Bernd Tödter gilt als besonders gewaltbereiter, manipulativer und skrupelloser Akteur der extrem Rechten. Sein Vorstrafenregister ist lang und umfasst neben diversen Körperverletzungsdelikten auch die Tötung eines Menschen. Er gehörte bereits Ende der 1990er zu den Gründern der schleswig-holsteinischen «Kameradschaft Nordmark» in Bad Segeberg. 2001 zog er nach Kassel und gründete ein Jahr später gemeinsam mit dem jetzigen «Combat 18»-Kader Stanley Röske die heute verbotene Kameradschaft «Sturm 18». Nachdem Röske im Streit die Gruppe verließ, galt er als alleiniger Anführer der Gruppe. Ende Juni 2019 endete sein letzter Haftaufenthalt in Kassel. Anschließend kehrte er in seine Geburtsstadt Bad Segeberg (Schleswig-Holstein) zurück. Dort baut er aktuell eine gewaltbereite Struktur auf, für die er rasant neue Mitglieder rekrutiert: Die Kameradschaft «Aryan Circle» (AC) stellt nun eine ernstzunehmende Bedrohung dar.
„Phönix aus der Asche“: Von «Sturm 18» zum «Aryan Circle»
Bereits 16 Tage nach seiner jüngsten Haftentlassung veröffentlichte Tödter auf einem von ihm administrativ verwalteten Blog den Aufbau der neonazistischen Kameradschaft «Aryan Circle Germany». Am 5. Juli 2019 schrieb er:
„Ab sofort auch in der „Republik der Schande“ für das deutsche Volk vertreten…Hallo und Willkommen auf unserer neuen Weltnetzseite! Bitte habt Verständnis, das wir gerade im Umbruch sind und alle Daten (erstmal) anwaltlich prüfen lassen müssen!“.
Zeitgleich verschickt er Nachrichten an seinen alten Neonazi-Kreis, um Mitglieder für die Kameradschaft zu rekrutieren. In einer internen Rundnachricht vom 19. August 2019 erwähnt Bernd Tödter die Gruppierung «Sturm 18 e.V.» und macht deutlich, dass die Kameradschaft «Aryan Circle» in deren Tradition steht. So heißt es in der Nachricht:
„Hallo Kamerad/in, wie du sicherlich mitbekommen haben wirst, wurde der „Sturm 18 e.V.“ am 27.10.2015 vom hessischen Innenminister für verboten erklärt. Das jedoch die dahinter stehenden Personen deshalb nicht gebrochen sind/wurden ist jedem klar. Wir haben selbstverständlich nicht geschlafen oder sind jetzt dem Alkohol verfallen – wie es sich die Systemschergen erdacht haben! Wie ein Phönix aus der Asche sind wir auferstanden und treiben unser (Un)wesen jetzt unter der Fahne des internationalen tätigen „Aryan Circle kurz „AC“. Es ist Zeit zu handeln, komm zu uns…“
Als Kontaktdaten sind eine E-Mail-Adresse und die private Handynummer von Bernd Tödter angegeben. In einer „Kennenlerngruppe“ sollen interessierte Mitglieder gesammelt werden, die dann zu einem persönlichen Treffen bei einem Liedermacherabend in Kassel eingeladen werden sollten.
Der Name «Aryan Circle» findet seinen Ursprung in einer in den 1980er Jahren gegründeten US-amerikanischen Straßen- und Knastgang, der schätzungsweise 1.400 Rechte aus mehreren US-Staaten angehören. Der in Texas gegründete «Aryan Circle» ist als Alternative zur extrem rechten «Aryan Brotherhood» entstanden. Die kriminellen Aktivitäten dieser Strukturen umfassen Schutzgelderpressung, Drogenschmuggel und -handel, Raub und Einbruch innerhalb und außerhalb der Gefängnisse. Auch vor Mord wird nicht zurückgeschreckt: Opfer der Gewaltverbrechen des «Aryan Circles» sind vor allem spanischsprachige und schwarze Häftlinge, aber auch Homosexuelle und Transgender Personen, sowie vermeintlich Abtrünnige, die im Verdacht stehen die Gruppe zu verraten oder verlassen zu wollen.
