Am 25. Februar 2021 wurde das Urteil gegen Theo Weiland, Marco Klingner, Steve Weinhold und Robin Brand am Landgericht Gera gesprochen. Das Gericht sah es als erwiesen an, dass es sich bei der Hooligan-Gruppierung «Jungsturm» aus dem Umfeld des FC Rot-Weiß Erfurt um eine kriminelle Vereinigung handelt. Die politische Ausrichtung der Gruppe spielte dabei weder für die Staatsanwaltschaft noch für das Gericht eine Rolle. Die Angeklagten leugneten zum Teil vor Gericht, dass ihre Taten einen politischen Hintergrund hatten.
Nach insgesamt 22 Verhandlungstagen endete der Prozess gegen die vier Hauptangeklagten im Prozess mit mehrjährigen Haftstrafen. Das Gericht sah es als erwiesen an, dass es sich beim «Jungsturm» um eine kriminelle Vereinigung handelte. Außerdem konnten den Angeklagten mehrere Straftaten in Bezug auf Überfälle auf Fans des FC Carl Zeiss Jena 2018 und 2019 in Saalfeld und Gotha nachgewiesen werden sowie ihre Beteiligung an diversen einvernehmlichen «Ackerkämpfen» gegen andere Hooligans. Im Rahmen des Prozesses wurde vor allem deutlich, wie die Gruppe organisiert ist und sich in der Neonaziszene in Thüringen, Sachsen und Sachsen-Anhalt bewegte. Wenn auch gleich weder im Urteil noch in der Aufarbeitung durch die Staatsanwaltschaft ein politisches Motiv eine Rolle spielte, war die neonazistische Ideologie das Bindeglied der Gruppe.
Die Gründung des «Jungsturms»
Die Staatsanwaltschaft Gera machte in ihrer Anklage den 13. Juli 2014 als Gründungsdatum des «Jungsturm» fest. Bereits im Vorfeld agierte eine Gruppe unter dem Namen «Jungsturm KEF», als Jugendgruppe der Erfurter Hooligans der «Kategorie Erfurt». Zu der damaligen Gruppierung unter der Leitung des KEF-Hooligans Philipp Pritschke, gehörte u. a. der Neonazikader Michel Fischer, welcher vor allem in Weimar und Erfurt aktiv ist. Während die Gruppe vor 2014 als Nachwuchsgruppe der «Kategorie Erfurt» auftauchte, bildete sich ab 2014 unter dem Namen «Jungsturm» eine eigenständige Gruppierung. Zu den Gründungsmitglieder zählen vor allem Neonazis aus dem Ilm-Kreis sowie Erfurt. Zum damaligen Kern der Gruppe gehörten Marco Klingner aus Ilmenau, Steve Weinhold aus Erfurt, Richie Burkhardt aus Sondershausen, Philipp Mittelstedt aus Erfurt, Benjamin Stoye sowie Roy-Peter Kummer aus Ilmenau. Die ersten Jahre des «Jungsturm» waren ebenfalls durch die Führung von Philipp Pritschke aus Erfurt geprägt. Einer der ermittelnden Beamten sagte im Prozess aus, dass die Vergabe des Namens «Jungsturm» durch eine Person erst autorisiert werden musste. Laut Angaben des Ermittlers erfolgte diese durch Pritschke. Diese Führungsrolle soll Philipp Pritschke die ersten zwei Jahre übernommen haben und fungierte als wesentlicher Organisator der ersten «Ackerkämpfe» der Gruppierung. Auch in dieser Zeit zeigte sich Pritschke gerne auf Aufmärschen der Thüringer AfD, zusammen mit weiteren ehemaligen Neonazi-Kadern der «Kategorie Erfurt».
Neue Führungskader – Erste Professionalisierung
Ab 2016 verfällt der Führungsanspruch von Philipp Pritschke. Er selbst spielte jedoch in den weiteren Jahren eine Rolle. Im Prozess gegen die Gruppe wurde Pritschke mehrmals als eine Art Schiedsrichter bei «Ackerkämpfen» benannt und begleitete die Gruppe beispielsweise 2018 nach Sofia, zu einem Besuch bei den befreundeten Neonazi-Hooligans der «Animals» von CSKA Sofia (Bulgarien).
