Viel wurde in den letzten Monaten über die Neonazi-Location im nordsächsischen Torgau OT Staupitz gesagt und geschrieben. „Chronik.LE“ veröffentlichte ein Dossier, Lokalzeitungen berichteten fast monatlich über die Entwicklungen vor Ort und Diskussionsveranstaltungen zum Thema wurden durchgeführt. Zudem stoppten Antifaschist*innen im Oktober 2022 im Rahmen einer Bus-Tour in Staupitz, verteilten Flyer und hielten eine Kundgebung ab.
Was in diesen Berichterstattungen jedoch oft fehlt, ist die Herausstellung, Einordnung und Analyse zentraler Akteure und deren Netzwerke. Gänzlich fehlt dabei auch, dass sich Staupitz zum legalen Treffpunkt europaweit agierender Organisationen entwickeln konnte, von «Blood & Honour» bis «Hammerskin Nation». Gruppen, die seit den 1980er Jahren bestehen und deren Mitglieder seitdem durch rassistisch motivierte Gewalttaten – bis hin zu Mord – auffallen. Netzwerke, denen nicht zuletzt zentrale AkteurInnen des rechts-terroristischen NSU-Komplex angehören. Nur dank kontinuierlicher, antifaschistischer Recherchen vor Ort, Beobachtungen und internen Einblicken ist eine umfangreiche Analyse möglich. Ein Blick zurück, denn seit Februar 2023 ist ungewiss, wie es im «Alten Gasthof» weiter geht, da die zuständigen Behörden dem Betreiber das Gewerbe entzogen.
Die Anfänge
Als der Gasthof Mitte der 2000er Jahre seinen gastronomischen Betrieb einstellte, befand sich die deutsche RechtsRock-Szene in einer Hoch-Zeit. Über 255 Konzerte und Liedermacher-Abende fanden 2005 bundesweit statt, mindestens 78 davon in Sachsen. Dass der Freistaat schon damals ein Hotspot war, lag an der Vielzahl der von Neonazis genutzten Objekten, vor allem in Ostsachsen und im Vogtland.
Auch im Norden Sachsen, dort wo der «Alte Gasthof» in Staupitz liegt, unterhielt die Szene in dieser Zeit eigene Treffpunkte, etwa in Wurzen, Leipzig-Großzschocher, Delitzsch-Döbernitz und vor allem in Schildau. 6 Fahrtminuten südlich von Staupitz entfernt betrieb dort die Kameradschaft «Schildauer Jungs» zwischen 2005 und 2008 eine eigene Location, in der mindestens 24 Konzerte stattfinden konnten. Da ein Großteil der Objekte aufgrund von baubehördlichen Auflagen schließen musste, trat der «Alte Gasthof» in einer günstigen Zeit in Erscheinung.
„Rock The System – Fuck the Police“ heißt es auf dem Flyer für ein Konzert am 12. April 2008. Neben der bekannten Cottbuser Band «Frontalkraft» und den deutschen Newcomern «Racial Purity» und «Fight Tonight» ist auch «Hatelordz» angekündigt – eine Band aus dem Umfeld der NS-Hardcore-Kultband «H8Machine» aus New Jersey (USA). Rund 200 Neonazis sollen erschienen sein, glaubt man den Angaben des sächsischen Geheimdienstes (Landesamt für Verfassungsschutz). Es ist das erste nachweisbare Konzert, das im «Alten Gasthof» statt fand. Staupitz selbst gehörte damals noch zu Pflückuff, bevor es von Torgau eingemeindet wurde.
Kurze Zeit später, am 21. Juni 2008, wurde die Staupitzer Immobilie erneut zum Austragungsort eines Konzertes. Bis zu 400 Neonazis sollen in der Location, die weniger als eine Stunde Autofahrt nordöstlich von Leipzig entfernt liegt, zusammen gekommen sein. Das entspricht ungefähr der Anzahl von Personen, die sich noch am Nachmittag in Dresden befand. Dort sollte der „JN-Sachsentag“ der Jugendorganisation der NPD stattfinden, doch unterblieb dieser aufgrund eines Verbots der Stadtverwaltung. Alle Versuche, an diesem Tag eine Kundgebung mit RednerInnen und Bands in Dresden durch zu führen, scheiterten. So geschah es, dass anstelle die Information verbreitet wurde, dass man sich auf den Weg in Richtung Torgau machen soll. Neonazis aus ganz Deutschland und u.a. aus der Schweiz, Österreich und aus Tschechien kamen so doch noch auf ihre Kosten und konnten die Bands «Saga» (Schweden) und «Youngland» (USA), sowie die deutsche Band «Sleipnir» letztendlich live in Staupitz sehen.
Das Gebäude war zum Zeitpunkt weder modernisiert noch erfüllte es die Standards als Event-Location. Ein paar Events gingen noch über die Bühne, etwa ein NS-Hardcore-Konzert u.a. mit «Fear Rains Down» (USA/Deutschland) am 31. Januar 2009 und ein von rund 300 Neonazis besuchtes Konzert u.a. mit «Oidoxie» aus Dortmund Ende Februar 2009. Mitte 2009 wurde es dann schlagartig ruhig in Staupitz. Offenbar hatten die Behörden dem Eigentümer erstmals die Auflagen zur Durchführung von Veranstaltungen mitgeteilt. 2010 hieß es gar, das Gebäude sei baupolizeilich geschlossen worden.
Die Szene störte dies zum Zeitpunkt kaum, denn sie hatte sich weitere Locations erschlossen: die Gaststätte «Zur Deutschen Eiche» im ostsächsischen Rothenburg OT Geheege, sowie den Gasthof Zollwitz in Zschadraß OT Hausdorf bei Colditz, südöstlich von Leipzig. Fast monatlich konnten an beiden Orten Konzerte mit bis zu 300 TeilnehmerInnen stattfinden – in Hausdorf bis zur baupolizeilichen Sperrung 2011 und in Geheege bis zur Schließung 2012.
Der Eigentümer
Er setzte all das um, was die Behörden von ihm verlangt hatten: der Nutzung entsprechender Schall-und Brandschutz, eine Belüftungsanlage und auch das Dach hatte er saniert. 40.000 Euro soll das Ganze gekostet haben. Mit dem Gröbsten war er damit durch, sodass der «Alte Gasthof» am 15. Januar 2011 wieder öffnen konnte, u.a. mit einem Konzert der Band «Perspektive Hass» vor rund 120 zahlenden Gästen. Laut einer parlamentarischen Auskunft habe sogar schon im Dezember 2010 ein Konzert mit der tschechischen Band «Legion S» in Staupitz stattgefunden.
Einen neuen Putz wolle er auch noch auf die Fassade machen, erzählt ein Anwohner im Frühjahr 2016 der „Rheinischen Zeitung“. „Er“, damit ist Andreas Becker (*1984) gemeint, der den «Alten Gasthof» in Staupitz laut eigener Aussage gemeinsam mit seinem Vater Frank Becker von der Gemeinde erworben hatte. Die grundlegenden Sanierungs-und Modernisierungsmaßnahmen führte er 2009 und 2010 durch. Offenbar hofften Polizei und Ordnungsamt damals, dass Becker die verhängten Auflagen nicht einhalten kann und der RechtsRock aus Staupitz von allein verschwindet. Doch Becker, dessen Haupteinnahmequelle die Vermietung des «Alten Gasthofs» zu sein scheint, erfüllte nach Ansicht kommunaler Behörden von Anfang an die Anforderungen. Er erhielt eine Konzession, die ihn berechtigte Veranstaltungen durchzuführen, samt Ausschank und Verköstigung. Bis zu 55.000 Euro können im «Alten Gasthofs» jährlich allein mit Eintrittsgeldern umgesetzt werden. 6.000 Euro pro Konzert, geht man von 240 Teilnehmenden und einem in der Szene üblichen Eintritt von 25 Euro aus. Hinzu kommen Einnahmen durch Getränke und Speisen.