Dass Tödter sich in Absprache mit den Kameraden in den USA die Autorisierung zur Nutzung des Namens bzw. zur Gründung eines Ablegers des «Aryan Circle» in Deutschland eingeholt hat, ist äußerst unwahrscheinlich. Naheliegend ist, dass er den etablierten Namen nutzt um seiner Struktur von vornherein den Anschein organisatorischen Potentials zu geben und vom etablierten Ruf der Gang aus den USA zu profitieren um das eigene Profil als gewaltsuchend zu schärfen.
Das in den Staaten genutzte Emblem, bestehend aus einem Hakenkreuz und einer SS-Rune, weicht stark von dem Logo ab, welches Tödter für den Aufbau seiner Struktur nutzt. Als Erkennungszeichen für den «Aryan Circle Germany» dient ein in rechten Kreisen weit verbreitetes germanisches Symbol – der Wotansknoten – welches aus drei ineinander verschlungenen Dreiecken besteht. Das Logo ist eine urheberrechtlich geschützte Grafik, die Tödter um den Schriftzug «Aryan Circle» erweitert hat. Es ist anzunehmen, dass er die Grafik unerlaubt für seine Struktur zweckentfremdet.
Das Logo der Gruppe hat Tödter auf T-Shirts drucken lassen um die Gruppenzugehörigkeit der Mitglieder darzustellen. Es soll dabei nach außen durch die einheitliche Uniformierung als Machtdemonstration wirken und nach innen den Zusammenhalt stärken. In diesem Shirt, mit Glatze, Bomberjacke und Springerstiefel, tritt die Gruppe nun regelmäßig in Erscheinung.
Am 1. Oktober 1974 wurde Bernd Tödter in Bad Segeberg geboren. Mit 19 Jahren prügelte er gemeinsam mit einem Mittäter einen obdachlosen Menschen zu Tode. Ein Gedenken an das Opfer kann nicht stattfinden, da der Name bis heute nicht bekannt ist.
Im Februar 2000, sieben Jahre später, wurde bei einer Hausdurchsuchung ein Waffenarsenal Tödters ausgehoben. Neben Übungs- und Manövermunition fanden die Behörden auch scharfe Gewehr- und Pistolenmunition, Schreckschusswaffen und ein panzerbrechendes Geschoss. Laut Polizeiangaben stammte ein Teil der Munition aus Bundeswehrbeständen.
Im Folgejahr zog er nach Kassel und fand schnell Anschluss an die Kameradschaft «Sturm 18 Cassel». In dieser organisiert waren daneben die Neonazis Stanley Röske, Michel Friedrich und Danyel Huth, die sich in den folgenden Jahren mit Tödter überwarfen und «Sturm 18» verließen. Die drei gründeten später einen Ableger der «Oidoxie Streetfighting Crew», die als strukturelle Verbindung zwischen den Tatorten Kassel und Dortmund im Rahmen des NSU-Komplexes mehrfach in die Schlagzeilen geriet. Tödter wurde neue Führungsfigur von «Sturm 18».
In den folgenden Jahren versucht er sich immer wieder in der Gründung oder Unterwanderung unterschiedlicher Vereinsstrukturen und ging dabei mal mehr, mal weniger subtil vor: Im nordhessischen Wethen gründen Tödter und ihm bekannte Neonazis einen Sportverein und gleichzeitigen HSV-Fanclub. Aus diesem Kreis heraus wird im Jahr 2004 über Wochen hinweg eine kurdische Familie terrorisiert, bis sie schließlich das Dorf verlässt. Zwei Jahre darauf wird er dafür zu einer Freiheitsstrafe von 18 Monaten verurteilt.
Unmittelbar nach der Verurteilung machte Tödter erneut auf sich aufmerksam, als bekannt wurde, dass er und einige seiner Kameraden sich in den Vorstand des Kasseler Multikulturvereins „Spitze e.V.“ hatten wählen lassen. Sie nutzten die Abwesenheit anderer Vereinsmitglieder während der Ferienzeit dafür aus.