Ebenfalls im Jahr 2016 stieß Theo Weiland zum «Jungsturm» hinzu. Zu diesem Zeitpunkt lebte der gebürtige Saalfelder schon einige Jahre in Halle und arbeitete dort seit 2014 u. a. als Trainer für das Gym «La Familia Figthclub». Dennoch hatte Theo Weiland eine enge Anbindung an die Erfurter Fußballszene und speziell nach Saalfeld. Zusammen mit Marco Klingner übernahm Weiland die Führungsrolle in der Gruppierung und trug nicht nur durch seine Erfahrungen im Kampfsport zur weiteren Professionalisierung der Gruppe bei. Im Sommer 2016 eröffnete Weiland für die Gruppierung ein Konto, auf welchem ab 2017 regelmäßig Mitgliedsbeiträge eingezahlt wurden sind, laut Ermittlungen von Philipp Mittelstedt, Robin Brand aus Waltershausen, Marco Klingner, Dennis Dragewski aus Arnstadt, Steve Weinhold, Richie Burkhardt, Till Maschke aus Amt Wachsenburg, Roy-Peter Kummer und Dominic Brückner aus Ilmenau bzw. Langewiesen. Die einzelnen Zahlungen bewegten sich meist zwischen zehn bis zwanzig Euro pro Monat und waren teilweise mit eindeutigen Szene-Codes als Verwendungszweck versehen. Mittelstedt und auch Weinhold benutzten oftmals «HH/SS/JS» oder «88» als Verwendungszweck für ihre Überweisungen.
Das Geld wurde u.a. für die Vorfinazierung der Fünf-Jahres-Feier am 7. September 2019 in Langewiesen im Ilm-Kreis genutzt. Im Nachgang an die Feier, an der auch Hooligans des 1. FC Lokomotive Leipzig und dem Halleschen FC teilnahmen, wurden insgesamt knapp 1.000 € auf das Konto eingezahlt.
Durch die neuen Führungsrollen innerhalb der Gruppe professionalisierte sich ab 2016 auch das Training sowie die Hooligan-Kämpfe der Gruppe. Zu diesem Zeitpunkt zählte die Gruppe einen harten Kern von zehn Mitgliedern, wobei zu den Gründungsmitgliedern und Theo Weiland noch Robin Brand, Till Maschke und Dominic Brückner dazu stießen. Im Vorfeld der «Ackerkämpfe» sprachen sich Theo Weiland und Marco Klingner ab, wie aus diversen im Prozess offengelegten Chatprotokollen ausgeht. In Telegram-Gruppen, welche der «Jungsturm» nutzte, sollten sich potenzielle Kämpfer für «Ackerkämpfe» in Listen eintragen. Im Anschluss tauschten sich Weiland und Klingner über Aufstellung und Taktik aus. Aus diesen Listen und Chats wurde beispielsweise ermittelt, dass am Kampf gegen Hooligans von Rot-Weiß Essen am 22. Oktober 2016 Marco Klingner, Eric Holzhey aus Saalfeld, Philipp Mittelstedt, Steve Weinhold, Benjamin Stoye, Theo Weiland, Till Maschke und Roy-Peter Kummer kämpften. Robin Brand, welcher unter seinem Spitznamen «Francesco» auftaucht, sollte als potenzieller Ersatzkämpfer mitfahren. Ein weiterer Kampf der Gruppe soll im Dezember 2016 gegen Kieler Hooligans stattgefunden haben.
Anwärterphase und Treffpunkt in Neonazi-Immobilie
Während die Gruppe sich durch die Leitung von Weiland und Klingner im Bereich der «Ackerkämpfe» taktisch und sportlich weiterentwickelte, wuchs auch die Infrastruktur der Gruppe. Dabei fungierte Richie Burkhardt als «kreativer Kopf» der Gruppe. Er organisierte den Druck und das Malen der Zaunfahnen und entwarf Grafiken für Aufkleber und Klamotten des «Jungsturm». Letztere durften nur Mitglieder der Gruppe tragen. Im Rahmen der Durchsuchungen am 28. April 2020 wurden auch die Privaträume von Burkhardt in Sondershausen durchsucht. Dort entdeckten die Ermittler, neben diversen Aufklebern der Gruppe und Hakenkreuzmotiven, auch einen Laptop mit sämtlichen Videos der «Ackerkämpfe» des «Jungsturm», zum Teil mit Bildern der jeweiligen Gruppen vor und nach dem Kampf. Alle Videos wurden dabei von Richie Burkhardt zu einer Videocollage anlässlich der Fünf-Jahres-Feier zusammengeschnitten. Ebenfalls fanden die Ermittler bei ihm Boarding-Pässe für einen Flug nach Bulgarien, wo der «Jungsturm» mehrmals die Neonazi-Hooligans der Gruppe «Animals» von CSKA Sofia besuchte.
Ab 2018 wurde eine „Anwärterphase“ in der Gruppe eingeführt sowie das Training erweitert und die ersten organisierten Angriffe auf Fans des FC Carl Zeiss Jena geplant. Zu den Anwärtern gehörten ab 2018 die Saalfelder Neonazis Eric Holzey sowie Felix Reck und Marius Mösch. Im Laufe des Jahres kam der Eisenacher Neonazi Kevin Noeske als Anwärter hinzu.
