Vor nunmehr genau drei Jahren trafen sich rechte Zusammenschlüsse wie «Hooligans gegen Salafisten» (HoGeSa) und «Gemeinsam Stark Deutschland» (GSD) oder «Patriotische Europäer gegen die Islamisierung des Abendlandes» (Pegida) das erste Mal auf der Straße. Der allgemeine Aufwind rechter Ideologien fiel für die nördlichen Bundesländer im Vergleich zu anderen weniger erfolgreich aus. Jedoch schafften es Pegida-ähnliche Ableger wie «Neumünster wehrt sich» (Schleswig-Holstein), «Gemeinsam für Deutschland – Volkswillen umsetzen» oder das von der NPD initiierte Label MVGIDA (Mecklenburg-Vorpommern) für einen gewissen Zeitraum rassistische Inhalte in die Öffentlichkeit zu tragen.
Eine erhöhte Mobilisierung rechter Kräfte implizierte dabei neu hinzugewonnenes Potential und reaktivierte zuvor Organisierte. Die aufgeladene Stimmung und der wieder aufkeimende Aktionismus waren die Basis zur Gründung einer überregionalen Kameradschaft, der «Sektion Nordland». Dieser Zusammenschluss der auffällig heterogenen Gruppe besteht aus teils seit Jahrzehnten aktiven Neonazis und zuvor unorganisierten rassistischen Menschen. Der Name «Sektion Nordland» ist an eine «SS Freiwilligen Division» angelehnt. Wie nicht anders zu erwarten tauchte die Gruppe trotz eindeutigen Bezugs zum historischen Nationalsozialismus und einer Mitgliederstruktur aus altbekannten NPD-Kadern in keinem Verfassungsschutzbericht für das Jahr 2016 auf.
NSU als Vorbild
Das handlungsorientierte Ziel ist vordergründig die Verabredung zu gemeinsamen Fahrten zu diversen Neonazi-Aufmärschen bzw. dem gemeinsamen Auftreten auf diesen. Erstmals trat der Zusammenschluss am 10. September 2016 in Stade (Niedersachsen) mit einheitlich bedruckten T-Shirts als Kameradschaft in Erscheinung. Die Gruppe umfasst 30 bis 40 Neonazis aus Hamburg, Niedersachsen, Schleswig-Holstein und Mecklenburg-Vorpommern.
Der Kern der Kameradschaft besteht aus etwa zehn Mitgliedern. Kopf der Gruppe ist Sven Reichert aus Niedersachsen. Er ist maßgeblich für die Organisierung der Gruppe verantwortlich. Reichert ist seit den frühen 90ern aktiver Neonazi und war damals als rechter Skinhead in Hamburg eingebunden. Enge Bekanntschaft unterhielt er damals zu Jan-Steffen Holthusen (NPD Hamburg), Sacha Bothe (Sektionsleiter «Blood & Honour» Niedersachsen) und Thorsten Bärthel, dem Herausgeber der neonazistischen Zeitschrift «Hamburger Sturm». Reichert kandidierte erstmals 2006 und zuletzt 2016 bei der niedersächsischen Kommunalwahl für die NPD. Im März 2013 besuchte er den Stammtisch der Hamburger Neonaziszene, zwei Monate später bekennt er sich in sozialen Netzwerken zum rechtsterroristischen Netzwerk «Nationalsozialistischer Untergrund» (NSU) und droht :
NSSU!!! (NSU!!!) Neue Bewegung, der Kampf geht weiter wir Kriegen euch Alle!!! Es waren zu wenige von Euch Gewesen!!!!
Seine Bereitschaft zur äußersten Gewalt visualisierte er ebenso unter einem von ihm geposteten Bild von «Combat 18-Blood & Honour». Dort heißt es:
Ihr habt noch nicht genug!!!!! White Power 18/88.
Besonders alarmierend ist ein von ihm jüngst ins Netz gestellte Video, in dem er nachts im Wald mit einer Waffe Schießübungen betreibt. Kurz nach Veröffentlichung löschte er das Video.