Wegen der Vergewaltigung eines 17-jährigen Mädchens wird Tödter 2010 angeklagt und landet in Untersuchungshaft. Ein anderer Neonazi übernimmt daraufhin die Führung von «Sturm 18». Im Folgejahr wird Tödter wegen verschiedener Straftaten und Verstößen gegen seine Bewährungsauflagen aus vorherigen Strafen erneut verurteilt und verbüßte eine Haftstrafe bis zum Januar 2014 im hessischen Hünfeld. Dort gründet er am 20. April 2012, dem Geburtstag Adolf Hitlers, die «Aryan Defense Jail Crew», eine Art Gefangenenhilfsorganisation für Neonazis. Wenige Monate später ruft er den Verein «Sturm 18» ins Leben. Trotz offensichtlicher Bezugnahme auf den historischen Nationalsozialismus in Name und Symbolik wird «Sturm 18» vom Amtsgericht Kassel zunächst als eingetragener Verein akzeptiert. Mit Verfügung vom 27. Oktober 2015 verbot das hessische Innenministerium den Verein schließlich doch noch.
Kurz zuvor, im Juli 2014, landete Tödter erneut in Untersuchungshaft, nachdem er seiner schwangeren Freundin ins Gesicht geschlagen und mehrfach in den Bauch getreten hatte. Ebenso gab er zu seine damalige Freundin und eine weitere Frau aus der Neonaziszene angestiftet zu haben, gegenüber einer 16-jährigen gewalttätig zu werden und sie, um sie zu „disziplinieren“, an einer Leine auf allen Vieren durch den Garten zu führen. Er wird zu 2 Jahren und 3 Monaten Haft verurteilt, die er nicht voll absitzt. Nur zwei Jahre später, im Mai 2016, muss Tödter wegen Freiheitsberaubung, Nötigung und Anstiftung zur Körperverletzung erneut eine zweieinhalb jährige Haftstrafe antreten. Gemeinsam mit anderen Neonazis hatte er einen Mann über eine Woche hinweg gefangen gehalten und misshandelt, nachdem dieser sich geweigert habe, der Kameradschaft beizutreten.
Bundesweite Struktur: Das interne Forum des «Aryan Circle»
Laut Eigenangabe soll der «Aryan Circle» neben einer Sektion in Bad Segeberg (Schleswig-Holstein) auch weitere Sektionen in Hildesheim (Niedersachsen), Kassel (Hessen), Dortmund und Wuppertal (Nordrhein-Westfalen) gegründet haben. Dies geht aus Informationen einer geschlossenen Facebook-Gruppe der «Aryan Circle Germany» hervor, in der 35 Mitglieder aktiv sind. Tödter hatte die Gruppe bereits am 3. August 2019 erstellt. Administriert bzw. moderiert wird diese von dem Kasseler Neonazi Sascha Reuse, Jan Borkowiak aus Bönen und dem Lübecker Neonazis Tobias Finger.
Sascha Reuse aus Kassel ist langjähriger Weggefährte von Tödter, gehörte damals ebenfalls zu «Sturm 18» und war im Vorstand aktiv. Mehrfach fiel er als Handlanger Tödters auf, der für ihn Menschen bedrohte oder anderweitig Gewalt ausübte. Auch Tobias Finger ist ein alter Freund von Tödter. Beide waren Teil der Gruppe «Freundeskreis Nationaler Aktivisten», einer Struktur die Bernd Tödter in den 1990er Jahren von Bad Segeberg nach Hessen transferierte.
Neben einer Facebookgruppe und einem Blog des «Aryan Circle» ist über die Domain aryan-circle.de und aryan-circle.com ein internes Forum für die Kameradschaft eingerichtet. Anfang September 2019 bewirbt Tödter das von ihm eingerichtete und administrativ verwaltete Internetforum des «Aryan Circle». Dem Forum gehören aktuell 48 registrierte Neonazis aus verschiedenen Bundesländern an. Als Impressum dient eine Postfachanschrift in Bad Segeberg.
Das Forum besteht aus verschiedenen Bereichen: Der allgemeine Teil ist untergliedert in die Themen „Kultur & Geschichte“, „Recht & Gesetz“, „Rasse & Religion“, „Straftaten (Ausländer)“ und „Straftaten (von Links)“. Der Bereich „Gefangenenbetreuung“ umfasst die Themen Haftanstalten und Gefangenenlisten.