Im selben Jahr gab es mehrere „Ackerkämpfe“ der Gruppe, beispielsweise am 11. Februar gegen Hooligans aus Bielefeld und am 29. Juli gegen Hooligans aus Koblenz. Im Nachgang des Kampfes gegen die Koblenzer tauschten sich Marco Klingner und Erik Marhula in einem Chat über einen der Kämpfer aus. Dabei ging es um Florian Volkmer, welcher mit Marhula im Gym «La Familia Fightclub» in Erfurt trainierte. Marhula wollte wissen, wie sich Volkmer geschlagen habe bei dem Kampf. Neben Volkmer sollen Robin Brand, Theo Weiland, Steve Weinhold, Eric Holzhey, Philipp Mittelstedt sowie Till Maschke gekämpft haben. Auch Paul Hoffmann, der den Hooligans des 1. FC Lokomotive Leipzig zugerechnet wird, soll an diesem Kampf teilgenommen haben. Immer wieder halfen Hooligans befreundeter Gruppen bei Kämpfen des «Jungsturm» aus. Umgekehrt unterstützte beispielsweise Robin Brand die rechten Schläger aus Leipzig bei Kämpfen gegen Hooligans aus Dortmund und Basel. Gemeinsam trainierten Mitglieder und Anwärter des «Jungsturm» immer wieder beim «Imperium Fight Team» um den rechten Hooligan Benjamin Brinsa in Leipzig.
Einen eigenen Trainingsraum hatte sich die Gruppe in der Neonazi-Immobilie «Erlebnisscheune» / «Veranstaltungszentrum Erfurter Kreuz» in Kirchheim in Thüringen eingerichtet. Der dort wohnhafte Marcel Thomas gehört dabei nicht nur zu den engsten Freunden von Marco Klingner, sondern ist der Schwiegersohn des Betreibers Rainer Kutz. Gemeinsam mit Klingner soll Thomas dort bereits 2013 einen Boxring aufgebaut haben, wo später Trainings und Treffen der Gruppe abgehalten worden. Organisiert wurde das Training über eine eigene Chatgruppe namens „Gruppenboxen“, welche von Marco Klingner und Marcel Thomas verwaltet worde. Die ermittelnden Behörden gingen davon aus, dass es sich bei dem Trainingsraum in der Neonazi-Immobilie gleichzeitig um den Gruppenraum des «Jungsturm» handelte. Bei den Durchsuchungen am 28. April 2020 wurden dort mehrere Baseballschläger, Messer und Pfefferspray sichergestellt.
Brutale Angriffe auf gegnerische Fußball-Fans
Ein erster, koordinierter Angriff durch den «Jungsturm» erfolgte am 7. Dezember 2018 in Saalfeld. Ziel des Angriffs sollte die Ultra-Gruppe «Jena Branco» aus Saalfeld sein, die den Ultras der «Horda Azzuro» des FC Carl Zeiss Jena zugerechnet wird. Die Vorbereitung des Angriffs übernahmen «Jungsturm»-Anwärter, darunter Marius Mösch. Er kundschaftete die örtlichen Gegebenheiten aus und fungierte als Kontaktperson zu anderen Gruppen der Erfurter Fanszene. Der Saalfelder Neonazi Felix Reck war derweilen mit dem Ausspähen am Bahnhof betraut. Er sollte die Fußballfans aus Saalfeld bei ihrer Anreise zum Heimspiel beobachten, um zu erahnen, wie viele potenzielle Gegner bei der Rückreise angegriffen werden können. Der Angriff erfolgte am selben Abend, traf allerdings nicht die Ultras, sondern einfache Jena-Fans. Diese wurden zum Teil bewusstlos geprügelt, sexistisch beleidigt und um einiger Fan-Utensilien beraubt. Bei späteren Ermittlungen wurden Chatnachrichten gefunden, in denen Theo Weiland andere «Jungsturm»-Mitglieder aufforderte Streife zu fahren, um Mitglieder von «Jena Branco» doch noch zu erwischen. Außerdem versendete er Bilder einer geraubten Fan-Mütze u.a. an Heike Hutsch aus dem Vorstand des «La Familia Fightclub» in Halle.
Generell entwickelte sich in dieser Zeit Saalfeld zu einem Schwerpunkt der Angriffe auf Fans des FC Carl Zeiss Jena und Linke, durch die selbe Personengruppe. Diese kommunizierte u.a. über eine Chatgruppe namens „Burger und Nutten“, in der sich Felix Reck, Eric Holzhey und Marius Mösch über politische Gegner und Jena-Fans austauschten. Eine Ermittlerin sprach im Prozess in Gera gar von einer Art Liste, die Felix Reck habe, die er abarbeiten würde. Wie offenbar am 3. Januar 2019, als Reck und Holzhey eine Person vor einer Kneipe in Saalfeld überfielen, die allgemein als Treffpunkt der linken Szene gilt. Im Rahmen der darauf folgenden Ermittlungen wurden die Telefone der beiden Neonazis sichergestellt und erste Hinweise auf eine Beteiligung am Übergriff am 7. Dezember 2018 am Bahnhof in Saalfeld gefunden.