Neben der Instandsetzung des Gebäudes kümmerte sich Becker zudem um die Anmeldung der Konzerte bei der Stadt Torgau. Beckers Vater, ebenfalls im Ort als „Rechter“ bekannt, trat diesbezüglich nie in Erscheinung. Hingegen half Corina Becker regelmäßig mit, wenn der «Alte Gasthof» bespielt wird. Sie trat vor rund 10 Jahren in Andreas Beckers Leben, 2021 heirateten beide. Im RechtsRock-Familienbetrieb steht sie keineswegs in seinem Schatten. Selbstbewusst begrüßte sie Bands und VeranstalterInnen und ist in interne und strukturelle Abläufe eng eingebunden. Sie dürfte auch zu „den Frauen von der Bar“ gehören, denen für ihr Mitwirken in internen Konzertberichten gedankt wird. „Alter Gasthof Staupitz – Crew“ stand auf den T-Shirts, die Corina Becker, ihr Ehepartner, sowie weitere Helfende seit geraumer Zeit bei Konzertanlässen trugen. Letztere, bislang unbekannte Personen, scheinen in unmittelbarer Umgebung zu wohnen, kamen meist zu Fuß oder mit dem Rad zum «Alten Gasthof», als dort der Aufbau der Konzertveranstaltungen begann.
Beste Lage
Ob Andreas und Corina Becker mit ihrem Kleinkind derzeit in der Immobilie wohnen ist unklar. Dass die beiden zu den Konzerten extra mit dem Auto vorgefahren kamen spricht nicht dafür, wie auch die Abschottung des mutmaßlichen Wohnbereichs. Auch außerhalb des Konzertgeschehens sind die Fenster im Untergeschoss stets durch Jalousien verbarrikadiert.
Mitten in Staupitz gelegen, umgeben von der Dorfstraße und der Torgauer Straße, besitzt das zweistöckige Haupthaus des «Alten Gasthofs» eine Grundfläche von fast 600 m². Der Saal, sowie die während den Konzerten genutzten Nebenräume, dürften davon rund zwei Drittel einnehmen. Der Rest gehört zum mutmaßlichen Wohnbereich der Beckers. Bis mindestens 2013 befand sich im Gebäude des «Alten Gasthofs» zudem ein Mini-Markt, dessen Flächen Becker erst später erwarb. Ein Anbau, der rund 150 m² misst und vermutlich als Lager dient, grenzt mit dem Hauptgebäude den Hof von zwei Seiten ein. Der Hof selbst ist seit einigen Jahren zur Straße hin eingezäunt und besitzt eine Fläche von rund 90 m². Kleine Buden und Stehtische, ähnlich eine Art Freiluft-Bar, findet man dort vor. Links neben dem Eingang des Hofes parkten meist die VeranstalterInnen, die Bands und der Sicherheitsdienst. Auch der Vorplatz des ehemaligen Mini-Marktes und die Parkbuchten an der Torgauer Straße entlang des Gebäudes sind für die Crew und deren Umfeld reserviert. Die BesucherInnen standen mit ihren Autos hingegen in den umliegenden Straßen des «Alten Gasthofs». Ein Schild mit dem Hinweis „Konzert Parken“ wies auf den mehr oder minder offiziellen Parkplatz, den Tauraer Weg. Bis zu 50 Autos säumten an Konzertabenden die schmale Straße in Richtung des Waldes. Manchmal postierten die OrganisatorInnen sogar Einweiser auf die Kreuzung vor der Neonazi-Location. Alles wirkte sehr routiniert und einstudiert. Nach außen drang während den Konzerten kaum ein Ton, nur zwischen den Auftritten tummelten sich die Neonazis im Hof, auf dem Gehweg und an den Parkplätzen. Dann war es verhältnismäßig laut, gegröhlt wurde kaum.
Die Polizei war während der Konzerte mit ein, zwei Mannschaftswägen vor Ort. Jedoch konnte auch schon festgestellt werden, dass diese erst sehr spät eintraf oder an manchen Abenden gänzlich zu fehlen schien. Waren Kräfte anwesend, positionierten sich diese nur selten in unmittelbarer Nähe zum Objekt, sondern fanden sich meist einige hundert Meter entfernt ein. Ins Geschehen wurde nicht eingegriffen. Lediglich nach den Konzerten kam es vereinzelt zu Verkehrskontrollen. Ganze zwölf Beamte werde man einsetzen, heißt es im Vorfeld eines Konzerts am 4. Februar 2023 von Seiten einer Sprecherin der Polizei in der Leipziger Volkszeitung. Der Artikel suggeriert, dass die Kommune und die Polizei nun „so richtig durchgreifen“ würden, ihre Taktik grundlegend verändert hätten. Am Abend selbst war das Auftreten der Polizei gewohnt zurückhaltend, kein Anzeichen von außergewöhnlichen Kontrollen oder hoher Präsenz im Ort. Und selbst wenn, war die Polizei ein überschaubares und hinnehmbares Übel für Andreas Becker. Vielmehr mache er sich um „mögliche Überraschungsbesuche (…) aus Connewitz“ Gedanken, wie er im Juni 2021 der Torgauer Zeitung mitteilt. Seine Immobilie war schließlich 2016 und 2017 Angriffsziel von Antifaschist*innen. Buttersäure im Innenraum des Objekts, kaputte Fenster und zwei durch Feuer zerstörte Autos waren das Ergebnis.
„Zum Objektschutz“, so Becker, habe er im Sommer 2021 den umzäunten Hof zusätzlich mit NATO-Draht versehen. Ein kostspieliger und martialisch wirkender Umbau. Auch Überwachungskameras ließ er installieren, die in Richtung des Hofes zeigen. Den Stacheldraht musste er mittlerweile zurückbauen, da diese Art der Einfriedung nicht „ortsüblich“ sei. Die Kameras blieben.
Menschenverachtung unter Auflagen
Zehn Mal im Jahr, an jeweils höchstens zwei aufeinanderfolgenden Wochenenden konnten in Staupitz Konzerte stattfinden. Pro Veranstaltung durften maximal 239 Personen anwesend sein und ein Betriebstagebuch sei zu führen. Auflagen, die Andreas Becker seit Anfang der 2010er Jahre einzuhalten hatte. Die Konzerttermine wurden im Vorhinein den Behörden mitgeteilt, wie auch die Bands und deren Set-List. Becker arbeite „über das Maß“ mit den Behörden „konstruktiv zusammen“, beschreibt die Leiterin des Torgauer Ordnungsamtes das Verhältnis mit ihm in der Leipziger Volkszeitung im Februar 2023.
„Konzerte dienen der Gemeinschaft und der Vernetzung“, heißt es im Oktober 2020 in einem Telegram-Kanal in Bezug auf ein Solidaritäts-Shirt, das angefertigt wurde um den «Alten Gasthof» in Zeiten der Pandemie finanziell zu unterstützen. Eine Gemeinschaft, die immer verschlossener und konspirativer wurde, denn seit 2020 ließen sich nur sehr selten Flyer für bevorstehende Konzerte öffentlich finden. Konnte der «Alte Gasthof» vor etlichen Jahren noch mit einem offiziellen Facebook-Profil gefunden werden, existierte bis vor Kurzem nur noch ein Info-Kanal auf Telegram. Weniger als 150 Neonazis befanden sich in diesem Chat, zu dem sich lediglich auf Einladung ein Zugang öffnete. Und wenn doch einmal eine Ankündigung in öffentlichen Gruppen bei Telegram und Co. die Runde machte, hieß es oft, dass man sich an „die üblichen Verdächtigen wenden“ solle, um Karten zu erwerben. Waren es 2011 „nur“ rund 1420 Neonazis, die im gesamten Jahr zu Konzerten in Staupitz anreisten, besuchen seit 2014 durchschnittlich zwischen 2100 und 2300 Neonazis jährlich die Veranstaltungen. Hiervon ausgenommen sind die Pandemie-Jahre 2020 und 2021, als weder 10 Konzerte im Jahr, noch zu jedem Konzert 240 Personen erschienen.
Zahlen, die auch durch Kleine Anfragen der Fraktion „Die Linke“ zu „Aktivitäten der extremen Rechten in Sachsen“ im sächsischen Landtag mittlerweile monatlich einsehbar sind. Einschätzungen, die teils verfälscht sind und oft in sich nicht stimmig sind. Beobachtungen und Recherchen legen nahe, dass in Staupitz offensichtlich regelmäßig gegen die Auflagen verstoßen wurde. Schon zu Ostern 2016, als ein Konzert zum 35-Jährigem Bestehen der Bremer RechtsRock-Band «Endstufe» angekündigt wurde, hieß es von Seiten der Veranstalter, dass es 333 Tickets im Vorverkauf geben würde. Gekommen waren letzten Endes bis zu 400 Neonazis. Der sächsische Geheimdienst habe hingegen nur 240 Teilnehmende gezählt.
