw. Unterstützer-Truppe der Hammerskins, wandte sich jedoch um 2019 einer anderen neonazistischen Bruderschaft zu: «Voice of Anger» (VoA). Seit ihrer Gründung im Jahr 2002 entwickelte sich VoA zu einer der einflussreichsten Strukturen in Süddeutschland. Sie ist für viele der Konzerte im Allgäu verantwortlich und besitzt mit «Oldschool Records» Zugriff auf eine bundesweit relevante Vertriebsstruktur im Bereich RechtsRock. Über Bothe und Kaiser von den SSW konnte «Voice of Anger» im westfälischen Hamm Fuß fassen. Dort hatte sich die lokale Szene in einer Immobilie eingerichtet, die sie «Zuchthaus» nannten. Unter anderem mit Kaiser als lokalen Kontakt konnte VoA 2019 mindestens zwei Konzerte in Hamm ausrichten. Kaiser übernahm dabei Tätigkeiten als Security und präsentierte sich in einer Bomberjacke der VoA, die nur vollwertige Mitglieder tragen dürfen. Oliver Bothe trat in dem Rahmen in einem T-Shirt auf, mit dem er sich als „Prospect of the brotherhood“ zu erkennen gab.
Es bleibt abzuwarten, ob diese räumliche Expansion von VoA nach NRW im Einklang mit den lokalen Hammerskins steht oder ob es zu Konkurrenzgebärden kommt. Die Immobilie in Hamm wird dabei nicht im Zentrum der Auseinandersetzung stehen, da diese – dank antifaschistischer Öffentlichkeitsarbeit – im Oktober 2019 schließen musste.
Das Auftreten und der Habitus von VoA mit „One Family – One Brotherhood“-Rhetorik und die Vergabe von Rängen wie „Prospect“ wirkt jedenfalls wie ein Abklatsch bekannter Inszenierungen der ältesten neonazistischen Skinhead-Organisation «Hammerskin Nation» und könnte dieser durchaus sauer aufstoßen.
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