Inhaltlich wird bisher noch wenig geboten. Unter „Recht & Gesetz“ sind offensichtlich alle Gesetzestexte kopiert, die für die Gruppe relevant sind – von „Volksverhetzung“ über Tatbestände wie die schwere Körperverletzung bis hin zur bewaffneten Gruppe, hier können Mitglieder sich über die jeweiligen Straftatbestände informieren. Im Allgemeinen Teil hat Tödter diverse Zeitungsartikel über sich eingestellt. Es gibt Beiträge, die den Nationalsozialismus verherrlichen und die Führungsriege der NS-Zeit glorifizieren. Das «Aryan Circle»-Forum ist sehr ähnlich aufgebaut wie das ehemalige Forum für «Sturm 18»-Mitglieder. Einen Teil des Inhalts dürfte Tödter hier einfach kopiert haben.
Des Weiteren gibt es einen „Anti-Antifa“-Bereich, indem neben öffentlich zugänglichen Informationen über linke Strukturen auch ein Thema mit „Adressen“ angelegt ist. In dem Bereich befinden sich neben den Namen schleswig-holsteinischer Antifa-Gruppen auch Namen und Adressen von Einzelpersonen. Die Daten stammen von einem Angriff auf die Kundendatenbank des Onlineshops „Impact-Mailorder“ aus dem Jahr 2015. Die zum Teil veralteten Datensätze sind innerhalb der extrem Rechten weit verbreitet und werden regelmäßig auf rechten Plattformen fälschlicherweise als „Antifa-Listen“ online gestellt. Dabei handelt es sich keineswegs um eine Liste mit Daten von Antifaschist*innen oder linken Personen. Es sind auch persönliche Daten von Neonazis, sowie von zahlreichen Menschen, die nie politisch aktiv waren in den kursierenden Listen. So stehen in dem von Tödter erstellten Beitrag „Antifa Bad Segeberg“, eingeleitet mit den Worten: „Namen und Adressen der netten Damen und Herren in Bad Segeberg“ acht Personeneinträge. Die betroffenen Personen wurden über die Auflistung ihrer Daten im Neonaziforum informiert.
Das Forum ist zudem in zwei Benutzergruppen unterteilt. „AC“ und „NSBS“. Die Mitgliederbetreuung der «Aryan Circle» (AC) wird von Bernd Tödter verwaltet, welcher sich selbst im Forum den Titel „AC Bundesvorstand“ gegeben hat. Die Benutzergruppe „NSBS“ steht für «Nationalsozialisten Bad Segeberg» und ist strukturell sowie personell mit der des «Aryan Circle» überschneidend. Der Bereich wird von einem Gruppenführer verwaltet, der im Forum unter dem Pseudonym „Mr.Hunter“ auftritt.
Das Forum dient auch zur bundesweiten Vernetzung der Mitglieder. So ist es möglich sich mit Mitgliedern aus anderen, entfernteren Bundesländern auszutauschen, wie beispielsweise mit Jessica Slawik aus Cuxhaven, Annika Hübner aus Aschersleben oder Björn Krüger aus Wuppertal. Slawik lebte vorher in der Nähe von Kassel und tummelte sich bereits um 2010 im Kreis von Tödter. Auch Hübner ist eine langjährige Bekannte von ihm.
Ein weiterer langjähriger Wegbegleiter von Tödter aus dem Forum ist Thorsten Kupzok aus Kassel. Er war früher ebenfalls auf Treffen von «Sturm 18» und posierte damals auf Bildern mit Waffen. Auch nach «Sturm 18» suchte Kupzok die Nähe zu ähnlichen Gruppierungen wie der «Sturmbrigade» oder «Wolfsbrigade». Mit seinem Hang zu gewaltsuchenden Gruppen, seiner Alkoholaffinität und dem Wunsch nach einer Führungsperson wie Tödter, die ihn aus seinem Elend befreit, steht Kupzok hier beispielhaft für fast alle Mitglieder. Besonders interessant ist die Aktivität des Pseudonyms „Druide“ im AC-Forum. Dahinter verbirgt sich Walter Dickel aus Kassel, der 2012 umfangreich gegen Bernd Tödter und seine «Sturm 18»-Struktur und möglichen Verbindungen zum NSU-Netzwerk ausgesagt hat. Damals begründete er dies wie folgt: „Weil mir das Treiben des Bernd Tödter und seiner Gruppierung „Sturm 18“ gewaltig auf die Nerven geht. Das muss einmal ein Ende haben“. Er übergab damals der Kriminalpolizei eine Festplatte von Tödter, zahlreiche Fotos, die er in Ordnern sammelte und benannte Personen. Warum er sich heute erneut der Struktur um Tödter anschließt, ob Tödter von der Aussage Dickels weiß, oder ob Dickel mittlerweile strukturiert spitzelt ist unklar.