Selbst wenn man den Zahlen Glauben schenkt, belegen diese nur, dass es im «Alten Gasthof» keine Handhabe darüber gab, wie vielen Neonazis der Einlass gewährt wurde. So habe ein Konzert aus dem Genre „National Socialist Black Metal“ (NSBM) im November 2019 laut Geheimdienst um die 250 Neonazis angezogen, wiederum „ca. 200-250“ seien am ersten Tag des „40-Jahre Endstufe“-Konzertwochenendes Anfang Oktober 2022 nach Staupitz gekommen. Einen Monat später zur Record-Release-Party der neuen CD von «Heiliger Krieg» schätzt der Geheimdienst die Zahl der Anwesenden ebenfalls auf 250. Woher diese Zahlen überhaupt stammen ist unklar. Weder waren Polizeikräfte am Einlass zugegen, noch wurde der Saal während den Veranstaltungen inspiziert. Die Zahlen stammen vermutlich von eigenen Quellen, sogenannten „V-Personen“, oder dem „Erfahrungswert“ der anwesenden Polizei.
Antifaschistische Recherche-Gruppen, die seit Jahren vor Ort das Geschehen beobachten, kamen hingegen auf andere Zahlen. Bei einem Konzert im August 2018 etwa, u.a. mit der australischen RechtsRock-Kultband «Fortress» waren weit über 250 Neonazis vor Ort. Auch zum «White X-Mas»-Konzert Ende Dezember 2019 konnten wesentlich mehr BesucherInnen in Staupitz festgestellt werden, als der Geheimdienst („ca. 240“) zählte. Die rund 115 Autos der angereisten Neonazis, die an diesem Abend im Dorf verteilt geparkt waren, sprechen stark dafür.
Selbst untereinander waren sich die Geheimdienste der Bundesländer nicht einig darüber, wie viele Personen nun an den Konzerten teilnahmen. So „zählte“ der sächsische Geheimdienst bei einem Konzert im August 2013 rund 260 Neonazis in Staupitz, die Brandenburger Kollegen kamen auf 500 Personen. Am 5. April 2015 nannte die sächsische Behörde eine Teilnehmerzahl von 200 bis 250, während ihre Kolleg*innen aus Brandenburg von 400 in ihrem Jahresbericht schrieben. Manche Konzerte listete der sächsische Geheimdienst auch erst gar nicht, so geschehen bei einem Konzert am 8. Dezember 2018, u.a. mit den Bands «Confident of Victory» und «Exzess».
Ausgehend von diesen behördlichen „Kompetenzen“, sollten Analysen hinsichtlich der Bedeutung der Konzerte vorrangig auf eigene Beobachtungen aufbauen. Es nützt nichts, sich einzig und allein auf die Erkenntnisse der Behörden zu verlassen. Wohin das führen kann, sah man im Herbst 2022, als die Antwort zur monatlichen „Kleinen Anfrage“ der Partei „Die Linke“ hinsichtlich der Aktivitäten der Extremen Rechten in Sachsen im Monat September veröffentlicht wurde. Lokale Journalist*innen berichteten darauf hin eifrig, dass es am Freitag den 30. September 2022 in Staupitz zu einem Konzert mit bis zu 250 Teilnehmenden gekommen war. Eine sicherlich relevante Information, um die Öffentlichkeit up-to-date zu halten, was gerade in Staupitz passiert. Das war aber nur die halbe Wahrheit, denn einen Tag später, am 1. Oktober 2022, fand dort ebenfalls ein Konzert statt. Dieses wurde in der Presse nicht thematisiert, schließlich war der Bericht des sächsischen Geheimdienstes für Oktober noch nicht öffentlich. Eigene Recherchen hätten nicht nur den Charakter einer 2-tägigen Veranstaltung offenbart, sondern auch die Bedeutung des Konzertwochenendes: die Bremer Band «Endstufe» feierte ihr 40-Jähriges Bestehen, mit Unterstützung von RechtsRockern aus den USA, Deutschland und Spanien.
Die wenigen eigenen Eindrücke, die antifaschistische Recherche-Gruppen von den Konzerten in Staupitz mitbekommen, bekräftigen hingegen das tatsächliche Ausmaß an NS-Verherrlichung und Menschenverachtung während den Konzerten. So liegt etwa ein kurzes Video eines Auftrittes der spanischen NS-Hardcore-Band «Pugilato» im «Alten Gasthof» im Mai 2017 vor. Zu sehen ist dort die Bühne und eine über die Boxen gespannte Flagge, die das in der Szene beliebte „Keltenkreuz“ zeigt. Weltweit ist es das Erkennungszeichen der rassistischen „White Power“-Bewegung, die eine „weiße Vorherrschaft“ anstrebt. Die Verwendung des Symbols, in Kombination mit einem Aufruf zur Gewalt, ist in Deutschland strafbar. «Pugilato» ist bekannt für ihr martialisches Image und ihre Vertonung von Hass und Gewalt. Ein Schlagring umfasst das Logo der Band und Sänger Alberto Gonzálo de Juan selbst beschrieb das Konzert in Staupitz in den sozialen Netzwerken als Teil der «Terror Tour» seiner Band. Auf seinem Unterarm hat er den sogenannten SS-Totenkopf – in Deutschland strafbar –tätowiert, den er auf dem Konzert 2017 in Staupitz ebenfalls offen präsentierte.
Dies sind bei weitem nicht die einzigen dokumentierten Vorfälle in Staupitz. „Richtig guter Auftritt und ordentliches Training für den rechten Arm“. So beschreibt ein Nutzer eines internen Neonazi-Forums das Konzert am 3. Februar 2018, bei dem u.a. «Squadron» aus England und die deutsche Band «Blutlinie» auftraten. Das er damit das exzessive Zeigen des Hitler-Grußes meint liegt auf der Hand. Auch ein Foto, dass nur kurze Zeit später zu Ostern 2018 auf einem Konzert im «Alten Gasthof» entstand, bestätigt die Annahme dass das Zeigen des Hitlergrußes in Staupitz keine Seltenheit war. Das Bild zeigt die Band «Flak» (NRW) um Philipp Neumann, sowie das Publikum in Pose. Mindestens drei Personen aus der Menge zeigen auf dem Bild erkennbar den Hitlergruß. Nur spärlich wurden diese strafbaren Gesten geschwärzt und retuschiert, bevor das Bild seinen Weg in die sozialen Netzwerke fand.
Das solche Handlungen in Staupitz die Regel waren, davon weiß selbst der brandenburgische Geheimdienst zu berichten. „Die Teilnehmer forderten die Band erfolgreich auf das Lied ‚Blut‘ zu spielen“ schreibt dieser in seinem Jahresbericht zu einem Konzert am 5. April 2015 u.a. mit «H8Machine» (USA). Mit „Blut“ ist der in der Szene weit bekannte Song „Blut muss fließen“ gemeint, wo es heißt: „Wetz die langen Messer auf dem Bürgersteig! Lass die Messer flutschen in den Judenleib! Blut muss fließen, knüppelhageldick, wir scheißen auf die Freiheit dieser Judenrepublik!“.
