Am 1. September 2018 nahmen die Kasseler Neonazis Stephan Ernst und Markus Hartmann an einer AfD-Demonstration in Chemnitz teil. Stephan Ernst ist dringend tatverdächtig, am 2. Juni 2019 den nordhessischen Regierungspräsidenten Walter Lübcke ermordet zu haben. Markus Hartmann, einem engen Freund von Ernst, wirft die Generalbundesanwaltschaft „Beihilfe zum Mord“ vor.
Wie Ernst sitzt Hartmann derzeit in Haft. Er soll Ernst nicht nur an den Waffenhändler vermittelt haben, bei dem dieser die Tatwaffe kaufte, sondern sich auch gemeinsam mit ihm radikalisiert und an Schusswaffen trainiert haben. Bei einer Hausdurchsuchung wurde bei Hartmann ein Buch des extrem rechten Autors Akif Pirinçci gefunden, indem der Name des Tatopfers Dr. Walter Lübcke mit einem Textmarker gelb markiert worden war. Die politischen Weggefährten besuchten am 14. Oktober 2015 zusammen die Bürgerversammlung in Lohfelden bei Kassel, auf der Walter Lübcke den Plan verteidigte, vor Ort eine Unterkunft für geflüchtete Menschen einzurichten. Dort wohnte der 22-jährige Ahmed I., dem am 6. Januar 2016 in der Nähe der Unterkunft von einem vorbeifahrenden Radfahrer ein Messer in den Rücken gestoßen wurde. Ahmed I. wurde lebensgefährlich verletzt und erlitt bleibende Schäden. Die Generalbundesanwaltschaft verdächtigt Stephan Ernst, auch diese Tat begangen zu haben.
Bereits 2009 nahmen Hartmann und Ernst an Neonazi-Aufmärschen in Dortmund und Dresden teil. Markus Hartmann wurde zudem im Juni 2006 zum NSU-Mordfall Halit Yozgat befragt, da er auffallend häufig die Fahndungsseite der Polizei im Internet aufrief. In nur wenigen Sätzen erklärte Hartmann damals in einer Zeugenvernehmung, dass er Halit Yozgat und einen Freund von Yozgat kenne. Weitere Nachfragen der Polizei blieben aus, obwohl bereits damals aktenkundig war, dass Hartmann der organisierten Neonazi-Szene angehört. Vor wenigen Tagen wurde zudem bekannt, dass Hartmanns politischer Weggefährte Stephan Ernst namentlich elf mal in dem gesperrten NSU-Geheimbericht des Verfassungsschutzes Hessen auftaucht.
Dass die beiden einen Aufmarsch der AfD besuchten, ist naheliegend. Schon 2016 spendete Stephan Ernst Geld an die AfD Thüringen. Eine Vermischung der organisierten Neonaziszene mit der sich bürgerlich-konservativ gebenden Rechten, um Parteien wie die AfD, ist kein neues Phänomen. Die extrem rechte Gruppierung «Pro Chemnitz» meldete am 1. September 2018 in zeitlicher und örtlicher Nähe eine Kundgebung an, um sich später mit dem AfD-Aufmarsch zu vereinigen. So schlossen sich viele bekannte Neonazis dem AfD-Aufmarsch an – von ehemaligen HDJ-Funktionären und NPD-Mitgliedern, über rechte Hooligans bis hin zu Holocaustleugnern und Rechtsterroristen. Zur Erinnerung: Auch zentrale Personen der rechtsterroristischen Gruppe «Revolution Chemnitz» nahmen an dem Aufmarsch teil – auf der Straße vereint mit Björn Höcke und AfD-Vordenker Götz Kubitschek, die diesen sogenannten „Trauermarsch“ anführten. Der rassistische Mob griff an diesem Tag mehrfach und massiv Presse, Geflüchtete und Polizei an. In Folge der Eskalation wurde der Aufmarsch aufgelöst. An diesem 1. September zeigte sich eindringlich der Schulterschluss der AfD mit der extremen Rechten, die diese schon längst als ihren parlamentarischen Arm angenommen hat. Durch ihre völkische und rassistische Agitation bestätigt die Partei Rechtsterroristen wie Stephan Ernst in ihrem Handeln und gibt ihnen politische Legitimation.
Bisher gaben Verfassungsschutzchef Thomas Haldenwang und Innenminister Horst Seehofer auf einer Pressekonferenz im Juni 2019 an, dass Stephan Ernst lediglich bis 2009 als Neonazi in Erscheinung getreten war und danach von ihrem Radar verschwunden sei. Haldenwang dachte laut darüber nach, ob man den Täter als „Schläfer“ kategorisieren sollte. Ernst war kein Schläfer, sondern ein durch und durch gewalttätiger Neonazi, der jederzeit für die Behörden greifbar war. Nun muss geklärt werden, ob der Verfassungsschutz – zu recht als die gefährlichste Behörde Deutschlands bezeichnet – die Öffentlichkeit und Politik erneut bewusst desinformiert haben oder wie es sein kann, dass sie bei dem immensen Personal- und Geldaufkommen die Aktivitäten von Ernst und Hartmann nicht beobachteten.