Ein weiterer organisierter Angriff ereignete sich am 22. Februar 2019 in Saalfeld-Gorndorf. Dort trafen sich junge Fans des FC Carl Zeiss Jena in einem Bowlingcenter. Im Vorfeld hatten Eric Holzhey und Marius Mösch die Gegebenheiten ausgekundschaftet und Marco Klingner sowie Theo Weiland organisierten weitere potenzielle Angreifer. Aus einem Chat zwischen Marius Mösch und Marco Klingner geht hervor, dass aus Saalfeld fünf Personen, vom «Jungsturm» acht, von «Südthüringen» weitere fünf Personen sowie ein Auto aus Halle von Theo Weiland gestellt werden. Im Nachgang des Angriffs schrieb Theo Weiland u.a. mit Anne Blaue aus Halle, der Freundin des ehemaligen Kaders der Neonazi-Partei «Der III.Weg» Martin Bissinger, dass „Jena/Antifa“ richtig kassiert habe. Dazu wurde ein Bild eines blutigen T-Shirts von Robin Brand verschickt, an dem das Blut von „Gegnern“ klebe. Die Beteiligung an dem Angriff gestanden Theo Weiland und Robin Brand vor Gericht.
Bemerkenswert ist an der Chat-Kommunikation mit Anne Blaue, dass sowohl Weiland, als auch Martin Bissinger in den letzten Jahren stets den Eindruck erwecken wollten, keine politischen Bezüge gehabt zu haben. Die Bezeichnung der Betroffenen des Überfalls als „Jena/Antifa“ durch Weiland spricht Bände, wie auch dass er dies stolz den Bissingers, seinen Trainingspartnern im «La Familia Fightclub» in Halle, mitteilen musste. Schließlich stellt sich Martin Bissinger seit Jahren als geläuterter „Aussteiger“ dar und bestritt vehement, Verbindungen in die rechte Szene in Halle zu unterhalten. Ihm und seiner Partnerin wurden in Halle schon mehrfach Kontakte zur «Identitären Bewegung» nachgesagt.
Fünf Jahre «Jungsturm»
Das Jahr 2019 war eines der aktivsten des «Jungsturm». Bereits im Mai bestritt die Gruppe zwei „Ackerkämpfe“, darunter einen gegen die «Brigade Nassau», eine Hooligangruppe der SG Eintracht Frankfurt. Der Kampf, welcher als U25-Kampf ausgemacht wurde, hatte für den «Jungsturm» eine große Bedeutung, schließlich gilt die Frankfurter Hooliganszene als äußert schlagkräftig. An diesem Kampf nahmen Philipp Mittelstedt – der den Kampf mit einem Hitlergruß begann und auf dessen T-Shirt eine „88“ prangte – Robin Brand, Theo Weiland, Marco Klingner, Dennis Dragewski, Roy-Peter Kummer, Till Mascke, Hannes Pfuller, Marcel Thomas, Paul Hoffmann aus Leipzig und Felix Reck teil. Im Nachgang dieses Kampfes brüstete sich die Gruppe immer wieder mit ihrem Sieg und prahlte regelrecht mit den erlittenen Verletzungen. Als Fahrer zu dem Kampf in Hessisch-Lichtenau fungierten dabei Michael Strauß, Rene Triebel und Thomas Zimmermann aus Erfurt. Auf diesen Kampf folgte ein «Fünf gegen Fünf» gegen Hooligans des SV Babelsberg 03 aus Potsdam. Daran beteiligten sich Theo Weiland, Marco Klingner, Dominic Brückner und Dennis Dragewski sowie ein „Köthen Hannes“.
Am 8. Juni 2019 beteiligte sich Robin Brand zudem als Kämpfer am Neonazi-Kampfsportevent «TIWAZ» in der Nähe von Zwickau. Gemeinsam mit Vertretern der Eisenacher Neonaziszene und Angehörigen der Fan-Gruppe «Südthüringen» reiste der «Jungsturm» mit seinen Anwärtern fast geschlossen an.
Nur knapp eineinhalb Monate später ereignete sich ein weiterer Überfall auf Fans des FC Carl Zeiss Jena am Bahnhof in Gotha. Diese befanden sich auf der Rückreise von einem Auswärtsspiel in Münster. Bei einem knapp zehn minütigen Aufenthalt in Gotha griffen um die 40 Vermummte die Fans aus Jena an, wobei mehrere Personen zum Teil schwer verletzt worden, Fan-Utensilien entwendet und eine Gürteltasche samt Telefon und Portmonee geraubt worden ist. Ein Teil dieser Sachen wurde wenige Tage später an Fans aus Jena zurückgegeben, u.a. durch Theo Weiland, Marco Klingner und Till Maschke sowie eine weitere Person aus der Erfurter Fanszene. Bei späteren Durchsuchungen wurden geraubte Gegenstände aber auch bei Robin Brand gefunden.