„Vereinzelt wurde der Hitlergruß gezeigt“, merkt der Geheimdienst im selben Bericht zu einem Konzert am 8. August 2015 an. „Die Zeiten, in der die Polizei die politische Gesinnung der Bürger prüft, ist vorbei. Wenn keine Straftaten begangen werden, dürfen wir auch nicht eingreifen.“, teilte der damalige Sprecher der Polizeidirektion Westsachsen der Torgauer Zeitung in einem Artikel 2011 mit. „Der Zutritt für Presse, TV und Polizei ohne vorherige Absprache ist nicht gestattet! Zuwiderhandlungen stellen einen strafbaren Hausfriedensbruch dar!“, heißt es wiederum auf einem Banner, der während der Veranstaltungen am Einlass zum «Alten Gasthof» hing. Dieser soll die Annahme der Neonazis untermauern, dass die Konzerte unter Ausschluss der Öffentlichkeit stattfänden. Dieser Annahme schienen auch die Behörden zu folgen, eine Absenz der Strafverfolgung war die Konsequenz. Der öffentliche Charakter von Veranstaltungen wird juristisch jedoch wie folgt umrissen: „(…) bei einem bestimmbaren Teilnehmerkreis liegt eine öffentliche Veranstaltung vor, wenn es weder unter den Teilnehmern noch gegenüber dem Veranstalter eine persönliche Verbindung gibt.“
Konzerte, die für jede*n einsehbar in den sozialen Netzwerken beworben werden, so wie es bis ca. 2020 der Fall war, dürften demnach auch öffentlich sein. Wenn dazu, wie noch im Oktober 2022, Karten im Vorfeld über eine Mail-Adresse für jede*n erwerbbar sind, entfällt auch eine „persönliche Verbindung“ zum Veranstalter. Erst recht bei 240 zahlenden Gästen. Wäre im Falle der Konzerte im «Alten Gasthof» die Öffentlichkeit anerkannt, hätte zumindest die NS-Verherrlichung strafrechtlich verfolgt werden können. Hier sei an den Umgang mit Konzerten im thüringischen Kirchheim erinnert, wo Polizist*innen mitunter während der Konzerte im Saal filmten. Extrem rechte Erlebnisräume können dadurch ihren Reiz verlieren.
Tatsächlich wählten die Behörden Anfang 2023 aber einen anderen Weg, um das Konzert-Geschehen einzuschränken: das Landratsamt entsagte Andreas Becker das Gewerbe. Der kann dagegen Rechtsmittel einlegen. Zwischenzeitlich sind Konzerte jedoch nicht ausgeschlossen, denn innerhalb des Verwaltungsrechts gibt es Möglichkeiten die Vollstreckung eines solchen Bescheids zu unterbinden, bis es ein Urteil gibt.
Die Veranstalter
Dass ein extrem rechter Erlebnisraum und Ort des Austausches über so viele Jahre bestand hatte, ist ein Alleinstellungsmerkmal des «Alten Gasthofes». Dafür sorgten jedoch nicht die Behörden, sondern auch das eingespielte Team aus Betreiber, VeranstalterInnen und Crew.
Die Rzehaczeks – ein Familienbetrieb
In den ersten Jahren waren es vor allem lokale Strukturen, die in Staupitz an der Organisation von Konzerten beteiligt waren. Hervor zu heben sei hier Kai Rzehaczek (*1968) aus Eilenburg. Er saß in der nordsächsischen Kleinstadt im Stadtrat für die NPD, war auf Aufmärschen als «Anti-Antifa»-Fotograf unterwegs und betrieb ab circa 2010 bis Anfang 2015 den extrem rechten «Nordsachsen Versand». Letzterer sei ein „Familienbetrieb“ gewesen, wie er in einem Interview 2010 dem Neonazi-Portal «Freies Netz Jena» mitteilt, denn auch sein Sohn Paul Rzehaczek arbeitete in dem Versand. Paul Rzehaczek ist seit Jahren Funktionär der «Jungen Nationalisten» (kurz JN, die Jugendorganisation der NPD) deren Vorsitz er zuletzt bis 2022 inne hatte.
Die Rzehaczeks waren mit ihrem Versand keine Größe im RechtsRock-Geschäft. Vielmehr vertrieben sie Propaganda-Material lokaler und überregionaler Aktionsgruppen. Die Kontaktnummer aus dem Impressum des «Nordsachsen-Versands» befand sich 2011 dennoch auf Flyern für Konzerte in Staupitz. An den Konzerttagen bekam man darüber den Schleusungspunkt: zwischen 19:30 Uhr und 20:30 Uhr an der Tankstelle im nahen Mockrehna. Ankündigungen machten damals auf Plattformen wie dem neonazistischen «Thiazi-Forum» die Runde, welches allerdings 2012 aufgrund von Strafverfolgung geschlossen werden musste.
RechtsRock-Mogul aus Cottbus
Neben den Konzerten, die auf Akteure der lokalen Szene schließen lassen, kamen in Staupitz schnell auch Neonazis aus dem „großen“ RechtsRock-Geschäft hinzu. Nicht zuletzt um neueste Produktionen durch Record-Release-Shows unter die Leute zu bringen. Einer, der schon früh diese Möglichkeit erkannte ist Martin Seidel (*1983) aus Cottbus. Seit Mitte der 2000er Jahre ist er mit «Rebel Records» weltweit einer der relevantesten Produzenten von RechtsRock. Er unterhält über den ganzen Globus Kontakte zu Bands und Labels, die er sich durch Reisen (etwa in die USA) über die Jahre aufbauen konnte.
Eines der ersten Konzerte im «Alten Gasthof» in Staupitz, das Seidel zugeschrieben wird, fand im August 2011 statt. Unter dem Motto „Sierra Tequila Party“ (eine Konzertreihe, die bis 2015 bestand hatte) trat damals auch seine eigene Band «Hausmannskost» auf. Bis Ende 2022 wurde diese über 15 Mal für Konzerte in Nordsachsen angekündigt. «Kraft durch Musik» (KdM) war nur kurze Zeit nach dem Konzert im August 2011 der Name der Organisation, die zu zahlreichen weiteren Konzerte einlud. Sei es durch Kontakt-Nummern, Mail-Adressen oder den Hinweis auf «Rebel Records» selbst wird ersichtlich, dass es sich bei KdM um die Konzertgruppe um Martin Seidel handelt. Auch der von Seidel genutzte Alias „Mr. Peppermint“ tauchte in Bezug auf das Konzertgeschehen auf. Hinweise zu ihm und seinem Label finden sich zudem bei der Konzertreihe „We love to entertain us“, über die in Staupitz zwischen 2012 und 2016 vorrangig Bands aus der internationalen NS-Hardcore-Szene präsentiert worden.
Zuletzt wies ein zweitägiges Konzert unter dem Motto „Der Osten rockt gegen Kommunismus II“ am 21. und 22. Oktober 2022 auf das Mitwirken von Seidel. Karten konnten schließlich über eine Mailadresse geordert werden, die auch als Kontakt-Adresse seiner Band «Hausmannskost» dient. Hinzu kommen etliche weitere Konzerte, die ohne einen speziellen Anlass von Seidel und seiner Konzertgruppe durchgeführt worden. Insgesamt hatte der Cottbuser Neonazis zwischen 2011 und 2022 bei rund 30 Konzerten seine Finger im Spiel.
Und Seidel wirkte auch für andere Gruppen als Ansprechpartner in Staupitz. So fand dort etwa im November 2019 ein Konzert u.a. mit den neonazistischen Black Metal-Bands «Leibstandarte» (Frankreich) und «Goatmoon» (Finnland) statt, welches unter dem Motto „Return of the Fireblade“ beworben wurde. Dazu eingeladen hatte die Gruppe «Neuschwabenland Konzerte» (NSL) um Björn Eichhorn aus Chemnitz. Tickets konnten über Seidels «KDM/Rebel Records» erworben werden, während NSL darauf hinwies, dass man nur „eine nicht personengebundene Bezeichnung für Menschen“ sei „die künstlerische Darbietungen unterstützen“. Eichorn und NSL hatten zuvor etliche Konzerte aus dem NSBM-Bereich im Erzgebirge und in Ronneburg (Thüringen) veranstaltet. In Staupitz organisierte er schon 2013 ein Konzert aus der «Fireblade Force»-Reihe mit.
Auch für sein nahes Umfeld tritt Seidel im «Alten Gasthof» als Verantwortlicher auf. Etwa im Januar 2012, wo u.a. «Blackout» aus England angekündigt worden. „Geburtstagsparty“ stand damals groß auf dem Flyer des Konzerts, das laut sächsischem Geheimdienst 200 bis 300 Neonazis besucht haben sollen. Die Brisanz dieses Events wird jedoch nur anhand einer interner Kommunikation ersichtlich, denn damals feierte in Staupitz Christian Kunja mit vier weiteren Neonazis seinen Geburtstag. Kunja gehört seit den 2000er Jahren den «Hammerskins Sachsen» an und lebt heute (wieder) im Raum Cottbus. Die Einladung zum Konzert hatte er damals an Hammerskins in ganz Europa weitergeleitet.
