Am 4. November 2015 führte die «Antifa 309» im Hamburger Stadtteil Steilshoop ein Gedenken für die vom «Nationalsozialistischen Untergrund» (NSU) ermordeten Menschen durch. An verschiedenen Orten wurde dabei neben Bildern der Todesopfer Blumen niedergelegt und so mehrere kleine Gedenkorte im öffentlichen Raum geschaffen. Bereits in der darauffolgenden Nacht wurden diese von bis vor kurzem Unbekannten zerstört. Die Bilder wurden abgerissen oder mit Farbe übermalt, neonazistische Aufkleber verklebt und eindeutige Symbole, wie die verbotene „SS-Sigrune“, an Wände gesprüht. Wie nun nachgezeichnet werden konnte, wurde die Aktion von bekannten Neonazis durchgeführt.
Via Whatsapp lud die damals noch in Hamburg-Bergedorf lebende Andrea Gronewold am 5. November 2015 weitere Neonazis aus ihrem persönlichen und politischen Umfeld zu einem „Abendspaziergang“ ein. Gronewold entstammt dem subkulturellen neonazistischen Milieu, fühlte sich der rechten Skinheadszene nahe und bewegte sich im Kreis um die Hamburger Rechtsrock-Band «Abtrimo». Sie ist bekannt dafür junge Menschen strategisch an die Rechte Szene zu binden. Dabei geht sie gezielt auf neues Potential zu, läd zu Konzerten oder Veranstaltungen ein und versucht vor allem das szeneinterne Gemeinschaftsgefühl zu stärken. Entsprechend nimmt sie seit Jahren an „Sonnenwendfeiern“, Wanderungen und Gemeinschaftsabenden der Neonaziszene in ganz Norddeutschland teil.
Seit 2015 ist sie mit dem Neonazi Ragnar Böhm liiert, der aus einer völkischen Familie stammt, in der Kinder streng nach NS Ideologie erzogen werden. Schon mit 10 Jahren nahmen die Böhm-Kinder an Zeltlagern der «Wiking-Jugend» und später der «Heimattreuen Deutschen Jugend» (HDJ) teil, wo sie militärisch gedrillt wurden. Böhm war bis zu dessen Schließung der Betreiber des Nazishops «Böhm Streetwear» in Lägerdorf (Schleswig-Holstein). Heute lebt Gronewold mit ihm und ihren Kindern in dem kleinen Ort Groß Krams (Mecklenburg-Vorpommern). Gronewold hat die Aktion strategisch vorbereitet, dazu mobilisiert und maßgeblich durchgeführt. Sie sprühte die „SS-Sigrunen“, verteilte entsprechende Aufkleber und zerstörte viele der zuvor angebrachten Bilder.
Desweiteren beteiligten sich die Geschwister Sarah und Nino Eitel aus Farmsen-Berne an der Zerstörung des Gedenkorts. Beide fielen in der Vergangenheit des öfteren durch die Teilnahme an neonazistischen Veranstaltungen und diversen Gewalttaten auf. Die Familie Eitel und weitere Rechte aus Farmsen terrorisierten mehrere Monate Antifaschist_innen und eine migrantische Familie, bis diese den Stadtteil verlassen mussten. Nino Eitel übernahm in Hamburg bei einer rassistischen Demonstration im November 2014 eine Ordnerfunktion und erlangte später überdies Bekanntheit, nachdem er mit weiteren Spielern wegen rassistischer Ausfälle und Gewalttaten aus seinem Fußballverein ausgeschlossen wurde. Sarah Eitel nahm 2010 mit der Neonazistin Anika Bolle an einer NPD Kundgebung in Hamburg Winterhude teil.
Ebenso reiste sie 2010 mit den bekannten Neonazis Detlev Brüel, Sven Mazurek und Sven Warremann zum «Trauermarsch» nach Lübeck. 2014 besuchte sie in Begleitung von unter anderem Jan Steffen Holthusen und Adam Latzko ein Neonazi Konzert von «Honour & Pride» in Nienhagen (Sachsen-Anhalt).
Ein weiterer Mittäter, der an der Zerstörung des Gedenkorts beteiligten Gruppe ist der ambitionierte Kampfsportler Sören Radtke aus Beidenfleth (Schleswig-Holstein). Radtke arbeitet im «Nordic-Sport-Club» in Wilster und gibt dort Kurse zur Selbstverteidigung. In seiner Freizeit trainiert er jüngere Neonazis, um sie für den Straßenkampf auszubilden. Dies verhalf ihm unter anderem zu einer Führungsrolle innerhalb der extremen Rechten im Raum Itzehoe. Neben seiner Tätigkeit als Trainer reist er innerhalb Deutschlands zu diversen Demonstrationen, wie zuletzt im August 2017 zum geschichtsrevisionistischen «Rudolf-Heß-Gedenkmarsch» nach Berlin oder im Juli zu dem Neonazi-Konzert «Rock gegen Überfremdung» ins thüringische Themar. Dass dies eher die Regel als die Ausnahme darstellt belegen zahlreiche weitere Bilder der letzten Jahre, die Radtke auf neonazistischen Veranstaltungen zeigen. Ebenso beteiligte er sich an der organisierten Busanreise aus Hamburg zum «Tag der deutschen Zukunft» nach Dortmund und begleitete unter anderem Thomas Wulff zum Hooligan-Aufmarsch von «Gemeinsam stark Deutschland» nach Magdeburg.
Die Aktion der Neonazis kann nur als Sympathiebekundung für die Taten des NSU gedeutet werden. Selten gelingt es der Neonaziszene in Hamburg überhaupt zeitnah aktioniststisch zu agieren. Dass eine Gedenkaktion für die Ermordeten des NSU einen derartigen Tatendrang bei den Neonazis weckt, ist bezeichnend. Weiter ist zu betonen, dass mit Andrea Gronewold eine Frau federführend an deren Umsetzung beteiligt war. Zu oft werden Frauen in der Neonaziszene unterschätzt und lediglich als ‚Freundin von…‘ oder harmlose Mitläuferin bewertet. Wie auch Sarah Eitel agierte Andrea Gronewold nie still im Hintergrund, sondern beteiligte sich stets aktiv und eigenmächtig am Aufbau neonazistischer Strukturen oder rechten Aktionen.
In Gedenken an:
Enver Şimşek, Abdurrahim Özüdoğru, Süleyman Taşköprü, Habil Kılıç, Mehmet Turgut, İsmail Yaşar, Theodoros Boulgarides, Mehmet Kubaşık, Halit Yozgat, Michèle Kiesewetter