Im September 2019 feierte der «Jungsturm» sein fünfjähriges Bestehen in Langewiesen und lud dazu befreundete Hooligans aus Leipzig und Halle ein. Neben Essen und Trinken, laut Einladung „alles was das ostdeutsche Männerherz begehrt“, fanden einzelne Kämpfe von Mitgliedern des «Jungsturm» gegen auswärtige Hooligans statt.
Wenige Wochen später begannen die Ermittlungen der Polizei wegen des Verdachts der Bildung einer kriminellen Vereinigung nach § 129 StGB. Damit einher gingen erste Durchsuchungen bei Theo Weiland in Halle und Saalfeld, Steve Weinhold in Erfurt und Felix Reck in Saalfeld. Im Zuge dessen wurde Reck am 29. Oktober 2019 verhaftet und sitzt seit dem im Gefängnis. Er wurde später u.a. wegen diverser rechtsmotivierter Angriffe in Saalfeld angeklagt.
«Jungsturm» im Fokus der Ermittlungen
Spätestens seit den Ermittlungen und Durchsuchungen im Oktober 2019 war der Gruppe bewusst, dass gegen sie ermittelt wird. In mehreren abgehörten Telefonaten wurde zu diesem Zeitpunkt eine mögliche Auflösung zwar diskutiert, aber schnell wieder verworfen. Zu viel habe man in den Ruf des «Jungsturms» investiert. Lieber wolle man den Kern der Gruppe klein halten, das Umfeld erweitern und konspirativer agieren, wie aus einem Telefonat zwischen Robin Brand und Marco Klingner hervorgeht. Bereits kurz nach der Verhaftung von Felix Reck organisierte Robin Brand in Absprache mit Marcel Thomas ein erstes Krisentreffen der Gruppe in der Neonazi-Immobilie in Kirchheim. Im Zuge des Treffens und der Überwachungsmaßnahmen seitens der Polizei, wurden weitere Ermittlungsverfahren eingeleitet. Ende 2019 liefen diese gegen Theo Weiland, Steve Weinhold, Eric Holzhey, Felix Reck, Roy-Peter Kummer, Marco Klingner, Dominic Brückner, Robin Brand, Till Maschke, Benjamin Stoye und Kevin Noeske. Am 19. Dezember 2019 feierte die Gruppe noch gemeinsam eine Weihnachtsfeier im Objekt in Kirchheim.
Im Januar 2020 erweiterten die Ermittlungsbehörden den Kreis des Verfahrens auf Philipp Mittelstedt, Dennis Dragewski, Marcel Thomas und Richie Burkhardt. Mittels Observationen folgte die Polizei der Gruppe zum Teil zu weiteren Trainingseinheiten in Kirchheim, wie beispielsweise am 12. Januar 2020, woran Theo Weiland, Philipp Mittelstedt, Marco Klingner, Dominic Brückner, Robin Brand, Benjamin Stoye und Roy-Peter Kummer teilnahmen.
Ein letztes größeres Treffen des «Jungsturms» vor den Durchsuchungen und Verhaftungen im April 2020 fand am 7. Februar 2020 in Kirchheim statt. An diesem Tag hatte der seit Oktober 2019 inhaftierte Felix Reck Geburtstag. Dies nahm die Gruppe zum Anlass, gemeinsam in Kirchheim zu trainieren und anschließend in ein Steakhouse in Erfurt essen zu gehen. Die Polizei observierte auch dieses Treffen und ging davon aus, aufgrund der Bedeutung der Inhaftierung von Felix Reck, die wichtigsten Personen der Gruppe bei diesem Treffen identifizieren zu können. Bei diesem Treffen versammelte sich der Kern der Gruppe sowie weitere Anwärter und das Umfeld des «Jungsturms». Zu diesem Kern zählten Theo Weiland, Marco Klingner, Dominic Brückner, Benjamin Stoye, Robin Brand, Richie Burkhardt, Till Maschke, Philipp Mittelstedt, Steve Weinhold, Roy-Peter Kummer, Marcel Thomas, Thomas Zimmermann und Dennis Dragewski. Weiterhin waren die «Jungsturm»-Anwärter Eric Holzhey, Marius Mösch und Kevin Noeske anwesend. Hinzu kam das weitere Umfeld der Gruppe mit Eric Marhula, Matthias Pollendt aus Mühhausen, Michael Strauß, Philipp Schmidt und Rene Triebel.