Exkurs: «Hammerskin»-Konzerte in Staupitz?
Was es heißt wenn die «Hammerskin Nation» zu Konzerten lädt, darauf verweisen etliche antifaschistische Gruppen seit Jahren. Die Neonazi-Bruderschaft gibt sich elitär und verschwiegen und tritt kaum in der Öffentlichkeit kaum. Ihre Konzerte sind eine der wenigen Anlässe, bei denen Einblicke gewährt werden. So auch im Dezember 2015, als im «Alten Gasthof» die Fahne der «Hammerskins Sachsen» auf der Bühne hin. Dutzende bedeutende Akteure waren gekommen, denn die Konzerte sind immer auch Orte zur Vernetzung und des Austauschs. Neben deutschen Mitgliedern der «Hammerskin Nation» (HSN) besuchte u.a. auch Steve Doby aus den USA – der «International Director» der HSN – wie auch Hammerskins aus Schweden das Konzert. Im Line-Up des Konzerts befand sich zudem die ungarische NS-Hardcore-Band «Verszerzödes» um Gergely „Geri“ Csirke. Dieser gilt als Chef der «Hungarian Hammerskins».
Tatsächlich Fuß fassen konnte die Bruderschaft als Veranstalter in Staupitz jedoch nicht. Bekannt ist neben den bereits erwähnten Konzerten lediglich ein Event im März 2012, welches unter dem Motto „Ein Sturm zieht auf…“ beworben wurde, sowie ein Konzert unter dem Motto „Skinheads are back in town“ im März 2014. Beide führen zu den «Hammerskins Franken» zurück, die unter diesen Mottos noch Jahre später im thüringischen Kirchheim Konzerte ausrichteten.
Dennoch gehörten Mitglieder der HSN in Staupitz zum Stammklientel der BesucherInnen. Selbstsicher zeigten sie sich mit ihren Symbolen und manchmal sogar in Bomberjacke mit Patches, die ihre organisatorische Zugehörigkeit verraten. Die HSN ist zwar nicht verboten, agiert aber weitgehend konspirativ. Mit Konzertveranstalter Martin Seidel haben sie einen langjährigen Unterstützer, der über «Rebel Records» nicht nur namhafte Bands aus dem Hammerskin-Milieu produziert, sondern der in Deutschland und in den USA auch gerngesehener Gast auf Events der Bruderschaft ist.
„…bis zum nächsten Holocaust 2018!“ – die MS 88
Dass Seidel anderen Konzertgruppen seine Gewerbestruktur um «Rebel Records» zur Verfügung stellte, fiel schon im April 2015 auf. Damals führte die Gruppe «White Society» ein Konzert u.a. mit der bekannten NS-Hardcore-Band «H8Machine» (USA) durch. Tickets konnten über «Rebel Records» erworben werden, beworben und umgesetzt wurde das Konzert jedoch maßgeblich von Neonazis aus der Region Oberhavel in Brandenburg. Die Rede ist von den «Märkischen Skinheads 88» (MS88) um Robert Wolinski (*1988) und Robert Wegner (*1984). Die «White Society» hatte bereits im Dezember 2014 ein Konzert in Staupitz organisiert und auch der brandenburgische Geheimdienst merkte in seinem Jahresbericht an, dass Protagonisten der MS88 im November 2014 ein Konzert mit internationalen Line-Up in Staupitz angemeldet und durchgeführt hatten.
Robert Wolinski war schon um 2010 als Mittelsperson zwischen Kameradschafts- und Parteistruktur bekannt. Er gehörte in dieser Zeit der JN an, die sich in Oranienburg im «Alten Speicher» ein eigenes Jugendzentrum geschaffen hatte und dort einen Großteil der für Brandenburg geplanten Konzerte durchführte. Als der Mietvertrag für diese Location im Herbst 2011 gekündigt wurde, gab es die «Märkischen Skinheads 88» bereits einige Monate. Neben Liedermacher-Abenden in kleinerer Runde konnte sich Wolinski mit den MS88 auch mit der Organisation von Großevents einen Namen machen. Das Logo der Kameradschaft fand man schließlich auf dem Flyer für ein Konzert im Juli 2013. Über 700 Neonazis kamen damals nach Finowfurt im Landkreis Barnim, wenn auch nur für eine zweistündige musikalische Darbietung, da die Polizei das Konzert dann auflöste. Es gab den Verdacht, dass eine Band ein indiziertes Lied gespielt hatte.
Dass die MS88, wie auch Martin Seidel, für die Organisation von Konzerten immer öfter nach Sachsen auswich, ist dem härteren Durchgreifen der brandenburgischen Behörden verschuldet. Bis heute sind Konzerte mit über 100 Personen im Bundesland fast unmöglich. Einzig kleinere Liedermacher-Abende werden – auch von Wolinski und den MS88 – in Brandenburg durchgeführt. Unter der Firmierung «MVD» hatte Wolinski noch im Juni 2016 versucht ein dreitägiges Festival in Brandenburg umzusetzen, ohne Erfolg. Headliner sollte damals die US-amerikanische NS-Hardcore-Band «H8Machine» sein, zu der – wie auch zu den Bands «Blue Eyed Devils» (USA) und «Deutsch Stolz Treue» aus Berlin – Wolinski und Wegner eine enge Beziehung pflegen. Die Bands gelten als Unterstützer der «Hammerskin Nation», wie auch die beiden Neonazis selbst. Immer wieder werden sie im Zusammenhang mit der Bruderschaft festgestellt. „Nette Leute inkl. super funktionierenden Saalschutz, also bis zum nächsten Holocaust 2018!“, lobte ein Teilnehmer das Konzert der MS88 im Februar 2018. Es ist ein Bezug auf das Album „Holocaust 2000“ der Band «Blue Eyed Devils», die in Staupitz aufgetreten war.
In Staupitz tauchte das Logo der «Märkischen Skinheads 88» auf den Flyern einiger Konzerte spätestens ab März 2017 auf. Zuletzt war es auf der Einladung zu einem Konzert u.a. mit «Bronson» (Italien) am 2. November 2019 abgebildet. Das einen Tag zuvor fast die selben Bands in einem bislang unbekannten Szeneobjekt in Bad Gottleuba-Berggießhübel OT Langenhennersdorf in der Sächsischen Schweiz unter dem Banner der MS88 auftraten, ist ein bekanntes Verfahren der letzten Jahre. Vor allem wenn ausländische Bands in Deutschland zu Gast waren, fand häufig am Freitag ein Konzert in Ostsachsen statt, den darauf folgenden Tag kamen die Bands in Staupitz zusammen.
Nicht offiziell unter dem Logo der MS88, aber mit dem Hinweis auf die bekannte, der Kameradschaft zugerechneten Mail-Adresse, wurde noch im Februar 2020 ein Konzert im «Alten Gasthof» beworben. Auch an diesem Wochenende fand zunächst ein Konzert am Vortag, mutmaßlich in der sächsischen Schweiz, statt. Diese besagte Mailadresse der MS88 befand sich bereits auf den Veranstaltungs-Flyern für die Konzertreihe «Nordic Pride». Unter dem Motto fanden zwischen 2014 bis 2019 insgesamt fünf Konzerte in Staupitz statt. Auch die Reihe „Furor Teutonicus“ („Germanische Angriffslust“) wurde maßgeblich von den MS88 bis Dezember 2018 in Staupitz durchgeführt. Insgesamt gehen in Staupitz zwischen 2014 und 2020 knapp 20 Konzerte auf das Konto der «Märkischen Skinheads 88».
