In der Nacht vom 27. auf den 28. April 2020 durchsuchten rund 100 Beamte mehrere Objekte in Thüringen und Sachsen-Anhalt. Gegen mehrere Männer der extrem rechten Hooligangruppierung «Jungsturm» des FC Rot-Weiß Erfurt (RWE) wird wegen des Verdachts auf Bildung einer kriminellen Vereinigung ermittelt. In den Städten Saalfeld, Rudolstadt, Bad Blankenburg, Erfurt, Kirchheim, Sondershausen und Halle wurden verschiedene Beweismittel wie Fußballfanartikel, Datenträger und Sturmhauben sicher gestellt. Darüber hinaus nahm die Polizei drei Männer im Alter von 26 bis 28 Jahren fest, die an mehreren Gewalttaten des «Jungsturms» beteiligt gewesen sein sollen. Dabei handelt es sich mutmaßlich um Theo Weiland, Marco Klingner und Steve Weinhold.
Die Razzia in Kirchheim galt dabei der Infrastruktur der Hooligan-Gruppe, die die Ermittlung im Veranstaltungszentrum «Erlebnisscheune/Erfurter Kreuz» verorten. Das Objekt gilt seit mehreren Jahren als Austragungsort für RechtsRock-Konzerte und wird vor allem von der Neonazi-Kleinstpartei «Der III. Weg» für größere Events genutzt. Deren Parteikader Enrico Biczysko und Michl Fischer waren ebenfalls als Schläger der Erfurter Hooliganszene bekannt.
Nach bisherigen Stand der Ermittlungen soll sich der «Jungsturm» in Kirchheim getroffen und zu Straftaten verabredet haben. In diesem Fall dürfte es sich in erster Linie um die Körperverletzungsdelikte handeln, die sie als Hooligangruppe begangen haben. Denn die sogenannten „Ackerkämpfe“ der Hooligans sind, trotz gegenseitigem Einverständnis, strafrechtlich verfolgbar. Vieles deutet darauf hin, dass der «Jungsturm» in Kirchheim dafür eigene Trainingsräume unterhält. Mitglieder der Gruppe posierten schließlich mehrfach in einem bisher unbekannten Raum, der provisorisch mit Matten und diversen Trainingsgeräten ausgestattet ist. Den Fachwerkbau dieser Räumlichkeit findet man so auch in anderen Räumen des Szeneobjekts in Kirchheim. Dass dort natürlich nicht nur für Kämpfe unter Hooligans trainiert wurde liegt auf der Hand, in Anbetracht der Aktivitäten der Gruppe in der organisierten Neonazi-Szene.
Neonazischlägertruppe «Jungsturm»
Die Gruppe «Jungsturm», die auch als «Fightclub Riot Sport Crew – Rot Weiss Erfurt» auftritt, wurde 2014 ins Leben gerufen, hauptsächlich aufgebaut durch die Neonazis Marco Klingner, Philip Mittelstedt und Steve Weinhold. Die rechte Hooligangruppe sieht sich als Nachwuchs der «Kategorie Erfurt» (KEF), weshalb auch häufig die Bezeichnung «Jungsturm KEF» Benutzung findet. Der «Jungsturm» besteht im Kern aus bis zu zehn Personen und kann auf ein Unterstützer-Netzwerk mit bis zu zwanzig Personen zurückgreifen.
Neben Weiland, Klingner und Weinhold gehören Dennis Dragewski, Thomas Zimmermann, Robin Brandt, Dominic Brückner und Jean-Pascal Orphal dem Kern der Hooligan-Gruppe an. Auch Felix Reck wird dem «Jungsturm» zugerechnet. Er muss sich aktuell in Rudolstadt wegen fünfzehn Delikten vor Gericht verantworten. Darunter zählen Überfälle auf Fans des FC Carl Zeiss Jena und diverse Angriffe auf Antifaschist:innen. Zum Prozess erschienen am Morgen des 28. April zahlreiche «Jungsturm»-Mitglieder wie etwa Robin Brandt, sowie der Führungskader der neonazistischen Bruderschaft «Turonen», Thomas Wagner. Auch der Bruder von Theo Weiland erschien zu Reck‘s Prozess und beschwerte sich über die Razzia bei seinem Bruder um 4 Uhr Nachts, ausgerechnet an dessen Geburtstag.