Am 28. April 2020 folgten weitere Durchsuchungen in Bad Tabarz, Saalfeld, Erfurt, Halle und Ilmenau sowie Sondershausen. Dabei wurden die Wohnungen von Theo Weiland, Steve Weinhold und Marco Klingner durchsucht, welche am selben Tag noch in Untersuchungshaft genommen worden sind. Weitere Durchsuchungen gab es bei Roy-Peter Kummer in seiner Ilmenauer Wohnung sowie in seinem Zimmer in der Kaserne der Bundeswehr in Bad Salzungen. Weitere Durchsuchungen im Ilm-Kreis gab es bei Philipp Schmidt in Ilmenau, Dominic Brückner in Langewiesen und Till Maschke in Amt Wachsenburg sowie im Objekt in Kirchheim bei Marcel Thomas. In Bad Tabarz wurde die Wohnung von Robin Brand durchsucht, in Halle und Saalfeld von Theo Weiland, in Sondershausen von Richie Burkhardt und in Erfurt bei Steve Weinhold und Philipp Pritschke. Besonders brisant ist eine Aussage des leitenden Ermittlers im Prozess am 12. November 2020 vor dem Landgericht in Gera. Dieser sagte aus, dass die Telekommunikationsüberwachung ergab, dass der «Jungsturm» vorgewarnt wurde. Die Polizei entschied sich deshalb schnell zu handeln, da bereits Aufrufe kursierten, Beweise zu vernichten. Die eigentlichen Durchsuchungen waren für einen wesentlich späteren Zeitpunkt geplant gewesen. Woher die Warnung an die Neonazi-Hooligans letztlich genau kam wurde im Prozess gegen die Gruppe nicht geklärt.
Wenige Monate später erfolgte die Festnahme von Robin Brand, da dieser versuchte Beweise zu vernichten, und aufgrund von verschleierten Geldzahlungen an Felix Reck, um diesen in Haft zu unterstützen. Von Robin Brand stammte auch der Aufruf an andere Mitglieder des «Jungsturm» nicht zum bevorstehenden Prozess zu erscheinen und die Füße still zu halten, damit der Vorwurf der kriminellen Vereinigung nicht untermauert werde. Am 12. November 2020 begann schließlich der Prozess gegen die vier Hauptangeklagten.
Neonazis vertreten Neonazis vor Gericht
Die Verteidigung der vier Angeklagten bestand zum Großteil aus erfahrenen, in der Neonaziszene beliebten Rechtsanwälten. Marco Klingner wurde von den Rechtsanwälten Beisenbusch und Alexander Held vertreten. Held aus Schmalkalden vertrat in der Vergangenheit eine Reihe an Neonazis, darunter Albert Reimann in 2010, zum Zeitpunkt Mitglied im «Freien Netz Borna-Geithain», nachdem dieser einen 15-Jährigen mittels Tritten und Schlägen schwer verletzte. Immer wieder übernahm Held zudem die Terminvertretung von Wolfram Nahrath im NSU-Prozess. Nahrath, ehemaliger Vorsitzender der verbotenen Wiking-Jugend und NPD-Funktionär, vertrat im Prozess den Mitangeklagten Ralf Wohlleben.
Weitere Vertretungen von Neonazis durch Held folgten im Prozess um den Angriff auf eine Kirmesgesellschaft in Ballstädt im Landkreis Gotha 2014, sowie im Prozess gegen die Gruppe «Revolution Chemnitz», wie auch gegen die «Freie Kameradschaft Dresden». Darüber hinaus fungierte Held als Referent am Bildungszentrum der Thüringer Polizei in Meiningen.
Auch Steve Weinhold wurde von bekannten Szeneanwälten vertreten: Jan Pinkes und Peter Tuppat aus Jena. Beide vertraten bereits im Prozess gegen die Gruppe «Oldschool Society» wegen Bildung einer terroristischen Vereinigung, den vom Gericht ausgemachten Rädelsführer Markus Wilms aus Borna. Im Prozess gegen die Gruppe «Revolution Chemnitz» war Jan Pinkes ebenfalls als Verteidiger aktiv.
Die Verteidigung von Robin Brand bestand aus Rechtsanwalt Alexander Dann aus Erfurt und Artak Gaspar. Beide sind im «Thüringer Strafverteidigerbüro» angesiedelt, welches Anfang April 2019 noch mit dem Neonazi-Anwalt Maik Bunzel aus Cottbus zusammen arbeitete. Bunzel war Sänger der RechtsRock-Band «Hassgesang». Brands Rechtsanwalt Dann ist außerdem Sponsor des «La Familia Fightclub» in Erfurt, wo bekanntlich auch Florian Volkmer und Erik Marhula trainieren. Volkmer kämpfte selbst für den «Jungsturm» auf dem Acker, während Erik Marhula zum engen Umfeld der Neonazi-Hooligans zählt. Führungskader des «Jungsturm» traten bereits in der Vergangenheit als Security für Veranstaltungen des Erfurter Gym auf, beispielsweise bei der «5. Coming Stars Fight Night» in Erfurt Stotternheim im Oktober 2019.
