Update, 20. Juni 2019 – 18:15 Uhr
Mike Sawallich aus Kassel solidarisiert sich über soziale Netzwerke mit Stephan Ernst, dem mutmaßlichen Mörder von Walter Lübcke. Bei Facebook hat er ein neues Titelbild gepostet, dass ihn Arm in Arm mit Stephan Ernst zeigt. Ein unmissverständliches Zeichen in Richtung des mutmaßlichen Täters. Einen Eintrag von Sawallich bei Facebook über den „unerwarteten Besuch von SternTV“ am 19. Juni 2019 kommentiert Markus Eckel wie folgt: „Egal was kommt, damals wie heute-Hitlersleute!“
Alle drei Neonazis sind auf den bereits gezeigten Bildern von 2002 in Kassel gemeinsam zu sehen.
Zwei weitere Bilder zeigen Stephan Ernst auf einer Kundgebung am 1. Mai 2002 in Göttingen.
Update, 18. Juni 2019 – 14:40 Uhr
Im August 2002 veranstaltete die NPD eine Wahlkampftour, die durch mehrere hessische Städte führte. Nahezu alle Veranstaltungen – so auch ihr Auftritt in Kassel am 30. August 2002 – wurden durch antifaschistische Proteste massiv gestört und mussten teils abgebrochen werden. Der NPD gelang es nicht, Anhänger*innen in nennenswerter Zahl zu mobilisieren, eine Ausnahme bildete Kassel, wo ca. 30 Neonazis zusammen kamen.
Mindestens 20 von ihnen gehörten der militanten Neonaziszene um Kassel und Göttingen an und suchten handfeste Auseinandersetzungen mit Gegendemonstrant*innen. Zu ihnen gehörte Stephan Ernst. Nach Ende der NPD-Versammlung formierte sich eine antifaschistische Spontan-Demonstration, die an einem Ladengeschäft vorbeiführte, dass zu dieser Zeit als extrem rechter Treffpunkt diente. Auch hier versammelte sich die Neonazigruppe, um „ihr“ Geschäft zu schützen.
Stephan Ernst ist mit den meisten Teilnehmenden auf den verschiedenen Bildern dieses Nachmittags zu sehen. Neben den bereits erwähnten Michel Friedrich und Mike Sawallich u.a. Markus Eckel, eine führende Person der Kasseler Neonazis, aktiv in der «Arischen Bruderschaft» des Thorsten Heise und Teilnehmer eines «Combat 18»-Treffens in Eisenach im Jahr 2018.
Sowie Stanley Röske, eine Führungsperson des 2014 neugegründeten «Combat 18» Deutschland. Auch die Göttinger Neonazis Stephan Pfingsten und Martin Gotthardt waren am 30. August 2002 anwesend. Die zwei zählten im Jahr 1999 zu einer schwermilitanten Neonazigruppe, die für mehrere Anschläge in Göttingen verantwortlich gemacht wurde. Bei Hausdurchsuchungen bei den beiden im November 1999 fand die Polizei Materialien und Anleitungen zum Bau von Brand- und Sprengsätzen.
Dies mag beispielhaft für die Militanz und Terroraffinität der Neonaziszene im Raum Kassel/Göttingen zu dieser Zeit dienen. Zweifellos ist davon auszugehen, dass Stephan Ernst auch die beiden Göttinger persönlich kannte. Doch die gemeinsame Teilnahme an der NPD-Versammlung belegt nicht, dass Ernst mit ihnen persönlich und politisch enger verwoben war.
Des Weiteren steht nun steht fest, dass Ernst bereits seit etwa 14 Jahren in einem Einfamilienhaus in Kassel lebt und nicht erst jüngst nach Kassel gezogen ist.
Der Schützenverein in dem Ernst engagiert ist verweist darauf, dass keine Waffen aus ihren Beständen entwendet worden sind. Zudem ist behördlich bestätigt, dass Ernst keine waffenrechtliche Erlaubnis hat.
Update, 17. Juni 2019 – 18:30 Uhr
Wie die Autonome Antifa Freiburg berichtet, spendete Stephan Ernst 150 Euro an die AfD. Die Wahlkampfspende im Jahr 2016 war für den besonders radikalen AfD-Landesverband Thüringen bestimmt.
Update, 17. Juni 2019 – 17:40 Uhr
Stephan Ernst ist derzeit Vorstandsmitglied des Schützenclubs 1952 Sandershausen e.V. in einem Ortsteil von Niestetal nahe Kassel. Obwohl Ernst auf der Internetseite des Vereins als „Referent Bogen“ aufgeführt ist, ist davon auszugehen, dass er als Mitglied des Schützenclubs einen unkomplizierten Zugang zu Kurzwaffen des bei Sportschützen beliebten Kalibers 22 hat. Mit einer Waffe dieses Kalibers wurde nach unseren Information Walter Lübcke erschossen. Offenbar hat ihm weder seine Zugehörigkeit zur Neonaziszene noch die Tatsache, dass er bereits versucht hatte, Menschen mittels einer Rohrbombe zu töten, den Zugang zu Schusswaffen erschwert.