Alte & Neue
Neben Reichert sind aus Niedersachsen Patrick Aschmuteit, Markus Naujoks und Stefan Boswinkel Mitglieder der Kameradschaft. Die drei sind seit vielen Jahren gemeinsam in einer Fangruppe der Neonaziband «Kategorie C» organisiert. Boswinkel ist bereits seit den 90ern Jahren aktiv in der rechten Hamburger Skinheadszene und fährt regelmäßig zu Rechtrock Konzerten. Er ist zudem bekannt durch einen Angriff am Bremer Hauptbahnhof am gescheiterten «Tag der Patrioten» 2015. Wie auch das «Sektion Nordland»- Mitglied Michel Wesselkamp haben sich Boswinkel und Reichert zuvor bei der selbsternannten Hooliganstruktur «Gemeinsam stark Deutschland» organisiert. Die Mitglieder Thorsten Werner Liepe und Andreas Ohl leben in Hamburg und können als „neu-politisierte“ eingeordnet werden. Neben Mitgliedern wie Franziska Kreuz aus Rostock, Danny Belucis aus Hamburg und Björn Finkgräf aus dem Landkreis Osterholz in Niedersachsen, haben sich viele weitere Mitglieder über soziale Netzwerke mit anderen Rechten vernetzt und radikalisiert, bevor sie bei der Kameradschaft aktiv wurden.
Eine Reihe von Mitgliedern hat ihre politischen Wurzeln bei der NPD. Wie Sven Reichert kandidierte auch der kürzlich verstorbene Swen Treuel für die NPD in Niedersachsen. Ebenso engagiert sich der Anmelder der Demonstration in Stade, Andreas Haack, seit Jahren für die NPD und kandidierte zuletzt 2016 in Niedersachsen. Ein weiteres Mitglied der Kameradschaft mit Bezug zur NPD ist Marian Herzfeld aus Hamburg. Seit über zehn Jahren ist er Teil rechter Strukturen und unterstützt jegliche Kundgebung oder Aktion der Partei durch seine Anwesenheit. Eine enge Zusammenarbeit zwischen Partei-Kadern und Kameradschaften ist in Norddeutschland seit Jahrzehnten üblich. So ist auch die Kameradschaft heute oft gemeinsam mit NPD-Führungskadern wie Lennart Schwarzbach oder Torben Klebe auf Aufmärschen zu sehen.
Kameradschaft on Tour
In den letzten Jahren organisierte Sven Reichert aus Hamburg mehrere Busanreisen zu neonazistischen Veranstaltungen. Die Kameradschaftsszene Norddeutschlands reiste regelmäßig gemeinsam zu den «Merkel muss weg»-Demonstrationen nach Berlin. Erstmals buchte Reichert im März 2016 dafür einen Reisebus über das Unternehmen „Kaiser“ aus Rotenburg an der Wümme. Um die 40 Personen nahmen an der Fahrt teil. Neben einigen Kameradschaftsmitgliedern der «Sektion Nordland» schlossen sich auch der Neonazikader Torben Klebe, der NPD-Unterstützerkreis, u.a. bestehend aus Marian Herzfeld, Marius Edahl, Adam Latzko und Sven Mazurek, sowie der Holocaustleugner Wolfram Schiedewitz und die beiden Neonazis Denis Ackermann und Hauke Bajorat aus Hamburg an. Immer wieder schließen sich der «Sektion Nordland» auch Personen an, die auf den ersten Blick nicht dem klassischen Kameradschaftsspektrum zuzuordnen sind, wie zum Beispiel Monika Meyerhoff, Hilke Geißler, Petra Grosche und Regina Urbisch.
Zu dem Aufmarsch von «Gemeinsam stark Deutschland» (GSD) im April 2016 organisierte Reichert ebenfalls eine Busanreise nach Magdeburg. Die Gruppe reiste außerdem am 1. Mai 2016 mit weiteren Neonazis aus Norddeutschland gemeinsam nach Schwerin. Nur einen Monat später fuhr aus Hamburg ein Bus zum «Tag der deutschen Zukunft» (TDDZ) nach Dortmund. In diesem fuhr ein Großteil der reisefreudigen Neonaziszene Norddeutschlands mit. Den größeren Teil des Zusammenschlusses bildete die «Sektion Nordland». Im Jahre 2016 besuchte die Kameradschaft fast jeden Monat eine rechte Veranstaltung.
Im August 2017 wollten Neonazis aus Norddeutschland am «Rudolf-Heß-Marsch» in Berlin teilnehmen. Aufgrund sabotierter Bahngleise fand in Falkensee eine Spontandemonstration von 250 Neonazis statt, an der Mitglieder der Sektion teilnahmen. Da dies der Ort eines nahgelegenen Vorabtreffpunkts für organisiserte Strukturen war, wird hier die überregionale Vernetzung zu Kadern wie Thorsten Heise oder Neonazi-Strukturen aus NRW sichtbar. Im Zuge der Spontandemonstration wurde in Falkensee ein Büro der Partei «Die Grünen» angegriffen.