Jenseits der Aktivitäten in der deutschen Neonazi-Szene, ist der «Jungsturm» auch international in ein neonazistisches Netzwerk eingebunden. Besonders gute Verbindungen pflegt die Gruppe vor allem zu den Neonazi-Hooligans des Fußballclubs CSKA Sofia, die unter dem Namen «Animals» auftreten. Mehrmals besuchten Mitglieder des «Jungsturm» die Neonazi-Hooligans in Bulgarien. So waren Marco Klingner, Theo Weiland, Steve Weinhold, Philip Mittelstedt und Thomas Zimmermann etwa im November 2018 in Sofia zu Gast. Die bulgarischen Neonazis der Gruppe «Animals» werden dem «Blood & Honour/Combat 18»-Netzwerk zugerechnet.
Die drei Festgenommenen
Der 26-jährige Theo Weiland stammt aus Saalfeld und lebt heute in Halle (Saale). Dort ist er Trainer und Teil des Kämpfer:innenteams des «La Familia Fightclub». Er betreut dabei auch mindestens eine Kindergruppe und ist in die Organisation der jährlich stattfindenden, rechtsoffenen «La Familia Fightnight» eingebunden. Weiland ist aber nicht nur ein angesehener Lokalmatador, sondern auch Deutscher Meister des Kickbox-Verbandes WKU. Zudem wird er von der Bekleidungsmarke «Label 23» gesponsort, die in der extrem rechten Ultra-und Hooliganszene in Cottbus beheimatet ist.
In der Vergangenheit wurde mehrfach auf die Bedeutung von Theo Weiland für die Neonazi-Kampfsportszene hingewiesen, vor allem hinsichtlich der engen Kontakte zum Orga-Team des extrem rechten Kampfsport-Events «Kampf der Nibelungen». So hatte Weiland etwa den Thüringer Neonazi Franz Pauße auf seinen Kampf beim «Kampf der Nibelungen» 2017 vorbereitet. Bilder zeigen Pauße, der eben auch dem Orga-Kreis des KdN angehört, mit Weiland beim Training im «La Familia»-Gym in Halle (Saale). Konsequenzen gab es für Weiland weder von den Kampfsport-Verbänden, noch von seinem Gym – im Gegenteil.
Der «Jungsturm», dem Weiland seit geraumer Zeit angehört, sieht sich selbst als Teil eines Zusammenschlusses aus Neonazis und Kampfsportlern, die man in den Fankurven und im Hooliganmilieu in Ostdeutschland zuhauf findet. Vor allem zum rechten Fanklientel des Halleschen FC und zum 1.FC Lokomotive Leipzig pflegen die Erfurter beste Kontakte. Eine besonders enge Freundschaft scheint Weiland dabei zum rechten Leipziger Kampfsportler und Hooligan Christopher „Joker“ Henze zu pflegen. Dieser ist Teil des «Imperium Fight Team», wo Weiland ebenfalls als Kickboxtrainer wirkt. Auch Weilands guter Freund, das «Jungsturm»-Mitglied Robin Brandt, trainiert regelmäßig bei «Imperium».
Sowohl Leipziger Kampfsportler und Hooligans des «Imperium Fight Teams», wie Christopher Henze, als auch Angehörige des Erfurter «Jungsturm», wie u.a. Dominic Brückner, Benjamin Stoye und Felix Reck müssen sich momentan wegen eines koordinierten Überfalls auf den alternativen Bezirk Leipzig-Connewitz im Januar 2016 vor Gericht verantworten.
Steve Weinhold ist bereits seit längerem durch die Teilnahme und Organisation von extrem rechten Veranstaltungen bekannt. In der Vergangenheit trat er des Öfteren auch als Anmelder auf, wie etwa am 8. Oktober 2011 bei einer Kundgebung, die eine Höchststrafe für Sexualstraftäter forderte. Dort stellte er sich neben dem Neonazi Enrico Biczysko von der «Aktionsgruppe Erfurt» als stellvertretenden Anmelder zur Verfügung.
Am 23. März 2013 veranstaltete der rechte Verein «Pro Erfurt e.V.» eine Mahnwache unter dem Titel „Gegen das Vergessen“ auf dem Erfurter Anger. Auch dort trat Weinhold als Anmelder der «Aktionsgruppe Erfurt» auf. In den folgenden Jahren besuchte er zudem geschichtsrevisionistische Events wie den „Trauermarsch“ im Februar 2014 in Weimar und einen Aufmarsch der JN im November 2014 in Erfurt. Im August 2015 versuchte er zudem mit weiteren Neonazis beim Thüringer «PEGIDA»-Ableger «Thügida» in Suhl die Gegendemonstration anzugreifen.
Im September 2014 war Weinhold zudem in der Ausrichtung eines Liederabends in Erfurt involviert. In kleiner, vertrauter Runde spielte dort vor knapp 100 Neonazis der Berliner Liedermacher Michael Regener, alias „Lunikoff“. Neben dem bekannten Neonazi Michael Zeise (alias „Mic Revolt“) aus Erfurt übte Weinhold an diesem Abend Ordneraufgaben aus. Im Juni 2019 reiste Weinhold dann gemeinsam mit fast allen relevanten Mitgliedern des «Jungsturm» zum extrem rechten Kampsportevent «Tiwaz» nach Zwickau.