Rekrutierung, Bedrohungen & Angriffe
Seit der letzten Haftentlassung von Bernd Tödter kam es zu einer Vielzahl von Aktivitäten aus der Struktur des «Aryan Circle» in Schleswig-Holstein. Regelmäßig dominieren Tödter und seine Gefolgschaft mit ihrer Präsenz öffentliche Plätze und versuchen dort Raum zu vereinnahmen. In der Umgebung Bad Segebergs tauchen vermehrt rechte Aufkleber auf und die Zahl der Bedrohungen, sowie Rekrutierungsversuche gegenüber jungen Menschen nehmen deutlich spürbar zu. In den letzten Wochen verklebten die Mitglieder des «Aryan Circle» im gesamten Stadtbild in Bad Segeberg Aufkleber, sowie gezielt an Haustüren von vermeintlichen Migrant*innen um diese einzuschüchtern.
An Segeberger Schulen, unter anderem an dem Berufsbildungszentrum Bad Segeberg (BBZ Bad Segeberg) , versucht Tödter zudem offensiv Schüler*innen zu rekrutieren. Als die BBZ davon erfuhr, ließ diese über die Polizei ein Hausverbot für Tödter aussprechen.
Anfang September ist eine Gruppe von sechs Neonazis aus der Struktur des «Aryan Circle» gegen frühen Nachmittag auf dem Gelände eines linken Projektes in Lübeck aufgeschlagen. Die Gruppe um Marcel Steenbuck verschaffte sich Zutritt, zerstörte vor Ort Plakate und ein Transparent, drohte Anwesenden: „Wir kommen wieder“. Im Nachhinein flüchtete die Gruppe in die Wohnung des NPD-Ehepaars Maren und Alexander Neufeld im Lübecker Stadtteil St. Jürgen.
Desweiteren versuchten Tödter und seine Gruppe Mitglieder einer „Fridays for Future“-Demonstration in Bad Segeberg einzuschüchtern. Sie fotografierten die Teilnehmenden dieser Veranstaltung ab. Ein ähnliches Vorgehen ereignete sich bei der rechten «Michel, wach endlich auf»-Kundgebung am 29. September 2019 in Hamburg, an der Tödter zusammen mit fünf weiteren AC-Mitgliedern teilnahm.
Einer davon, Daniel Schmidt aus Sülfeld, trat im «Aryan Circle»-Shirt auf. Der 19-Jährige ist wie einige andere junge Mitglieder der Kameradschaft Fan des Hip-Hop Projekts „187 Straßenbande“ und scheint sich erst in den letzten Monaten radikalisiert zu haben.
Der jüngste Vorfall aus dem Kreis der AC-Kameradschaft ereignete sich am 17. Oktober 2019 in Sülfeld, einer kleinen Gemeinde, im Kreis Segeberg. Dort griffen Marcel Steenbuck, Marie-Christin Plambeck und Daniel Schmidt eine Gruppe von Engagierten an, die gerade dabei waren die neonazistischen Aufkleber der Kameradschaft aus dem Stadtbild zu entfernen. Die Gruppe um den in Sülfeld wohnhaften Schmidt drohte dabei vor Kleinkindern mit „Hausbesuchen“. Später setzten sie Pfefferspray ein und schlugen zwei Menschen ins Gesicht. Aktuell ermittelt die Polizei in dem Fall wegen gefährlicher Körperverletzung.
«Nationalsozialisten Bad Segeberg»
Die «Nationalsozialisten Bad Segeberg» (NSBS) tauchen erstmals in Zusammenhang mit einem von Bernd Tödter verfassten Beitrag in sozialen Netzwerken auf. So schrieb er zu einem Gruppenbild vor dem Bürgerhaus in Trappenkamp im Kreis Segeberg am 17. August 2019: „NSBS auf Betriebsurlaub!“.