Selbst wenn seit einiger Zeit über Flyer keine Bezüge mehr zu der Gruppe zu finden sind, ist davon auszugehen, dass diese auch heute noch in Nordsachen in die Konzert-Organisation eingebunden ist. Als Indiz dafür sei das «White X-Mas Bash» am 28. Dezember 2019 angeführt, dass eigentlich Martin Seidel zugeschrieben wird. Am Abend selbst konnte aber auch Robert Wegner von den MS88 dabei beobachtet werden, wie er beim Auf-und Abbau half. Diese Synergie beschreibt der brandenburgische Geheimdienst in seinen Jahresberichten seit 2017 regelmäßig wie folgt: „Personen aus Brandenburg (OHV und Cottbus) waren in die Organisation eingebunden.“
Dass die Cottbuser Szene mit den Neonazis aus dem Landkreis Oberhavel eng im RechtsRock-Geschäft verbunden ist, liegt an ihrer gemeinsamen Geschichte. Schon 2007 saß u.a. Robert Wolinski beim «Fest der Völker» in Jena am Verkaufsstand von «Rebel Records». Damals war Wolinski gerade einmal 19 Jahre alt.
«This Is White Noise» – Yves Rahmel und «PC Records»
Neben «Rebel Records» gehört das Chemnitzer Label «PC Records» zu den umsatzstärksten RechtsRock-Produzenten weltweit. Lange Zeit war dort Yves Rahmel (*1981) Geschäftsführer, heute ist er „nur“ im Versand angestellt und betreut das in Chemnitz ansässige Ladengeschäft. Der ursprünglich aus Brandenburg stammende Rahmel stieg um 2013 ins Konzertgeschehen in Staupitz ein. Zunächst galt er als Drahtzieher der Solidaritäts-Konzerte für die Aufmärsche in Dresden und Chemnitz, anlässlich der Bombardierung der beiden Städte im Februar und März 1945. Eines der ersten Konzerte, das in diesem Zusammenhang stand, lief jedoch nicht wie geplant. Über 500 Neonazis begehrten am 9. Februar 2012 in Staupitz Einlass, nur 400 schafften es rein. Der Rest wartete vergebens, was der Grund für großen Unmut war. Schließlich hatten die meisten im Vorfeld pro Ticket 15 Euro bezahlt.
Ein letztes Solidaritäts-Konzert für den Dresdner „Trauermarsch“, u.a. mit der Berliner Band «Spreegeschwader», fand im Februar 2023 statt. Zwischen 200 und 240 Neonazis aus zehn Bundesländern reisten dafür an. Rund 100 Autos säumten die Straßen und Wege rund um den ehemaligen Gasthof. Wie im Vorjahr war Yves Rahmel auch in die eigentliche Organisation des „Trauermarschs“ in Dresden eingebunden und betreute dort die Technik im Lautsprecherwagen. Auch das ist kein Zufall, denn zur NPD und deren Jugendorganisation JN hält Rahmel gute Kontakte. U.a. ist das Ladengeschäft von «PC Records» in der von der JN genutzten Immobilie in der Markersdorfer Straße in Chemniz untergebracht. Das Label wiederum produzierte 2019 einen Sampler zum 50-Jährigen Bestehen der JN.
Großen Fürspruch bekam Rahmel aber vor allem durch die Konzertreihe «This Is White Noise». Die Premiere dieser Reihe fand vermutlich im September 2014 in Staupitz statt, als u.a. die italienische Band «Gesta Bellica» angekündigt wurde. Damals konnte das Motto das erste Mal auf einem Flyer für die Konzerte in Nordsachsen wahrgenommen werden. Fünf Jahre später, im September 2019, feierte die Konzertreihe ihre zehnte Auflage, u.a. mit den RechtsRock-Kult Bands «Noie Werte» um Szeneanwalt Steffen Hammer, «Warlord» (UK) und abermals «Gesta Bellica». Das Event lockte auch Neonazis an, die im Szene-Kontext sonst kaum wahrnehmbar sind. Neben Maik Bunzel aus Cottbus, ebenfalls Szene-Anwalt und ehemaliger Sänger von «Hassgesang», besuchte auch André Kapke aus Thüringen dieses Konzert. Er war ein enger Vertrauter des NSU und setzt sich bis heute für den inhaftierten Ralf Wohlleben ein, der dem NSU die Waffe besorgt hatte, mit der 10 Menschen ermordet wurden.
2022 wurde in Staupitz am Wochenende um den 11. Juni sogar ein zweitägiges «This Is White Noise-Fest» veranstaltet. Bis zu 240 Neonazis reisten am Freitag an, um u.a. «Mistreat» (Finnland) und «Front 776» – die Nachfolge-Band von «Blitzkrieg» aus Chemnitz – live zu erleben. Am Samstag fanden sich, laut sächsischen Geheimdienst, rund 200 Personen ein. Aufgetreten war an dem Tag u.a. die NS-Hardcore-Band «Green Arrows» aus Italien. Seit diesem zweitägigen Event fand sich kein weiterer Hinweis auf eine Fortsetzung der Konzertreihe.
Insgesamt werden Yves Rahmel und seiner Konzertgruppe rund 40 Konzerte zugerechnet. Neben der «This Is White Noise»-Reihe finden sich schließlich auch Bezüge zu den «Ostara»-und „Tanz in den Mai“-Konzerten, sowie zu Konzerten unter dem Motto „Die Deutschen kommen“. Auch in die Organisation von Konzerten mit den faschistischen japanischen Bands «Aggroknuckle», «The Hawks» und «Sledgehammer», jeweils im Mai 2016, 2018 und 2019, war Rahmel maßgeblich involviert. „Wer durch dumme Sprüche auffällt, fliegt raus!“ heißt es auf dem Flyer eines dieser Konzerte hinsichtlich möglicher rassistischer Äußerungen gegenüber den Japanern.
Im Rahmen dieser Events waren die Bands in Chemnitz zu Besuch, wurden von Rahmel in der Stadt herum geführt und ins Ladengeschäft von «PC Records» eingeladen. So wie schon in den 2000er Jahren, wenn etwa Bands aus den USA auf Europa-Tour waren. Offenbar begleitete Rahmel vereinzelt Bands auch zu ihren Quartieren, wie im April 2019, als die schwedische Band «Code 291» in Staupitz auftrat. Bilder zeigen ihn und weitere Neonazis aus seinem engsten Freundeskreis mit der Band vor dem Hotel «Zum Goldenen Stern» im brandenburgischen Jüterborg.
Die Kontakte zu den Gruppen verfestigte Rahmel durch eine Vielzahl von Reisen und Besuchen. So gastierte er 2017 in Japan und nahm dort an Konzerten der lokalen faschistischen Szene Teil. Im März 2019 war er in Chile und Brasilien, als dort «Brutal Attack» aus England und die deutsche Band «Kategorie C» spielten. Im April des selben Jahres reiste er dann nach Norditalien, wo beim «Defend Europe»-Konzert bis zu 2.000 Neonazis den Geburtstag Adolf Hitlers feierten. Wenige Monate später war er Teil einer Reisegruppe sächsischer Neonazis, die am «Fortress Europe»-Konzert in Kiew u.a. mit «Blue Eyed Devils» (USA) teilnahm. Dort entstandene Fotos zeigen Rahmels Rückentattoo, dass mit Hakenkreuzen und anderen NS-verherrlichenden, antisemitischen Symbolen übersät ist.
In der Organisation der Staupitzer Konzerte erhielt Rahmel jahrelang Unterstützung von dem aus Magdeburg stammenden Holger Mentler (*1971). Mentler und Rahmel sind enge Freunde und wurden schon vor rund 10 Jahren als Duo auf RechtsRock-Konzerten festgestellt. Als die «Veneto Fronte Skinheads» 2016 zu einem ihrer Großevents nach Italien luden, war es Mentler der den Verkaufsstand von «PC Records» betreute.
Auch Steve Geburtig konnte auf den Konzerten in Staupitz regelmäßig festgestellt werden. Er ist heute Geschäftsführer von «PC Records». Des weiteren findet sich im Organisationskreis der Konzerte Tim Kühn aus Chemnitz, der Hauptverantwortlicher des Neonazi-Kampfsportevents «Tiwaz» ist. In Staupitz fiel er auf, als er sein Auto direkt vor dem Einlass parken durfte. Erwähnenswert ist zudem Stefan Trautmann, NPD-Kader aus Döbeln in Mittelsachsen, der bei Konzerten u.a. als Park-Einweiser tätig war und darüber hinaus beobachtet wurde wie er Neonazis aus lokalen Strukturen als HelferInnen an den «Alten Gasthof» vermittelte.