Am Samstag, dem 15. Juni 2019, wurde in Kassel der Neonazi Stephan Ernst (*21. September 1973) verhaftet, der verdächtigt wird, den Präsidenten des Regierungspräsidiums Kassel, Walter Lübcke, ermordet zu haben. Der dringende Tatverdacht ergibt sich nach vorliegenden Informationen daraus, dass am Tatort eine DNA-Spur des Verhafteten festgestellt werden konnte. Der CDU-Politiker Lübcke war am 2. Juni 2019 auf der Terrasse seines Wohnhauses in Wolfhagen (Nordhessen) mit einer Kurzwaffe aus nächster Nähe erschossen worden. Schon unmittelbar nach der Tat war die Täterschaft einer Person der extrem Rechten als wahrscheinlich erachtet worden, da sich Lübcke 2015 in der Diskussion um die Aufnahme von Geflüchteten gegen extrem Rechte gestellt hatte und für diese zu einer Hassfigur geworden war.
Der 45-jährige Stephan Ernst aus Kassel ist Antifaschist*innen seit Anfang der 2000er Jahre bekannt. Er zählte in den 2000er Jahren zum engeren Kreis um die Neonazis Michel Friedrich und Mike Sawallich. Er beteiligte sich an NPD-Auftritten und mindestens einer Sprühaktion und war 2007 in eine Schlägerei von Neonazis mit Nazigegnern verwickelt. Mike Sawallich war eine Führungsfigur der Kasseler Neonazi-Szene. Michel Friedrich zählte zum Kreis der «Oidoxie Streetfighting Crew», die seinerzeit vorgab, das deutsche «Combat 18» zu repräsentieren. Letztmals in die Öffentlichkeit geriet Friedrich im Jahr 2015, als eine antifaschistische Recherchegruppe einen bevorstehenden Waffendeal auffliegen ließ, bei dem Friedrich einem führenden deutschen «Combat 18»-Mitglied zugesagt hatte, diesem „2 bis 3“ scharfe Schusswaffen zu besorgen. Am 1. Mai 2009 war Ernst zusammen mit sechs weiteren Neonazis aus der Kasseler Neonazi-Szene nach Dortmund gereist und beteiligte sich dort an einem Angriff auf die DGB-Demonstration. Dabei wurde er festgenommen.
Ein ausgestiegener Neonazi warnte in den 2000er Jahren davor, dass Ernst „ein sehr gefährlicher Typ“ sei und wegen eines versuchten oder vollendeten Totschlags zu einer mehrjährigen Haftstrafe verurteilt worden war. Dabei handelt es sich – wie Zeit online meldet – um einen Anschlag auf eine Geflüchtetenunterkunft im hessischen Hohenstein-Steckenrodt im Jahr 1993. Ernst deponierte dort eine Rohrbombe, die von den Bewohner*innen gerade noch unschädlich gemacht werden konnte, bevor sie explodierte. Stephan Ernst war auch 2016 Thema im hessischen Untersuchungsausschuss zur Aufklärung der Verbrechen des «Nationalsozialistischen Untergrunds». Er wurde von der Partei DIE LINKE in einem Beweisantrag als ein Beispiel für gewalttätige Kasseler Neonazis erwähnt. Der Neonazi und V-Mann Benjamin Gärtner bestätigte auf Nachfrage des Abgeordneten Schaus, dass ihm ein „NPD-Stephan“ bekannt sei. Auffallend ist, dass selbst dem Untersuchungsausschuss, der jahrelang die gewalttätige Kasseler Neonazi-Szene durchleuchtete, keine Informationen über den Anschlag in Hohenstein-Steckenrodt zur Verfügung gestellt worden waren, der von einem Neonazi begangen wurde, der spätestens seit Anfang der 2000er Jahre in Kassel wohnte. Die vergangenen Jahre soll Ernst in Süddeutschland gelebt haben. Erst vor kurzem sei er, so heißt es, wieder nach Kassel gezogen.
Es deutet derzeit einiges darauf hin, dass Ernst zum Netzwerk «Combat 18» mindestens Kontakte unterhielt. Möglicherweise war er dort tiefer eingebunden. Eine zentrale Person des deutschen «Combat 18»-Ablegers ist der ehemalige Kasseler Stanley Röske, mit dem Ernst spätestens seit den frühen 2000er Jahren bekannt ist. Exif hat erst im Jahr 2018 seine Recherchen über dieses terroristisch ambitionierte neonazistische Netzwerk offen gelegt. Es ist offensichtlich, dass dieses Netzwerk von Spitzeln verschiedener Behörden und Geheimdienste durchsetzt ist und deswegen seit Jahren von den Behörden, allen voran vom Verfassungsschutz, klein geredet und „an der langen Leine“ laufen gelassen wird.
Alle neuen Erkenntnisse werden in diesem Artikel ergänzt.