Auch der dritte Festgenommene, Marco Klingner, war im Sommer 2019 in Zwickau vor Ort. Klingner, der Vereinsmitglied beim FC Rot-Weiß Erfurt ist, fungierte beim «Tiwaz» als Trainer eines Kämpfers aus den Reigen des «Jungsturm»: Robin Brandt aus Waltershausen. Auch bei den „Ackerkämpfen“ scheint Klingner heute mehr für den Beistand, als Art „Matchmaker“, zu wirken. Ein Video eines solchen Kampfes aus dem letzten Jahr zeigt ihn am Rande des Geschehens, die teilnehmenden Erfurter Hooligans anfeuernd, während u.a. Steve Weinhold und Theo Weiland die gegnerischen Hooligans aus Koblenz brutal zusammen treten.
Im Umfeld von Aufmärschen tritt Klingner dagegen selten in Erscheinung. Bilder zeigen ihn jedoch als Teilnehmer des «Tag der deutschen Zukunft» in Dortmund 2016. Darüber hinaus war er 2016 einer von rund 200 Neonazis und Hooligans, die im Nachgang des Überfalls auf Leipzig-Connewitz von der Polizei festgesetzt wurden.
Ähnlich wie die «Jungsturm»-Hooligans Dennis Dragewski und Philip Mittelstedt, ist Klingner im Sicherheitsgewerbe tätig. So arbeitete er gemeinsam mit Mittelstedt u.a. im Oktober 2019 am Einlass der «5. Coming Stars Fight Night» in Stotternheim, die vom «La Familia»- Gym aus Erfurt maßgeblich organisiert wurde. Auch dieses Gym stört sich nicht an Neonazis im Training oder im Ring. Denn während in Stotternheim Mittelstedt und Klingner die Bändchen kontrollierten, stand Kevin Görke im Ring. Dieser kämpfte schon auf dem «Tiwaz» 2019 für das Team des «Kampf der Nibelungen» und wurde von Franz Pauße gecoacht. Pauße war auch in Stotternheim zugegen, allerdings als Gast.
Ein anderer, Lukas Oertel, trainiert selbst im «La Familia»-Gym in Erfurt und war ebenfalls in die Organisation der «5. Coming Stars Fight Night» eingebunden. Er ist Teil der sich elitär gebenden neonazistischen Sportgemeinschaft «Wardon 21», die zum engsten Kreis des«Kampf der Nibelungen» gehört. Passend dazu ist auch einer der Sponsoren der Fightnight des «La Familia»-Gyms in Erfurt der Neonaziszene angehörig: Mario Haag von «Magoo Tattoo» aus Erfurt. Dieser war in den letzten Jahren mehrmals mit seinem Studio auf dem Neonazi-Festival «Schild & Schwert» in Ostsachsen zu Gast, im Rahmen der dort ausgerichteten Tattoo-Convention.
Politische Dimension erfasst?
Seit bereits sechs Jahren agiert die Gruppe «Jungsturm» als gewaltsuchender Schlägertrupp – nicht nur im konspirativ agierenden und sich unpolitisch gebenden Hooligan-Milieu. Die Gruppe ist schließlich in der Neonazi-Szene sozialisiert und bereit, ihre Erfahrungen aus dem Kampfsport und aus den „Ackerkämpfen“ gezielt gegen POC, Migrant:innen oder politisch anders denkende Menschen einzusetzen. Sechs Jahre, in denen Antifaschist:innen mehrfach auf das stetig wachsende Bedrohungsszenario hinwiesen, welches von der Gruppe nicht nur in Erfurt versucht wurde zu etablieren. Eine Zeit, in denen die gewalttätigen Neonazis ihr Gewaltpotential in den lokalen Kampfsport-Vereinen ausbauen konnte, u.a. mit Hilfe der «La Familia»-Gyms in Halle und Erfurt. Jahre, die zudem fast frei von staatlicher Repression waren, in denen die Gruppe zusammenwachsen, neue Mitstreiter rekrutieren, sowie ihre teils koordinierten und geplanten Angriffe einstudieren konnte.
Ausmaße eines neonazistischen Netzwerkes, dass so auch in Leipzig, Dresden, Zwickau oder Chemnitz existiert und die Erfurter Szene zum Exempel werden lässt. Fraglich ist zudem, ob die Ermittlungen die politische Dimension erfassen oder ob sie sich vorrangig auf die Straftaten im Hooligansmilieu fokusieren.