Sollten von den Abenden in Staupitz noch Konzert-Shirts übrig geblieben sein, gab es diese ebenfalls in kleiner Stückzahl über «PC Records» zu erwerben. Zudem produzierte das Label Benefiz-Shirts für den «Alten Gasthof», die für 16,50 Euro pro Stück vertrieben wurden. Um dem Betreiber in der Corona-Pandemie „etwas Gutes“ zu tun, heißt es, denn man habe sich dort „Fernab der ‚gegen Rechts‘ Fördertöpfe“ einen „kleinen Freiraum geschaffen, wo auch sonst so ‚unliebsame‘ Bands ihre Lieder trällern können ohne vorher bei Sittenwächtern und Gutmenschen Buße tun zu müssen“. Die Vorkehrungen zur Eindämmung der Pandemie waren in Staupitz spürbar. Nur drei Konzerte konnten 2020 nach Ausbruch des Corona-Virus überhaupt stattfinden. Alle drei wurden maßgeblich von Yves Rahmel organisiert. 2021 waren es dann wieder mehr, insgesamt sieben an der Zahl.
Schlagkräftiger Sicherheitsdienst
„Keine Karte = Kein Einlass ! Handy müssen draußen bleiben“. Das war die Devise in Staupitz, um unter sich sein zu können und um unliebsame Mitschnitte der Konzerte zu verhindern. Um die Durchsetzung dessen kümmerte sich der sogenannte „Saalschutz“, eine eigene Security im «Alten Gasthof». Diese bestand meist aus zehn bis fünfzehn Personen aus Brandenburg, die für diese Tätigkeiten extra anreisten. Allesamt sind Mitglieder der «Northsidecrew» (NSC) oder gehören deren engsten Umfeld an.
Die NSC gründete sich Anfang der 2010er Jahre und versteht sich als Bruderschaft. Sie ist ein Zusammenschluss von Neonazis aus dem Kampfsport-, Hooligan- und Security-Milieu aus dem Raum Cottbus. Aktuell unterhält die Gruppierung, der bis zu 20 Männer angehören, einen Ableger in Lübben im Landkreis Dahme-Spreewald und in Gröden im Landkreis Elbe-Elster. In Lübben betreibt die NSC in der ehemaligen Diskothek «Players» auch ihr Clubhaus. Neben der Veranstaltung kleinerer rechter Konzerte, nutzen die Mitglieder die Immobilie vor allem für gemeinsame Kampf-und Kraftsport-Trainings. Ein Großteil der Gruppierung ist schließlich im Amateurbereich im MMA und Kickboxing aktiv. Als «Team Greifvogel» und «Preußen Gloria» traten Akteure der NSC in den letzten Jahre regelmäßig bei Szene-Events wie dem «Kampf der Nibelungen» und dem «Tiwaz» an.
In Staupitz sind es vor allem die NSC-Mitglieder Stefan Baer, Lucien Schönbach, Martin Ruckert und Robert Jäsche, die sich häufig den Dienst am Einlass und im Saal teilen. Unterstützung erhalten sie u.a. von Patrick Orbanz, Robert Richter und Sebastian Lösky, die ebenfalls der NSC angehören. Wie bei unpolitischen, kommerziellen Events müssen die BesucherInnen ihre Fremdgetränke am Einlass abgeben und sich einem sogenannten Bodycheck unterziehen.
Um auch Smartphones mit Kameras von den Konzerten fern zu halten, konnte etwa bei einem Konzert von «Noie Werte» im September 2019 eine skurille Situation beobachtet werden. Denn statt alle Taschen der Konzertteilnehmer zu durchsuchen, benutzten die Neonazis am Einlass eine Art Detektor. Von Seiten des brandenburgischen Geheimdienstes heißt es seit 2016 dazu nur, dass „Personen aus Brandenburg als Ordner vorgesehen“ seien. Als Security in Staupitz fiel die NSC einer antifaschistischen Recherche erstmalig bei einem Konzert u.a. mit «Sturmwehr» und «Exzess» im November 2017 auf. Damals standen Mitglieder der Vereinigung am Bühnenrand in Richtung des Publikums, begleitet in Shirts der NSC.
Legaler Treffpunkt zur Fortführung illegaler Vereinigung
Auf den Konzerte im «Alten Gasthof» trifft sich eine Gemeinschaft, die aus Personen mit einem gefestigten, neonazistischen Weltbild besteht. Szene-Neulinge und Mitläufer ausgeschlossen. Der Altersdurchschnitt der Teilnehmenden ist oft bei 35+, bei Männern wie auch Frauen. Für Frauen ist es eine bequeme Umgebung, denn die Konzerte muten eher einer geselligen Runde an, statt einer politischen Versammlung, gar einer öffentlichen Kundgebung. Wie schon oft erwähnt: In Staupitz fühlt(e) man sich jeher sicher und unbeobachtet. Dies galt auch für die Organisationen die dort zusammen kamen. Sprechen Veranstaltungen aus der Feder von Martin Seidels «Rebel Records» und Robert Wolinskis «Märkischen Skinheads 88» eher die «Hammerskin Nation» samt Unterstützerumfeld an, trifft sich auf Yves Rahmels Konzerten vorrangig das Netzwerk von «Blood & Honour» (B&H). Die Vereinigung wurde 2000 in Deutschland verboten.
Im März 2006 war Rahmel einer von rund 80 Personen, die bundesweit von Durchsuchungen im Zusammenhang mit der «Division 28» betroffen waren, der Nachfolgestruktur von B&H in Deutschland. Ermittelt wurde wegen dem Verstoß gegen ein Vereinigungs-Verbot. Das Verfahren wurde 2010 eingestellt, da „ein öffentliches Interesse an der Strafverfolgung nicht gegeben“ sei, so die Behörden. Eine Ein-und Anbindung Rahmels zu B&H findet sich jedoch weiterhin auf vielen Ebenen. Seine Reisen und Kontakte führen nicht zufällig in das weltweite Netzwerk.
„Herzlichen dank noch an dich yves, hat wortlos am ausschank super geklappt“ (sic) kommentiert Werner Butscher ein Bild in den sozialen Netzwerken. Es stammt vom „Ian Stuart Donaldson“-Gedenkkonzert, dass im September 2015 in England stattfand. Offenbar half Rahmel dort am Ausschank, während Butscher mit der deutschen B&H-Band «Faustrecht» auf der Bühne stand. Das sogenannte «ISD Memorial» wird in England ausschließlich von B&H organisiert, mit Hilfe der „Divisionen“ aus ganz Europa. Banner der «Blood & Honour – Division Deutschland» werden dort jährlich, trotz Verbot und ohne Scheu präsentiert, wie auch das der «Skinheads Chemnitz». Diese Gruppierung gab es bereits in den 1990er Jahren und galt als Konzertgruppe der sächsischen Sektion von B&H. Auffällig oft ist das Banner der «Skinheads Chemnitz» heute auf Konzerten zu finden, die Yves Rahmel selber besucht oder mit veranstaltet. Kein Wunder, denn Rahmel und «PC Records» tritt mindestens seit 2004 als Ansprechpartner der Chemnitzer Gruppierung auf.
Auch Rahmels Weggefährte Holger Mentler ist dem B&H-Netzwerk zuzurechnen. In den 1990ern gehörte er B&H in Magdeburg an und versuchte auch nach dem Verbot die Strukturen weiterzuführen. Schließlich wurde gegen ihn ermittelt, im erst 2008 ausgetragenen Prozess musste er sich dafür jedoch nicht verantworten. Die Konzerte in Staupitz die Rahmel zugerechnet werden, weisen ebenfalls deutlich auf B&H hin. So gilt etwa die Band «Sokyra Peruna» als Aushängeschild von B&H in der Ukraine, ihr Sänger Arseniy „Bilodub“ Klimachev ist Kontaktperson der Organisation. Die Band spielte im April 2017 und im November 2018 in Staupitz. Darüber hinaus gab es zig weitere Bands, die im «Alten Gasthof» spielten, die als B&H-Bands gelten: etwa «Blitzkrieg» aus Chemnitz, «White Resistance» aus Zwickau und «Non Plus Ultra» aus Düsseldorf, wie auch «Mistreat» und «Sniper» aus Finnland, oder «Brutal Attack» aus England. Vor allem Letztere besitzt heute Kult-Status in der Szene und ist seit über 40 Jahren weltweit auf Konzerten von B&H als Zugpferd zu finden.