Der Zusammenhang NSBS stellt eine Untergruppe bei «Aryan Circle» dar. Die führende Rolle hat Marcel Steenbuck aus Bornhöved inne, der im AC-Forum unter dem Namen „Matthias Kleinheisterkamp“ auftritt und als „AC Sektionsleiter“ geführt wird. Steenbuck ist Antifaschist*innen schon länger als bekennender Nationalsozialist bekannt, posiert in sozialen Medien mit Hitlergruß, verbreitet Hakenkreuze und NS-Propaganda.
Zuletzt erlangte Steenbuck im Oktober 2018 Aufmerksamkeit, als er im Zusammenhang mit der extrem rechten Gruppe «Nordic Division» Schlagzeilen machte. Er und sieben weitere Mitglieder der Gruppe haben sich in einem Telegram-Chat über Gewaltphantasien im Zusammenhang mit geflüchteten Menschen ausgetauscht. Weitere Beiträge in der Gruppe stammen aus NS-Publikationen. Als ein Gruppenmitglied offen mit einer Maschinenpistole posierte, wurden Ermittlungen wegen des Verdachts der Volksverhetzung und des möglichen Verstoßes gegen das Kriegswaffenkontrollgesetz eingeleitet. Im Zuge der Hausdurchsuchungen im September bei zwei Männern und einer Frau in Schleswig-Holstein wurden Waffen sichergestellt.
Auch Marie-Christin Plambeck aus Bornhöved, Partnerin von Marcel Steenbuck und Studentin der Universität in Kiel, bewarb über soziale Netzwerke die besagte Gruppe. Heute ist sie Mitglied des «Aryan Circle». Aktuell ist Plambeck eingetragen in der Funktion „Schriftwartin & Presse“ beim Turnverein Trappenkamp für den Bereich Handball.
Das Paar nahm bereits an einigen NPD-Veranstaltungen teil, u.a. an der 1. Mai-Demonstration 2019 der NPD in Wismar und am Wahlkampfabschluss in Mittelholstein am 25. Mai 2019 auf dem Neumünsteraner Großflecken.
Nachdem die Medienanstalt Hamburg / Schleswig-Holstein die Homepage der «Nordic Division» wegen verfassungsfeindlicher Inhalte aus dem Netz genommen hatte, tauchte im Juni 2019 auf Twitter ein Account der Gruppe auf, die sich «Division Nord» nannte. Wie Bildnachweise belegen, handelt es sich dabei ebenfalls um die Struktur von Steenbuck. Dass diese Struktur nun vollends in Tödters Kameradschaft übergegangen ist, zeigt auch dass der Twitter-Account jüngst in «AC Nord» umbenannt wurde.
In Neumünster trat die «Division Nord» in Gruppenstärke das erste Mal am Samstag, den 3. August 2019 in Erscheinung. Der NPD-Ratsherr Mark Michael Proch und weitere Neonazis instrumentalisierten dabei am Bahnhof die Trauer um ein ermordetes Kind für ihre rassistischen Zwecke. Neben Steenbuck und Plambeck nahmen u.a. der Padenstedter Pascal Ulack und seine Freundin Cherina Möller an der Veranstaltung teil. Beide trainieren Kampfsport bei dem bekannten Neonazi Marco Müller und sind heute ebenfalls Teil von Tödters Kameradschaft «Aryan Circle».
Am 17. August 2019 veranstalteten Mitglieder des «Aryan Circle» eine Gedenkveranstaltung für den NS-Kriegsverbrecher Rudolf Heß auf dem Ehrenfriedhof in Bad Segeberg. Daran beteiligten sich neben Bernd Tödter und Marcel Steenbuck auch die NPD-Mitglieder Maren und Alexander Neufeld, sowie Marie-Christin Plambeck und der Kieler Neonazi Thomas Krüger.
Thomas Krüger ist ebenso auf dem Bild des NSBS vor dem Bürgerhaus in Trappenkamp im Kreis Segeberg zu sehen, wie auch Tödter und Steenbuck. Krüger gehörte früher zum schleswig-holsteinischen NPD-Landesvorstand, bis er der Partei den Rücken kehrte, nachdem der ehemalige Landesvorsitzende Peter Borchert im Jahr 2003 aus der Partei ausgeschlossen worden war.
