Update, 26. Juni 2019
Wie auch die ARD-Sendung Monitor weist Exif darauf hin, dass die Aussage in Zweifel steht, dass es sich bei einem Teilnehmer eines Treffens der Gruppen «Combat 18» und «Brigade 8» im März 2019 im sächsischen Mücka um Stephan Ernst handelt. Ein zweites Gutachten widerspricht den Ergebnissen eines ersten Gutachtens, welches es als „praktisch erwiesen“ ansieht, dass der mittlerweile Geständige Ernst auf den Fotos zu sehen ist. Der Sachverständige des ersten Gutachtens bleibt jedoch bei seiner Beurteilung.
Exif war bei der Fotorecherche auf das Bild gestoßen. Es zeigt eine Person, die signifikante Ähnlichkeit mit Stephan Ernst hat und offensichtlich als Begleiter von Stanley Röske, einer Führungsperson von «Combat 18» Deutschland, auf dem Treffen in Mücka erschien. Da sich Ernst und Röske aus einer langen gemeinsamen Zeit in der Kasseler Neonaziszene unzweifelhaft kennen, galt es zu prüfen, ob es sich bei der Person um Ernst handelt. Exif hatte Monitor auf die Ähnlichkeit hingewiesen. Die Monitor-Redaktion hat das Foto daraufhin von einem anerkannten Sachverständigen überprüfen lassen, der in einem biometrischen Identitätsgutachten es als „praktisch erwiesen“ ansah, dass es sich auf den Fotos um Ernst handelte. Für Exif gab es keinen Grund an der Seriosität des Gutachtens und seines Verfassers zu zweifeln, der als Sachverständiger auch für Gerichte und Sicherheitsbehörden tätig ist.
Der Neonazi Karsten Hitzel aus dem hessischen Lautertal, der seit etlichen Jahren zum Kreis um Stanley Röske zählt, soll mittlerweile an Eides statt versichert haben, die Person auf dem Foto zu sein. Ein zweiter Gutachter hält es für „wahrscheinlich“, dass es sich bei der Person auf den Fotos um Hitzel handelt und die „Nichtidentität“ der abgebildeten Person mit Stephan Ernst für „höchstwahrscheinlich“. Der Sachverständige des ersten Gutachtens hält weiterhin an seiner Beurteilung fest. Welchen Gruppen und Netzwerken Stephan Ernst seit 2009 angehörte, wird Gegenstand weiterer Recherchen sein. Laut Generalbundesanwalt werden weiterhin Verbindungen von Stephan Ernst ins Netzwerk von «Combat 18» ermittelt.
Thorsten Heise, der im internationalen «Combat 18»-Netzwerk eine Art Spirtus Rector ist, verbreitete bereits am Samstag, dass es eine eidesstattliche Versicherung von Karsten Hitzel gebe. Dies verkündete er gegenüber Pressevertreter*innen in Ostritz, wo ein Konzert mit 700 Neonazis stattfand. Es war Heise ein offensichtliches Anliegen, den Verdacht von «Combat 18» wegzulenken. Doch die Gruppe «Combat 18»-Deutschland, der (Nicht-)Umgang der Behörden mit dieser Gruppe sowie Heises Rolle darin, muss weiterhin Thema sein.
Nach Hinweisen von Exif beauftragt das ARD-Magazin Monitor ein Sachverständigengutachten, das es „als praktisch erwiesen“ ansieht, dass Stephan Ernst auf den Fotos eines «Combat 18»-Treffens im März 2019 in Sachsen als Teilnehmer zu erkennen ist.
Am 23. März 2019 trafen sich am Ortsrand von Mücka in Sachsen Neonazis der Gruppen «Brigade 8» und «Combat 18» (C18). Eingerahmt wurde die Zusammenkunft von einem RechtsRock-Konzert, für das unter anderem die «Combat 18»-Bands «Oidoxie» und «TreueOrden» angekündigt waren und an dem letztlich insgesamt ca. 200 Personen teilnahmen. Der Austragungsort war ein Gebäude auf einem Waldgrundstück, dass der neonazistischen Bruderschaft «Brigade 8» als Clubhaus dient.
Bei dem Treffen von «Combat 18» und «Brigade 8» ging es um eine zukünftige engere Kooperation der beiden Gruppen, um eine Vereinigung bzw. um eine „offizielle“ Aufnahme der «Brigade 8» ins «Combat 18»-Netzwerk. Ein Bericht über dieses Treffen findet sich auf der Exif-Homepage. Das Treiben auf dem Grundstück wurde verdeckt dokumentiert, die Bilder sind auf der Homepage von Pixelarchiv einzusehen. Journalist*innen, die vor Ort waren, berichteten davon, dass die Polizei in der näheren Umgebung um das Clubhaus nahezu abwesend war.
Zu dem Treffen war auch Stanley Röske angereist. Er führt eine eigene Sektion der 2012 neu gegründeten Organisation «Combat 18» Deutschland und soll eine Art Europachef im internationalen C18-Netzwerk sein. Über das Netzwerk und besonders über die von Röske geführte Sektion hatte Exif im Juli 2018 ausführlich berichtet. Röske gehört seit vielen Jahren der «Arischen Bruderschaft» des Thorsten Heise an und wohnt seit spätestens Anfang der 2000er Jahre in Kassel bzw. im Kasseler Umland. Er nahm unter anderem am 30. August 2002 zusammen mit Stephan Ernst und ca. 30 anderen Neonazis an einer NPD-Wahlkampfveranstaltung in Kassel teil.