Entpolitisierung einer Neonazigruppe
Aus der Prozessdokumentation lässt sich entnehmen, dass sowohl bei der Urteilsverkündung am 25. Februar 2021 sowie unzähligen Prozesstagen im Vorfeld, das Gericht und die Staatsanwaltschaft die Taten der Gruppe versuchten zu entpolitisierten. Selbst bei der Urteilsverkündung betonte der vorsitzende Richter, dass dieses Urteil nicht politisch motiviert sei und Hooligans vom FC Carl Zeiss Jena genauso behandelt werden würden. Doch die im Prozess offengelegten Ermittlungsergebnisse, als auch die weitreichende Vernetzung der einzelnen Kader des «Jungsturms» zeigen, dass die neonazistische Ideologie das Bindeglied der Gruppe war und klar ihre Feindbilder bediente.
Auf einem beschlagnahmten Telefon von Theo Weiland fanden die Ermittler eine Datei mit dem Namen „Richie RWE JS Erfurt“. Dies beinhaltete eine Art Selbstdarstellung der Gruppe oder Interview. Darin wird beschrieben, dass der «Jungsturm» das Ziel habe mindestens vier Kämpfe im Jahr durchzuführen. Außerdem findet sich darin ein Bericht zur Reise nach Sofia und dem Besuch der dortigen rechten Hooligan-Gruppe «Animals». Die Antwort auf die Frage, wer zu den Feinden der Gruppe gehöre, wird vor Gericht verlesen. Darin heißt es „Jena, Antifa, Schwuchteln und andere Untermenschen“.
Bei diversen Hausdurchsuchungen fanden sich zudem eindeutige Bezüge zur Neonaziszene. Bei den Durchsuchungen bei Steve Weinhold in Erfurt fanden die Ermittler mehrere Hakenkreuzfahnen, Abbildungen von Adolf Hitler und Aufkleber mit Bezügen zur Neonaziszene. Ebenfalls ein Transparent der «Freien Kräfte Erfurt» wurde bei Weinhold gefunden sowie mehrere indizierte RechtsRock-CDs. Bei anderen Mitgliedern wurden antisemitische Aufkleber gegen die Fanszene der BSG Chemie Leipzig und des FC Carl Zeiss Jena gefunden. Bei mehreren Übergriffen, wie beispielsweise am 22. Februar 2019 in Saalfeld-Gorndorf, gaben mehrere Zeugen an, dass die Täter Sturmhauben in schwarz-weiß-roten Farben trugen. Mehrere solche Sturmhauben wurden bei Durchsuchungen gefunden.
In überwachten Telefongesprächen mit dem inhaftierten Felix Reck, welcher sich immer wieder illegal Telefone in der JVA Tonna besorgen konnte, ärgerten sich «Jungsturm»-Mitglieder über die Durchsuchungen und Ermittlungen gegen die Gruppe, da dies vor allem in Jena und in der eigenen Kurve die Linken freuen würde. Auf diversen sichergestellten Telefonen finden sich Bilder mit eindeutigem Bezug zur Neonaziszene. Marco Klingner präsentiert auf einem Bild Eintrittskarten für das «Rock gegen Überfremdung» im Südthüringischen Themar 2017, vor einer Hakenkreuzfahne. Weitere Bilder zeigen beispielsweise Marius Mösch mit Hitlergruß und Stahlhelm oder Theo Weiland in einer roten Sturmhaube mit einem Hakenkreuz. Auch von Felix Reck fanden sich solche Fotos, welche im Prozess gezeigt worden. Darunter befand sich u.a. ein Bild von Reck mit einer Pistole sowie ein weiteres Bild mit einem zerstörten Wahlkampfplakat der Landtagsabgeordneten der Partei Die Linke, Katharina König-Preuss. Weitere Chatnachrichten belegen, dass Felix Reck ein linkes Zentrum in Saalfeld auskundschaftete für einen möglichen Angriff, da sich dort linke Fußballfans des FC Carl Zeiss Jena trafen. Weiterhin spähte Reck systematisch politische Gegner und gegnerische Fußballfans aus, wobei es dabei für ihn sehr oft Überschneidungen gab. Generell wurden die Gegner vom FC Carl Zeiss Jena als „Juden“ betitelt.