Krüger und Borchert sind eng befreundet und sorgten bereits bundesweit für Schlagzeilen als diese 2003 zusammen eine Tankstelle überfielen. Bei einer nachfolgenden Hausdurchsuchung fand die Polizei eine geladene 9-mm-Pistole der Marke Tokarev in seinem Bett. Zuletzt zählte Krüger zum Organisationskreis von «Neumünster wehrt sich» und nahm bundesweit an rechten Aufmärschen teil. Nun bewegt auch er sich im Kreis der Kameradschaft «Aryan Circle».
Die Tickende Zeitbombe: Zwischen Narzissmus, Manipulation und Gewaltexzessen
Die Geschichte von Bernd Tödter ist eine Geschichte von Skrupellosigkeit und Gewalt. Die Bezeichnung „tickende Zeitbombe“ scheint wie für ihn erdacht. Tödters Zeit in Kassel beweist aber auch, dass es sich bei ihm um einen notorischen Selbstdarsteller handelt, der sich gerne selbst an die Spitze der von ihm ins Leben gerufenen Gruppen und Strukturen stellt. Durch seine Vereinsmeierei machte er es den Sicherheitsbehörden jedoch verhältnismäßig leicht, gegen seine Organisationen vorzugehen. Seine Ambitionen, die Führung immer wieder neuer, teils offen neonazistischer Strukturen zu übernehmen, steht im Kontrast zu seiner Bedeutung in der Naziszene. Obwohl es ihm immer wieder gelang, die gleichen Personen um sich zu scharen, sobald er wieder eine Haftstrafe abgesessen hatte, blieb er zumindest während seiner Zeit in Kassel innerhalb der Naziszene verhältnismäßig bedeutungs- und einflusslos. Das Umfeld von «Sturm 18» stellte für ihn und ausgewählte Neonazis vor allem auch einen Sozialraum dar, in dem sie, oft unter Alkoholeinfluss, ihre eigenen Macht- und Gewaltphantasien ausleben konnten. Neben Tödter sind nach jetzigem Stand der Recherchen mindestens drei weitere ehemalige Mitglieder von «Sturm 18» in der neuen «Aryan Circle»-Struktur zu finden. Aufbau und Struktur der Kameradschaft sind eine glatte Kopie seiner alten Struktur unter neuem Namen. Ebenso die Organisationsform und Kommunikationswege über das Online-Forum sind die gleichen und bilden ein fast identisches Abbild der damaligen «Sturm 18»-Struktur dar. Dass Tödter damit eine verbotene Gruppe unter neuem Namen weiterführt ist somit naheliegend. Dass er frisch aus der Haft entlassen Nachrichten verschickt, die seine neue Kameradschaft in direkte Nachfolge eines verbotenen Vereins stellt, ist grotesk.
Bisher sind Aktivitäten von «Aryan Circle» nur im Raum Schleswig-Holstein wahrnehmbar. Der Anspruch eine bundesweite Organisation aufzubauen ist bisher auf Tödters Allmachtsphantasien zu reduzieren. Auch wenn die Struktur rasant wächst, scheint sich nur ein Teil auch im realen Leben mit der Gruppe zu identifizieren und in ihrem Sinne zu agieren.
Dennoch ist bereits jetzt ersichtlich, dass einige der Neonazis, die Tödter derzeit um sich versammelt, besonders waffenaffin, äußerst gewaltbereit und ideologisch gefestigt sind. Nur kurze Zeit nach Gründung geht die Gruppe in die Offensive, erstellt Anti-Antifa Listen, schafft Bedrohungsszenarien im öffentlichen Raum und greift auch tatsächlich an. Tödter hat es geschafft den bestehenden Zusammenhang um Marcel Steenbuck zu vereinnahmen und versucht weiteren Einfluss zu gewinnen, indem er gezielt junge Menschen anspricht. Tödter organisiert hier aber keine klassische Kameradschaftsstruktur. Für Personen ohne gefestigte Struktur in Alltag oder Leben schafft Tödter einen sozialen Raum voller Abhängigkeiten, der Anerkennung und rechte Erlebniswelt verspricht, er dominiert diesen nach innen mit physischer und psychischer Gewalt. Diese Gewalt kehrt sich früher oder später zwingend nach außen und kann dann jeden treffen.