Besonders anschaulich wird die Verbindung von Konzerten in Staupitz zu B&H anhand der zehnten Auflage der «This Is White Noise»-Konzertreihe. Das am 28. September 2019 ausgetragene Konzert hatte nicht nur die deutsche Band «Noie Werte» im Line-Up, auch «Gesta Bellica» traten auf. Die 1991 gegründete italienische Band nutzt außerhalb von Deutschland ein Logo, das den Schriftzug „Sangvis et Honor“ beinhaltet – lateinisch für «Blood & Honour». Gitarrist Alessandro Castorina ist zudem Führungsfigur der «Veneto Fronte Skinheads», die als Ableger von B&H in Italien erachtet werden. Dass die Band europaweit vor allem auf Events des B&H-Netzwerks auftritt, versteht sich von selbst. In Staupitz trat an diesem Abend außerdem «Warlord» aus England auf, die Band um Sänger Steve Calladine, genannt „Stigger“. Calladine spielte schon bei «Skrewdriver» um B&H-Gründungsfigur Ian Stuart Donaldson und ist darüber hinaus an weiteren B&H-Bands in England beteiligt.
Im Anhang von Calladine befand sich im September 2019 in Staupitz auch Robert Talland (*1969) aus Essex, östlich von London. Er, der in der Szene als „Ginger Rob“ bekannt ist, gehört seit den 1990er Jahren dem Ableger «Blood & Honour – East London» an und betreibt das RechtsRock-Label «Rampage Productions». Kaum ein internationales B&H-Konzert vergeht ohne die Teilnahme von Talland. Es scheint so, als sei er eine Art Europa-Chef, der die Aktivitäten von B&H in ganz Europa überwacht und begleitet. Dabei ist erwähnenswert, dass sich Talland nicht im «Blood & Honour – Combat 18»-Milieu bewegt, sondern vorrangig in den alten B&H-Strukturen, ähnlich wie Yves Rahmel. Es ist jenes Milieu, dass sich in Deutschland auf eine offizielle Entstehung im Jahr 1994 beruft und in Thüringen und Sachsen maßgeblich den rechts-terroristischen NSU unterstützte. Bis heute werden sogenannte Divisionen in England, Schweden, Italien, Portugal, Deutschland, Ungarn, Österreich, Ukraine, Bulgarien und Slowenien unterhalten. Als Decknamen nutzt dieses Netzwerk den Begriff „28 Europe“. Keines der Mitglieder dieser Vereinigung saß jüngst auf der Anklagebank als im Sommer 2022 in München wegen B&H-Fortführung verhandelt wurde.
Taten und Worte
Die Konzerte in Staupitz waren legale Treffpunkte international agierender Organisationen, deren Ideologie auf der gewalttätigen Durchsetzung der „weißen Vorherrschaft“ beruht. Ob «Hammerskin Nation» oder «Blood & Honour»: zahlreiche AkteurInnen dieser Gruppen begannen Morde und unterstützten auch heute noch terroristische Netzwerke – eingeschlossen den MusikerInnen dieses Milieus. Diese transportieren nicht nur die Ideologie, sondern stacheln zur Gewalt auf und sind häufig selbst in neonazistisch motivierten Gewalttaten verwickelt. Erst am 21. März 2023 wurde etwa Matej Bulík, Bassist der slowakischen Band «Krátky Proces», verhaftet. Er soll im November 2005 in Bratislava mit weiteren Neonazis eine Gruppe Student*innen überfallen haben. Dabei wurde der damals 21-Jährige Daniela Tupého durch Stichverletzungen so schwer verletzt, dass er starb. «Krátky Proces», die früher unter dem Namen «Juden Mord» auftraten, sollten im März 2020 im «Alten Gasthof» beim elften «This Is White Noise»-Konzert auftreten. Aufgrund der Pandemie fand das Konzert jedoch nicht statt.
In Staupitz wurde Netzwerkarbeit betrieben, es wurden Vorgehensweisen, Entscheidungen und Zukunftspläne besprochen, auch hinsichtlich Musik-Produktionen und der Finanzierung dessen. Jeder der im «Alten Gasthof» involvierten Veranstalter, samt Netzwerk, hat eine lange Geschichte in diesem Geschäft und ist Schlüsselfigur, auch im Vertrieb strafbarer Produktionen. Robert Wolinski war etwa an der Verbreitung einer strafrechtlich relevanten CD der Berliner Band «Deutsch Stolz Treue» beteiligt. Bei Martin Seidel wiederum beschlagnahmten Beamt*innen bei einem Konzert u.a. mit «Stahlgewitter» im Dezember 2005 in Döbeln CDs, die Abbildungen von Adolf Hitler und Hakenkreuzen zeigten. Jüngst produzierte er über «Rebel Records» ein T-Shirt der US-amerikanischen Band «Wellington Arms», dessen Rückendruck den Slogan „Bringing back fascism“ beinhaltet. Die Band spielte erst am 30. September 2022 in Staupitz.
Auch bei Yves Rahmel und «PC Records» kam es 2009 und 2011 wegen volksverhetzender CD-Produktionen zu Hausdurchsuchungen. Letztere betraf auch Kai Rzehaczek und den «Nordsachsen-Versand», aufgrund des Vertriebs der CD „Adolf Hitler lebt“ von «Gigi und die braunen Stadtmusikanten». Zum einen verherrlicht und billigt der auf dem Album veröffentlichte Song „Döner-Killer“ die Mordserie des NSU, zum anderen leugnet das Lied „Geschwür am Arsch“ die Shoa. Rahmel und Rzehaczek kamen mit einer Geldstrafe davon.
Mit Blick auf das Publikum im «Alten Gasthof» war Ähnliches zu beobachten. Besonders erwähnenswert ist Stefan Fahrenbach aus dem thüringischen Suhl, der erst im Juni 2022 ein Konzert u.a. mit «Endstufe» in Staupitz besuchte. Fahrenbach ist seit etlichen Jahren als Händler strafbarer CDs bekannt. Schon vor rund 10 Jahren bot er in geschlossenen Gruppen in sozialen Netzwerken CDs aus dem B&H-Milieu an, 2016 wurde gegen ihn wegen Mitgliedschaft bei «Blood & Honour Südthüringen» ermittelt. Nach dem Großkonzert im Oktober 2016 in Toggenburg in der Schweiz war es ebenfalls Fahrenbach, der massenhaft die neueste CD-Produktion „Blut und Ehre“ der Untergrund-Band «Erschießungskommando» auf den deutschen Markt brachte. Auch heute ist er in einschlägigen Verkaufs-Börsen in den sozialen Netzwerken aktiv.
B&H-Kader Robert Talland, der im September 2019 in Staupitz festgestellt wurde, stand erst 2022 in England vor Gericht, gemeinsam mit seinen Kindern Rosie und Stephen (bekannt als Liedermacher «Stevie»). Während sich seine Kinder aufgrund der Mitgliedschaft in einer RechtsRock-Band verantworten mussten, wurde Robert Talland als Produzent von CDs angeklagt. Den drei Neonazis wurde vorgeworfen, dass sie mit ihren Aktivitäten zum „Rassenhass angestiftet“ haben sollen. Vater Talland habe zudem eine terroristische Publikation verbreitet. Bis das Urteil rechtskräftig ist, ist es den Tallands verboten mit «Blood & Honour» und «Rampage Productions» Konzerte zu veranstalten oder CDs zu produzieren.
Ob die genannten Personen auch auf den Konzerten in Staupitz aktiv strafbare CDs vertrieben, ist nicht verifizierbar. Da sich die Polizei auf Verkehrskontrollen fokussierte galt im «Alten Gasthof» bislang: wo kein Kläger da kein Richter. Sollte auch die verwaltungsrechtliche Untersagung des Betriebs nicht Bestand haben und die Beckers ihr Wochenend-Geschäft fortführen dürfen, werden sich die beschriebenen Netzwerke in Staupitz weiterhin ausbauen. Ganz legal unter behördlicher Auflagen, versteht sich.