Bevor die Gruppe regelmäßig im bundesweit bekannten Neonazi-Treffpunkt in Kirchheim trainierte, verabredeten sie sich ab 2016 immer wieder zu Trainingseinheiten im damaligen Neonazi-Zentrum in der Stielerstraße 1 auf dem Herrenberg in Erfurt-Südost. Dieses wurde vom damaligen «Volksgemeinschaft e.V.», später «Neue Stärke e.V.», vom Neonazikader und ehemaligen «Kategorie Erfurt» Hooligan Enrico Bicyszko bis 2020 betrieben.
Auch die Vernetzung der einzelnen Mitglieder zeigt, inwiefern die Gruppierung mit der Neonaziszene verwoben war. Bei einem Prozess am 9. Januar 2020 vor dem Amtsgericht Rudolstadt gegen Felix Reck, unterstützte ihn eine größere Delegation des «Jungsturms» sowie Vertreter der Neonazi-Bruderschaft «Turonen/Garde20». Angehörige letzterer Gruppierung wurden erst jüngst durchsucht, wobei Waffen und Drogen sichergestellt worden. Sie ist Teil des europaweiten Netzwerks von «Blood & Honour» bzw. dessen bewaffneten Arm «Combat18» (C18). Beim Prozess gegen Reck im Januar 2020 begrüßten u.a. Theo Weiland und Marco Klingner freundschaftlich Vertreter dieser Gruppe, etwa Maximilian Warstat und David Heinlein.
Ein ähnliches Szenario entwickelte sich bei weiteren Verhandlungstagen gegen Felix Reck vor dem Amtsgericht Rudolstadt ab dem 9. Juli 2020. Die «Turonen/Garde20» sind jedoch nicht der einzige Link des «Jungsturm» in rechts-terroristische Strukturen. Denn auch die bulgarischen Gruppen «Animals» und «Offenders» um den Fußballclub CSKA Sofia sparen nicht mit Bekenntnissen zu C18. „Whatever It Takes“ prangt auf den T-Shirts der «Animals», der Leitspruch von C18. Flaggen mit dem Schriftzug des militanten Netzwerks finden sich zudem auf Konzerten und Partys, die von den bulgarischen Hooligans organisiert worden.
Eine stetige Verbindung ins rechte Hooligan-und Neonazi-Milieu, vor allem in Ostdeutschland, unterhielt letztlich Theo Weiland, nicht zuletzt durch seine Rolle beim «La Familia Fightclub» in Halle. Dort trainierte er in der Vergangenheit mehrfach Neonazis, etwa den Dortmunder Franz Pauße, in Vorbereitung auf dessen Kampf beim extrem rechten «Kampf der Nibelungen» 2017. Auch Weilands Tätigkeiten als Model für die Modemarke «Label23», kurz vor seiner Inhaftierung, bekräftigen seine Einbindung in die bundesweiten Strukturen der extremen Rechten. «Label23» gilt schließlich als eines der wichtigsten Glieder im Finanzkreislauf der «Kampfgemeinschaft Cottbus» – ein militantes Neonazi-Netzwerk, u.a. bestehend aus Kampfsportlern, Rockern und Hooligans.
Grundlegendes Ziel des «Jungsturm» war es als Hooligan-Gruppe gegnerische Fußballszenen anzugreifen und zum Teil schwer zu verletzten. So die schnöde Theorie. Dass die Gewalt durch die Gruppe aber eben nicht nur einvernehmlich auf dem „Acker“ stattfand oder sich die Angriffe auf Fans des FC Carl Zeiss Jena im politisch luftleeren Raum abspielten, zeigen nicht nur die antisemitischen, rassistischen und homophoben Bekenntnisse des «Jungsturm» gegenüber ihrem Gegner.
Auch die Beteiligung von Marco Klingner, Benjamin Stoye und Dominic Brückner an dem koordinierten Angriff auf den alternativen Leipziger Stadtteil Connewitz am 11. Januar 2016 stößt in eine ähnliche Richtung. Damals hatten rund 220 Neonazis und rechte Hooligans verschiedener, befreundeter Fanszenen ihr Netzwerk genutzt, um im Leipziger Süden etliche Kneipen und Geschäfte erheblich zu beschädigen. Dabei erhofften sich einige der später Festgenommenen auch körperliche Auseinandersetzungen mit den (antirassistischen) Fans der BSG Chemie Leipzig, sowie mit der „Antifa“ im Allgemeinen. Ein politisch enorm aufgeladener Angriff und alles andere als ein „faires Match“, was Gruppen wie «Jungsturm» gern vorgeben zu suchen.
Am Ende ist und bleibt der «Jungsturm» eine Hooligangruppe bestehend aus Klientel der organisierten Neonazi-Szene. Mittels Gewalt sollte eine Dominanz erzwungen und die eigene rechte Ideologie durchgesetzt werden – auch wenn das Gericht dies aus ihrer Betrachtung und letztlich aus dem Urteil versuchte fernzuhalten.