Die Kameradschaft ist gut vernetzt und kann durch Reicherts jahrezehntelange Szenezugehörigkeit auf viele Kontakte zurückgreifen, auch zu bekannten Neonazis. So hat Reichert auch engen Kontakt zu dem Neonazi Christian Sternberg aus Lüneburg, der den neonazistischen Online-Versand «Hatecore Lüneburg» betreibt. Gemeinsam reisten sie im Oktober 2017 zu dem Rechtsrock-Konzert nach Themar in Thüringen. Bereits im Juli 2017 reisten Reichert, Boswinkel und Swen Treuel zu dem Neonazi-Konzert «Rock gegen Überfremdung» nach Themar.
Eng angebunden an die Kameradschaft sind auch Neonazis wie Andre Rühe aus Buchholz in der Nordheide, der gemeinsam mit Denny Reitzenstein die «AG Nordheide» gründete, sowie Jan Phillip Romoth, der für die «JN Hamburg-Nordland» aktiv ist. Neben gemeinsamen Auswärtsfahrten zielt die Kameradschaft auch auf kleinere Aktionen wie das Verteilen von Flyern auf dem Weihnachtsmarkt in Rostock oder eine Transpi-Aktion zum G20 in Hamburg ab.
Erster Versuch NOD
Mit dem Vorgängerprojekt der «Sektion Nordland», der Gruppe «National orientierte Demokraten» (NOD), versuchten sich Sven Reichert und Alexandra Schurig bereits an der Gründung einer Kameradschaft. Über Facebook lernten sich die meisten Mitglieder kennen und organisierten sich ähnlich einer Rockerstruktur. Schurig, damals Präsidentin, teilte Mitgliedern ihre Funktion zu. So waren beispielsweise Danny Belucis aus Hamburg Vize-Präsident und Sven Reichert der Road Captain. Reichert sollte sich um die An- und Abreise, sowie Bewachung der Fahrzeuge der Kameradschaft bei Demonstrationen kümmern. Weitere Mitglieder, die bereits der Vorgänger-Struktur angehörten, sind Jens Erbe (Schatzmeister), Jens Baustian aus Lübeck (Sergeant at Arms) und Stefan Boswinkel aus Zeven. Die Hamburger Neonazis Andreas Ohl, Thorsten Werner Liepe und Kerstin Kreinhacke waren erst in der Gruppe «Widerstand Hamburg», dann bei NOD und nun in der «Sektion Nordland» organisiert. Die drei reisten in den letzten zwei Jahren zu diversen Veranstaltungen wie der GSD-Demo in Magdeburg, der «Merkel muss weg»-Demo in Berlin oder nahmen mit Reichert und Belucis an dem Spontan-Aufmarsch von GSD in Bremen teil. Ziel von NOD war es unter anderem Wahlkampfhilfe für die AfD zu leisten, sich mit dieser zu treffen und zu vernetzen. Nach einem Streit trennte sich die Gruppe NOD noch vor dem ersten öffentlichen Auftritt und der Großteil organisierte sich unter dem Label «Sektion Nordland» neu.
„Ich hab ja nichts gegen Ausländer, aber…“- huldige Rudolf Heß
Die «Sektion Nordland» ist ein Versuch, im derzeit eher strukturschwachen Norddeutschland eine Kameradschaft zu etablieren, die vor allem durch hohe Reisebereitschaft und kleinere politische Aktionen auffällt. Nach längerer Zeit werden nun aus Hamburg wieder Busanreisen zu Demonstrationen organisiert. Viele Mitglieder der Vorgänger-Strukutur NOD haben sich radikalisiert und in der «Sektion Nordland» reorganisiert.
Dass Facebook, neben anderen sozialen Medien, als Organisierungsplattform, als Ort des Kennenlernens und sich Austauschens, gerade deshalb auch von Neonazis gerne genutzt wird, ist nicht erst seit den Verhaftungen im Rahmen der Ermittlungen gegen die «Oldschool Society» bekannt. Auch im Fall der Kameradschaft «Sektion Nordland» haben sich viele der jetzigen Mitglieder über das Internet kennengelernt. In geheimen Gruppen wird sich vernetzt, Bilder getauscht und Treffen im realen Leben verabredet. Neonazis wie Sven Reichert, die seit Jahrzehnten politisch aktiv sind, treffen auf unorganisierte rassistische Menschen und nutzen die derzeitige Normalisierung rechter Ideologien, um gemeinsame Handlungskonzepte zu entwickeln und umzusetzen. Von „Ich hab ja nichts gegen Ausländer, aber…“ bis „Rudolf Heß, das war Mord!“ ist es offensichtlich doch nur ein Mausklick.