Röskes Auftritt in Mücka kam überraschend, da er erst kurze Zeit zuvor aus der Untersuchungshaft entlassen wurde. Auf Betreiben bayerischer Ermittler*innen war er im Dezember 2018 in Untersuchungshaft genommen worden. Ihm und elf weiteren «Combat 18»-Angehörigen wird der Handel mit verbotenen RechtsRock-CDs und verfassungsfeindlichen Merchandise-Artikeln (u. a. vom in Deutschland verbotenen Netzwerk «Blood & Honour») vorgeworfen. Schnell war jedoch deutlich geworden, dass das Vorgehen der bayerischen Ermittler*innen offenkundig ein Alleingang war, bei dem die Behörden in anderen Bundesländern nicht mitzogen.
Auf den Bildern des Treffens in Mücka ist in ständiger Nähe zu Röske ein Mann mit weißem Cap zu erkennen. Auf Hinweise und den Verdacht von Exif folgend, veranlasste das ARD-Magazin Monitor die Untersuchung der Fotos durch einen Sachverständigen. Dieser kommt in seinem anthropologisch-biometrischen Identitätsgutachten zu dem Schluss, dass es sich bei diesem Mann mit höchster Wahrscheinlichkeit um Stephan Ernst handelt.
Auf dieser Grundlage ist zwingend davon auszugehen, dass Stephan Ernst «Combat 18» zugehörig ist bzw. dass er in engem Kontakt zu dessen „Chef“ Stanley Röske steht. Das rückt den Mordfall Lübcke in ein viel klareres Licht. Denn «Combat 18» Deutschland propagiert seit vielen Jahren neonazistischen Mord und Terror, bildet „seine“ Leute an Schusswaffen aus und labelt sich selbst als „Terrormachine“ der militanten Neonaziszene. Und doch kann C18 in Deutschland seit vielen Jahren an der langen Leine der Sicherheitsbehörden wachsen und gedeihen. Erst im Juli 2018 haben antifaschistische Recherchegruppen in einer ausführlichen Veröffentlichung auf Exif auf die Gefährlichkeit der Gruppe bzw. ihrer Mitglieder hingewiesen und vor möglichen Anschlägen gewarnt. Vom Verfassungsschutz wird «Combat 18» hingegen seit Jahren systematisch klein geredet. Selbst die bloße Existenz der Gruppe gaben die Behörden erst nach Recherchen antifaschistischer Gruppen zu.
In der Exif-Veröffentlichung zu «Combat 18» im Juli 2018 haben die antifaschistischen Recherchegruppen nach Abwägung vieler Fakten und reiflicher Überlegung die These entwickelt, dass «Combat 18» Deutschland nicht nur in hohem Maße mit Spitzeln durchsetzt ist, sondern dass die Organisation dem Verfassungsschutz vermutlich als eine Art „Honeypot“ dient, der militante und terroristisch ambitionierte Neonazis anlocken und bündeln soll, um diese besser zu überwachen oder lenken zu können. Dabei steht selbst Stanley Röske, der seit 20 Jahren ein Abonnement auf Bewährungsstrafen, eingestellte Verfahren und schnelle Entlassung aus der U-Haft hat, bei eigenen Kameraden im Verdacht, für den Geheimdienst zu spitzeln.
Ein weiteres Indiz ist das Verhalten der Polizei in Mücka am 23. März 2019. Sie hielt sich Berichten nach mit wenigen Kräften im Hintergrund, führte – soweit erkennbar – keine Personen- und Fahrzeugkontrollen durch, was angesichts der polizeilichen Datensammelwut bei einem derartigen Event ein sonst übliches Vorgehen wäre. Obwohl auf dem Treffen strafbare Symbole gezeigt wurden (zum Beispiel ein Hakenkreuz auf dem Shirt eines Teilnehmenden) und man in Anbetracht von 200 Teilnehmenden aus der militanten rechten Szene nicht von einer geschlossenen, privaten Veranstaltung ausgehen kann, griff sie nicht ein. Auch im Nachhinein informierte sie nicht über das Treffen. Dies sind deutliche Zeichen dafür, dass die Polizei die Order hatte, das Treffen ungestört stattfinden zu lassen und „den Ball flach zu halten“.
Unabhängig davon, ob die benannte Person tatsächlich Stephan Ernst ist, so ist dies ein weiteres Beispiel dafür wie sich seit Jahren oft ungestört militante und terroristisch ambitionierte Neonazi-Gruppen treffen und Allianzen schmieden. Und dass die Behörden, die darüber sehr wohl informiert sind, dies nicht verhindern.
Nachfolgend des Treffens in Mücka wurde die Vereinigung von «Brigade 8» und «Combat 18» auch optisch vollzogen. So begannen Mitglieder von «Combat 18» Deutschland in einem neuen Outfit aufzutreten: mit Lederwesten („Kutten“) wie man sie aus der Rockerszene kennt und die im Stil der Kutten gehalten sind, wie sie die «Brigade 8» trägt. Als Aufnäher („Patch“) befindet sich auf den Kutten der Spruch „Whatever it takes“, übersetzt: „Was immer auch nötig ist“. Diesen Spruch prägt «Combat 18» seit den 1990er Jahren. Gemeint ist damit, dass im „Kampf gegen das System“ alle Mittel erlaubt sind und eingesetzt werden dürfen bzw. müssen – explizit auch Anschläge und Morde.