Martin Wiese, erlangte 2003 internationale Bekanntheit, als er und acht weitere Neonazis einen Sprengstoffanschlag auf die Veranstaltung zur Grundsteinlegung des Jüdischen Kulturzentrums in München planten.
Am 1. August 2020 zogen über 20.000 Verschwörungsideolog:innen durch Berlin, um gegen die Maßnahmen der Regierung zur Eindämmung des Coronavirus zu protestieren. Unter denen, die sich auf diesem Event als «Querdenker» und Verteidiger:innen des Grundgesetzes inszenierten, waren haufenweise extrem Rechte: FunktionärInnen der NPD, Kameradschafts-Mitglieder und sogenannte «Reichsbürger». Zwischen schwarz-weiß-roten Reichsfahnen und „Kill Bill Gates“- Plakaten reihte sich auch der Rechtsterrorist Martin Wiese in den Aufzug ein.
Wiese, der heute wieder in Mecklenburg-Vorpommern lebt, war bei der «Querdenken»-Demonstration am 1. August 2020 in Berlin in einem Neonazi-Shirt mit dem Symbol der sogenannten „Schwarzen Sonne“ (einem zwölfarmigen Hakenkreuz) und der Aufschrift „Pommern niemals Knecht“ unterwegs. Er wurde von Dirk Bahlmann aus Löcknitz (Mecklenburg-Vorpommern) begleitet, ein alter Bekannter von Wiese, gegen den 2003 auch wegen der Anschlagsplanung auf das Jüdische Kulturzentrum ermittelt wurde. Bahlmann soll Wiese damals Waffen verschafft haben, unter anderem war er von Wiese um die Beschaffung einer Handgranate gebeten worden. Wiese und Bahlmann sind in einem Video des ARD-Magazins Kontraste zu sehen. Wiese schreit der ARD Journalistin ins Mikrofon: „Lug und Betrug“. Von der Seite droht ihr Bahlmann: „Ihr werdet noch abgeurteilt!“. Auf die Nachfrage der Journalistin „von wem?“ entgegnet er: „Warte ab“.
Der 1976 in Anklam (Mecklenburg-Vorpommern) geborene Martin Wiese trat bereits im Alter von 16 Jahren als militanter Neonazi in Erscheinung. Im August 1992 beteiligte er sich an den tagelangen Angriffen und Brandanschlägen auf eine Unterkunft von Geflüchteten und ein Wohnheim für ehemalige vietnamesische Vertragsarbeiter:innen in Rostock-Lichtenhagen. 1998 zog er von Mecklenburg-Vorpommern nach Bayern, wo er sich 2002 zum Führer der heute verbotenen «Kameradschaft Süd» aufschwang.
Die Gruppe veranstaltete paramilitärische Trainings und war insbesondere im Bereich der «Anti-Antifa» umtriebig: Unter anderem besorgten sie sich persönliche Daten politischer Gegner:innen und spähten deren Lebensgewohnheiten aus. Für den geplanten Anschlag auf das jüdische Kulturzentrum kümmerte sich Wiese in erster Linie um die Beschaffung von Waffen und Sprengstoff. Die Gruppe plante einen „großen Bumm“ bei dem möglichst viele Menschen getötet werden sollten, gesprochen wurde von 2.000 Personen. Zum Führungskreis der «Kameradschaft Süd» zählte auch der Neonazi Didier Magnien. Er drillte die Truppe in paramilitärischen Trainings, besorgte mit Wiese Waffen und spitzelte als V-Mann für den bayerischen Verfassungsschutz.
Weil der V-Mann die Pläne auffliegen ließ, konnte der Terroranschlag verhindert werden. Die «Kameradschaft Süd» wurde verhaftet und zerschlagen, sieben Mitglieder erhielten mehrjährige Haftstrafen. Martin Wiese musste wegen der Rädelsführerschaft in einer terroristischen Vereinigung für sieben Jahre ins Gefängnis. Während seiner Haftzeit wurde er von der neonazistischen «Hilfsorganisation für nationale politische Gefangene und deren Angehörige» (HNG) betreut. Nach seiner Haftentlassung 2010 war Wiese in Niederbayern wohnhaft und beim «Freien Netz Süd» (FNS) aktiv. Für einige Jahre prägte er als Redner und Organisator die Entwicklung dieser militanten und damals umtriebigsten bayerischen Neonazistruktur maßgeblich mit. Auch überregional trat Wiese auf, beispielsweise hielt er eine Rede beim «Thüringentag der nationalen Jugend» in Kahla im Juni 2013. Dort trug er ein T-Shirt mit der Aufschrift „Freiheit für Wolle“, das in der Neonaziszene aus Solidarität mit dem NSU-Mitglied Ralf „Wolle“ Wohlleben getragen wird.
Nach seiner Haftzeit blieb Wiese nicht lange straffrei. Schon im Mai 2012 wurde er unter anderem wegen Bedrohung und Volksverhetzung zu einem Jahr und neun Monaten Haft verurteilt. Er hatte im Sommer 2011 auf einer Kundgebung mehreren Journalist:innen ihr Todesurteil durch einen „Volksgerichtshof“ angedroht. In einem Berufungsverfahren im September 2013 wurde das Urteil auf ein Jahr und drei Monate verringert, im Juni 2014 trat er die Haft an. Im Februar 2015 wurde der Strafrest zur Bewährung ausgesetzt und ab Mitte 2015 meldete sich Wiese in Sozialen Netzwerken wieder zu Wort, öffentlich trat er jedoch kaum auf.
Im Mai 2019 kassierte Martin Wiese eine weitere Bewährungsstrafe, trotz einer noch laufenden Bewährungsfrist. Dieses Mal hatte er gegen das Waffengesetz verstoßen. Die Staatsanwaltschaft warf ihm vor, dass er 2016 und 2017 Zugang zu über 150 Waffen und Munition hatte. Wegen seiner Vorgeschichte ist Wiese mit einem erweiterten Waffenverbot belegt. Im Februar 2017 wurde in Abensberg (Niederbayern) das Elternhaus seiner Lebenspartnerin, in dem auch Martin Wiese lebte, von der Polizei durchsucht, weil ein Tippgeber die Polizei auf zahlreiche verbotene Waffen in dem Anwesen der Familie hinwies. Der Vater seiner Partnerin, der ehemalige Waffenhändler Maximilian Listl, ist ebenfalls als Rechter bekannt und bei der «Bayernpartei» aktiv. Weil Wiese die Waffen angeblich aus dem Haus haben wollte, half er eine Pumpgun auf einem anderen Grundstück der Familie zu vergraben. Wiese behauptete im Prozess, seit fünf Jahren nicht mehr politisch aktiv zu sein und keine Kontakte mehr zur rechten Szene zu haben. Über den Verbleib von sieben Waffen, die bei der Razzia nicht gefunden wurden, konnte er keine plausiblen Angaben machen.
Am 29. August soll die zweite Großdemonstration der «Querdenken»-Bewegung in Berlin stattfinden. In sozialen Netzwerken gibt es zahlreiche Aufrufe, in denen Tag X-Szenarien heraufbeschworen werden. So sprechen und schreiben Meinungsführer:innen der Bewegung beispielsweise davon, dass an diesem Tag der „Deep State“ vernichtet werden soll . Ein Narrativ das vermutlich auch Rechtsterroristen wie Martin Wiese erneut nach Berlin locken wird.